Th. AchelisM. DrobischTh. LippsF. MauthnerCh. SigwartK. Lasswitz | ||||
Historische und kritische Bemerkungen zum Zweckbegriff
2) Wie hat Kant Zweckbegriff und Zweckbehauptung gestaltet, und welche Vorbereitungen lagen ihm vor? 3) Hat Kant mit seiner Abänderung des Zweckbegriffs wohlgetan?
2) daß dieses Letzte ein Gut ist (beltiston [das Treffliche - wp] oder agathon [das Gute - wp]). Die Hauptbeweise, daß solche Zwecke in der Natur anzunehmen sind, soweit ihnen noch heute eine Bedeutung zukommt, sind:
Der zweite Hauptbeweis für die Objektivität des Zwecks in der Natur sind nach Aristoteles die Tiere und auch die Pflanzen (6). Bei dieser ganzen Zwecklehre muß man schließlich vor Augen haben, daß nach ARISTOTELES die erste Ursache so wirkt, wie das Geliebte wirkt, kinei os epomenon [bewegt sich zum nächsten - wp] und daß nach ihm alles in der Welt danach strebt, die ihm mögliche Vollkommenheit wirklich zu machen. Die Vollkommenheit jedes Dings, d. h. die Betätigung der ihm möglichen Formen, wohnt jedem inne wie ein dunkler seelischer Trieb, der durch Gottes Dasein unter Vermittlung des Fixsternhimmels und der Planetensphären mit ihren gleichfalls geistigen Bewegern realisiert wird, weshalb ARISTOTELES dann auch den Begriff der Seele aus dem des Zwecks bloß als eine Steigerung desselben abzuleiten imstande war. Diesem aristotelischen Zweckbegriff und der aristotelischen Zweckbehauptung haben sich im Mittelalter AVERROES und THOMAS von AQUIN, die beiden nachwirkendsten Geister der Zeit für das Abendland, in allem Wesentlichen angeschlossen. Nach AVERROES ist jedes Letzte, welches edler (nobilius) ist als das Frühere, ein Zweck (9), der Zweck ist ein erstrebtes Gut (bonum) (10). Und zwar besteht dieser Zweck in der Form, wie bei ARISTOTELES (11). Auch die Beweise für die Objektivität des Zwecks in der Natur akzeptiert AVERROES. Den Schluß von der Kunst auf die Natur erläutert er so: wäre z. B. das Nasenbluten in gewissen Fällen kein Zweck der Natur zur Hervorbringung der Heilung, so würde man auch nicht sicher sein können, daß der Aderlaß eine Hilfe für die Natur bei Krankheiten ist (12). Sonst hat er nichts Eigentümliches, außer daß er die Wichtigkeit des Zweckbegriffes in scientia divina nachdrücklich betont; - - wenn der divinus (d. h. der, welcher über die letzte Ursache forscht) die Zwecklehre nicht zugesteht, so kann er nicht beweisen, daß Gott sich um die Dinge auf Erden kümmert (13), ein Satz, der offenbar von der mohammedanischen Gottesidee aus beeinflußt ist. Das Bemerkenswerteste aus THOMAS' Kommentar zur Physik (14) ist: Merkmale des Zwecks sind 1) Letztes, 2) Bestes (ultimum et optimum), und zwar ist die Form, das vollendete wirksame Sein jedes Dings ansich der Zweck (15). Den Gedanken, daß die Kunst die Natur nachahmt, führt THOMAS so aus:
Auch im Beginn der neueren Philosophie wurde am Begriff des Zwecks nichts geändert, namentlich wurde der Gedanke, daß der Zweck ein Gut ist, festgehalten. Dies sieht man gerade daran, daß man zwar im Allgemeinen behauptet, es seien Zwecke in der Welt, aber sich nicht mehr getraut im Einzelnen zu sagen: das und das sind Zwecke; denn damit sagte man zugleich, es ist ein Gut, und zwar dasjenige, um dessentwillen das Ding überhaupt ist. Eben damit schien man aber, wie CARTESIUS es ausdrückt, sich zum Genossen der Ratschläge Gottes zu machen. CARTESIUS verbietet daher, jemals irgendwelche Beweisgründe betreffs der Naturdinge von einem Zweck herzunehmen, welchen sich Gott oder die Natur bei ihrer Hervorbringung gesetzt hat. Wir sollen vielmehr bloß Gott als wirkende Ursache von allem ansehen und aus seinen Attributen, die wir einigermaßen kennen, mit Hilfe des natürlichen Lichts betreffs der Sinnesdinge schließen (19). Ähnlich hatte sich BACON zur Zwecklehre gestellt. Er bestreitet weder den Begriff noch dessen Objektivität, aber man sol in der Naturerklärung keinen Gebrauch von ihm machen.
