tb-1EberhardReinholdBrief an Herz     
 
IMMANUEL KANT
Brief an Carl Leonhard Reinhold
[vom 19. 5. 1789]

"Herr Eberhard will sich von der allem Dogmatismus so lästigen, aber gleichwohl unnachlaßlichen Forderung, keinem Begriff den Anspruch auf den Rang von Erkenntnissen einzuräumen, sofern seine objektive Realität sich nicht dadurch erhellt, daß der Gegenstand in einer, jenem korrespondierenden, Anschauung dargestellt werden kann, dadurch losmachen, daß er sich auf Mathematiker beruft, die nicht mit einem Wort von der Realität des Gegenstandes ihrer Begriffe Erwähnung getan haben sollen und doch die Zeichnung ganzer Wissenschaften vollendet haben; eine unglücklichere Wahl von Beispielen zur Rechtfertigung seines Verfahrens hätte er nicht treffen können. Denn es ist gerade umgekehrt: sie können nicht den mindesten Ausspruch über irgendeinen Gegenstand tun, ohne ihn . . . in der Anschauung darzulegen."

"Eben darin ist die Mathematik das große Muster für allen synthetischen Vernunftgebrauch, daß sie es an Anschauungen nie fehlen läßt, an welchen sie ihren Begriffen objektive Realität gibt, welcher Forderung wir in der philosophischen und zwar theoretischen Erkenntnis nicht immer Genüge tun können, aber alsdann uns auch bescheiden müssen, daß unsere Begriffe auf den Rang von Erkenntnissen (der Objekte) keinen Anspruch machen können, sondern, als Ideen, bloß regulative Prinzipien des Gebrauchs der Vernunft in Anbetracht der Gegenstände sind, die in der Anschauung gegeben sind, aber nie, ihren Bedingungen nach, vollständig erkannt werden können."

Ich füge zu meinen, den 12. Mai überschickten, Bemerkungen, wertester Freund, noch diejenigen hinzu, welche die zwei ersten Stücke des Philosophischen Magazins betreffen.
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Seite 156: "Das heißt nichts Anderes als etc." Hier redet er von notwendigen Gesetzen etc. (1), ohne zu bemerken, daß in der Kritik eben die Aufgabe ist, zu zeigen, welche Gesetze die objektiv notwendigen sind und wodurch man berechtigt ist, "sie, als von der Natur der Dinge geltend, anzunehmen", d. h. wie sie synthetisch und doch a priori möglich sind; denn sonst ist man in Gefahr, mit CRUSIUS, dessen Sprache EBERHARD an dieser Stelle führt, eine bloß subjektive Notwendigkeit aus Gewohnheit oder Unvermögen, sich einen Gegenstand auf andere Art faßlich zu machen, für objektiv zu halten.

Seite 157-158: "Ich meines geringen Teils etc." Hier könnte man wohl fragen wie ein fremder Gelehrter, dem man den Hörsaal der Sorbonne mit dem Beisatz zeigte: Hier ist seit 300 Jahren disputiert worden: "Was hat man denn ausgemacht?"

Seite 158: "Wir können an ihrer Erweiterung immer fortarbeiten - ohne uns einzulassen. Auf die Art etc." Hier muß man ihn nun festhalten. Denn seine Deklaration betrifft einen wichtigen Punkt, nämlich ob die Kritik der Vernunft der Metaphysik vorhergehen muß oder nicht, und von Seite 157 bis 159 beweist er seine verwirrte Idee von em, warum es in der Kritik zu tun ist, zugleich aber auch seine Unwissenheit, da wo er mit Gelehrsamkeit paradieren will, so sehr, daß auch nur an dieser Stelle allein das Blendwerk, was er in Zukunft machen will, aufgedeckt wird. Er redet Seite 157 von metaphysischer (im Anfang des Abschnitts von transzendentaler) Wahrheit und dem Beweis desselben, im Gegensatz mit der logischen Wahrheit und dem Beweis derselben, im Gegensatz mit der logischen Wahrheit und ihrem Beweis. Aber alle Wahrheit eines Urteils, sofern sie auf objektiven Gründen beruth, ist logisch, das Urteil selbst mag zur Physik, oder Metaphysik gehören. Man pflegt die logische Wahrheit der ästhetischen (die für die Dichter ist), z. B. den Himmel als ein Gewölbe und den Sonnenuntergang als Eintauchung ins Meer vorzustellen, entgegenzusetzen. Zu der letzten erfordert man nur, daß das Urteil den allen Menschen gewöhnlichen Schein, folglich Übereinstimmung mit subjektiven Bedingungen zu urteilen, zugrunde hat. Wo aber lediglich von objektiven Bestimmungsgründen des Urteils die Rede ist, da hat noch Niemand zwischen geometrischer, physischer oder metaphysischer - und logischer Wahrheit einen Unterschied gemacht.

