p-4 BernheimÜber die FernkraftGeschichte des tierischen Magnetismus    
 
CARL GUSTAV CARUS
Über Lebensmagnetismus

"Wie in der Seele des Menschen ein fortwährendes Schwanken gefunden wird zwischen dem Reich des Unbewußten und des Bewußtseins, von denen sich das letztere umsomehr ausbreitet, je mehr das erstere zurückweicht und beschränkt wird, immer aber doch nur so, daß nie die unbewußte Region gänzlich verdrängt werden kann, so geht durch die Geschichte der Menschheit ein ausdauernder Kampf zwischen dem, was wir natürlich und offenbar, und dem, was wir geheimnisvoll, wunderbar, mit einem Wort  magisch zu nennen pflegen."


Vorrede

Die Neuzeit ist so reich an Erscheinungen, Vorhaben und Lehren gewesen, welche derjenigen Region menschlichen Tuns angehören, die seit alten Zeiten schon mit dem Namen der magischen bezeichnet worden ist, daß es nicht anders sein konnte, als daß nun auch häufiger und dringender als früher die Forderung an die Wissenschaft gestellt werden mußte, sich hierbei nicht untätig zu verhalten, sondern soviel als möglich Aufschluß zu geben, Wahres vom Falschen zu scheiden, und dasjenige, was irgendwie von bleibendem Wert angesehen werden durfte, schärfer zu bestimmen und einer erfolgreichen Anwendung im Leben zuzuführen. So manche Arbeiten namhafter Gelehrter sind auf diese Weise entstanden, und so waren unter anderem auch an mich seit einer Reihe von Jahren von sehr verschiedenen Seiten her Anfragen ergangen, welche in mir den bereits ohnehin bedachten Vorsatz schneller reifen machen, Erfahrungen und Gedanken über diese Gegenstände einmal zu einer Gesamtarbeit zu vereinigen. Eben indem ich nun begann die Materialien hierzu etwas zu ordnen, wurde mir der gelegentliche Wunsch ausgesprochen, über Lebensmagnetismus und den weiteren Bereich des Magischen, namentlich Pendelschwingungen, Tischrücken usw., eine umfängliche Abhandlung für das große Sammelwerk "Der Gegenwart" zu schreiben, eine Aufgabe, deren Erfüllung ich unter der Bedingung zusagte, späterhin das dort Zusammengestellte in einer besonderen Schrift, erweitert und vervollständigt herausgeben zu können.

So erschien jene Abhandlung unter der Überschrift: "Lebensmagnetismus - Magie" zuerst 1854 im zehnten Band der "Gegenwart" und hat sich dort, soviel mir bekannt geworden ist, einer vielfältigen Zustimmung erfreut; hier erscheint sie jetzt mit einer neuen Einleitung, hie und da auch mit einigen Zusätzen und Verbesserungen wieder abgedruckt, insbesondere aber beinahe um das Doppelte erweiter und vermehrt durch eine ausführlicheren und im Wesentlichen vielleicht vollständig zu nennenden Überblick der magischen Wirkungen überhaupt; und so kann ich dann bei dieser Gelegenheit nur wünschen und hoffen, daß sich das Ganze gegenwärtig einer ebenso günstigen Aufnahme erfreuen möge als früher die einzelne vorbereitende Abteilung.


Einleitung

Wie in der Seele des Menschen ein fortwährendes Schwanken gefunden wird zwischen dem Reich des Unbewußten und des Bewußtseins, von denen sich das letztere umsomehr ausbreitet, je mehr das erstere zurückweicht und beschränkt wird, immer aber doch nur so, daß nie die unbewußte Region gänzlich verdrängt werden kann, so geht durch die Geschichte der Menschheit ein ausdauernder Kampf zwischen dem, was wir natürlich und offenbar, und dem, was wir geheimnisvoll, wunderbar, mit einem Wort  magisch  zu nennen pflegen. Je höher sich die Intelligenz entwickelt, je weiter die Fackel der Wissenschaft leuchtet, umsomehr zieht das Reich des Wunderbaren, des Magischen sich zusammen, ganz aufgehoben, durch und durch aufgeklärt wird es nie; denn wenn alle Beziehungen, alle Verhältnisse des natürlichen Lebens noch so sehr aufgedeckt und enthüllt werden könnten, so führt uns jede Frage über unser geistiges Dasein, über unser Entstehen und Vergehen, und über den höchsten Urgrund desselben, stets wieder an die Pforten uralter Geheimnisse, vor denen unsere Vernunft immer noch wartend steht und ewig stehen wird, obwohl seit Jahrtausenden ihre Versuche nicht aufgehört haben, durch wiederholtes Klopfen endlich den Zugang zu finden.

Allein auch in den palpablen [be/greifbaren - wp] Reichen der Welt hört das Geheimnisvolle, das Unbegreifliche nicht auf, und wenn schon PLINIUS (1), indem er vom Magnet spricht, ausruft: "Quid enim mirabilius?" [Was ist wunderbarer? - wp] so können wir zwar sagen, daß wir eine Menge von Erscheinungen am Magneten haben kennen lernen können, die jenem Römer noch ganz unbekannt waren, und daß wir jetzt Anwendungen davon machen, die er so nicht entfernt geahnt hat, allein vor der ersten einfachen Tatsache, daß der Magnet das Eisen anzieht und festhält, und daß er einem anderen Eisen durch Bestreichung diese Eigenschaft mitteilen kann, stehen wir immer noch mit derselben Verwunderung und mit derselben gezwungenen Anerkennung eines tief verschlossenen Geheimnisses.

