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Kants Dinge an sich und sein Erfahrungsbegriff [3/3]
23. Dies geschieht nun durch den Beweis des Lehrsatzes: "Das bloße, aber empirisch bestimmte Bewußtsein meines eigenen Daseins beweist das Dasein der Gegenstände im Raum außer mir." Der Beweis lautet, mit Benutzung der in der Vorrede nachgetragenen Verbesserung, wörtlich wie folgt:
2) Alle Zeitbestimmung setzt ein Beharrliches in der Wahrnehmung voraus, in Beziehung auf welches erkannt wird, daß etwas in der Zeit gewechselt hat und anders geworden ist. So wird z. B. die Ortsveränderung eines Körpers daran erkannt, daß er in Beziehung auf einen anderen in seinem Ort beharrenden Körper seine Stellung zu diesem verändert hat. 3) Ein solches Beharrendes scheint nun zwar in der inneren Wahrnehmung das Ich der reinen Apperzeption (das reine Ich) zu sein, an dem die konkreten Bestimmungen des empirischen Ichs wechseln. Aber dasselbe ist keine Anschauung, sondern bloß die intellektuelle Vorstellung der Selbsttätigkeit eines denkenden Subjekts, daher kein Gegenstand innerer Wahrnehmung. 4) Da nun aber der tatsächliche Wechsel meiner Vorstellungen und mein dadurch bestimmtes Dasein in der Zeit, ohne ein Beharrliches nicht erkannt werden könnte, ein solches aber in der inneren Erfahrung nicht anzutreffen ist, so muß dasselbe, als Bedingung der Möglichkeit, jenen Wechsel zu erkennen, in der äußeren Erfahrung vorhanden sein. Folglich setzt das Bewußtsein meines Daseins, als bestimmt in der Zeit, notwendigerweise das Dasein beharrender Gegenstände der äußeren Wahrnehmung im Raum voraus und ist damit dieses Dasein bewiesen. 26. Gesetzt nun aber, KANT hätte in der angegebenen Art seinen Beweis ergänzt und ihm dadurch eine feste Unterlage gegeben, so wäre damit doch nichts weiter gewonnen, als dargetan, daß nur durch Anerkennung des empirischen Realismus die Frage beantwortet werden kann, wodurch das Bewußtsein unseres Daseins in der Zeit wirklich bedingt ist. Es ist dies aber kein neuer Beweis der Gültigkeit jenes Realismus, sondern nur eine Bestätigung desselben. Wir können daher überhaupt dieser Widerlegung des Idealismus keine besondere Wichtigkeit beilegen. Mit klaren Worten sagt aber die Thesis des Lehrsatzes, daß sich der Beweis nur auf die Gegenstände außer uns im Raum bezieht, also es jedenfalls nicht direkt mit der Existenz der Dinge an sich, praeter nos, zu tun hat. Der Idealismus, der widerlegt werden soll, ist der cartesische, von dem KANT im Anhang zu den Prolegomenen sagt, daß er durch seinen kritischen Idealismus gestürzt werde. Hatte er sich an verschiedenen, ob angeführten und der zweiten Auflage der Kritik mit der ersten gemeinsamen Stellen einem rein subjektiven Idealismus zugeneigt erwiesen, so betraf doch die Widerlegung der zweiten Auflage nicht diesen Idealismus. Wenn derselbe daher auch, wie man ihm zugeschrieben hat, seine eigentliche, wenn auch verhüllte, Herzensmeinung gewesen wäre, so würde er doch nicht, wie man ihm Schuld gegeben hat, durch jene Widerlegung von seiner ursprünglichen Weltansich abgefallen sein. An der Sicherstellung des Daseins der Gegenstände außer uns im Raum war ihm vor allem gelegen und dabei konnte immerhin die Existenz der Dinge praeter nos problematisch bleiben. Denn nicht auf diese stützte er die Realität der Gegenstände im Raum, sondern, wie schon gesagt, darauf, daß uns in den empirischen Anschauungen der Empfindungsstoff gegeben und kein Produkt unserer Spontaneität ist. Woher er komme, konnte er auf sich beruhen