Der Begriff des Zweckes wurde so nicht geändert, auch die Objektivität der Zwecke in der Welt nicht geleugnet, es sollte für uns Menschen nur sicherer sein, sich an die wirkenden Ursachen zu halten. LEIBNIZ teilte diese Scheu im Gebrauch des Zweckbegriffes nicht. Er schreibt in einem Aufsatz von 1697 (22):
2) daß dieses Letzte ein Gut ist. Was ist nun das Neue und Eigenümliche in der kantischen Behandlung des Zweckes? In der Kritik der Urteilskraft definiert KANT den Zweck als "den Begriff von einem Objekt, sofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieses Objekts enthält" (23), oder als "die vorgestellte Wirkung, deren Vorstellung zugleich den Bestimmungsgrund der verständigen wirkenden Ursache zu ihrer Hervorbringung ist" (24). Das Merkmal des Guten ist hier weggelassen, tatsächlich geblieben ist, daß der Zweck ein Letztes ist, allerdings mit dem bestimmten Sinn: ein Letztes in der Wirklichkeit, das aber im Denken ein erstes war. Dieses Moment, daß der Zweck ursprünglich ein Gedachtes ist, hebt KANT sehr nachdrücklich hervor; in der aristotelischen Definition war dies infolge der ganz eigentümlichen Auffassung von Gott und der Welt weniger geschehen, aber vom Mittelalter an war bei einem veränderten Gottesbegriff dieses Moment immer mitverstanden worden, wie es dann bei BAUMGARTEN und MEIER deutlich vorhanden ist. Der Verstand gehört so sehr zum Zweckbegriff nach KANT, daß nach ihm eine ontologische Einheit der Dinge in der Welt á la SPINOZA noch keineswegs sofort eine Zweckeinheit ist und diese keineswegs begreiflich macht:
2) daß die Teile desselben sich dadurch zur Einheit eines Ganzen verbinden, daß sie voneinander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form nach sind (27).
"Daß aber, weil wir diese Dinge nur unter der Idee der Zwecke in ihrer Kausalverbindung verfolgen und diese nach ihrer Gesetzmäßigkeit erkennen können, wir auch berechtigt wären, eben dies auch für jedes denkende und erkennende Wesen als notwendige, mithin dem Objekt und nicht bloß unserem Subjekt anhängende Bedingung vorauszusetzen, das müßten wir hierbei (bei einer dogmatischen Aufstellung der Teleologie) unvermeidlich behaupten wollen. Aber mit einer solchen Behauptung kommen wir nicht durch. Denn da wir die Zwecke in der Natur als absichtliche eigentlich nicht beobachten, sondern nur in der Reflexion über ihre Produkte diesen Begriff als einen Leitfaden der Urteilskraft hinzu denken, so sind sie uns nicht durch das Objekt gegeben. A priori aber ist es sogar für uns unmöglich, einen solchen Begriff, seiner objektiven Realität nach, als annehmungsfähig zu rechtfertigen." (30) Da in den obigen Worten, daß "wir die Zwecke in der Natur als absichtliche eigentlich nicht beobachten", eine Kritik eines aristotelischen (als solchen freilich KANT gewiß unbekannten) Gedankens hervortritt, so mag auch erwähnt sein, daß die Mißgeburten gleichfalls KANT kein Zeichen für Teleologie sind, er sagt schlechthin, daß man dieselben unmöglich für Zwecke der Natur halten kann, und hat für versuchte andere Ausdeutungen bloß Spott übrig (32). Außer daß diese Teleologie immer ein selbstgemachtes Prinzip der Urteilskraft bleibt, führt sie nach KANT aber auch zu keinem bestimmten Begriff eines Wesens, dessen Verstand dabei als Grund der Zweckmäßigkeit angenommen wird. Man kommt mit ihr nur zu einem Kunstverstand für zerstreute Zwecke (33); es bleibt unausgemacht, ob jene oberste Ursache ... nicht durch einen von der bloßen Notwendigkeit seiner Natur zur Hervorbringung gewisser Formen bestimmten Verstand (nach Analogie mit dem, was wir bei den Tieren Kunstinstinkt nennen) Urgrund derselben ist; (34) die physische Teleologie, wenn sie - konsequent verfahren sollte, könnte für sich allein nichts als eine Dämonologie begründen, welche keines bestimmten Begriffs fähig ist (35). Von einem Zweck in diesem Sinne mit dem bloßen Merkmal: Letztes in der Sache, Erstes im Denken, unterscheidet KANT aber noch den Endzweck. Er sagt:
In dieser Lehre ist der eigentümlichste Punkt der, daß KANT zwischen Endzweck und Zweck so unterscheidet, daß er im Begriff des Zwecks das bisher übliche Merkmal des Guten wegläßt. Zweck ist ihm wesentlich soviel wie ein Ganzes, das man sich nicht anders verständlich machen kann, als daß man annimmt, es ist zuerst gedacht worden, ehe es realisiert wurde. Hatte KANT zu dieser Fassung des Zweckbegriffs Vorbereitungen? Solche Vorbereitungen finden sich im Begriff der Vollkommenheit, wie er in der neueren Philosophie lang bestimmt worden war und wie er ihm durch die WOLFFsche Schule dargereicht wurde. BAUMGARTEN erklärt: Wenn viele Sachen zusammengenommen den hinreichenden Grund von Einem enthalten, so stimmen sie zu diesem Einen zusammen (consentiunt). Die Zusammenstimmung selbst ist die Vollkommenheit (46). Die Zusammenstimmung der innerlichen Bestimmungen eines Dings ist die innerliche Vollkommenheit (47). Aus dieser Vollkommenheit resultiert die Schönheit:
Da nach KANT die Organismen uns den Begriff der Naturzwecke aufdrängen und in diesen das Hervorstechendste ist eine keineswegs selbstverständliche Zusammenstimmung der Teile zu einem Ganzen, so liegt es zutage, daß sein Begriff des Zweckes im Unterschied vom Endzweck vorbereitet war durch die Fassung der Vollkommeheit = Zusammenstimmung von Vielem zu Einem. Ein Unterschied ist aber der, daß den Vorgängern eine Zusammenstimmung von Vielem zu Einem nicht bloß eine Vollkommenheit war, sondern auch ein Gut. Nach BAUMGARTEN sind alle Dinge wesentlich vollkommen, weil die wesentlichen Stücke eines jeden Dings zusammenstimmen zu seinem Wesen und zu den Eigenschaften (54); eben damit sind auch alle Dinge wesentlich gut; denn Dasjenige was so beschaffen ist, daß, wenn es gesetzt wird, zugleich eine Vollkommenheit gesetzt wird, ist gut (55). KANT hat sich diese Wendung nicht angeeignet; denn sonst müßte er in seinem Begriff vom Zweck das Merkmal des Guten mit aufgenommen haben. Im Grund ist also Zweck bei KANT soviel wie Einheit eines Mannigfaltigen, sofern sie nicht selbstverständlich ist. In der Tat hat KANT das Zusammentreffen der Wahrnehmungen mit den Kategorien nicht unter den Begriff der Zweckmäßigkeit gestellt, weil der Verstand damit unabsichtlich nach seiner Natur notwendig verfährt (56). Dagegen die empirischen (d. h. die nicht schon durch den reinen Verstand gegebenen) Gesetze der Natur so vorstellen, als ob ein Verstand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen derselben enthält, ist nach ihm genau der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur (57). Daß die Bewährung dieser Maxime der Urteilskraft im einzelnen Fall mit Lust, ja mit Bewunderung in uns verbunden ist, hat er hervorgehoben (58), auch die Beziehung dieser Zweckmäßigkeit auf unsere Erkenntnisvermögen, "um (ihnen) ein System der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen möglich zu machen", ausdrücklich in den allgemeinen Ansatz aufgenommen (59), aber das Merkmal des Guten, das doch wohl hierin angedeutet liegt, immer wieder fallen lassen. Daß KANT das Organische zum Ausgangspunkt seiner Lehre vom Naturzweck