Ähnlich Geheimnisvollem begegnen wir jedoch auf Schritt und Tritt im Reich der Naturanschauungen! - Wer sagt uns, was die leitende Macht sei, welche die Wanderzüge der Vögel und Insekten, Fische und Lemminge bedingt? - wer beweist uns die Ursache, warum ein Tropfen Blausäure uns vernichtet? ein Atom Schlangengift unser Blutleben fast augenblicklich lähmt? - wer schließlich vermag das wunderbar uns Gefangende des Schlafs, obwohl wir täglich es an uns selbst erfahren, überall und hinreichend aufzuschließen?

Eins jedoch ist es, was der erste Blick auf all diese Mysterien uns bald erkennen läßt, und das ist der unmittelbare und genaue Zusammenhang alles Geheimnisvollen und Magischen mit der Region eben dessen, was wir überhaupt mit dem Namen  des Unbewußten  bezeichnen. Wo der Sinn klar erkennt und unterscheidet, wo das Bewußtsein scharf und deutlich seine Folgerungen von Ursache und Wirkung fortzugliedern vermag, da hört das Reich der Magie auf, da schwindet der Reiz des Wunderbaren, und der Schleier des Geheimnisses ist gefallen. Alles dagegen, was sich in uns selbst in der Nacht des Unbewußtseins verbirgt, alles, was von äußeren Erscheinungen den tiefsten Grund eines Unbewußten eigentümlichen Naturlebens in sich verhüllt trägt, ihn so verhüllt trägt, daß das Senkblei unserer Forschung nie ganz in seine Tiefen zu reichen vermag, es ist recht eigentlich das Feld, welches seit alten Zeiten der Maja geweiht war, das Feld, welches einerseits ebenso oft die Fundgrube geworden ist reicher poetischer Schöpfungen, wie es andererseits nicht minder oft zu einem Abgrund einsank, wo die tollste Verirrung menschlichen Verstandes Tausende dem rohesten Aberglauben in die Arme lieferte.

Indem nun die nachfolgenden Blätter einer klaren und umsichtigen Sammlung, Vergleichung und Beurteilung all der hierhergehörigen Erscheinungen gewidmet sein sollen, einer Bearbeitung, welche zugleich sorgfältig herausheben und aufbewahren wird, was aus diesen Regionen irgendwie Brauchbares und Heilendes für menschliches gesundes oder krankes Leben hervorgehen kann, muß es jedenfalls das Erste sein, den  Begriff des Magischen,  den wir im Vorhergehenden erst nach seinen weitesten Umrissen gezeichnet hatten, jetzt enger und fester zu umschreiben und so dieses vielgestaltige nebelhafte Reich zunächst auch in seinem Inneren genauer zu sondern und zu bestimmen, damit wir dann im Fortschreiten nirgends und in keinster Weise den Ariadnefaden entbehren welcher allein zum Ziel leiten kann und ohne welchen der Wanderer hier so leicht verloren sein wird.

Kurz zuvor aber wurde gesagt, "das eigentliche Feld alles Magischen sei das Unbewußte", und so führen uns nun unsere Betrachtungen zunächst darauf, teils vom Unbewußten überhaupt einen deutlichen Begriff zu geben, teils hervorzuheben, welche Seite des Unbewußten es namentlich ist, welcher wir inbesondere den Charakter und die Bezeichnung des Magischen beilegen dürfen. - Ist es aber nun eine unwiderlegliche Wahrheit, wenn man es ausspricht: "Der Schlüssel zur Erkenntnis des bewußten Seelenlebens liegt im Reich des Unbewußten" (2), so wird man auch das Recht haben den Satz umzukehren und zu behaupten, der Schlüssel zum Verstehen und Begreifen alles unbewußten Natur- und Seelenlebens kann nur dargeboten werden in einem zu möglichster Klarheit des Bewußtseins erhobenen Geistes.

Das Unbewußte in uns, es ist sich selbst ebenso ein ewiges Geheimnis, wie die Natur um uns fortwährend ein Geheimnis bleibt, ja dürfen wir doch geradezu sagen, jenes Unbewußte sei ansich eben unsere eigenste und wahrhaftigste Natur - es gehöre jener Natur an, von welcher GOETHE (3) in einem seiner tiefsinnigsten aber auch am wenigsten bekannten Aufsätze so trefflich sagt:
    "Wir leben mitten in ihr und sind ihr fremd. Sie spricht unaufhörlich mit uns und verrät uns ihr Geheimnis nicht. Wir wirken beständig auf sie und haben doch keine Gewalt über sie. Sie scheint alles auf Individualität angelegt zu haben und macht sich nichts aus den Individuen. Sie baut immer und zerstört immer, und ihre Werkstätte ist unzugänglich. Gedacht hat sie und sinnt beständig; aber nicht als ein Mensch, sondern als Natur. Sie hat sich einen eigenen allumfassenden Sinn vorbehalten, den ihr niemand abstreiten kann. Sie ist ganz und doch immer unvollendet. So wie sie es treibt, kann sie es immer treiben. Jedem erscheint sie in einer eigenen Gestalt. Sie verbirgt sich in tausend Namen und Formen, und ist immer dieselbe."
Lange Zeit war die Wissenschaft in die Irre gegangen, indem sie vom eigentlichen Urwesen unseres Sein und Werdens, d. h. von der Seele alle jene Strebungen des Unbewußten geradezu loszulösen versuchte, auf denen ebenso die gesamten Mysterien des Bildungslebens ruhen, wie nur von ihnen die wunderbare Anziehung und Abstoßung der Gefühle, ja selbst die oft noch wunderbarere eigene Heilkraft unserer Natur in Krankheiten abhängt, sie versuchte dagegen unter dem Namen der "Lebenskraft" oder irgendeinem ähnlichen, all dies als ein Nicht-Seelisches darzustellen, ohne zu ahnen, daß gerade hier das tief innerlichst Seelische nie hätte verkannt werden sollen. Da, wo somit ARISTOTELES (4) schon so richtig die Wahrheit erfaßt hatte, indem er sagte: "Die Seele sei die erste Wirklichkeit eiens natürlich gegliederten Körpers", da tasteten die Späteren oft vielfältig im Ungewissen, ja im Absurden herum, indem sie zuletzt sogar dahin gelangten, den überhaupt nur als eine Einheit begreiflichen Organismus geradezu wie eine Maschine, d. h. als ein aus verschiedenen Kräften und Teilen Zusammengesetztes zu denken und zu erklären.