lassen und einer unbekannt bleibenden Ursache zuschreiben. Nicht die Dinge an sich, sondern die Gegenstände außer uns im Raum sind es, von denen er in der Vorrede zur zweiten Auflage sagt, daß wir von ihnen doch den ganzen Stoff zu Erkenntnissen, selbst für unseren inneren Sinn hätten. Man wird daher wohl auch behaupten dürfen, daß diese zunächst die Sachen" sind, von denen er in den Prolegomenen (Anmerkung 3 zu § 13) versichert, daß deren Existenz zu bezweifeln ihm niemals in den Sinn gekommen sei. 27. Verstand nun KANT unter den "Dingen, die unsere Sinne rühren", die Gegenstände außer uns im Raum, so waren doch beide, jene wie diese, ihm nur subjektiv bedingte Erscheinungen unbekannt bleibender Dinge und war damit gesagt, daß Erscheinungen auf Erscheinungen wirkten. Man hat jedoch daran keinen Anstoß zu nehmen; denn die Deduktion der Kategorien fordert ja gerade, daß nur Gegenstände der sinnlichen Anschauung in einem Kausalverhältnis zueinander stehen können. Noch einmal sei aber hervorgehoben, was schon zuvor nachgewiesen wurde, daß darin, daß KANT die Gestaltung des Empfindungsstoffs zu anschaulichen Vorstellungen wodurch doch erst die Gegenstände im Raum entstehen, der von der Spontaneität des Verstandes bestimmten produktiven Einbildungskraft zuschrieb, der Keim zum Umschlag seines kritischen Idealismus in einen rein subjektiven lag. Der Begriff der Erscheinung andererseits setzte zwar, wie er einschärft, etwas voraus, das erscheint, aber nicht selbst wieder Erscheinung ist. Aber dieses etwas ist ihm doch nur ein Gedankending, dessen Existenz sich weder behaupten, noch schlechthin verneinen läßt. Wenn er nun auch unabhängig davon, die Realität der Gegenstände im Raum durch das Gegebensein der Empfindungen für hinlänglich verbürgt hielt, so steht ihm doch nur die Alternative offen, entweder bei diesem Gegebensein, als einer nicht weiter erklärbaren Tatsache Beruhigung zu fassen, oder, weil eben darum die empirisch anschaulichen Gegenstände im Raum nicht für rein subjektiv bedingte Erscheinungen angesehen werden können, jene bloßen Gedankendinge zum Realgrund des Gegebenen zu machen: ein Widerspruch, den man KANT ohne zwingende Motive nicht aufbürden darf. Aber wenn auch das Erstere seine wahre Meinung war, so ist es doch nicht zu verwundern, daß nach ihm nicht allein der Idealismus, sondern auch der Realismus über die Grenzen, welche nach beiden Richtungen der kritische Idealismus gesteckt hatte, hinauszugehen strebte, daß der Idealismus FICHTEs Stoff und Form der Erscheinungen der Selbsttätigkeit des Ichs, dagegen der Realismus HERBARTs sowohl den Dingen außer uns, wie auch unserem eigenen geistigen Wesen selbständige Existenz und Kausalität zu vindizieren [rechtfertigen - wp] versuchte. 28. Aber schon KANT selbst rückte das empirisch-realistische Element seines Idealismus, gegenüber dem rationalistischen Moment, mehr in den Vordergrund, als er, unwillig über die Deutung seines Idealismus als eines transzendenten, die ihm die Göttingische Rezension der Kritik d. r. V. aus dem Jahre 1782 gegeben hatte, gegen diese Auslegung im Anhang zu den Prolegomenen mit den Worten protestierte:
29. Alle Erfahrung - damit beginnt KANTs Erörterung ihres Begriffs - findet ihren Ausdruck in empirischen Urteilen; aber nicht alle empirische Urteile sind Erfahrungsurteile, sondern nur solche, welchen objektive Gültigkeit zukommt. Empirische Urteile dagegen, welche nur subjektive Gültigkeit haben, sind bloße Wahrnehmungsurteile. Diese bedürfen nur der logischen Verknüpfung der Wahrnehmungen in einem denkenden Subjekt. Die Erfahrungsurteile dagegen erfordern jederzeit außer der Vorstellung der sinnlichen Anschauung noch besondere im Verstand erzeugte Begriffe, welche es erst machen, daß das empirische Urteil objektiv gültig wird. So ist z. B. der Satz: wenn die Sonne einen Stein bescheint, so wird er warm, ein bloßes Wahrnehmungsurteil; es enthält keine Notwendigkeit; denn diese Wahrnehmungen finden sich nur gewöhnlich verbunden. Sagt man aber: die Sonne erwärmt den Stein, so kommt über die Wahrnehmung noch der Verstandesbegriff der Ursache hinzu, der den Begriff des Sonnenscheins mit dem der Wärme verknüpft und das synthetische Urteil wird notwendigerweise allgemeingültig und dadurch das Wahrnehmungsurteil zu einem Erfahrungsurteil. 30. Gegen diese Ausführung läßt sich zunächst Folgendes einwenden. Warum soll ein Urteil wie dieses: so oft ich bisher sah, daß die Sonne eine Zeit lang einen Stein beschien, fühlte ich, daß dieser allmählich wärmer wurde, nicht ein Erfahrungsurteil heißen? Es unterscheidet sich von den einander ähnlichen singulären Urteilen, aus denen es durch Induktion gebildet ist, vermöge seiner komparativen [vergleichenden,wp] Allgemeinheit und ich mache damit eine Erfahrung, die allerdings zunächst nur für mich subjektive Geltung hat. Wenn aber alle anderen Individuen meiner Gattung unter denselben Umständen immer dieselbe Folge von Empfindungen des Gesichts und Gefühls wahrnehmen, so erhält das Urteil eine allgemein-subjektive Geltung und drückt eine menschliche Erfahrungstatsache von komparativer Allgemeinheit aus. Andererseits ist dagegen der Satz: die Sonne erwärmt den Stein, sie ist die Ursache, seiner zunehmenden Wärme, gar nicht mehr der Ausdruck einer reinen Erfahrung, sondern die kurze Andeutung einer Erklärung der vorgedachten, nur auf einer Reihe einander ähnlicher Wahrnehmungen beruhenden Erfahrungstatsache, welche Erklärung vollständiger etwa lauten würde: weil die Lichtstraheln der Sonne zugleich Wärmestrahlen sind, die in den Stein eindringen und die, weil dieser sie langsamer an die ihn umhüllende Luft abgibt, als sie eindringen, sich in ihm anhäufen, so muß der Stein allmählich wärmer werden. Allerdings wird dadurch begreiflich, daß die Erwärmung des Steins eine notwendige Folge des andauernden Bescheinens desselben durch die Sonne ist und wird nun, wie KANT sagt, der Begriff der Wärme mit dem des Sonnenscheins notwendig verknüpft. Aber diese Notwendigkeit wird erst durch Subsumtion des durch bloß formalen Verstandesgebrauch aus den gegebenen Wahrnehmungen gezogenen assertorischen [als gültig behaupteten - wp] Urteils (immer wenn die Sonne usw. wird der Stein warm) unter den a priori gültigen Grundsatz: jeder Ursache folgt notwendigerweise eine Wirkung nach (weil eine Ursache ohne Wirkung undenkbar ist). Diese Subsumtion macht jedoch nicht erst das aus den Wahrnehmungen gezogene Urteil zu einem Erfahrungsurteil. Denn gerade die bloß assertorische [behauptende - wp] (nicht die apodiktische [logisch zwingende, demonstrierbare - wp]) Modalität und die nur komparative (nicht strenge) Allemeinheit eines Urteils ist das Kennzeichen, daß es eben ur aus der Erfahrung stammt. KANT schärft ja oft und nachdrücklich ein, daß streng allgemeine und notwendige Urteile nicht aus der Erfahrung entspringen, sondern Erzeugnisse der Verstandestätigkeit sind. In denselben Prolegomenen (§ 14) sagt er:
31. KANT scheint der Widerspruch mit diesen seinen eigenen Bestimmungen, in den er verfällt, indem er für das Erfahrungsurteil notwendige Gültigkeit fordert, ganz entgangen zu sein. Denn er sucht sich hier (in den Prolegomenen) darüber auf folgende Weise zu rechtfertigen. Wenn ein Urteil mit seinem Gegenstand übereinstimmt, in welchem Falle es objektiv gültig heißt, so muß es auch für jedes urteilende Subjekt (für jedermann) gültig sein. Aber auch umgekehrt, wenn wir Ursache haben, notwendigerweise ein Urteil für allgemeingültig zu halten (was - setzt KANT hinzu - niemals auf Wahrnehmung, sondern auf einem allgemeinen Verstandesbegriff beruth), so müssen wir es auch für objektiv gültig halten, daß es nämlich nicht bloß eine Beziehung der Wahrnehmung auf ein Subjekt, sondern die Beschaffenheit des Gegenstandes ausdrückt. Denn es wäre nicht einzusehen, aus welchem Grund die Urteile anderer notwendig mit dem meinigen übereinstimmen müßten, wenn es nicht die Einheit des Gegenstandes wäre, auf die sich alle Urteile beziehen müßten. Es sind daher objektive Gültigkeit und notwendige Gültigkeit Wechselbegriffe; und obgleich wir das Objekt nicht kennen, so ist doch, wenn wir ein Urteil als allgemeingültig, mithin als notwendig ansehen, eben darunter die objektive Gültigkeit verstanden. Wir erkennen durch dieses Urteil das Objekt (wenn es auch, wie es an sich beschaffen sei, unbekannt bleibt) durch die allgemeingültige und notwendige Verknüpfung der Wahrnehmungen; und da dies bei allen Gegenständen der Sinne der Fall ist, so werden Erfahrungsurteile ihre objektive Gültigkeit nicht von der unmittelbaren Erkenntnis des Gegenstandes (denn diese ist unmöglich), sondern bloß von der Allgemeingültigkeit des empirischen Urteils entlehnen, die aber, wie gesagt, niemals auf empirischen Bedingungen, sondern auf reinen Verstandesbegriffen beruth. Wenn - so heißt es zum Schluß - durch den Verstandesbegriff die Verknüpfung der Vorstellungen, die unserer Sinnlichkeit gegeben sind, allgemeingültig bestimmt wird, so wird der Gegenstand durch dieses Urteil bestimmt und das Urteil ist objektiv. 32. Der Begriff der objektiven Gültigkeit eines Urteils wird hier in einem zweifachen Sinn gebraucht. Nach seiner ersten und eigentlichen Bedeutung ist darunter die Übereinstimmung eines Urteils mit seinem Gegenstand zu verstehen. Wird nun gefordert, daß das, was das Urteil über den Gegenstand aussagt, mit der Beschaffenheit, die dieser an sich, d. h. unabhängig von unserem Wahrnehmen und Denken haben mag, übereinstimme, so sind, da wir diese Beschaffenheit weder durch unsere Sinnlichkeit noch durch unseren Verstand zu erkennen vermögen, sind uns Menschen in dieser Bedeutung des Wortes objektiv gültige Urteile unmöglich. Man kann nun aber auch zweitens unter objektiv gültigen Urteilen solche verstehen, die eine mehr als bloß subjektive Geltung in Anspruch nehmen dürfen. Bloß subjektiv sind nun alle auf Wahrnehmung beruhende Urteile insofern, als sie von der besonderen eigentümlichen sinnlichen Organisation des wahrnehmenden Subjekts abhängen. Unabhängig von dieser Beschränkung und insofern allgemeingültig sind dagegen solche Urteile, die für alle (wie wir) denkende Wesen Gültigkeit haben, also auf reinen Denkgesetzen beruhen. Nennt man nun dergleichen Urteile in der zweiten Bedeutung objektiv gültige, so sind nicht sowohl, wie KANT sagt, Allgemeingültigkeit und objektive Gültigkeit Wechselbegriffe als vielmehr schlechthin identische Begriffe. Von dieser Art objektiver Gültigkeit sind alle allgemeinen und notwendigen Urteile überhaupt, daher auch diejenigen, die unmittelbar aus reinen Verstandesbegriffen folgen. Aber man hat sich sehr zu hüten, dieser zweiten Bedeutung des objektiv Gültigen die erste zu unterschieben. In diesen Fehler verfällt KANT, wenn er objektive Gültigkeit und notwendige Gültigkeit für Wechselbegriffe erklärt und daher behauptet, daß wenigstens aus solchen notwendigen Urteilen, die unmittelbar auf Verstandesbegriffen beruhen, auch die Übereinstimmung derselben mit ihrem Gegenstand folge, mithin ihnen in diesem Sinne objektive Gültigkeit zukomme. 