machte, ist leicht abzuleiten. In den Organismen ist die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen evident, nun beruth nach KANT die ganze Schwierigkeit, welche die Frage wegen der ersten Erzeugung eines in sich selbst Zwecke enthaltenden und durch sie allein begreiflichen Dings umgibt, auf der Nachfrage nach einer Einheit des Grundes der Verbindung des in sich getrennten Mannigfaltigen in diesem Produkt. (60) Die Materie ist ein Aggregat vieler getrennter Substanzen, in ihr kann also die Ursache der zweckmäßigen Form nicht liegen (61); die Möglichkeit einer lebenden Materie (deren Begriff einen Widerspruch enthält, weil Leblosigkeit, inertia [Reglosigkeit - wp], den wesentlichen Teil derselben ausmacht) läßt sich nicht einmal denken (62). KANT fußt somit auf seinem Begriff der Materie, wie er ihn in den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaften bestimmt hatte, wonach die Materie eine äußere Erscheinung im Raum ist und näher das Beweglich im Raum, das, was einen Raum erfüllt und durch seine Bewegung eine bewegende Kraft auf etwas anderes Bewegliches äußert. Aus dem Begriff der Materie läßt sich also der Grund der Einheit des Organismus nicht einsehen. Aber noch mehr. Ein organisiertes Wesen ist nach KANT nicht bloß Maschine; denn die hat lediglich eine bewegende Kraft, sondern es besitzt in sich bildende Kraft, und zwar eine solche, die es den Materien mitteilt, welche sie nicht haben (sie organisiert); also ein sich fortpflanzende bildende Kraft, welche durch das Bewegungsvermögen allein (den Mechanismus) nicht erklärt werden kann (63).
"Ich kann daher ... über die Möglichkeit jener Dinge und ihrer Erzeugung nicht anders urteilen, als wenn ich mir zu dieser eine Ursache, die nach Absichten wirkt, mithin ein Wesen denke, welches nach der Analogie mit der Kausalität eines Verstandes produktiv ist." (65) Unsere letzte Frage ist: Hat KANT mit der Änderung wohlgetan, daß er aus dem Zweckbegriff das Merkmal des Guten strich und dasselbe bloß für den Endzweck im Unterschied vom Zweck reservierte? Das Eigentümliche seines Zweckbegriffs ist dessen bloße Intellektualität: Zweck ist, was als Ganzes aus Teilen so besteht, daß man der Vorstellung nicht entraten kann, das Ganze mußte zuerst gedacht sein und die Teile dann in Beziehung auf dieses Ganze zusammengebracht. Er selbst denkt von dieser Intellektualität nicht groß, er vergleicht sie mit dem Kunstverstand oder den Kunstinstinkten der Tiere. Es ist das frelich eine Erläuterung per obscuris [durch Unklarheit - wp], da wir von diesen Kunsttrieben kaum eine klare Vorstellung haben. Suchen wir daher eine menschliche Analogie zum kantischen Gedanken. Da Wertbestimmungen ausgeschlossen sein sollen und doch das Denken der Realisierung voraufgehen soll, so würde die beste Analogie das sogenannte Handeln nach fixen Ideen, daß also der Gedanke von etwas auftaucht und (angeblich zumindest) ohne alle Einmischung von Wertgefühlen durch eine Zusammenordnung von Bewegungen seine Realisierung vollzogen wird. Hier ist, so viel sich das konstruieren läßt, bloße Intellektualität vorhergehend und eine Mannigfaltigkeit, die zur Einheit tendiert, daraus folgend. Aber wird für diesen ganzen Vorgang noch jemand das Wort Zweck anwenden? Über Wortgebrauch läßt sich schwer streiten, ich glaube aber, es wird dem Bewußtsein der Menschheit widerstreben, von einem Zweck zu reden, wo nicht Wertbestimmungen als Grund gedacht sind, derentwegen Gedanken realisiert werden. Es wäre also wohl deutlicher gewesen, wenn KANT gesagt hätte: es gibt