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Die erkenntnistheoretische Stellung des Psychologen [2/2]
Der Sinn der Psychologie von solcher Anschauung aus wäre somit: den gesamten Bewußtseinsinhalt, sofern er Bewußtseinsinhalt ist, zu beschreiben und seine - subjektiven - Zusammenhänge gesetzmäßig darzustellen. (41) Alles, was wir erleben, Empfindungen, Vorstellungen, Wollungen, Gefühle sind Gegenstand der Psychologie. Ganz dasselbe, nur von einer anderen Seite betrachtet, sofern es nämlich ein Objektives wiedergibt (oder sich auf ein solches bezieht) und dadurch seinem Inhalt nach bestimmt ist, ist Gegenstand der Naturwissenschaft (Physik, Physiologie etc.) Letztere abstrahiert von der Tatsache des Welt bildes, sie sieht in ihm nur die Welt. Die Naturwissenschaft geht also von vornherein ganz und gar objektivistisch vor. Sie leugnet jedoch deshalb nirgends das die Welt erfassende Subjekt, nur braucht sie es nicht bei ihrer Darstellung der Welt. Ihr Objektivismus widerspricht daher keineswegs unserer dualistischen These von der Wirklichkeit des Subjektiven und Objektiven. Ebensowenig und noch weniger aber folgt aus der Bearbeitung des Subjektiven seitens der Psychologie irgendeine erkenntnistheoretische Konsequenz subjektivistischer Natur. Selbst da, wo sich die Psychologie ganz in ihre subjektive Welt zurückzieht, läßt die erkenntnistheoretische Reflexion jederzeit und an jedem Punkt erkennen, daß die realistische Position zugrunde liegt, daß die Existenz einer Objektenwelt stillschweigend als erkenntnistheoretischer Faktor in die Rechnung mitaufgenommen ist, daß das Subjektive, Psychische, Bewußte auf ein reales Objektives bezogen erscheint, ohne dessen Voraussetzung es seinen Sinn verliert. Aber noch mehr: die Gebiete, wo dieser objektive Faktor lediglich vorausgesetzt ist, sind klein. Weitaus der größere Teil psychologischer Fragen ist ohne Hereinbeziehung des Objekts gar nicht zu bearbeiten; ja gar nicht einmal gegeben. Dies gilt insbesondere - aber durchaus nicht ausschließlich - von jener umfassenden Wissenschaft, die allgemein als Teil der Psychologie betrachtet wird, der Wissenschaft von den Beziehungen zwischen Physischem und Psychischem: Psychophysik und Psychophysiologie. Das Subjektive, Ideelle in seiner Abhängigkeit, seinen Beziehungen, seinem Zusammenhang mit dem Objektiven, Realen (der Außenwelt) zu erforschen, ist Aufgabe dieser, Geistes- und Naturwissenschaft verbindenden, Disziplinen. Das quantitative Verhältnis zwischen Reiz und Empfindung ist Gegenstand der Psychophysik im engeren Sinne. Man braucht dieses Verhältnis nur auszusprechen und die ganze Ungeheuerlichkeit des Bewußtseinsmonismus steht klar vor uns. Denn der Reiz ist nach ihm nichts "draußen", nicht Außerpsychisches; er ist ja selbst nur wieder ein Bewußtes, Empfundenes. Der Dualismus: Sachding und Gedankending aber eine Sünde wider den heiligen Geist aller Philosophie. Warum, erfahren wir zwar nirgends; dagegen wird man nicht müde, zu versichern, daß nur ein unrettbarer, unheilbarer "Metaphysiker" an einer solchen Verdoppelung festhalten könne. Und doch tun dies die gesamten Psychologen, - inklusive der Erkenntnistheoretiker, soferne sich dieselben vorübergehend zu konkreter Geisteswissenschaft herablassen. Mag es so sein, daß "reine Erfahrung", "Beschreibung des Gegebenen" über das bloße Dasein von Objekten nicht hinauskomme, mag es sein, daß sie zu keinerlei "Verdoppelung" führe, so ist eben auf dem Boden "reiner Erfahrung" und "Beschreibung" die Wissenschaft der Psychologie unmöglich; und, so folgern wir weiter, "reine Erfahrung", "Beschreibung des Gegebenen" wissenschaftlich unbrauchbar. Das FECHNERsche Gesetz z. B. wird ohne diese "Verdoppelung" entweder barer Unsinn oder es müßte bei einem Versuch, es in die Sprache des Phänomenalismus zu übertragen, zu einer fratzenhaften Ausgeburt philosophischer Begriffsphantasie verkrüppeln. Man denke überhaupt an die Lehre von den Empfindungen. Auch das qualitative Moment der Empfindungen untersuchen wir in seiner Beziehung zu den realen Äquivalenten. Farben-, Ton, usw. - Empfindungen geben, losgelöst von ihren objektiven Grundlagen, der Forschung wenig oder gar keine Fragen auf. (42) Noch mehr. Eng verbunden mit der Psychologie der Empfindungen ist die Physiologie der Sinnesorgane. Äußerer Reiz, psychisches Gebilde und nervöses Substrat' bilden hier gleichwertige Realitäten. Wollte man den damit vorausgesetzten Dualismus streichen, so werden alle einschlägigen Untersuchungen zu unentwirrbaren, unverständlichen Worthaufen. Was soll es z. B. heißen, daß - eine Tatsache der sogenannten Lehre von den spezifischen Sinnesenergien - ein galvanischer Reiz imstande ist, wenn er auf das Auge, bzw. den Sehnerv wirkt, Lichtempfindung zu erzeugen, was soll das heißen, wenn ich zugleich dabei denken soll, daß der galvanische Reiz, das Auge, der Sehnerv auch nur "Empfindung", ein Bewußtes ist und außer dem Bewußtsein keine selbständige Existenz hat?! "Nicht die Körper erzeugen Empfindungen, sondern Empfindungskomplexe ... bilden die Körper", meint MACH. (43) Das ist psychologisch freilich richtig; erkenntnistheoretisch aber unbrauchbar, widersinnig, falsch. Den gleichen Verwechslungsfehler begeht SCHUBERT-SOLDERN. Das Entstehen der Empfindung "aus der Einwirkung der Außenwelt auf die peripherischen Enden der Nerven" zu erklären, hält er für absurd. Weil ja "die Außenwelt, welche einwirkt, ... aus der Empfindung selbst" bestehe. Und weil ebenso "Gehirn und Nerven ... selbst Empfindung" seien. (44) Ein falscher Psychologismus und die monistische Furcht vor dem Gespenst der "Verdoppelung" verführt so SCHUBERT-SOLDERN zu erkenntnistheoretischn