33. Wenn nämlich KANT sagt: Wahrnehmungsurteile erhalten erst durch Subsumtion unter Verstandesbegriffe objektive Gültigkeit, so ist das in der zweiten Bedeutung des Ausdrucks richtig. Denn ihre assertorische Modalität geht dadurch in apodiktische, ihre nur komparative Allgemeinheit in strenge Allgemeinheit über, sie werden gültig für jedes denkende Wesen. Aber Übereinstimmung mit ihrem Gegenstand und somit objektive Gültigkeit in der ersten Bedeutung wird ihnen dadurch nicht verliehen. Denn Einstimmigkeit mit dem Gegenstand an sich, mit dem transzendentalen Objekt, ist uns, wie schon bemerkt, nicht erreichbar; Übereinstimmung mit dem Gegenstand der Wahrnehmung muß aber jedes Wahrnehmungsurteil haben, da es ohne diese gar keinen Anspruch auf, wenn auch nur subjektive, Gültigkeit hätte. Überdies bestimmt, unter der Voraussetzung seiner Gültigkeit, erst die Form desselben, welcher von allen Verstandesbegriffen hier anwendbar ist, unter welchen es allein subsumiert werden kann. Allerdings haben die Verstandesbegriffe und die aus ihnen unmittelbar hervorgehenden allgemeinen und notwendigen Urteile eine, wenn auch unbestimmte Beziehung auf Objekte überhaupt, denn sie stellen Eigenschaften und Verhältnisse jedes denkbaren Objekts dar. Aber sie setzen nicht selbst bestimmte Objekte, sondern erwarten, daß diese ihnen anderswoher dargeboten werden. Dies geschieht nun nach KANT in der empirischen Anschauung und die Deduktion der Kategorien beweist, daß zwischen den Gegenständen der empirischen Anschauung und den Formen der Verstandesbegriffe eine durchgängige Einstimmigkeit besteht und nur durch Anwendung dieser Begriffe auf jene Anschauungen wahre Erkenntnis gewonnen werden kann. Die Kategorien und di aus ihnen fließenden allgemeinen und notwendigen Urteile empfangen jedoch erst durch den Nachwies ihrer Anwendbarkeit auf Gegenstände der empirischen Anschauung und die darauf sich gründenden assertorischen und komparativ allgemeinen Urteile objektive Gültigkeit in der ersten und eigentliche Bedeutung: sie verleihen nicht umgekehrt dieselbe diesen letzteren. Wenn also KANT behauptet, daß erst durch die Subsumtion unter Verstandesbegriffe Wahrnehmungsurteile objektive Gültigkeit in der ersten und eigentlichen Bedeutung erhalten und erst dadurch zu Erfahrungsurteilen werden, so steht das in Widerspruch mit dem, was die Deduktion der Kategorien lehrt. 34. Um das alles noch am obigen Beispiel KANTs zu erläutern, so ist in demselben der Kausalbegriff der Verstandesbegriffe, aus dem unmittelbar das allgemeine und notwendige, daher allgemein (für jedes denkende Wesen) gültige Urteil: jede Ursache muß eine Wirkung haben, folgt. Andererseits steht in dem aus wiederholten Wahrnehmungen gewonnenen empirischen Urteil: immer wenn die Sonne einen Stein bescheint, so wird er warm, die Konsequenz, Wärmezunahme, zur Antezedens [dem Vorhergehenden - wp], Bescheinung des Steins durch die Sonne, im Verhältnis einer Zeitfolge. Erst dadurch ist die Anwendbarkeit des Kausalbegriffs (und gerade nur dieses unter den übrigen Kategorien) angezeigt. Denn nach KANT ist die Kausalität eine Regel der Zeitfolge und er sagt ausdrücklich (23):
