A. KastilNelsonFries | |||
Rechtslehre und Politik [ 2 / 3 ]
Die Irrtümer der üblichen Rechtstheorien Die Ansicht von der Natur und Aufgabe der philosophischen Rechtslehre, die der hier beabsichtigten Darstellung dieser Wissenschaft zugrunde liegt, befindet sich im Widerstreit mit anderen Behandlungsarten der Rechtslehre und kann heute noch bei weitem nicht als allgemein anerkannt gelten. Um sie deutlicher hervortreten zu lassen und dadurch das Verständnis der systematischen Darstellung vorzubereiten, (nicht etwa, deren Beweiskraft zu unterstützen), wird es gut sein, ihr diese anderen Auffassungen von der Rechtslehre gegenüberzustellen. Hier haben wir uns zunächst auseinanderzusetzen mit einer Lehre, die ich kurz den "juristischen Empirismus" nenne, einer Lehre, die sich heute der weitesten Verbreitung, ja fast der Alleinherrschaft erfreut. Es ist die Lehre, die gar keine philosophische Wissenschaft vom Recht gelten läßt, die, mit anderen Worten, die Rechtslehre als Erfahrungswissenschaft und zwar als eine ausschließlich erfahrungsmäßige Wissenschaft behandelt. Das Recht gilt ihr als eine geschichtliche oder soziale Erscheinung, die man als solche wohl zum Gegenstand einer historischen oder soziologischen, nicht aber einer philosophischen Forschung machen kann. Bei einer solchen Auffassung nun geht dem Recht ein Merkmal verloren, ohne das sich sein Begriff in Wahrheit gar nicht denken läßt. Und dieser Umstand genügt, um uns von vornherein aufs klarste die Verfehltheit des juristischen Empirismus erkennen zu lassen. Dieses Merkmal ist die Notwendigkeit, die zum Begriff des Rechts gehört. Aus Tatsachen der Geschichte oder des gesellschaftlichen Lebens läßt sich niemals eine rechtliche Verbindlichkeit ableiten. Wir können als Tatsache stets nur den Anspruch feststellen, den etwas darauf erhebt, Recht zu sein. Aber die Tatsache, daß irgendetwas, was es auch sein mag, den Anspruch erhebt, Recht zu sein, ist offenbar nicht genug, damit es auch wirklich Recht sei. Ob etwas Recht ist oder nicht, läßt sich also nicht selbst als eine Tatsache feststellen. Um zu wissen, ob etwas, das den Anspruch erhebt, Recht zu sein, in Wahrheit Recht ist, dazu muß man erst ein Gesetz kennen, das solchem Anspruch Verbindlichkeit verleiht. Dieses Gesetz ist seinerseits nicht wieder eine Tatsache und darum auch nicht empirisch auffindbar. Man könnte zwar versucht sein, den Grund der Verbindlichkeit eines Rechtsanspruches in einer anderen Tatsache zu suchen, um so die Rechtsfrage doch auf eine Tatsachenfrage zurückzuführen. Aber es ist leicht ersichtlich, daß man dann nur wieder vor der neuen Frage stünde, wodurch diese Tatsache ihrerseits Rechtskraft erhält, d. h. worauf es beruth, daß ihr Anspruch, eine Verbindlichkeit zu schaffen, gültig ist. Man käme damit auf eine dritte Tatsache, bei der man abermals vor der Frage stünde, worauf sich ihr Rechtsanspruch gründete und so fort ins Unendliche, ohne jemals die Frage wirklich entscheiden zu können. Betrachten wir ein Beispiel. Es steht außer Zweifel, daß es Fälle gibt, wo durch einen Willen ein anderer Wille rechtlich gebunden wird. Durch die Tatsache eines bestimmten Willens wird hier, wie es scheint, ein Recht geschaffen. So z. B. im Fall, daß ich einem anderen etwas verspreche, wodurch der andere das Recht darauf erhält, daß ich das Versprochene leiste. Oder wenn durch den Willen des staatlichen Gesetzgebers die ihm Unterworfenen zur Innehaltung der von ihm gegebenen Gesetze verpflichtet werden. Ich sage, es ist keine Frage, daß durch solche Tatsachen ein Rechtsverhältnis entstehen kann. Aber die Frage ist, wie etwas derartiges möglich ist. Wir kann durch die Tatsache, daß der Wille des Gesetzgebers mir etwas vorschreibt, für mich die Verpflichtung entstehen, seinem Willen zu folgen? Oder wie kann durch die Tatsache, daß ich einem anderen verspreche, etwas zu tun, ich mich selbst verpflichten, das Versprochene zu tun? Die bloße Tatsache, daß jemand etwas will, enthält an und für sich nicht den Grund einer Verbindlichkeit. Wenn also an diese Tatsache eine rechtliche Verbindlichkeit geknüpft sein soll, so ist das nur möglich aufgrund eines Gesetzes, durch das mit jener Tatsache eine rechtliche Verbindlichkeit verknüpft wird, das der Tatsache also den Rechtscharakter erst verleiht. Oder ein anderes Beispiel: Die Tatsache einer bestimmten Gewohnheit bringt es mit sich, daß ein gewisses Recht entsteht. Wir nennen ein solches Recht Gewohnheitsrecht. Die Tatsache etwa, daß der Eigentümer eines Grundstücks es duldet, daß andere dieses Grundstück betreten