Gezwungenheiten, auf deren Basis psychologische Wissenschaft einfach zur Unmöglichkeit würde. - Aber angenommen, es gelänge, eine passable Wortfolge zu finden, die uns obengenannten Fall (aus der Lehre von den spezifischen Energien) - einer unter tausenden - monistische übersetzt wiedergibt, so frage ich sämtliche vernünftige Bewohner unseres und anderer Gestirne: wo ist die größere Einfachheit, Ungezwungenheit, Klarheit der Zurechtlegung: beim Dualisten oder Monisten? Die Wirklichkeit bietet uns eben einmals zwei Seiten dar und läßt sich keinen Monismus andiktieren. Wer sie nimmt, wie sie ist - und das hat gesundes Denken und die von erkenntnistheoretischer Verzerrung nicht angekränkelte Wissenschaft der Natur und des Geistes instinktiv schon immer getan - der wird sie verstehen und verständlich beschreiben können. Wer sich also monistischer Philosoph anmaßt, ihr gebieten zu wollen, der wird wohl Worte machen können, aber die Wirklichkeit lacht seiner Worte Hohn. Wir sprachen bisher von der Empfindungslehre. Hier, wo physikalisches, physiologisches und psychologisches Moment am untrennbarsten miteinander verbunden sind, tritt die Notwendigkeit, realistisch zu denken, am greifbarsten in Erscheinung. Aber sie reicht weiter, sie gilt für den ganzen Umkreis psychologischer Fragestellung. Bleiben wir zunächst noch bei der Psychophysiologie. Die Tatsache dieser Wissenschaft an sich, deren Aufgabe es ist, Gehirn und Nerven auf ihre Eigenschaft als Träger psychischer Funktionen zu untersuchen, fordert unseren dualistischen Realismus. Denn immer rechnet sie mit den zwei Faktoren Innen- und Außenwelt (psychisches und physisches - nervöses - Gebilde, psychischer und physischer - nervöser - Vorgang) als gleichrealen Werten. (45) Ganz das Gleiche nun hat auch Geltung für die Binnengebiete der Psychologie, für die eigentliche oder reine Psychologie. Zwar sieht sie von den physischen Begleitvorgängen des Psychischen ganz ab; nicht nur aus empirischen Gründen, weil uns Gehirnanatomie und -physiologie schon sehr bald gänzlich im Stich lassen, wo es sich um seelische Vorgänge höherer und komplizierterer Art handelt, sondern auch aus logischen und methodologischen Gründen. Die seelischen Zusammenhänge sind durchaus besonderer Natur, sie folgen ihren eigenen Gesetzen und sind nie und nimmer durch eine Rückführung auf Bewegungsvorgänge in der nervösen Substanz, mögen sie mit denselben auch aufs innigste verknüpft sein, begreiflich zu machen, zu erklären. Daß aber eine solche innige und untrennbare Verknüpfung besteht, daß zu jedem psychischen Moment ein physiologisches Substrat zu denken ist, das ist einer jener wenigen Sätze, worin die gesamte moderne Wissenschaft so ziemlich einig ist. Es ist die Hypothese vom psychophysischen Parallelismus' und mit seiner Anerkennung ist auch für jeden Punkt der rein-psychologischen Wissenschaft der realistische Dualismus stillschweigend zugegeben! Die selbständige Existenz des Objekts ist allenthalben vorausgesetzt; und zwar in Form des menschlichen Körpers, bzw. Teilen desselben, genannt Gehirn und Nervensystem. (46) Aber noch in anderer, direkter Weise und im engeren Sinne setzt die reine Psychologie stets die Existenz des Objekts voraus. Die Bearbeitung des Vorstellungslebens geht notwendigerweise auf die den Vorstellungen korrespondierenden realen Verhältnisse zurück. Welchen Sinn hätten die Theorien über Raumwahrnehmung (des Gesichts- und Tastsinnes), wenn man nicht an eine ideelle Nachbildung des objektiven Raumes seitens unserer Psyche denkt? Die Gesetze der musikalischen Harmonie und Disharmonie, die Gesetze des Rhythmus, den Zeitsinn studieren wir, indem wir das Subjektive im Verhältnis zu seinen objektiven Grundlagen betrachten. Die Formen der Assoziation - auf denen wieder Gedächtnis, Phantasie usw. beruhen - scheidet die Psychologie nach jenen Beziehungen, in welchen die den Vorstellungen entsprechenden Objekte zu einander standen. - Die Phänomene der Jllusion, Halluzination, des Traumes, der geistigen Störung sind ferner gerade durch ihr Abweichen, ihren Zwiespalt, ihren Widerspruch mit dem Realen charakterisiert, welch' letzteres daher in der Betrachtung eine unentbehrliche negative Rolle spielt. Ähnliches ist hinsichtlich des großen Gebietes der Täuschungen zu sagen. Die ideelle Wiedergabe des realen Objekts ist hier aus der richtigen Bahn geleitet. Nie hat noch ein Forscher beispielsweise eine optische Täuschung behandelt, ohne von dieser "Verdoppelung" des "Dings", der subjektiven Nachbildung eines objektiv Gegebenen stillschweigend auszugehen. Es wäre auch schwerlich möglich, auf irgendeine andere (subjektivistische, monistische) Weise eine Täuschung verständlich zu beschreiben. Der Wille führt ohne Weiteres ins Gebiet des Objektiven durch die von ihm gesetzte Willenshandlung (Körperbewegung). Das Kapitel der Ausdrucksbewegungen und Gemütsbewegungen zeigt Seelisches und Somatisches (Innen- und Außenwelt also) in enger Verbindung. Womöglich noch eindringlicher tritt die realistische Basis überall da in Erscheinung, wo die Psychologie experimentell verfährt, (47) d. h. wo sie die psychischen Phänomene unter absichtlich herbeigeführten Bedingungen beobachtet. Diese Bedingungen sind physikalischer oder physiologischer Natur oder beides und ihnen gegenüber steht das psychische Resultat als gleiche, durchaus nicht höhere Realität. Ein Blick auf die Zeitsinn- und Gedächtnisversuche, auf die Suggestionsversuche macht das klar. Eine Betrachtung der experimentellen Methode rückt übrigens noch einen Hauptpunkt in den Vordergrund, den wir bis jetzt außer Acht gelassen haben und der ebenfalls zwingend auf die realistische Grundlage