Ich habe mich über diese Dinge an anderen Orten mehrfach ausgesprochen und muß hier für alle, die diesen Betrachtungen von der tiefsten Wurzel aus folgen wollen, einen Hinweis geben auf mein "Organon der Erkenntnis der Natur und des Geistes", wo die bestimmteren Gründe für den hier zu verfolgenden Weg sich ausführlicher dargelegt finden; gegenwärtig aber genügt es, daß ich, was das Unbewußte der Natur und unserer Seele betrifft, es nur kurz und unmittelbar als  "ein Göttliches"  bezeichne. Dasselbe nämlich, was die Weltkörper in ihren Bahnen führt und was die Kristallisation der Schneeflocke bestimmt, wie die Bildung und Entwicklung des Kükens im Ei, dasselbe, was die Entfaltung der Pflanze ebenso regelt, wie es den dunklen Trieb des Zugvogels oder Insekts beherrscht, es ist immer und überall die eine allgemeine Offenbarung des ewig schaffenden göttlichen Geistes, oder, wie man es auch ausdrücken kann, die eine Erscheinung des Göttlichen im Leiblich-Werdenden; und wie dadurch die Seele, d. h. die erste Wirklichkeit allen Wesens des Menschen, an und für sich bedingt wird, so ist es zugleich auch das, was in einem neugebildeten menschlichen Wesen, sobald dasselbe einmal durch seine Organisation mit der Welt in Verbindung getreten war, die Entwicklung der zuerst ganz unbewußten Psyche zum bewußten Geist ursächlich veranlaßt und setzt.

Einzig und allein dadurch also, daß wir einsehen und anerkennen, daß jenes göttlich-eigentümliche Sein, welches wir Seele nennen, wirke in der ersten Phase seines sich Darlebens durchaus und überall nur als ein Unbewußtes, und sei folglich hier aller anderen Natur, d. h. allem anderen göttlichen Unbewußten der Welt, wie es sich in den Lebenskreisen der Gestirne und aller irdischen Bildung offenbart, innigst verwandt und gleichartig, und indem wir uns ferner überzeugen, es bleibe auch dann, wenn es sich in einer zweiten Phase dieser Seele das geistige Bewußtsein erschlossen hat, doch jenes erste Unbewußte immerfort bestehend in seiner vollen Geltung nach seinen vielfältigen Beziehungen zu allem Unbewußten um uns her, werden wir dazu gelangen von der Stellung des Menschen zur Werk überhaupt und von der Art und Weise inbesondere, wie Naturwirkungen in der Seele tausendfältig widerklingen können und die Seele selbst unbewußt auch auf die Natur zurückwirkt, uns den richtigen Begriff bilden. Schauen wir es dann recht lebendig mit unseren Geistesaugen an, wie sich dasselbe Göttliche, welches nach einer Seite hin in all den unendlichen inneren Bewegungen des Kosmos manifestiert, nach einer anderen Seite hin ebenso unbewußt den Ausbau und das Leben unserer Adern und Nerven schafft und bedingt, und wie es dadurch teils den Boden vorbereitet, aus welchem schließlich die Blüte des individuell bewußten Geistes hervorbricht, teils die Erklärung gewährt, warum nun eben dieser Geist in seinen Gefühlen und Gedanken von all den bald bewußten, bald unbewußten Einflüssen der Welt stets durchdrungen und angeregt sein, und warum er dorthin auch immerfort wieder zurückwirken muß, so fällt zuletzt ganz die hemmende Schranke, welche es außerdem ewig hindern müßte einzusehen:
    "Wie alles sich zum Ganzen webt,
    Eins im andern wirkt und lebt"
und von nun an werden wir Einheit in Wahrheit, Liebe und Schönheit überall da erkennen, wo zuvor nur Streit und Zersplitterung widerwillig empfunden werden mußte.