und den darüber führenden Weg benutzen, diese Tatsache kann zur Folge haben, daß das Recht für andere entsteht, diesen Weg zu benutzen. Wie kann aber die Tatsache, daß ein Weg eine gewisse Zeit lang von gewissen Menschen benutzt wird, ihnen das Recht geben, diesen Weg auch fernerhin zu benutzen? Das ist eine Frage, die druch Feststellung der Tatsachen nicht entschieden werden kann. Es ist ein Gesetz, was dieser Möglichkeit zugrunde liegt. Dieses Gesetz ist ein Rechtsgesetz. Durch Erfahrung lassen sich gewisse Tatsachen feststellen, an die das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechts gebunden sein mag; daß aber an sie das Recht gebungen ist, das läßt sich nicht als Tatsache feststellen, was man hier noch durch Erfahrung feststellen kann, das ist der Umstand, daß wohl der eine oder andere, vielleicht auch die ganze Gesellschaft, das fragliche Recht anerkennt. Die Tatsache aber, daß von irgendjemandem etwas als Recht anerkannt wird, ist etwas anderes, als das Bestehen dieses Rechts. Und von der Tatsache der Anerkennung eines Rechtes ist kein Schluß auf das Bestehen dieses Rechtes möglich. Entweder, das fragliche Recht besteht wirklich; dann ist keine Anerkennung nötig, um ihm seinen Rechtscharakter zu verleihen und der Umstand, daß ihm die Anerkennung versagt bleibt, kann ihm diesen Rechtscharakter nicht rauben. Oder aber, es besteht nicht; dann ist die Anerkennung irrig und kann nicht zur Folge haben, daß es doch besteht. Die Notwendigkeit des Rechts läßt sich auch nicht dadurch aufrechterhalten, daß man, wie das immer wieder versucht worden ist, die rechtliche Notwendigkeit zurückführt auf die Erzwingbarkeit des Rechts. Man sagt etwa, Recht sei eine solche Regel des Verhaltens, deren Befolgung erzwungen werden kann. Die Möglichkeit der Erzwingung wäre es hiernach, was den Rechtscharakter einer Regel des Verhaltens ausmacht. Ohne darauf einzugehen, ob diese Doktrin nicht schon an der Möglichkeit des sogenannten Staatsrechts und des Völkerrechts scheitert, will ich hier nur auf das Folgende aufmerksam machen. Die Möglichkeit, zu zwingen, kann zunächst das Vorhandensein einer faktischen Gewalt bedeuten, die dem Recht seine Befolgung sichert. Dann würde die bloße Überlegenheit der Macht hinreichen, um einer beliebigen Regel des Verhaltens Rechtscharakter zu verleihen und es würde der Satz gelten: "Wer die Macht hat, hat das Recht", womit wir auf ein bloßes Faustrecht geführt würden. Eine Regel des Verhaltens ist Recht oder sie ist nicht Recht. Ist sie Recht, so muß sie es auch sein, wenn zufällig nicht die faktische Gewalt da ist, die ihr die Befolgung sichert. Ist sie aber nicht Recht, so kann sie nicht dadurch zu Recht werden, daß ihre Befolgung durch Gewalt erzwungen wird. Dieser Umstand könnte ihr nur dann Rechtscharakter verleihen, wenn mit der Tatsache der Erzwingung durch die Gewalt auch das Recht verbunden wäre, diesen Zwang anzuwenden. Verstehen wir aber die Möglichkeit der Erzwingung als das Recht zur Erzwingung, so erhalten wir eine offenbare Zirkeldefinition. Denn wenn das Recht durch die Möglichkeit zu zwingen erklärt werden soll, so kann offenbar die Möglichkeit, zu zwingen, ihrerseits nicht durch das Recht, zu zwingen, erklärt werden. Man müßte denn schon wieder ein höheres, von der Möglichkeit zu zwingen, unabhängiges Recht voraussetzen, entgegen der Behauptung, daß es die Erzwingbarkeit ist, was der Regel ihren Rechtscharakter verleiht. Diese Ansicht, nach der das Recht eine empirisch feststellbare, geschichtliche oder gesellschaftliche Tatsache ist, zieht unvermeidlich die Konsequenz nach sich, daß das Recht, wie jede historische oder soziale Erscheinung, dem Wechsel unterworfen ist. Das Recht würde dann wie andere zeitliche Erscheinungen entstehen und vergehen; es würde schwanken von Zeit zu Zeit und von Ort zu Ort. So kämen wir hier auf die Lehre von der sogenannten Relativität des Rechts. Dieses Dogma von der Relativität des Rechts steht dann auch überall in Ansehen, wo der juristische Empirismus herrscht. In der Tat, das, was als Recht anerkannt wird und was unter dem Namen des Rechts erzwungen wird, was, wie man kurz sagen kann, als Recht gilt, ist verschieden von Zeit zu Zeit und von Ort zu Ort. Aber daß etwas als Recht gilt, besagt nicht, daß es Recht ist. Und von der Wandelbarkeit des als Recht Geltenden läßt sich nicht auf die Wandelbarkeit des Rechts schließen. Dieser Trugschluß wird durch eine Zweideutigkeit begünstigt, die dem Gebrauch des Wortes "Recht" im allgemeinen anhaftet. Man spricht vom Rechtscharakter einer Gewohnheit, einer