der Psychologie hinweist. Es ist die Vielheit der das eine Objekt erfassenden Subjekte. Wir haben bisher dem Objekt ganz allgemein das Ich gegenübergestellt, der real gegebenen Außenwelt die ideell sie wiedergebende Innenwelt. Dieser Dualismus bedarf der Berichtigung: der Außenwelt gegenüber steht die beliebig große Mehrheit der sie spiegelnden Bewußtseine. Die experimentelle Methode verwertet die Aussagen fremder Bewußtseine im selben Sinn wie die des eigenen. (48) Auf das gleiche Objekt läßt sie verschiedene Subjekte reagieren. Das eigene Ich nimmt unter diesen durchaus keinen besonderen Rang ein.' Es ist einer der Vorzüge der experimentellen Methode, daß sie durch das Operieren mit einer Vielheit von Subjekten eher als die Methode der einfachen Selbstwahrnehmung imstande ist, individuelle Zufälligkeiten zu vermeiden und Allgemeingültigkeit zu erreichen. (49) In noch ausgedehnterem Maße stützt sich die vergleichende Methode der Psychologie auf die Äußerungen fremder Bewußtseine: Völker-, Kinder-, Tierpsychologie. Was folgt hieraus für unsere These, daß die psychologische Wissenschaft durchaus realistische Annahmen involviert? Nichts Geringeres, als ein weiterer schwerwiegender Beweis. Zu den vielen Schwierigkeiten aller nichtrealistischen Standpunkte gehört die Frage nach der Existenz anderer Bewußtseine. Diese Frage hat der Ichphilosophie schon viel Schweiß und Kopfzerbrechen gekostet. Man hat sich gewunden und gequält, um monistisch-phänomenalistisch die Realität unserer Iche zu sichern, da man zu dem wenigstens konsequenten Solipsismus (den SCHOPENHAUER ins Irrenhaus verweist und von dem man nach SHAKESPEARE sagen kann: "Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode") nicht den Mut hat. Und doch ist ihm ohne die Annahme einer realen, psychisch nur jeweils reproduzierten Außenwelt nimmermehr zu entgehen: Solipsismus oder Realismus - es gibt keine andere Wahl. (50) - Niemals zum Mindesten kann mann man von nichtrealistischem (bewußtseinsmonistischem, phänomenalistischem) Standpunkt aus zur Anerkennung gleichwertiger (51) anderer Bewußtseine kommen. Im günstigsten Fall zur Anerkennung von Bewußseinen sozusagen niederer Potenz; aus dem einfachen Grund, weil nach §1 jeglicher Ichphilosophie alles und alles - somit auch ein eventuell fremdes Bewußtsein - immer nur weider als Inhalt unseres eigenen Bewußtseins gegeben sein kann. So daß ein derartig erkanntes und anerkanntes fremdes Bewußtsein niemals zum Rang des eigenen, welches eine total andere und ganz einzige Bedeutung besitzen muß, erhoben werden könnte. (52) Aber noch mehr. Es gehört zum philosophischen ABC, daß wir zur Erkenntnis oder auch nur zum Gedanken, eines fremden Bewußtseins immer nur auf dem Umweg über Physisches, Objektives, Bestandteile der raumzeitlichen Außenwelt gelangen. Es sind bekanntlich Äußerungen, Bewegungen anderer Körper, physiologische Betätigungen, aus denen wir auf ein gewissen physischen Systemen innewohnendes, unserem eigenen mehr oder minder gleichendes Innen- oder Bewußtseinsleben schließen. Geben wir nun die - von unserem Denken unabhängige - Realität der Außenwelt und damit auch der genannten Teile derselben auf, so ist keine Möglichkeit vorhanden, die Realität von etwas zu retten, was an die Existenz jener Teile geknüpft ist und durch das physische Benehmen derselben von uns überhaupt erst als existierend angenommen wird! - In dem Moment, wo wir die Außenwelt subjektivistisch auflösen, geben wir also auch die Objektivität eines von unserem eigenen Bewußtsein unabhängig existierenden Bewußtseins auf: Solipsismus. Wie einfach gestaltet sich diese für den Nichtrealisten so heikle Frage von unserem Standpunkt aus. Nach unserer Anschauung existiert die Außenwelt so gut wie unser Ich - und deshalb existieren auch die anderen Iche so gut und so reell, wie unser eigenes und die Außenwelt. Aber nehmen wir selbst einmal an, es gelänge ohne Anerkennung der objektiven Existenz der Außenwelt die Existenz von anderen Bewußtseinen erkenntnistheoretisch zu sichern, so stehen wir und so steht insbesondere die Psychologie vor neuen verwirrenden Schwierigkeiten. Eingangs dieser Ausführungen war davon die Rede, wie der Bewußtseinsinhalt als solcher schon, um begreiflich und in seinem Ablauf, seinen Zusammenhängen verständlich zu werden, gebieterisch die Annahme einer objektiven (transzendenten) Welt erheischt, die ihm zugrunde liegt und deren lediglich ideeller Widerschein er ist. (53) Dieselbe Forderung erwächst, noch dringender womöglich, aus der Tatsache, daß sich aus den Aussagen der verschiedenen Bewußtseine ein vollkommen einheitliches, harmonisches, zusammenhängendes Weltbild ergibt. Diese Einheitlichkeit ohne Realismus erklären zu wollen, führt unabwendbar zur mystischsten Metaphysik. Die Wissenschaft der Psychologie aber geht auch darin wieder schlechtweg realistisch vor und stellt, wenn sie z. B. experimentell verfährt, dem einen Objekt die bewußtseinsbegabten Subjekte gegenüber. Ohne auch nur einen Augenblick in diesen etwas anderes zu erblicken, als quais mit geistigem Spiegel ausgestattete Wesen, die bei ihrer im Allgemeinen übereinstimmenden Organisation naturgemäß auch einen annähernd gleichen Eindruck von diesem Objekt empfanen, es annähernd übereinstimmend auffassen werden. (54) In ernstliche Verlegenheit käme man, wollte man die realistischen Voraussetzungen der psychologischen Wissenschaft durch Beispiele aus der Literatur und Forschung' belegen: denn man könnte zu diesem Zweck rundweg alle psychologischen Werke und Untersuchungen ausschreiben. Die Psychologen mögen nicht immer bewußt und gewiß nicht immer eingestandenermaßen realistisch vorgehen - stets aber