Tatsachen in der Natur, welche uns den Gedanken aufdrängen, daß sie nicht anders zustande gekommen sind, als so, daß eine Intelligenz das Ganze zuerst dachte und dann die Teile, welche das Ganze realisieren, in Beziehung auf dasselbe zusammenordnet, aber - und das ist die Hauptsache, auf die er ja eigentlich hinauswollte - eine solche Intelligenz würde an und für sich noch durchaus nicht als Weisheit zu denken sein. Was also KANT erstrebt hat, war die Unterscheidung, daß Intelligenz der Natur zugrunde legen und ihr Weisheit zugrunde legen gar nicht identisch ist, denn Weisheit schließt den Begriff von schlechthin zuz billigenden Endzwecken ein (68). Warum hat aber gerade KANT eine solche Unterscheidung gemacht? Solange Intelligenz überhaupt als ein Gut erschien, solange war alles, was auf einen intelligenten Urheber deutet, nicht bloß ein Gut, weil es Erkennungsmerkmal eines Gutes war, sondern sofern seine Auffassung auch den Gesetzen unserer Intelligenz gemäß war, indem bei ihr Mannigfaltiges in Einheit verknüpft wurde, war es zugleich ein Gut für uns, mochte es auch in sich selbst nicht von seiner Güte = Intelligibilität verspüren; Mannigfaltigkeit zur Einheit stimmend ergab daher einen logischen Wert, wo die Beziehung deutlich war, einen ästhetischen, wo sie verworren war. Für KANT ist aber Intelligenz und Intelligibililität an und für sich noch kein Gut. Daran ist unzweifelhaft das Richtige, daß man sich Intelligenz und Intelligibilität denken kann, welche dabei durch und durch schlecht ist und im Dienst des Schlechten arbeitet; den Teufel hat sich der Volksglaube oft genug so gedacht. Dieses Gedankens hat sich bekanntlich der Pessimismus bemächtigt, um, indem er eine durchgängige Teleologie behauptet, doch diese Welt als die schlechteste unter den denkbaren hinzustellen, ein Unternehmen freilich, das KANT ebensowenig für ausführbar und ausgeführt halten würde, wie er diese Versuche für den Optimismus gelten ließ. Den aristotelischen und lange nachwirkenden Gedanken aber, daß das aktuelle Sein der Dinge als solches ein Gut ist, hat KANT in seinen Erwägungen über den Endzweck (Werke V, Seite 491/92) gar nicht einmal angeführt, offenbar weil ihm der Begriff Gut nur anfängt, wo Werte gefühlt werden können (Ibid. Seite 440). Das Resultat unserer geschichtlichen und kritischen Betrachtungen würde also sein: Es gibt eine doppelte Finalität, eine, welche bloß soviel ist wie: es ist etwas gedacht worden, ehe es so, wie es ist, wirklich wurde, und eine andere, welche bedeutet: es ist etwas nicht bloß gedacht worden vor seiner Wirklichmachung, sondern dieser Gedanke ist auch allein um seines Wertes willen verwirklicht worden. Man könnte den Satz dahin erweitern, daß man sagte: es gibt eine doppelte Vorstellung von einer Rationalität der Welt, eine, welche bloß so viel ist, wie, daß die Dinge vergleichbar sind und überhaupt der Subsumtion fähig, was immerhin den Gedanken hervortreiben mag, sie seien durch eine Intelligenz ursprünglich gedacht worden (z. B. THOMAS von AQUIN), oder sie gingen von einer Intelligenz aus und strebten zur ihr zurück (HEGEL). Daneben würde man aber Rationalität noch in einem anderen Sinne verstehen müssen, in dem der Weisheit als = Intellektualität + Finalität im obigen zweiten Sinn. Es ist freilich damit die Aufgabe, die Welt als vernünftig zu begreifen, sehr viel schwerer geworden; es wird daher gut sein, dieser Schwierigkeit bei solchen Versuchen immer eingedenk zu sein, man wird dann zumindest das punctum quaestionis [worum es geht - wp] eher festhalten.