Verfügung, eines staatlichen Gesetzes. Dieser Sprachgebrauch ist auch insofern unbedenklich und harmlos, als man, wo man ihn unbefangen anwendet, stillschweigend das Bestehen eines allgemeinen Rechtsgesetzes voraussetzt, eines Gesetzes aufgrund dessen sich an die fragliche Tatsache eine bestimmte Rechtsfolge knüpft. Aber wir müssen uns dieser Voraussetzung bewußt sein, wenn wir Klarheit darüber suchen, worin die rechtliche Bedeutung einer Tatsache eigentlich besteht. Abstrahieren wir vom Gesetz, das mit der Tatsache erst die fragliche Rechtsfolge verknüpft, so kann auch von keinem Rechtscharakter einer Tatsache mehr die Rede sein. Dieses Gesetz aber gilt seinerseits entweder überhaupt nicht oder es gilt allgemein für jeden Ort und für jede Zeit. Es ist gültiges Recht, ohne Rücksicht darauf, ob es auch geltendes Recht ist. Es giltmit anderen Worten, nicht nur unter gewissen Umständen und unter gewissen tatsächlichen Bedingungen, sondern ohne Rücksicht auf die Umstände, unabhängig von tatsächlichen Bedingungen und insofern nicht nur relativ. Es scheint zwar so, als ob zwischen verschiedenen Rechtsordnungen nicht nur ein Unterschied bestünde, sondern sogar ein Widerstreit möglich wäre; so z. B. wenn das Recht des einen Landes den Mord mit dem Tode bestraft, das des anderen dagegen nicht. Und doch läßt sich aus diesem Gegensatz nicht auf die angebliche Relativität des Rechts schließen. Denn in Wahrheit können wir nur sagen, daß in dem Lande, wo kraft staatlicher Gesetzgebung die Satzung besteht, dergemäß der Mord mit dem Tode bestraft wird, doch nur im Hinblick auf diese Satzung die Todesstrafe dort Recht ist und daß nur aufgrund des Umstandes, daß im anderen Land eine solche Satzung nicht besteht, die Todesstrafe dort nicht Recht ist. Nehmen wir aber diese Umstände, wie es die Genauigkeit erfordert, in die Formulierung des Rechtsgesetzes mit auf, dann verschwindet der Schein des Widerstreits und also auch der Relativität. Denn daß, wo eine solche Satzung besteht, die Todesstrafe Recht ist, widerspricht nicht dem Satz, daß, wo eine solche Satzung nicht besteht, die Todesstrafe nicht Recht ist. Widersprechen würden sich nur die Behauptungen, daß, ohne Rücksicht auf das Bestehen einer solchen Satzung, die Todesstrafe Recht ist und daß, ohne Rücksicht auf das Nichtbestehen einer solchen Satzung, die Todesstrafe nicht Recht ist. Weder das eine noch das andere ist aber, recht verstanden, mit jener Behauptung gemeint. Die Unterscheidung zwischen dem Rechtsgesetz selbst und den rechtlich erheblichen Tatsachen unter dem Rechtsgesetz ist da unwesentlich, wo nur nach dem Besteehen bestimmter Rechtsfolgen gefragt wird. Denn wenn wir im gewöhnlichen Leben nur fragen, ob an eine bestimmte Tatsache ein bestimmtes Recht geknüpft ist oder nicht, so setzen wir stillschweigend, auch ohne uns davon Rechenschaft zu geben, das Bestehn eines allgemeinen Rechtsgesetzes voraus. Wenn aber, wie das bei der philosophischen Untersuchung der Fall ist, nach dem Prinzip des Rechts gefragt wird, d. h. nach dem Grund dafür, daß irgendeine Tatsache rechtlich erheblich werden kann, dann kommt alles auf diese Unterscheidung an. Dieses Prinzip kann nicht wieder durch eine Tatsache gegeben sein. Denn auch die Satzung des "Gesetzgebers" ist an und für sich nur eine Tatsache ohne alle verpflichtende Kraft, wenn wir nicht ein von ihr unabhängiges Gesetz annehmen, das ihr Verbindlichkeit verleiht. Dieser Unterschied wird verwischt, wenn die sogenannte Gesetzgebung selbst als "Recht" oder als "Gesetz" bezeichnet wird. Hier ist also ein strenger Sprachgebrauch am Platz. Es darf das "Recht" nur jenes Gesetz bedeuten, kraft dessen Tatsachen überhaupt erst rechtserheblich werden können. Dieses Gesetz läßt sich nicht irgendwo an einem Ort oder irgendwann zu einer Zeit feststellen als etwas, was hier so und dort anders beschafft sein könnte. Ein solches Gesetz ist also gar nichts "Positives", d. h. als Tatsache nach Ort und Zeit Bestimmbares, sondern es ist notwendig und allgemeingültig und läßt sich als solches nur denken und niemals und nirgendwo empirisch vorfinden. Von diesem Gesetz läßt sich nicht sagen, daß es von irgendwem für irgendwen gegeben wäre. Es entsteht nicht, es unterliegt nicht der Entwicklung und es vergeht nicht. Es entstehen und vergehen nur Tatsachen, an die durch Gesetz Rechtsfolgen geknüpft sind, Folgen, die ohne die Voraussetzung dieses Gesetzes insgesamt dahinfallen müßten. Dies nun ist die Wahrheit jener alten, heute so geringschätzig beurteilten Naturrechtslehre. Diese Wahrheit besteht