Nun sagt er Seite 158: "Wir können (an ihrer Erweiterung) immer fortarbeiten etc., ohne uns auf die transzendentale Gültigkeit dieser Wahrheiten vorderhand einzulassen". (Vorher Seite 157 hatte er gesagt, das Recht auf die logische Wahrheit würde jetzt bezweifelt, und nun spricht er Seite 158, daß auf die transzendentale Wahrheit (vermutlich eben dieselbe, die er bezweifelt nennt) vorderhand nicht nötig ist sich einzulassen. Von der Stelle Seite 158 an "Auf diese Art haben selbst die Mathematiker die Zeichnung ganzer Wissenschaften vollendet, ohne von der Realität des Gegenstandes derselben mit einem Wort Erwähnung zu tun usw." zeigt er die größte Unwissenheit, nicht bloß in seiner vorgeblichen Mathematik, sondern auch die gänzliche Verkehrheit im Begriff von dem, was die Kritik der Vernunft in Anbetracht der Anschauung fordert, dadurch den Begriffen allein objektive Realität gesichert werden kann. Daher muß man bei diesen, von ihm selbst angeführten, Beispielen etwas verweilen.

Herr EBERHARD will sich von der allem Dogmatismus so lästigen, aber gleichwohl unnachlaßlichen Forderung, keinem Begriff den Anspruch auf den Rang von Erkenntnissen einzuräumen, sofern seine objektive Realität sich nicht dadurch erhellt, daß der Gegenstand in einer, jenem korrespondierenden, Anschauung dargestellt werden kann, dadurch losmachen, daß er sich auf Mathematiker beruft, die nicht mit einem Wort von der Realität des Gegenstandes ihrer Begriffe Erwähnung getan haben sollen und doch die Zeichnung ganzer Wissenschaften vollendet haben; eine unglücklichere Wahl von Beispielen zur Rechtfertigung seines Verfahrens hätte er nicht treffen können. Denn es ist gerade umgekehrt: sie können nicht den mindesten Ausspruch über irgendeinen Gegenstand tun, ohne ihn (oder, wenn es bloß um Größen ohne Qualität, wie in der Algebra, zu tun ist, die unter angenommenen Zeichen gedachten Größenverhältnisse) in der Anschauung darzulegen. Er hat, wie es überhaupt seine Gewohnheit ist, anstatt der Sache selbst durch eigene Untersuchung nachzugehen, Bücher durchgeblättert, die er nicht versteht, und in BORELLI, der "Elementa conica Apollonii etc." eine Stelle "Subtilitatem enim - - - delineandi [die Feinheit der Abgrenzung - wp] aufgetrieben, die ihm recht erwünscht in seinen Kram gekommen zu sein scheint. Hätter er aber nur den mindesten Begriff von der Sache, von der BORELLI spricht, so würde er finden, daß die Definition, die APOLLONIUS z. B. von der Parabe gibt, schon selbst die Darstellung eines Begriffs in der Anschauung, nämlich in dem unter gewissen Bedingungen geschehenden Schnitt des Kegels war und daß die objektive Realität des Begriffs so hier, wie allerwärts in der Geometrie, die Definition, zugleich Konstruktion des Begriffs ist. Wenn aber, nach der aus dieser Definition gezogenen Eigenschaft des Kegelschnitts, nämlich daß die Semiordinate die mittlere Proportionallinie zwischen dem Parameter und der Abszisse ist, das Problem aufgegeben wird: Der Parameter sei gegeben, wie ist eine Parabel zu zeichnen? (d. h. wie sind die Ordinaten auf den gegebenen Diameter zu applizieren?) so gehört dieses, wie BORELLI mit Recht sagt, zur Kunst, welches als praktisches Korollarium [Satz, der aus einem bewiesenen Satz folgt - wp) aus der Wissenschaft und auf sie folgt; denn diese hat mit den Eigenschaften des Gegenstandes, nicht mit der Art, ihn unter gegebenen Bedingungen hervorzubringen, zu tun. Wenn der Zirkel durch die krumme Linie erklärt wird, deren Punkte alle gleich weit von einem (dem Mittelpunkt) abstehen: ist denn da dieser Begriff nicht in der Anschauung gegeben, obgleich der praktische daraus folgende Satz: einen Zirkel zu beschreiben (indem eine gerade Linie um einen festen Punkt auf einer Ebene bewegt wird), gar nicht berührt wird? Eben darin ist die Mathematik das große Muster für allen synthetischen Vernunftgebrauch, daß sie es an Anschauungen nie fehlen läßt, an welchen sie ihren Begriffen objektive Realität gibt, welcher Forderung wir in der philosophischen und zwar theoretischen Erkenntnis nicht immer Genüge tun können, aber alsdann uns auch bescheiden müssen, daß unsere Begriffe auf den Rang von Erkenntnissen (der Objekte) keinen Anspruch machen können, sondern, als Ideen, bloß regulative Prinzipien des Gebrauchs der Vernunft in Anbetracht der Gegenstände sind, die in der Anschauung gegeben sind, aber nie, ihren Bedingungen nach, vollständig erkannt werden können.