35. Erinnern wir uns jetzt an KANTs Versicherung, der Grundsatz, der seinen Idealismus bestimme und regiere, sei: nur in der Erfahrung ist Wahrheit, so hat die vorstehende Analyse seines Erfahrungsbegriffs gezeigt, wieviel daran fehlt, daß von ihm die Erfahrung als ein Gegengewicht zu den Überbegriffen der Spekulation betrachtet wird, daß ihr auch nur die Rolle übertragen würde, die Ergebnisse der letzteren zu kontrollieren. Denn erst nachdem der Verstand den auf Wahrnehmungen gegründeten Urteilen das Siegel seiner Kategorien aufgedrückt hat, werden sie wahr und zu Erfahrungsurteilen. Der Verstand ist es, der mit Hilfe der ihm untergeordneten Einbildungskraft aus den ihm gegenüber machtlosen Empfindungen die Erfahrung macht, er ist der Schöpfer der Erfahrung. Dieser überwiegend idealistische Geist durchzieht die ganze Erkenntnistheorie KANTs und tritt in den Grundsätzen des reinen Verstandes, insbesondere in den Analogien der Erfahrung, am schärfsten hervor. Die dominierende Stellung, die KANTs Idealismus den Verstandesbegriffen auf dem Gebiet der Erfahrung zuweist, veranlaßten ihn schon in der ersten Auflage der Kritik (Seite 127) zu dem Ausspruch:
Unter den reinen und allgemeinen Gesetzen der Natur sind ohne Zweifel die Grundsätze des reinen Verstandes, also die Axiome der Anschauung, die Antizipationen der Wahrnehmung, die Analogien der Erfahrung und die Postulate des empirischen Denkens gemeint, die nach KANTs Theorie jeder möglichen Erfahrungswelt Gesetzmäßigkeit verleihen. Von ihnen werden nun empirische Gesetze unterschieden, die nur in der wirklichen Welt der Erscheinungen Geltung haben und als besondere beschränkende Bestimmungen jener allgemeinen Gesetze anzusehen sind, weil doch die konkrete Wirklichkeit vom allgemein Möglichen unterscheidbar sein muß. Der naturwissenschaftliche Sprachgebrauch nennt jedoch nicht alle Naturgesetze empirische, sondern nur solche, die durch Induktion aus Reihen von Beobachtungen und Experimenten abgeleitet sind und stets nur in Sätzen von assertorischer [behaupteter - wp] Modalität und komparativer [vergleichender - wp] Allgemeinheit ihren Ausdruck finden, nicht aber schon auf allgemeine und notwendige Geltung Anspruch erheben kann. Sie haben eben nur tatsächliche, erfahrungsmäßige Geltung und hieraus erhellt sich, daß der naturwissenschaftliche Begriff von Erfahrung ein ganz anderer ist, als der Kantische, daß die Naturwissenschaft diesen empirischen Gesetzen volle objektive Gültigkeit zuerkennt. So sind z. B. die Keplerschen Gesetze empirische, die nichts weiter aussagen, als daß die Planeten sich (im Mittel) nach diesen Gesetzen wirklich um die Sonne bewegen. Jedes empirische Gesetz fordert nun allerdings auf, Antwort zu geben auf die Frage, warum es so und nicht anders ist, der Erklärungsgrund aufzusuchen, von dem es eine notwendige Folge ist, was in Bezug auf die KEPLERschen Gesetze NEWTONs Gravitationsgesetz leistete. Ebenso sind die Gesetze der Zurückwerfung, Brechung, Farbenzerstreuung, Beugung, usw. des Lichts empirische Gesetze, die längst feststanden, bevor es gelant, sie aus dem Gesetz der Undulation des Lichtäthers befriedigend zu erklären. Aber durch die Erklärung wird das empirische Gesetz nicht erst sichergestellt, sondern nur deduziert, d. h. dem denkenden Verstand begreiflich gemacht und die Erklärung muß sich nach dem, was das empirische Gesetzt bereits festgestellt hat, richten. Was zweitens den