Gewiß! nicht ein nach der gewöhnlichen Weise verstandene Doppelnatur des Menschen von Seele und Leib, wohl aber das Doppelwesen unseres ganzen seelischen Daseins nach Bewußtem und Unbewußtem (5) ist es, in dessen Erkenntnis der recht eigentliche Schlüssel ruht zum Verstehen unzähliger Vorgänge unseres Lebens überhaupt, besonders aber aller derjenigen Vorgänge, von welchen ausführlicher zu handeln eben hier die Absicht ist, und welche wir in ihrer Allgemeinheit oben mit dem Namen der  magischen  bezeichnet haben. Bedenkt man nämlich, daß, obwohl Bewußtes und Unbewußtes in Wahrheit nur die beiden Pole ein und desselben Wesens sind, doch zwischen beiden eine ewige Grenze gezogen ist, ja, daß sie sich in dieser Beziehung gewissermaßen verhalten wie Quadrat und Zirkel, wo zwar der Kreis vom geradlinigen Maß bis auf einen gewissen Punkt allerdings gemessen werden kann, niemals jedoch in demselben ganz aufgeht, so versteht man auch sogleich, warum sie beide, bei aller nahen Verwandschaft, sich doch stets in vielen Beziehungen fremdbleiben, und warum namentlich der bewußte Geist immerwährend mit einem gewissen Staunen vor dem Unbewußten steht, während das Unbewußte selbst nie direkt, sonder immer nur auf Umwegen die Einwirkungen des Bewußten empfängt, es an und für sich aber niemals begreift. Wie ich jedoch oben bemerkte, daß, je heller und klarer die Erkenntnis wird, umsomehr der Kreis des Magischen und Geheimnisvollen zurückweicht, ohne doch überhaupt jemals ganz schwinden zu können, so mindert sich auch mehr und mehr auf der Höhe der Wissenschaft jenes Staunen des Bewußten gegenüber dem Unbewußten, und der erkennende Geist trägt seine Leuchte immer tiefer in Regionen hinein, welche sonst über und über dem Wunder anheimfallen würden. Doch auch hier bleibt dann noch genug des Dunklen übrig, obwohl es nun dem erhellten Auge nicht mehr im Nimbus einer Ausnahme von allen bekannten Natur- und Geistesgesetzen erscheint; aber wehe dem Forscher, der jetzt gar nichts mehr von dem Schauer vor jener ursprünglich tiefverhüllten ISIS empfinden kann! denn mit Recht heißt es im  "Faust"  (6):
    Doch im Erstarren such' ich nicht mein Heil,
    Das Schaudern ist der Menschheit bestes Teil,
    Wie auch die Welt ihm das Gefühl verteure,
    Ergriffen, fühlt er tief das Ungeheure.
Bei alledem müssen wir aber doch zugeben, daß deshalb nicht geradezu das Magische und das Unbewußte völlig ein und dasselbe genannt werden dürfen. Etwas Geheimnisvolles liegt im Unbewußten, wie wir gesehen haben, zwar immer, aber ganz und gar fallen deshalb diese Begriffe doch nicht zusammen. Überlegen wir es recht, so wird das Unbewußte der Natur- und Seelenwirkungen namentlich nur dann mit dem Namen des Magischen zu bezeichnen sein, wenn dasselbe entweder von selbst oder infolge eines durch den bewußten Geist eingeleiteten Verfahrens aus seinem einfachen und gewöhnlichen Gang heraustritt und den ihm an und für sich vorgezeichneten oder von außen angewiesenen Weg nun in einer ungewöhnlichen und direkter zum Ziel führenden Weise vollendet.

So hat es z. B. allerdings für uns immer schon etwas Magisches, wenn zwei Menschen, ganz ohne ihren Willen, nur durch die Verwandtschaft ihres eigenen tiefinnerlichen Seins sympathisch voneinander angezogen werden, wenn sie in einer ihnen selbst unerklärlichen Weise voneinander ergriffen, fernerhin nicht voneinander lassen können, und die Gemeinsamkeit des Lebens als einziges Glück anstreben, für gewöhnlich jedoch wird das alles doch - und mit Recht - noch nicht in den Kreis des Wunderbaren und Magischen gezogen. Fände sich aber diese tiefe Sympathie als nicht von selbst entstanden, wäre sie dadurch, daß beide in einen magnetischen Rapport gebracht worden wären, oder daß traumhafte Erscheinungen sie zueinander in ein näheres Verhältnis gestellt hätten, bedingt, so würde nach unserer Sprachweise ebenso ein Wunderbares, ein Magisches dabei eintreten, als wir allemal es dahin rechnen, wenn überhaupt das Wissen zweier Seelen voneinander nicht allein durch die gewöhnlichen Mittel der Mitteilung, sondern durch hellsehende Träume oder ein sogenanntes zweites Gesicht, und zwar von selbst oder nach Anwendung magnetischer Manipulationen, erfolgt.

Ebenso auch, wenn im Fall eines höheren Grades von Nervenlähmung, anstatt daß dieselbe allmählich durch kräftigere Nahrung, Baden in der See und dgl. hergestellt würde, die magnetisch-willenskräftige Einwirkung einer anderen mächtigeren Individualität, durch ein unmittelbares Heraufheben und Aufrichten des kranken Lebens mittels weniger magnetischer Berührungen, sofort und fast augenblicklich den Gliedern ihre Kraft wiedergibt, so nennen wir  dies  wunderbar oder magisch, während wir jenes allmähliche Heilen (in welchem unfehlbar immer noch an Geheimnisvollem genug übrigbleibt), nur weil es der gewöhnlichere Vorgang ist, als etwas durchaus Natürliches betrachten. In ähnlicher Weise erscheint es uns wunderbar oder magisch, wenn ein großes Rechnertalent das Ergebnis der verwickeltsten Rechenaufgabe fast augenblicklich ausspricht, während ein gewöhnlicher guter Rechner vielleicht stundenlang damit zu tun hat; es sind nämlich hier selbst die bewußten Verstandesoperationen mit Zahlenverhältnissen dergestalt gleichsam wieder in das Unbewußte eingegangen, daß jetzt wie durch Eingebung plötzlich erschaut wird, was sonst, rein im Bewußten behandelt, einen langen Zeitraum erfordert hätte. Eben dieselbe Bewandtnis hat es ja schon mit den Scheinwundern des Taschenspielers, dessen Bewegungen eine Sicherheit und Schnelligkeit erreicht haben, wie sie sie nur dann erreichen können, wenn sie wieder halb ins Unbewußte eingegangen, oder - wie man dann sehr bedeutungsvoll sagt - zur "andern Natur" geworden sind. Kurz überall ist es zum Begriff des Magischen notwendig erforderlich, einmal:  daß es ganz oder teilweise in die Region des Unbewußten eingegangen ist, und ein andermal, daß es aus dem bekannten und gewöhnlichen Weg heraustritt, und das augenblicklich oder doch schnell erreicht, was ohne dasselbe nur langsam und allmählich zu erreichen gewesen wäre. 