darin, daß es, streng genommen, überhaupt kein positives Recht gibt, wenn wir darunter nach dem herrschenden Sprachgebrauch ein solches verstehen, das durch Satzung entstehen oder durch andere Satzung aufgehoben werden könnte. Und wie es, im philosophischen Sinn des Wortes, kein positives Recht gibt, so gibt es auch keine Quellen des Rechts, keine Schöpfung des Rechts, keine rechtserzeugenden Tatsachen und wie die Erfindungen der positivistischen Schule sonst heißen. Der Irrtum der Naturrechtsschule muß, wenn er vorhanden ist, an anderer Stelle liegen. In der Tat ist das eine klar, daß, wenn das Recht in einem Gesetz besteht, wonach die unter bestimmten Umständen obwaltenden Gewohnheiten oder wechselseitigen Vereinbarungen oder auch einseitigen Verfügungen verbindlich sind, daß wir dann auf die Erfahrung angewiesen sind, um zu wissen, was gemäß den bestimmten, wirklich vorliegenden Umständen das Recht verlangt. Denn dazu müssen wir jene Gewohnheiten, jene Vereinbarungen, jene Verfügungen kennen. Und diese Kenntnis wird uns nicht durch die bloße Einsicht in das allgemeine Rechtsgesetz zuteil. Es ist auch ganz richtig, daß, der Allgemeinheit des Rechtsgesetzes unbeschadet, dennoch zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten Verschiedenes Recht ist. Denn es ist klar, daß ein und dasselbe Rechtsgesetz je nach den wechselnden Umständen bald dieses, bald jenes als Recht fordert. Daher müssen wir in der Tat die Umstände kennen, um zu wissen, wie sich das Recht seinem Inhalt nach im einzelnen bestimmt. Und insofern ist es richtig, daß sich ein materiell bestimmtes Recht nicht, wie die Naturrechtsschule wollte, philosophisch festlegen läßt. Soviel also wollen wir von dieser Betrachtung festhalten, daß die Erfahrung allerdings notwendig ist, um das, was Recht verlangt, im einzelnen zu bestimmen, daß sie aber andererseits hierzu nicht hinreichend ist, darum nämlich nicht, weil wir, wenn wir auf sie allein angewiesen wären, überhaupt keine Möglichkeit hätten, irgendetwas als Recht zu erkennen. Wenn wir ein solches, je nach den Umständen (Gewohnheiten, Vereinbarungen, Verfügungen) so oder anders bestimmtes Recht ein "positives Recht" nennen wollen, so bedürfen wir doch, um irgendetwas als positives Recht zu erkennen, eines Kriteriums dafür, was einer Tatsache den Rechtscharakter gibt und dieses kann nur im allgemeinen, keiner Tatsache abzufragenden Rechtsgesetz liegen. Die bloße Erfahrung läßt uns niemals eine rechtliche Verbindlichkeit erkennen. Sie lehrt uns niemals eine rechtliche Verbindlichkeit erkennen. Sie lehrt uns nicht, was zur rechtlichen Regelung irgendwelcher Verhältnisse erforderlich ist. Sie lehrt uns wohl, was notwendig ist, um eines Zweckes willen, nicht aber, was im rechtlichen Sinne notwendig ist. Denn unter der rechtlichen Notwendigkeit eines Verhaltens verstehen wir etwas ganz anderes als seine Notwendigkeit zur Erreichung eines Zweckes. Der Versuch, auf dem Wege des juristischen Empirismus die Notwendigkeit des Rechts zu begründen, muß sich daher unvermeidlich in das Abenteuer verwickeln, nach einem angeblichen Zweck des Rechts zu suchen. Denn in der Tat, nur wenn man einen solchen Zweck des Rechts einmal gefunden hätte, ließe sich die Notwendigkeit des Rechts empirisch nachweisen: Das Recht müßte sich dann als ein notwendiges Mittel zur Erreichung jenes Zweckes herausstellen. Und nur an diesem Zweck könnte sich unser Urteil über das Bestehen oder Nichtbestehen einer rechtlichen Notwendigkeit orientieren. Für den juristischen Empirismus wird daher der Zweck des Rechts der eigentliche Stein der juristischen Weisen. In dieser Aufgabe aber, den Zweck des Rechts zu bestimmen, liegt unmittelbar ein Widerspruch und es wird daher für alle Zeit vergeblich bleiben, nach ihrer Lösung zu suchen. Das Recht läßt sich nie durch einen hypothetischen, sondern nur durch einen kategorischen Imperativ ausdrücken; d. h. die ihm innewohnende Verbindlichkeit läßt sich nicht auf einen Zweck zurückführen, nicht darauf, daß das Recht als Mittel zur Verwirklichung irgendeines Zweckes notwendig wäre. Vielmehr liegt im Begriff des Rechts unmittelbar, daß umgekehrt jeder Zweck, welcher es auch sein mag, um auch nur erlaubt zu sein, eingeschränkt ist auf die Bedingung, mit dem Recht übereinzustimmen. Der Versuch, die Gültigkeit des Rechts auf die Bedingung der Übereinstimmung mit einem Zweck einzuschränken, widerspricht daher unmittelbar sich selbst. Wer dem Abenteuer nachgeht, die Notwendigkeit des Rechts durch die Lehre vom Zweck des Rechts zu begründen, dem muß sich schließlich