in der Tat! und darauf kommt es uns an. man schlage irgendeine Seite auf im weiten Reich konkret-psychologischer Literatur und man wird unschwer finden, daß allenthalben die von uns vertretene dualistisch-realistische Auffassung vom Sein und Bewußtsein zugrunde liegt. (55) Das monistische Vorurteil und eine die logischen Forderungen des erkenntnistheoretischen Standpunktes gänzlich übersehende psychologistische Verfahrensweise hindert die moderne Erkenntnistheorie offenbar immer wieder, den letzten, oft recht kleinen Schritt zum Realismus zu tun, veranlaßt sie, sich um die wahrhaft "natürliche Weltansicht" herumzuquälen. Nicht bei allen Phänomenalisten sind beide Motive gleich bestimmend. AVENARIUS z. B. zeigt sich nur von ersterem geleitet. CORNELIUS umgekehrt erscheint in seiner "Psychologie als Erfahrungswissenschaft" als typischer Vertreter des extremen "Psychologismus". CORNELIUS gelangt in Übereinstimmung mit dem Realismus zum Begriff einer objektiv existierenden Außenwelt. (56) Aber, indem er die psychologische Entwicklung und Bedeutung dieses Begriffes darstellt, löst er ihn zugleich auch wieder psychologisch auf. (57) Sein Standpunkt, für den sich in der psychologischen Bedeutung eines Begriffes seine Bedeutung überhaupt erschöpft, führt ihn zur psychologischen Auflösung der Gesamtwirklichkeit in infinitum. Anstelle der objektiven Existenz der Welt treten "Erwartungsurteile" - und wieder "Erwartungsurteile". (58) Denn der Satz: das und das hat objektive Existenz drücke nicht anderes aus, als unsere "Überzeugung, daß wir bei Erfüllung bestimmter Bedingungen den betreffenden Inhalt wahrnehmen werden"; (59) sofern wir ihn nämlich nicht momentan wahrnehmen. Der Realismus nun gibt lediglich die logisch einfachste, natürlichste und zwingendste Antwort auf die große Frage, mit der uns CORNELIUS' Psychologismus entläßt: Wieso unsere Erwartungsurteile bestätigt werden; warum unsere Überzeugung, daß wir diese und diese Dinge wahrnehmen werden, gerechtfertigt ist. Das bleibt ein Mysterium ohne Antwort: weil die Welt und alle ihre von uns entweder wahrgenommenen oder erwarteten - oder einstweilen unbekannten, noch zu entdeckenden - Inhalte und Dinge objektiv existieren, im Sinne der realistischen Auffassung. - CORNELIUS selbst nennt die Behauptung einer "fortdauernden Existenz nicht gegenwärtig wahrgenommener Inhalte und Dinge" eine notwendige Folge "des Prinzips der Ökonomie des Denkens". (60) Dieses von MACH aufgestellte Prinzip (identisch mit AVENARIUS' Prinzip des "Denkens nach dem kleinsten Kraftmaß" - CORNELIUS bezeichnet es kurz als "Einheitsprinzip" -) erscheint "als die Grundlage alles Begreifens und Verstehens unserer Erlebnisse", als "das Grundgesetz des Verstandes". Denn dieses Prinzip "setzt uns überall die vereinfachende Zusammenfassung unserer Erfahrungen zum Ziel", es führt uns dazu, "auf möglichst einfache Weise, mit möglichst geringem Kraftaufwand oder mit möglichster Sparsamkeit zu klassifizieren." (61) Schon im vorwissenschaftlichen Denken zeigt sich das Ökonomieprinzip wirksam, indem es zu "einer vereinfachenden Zusammenfassung, einer Abbreviatur (Abkürzung, wp) unserer Erfahrungen" und damit zur Bildung von "Theorien" führt, die CORNELIUS im Vergleich mit den wissenschaftlichen als "natürliche Theorien" bezeichnet. Die Behauptung "der Existenz von Objekten" ist eine solche "natürliche Theorie". "Die wissenschaftlichen Bestrebungen", so hören wir ferner, sind als Fortsetzung jener "natürlichen und unwillkürlichen, schon im vorwissenschaftlichen Denken überall nachweisbaren Tätigkeit zu betrachten", die besagte Abbreviaturen unserer Erfahrung in Form "natürlicher Theorien" hervorbringt. (62) Der Realismus kann sich nicht besser rechtfertigen, als indem er jeden dieser Sätze unterschreibt! Denn er ist lediglich die Konsequenz des Ökonomieprinzips in der Frage nach dem Verhältnis zwischen Denken und Sein und die wissenschaftliche Fortbildung der im vorwissenschaftlichen Denken bereits gegebenen "natürlichen" Erkenntnistheorie. CORNELIUS aber trägt dem von ihm so hoch gepriesenen Prinzip in Wahrheit keine Rechnung, er macht, sozusagen, nicht Ernst damit, wenn er die Position des Realismus durch sein psychologisierendes Verfahren wieder aufhebt! Er konstruiert zugleich damit einen Gegensatz zwischen natürlicher und wissenschaftlicher Theorie, dessen Berechtigung er nicht nur unbewiesen läßt, sondern dem auch seine eigenen Worte (die wissenschaftlichen Bestrebungen seien die "Fortsetzung" (!) der natürlichen Theoriebildung) direkt widersprechen. Der gesunde Menschenverstand, der nichts anderes ist, als unsere natürliche Logik, führt uns zum Realismus. Die wissenschaftliche Logik und Erkenntnistheorie hat keinen Grund, ihn nicht zu bestätigen. Daß die Begriffe und Annahmen, die sein Wesen ausmachen, einer psychologischen Rückführung und Auflösung fähig sind, ist kein Grund. Denn der psychologische Standpunkt deckt sich nicht mit dem erkenntnistheoretisch-logischen. Der Psychologe steht - wie unsere Auseinandersetzungen dargetan haben - bereits selbst auf einer erkenntnistheoretischen Basis. Daß diese für die physiologische Psychologie (und Psychophysik) die dualistisch-realistische ist, gibt auch CORNELIUS zu, praktisch und theoretisch. (63) Wie wir betrachtet ferner CORNELIUS die physiologische Psychologie wie die reine Psychologie als "integrierende Bestandteile der psychologischen Gesamtwissenschaft". (64) Darin aber liegt einmal das Zugeständnis, daß ein Teil der Psychologie - entgegen CORNELIUS' Grundanschauung und im Widerspruch zur erkenntnistheoretischen Tendenz seines Buches - auf realistischer Grundlage ruht und überdies die Forderung