Natürlich steht also zugleich bis auf einen gewissen Punkt der Begriff des Magischen und Wunderbaren immer mit dem Grad des höheren oder niedrigeren Erkennens des menschen im vollkommen umgekehrten Verhältnis. Der Ununterrichtete und Beschränkte wird Hunderterlei "wunderbar oder magisch" nennen, wo der Unterrichtete und helle Kopf nur Natürliches sieht, aber, wie schon oben gesagt, bei alledem hört darum auch für den Wissenden das Geheimnis nie vollkommen auf! - Schon jeder Genius ist deshalb mit seinem Produzieren des Außerordentlichsten, wie es Schlag auf Schlag in seinen Werken unerwartet hervortritt, ein nie ganz zu lösendes Wunder; es müßte denn möglich werden, was eine selbst hirnkranke Physiologie mancher unserer Materialisten sich vielleicht wirklich als möglich träumt, nämlich erst einmal nachzuweisen, wie viele Atome Phosphor mehr im Gehirn dazu gehören, damit der Genius eines SHAKESPEARE oder GOETHE zustande komme, dann aber auch anzugeben, wie es herzustellen sei, daß, durch eine vermehrte phosphorhaltige Nahrung etwa, auch in einem mittelmäßigen Kopf, entweder die Gedanken eines PLATO oder die Schöpferkraft eines RAPHAEL oder MICHELANGELO eingeführt werden.

Ebenso aber wird in tausend anderen Erscheinungen und Vorgängen das darin liegende Geheimnisvolle nie ganz aufgeklärt werden, und daß daher einmal all  das,  worin dieses Mysteriöse und magische besonders lebhaft hervortritt, eigens zusammengefaßt und im Sinne der wahren Wissenschaft so klar, als es eben der Gegenstand erlaubt, dargestellt werde, muß deshalb jedenfalls eine eigentümlich interessante Aufgabe bleiben.

Darf ich nun aber auch glauben, daß es im Vorigen einigermaßen gelungen sei die Bedeutung dessen, was wir das Magische nennen, im Allgemeinen klar und deutlich hingestellt zu haben, so braucht es jetzt doch vielleicht noch einiger Worte, um nachzuweisen, in welchem Gegensatz das Magische zum Natürlichen steht, und wie es kommt, daß, wenn uns das Unbewußte (auf welchem doch das Magische durch und durch ruht) selbst das tiefste Natürliche bleibt, doch nichtsdestoweniger auch jener Gegensatz seine Gültigkeit behält? - Ich sagte aber oben, das Magische kommt eigentlich über nur zustande, indem ein tief Natürliches und ansich Unbewußtes das ihm vorschwebende Ziel schneller als gewöhnlich, und direkter oder unmittelbarer erreicht, als irgendein anderes Unbewußtes, auch wenn es durch Bewußtsein geleitet würde, dieses Ziel erreichen könnte.

Das Letztere nennen wir nun, eben weil es das Gewöhnlichere und somit auch das eigentlich Normale bleibt, geradezu und schlechthin "das Natürliche", während das Erstere, obwohl es seinem Wesen nach durchaus nicht weniger natürlich ist, nun mit dem Namen des "Übernatürlichen, Wunderbaren oder Magischen" belegt zu werden pflegt. - Was demnach aus all diesen Betrachtungen zunächst uns deutlich entgegentritt, ist:  daß der Unterschied zwischen dem, was die Sprache einmal als natürlich und ein andermal als übernatürlich oder magisch bezeichnet, durchaus kein absoluter ist, sondern immer nur als ein relativer und durch unzählige Übergänge verbundener angesehen werden muß, und daß es sich hier zugleich keineswegs um die bessere Erkenntnis allein handelt, ob in einem gegebenen Fall das eine oder das ander angenommen werden soll, sondern daß dies fast ebensosehr bedingt wird von einer entweder nüchternen und bloß verstandesmäßigen, oder einer mehr poetischen und allgemenen, dabei aber doch oft zugleich sehr tiefsinnigen Anschauung der Welt.  Wer vom ersteren Standpunkt die Wirkung einer geringen Gabe Opium auf das Gehirn beurteilt, der nimmt es eben als einfach gegebene natürliche Tatsache, daß dadurch im lebenden Menschen der Schlaf herbeigeführt wird, und hält sich damit für vollkommen befriedigt, während ein anderer von einem anderen Standpunkt aus, indem er dieselbe Tatsache vollkommen anerkennt, sich dabei doch zugleich der Empfindung des Tiefgeheimnisvollen erwehren kann, welche sich insofern darbietet, als hier eine Substanz, welche chemisch genommen so wenig ausgezeichnet ist, eine derartige dämonische Macht über unser geistiges Leben ausübt, und mittels dieser es vermag, durch ihr eigenes Unbewußtes das Bewußte in uns völlig ins Unbewußte zurückzudrängen.