die ganze Rechtslehre in bloße Politik auflösen. Denn das Recht wird ihm zu einem politischen Mittel im Dienst der sogenannten Gesellschaftszwecke. Und so wird aus der angeblichen Rechtslehre in Wahrheit eine bloße politische Klugheitslehre, die den letzten Zweck, auf den sie sich gründet, gar nicht zu rechtfertigen vermag, sondern nur willkürlich festsetzen kann. Sie könnte ihn der Willkür ja nur dadurch entziehen, daß sie seine Notwendigkeit nachweist; das aber vermöchte sie nach ihrer Methode nur dadurch zu erreichen, daß sie ihn als notwendiges Mittel zu einem höheren Zweck erwiese. Dann aber wäre vielmehr dieser und nicht jener der höchste Zweck und bliebe seinerseits wieder dem bloßen Belieben überlassen. Bei der Frage nach dem Vorrang der Zwecke müßte eine solche nur politische Rechtslehre notwendig versagen. Die Frage nach der Rangordnung der Zwecke bliebe eine bloße Machtfrage. Es bliebe nur die Tatsachenfrage, welcher Zweck sich faktisch durchzusetzen vermag. Und so kommt hier schließlich alles auf das Recht des Stärkeren, auf ein bloßes Faustrecht heraus. Die Konsequenz des juristischen Empirismus kann daher nichts anderes sein, als ein juristischer Nihilismus, d. h. die völlige Untergrabung und Ausrottung aller Rechtsbegriffe überhaupt. Es scheint, daß man dem rechtlichen Relativismus, in den uns der juristische Empirismus verwickelt hat, dadurch entgehen könnte, daß man statt die Wahl der Zwecke selbst dem bloßen Belieben zu überlassen, einen sogenannten absoluten Zweck aufzeigt, d. h. einen solchen, der seinerseits dem individuellen Belieben entzogen ist und an und für sich Verbindlichkeit besitzt, so daß er selbst keiner rechtlichen Einschränkung unterworfen gedacht werden kann. Es wäre dies die Idee eines über allem Recht stehenden Zweckes, zu dessen Verwirklichung das Recht das notwendige Mittel bildet. Dieser Zweck könnte dann also auch kein solcher eines dem Recht unterworfenen Wesens sein, sondern es müßte der eines dem Recht selbst erst einen Zweck setzenden Wesens sein. Die Annahme eines solchen ist das eigentümliche der Lehre, die ich "juristischen Mystizismus" nenne. Auf die Frage, welches dieser absolute, aller rechtlichen Regelung gesellschaftlicher Zwecke erst das Ziel setzende Zweck ist, lassen sich zwei Antworten denken. Einmal kann man als das diesen absoluten Zweck setzende Wesen die Gesellschaft selbst ansehen. Es ist der Wille der Gesellschaft, der den Zweck des Rechts bestimmt, es ist der Volksgeist, es ist der soziale Organismus, es ist der Staatswille, oder wie man sonst diesen, den absoluten Zweck setzenden Willen bezeichnen mag. Oder man nimmt an, daß der dem Recht zur Richtschnur dienende absolute Zweck durch den Willen des Weltschöpfers selbst bestimmt ist. Wir können daher zwei Arten des juristischen Mystizismus unterscheiden, je nachdem der gesellschaftliche oder der göttliche Wille den Zweck des Rechts bestimmt. Man könnte den einen den soziologischen, den anderen den theologischen Mystizismus nennen, "Mystizismus" nenne ich jede solche Lehre darum, weil wir, um zur Kenntnis des absoluten Zwecks des Rechts zu gelangen, auf eine Offenbarung jenes höheren Willens angewiesen wären, da unsere eigene Vernunft zur Bestimmung des Zwecks des Rechts ja nicht zureichend sein kann. Hier brauchen wir uns nun bei der Frage nicht lange aufzuhalten, wie wir überhaupt von einem solchen Willen Kenntnis erlangen sollen. Denn angenommen, es wäre möglich, zur Kenntnis jenes höheren Willens zu gelangen, so bliebe doch die andere Frage, worauf sich der Anspruch dieses Willens gründet, für uns verbindlich zu sein und was uns also nötigen soll, seinen Zweck zu dem unseren zu machen. Dieser höhere Wille bleibt ja für sich ein bloßes Faktum und die Frage wäre, wie mit dem Faktum des Anspruchs auf Verbindlichkeit, den er erhebt, auch das Recht verbunden sein soll, uns zu verpflichten. Hier wäre ja schon die Annahme eines höheren Rechtes erforderlich, kraft dessen sein Wille für den unsrigen verbindlich wäre. Sein bloßer Wille, uns seinem Zweck zu unterwerfen, kann ein Recht auf solche Unterwerfung nicht begründen. Dieses Recht als wäre anderweit vorauszusetzen, im Widerspruch zur untersuchten Ableitung des Rechts aus dem höhren, den Zweck setzenden Willen. Wir kämen also auch auf diese Weise nur zu einer hypothetischen Notwendigkeit des Rechts und nicht zu einer kategorischen, wie wir sie im Begriff des Rechts denken. Es gibt eine Lehre, wonach wir nicht auf eine nur positive Rechtsbetrachtung angewiesen bleiben und wonach wir auch nicht auf die