einer gemeinsamen und einheitlichen erkenntnistheoretischen Basis für die Gesamtwissenschaft!' Tatsachengründe ließen uns diese Forderung, die CORNELIUS nicht herauszufühlen scheint, von vornherein erfüllen. Wir zeigten, (65) daß auch die reine Psychologie realistische Grundannahmen involviert. Schon wegen des allenthalben vorausgesetzten psychophysischen Parallelismus. (66) Die Analyse des Erkenntnisvorganges nun ist ein Teil er reinen Psychologie wie jeder andere. Daraus folgt zweierlei. Erstens wird unsere obige Behauptung bestätigt, daß die Psychologie des Erkennens nicht Erkenntnistheorie ist; denn sie setzt letztere voraus, bzw. steht wie alle reine Psychologie von vornherein auf einer bestimmten erkenntnistheoretischen Basis. Und darum beweist all das, was der Psychologismus gegen die realistische Erkenntnistheorie geltend macht, nichts gegen deren logische, bzw. spezifisch erkenntnistheoretische Positionen. Und zweitens ist nicht zu vergessen, daß das intellektuelle Leben, die Urteilsvorgänge, dem psychophysischen Parallelismus gemäß, ebenfalls abhängig sind und zusammenhängen mit gleichzeitigen physiologischen Vorgängen im Nervensystem [wofür wir uns noch dazu auf CORNELIUS selbst berufen können (67)]. Jedes Urteil setzt mithin einen nervösen Bewegungsvorgang voraus. Also auch jedes "Erwartungsurteil"! Und wollte der Psychologismus diese gleichzeitigen nervösen Bewegungsvorgänge - mit denen die objektive Existenz der Welt im Sinne des Realismus vorausgesetzt ist! - wiederum zum Gegenstand eines "Erwartungsurteils" machen, so verfällt er einer psychologischen Auflösung der Wirklichkeit ohne Ende. Denn jedem "Erwartungsurteil" halten wir aufs Neue sein physiologisches, der Welt der seienden Dinge angehörendes Korrelat entgegen! - Vielleicht noch schlagender als durch alle Beweise manifestiert sich der Sieg der realistischen Denkweise über das sämtliche Gegentheorien in den ungewollten und unvermeidbaren Rückfällen der monistisch-phänomenalistischen Erkenntnistheorie in den Realismus. Darüber wäre ein recht lehrreiches und - recht umfangreiches Kapitel zu schreiben. (68) Und zwar brauchte man gar nicht etwa so boshaft sein und Ausführungen heranzuziehen, wo diese Erkenntnistheoretiker Detailfragen der konkreten Wissenschaft behandeln; (69) nein, mitten in ihren monistischen Abstraktionen müssen sie dem gesunden Menschenverstand, dem logischen Zwang der Tatsachen trotz aller philosophischen Vorurteile ihren Tribut zahlen. Ein sorgloser Augenblick sozusagen, ein sich instinktiv aufdrängendes Wort, ein etwas zu anschaulicher Ausdruck genügt und der Monist, der eben noch so krampfhaft auf dem Kopf stand, steht plötzlich wie andere Menschenkinder auf seinen zwei Beinen; will sagen denkt und spricht dualistisch-realistisch. Was gewiß begreiflich ist - und auch verzeihlich wäre, wenn besagte philosophische Kopfsteher nicht unerbittlich gegen alle eiferten, die es auch eingestehen daß man es auf die Dauer doch nur auf den zwei Beinen aushält, auf die uns die Natur nun einmal gestellt hat. Daran ist schon unsere Sprache selbst schuld, die ganz und gar auf einer realistisch-dualistischen Auffassung vom Denken und Sein basiert und so von ihr durchtränkt ist, daß es schwer fällt, oft unmöglich ist, Worte zu finden, die keinen Realismus in sich schließen. Der Realismus macht sich als "natürliche Theorie" eben auch im Gefüge unserer Sprache geltend; unserer Ansicht nach nur ein weiterer vollgültiger Beweis für seine Unvermeidbarkeit überhaupt. Jedenfalls offenbart sich die Übermacht des Realismus über alle entgegenstehenden Anschauungen unwiderleglich in der Tatsache, daß unsere Gegner mitten in der Demonstration ihrer Überzeugungen der natürlichen Theorie des Realismus unterliegen; oder ihr, wo das Gegenteil von vornherein allzu unbequem wäre, eingestandenermaßen gehorchen. Wie CORNELIUS, wenn er über die "subjektive" und "objektive" Methode der Psychologie (Analyse eigener und fremder Bewußtseinsinhalte), wenn er über Psychophysik und physiologische Psychologie handelt. (70) CORNELIUS stellt sich da ganz auf den Boden der natürlichen Theorie, der Bequemlichkeit und Einfachheit halber und er läßt erkennen, daß er sich dessen wohl bewußt ist. Er übersieht aber, daß dies laut und deutlich für die überragende Einfachheit und für die Unvermeidbarkeit der von ihm bekämpften Anschauung spricht; und daß es auch die "Einfachheit" der "Beschreibung" mit den Mitteln des Psychologismus ein eigentümliches Licht wirft, - namentlich in einem Werk, das eine "erkenntnistheoretische Grundlegung der Psychologie" im Sinne des Psychologismus sein will! (71) In dem besprochenen Aufsatz SCHUPPEs ferner findet man eine Reihe von Stellen, wo der Verfasser, unwillkürlich, dem Realismus unterliegt; obwohl er die Sphäre reiner Abstraktion nirgends verläßt, kein konkretes Problem berührt und seine ganzen Auseinandersetzungen direkt darauf abzielen, dem Realismus zu entgehen. Wenn SCHUPPE bei der Konstruktion der raumzeitlichen Welt (72) durch seinen monistischen Standpunkt ein Heer von Schwierigkeiten heraufbeschwört, die es dann wieder zu lösen gilt, so geschieht diese Lösung in Wahrheit durch ein unvermerktes, SCHUPPE gewiß selbst unbewußtes Hinübergleiten zu einer realistischen Zurechtlegung der Dinge. Er selbst, wie der Leser, glaubt, noch auf monistischer Basis zu stehen und auf ihr Klarheit erreicht zu haben, während diese Klarheit nur die Folge der realistischen Denk- und Ausdrucksweise ist, die sich instinktiv und zwingend beider bemächtigt hat. (Man lese daraufhin seine Ausführungen auf den Seiten 65, 68, 69, 70, 71; und man mache die Probe aufs Exempel und betrachte diese Stellen