Seite 163: "Nun kann dieser Satz (des zureichenden Grundes) nicht anders etc." Hier tut er ein Geständnis, welches vielen seiner Alliierten im Angriff der Kritik, nämlich den Empiristen, nicht lieb sein wird, nämlich: daß der Satz des zureichenden Grundes nicht anders als a priori möglich ist, zugleich aber erklärt er, daß derselbe nur aus dem Satz des Widerspruchs bewiesen werden kann, wodurch er ihn ipso facto [in der Tat - wp] bloß zum Prinzip analytischer Urteile macht und dadurch sein Vorhaben, durch ihn die Möglichkeit synthetischer Urteil a priori zu erklären, gleich anfang vernichtet. Der Beweis fällt daher auch ganz jämmerlich aus. Denn indem er den Satz des zureichenden Grundes zuerst als ein logisches Prinzip behandelt (welches auch nicht anders möglich ist, wenn er ihn aus dem principio contradictionis beweisen will), da er dann so viel sagt, wie: "Jedes assertorische Urteil muß gegründet sein", so nimmt er im Fortgang des Beweises in der Bedeutung des metaphysischen Grundsatzes: "Jede Begebenheit hat ihre Ursache", welcher einen ganz anderen Begriff vom Grunde, nämlich den des Realgrundes und der Kausalität in sich faßt, dessen Verhältnis zur Folge keineswegs so, wie das des logischen Grundes, nach dem Satz des Widerspruchs vorgestellt werden kann. Wenn nun Seite 164 der Beweis damit anfängt: zwei Sätze, die einander widersprechen, können nicht zugleich wahr sein, und das Beispiel Seite 163, wo gesagt wird, daß eine Portion Luft sich gegen Osten bewegt, mit jenem Vordersatz verglichen wird, so lautet die Anwendung des logischen Satzes des zureichenden Grundes auf dieses Beispiel so: der Satz: die Luft bewegt sich nach Osten, muß einen Grund haben; denn ohne einen Grund zu haben, d. h. noch eine andere Vorstellung als den Begriff von Luft und den von einer Bewegung nach Osten herbeizuziehen, ist jener in Anbetracht dieses Prädikats ganz unbestimmt. Nun ist aber der angeführte Satz ein Erfahrungssatz, folglich nicht bloß problematisch gedacht, sondern als assertorisch [sicher behauptend - wp], gegründet und zwar in der Erfahrung, als einer Erkenntnis durch verknüpfte Wahrnehmungen. Dieser Grund ist aber mit dem, was in demselben Satz gesagt wird, identisch (nämlich ich spreche von dem, was gegenwärtig ist nach Wahrnehmungen, nicht von dem, was bloß möglich ist, nach Begriffen), folglich ein analytischer Grund des Urteils, nach dem Satz des Widerspruchs, hat also mit dem Realgrund, der das synthetische Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung an den Objekten selbst betrifft, gar nichts gemein. Nun fängt also EBERHARD von dem analytischen Prinzip des zureichenden Grundes (als logischem Grundsatz) an und springt zum metaphysischen, als solchen aber jederzeit synthetischen Prinzip der Kausalität, von welchem in der Logik nie die Rede sein kann, über, als ob er denselben bewiesen habe. Er hat also das, was er beweisen wollte, gar nicht, sondern etwas, worüber nie gestritten worden ist, bewiesen und eine grobe fallaciam ignorantis elenchi [Widerlegung durch Täuschung aus Unwissenheit - wp] begangen. Aber außer dieser vorsätzlichen Hinhaltung des Lesers ist der Paralogismus Seite 163 "Wenn z. B." bis Seite 164 "unmöglich ist etc." zu arg, als daß er nicht angeführt zu werden verdient. Wenn man ihn in syllogistischer Form darstellt, so würde er so lauten: Wenn kein zureichender Grund wäre, warum ein Wind sich gerade nach Osten bewegt, so würde er ebensogut (statt dessen; denn das muß EBERHARD hier sagen wollen, sonst ist die Konsequenz des hypothetischen Satzes falsch) sich nach Westen bewegen können: Nun ist kein zureichender Grund etc. Also wird er sich ebensogut nach Osten und Westen zugleich bewegen können, welches sich widerspricht. Dieser Syllogismus geht also auf vier Füßen.