Offenbarung eines höheren Willens angewiesen sind, um zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, wonach es aber dennoch nicht möglich ist, das Recht auf dem Weg einer philosophischen Wissenschaft zu begründen, darum, weil die Frage nach dem Recht einzig und allein unter Berufung auf das sogenannte Rechtsgefühl von den einzelnen beantwortet werden kann, ohne alle Möglichkeit, für die Entscheidungen dieses Gefühls eine wissenschaftliche Rechtfertigung zu geben und also einander bei einem Widerstreit der Gefühle zu überzeugen. Ich nenne diese Lehre "juristischen Ästhetizismus". In der Tat, wenn die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht dem bloßen Gefühl vorbehalten bleibt, so verhält es sich mit der Rechtslehre wie mit der Ästhetik: Wir müssen dann einen jedem seinem Geschmack überlassen und auf wissenschaftliche Belehrung verzichten. Auch nach dieser Auffassung gäbe es eine Wissenschaft nur soweit, als es sich um politische Fragen handelt, d. h. um Fragen, die die geeigneten Mittel zur Verwirklichung irgendwelcher in einer Gesellschaft angenommenen Zwecke betreffen. Über die Rechtlichkeit der Zwecke selbst aber gäbe es kein begründetes Urteil und keine wissenschaftliche Verständigung. Auch diese Lehre schließt also jede Möglichkeit einer wissenschaftlichen Entscheidung von Rechtsfragen aus. Um die Falschheit dieser Ansicht nachzuweisen, kommt es darauf an und genügt es auch, ein begrifflich bestimmte Kriterium des Rechts faktisch aufzuweisen, d. h. einen Grundsatz anzugeben, der sich zu einer wissenschaftlichen Kritik gegebener Rechtsordnungen gebrauchen läßt. Deshalb wollen wir uns nicht länger aufhalten, denn die Frage kann nur durch die Tat entschieden werden. Aber es ist freilich bequemer, durch Lamentationen über das Unvermögen der menschlichen Vernunft seine Arbeitsscheu zu bemänteln, die, wenn sie allgemein wird, allerdings der Wohlweisheit derer recht geben muß, die erklären, daß es niemals zu einer wissenschaftlich begründeten Rechtslehre kommen wird. Wir haben uns mit einer Auffassung von der Rechtslehre auseinanderzusetzen, wonach allerdings eine wissenschaftliche - und zwar philosophische - Entscheidung von Rechtsfragen möglich ist, wonach es aber über die bloße Logik hinaus keines weiteren philosophischen Kriteriums hierzu bedarf. Die logische Konsequenz oder innere Widerspruchslosigkeit einer Rechtsordnung würde demnach als Kriterium genügen. Diese Lehre nenne ich den "juristischen Logizismus". Konsequenz ist allerdings ein Erfordernis jeder wahrhaften Rechtsordnung, aber sie bietet uns für sich nichts weiter als die bloße Form der Gesetzlichkeit, ohne alle Rücksicht auf die Rechtlichkeit des Gesetzes. Sie ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Rechtlichkeit einer Gesellschaftsordnung. Denn es gibt eine Konsequenz auch des Unrechts. Konsequent wäre z. B. ebensowohl ein Finanzgesetz, wonach die Steuerlast im Verhältnis zum Besitz verteilt ist, wie ein solches, wonach sie gerade im umgekehrten Verhältnis verteilt ist. (Wer hat, dem wird gegeben, und wer nicht hat, dem wird auch noch genommen, was er hat.) Käme es also für die Rechtlichkeit einer Gesetzgebung nur auf die Konsequenz an, so würden beide Gesetze rechtlich gleichwertig sein und die Wahl zwischen ihnen wäre beliebig. Wir fragen ja aber nicht nach Gesetzlichkeit überhaupt, sondern nach der Rechtlichkeit eines Gesetzes. Um zu einem Kriterium für diese Rechtlichkeit zu gelangen, ist es nicht genug, den bloßen Begriff eines Rechtsgesetzes zu haben und zu zergliedern, sondern man muß über ihn hinausgehen und ein Merkmal dafür feststellen, was denn unter diesen Begriff fällt und was nicht. Mit anderen Worten, das Kriterium des Rechts, das wir suchen, kann nur in einem synthetischen und nicht in einem analytischen Grundsatz liegen. Analytisch heißt ein Grundsatz, wenn er nur den Begriff des Gegenstandes, auf den er sich bezieht, zergliedert, synthetisch, wenn er über den bloßen Begriff seines Gegenstandes hinausgeht. Das Rechtsgesetz kann also nur in einem synthetischen Grundsatz gefunden werden. Der Grund, weshalb diese so einfache Wahrheit verkannt wird, liegt zum Teil in einer Zweideutigkeit der Sprache. Wir gebrauchen das Wort "Recht" in zwei Bedeutungen, die sich nur durch die Schrift und nicht durch das gesprochene Wort unterscheiden lassen. Es ist zweierlei: an etwas recht tun und auf etwas ein Recht haben. Geht man nur vom Begriff des Rechttuns aus, so kommt man zwar zur Idee eines Gesetzes überhaupt, aber nicht auf das Gesetz selbst. Denn das Rechte bedeutet