1) ALEXANDER BAUMGARTEN, Metaphysik (deutsch), Halle 1783, § 242 2) GEORG FRIEDRICH MEIER, Metaphysik, 1765, § 266 3) ARISTOTELES, Physik II c. 2 und c. 3 4) ARISTOTELES, a. a. O., c. 7 5) ARISTOTELES, a. a. O., c. 8 6) Ibid. 7) Ibid. 8) Ibid. 9) ARISTOTELES - de physica auditu cum Averrois - commentariis, Venetiis apud Juntas MDL, Seite 28 und 23. 10) Ibid. Seite 29, 31 11) Ibid. Seite 36, 74 12) Ibid. Seite 37, 79 13) Ibid. Seite 36, 75 14) Thomae Aquinatis opera omnia, Parmae MDCCCLXV, Tom. 18 15) Ibid. Seite 268 16) Ibid. Seite 268 17) Ibid. Seite 289 18) Ibid. Seite 289 19) CARTESIUS, Princc. Philos. I art. 28 20) FRANCIS BACON, Novum organon L. II Aphor. II. 21) FRANCIS BACON, De augm. scient. L. III c. IV. 22) Bei ERDMANN, Leibnitii opera philosophica, Seite 143f 23) KANT, Kritik der Urteilskraft, Werke, Bd. V (Ausgabe Hartenstein) Seite 187 24) KANT, Werke V, Seite 439 25) Ibid. Seite 406 26) Ibid. Seite 378-79 27) Ibid. Seite 385 28) Ibid. Seite 388 29) Ibid. Seite 400 30) Ibid. Seite 412 31) Ibid. Seite 413 32) Ibid. Seite 437 33) Ibid. Seite 454 34) Ibid. Seite 455 35) Ibid. Seite 458 36) Ibid. Seite 439 37) Ibid. Seite 440 38) Ibid. Seite 454 39) Ibid. Seite 448 40) Ibid. Seite 390/91 41) BAUMGARTEN, a. a. O., § 244 42) KANT, Werke V, Seite 440 43) Ibid. Seite 440 44) Ibid. Seite 491/92 45) Ibid. Seite 492 46) BAUMGARTEN, a. a. O., § 73 47) Ibid. § 77 48) Ibid. § 488 49) Ibid. § 98 50) Ibid. § 94 51) LEIBNIZ, De meth. c. II init. 52) NEWTON, Philos. nat. Prr. math. ed. 2 Cantabrigiae 1713, Seite 482 schol. gen. 53) NEWTON, Lausannae et Genevae 1714, Seite 237 54) BAUMGARTEN, a. a. O., § 78 55) Ibid. § 79 56) KANT, Kritik der Urteilskraft, Werke V (Hartenstein Ausgabe) Seite 193-94 57) Ibid. Seite 187 58) Ibid. Seite 194 59) Ibid. Seite 186 60) Ibid. Seite 434 61) Ibid. Seite 434 62) Ibid. Seite 407 63) Ibid. Seite 386/87 64) Ibid. Seite 396 65) Ibid. Seite 410 66) Ibid. Seite 409 67) siehe die eben angeführte Stelle Seite 386/87 68) Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee (Werke VI, Hartenstein, Seite 78, Anm.): "Der eigentümliche Begriff einer Weisheit stellt nur die Eigenschaft des Willens vor zum höchsten Gut als Endzweck aller Dinge zusammenzustimmen, dagegen Kunst nur das Vermögen im Gebrauch der tauglichsten Mittel zu beliebigen Zwecken." In derselben Anmerkung - ein Jahr nach der "Urteilskraft" - hat KANT nichts dagegen, den Kunst verstand, welchen allein er dort aus den organischen Wesen ableiten wollte, in eine Kunst weisheit zu verwandeln, aber einen Schluß auf moralische Weisheit will er damit auch jetzt nicht zulassen. |