losgelöst vom Vorausgegangenen: man wird kaum etwas anderes als einen etwas abstrus und gequält ausgedrückten Realismus herauslesen können. (73) Ähnliches gilt von AVENARIUS. Sein ganzes Bestreben geht, wie wir sahen, dahin, den Dualismus Physisch und Psychisch, Körperlich und Geistig, Reell und Ideell zu umgehen. Daß das "Amechanische" oder "Mehr-als-Mechanische" nur ein anderes Wort ist für das von AVENARIUS geleugnete "Psychische", haben wir schon angedeutet. (74) Denn es hat bei AVENARIUS den gleichen Sinn (75) und - welchen anderen sollte es auch haben? Dasselbe ist von den Ausdrücken "Elemente" und "Charaktere" zu sagen, welche AVENARIUS für "Gedanken" und "Gefühle" setzt. (76) Mit all dem ist der dualistische Sachverhalt nur anders bezeichnet; und vom Monismus bleibt nichts übrig, als die oft wiederholte Versicherung, daß das "Amechanische" nicht wie das "Psychische" ein "prinzipiell Zweites und ein ewig Anderes" sei; (77) daß es für die "volle Erfahrung" weder "Physisches" noch "Psychisches" "im metaphysischen (!) absoluten (!) Begriff gibt"; (78) daß zwischen den "körperlichen Dingen" und den "nichtkörperlichen Gedanken" "kein absoluter (!) Unterschied im metaphysischen (!) Sinne besteht"; (79) daß es "in der reinen vollen Erfahrung kein Psychisches im metaphysisch- (!) dualistischen Sinne gibt;" (80) usw. usw. (81) Im selben Geleis bewegt sich dann auch die Widerlegung des psycho-physischen Paralleismus. (82) Zunächst erklärt ihn AVENARIUS für "unhaltbar und widersinnig". Gleich darauf aber erfahren wir, daß dies nur vom "metaphysischen (!) Parallelismus" gelte; wogegen auch die Analyse der "vollen Erfahrung" einen "gewissen" (!) Parallelismus ergeben. Der metaphysische sei lediglich die Entstellung dieses "empirischen" Parallelismus, der ein zweifacher sei; einmal ein Parallelismus zwischen der mechanischen und amechanischen Bedeutung der Bewegung der menschlichen Glieder; dann ein solcher zwischen bestimmten Änderungen des Systems Z [Zentralnervensystem - wp] und Farben, Tönen, Lust, Unlust (Elementen und Charakteren). (83) Genau das behauptet nun die herrschende Psychologie und in Übereinstimmung mit ihr die realistisch-dualistische Erkenntnistheorie auch. Ein Unterschied ist schlechthin nicht herauszufinden; AVENARIUS bekennt sich notgedrungen zum gleichen Parallelismus, wie ihn dem dualistischen Tatbestand zufolge die konkrete Wissenschaft anerkennt. Und auch hier bleibt vom Monismus nichts bestehen als die Zurückweisung des "metaphysischen" Charakters des Parallelismus. Dazu ist zweierlei zu bemerken. Einmal sind "metaphysisch", "absolut" etc. nur Worte; - die vielleicht schrecklicher klingen, als sie sind. Jedenfalls wäre zunächst auszumachen, was man darunter versteht. Immerhin genießen sie bei der modernen Philosophie wenig Kredit und es gilt als Zeichen schöner Vorurteilslosigkeit und einer gewissen Höhe kritischer Besonnenheit, sie verächtlich auszusprechen. Dann aber darf man mit ihnen nicht Ansichten eines unbequemen Gegners charakterisieren, dem es niemals eingefallen ist, sie im Wort oder in der Tat für sich in Anspruch zu nehmen. Der psycho-physische Dualismus und Parallelismus der konkreten Wissenschaft und der realistischen Erkenntnistheorie hat sich nicht als "metaphysischer" oder "absoluter" ausgegeben noch ist er ein solcher gewesen. Mit derartigen Worten ist weder für noch gegen eine Sache etwas auszurichten. Der Dualismus - man nenne ihn, wie man will -, dessen Anerkennung uns durch die Tatsachen aufgezwungen wird, ist bei AVENARIUS wie bei der von ihm bekämpften Wissenschaft genau der gleiche. Und so ist auch die "volle Erfahrung", entgegen der volltönenden Schlußbehauptung AVENARIUS', nur scheinbar und in Worten "erhaben über den Dualismus von Physischem und Psychischem". (84) Wenn die spekulative Metaphysik die zwei Seiten, die uns die Wirklichkeit nun einmal darbietet, in eine Einheit aufzulösen, den dualistischen Tatbestand monistisch zu deuten sucht, so ist dagegen nichts einzuwenden. Denn die Metaphysik ist nicht mehr Wissenschaft; sie geht weiter als diese zu gehen vermag, ihr eigentliches Geschäft ist Weltinterpretation. Sie ist der Kunst nahe verwandt. Ästhetische Interessen spielen darher bei den Begriffsdichtungen der Metaphysiker herein und das Streben, Einheit in das Mannigfaltige der Wirklichkeit zu bringen, wird begreiflich und berechtigt. Man mag als Gegner jeglicher Metaphysik vielleicht einwenden, daß solche Vereinheitlichungen der Wirklichkeit doch nur in Worten gelingen können; daß im Grunde nichts erreicht und geleistet sei, wenn ich - als Spiritualist - die Welt für Geist erkläre oder umgekehrt - als Materialist - alle geistigen Phänomene in materielle Vorgänge zu verwandeln suche, damit außer der Materie nichts Wirkliches übrig bleibe. Genug, daß der Metaphysiker damit implizit die eigentlich und ursprünglich gegeben Zweiheit zugibt, von der er ja selbst ausgeht und deren Bestandteil, deren eine Seite er sich als Wesen aller Wirklichkeit auswählt. Die Erkenntnistheorie aber - darüber kann wohl kein Zweifel sein - gehört ganz und voll in den Bereich der Wissenschaft. Eine Erkenntnistheorie, die mit der Wissenschaft in Widerspruch gerät, muß daher Bedenken erregen. Die Wissenschaft aber kommt um die dualistische Auffassung der Wirklichkeit nie und nimmer herum. Oder richtiger gesagt: in der Wissenschaft der Natur sowohl wie des Geistes offenbart sich - übereinstimmend mit dem vorwissenschaftlichen Denken und dem gesunden Menschenverstand - die Zweiheit des Wirklichen. Die Erkenntnistheorie hat kaum das Recht, über den gesunden Menschenverstand zur Tagesordnung überzugehen; sie hat aber ganz gewiß kein