allerdings nichts anderes, als das dem Gesetz nicht Widersprechende, d. h. das nicht Verbotene. Wir nennen es auch das Erlaubte. Wollen wir ein Hauptwort bilden, das diesen Begriff bezeichnet und ihn von dem des Rechts unterscheidet, so finden wir es im Wort "Befugnis". Diese Begriffe nun sind so wenig einerlei, daß das Recht vielmehr in nichts anderem besteht, als gerade in der Einschränkung der Befugnisse. Die bloße Befugnis erfordert an und für sich noch gar kein Gesetz, so wäre auch nichts verboten und jeder zu allem befugt. Und gerade dann gäbe es kein Recht. Denn das Recht des einen besteht nur im Anspruch, den er an den anderen hat aufgrund eines bestimmten Gesetzes, eines Gesetzes, das diesem anderen die Verbindlichkeit auferlegt, sich dessen, worauf jener ein Recht hat, zu enthalten, und das also seine Befugnis einschränkt. Setzen wir also nicht schon ein Gesetz voraus, das die Befugnisse einschränkt, so erhalten wir gar kein Recht. Gerade dann, wenn alles "recht" wäre, wäre nichts "Recht". Setzt man daher das Recht in die bloße Befugnis, d. h. in das dem Gesetz nicht Widersprechende, so würde die Rechtslehre vielmehr zu einer Lehre von der Beschränkung des Rechts werden, was absurd ist. Bei der Durchführung dieses Satzes, daß das Recht nicht in Befugnissen besteht, sondern allemal einer Verbindlichkeit entspricht, könnte eine Schwierigkeit im Bestehen des sogenannten "Sachenrechts" gefunden werden. Man unterscheidet zwischen Forderungsrecht und Sachenrecht. Vom Forderungsrecht ist ohne weiteres klar, daß es nicht in einer bloßen Befugnis besteht, sondern nur aufgrund einer Forderung des Berechtigten gegenüber. Wenn aber jedes Recht, wie ich soeben behauptet habe, auf einer Einschränkung der Befugnisse anderer beruth, wie ist dann ein Sachenrecht möglich? Betrachten wir ein Beispiel Der Kaufvertrag begründet mein Recht auf die gekaufte Ware und fordert vom Verkäufer, mit die Ware zu übergeben, während sein Recht in der Forderung an micht besteht, den Preis für die Ware zu bezahlen. Habe ich nun aber die Ware als mein Eigentum, so besteht mein Eigentumsrecht an ihr allerdings nicht in der Forderung an eine bestimmte Person. Das allein aber macht auch, recht verstanden, den Unterschied aus, d. h. die Person, der gegenüber ich dieses Recht auf die Sache habe, bleibt nur unbestimmt. Es besteht nämlich in der Forderung an unbestimmte Personen, sich des Gebrauchs dieser Sache zu enthalten. Ohne eine solche Forderung wäre auch das Sachenrecht nicht möglich. Auch dieses Recht besteht nur im Verhältnis meines Willens zum Willen anderer Personen und nicht in einem bloßen Verhältnis zwischen mir und der Sache. Mein Eigentumsrecht dagegen besteht in der Forderung an andere, sich des Gebrauchs der Sache zu enthalten, ohne Rücksicht auf fdas physische Verhältnis, in dem ich mich zu der Sache befinde. Es ist nur eine andere Ausdrucksweise für den fehlerhaften Versuch einer logizistischen Rechtslehre, wenn man in dieser Wissenschaft vom Prinzip der Freiheit ausgeht. Es verhält sich mit diesem Begriff gerade wie mit dem der Befugnis: Er enthält dieselbe Unbestimmtheit wie jener. Wenn von Freiheit die Rede ist, so müssen wir, um diesen Begriff anwenden zu können, wissen, wovon Freiheit erlangt wird. Ohne eine Auskunft darüber bleibt der Begriff völlig leer und unanwendbar. Sagt man, Freiheit bedeute die Unabhängigkeit einer Person von der Willkür anderer, so kommen wir nur auf das von FRIES treffend so genannte Prinzip der intelligiblen Ungeselligkeit, ein Prinzip, das die Möglichkeit aller Gesellschaft aufheben und ihr kein Gesetz geben würde. Denn Gesellschaft besteht nur insoweit, als der eine durch sein Handeln mit einem anderen in Wechselwirkung kommt, wo dann, falls ihre Interessen kollidieren, eine Beschränkung der Willkür des einen oder des anderen notwendig wird, wenn Gesellschaft bestehen soll. Wir können diese Beschränkung nicht aufheben, ohne eben damit die Gesellschaft selbst aufzuheben. Das Problem der Rechtslehre beginnt gerade da, wo sich eine solche Beschränkung der Freiheit als notwendig erweist. Das Prinzip der unbeschränkten Freiheit würde daher alle Anwendung von Rechtsbegriffen überhaupt vereiteln. Unbeschränkte Freiheit, nicht nur des einzelnen, sondern, wie sie hier gedacht wird, aller in der Gesellschaft, ist eine sich selbst vernichtende Vorstellung. Die Freiheit des einen besteht ja nur in dem Maße, als dadurch die Freiheit anderer beschränkt wird, soweit die einzelnen überhaupt in Gesellschaft sind. Nun sagt man wohl, um dieser Schwierigkeit zu