Der Satz des zureichenden Grundes, so weit ihn Herr EBERHARD bewiesen hat, ist also immer nur ein logischer Grundsatz und analytisch. Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet wird es nicht zwei, sondern drei erste logische Prinzipien der Erkenntnis geben:
    1) den Satz des Widerspruchs, von kategorischen,
    2) den Satz des (logischen) Grundes, von hypothetischen,
    3) den Satz der Einteilung (der Ausschließung des Mittleren zwischen zwei einander kontradiktorisch entgegengesetzten) als den Grund disjunktiver Urteile.
Nach dem ersten Grundsatz müssen alle Urteile erst einmal, als problematisch (als bloße Urteile), ihrer Möglichkeit nach, mit dem Satz des Widerspruchs, zweitens, als assertorisch (als Sätze), ihrer logischen Wirklichkeit, d. h. Wahrheit nach, mit dem Satz des zureichenden Grundes, drittens, als apodiktisch (als gewisse Erkenntnis), mit dem princ. exclusi medii inter duo contradictionis in Übereinstimmung stehen; weil das apodiktische Fürwahrhalten nur durch die Verneinung des Gegenteils, also durch die Einteilung der Vorstellung eines Prädikats in zwei kontradiktorisch entgegengesetzte und durch Ausschließung des einen derselben gedacht wird.

Seite 169 ist der Versuch zu beweisen, daß das Einfache als das Intelligible, dennoch anschaulich gemacht werden kann, noch erbärmlicher als alles Übrige ausgefallen. Denn er redet von der konkreten Zeit, als von etwas Zusammengesetztem, dessen einfache Elemente Vorstellungen sein sollen, und bemerkt nicht, daß, um die Sukzession jener konkreten Zeit sich vorzustellen, man schon die reine Anschauung der Zeit, worin jene Vorstellungen sich sukzedieren soll, voraussetzen muß. Da nun in dieser nichts Einfaches ist, welches der Autor unbildlich oder nicht-sinnlich nennt, so folgt daraus ungezweifelt, daß sich in der Zeitvorstellung überhaupt der Verstand über die Sphäre der Sinnlichkeit gar nicht erhebt. Mit seinem vorgeblichen ersten Elementen des Zusammengesetzten im Raum, nämlich dem Einfachen, Seite 171, verstößt er so sehr gegen LEIBNIZens wahre Meinung, als gröblich gegen alle Mathematik. Nun kann man aus dem bei Seite 163 Angemerkten über den Wert von dem, was er von Seite 244 bis 256 schreibt und der objektiven Gültigkeit seines logischen Satzes vom zureichenden Grund urteilen. Er will Seite 156 aus der subjektiven Notwendigkeit des Satzes vom zureichenden Grund (den er nunmehr als Prinzip der Kausalität vorstellt) von den Vorstellungen, daraus er besteht, und ihrer Verbindung schließen: daß der Grund davon nicht bloß im Subjekt, sondern in den Objekten liegen muß; wiewohl ich zweifelhaft bin, ob ich ihn in dieser verwirrten Stelle verstehe. Aber was hat er nötig, solche Umschweife zu machen, da er ihn aus dem Satz des Widerspruchs abzuleiten vermeint?