Ebenso ist es wieder, wenn wir an das hier zu allererst aufgeführte Beispiel, d. h. des Magneten denken. Die ursprüngliche eigentümliche Kraft desselben das Eisen anzuziehen und diesem seine Zugkraft wie einem lebendigen Wesen mitzuteilen, zugleich aber sich selbst nach den magnetischen Polen zu richten, der tiefer sinnende Geist vermag sie nie anzuschauen ohne ein Wunderbares, ja ein recht eigentlich Magisches darin zu ahnen, denn auch hier wird ja etwas unmittelbar erreicht, was sonst nur durch künstliche Mittel, z. B. durch ein künstliches Anheben des Eisens zum Magneten und ein Befestigen desselben, unvollkommen zu erreichen wäre. Der nüchterne, trockene Verstand dagegen läßt alle diese Urphänomene als ein nur ebenso Vorhandenes auf sich beruhen, bekümmert sich eigentlich nicht weiter darum, und rechnet sorglos weiter damit als mit gegebenen Größen. Kann man doch endlich sogar diesen Gegensatz geradezu bis zur höchsten Ursache der Welt - zu Gott - verfolgen, in welche der tiefsinnige Geist fortwährend, als in einen unerfaßlichen wunderbaren Abgrund hineinblickt, während der bloße Verstandesmensch an allem göttlichen Walten kalt vorübergeht, da ihm Atome und Kräfte allein das Weltall schaffen und zusammensetzen, sodaß er sich selbst damit in vielen Beziehungen weiter nach Belieben gebärden kann, und ihm kein Bedürfnis nach dem Erfassen eines tieferen poetischen Grundes übrigbleibt.

Fassen wir also das Magische hier im obigen Sinn auf, so gewahren wir sogleich, daß es keineswegs als ein der Wissenschaft überhaupt Unzugängliches angesehen werden darf, sondern daß nur jenes Unberechenbare, jenes nie ganz zu Erschöpfende, welches dem Erkenntnisvermögen in aller und und jeder Welterscheinung zuletzt allemal übrigbleibt, in ihm als in einem höheren Maße vorhanden zugegeben werden muß. In einem Geist, der nicht einseitig geworden ist, der beide Vermögen, das des Schauens in die Tiefen des Inkommensurablen, wie das sich des festen Blicks auf die Flächen des wirklich Berechenbaren kräftig erhalten hat, wird schon, wenn er das Wachsen eines Grashalms oder noch mehr, wenn er die Entwicklung der höchsten irdischen, der menschlichen Gestalt, von Zellenbildung zu Zellenbildung, auch mit größter mikroskopischer Schärfe zu verfolgen vermag, immer noch hinter all dem ein  primum movens  - ein ursprüngliches Etwas, als eigentliche Quelle all dieser Entwicklung übrigbleiben, welches er wunderbar - mystisch oder in gewisser Beziehung selbst magisch nennen darf, aber er wird sich zugleich nicht verbergen können, daß, wenn er nun auf manche Wirkungen des Lebensmagnetismus, auf die ahnende oder selbst hellsehende Macht des Unbewußten in der Tiefe unserer Seele, oder auf die sympathischen Wirkungen gewisser äußerer Vorgänge in den krankhaften Zuständen unseres Organismus blickt, sofort dieses Wunderbare oder Magische allemal einen noch größeren Bereich erhält und sich dann entschieden noch mehr in den Vordergrund der Betrachtung drängen.

Wenn es aber immer so zu gehen pflegt, daß die ersten kindlichen Anschauungen der Menschheit sich dadurch charakterisieren, daß sie zwar in allem, was die schärfere Durchgliederung des Erkenntnisvermögens und die Wissenschaft fordert, allerdings noch weit zurückstehen, daß sie hingegen in einem dunklen aber durchaus wohlbegründeten und richtigen Drang stets  das  zuerst ergreifen, was überhaupt und immerfort das Tiefste und Wesentlichste genannt werden muß, obwohl die Form, in welcher sie es ergreifen, oft genug noch etwas Ungeheuerliches oder Sonderbares behält, so darf man es nun gewiß nicht ungewöhnlich und fremdartig finden, daß gerade die frühesten Kulturperioden der Völker von jeher diejenigen gewesen sind, wo jenes Tiefsinnigste und Innerlichste, d. h. eben das Wunderbare und Magische, und zwar oftmals bis zum wahren Übermaß, die Vorstellungen der Menschheit erfüllte, und natürlich dann oftmals als Abarten seines eigentlichen Kerns und seiner unleugbaren Wahrheit, aus dem Glauben den Aberglauben und aus dem Magischen das Zauberwesen hervorgehen ließ. Selbst der Name des Magischen, oder der "Magie" weist deshalb in die Zeiten grauen Altertums zurück. In der ältesten Mythologie der Hindus, nach welcher die Schöpfung beginnt mit der göttlichen Dreigestalt (Trimurti) des  Brahma  (Prinzip des Schaffens), VISHNU (Prinzip des Erhaltens) und SHIVA (Prinzip des Zerstörens), folgt daher dort unmittelbar nach jener Dreiheit eine zweite siebenfältige göttliche Offenbarung, deren eines Glied dann eben die geheimnisvolle Göttin "Maja" ist, welche gezeichnet wird "im Schleier ursprünglichen Nebels" (7) und welche, indem sie in mystischer Weise die Vereinigung des Männlichen mit dem Weiblichen darstellt, als "geistiges Spiegelbild allen Weltbeginns" gedacht wurde.

Von dieser MAJA nun stammen die "Magier" ab, welche schon in unseren heiligen Schriften vorkommen, und noch bis in die neueste Zeit das Vorbild aller Mystagogen und Wundertäter blieben, und sie ist es offenbar auch, welche, in die griechische Mythologie hinübergetragen, nun als eine der sieben Plejaden - Töchter des ATLAS und der PLEJONE - zur Mutter des HERMES wird, dem dann wieder als mystischem Führer der Seelen zur Unterwelt sonst noch des Seltsamen viel zugeschrieben wurde.