begegnen, es solle die Freiheit der einzelnen allerdings eingeschränkt werden, derart nämlich, daß eine Zusammenstimmung der Freiheit aller möglich wird, so daß also nur über diese Grenze hinaus niemand von der Willkür eines anderen abhängig ist, oder, wie 'KANT das Prinzip formuliert: Freiheit des einzelnen in Übereinstimmung mit der jedes anderen nach einem allgemeinen Gesetz. Aber das ist eine Forderung, die durch jede gesetzliche Ordnung der Gesellschaft befriedigt wird, auch durch eine dem Recht nicht genügende. Es führt uns daher wieder nur auf das leere Postulat der Gesetzlichkeit überhaupt. Denn jedes Gesetz schränkt die Freiheit des einzelnen ein auf die Bedingungen ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit aller anderen nach diesem Gesetz. Gleichheit vor dem Gesetz ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für den Rechtscharakter einer Gesellschaftsordnung. Auch eine despotische Gesetzgebung unterscheidet sich nur durch die Form der Gesetzlichkeit, aber nicht durch Rechtlichkeit vom völlig gesetzlosen Walten despotischer Willkür. Das Gesetz, in dem der Despot seinen Willen friedlich niedergelegt hat, macht die große Freiheit des Despoten mit dern kleinen Freiheit seiner Untertanen einstimmig; aber es wird dadurch noch nicht zu einem Rechtsgesetz. Wir dürfen also in der Rechtslehre nicht vom Begriff der Freiheit ausgehen; wir suchen in ihr vielmehr gerade das Gesetz für die Beschränkung der Freiheit des Einzelnen. Ein solches Gesetz allein kann ein Rechtsgesetz sein. Die Auffassung, die wir so vom Wesen und der Aufgabe der Rechtslehre erhalten, indem wir die der Reihe nach betrachteten Irrtümer ausschließen, können wir den "juristischen Kritizismus" nennen. Der juristische Kritizismus ist eindeutig durch die Ausschließung der betrachteten vier irrigen Lehren charakterisiert. Er ist erstens dadurch charakterisiert, daß er die Rechtslehre auf eine philosophische Erkenntnis im allgemeinsten Sinne des Wortes gründet, d. h. auf ein unabhängig von aller Erfahrung feststehendes Prinzip: ein Prinzip a priori. Er ist zweitens dadurch charakterisiert, daß er uns zu diesem Prinzip nicht auf mystische Weise gelangen läßt: nicht irgendeine höhere Offenbarung, eine nur dem Eingeweihten zuteil werdende übersinnliche Anschauung vom Wesen des Rechts, sondern allein durch eigenes Nachdenken.' Wir sind auf das Nachdenken angewiesen, um zur Klarheit über das Prinzip des Rechts zu gelangen, weil unsere Erkenntnis des Rechts nicht den Charakter anschaulicher Evidenz hat, weil sie, wie wir sagen können, eine ursprünglich dunkle Erkenntnis ist. Das heißt nichts anderes, als eine solche, über die wir nicht unabhängig vom Nachdenken zur Klarheit gelangen können. Drittens ist es für den juristischen Kritizismus wesentlich, daß wir überhaupt durch solches Nachdenken zur Klarheit über ein Prinzip des Rechts gelangen können. Nicht nur auf die negative-Behauptung kommt es für ihn an, daß wir ohne solches Nachdenken nicht zur Klarheit darüber kommen können, sondern mehr noch auf die positive, daß wir durch Nachdenken dahin gelangen können. Die Erkenntnis, aus der wir das Prinzip der Rechtslehre schöpfen ist, mit anderen Worten, zwar eine ursprünglich dunkle, aber darum doch keineswegs, wie der juristisches Ästhetizismus lehrt, eine schlechthin dunkle, denn das Rechtsgefühl löst sich in klare Begriffe auf, wenn man sich nur die Mühe macht, hinreichend nachzudenken. Viertens endlich: die philosophische Erkenntnis, durch die allein wir das Prinzip des Rechts zu bestimmen vermögen, ist doch keine nur logische Erkenntnis; d. h. wir können sie nicht aus bloßen Begriffen schöpfen. Keine bloße, wenn auch noch so subtile und vollständige Zergliederung von Rechtsbegriffen kann uns das Problem auflösen, um das wir hier bemüht sind, sondern dazu bedarf es, wir mögen das Wort noch so sehr scheuen, einer Metaphysik des Rechts. den "Metaphysik" heißt überhaupt derjenige Teil der Philosophie, der aus synthetischen und nicht nur analystischen Urteilen besteht und also insofenr über die bloße Logik hinausgeht. Eine Metaphysik des Rechts und nichts anderes ist es also, was wir hier eigentlich suchen. Eine Metaphysik, die darum keineswegs dogmatisch, d. h. auf willkürlich angenommenen Prinzipien, aufgebaut zu werden braucht, sondern die auch von ihren Prinzipien recht wohl Rechenschaft zu geben vermag, wenn sie sich nämlich auf eine voraufgehende Kritik der praktischen Vernunft stützt. Denn praktische Vernunft ist nichts anderes, als das Vermögen einer metaphysischen praktischen Erkenntnis. |