Ich weiß nicht, ob ich in meinem vorigen Brief von der (Seite 272 "Ich muß hier ein Beispiel brauchen" bis Seite 274 "keine Realität haben?" seltsamen und gänzlich allen Streit mit diesem Mann aufzuheben berechtigten Mißverständnisses, oder Verdrehung, meiner Erklärung der Vernunftideen, denen angemessen keine Anschauung gegeben werden kann und überhaupt des Übersinnlichen Erwähnung getan habe. Er gibt nämlich vor, der Begriff eines Tausendecks ist dergleichen und gleichwohl könne man viel von ihm mathematisch erkennen. Nun ist das eine so absurde Verkennung des Begriffs vom Übersinnlichen, daß ein Kind sie bemerken kann. Denn es ist ja die Rede von der Darstellung in einer uns möglichen Anschauung, nach der Realität unserer Sinnlichkeit, der Grad derselben, in der Einbildungskraft das Mannigfaltige zusammenzufassen, mag auch so groß oder klein sein, wie er will, so daß, wenn uns auch etwas für ein Millioneneck gegeben wäre und wir den Mangel einer einzigen Seite nicht geradezu beim ersten Anblick bemerken könnten, dieses Vorstellung doch nicht aufhören würde, sinnlich zu sein und die Möglichkeit der Darstellung des Begriffs von einem Tausendeck in der Anschauung die Möglichkeit dieses Objekts selbst in der Mathematik allein begründen kann; wie denn die Konstruktion desselben nach allen seinen Requisiten vollständig vorgeschrieben werden kann, ohne sich um die Größe der Meßschnur zu bekümmern, die erforderlich sein würde, um diese Figur nach allen ihren Teilen für eines Jeden Auge merklich zu machen. - Nach dieser falschen Vorstellungsart kann man den Mann beurteilen.
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Ich begnüge mich mit diesen wenigen Bemerkungen, wovon ich bitte nach Ihrem Gutbefinden, aber, wo möglich, auf eine nachdrückliche Art, Gebrauch zu machen. Denn Bescheidenheit ist von diesem Mann, dem Großtun zur Maxime geworden ist, sich Ansehen zu erschleichen, nicht zu erwarten. Ich würde mich namentlich in einen Streit mit ihm einlassen, aber, da mit dieses alle Zeit, die ich darauf anzuwenden denke, um meinen Plan zu Ende zu bringen, rauben würde, zudem das Alter mit seinen Schwächen schon merklich eintritt, so muß ich meinen Freunden diese Bemühung überlassen und empfehlen, im Fall daß sie die Sache selbst der Verteidigung wert halten. Im Grunde kann mir die allgemeine Bewegung, welche die Kritik nicht allein erregt hat, sondern noch erhält, samt allen Allianzen, die gegen sie gestiftet werden (wiewohl die Gegner derselben zugleich unter sich uneinig sind und bleiben werden), nicht anders als lieb sein; denn das erhält die Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand. Auch geben die unaufhörlichen Mißverständnisse oder Mißdeutungen Anlaß, den Ausdruck hin und wieder bestimmter zu machen, der zu einem Mißverständnis Anlaß geben könnte. und so fürchte ich am Ende nicht von allen diesen Angriffen, auch wenn ich mich dabei ganz ruhig verhalte. Allein einen Mann, der aus Falschheit zusammengesetzt ist und mit all den Kunststücken, z. B. der Berufung auf mißgedeutete Stellen berühmter Männer, wodurch bequeme Leser eingenommen werden können, um ihm blindes Zutrauen zu widmen, bekannt und darin durch Naturell und lange Gewohnheit gewandt ist, gleich zu Anfang seines Versuchs in seiner Blöße darzustellen, ist eine Wohltat fürs gemeine Wesen. FEDER ist bei all seiner Eingeschränktheit doch ehrlich; eine Eigenschaft, die jener in seine Denkungsart nicht aufgenommen hat.

Ich empfehle mich Ihrer mir sehr werten Freundschaft und Zuneigung mit der größten Hochachtung usw.

LITERATUR: Sämtliche Werke, hg. von Rosenkranz und Schubert, Bd. XI, erste Abteilung, Leipzig 1842
    Anmerkungen
    1) Ein von Reinhold ihm zugleich mit dem Geburtagsschreiben übersandtes Exemplar der vor kurzem im "Mercur" erschienenen und aus ihm besonders abgedruckten Abhandlung "Über die bisherigen Schicksale der kantischen Philosophie".