Recht, erkenntnistheoretische Voraussetzungen und Resultate zu ignorieren, die die konkrete wissenschaftliche Denkarbeit der Jahrtausende in sich schließt. (85) Mit dem philosophischen Schimpfwort "Dualismus" werden dieselben ebensowenig abgetan, wie eine Erkenntnistheorie, die offen an sie und ihren in der Tat durchaus dualistischen Charakter anknüpft und sich so mit aller Wissenschaft, zu deren Gebiet sie doch gehört, eins weiß. Der monistischen Erkenntnistheorie sei der zweifelhafte Ruhm gegönnt, daß weder gesundes Denken, noch konkrete Wissenschaft zu ihrer Höhe hinaufreicht. (86) lösgelöst von beiden bewegt sie sich im Reich der Worte. Da sind denn ihre Vertreteer auch Meister und vermögen den Überlegenen zu spielen. (87) Ihren abstrakten, unfruchtbaren Zurechtlegungen den konkreten Fall der Psychologie gegenüberzustellen, zu zeigen, daß auch und speziell die Wissenschaft des Geistes erkenntnistheoretische Voraussetzungen involviert, die mit einer monistischen, nicht realistischen Erkenntnistheorie nicht in Einklang zu bringen sind, war der engere Zweck dieser Ausführungen. Der von uns vertretene Realismus mag gern eine Hypothese genannt werden. Dann ist er eben eine Hypothese von ungeheurer Wahrscheinlichkeit. Eine Hypothese, die vor dem gesunden Menschenverstand ganz ebenso wie vor dem Erkenntnistheoretiker Stich hält; was unserer Ansicht nach nichts weniger als ein Mangel ist! Eine Hypothese endlich, die die größte Einfachheit und Klarheit der Beschreibung und wissenschaftlichen Bearbeitung der Wirklichkeit gestattet. Was schon daraus hervorgeht, daß sie sich dem Menschen vor und bei aller wissenschaftlichen Betätigung seit jeher und mit zwingendster Notwendigkeit aufgedrängt hat. (88) Und eine solche Hypothese verdient nach allgemein wissenschaftlicher Maxime den Vorzug vor jeder anderen Hypothese, selbst vor dem - Verzicht auf eine Hypothese! Die monistisch-phänomenalistische Erkenntnistheorie behauptet gerne von sich, daß sie nur das "Gegebene" "beschreibe", unter Verzicht auf alles "Hypothetische"; daß sie die "reine Erfahrung" nicht durch "metaphysische" Elemente "verfälsche". Wogegen der Realismus hypothetisch und metaphysisch sei. Wir geben die "Hypothese" zu und will man sie "metaphysisch" nennen, so haben wir schließlich auch gegen dieses Wort kein ängstliches Vorurteil. Wir bekennen uns eben dann zu der "Metaphysik", ohne die gesundes Denken und konkrete Wissenschaft nun einmal nicht sein kann und hoffen, daß jeder Verstehende solche "Metaphysik" von der eigentlichen Metaphysik, der spekulativen Weltinterpretation, unterscheiden könne und - wolle. Es sei dahingestellt, ob die nichtrealistische Erkenntnistheorie und ihre Vertreter tatsächlich solche "Metaphysik" und alles "Hypothetische" vermieden haben. Angenommen es wäre so: so folgte für uns eben nur, daß in diesem Falle die "Hypothese" der Nichthypothese, die "Metaphysik" der "reinen Erfahrung" und "bloßen Beschreibung des Gegebenen" gegenüber im Recht ist.
41) Vergleiche WUNDT, Definition der Psychologie, Philosophische Studien, Bd. 12, Seite 1f; LIPPS, Grundtatsachen des Seelenlebens, Seite 10; EBBINGHAUS, Grundzüge der Psychologie, Seite 1f 42) Ich erinnere an die Kontrasterscheinungen, Nachbilder, Farbenblindheit; an die ganze Psychologie der Tonempfindungen; an die Versuche über Wärme-, Kälte- und Tastempfindungen, über Geschmacks- und Geruchsqualitäten; usw. usw. 43) ERNST MACH, Beiträge zur Analyse der Empfindungen, Seite 20 44) SCHUBERT-SOLDERN, Ursprung und Element der Empfindung, Zeitschrift für immanente Philosophie, 1. Band, Seiten 31 und 32 45) Beispiele anzuführen, ist wohl überflüssig. Trotzdem sei an die Frage der Lokalisation geistiger Prozesse im Zentralorgan, an das gehirnphysiologische Experiment, an die sogenannten Ausfallversuche erinnert. Daran schließt sich eng an die Psychiatrie und Psychopathologie, insofern sie organische Veränderungen und Anomalien des Zentralnervensystems in ihrem Zusammenhang mit geistigen Störungen betrachtet, bzw. diesen Zusammenhang aufsucht. 46) Wie eng der psychophysische Parallelismus mit einer realistisch-dualistischen Grundanschauung verknüpft ist, ersieht man schon daraus, daß er dem Monismus ein rechter Dorn im Auge ist. Siehe AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 19, Seite 13. Vergleiche hierzu weiter unten 47) Die schon behandeltet Psychophysik ist nur ein Teil der experimentellen Psychologie. 48) Dem widerspricht natürlich nicht, daß das eigene Bewußtsein, die unmittelbare innere Erfahrung als Schlüssel zum Verständnis eines fremden Seelenlebens vorausgesetzt ist. 49) Siehe EBBINGHAUS, Psychologie, Seite 56f, über die Methode der Psychologie 50) Und sie dürfte daher nicht schwer fallen. Denn schon den bloßen Verdacht des Solipsismus scheuen sogar die robustesten Phänomenalisten. Daher ihr oft auf starkes Schuldbewußtsein hindeutender Eifer, mit dem sie an der Hand nicht zu übertreffender Begriffsspaltereien der Behauptung vorzubeugen suchen, ihre Theorie habe mit dem Solispsims eine bedenkliche Ähnlichkeit. 51) Wie solches die psychologische Forschung ohne weiteres und als selbstverständlich annimmt. 52) Diese und die folgende Schwierigkeit hat auch CORNELIUS (Psychologie als Erfahrungswissenschaft) nicht gelöst, sondern nur umgangen (Seite 123f). 