Unterschied betrifft, der zwischen Erfahrung überhaupt und derjenigen Erfahrung bestehen soll, die, wie KANT sagt, hinzukommen muß, um empirische Gesetze der Natur kennen zu lernen, so läßt sich KANT nicht darauf ein, ihn näher zu erörtern. Hätte er es getan, so würde ihm schwerlich entgangen sein, daß es nur eine Art von Erfahrung gibt, daß sein Begriff von "Erfahrung überhaupt" fehlerhaft ist, weil in den empirischen Anschauungen, in denen alle Erfahrung wurzelt, nicht bloß der Stoff, sondern auch die bestimmten Formen der Gegenstände der Wahrnehmung gegebene sind und der Verstand bei der Aufstellung von empirischen Gesetzen der Erscheinungen sich nach diesem Gegebenen richten muß. 37. In derselben Weise ist nun auch die berühmte Stelle in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der r. V. (Seite XVI) zu beurteilen, wo KANT sein kritisches Unternehmen im Vergleich mit den Versuchen der Metaphysiker, durch bloße Begriffe zu einer Erkenntnis der Dinge zu gelangen, als eine Revolution der Denkart bezeichnet, von ähnlicher Art wie die Umwälzung, die KOPERNIKUS in unsere Vorstellung von den Bewegungen der Himmelskörper gebracht hatte. Gleichwie nämlich dieser, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fortgewollt, wenn man annahm, das ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, versucht hat, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen und dagegen die Sterne in Ruhe ließ, so möge man es doch einmal auch versuchen, nachdem die Annahme, unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten, zu keiner haltbaren Erkenntnis der Dinge geführt habe, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Dinge müssen sich nach unserer Erkenntnis (will sagen: nach der Organisation unseres Erkenntnisvermögens) richten. In der Tat ist KANT in ähnlichem Sinne Reformator wie es Kopernikus war. Denn es war ein glücklicher und fruchtbarer Gedanke, den subjektiven Bedingungen der Möglichkeit einer Erkenntnis der Dinge nachzuforschen. Wahrnehmen, Vorstellen und Denken sind die Geistestätigkeiten, aus deren Ineinandergreifen unsere Erkenntnis entspringt. Gibt es Dinge außer uns, so können wir uns jedenfalls von ihnen nur solche Vorstellungen und Begriffe bilden, die nach den Gesetzen unserer Erkenntnistätigkeiten möglich sind. Insofern haben wir allerdings Grund zu sagen: unsere Erkenntnis der Dinge muß sich nach den gesetzlichen Einrichtungen unseres Erkenntnisvermögens richten. Aber andererseits findet doch der Gebrauch der Vorstellungen und Begriffe, die wir teils ursprünglich besitzen, teils durch Kombinationen und Modifikationen derselben uns weiter daraus bilden können, seine Schranke an dem, was uns in den empirischen Anschauungen gegeben ist und das, wie es sich zeigte, mehr ist als das bloß Stoffliche. Insofern müssen sich also unsere Vorstellungen und Begriffe nach dem Gegebenen richten. Führt man nun den Zwang, den uns alles Gegebene antut, auf die Einwirkung von Dingen zurück, so muß sich, wenigstens mittelbar, doch zugleich unsere Erkenntnis nach den Dingen richten. Und eben dies hat KANT übersehen. 