Man glaube jedoch ja nicht, daß, wenn sich demnach die Magie schon im Altertum weiter ausbreitete als die Wissenschaft, deshalb nun in der Neuzeit die Richtung der Menschheit auf dieses magische Prinzip gänzlich verschwunden ist und namentlich in ihren Exzessen nicht mehr vorkommt! - Nein! gerade wie zum Hohn des sich so mächtig ausbreitenden Wissens, wie zum Trotz gegen die zunehmenden Kenntnisse der Menge und die daraus hervorgehende teilweise Verschmähung aller poetisch-tiefsinnigen Anschauung der Welt, ist unsere Zeit nur zu reichlich noch mit jenen falschen Wucherungen des Magischen überfüllt, und während unsere Jugend mehr und mehr klug wird und auf eine ungeheure Menge von Kenntnisse stolz ist, schießen dicht daneben viele der abgeschmacktesten Mißverständnisse des eigentlichen und im höheren Sinne Magischen auf, und gelangen da manche Anwendungen desselben zur Geltung, welche nur ein höchster Mißbrauch desselben und Irrtum über dasselbe genannt werden können, indem sie der Lüge und dem Betrug ein weites Tor öffnen. Der Verlauf dieser Betrachtungen wird uns auf manche Gegenstände dieser Art führen, und wenn wir finden werden, mit welcher Leichtigkeit Dinge wie das Geisterklopfen, Tisch- und Schüsseldrehen, nicht als Objekte wissenschaftlicher Beobachtung des unbewußten Wirkens der Seele, sondern geradezu als Gespenster- und Hexenwesen, sich ganz in unseren Tagen mit reißender Schnelligkeit über ein paar Weltteile ausbreiten konnten, so sieht man unzweifelhaft, daß unser Zeitalter nicht viel weniger als die dunkelsten Zeiten des Mittelalters vom Bann des Magischen bis zu den tollsten Auswüchsen fasziniert zu werden imstande ist.

So bleibt uns dann in diesen Vorbetrachtungen zunächst nur übrig, noch die Ordnung zu bedenken, in welcher die verschiedenen Zweige des Magischen und seiner Anwendung auf Leben, Kunst und Wissenschaft am folgerichtigsten und naturgemäßesten zur näheren Besprechung gebracht werden können, und was möchte da mehr geeignet sein den rechten Ausgangs- und Haltepunkt zu gewähren, als der Unterschied von Geistigem und Leiblichem, welcher so tief durch unsere ganze Existenz hindurchgreift.

Im Geistigen aber offenbaren sich die Wirkungen des Magischen eigentlich nur da, wo sich der Genius kundgibt. Die Art, wie das Höchste in der Kunst, Wissenschaft und im Leben Schlag auf Schlag aus einem besonders begabten Geist, meistens ohne all die Vorbereitungen, welcher der geringere bedarf, und immer mit größerer, sicherer ihr Ziel erreichender Energie hervortritt, hat für uns stets etwas Magisches und verdient es wohl, daß sie in ihrem wunderbaren Schaffen und Wirken einer tieferen psychologischen Untersuchung unterworfen werde, welche ihr dann auch hier später zu gewähren sein wird. Was dagegen das Leibliche betrifft, so offenbart sich an ihm das Magische teils in ungewöhnlichen Heilwirkungen, Sympathien und Antipathien, teils in Erregungen des Unbewußten zu ungewöhnlichen Empfindungen und Bewegungen.