53) siehe oben 54) In dieser Auffassung des Subjekts, des Bewußtseins in seinem Verhältnis zum Objekt harmoniert die Psychologie ganz und gar mit der Naturwissenschaft. Beide wissen nichts von der höchst mysteriösen unlösbaren Beziehung zwischen "Subjekt" und "Objekt", welche die monistische Erkenntnistheorie predigt. Nur für diese, nicht für die konkrete Wissenschaft, wird daher der unabwendbare Gedanke, daß sich das Bewußtsein (im Zusammenhang mit seiner physischen Grundlage, der nervösen Organisation, dem Gehirn) entwickelt hat, daß es geworden ist und einstmals nicht war und doch eine Welt existierte, zum unbequemen Problem. Da muß denn das eigene Subjekt, auf das es bei allem konsequenten Phänomenalismus doch ankommt, zurückeskamotiert werden um die nötigen Jahrhunderttausende. Bescheidener Phänomenalisten begnügen sich mit irgendeinem hinzugedachten "Subjekt" oder "Zentralglied". (Aber schon drängen sich unbequeme Fragen auf: ist ein menschliches "Zentralglied" nötig? oder genügt ein Affe? oder konnte ohne weiteres schon zur Zeit der ersten primitiven Lebewesen ein "Objekt" bestehen? ...) Siehe unter anderem AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 19, Seite 144f, Anmerkung 2) 55) Um übrigens doch auch Namen für unsere Anschauungen sprechen zu lassen, so sei auf eine Reihe von Forschern hingewiesen, die in gleichem Maße als Männer der psychologischen Wissenschaft, wie allgemein philosophisch einen ersten Platz einnehmen und welche Vertreter der realistischen Denkweise sind: FECHNER, LOTZE, HELMHOLTZ, SPENCER (siehe besonders seine "Psychologie", 2. Band, deutsche Ausgabe, Seite 307f, woselbst eine glänzende Rechtfertigung des Realismus), WUNDT, STUMPF, LIPPS (siehe Logik, Seite 10f), EBBINGHAUS (seine "Grundzüge der Psychologie", die einleitenden Kapitel), JODL (durch dessen ganzes Lehrbuch der Psychologie die realistische Grundansicht des Verfassers deutlich zu verfolgen ist), HERING ("Zur Lehre von den Beziehungen zwischen Leib und Seele", Wiener Akademie-Berichte, Bd. 72, 3. Abteilung, 1875) 56) HANS CORNELIUS, Psychologie als Erfahrungswissenschaft, Seite 100 57) CORNELIUS, ebenda, Seite 100f 58) CORNELIUS, ebenda, Seite 106f 59) CORNELIUS, ebenda, Seite 111 60) CORNELIUS, ebenda, Seite 14 61) CORNELIUS, ebenda, Seiten 85 und 86 62) CORNELIUS, ebenda, Seite 85 63) CORNELIUS, ebenda, Seite 9f, 299f 64) CORNELIUS, ebenda, Seite 10 65) siehe oben ff 66) siehe oben 67) CORNELIUS, ebenda, Seite 307f ("Das Nervensystem als Bedingung des intellektuellen Lebens.") 68) Im Folgenden seien nur ein paar Beispiele hervorgehoben. 69) Wie z. B. MACH, "Beiträge zur Analyse der Empfindungen", in den mittleren sechs Kapiteln 70) HANS CORNELIUS, Psychologie als Erfahrungswissenschaft, Seite 8, 9f, 117f, 292f, 299f 71) WILHELM SCHUPPE, "Begriff und Grenzen der Psychologie", Zeitschrift für immanente Philosophie, Erster Band, Seite 1 72) SCHUPPE, ebenda, Seite 60f 73) Manchmal scheint SCHUPPE allerdings die bedenkliche Nähe des Realismus zu fühlen; er hilft sich dann, indem er z. B. sagt, daß die Empfindungen "angeblich" von der Außenwelt Kunde geben (Seite 70); oder indem er diktiert, daß uns die Vermittlerrolle der Sinnesorgane in erkenntnistheoretischer Beziehung nichts anzugehen habe (Seite 68). 74) siehe *oben [meiner Mitmenschen Bewegungen] 75) Trotz Seite 4, AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 19 76) AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 18, Seite 407 77) AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 18, Seite 154 78) AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 19, Seite 2 79) AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 19, Seite 4 80) AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 19, Seite 4 81) AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 19, Seite 3, 9, 13 82) Vgl. hierzu die Kritik WUNDTs, Zeitschrift für immanente Philosophie, Band 12, Seite 415f 83) AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 19, Seite 13-15 84) AVENARIUS, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 19, Seite 15 - Vergleiche übrigens Bd. 18, Seite 410 - 12, wo AVENARIUS die Gebiete zwischen Naturwissenschaft und Psychologie abgrenzt. Hier gelingt es AVENARIUS trotz aller Bemühung nicht, sich über den Einteilungsgrund der dualistischen Auffassung hinwegzusetzen und wir erfahren zu unserem monistischen Erstaunen, daß die "körperlichen Dinge" zur Naturwissenschaft, "Gefühle", "Gedanken", "Begriffe", das "Gedankenhafte", "Ideelle", "Geistige" zur Psychologie gehören! - An den Monismus erinnern da nur mehr die famosen, sehr bequemen - "Gänsefüßchen". 85) Vgl. WUNDT, Über naiven und kritischen Realismus", Philosophische Studien, Bd. 12, Seite 407f 86) Auch die Metaphysik setzt, wie oben gesagt, den Dualismus voraus. 87) Es ist kein Zufall, daß im Allgemeinen die monistischen Erkenntnistheoretiker - im Gegensatz zu den *oben [in ernstliche Verlegenheit] angeführten Forschern - keine konkreten wissenschaftlichen (psychologischen) Leistungen aufzuweisen haben. Sie sind fast durchaus Männer der abstraktesten Abstraktion. Man denke an SCHUPPE, SCHUBERT-SOLDERN, AVENARIUS und RUDOLF WILLY. Charakteristisch ist unter vielem anderen für die Rolle, die das Wort in der monistischen Erkenntnistheorie spielt, die Antwort SCHUPPEs (Zeitschrift für immanente Philosophie, Bd. II) auf WUNDTs oben zitierten Aufsatz. Gegen WUNDTs allenthalben greifbare, sozusagen anschaulich-konkrete Argumente kämpft SCHUPPE mit Wortklaubereien, die zu verfolgen geradezu aufreiben ist. Auf jede noch so harmlose Umschreibung seiner Anschauungen hat er die Antwort: So habe ich nicht gesagt, dieses Wort habe ich nicht gebraucht. Traurig für eine Theorie, wenn sie so ganz und gar auf bestimmte möglichst unfaßbare, möglichst abstrakte Worte basiert ist, denen man (wie den Orakelsprüchen) nicht beikommen kann. 88) Siehe meinen Wirklichkeitsstandpunkt, Seite 23f - Vgl. diese Arbeit Seite 242 (über "natürliche Theorien" [CORNELIUS] und das "Prinzip der Ökonomie des Denkens" etc.). |