38. Auch die Reform der Astronomie wurde durch KOPERNIKUS nur glücklich eingeleitet. KEPLER, mit derselben, in Absicht auf die tägliche Umdrehung der Erde und ihren, sowie aller Planeten, Umlauf um die Sonne völlig einverstanden, sah sich doch genötigt, hinsichtlich der Bewegungsgesetze der Planeten die Astronomie noch einmal zu reformieren. Denn KOPERNIKUS beseitigte zwar die Epizyklen des Ptolemäischen Systems, aber es sollten sich doch noch die Planeten auf dem Umfang von Kreisen bewegen, deren Mittelpunkte gegen den Mittelpunkt der Sonne eine exzentrische Lage hatten und alle diese Bewegungen sollten gleichförmige sein. Diese kreisförmige und gleichmäßige Bewegung war in der griechischen Astronomie den Himmelskörpern a priori dekretiert; denn sie schien die einfachste und vollkommenste, daher den Planeten als überirdischen Wesen, angemessenste Bewegungsform zu sein. Auch KEPLER war ursprünglich in diesem philosophischen Vorurteil befangen. Aber alle seine Versuche, die genaueren Beobachtungen des TYCHO de BRAHE über den Planeten Mars mit dieser Hypothese in Übereinstimmung zu bringen, scheiterten. Seine rastlosen Bemühungen wurden erst von einem glänzenden Erfolg gekrönt, als er sich von jener Hypothese frei machte und sich mit seinen Berechnungen nach dem durch TYCHOs Beobachtungen Gegebenen richtete, wo denn bekanntlich die exzentrischen Kreisbahnen den elliptischen und die gleichförmige Bewegung einer ungleichförmigen, aber an ein periodisches Gesetz gebundenen, weichen mußte. Vielleicht kann man auch von KANT sagen, daß ein Vorurteil unvermerkt seiner Erkenntnistheorie einen idealistischeren Charakter aufgeprägt habe, als es in seiner Absicht lag. Die Idee von der hohen Würde der Vernunft rechtfertigte es, dieser auf moralisch-praktischem Gebiet die Dignität des Gesetzgebers zu übertragen. Es war verlockend, ihr auch im theoretischen Feld eine ähnliche Stellung zuzuweisen, der reinen theoretischen Vernunft, d. h. den Formen der Sinnlichkeit und den Kategorien des Verstandes die Macht zuzutrauen, aus dem unscheinbaren Material der Empfindungen die Erscheinungswelt aufzubauen und ihr Gesetze vorzuschreiben. KANT lehnte es zwar ab, ohne Einschränkung dieser Ansicht zu sein; aber seine Erkenntnistheorie widersprach in der Tat dieser Deutung nicht. Und wenn er von ihr sagte, daß sie nur von der Erfahrung überhaupt Belehrung gebe, so hieß das nichts anderes, als sie mache nur die Möglichkeit einer Erfahrung im allgemeinen begreiflich. Was aber zu diesem Möglichen hinzukommen muß, um die wirkliche Erfahrung in ihrer konkreten Bestimmtheit zu begreifen, das näher anzugeben vermochte er nicht. - Man kann in KANT aufrichtig den Kopernikus der Erkenntnistheorie verehren, ohne jeoch zu verkennen, daß er für einen KEPLER noch Platz gelassen hat.
22) Auch NEWTON hielt, nachdem er gefunden hatte, daß die Bewegung eines Himmelskörpers um einen Zentralkörper nach den KEPLERschen Gesetzen unter Voraussetzung seines Gravitationsgesetzes begreiflich werde, dieses deshalb noch nicht für ein Naturgesetz, sondern bloß für ein hypothetisches Erklärungsprinzip. Erst von da ab wurde es ihm zu einem Naturgesetz von realer Gültigkeit, als ihm die Rechnung ergeben hatte, daß die Anziehungskraft der Erde, welche die Körper an ihrer Oberfläche nach GALILEIs experimentell bestätigtem Gesetz zum Fallen nötigt, nur dann, wenn sie sich bis zum Mond erstreckt und nach dem Gravitationsgesetz abnimmt, die Erhaltung des Mondes in seiner Bahn um die Erde erklärt. Erst durch diesen nachgewiesenen Zusammenhang mit der tatsächlich gegebenen Schwerkraft erhielt das Gravitationsgesetz objektive Gültigkeit. 23) KANT, Kritik d. r. V., 1. Auflage Seite 203, 2. Auflage Seite 249 24) Gerade darauf legt aber KANT das größte Gewicht. Denn er findet es im Eingang von § 21a der Prolegomena für nötig, seine Leser daran zu erinnern, "daß hier nicht von der Entstehung der Erfahrung die Rede ist, sondern von dem, was in ihr liegt." |