Die Offenbarungen des Magischen im Leiblichen stellen jedenfalls die nächstliegenden und deshalb auch nächstverständlichen dar und verdienen es demnach, daß wir mit ihnen die Reihe dieser Betrachtungen eröffnen; vorher aber sei noch auf ein Naturgesetz aufmerksam gemacht, welches man bei allen auf das Unbewußte sich beziehenden Erscheinungen stets sich gegenwärtig zu halten hat, und welches in folgenden Worten wohl am besten auszudrücken ist:
    "Je mehr in der Seele der individuelle selbstbewußte Geist in voller Schärfe des Gedankens hervortritt, umsomehr ist er den Einflüsen des eigenen wie des Unbewußten der Welt enthoben, je weniger sich dagegen ein klares Welt- und Selbstbewußtsein entwickelt, desto mehr ist die Seele, d. h. die Wesenheit des ganzen Seins, aller und jeder Durchströmung von Kräften und Wirkungen der Welt zugänglich und desto mehr wird sie dadurch bestimmt."
Es kann gar nicht oft genug wiederholt werden, wie weitgreifend die Folgerungen aus diesem Gesetz genannt werden müssen! Es bedarf jedoch nur eines einigermaßen tieferen Eindringens des Geistes in die Vorstellung von der ungeheuren Macht und Größe aller Kräfte und Gestaltungen dessen, was wir am kürzesten mit dem Namen des Makrokosmos belegen und in welchem wir alles Gegeneinanderwirken der Weltkörper, wie alle Lebenswirkungen des Irdischen erfassen, um sich einesteils zu überzeugen, wie sich ein jedes Eintauchen in diesen ungeheuren Lebenskreis die Macht und die allgemeine Lebenswirkung der besonderen Seele einerseits allerdings steigern muß, während sie andererseits eben dadurch zugleich notwendig auch umso weiter entfernt wird vom Begriff und der vollen Bedeutung der Individualität und des scharf seiner selbst bewußten und sich selbst bestimmenden Geistes. Das Tier, und zwar je niedriger seine Organisation ist, umsomehr, kann uns das Beispiel der am tiefsten in den allgemeinen Lebenskreis eingetauchten Besonderheit gewähren, wie der wache und hochgeistig entwickelte Mensch das vollkommenste Beispiel abgibt von der am meisten aus jenem Lebenskreis heraufgehobenen und selbständig gewordenen; zwischen diesen Endpunkten aber liegt sodann eine unzählbare Menge von Mittelstufen, und selbst ein und dasselbe Individuum kann auf dieser Stufenleiter bald mehr herabgestiegen, bald mehr hinaufgehoben erscheinen und somit in der verschiedensten Weise an den Vorteilen und Nachteilen teilnehmen, welche die einzelnen Stellungen gewähren. Das Tiefere hat allezeit den Vorzug vermehrter Sicherheit gegen krankhafte Lebensstörungen (die Möglichkeit der verschiedenen Krankheiten nimmt ab mit den Minderungen der Stellung, und der Memsch hat das traurige Vorrecht die meisten Krankheiten aufzuweisen), ebendasselbe hat ferner den weitesten Kreis möglicher Fühlung (das Tier ist einer Menge von Mitempfindungen und selbst Vorempfindungen fähig, welche dem Menschen unmöglich sind), und es besitzt schließlich ohne alles Erlernen eine Menge von Fähigkeiten und nie irrenden Kunstfertigkeiten, welche im bewußten Geist stets erst mit Mühe ausgebildet werden können und dort stets den mannigfaltigsten Mißgriffen unterworfen sind. Dagegen finden wir in einem tieferstehenden Geschöpf einen Mangel an Klarheit und höherem Verständnis, wir sehen es im höchsten Grad von allem Äußeren abhängig und influenziert, seine Empfindungen zu beherrschen ist es überall durchaus unfähig und in seinem Tun und Können herrscht ein unaufhörliches Einerlei. Von all dem finden wir wieder den entschiedensten Gegensatz in der höheren, zur freien Selbstbestimmung und zum vollen Selbstbewußtsein gelangten Seele. Die soviel größere Mannigfaltigkeit und sozusagen Künstlichkeit ihrer Organisation, sowie die durch ihre exzeptionelle Stellung bedingte entschiedenere Gegensetzung zum Allgemeinen, bedingen in ihr eine weit größere Anlage zu Krankheiten und eine größere Mannigfaltigkeit dieser selbst; was die Empfindungen betrifft, so hat das Übergewicht der einzelnen helleren Sinneseindrücke eine größere Abgeschlossenheit gegen die außerhalb des Kreises der gewöhnlichen Sinne liegenden Naturwirkungen zur Folge, und was das Tun und Können betrifft, so fehlt ihr dazu die deutlich vorgezeichnete Naturanlage, und schließlich ist sie in der Entwicklung derselben des Fehlgreifens und der schnelleren Ermüdung überall ausgesetzt. Freilich ist ihr dafür als ein gewichtiges Entgelt gegeben und zwar teils einem großen Teil der ihr drohenden Gefahren und Krankheiten durch scharfsinnig gefundene Mittel zu begegnen, teils die ihr zu Gebote stehenden Ergebnisse der sinnlichen Erkenntnis durch künstliche Mittel ins Ungeheure zu steigern, schließlich aber steht es ihr auch frei, ihr Können durch die Macht der Idee zur Schönheit des Kunstwerks und somit durch all das zusammengenommen ihr Tun überhaupt zur Würde der überlegten Handlung und der freien Tat zu erheben.

In der übrigens hier nur im äußersten Umriß gezeichneten, so mächtigen Verschiedenheit dieser beiden Lebenssphären wird es nun nie fehlen, den recht eigentlichen Schlüssel zu entdecken zum Verständnis einer großen Menge von Erscheinungen, welche uns überall begegnen, sobald wir nur irgendwie tiefer in das Reich des Magischen eindringen; mit dieser Leuchte gesichert, werden uns all die scheinbaren Wunder, die hier auftauchen, zu einfachen Folgerungen aus einem bekannten Gesetz, und was unerklärlich blieb, solange wir nur auf das eine oder das andere dieser beiden Momente allgemeinen Lebens allein unsere Aufmerksamkeit hefteten, wird unmittelbar verständlich und als natürlich anerkannt, sobald wir sie beide zugleich ins Auge fassen.

So wenden wir uns nun, durch all diese Betrachtungen hinlänglich vorbereitet, zunächst dem zu, was man unter magischen Erscheinungen in der  Sphäre des leiblichen Lebens  zusammenfassen kann, von welchem dann wiederum keine mehr als die des sogenannten Lebensmagnetismus den merkwürdigsten Kern und die in ihrer Anwendung wichtigste Seite bildet, mit welchem wir uns daher zuerst beschäftigen.

LITERATUR - Carl Gustav Carus, Über Lebensmagnetismus und über die magischen Wirkungen überhaupt, Leipzig 1857
    Anmerkungen
    1) PLINIUS, Natur. hist. Lib XXXVI, 25
    2) Siehe den Eingang meines Werkes "Psyche".
    3) GOETHE, Poetische und prosaische Werke" in zwei Bänden.
    4) ARISTOTELES, Von der Seele, Bd. 2, erstes Kapitel.
    5) Dieser Gegensatz ist am ehesten und schärfsten in der "Psyche" behandelt worden.
    6) GOETHE, Faust, 2. Teil
    7) Darüber viel Wunderliches in MALFATTIs "Studien über Anarchie und Hierarchie des Wissens", Seite 30, wo vorzüglich aus NIKLAS MÜLLER "Über Glauben, Wissen und Kunst der alten Hindus" geschöpft ist.