ra-2Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen  
 
CHARLES GIDE / CHARLES RIST
Die Physiokraten
[2/3]
I. Die Grundprinzipien
Einleitung
II. Das System

"Dieser Grundunterschied, den die Physiokraten zwischen der landwirtschaftlichen und der industriellen Erzeugung aufstellten, stammt aus der Theologie. Die Erzeugnisse des Bodens sind das Werk Gottes und allein Gott ist der Schöpfer, während die Erzeugnisse der Kunstfertigkeiten Menschenwerk sind und dem Menschen keine Schöpferkraft innewohnt."

"Wohl scheint zwischen der Lehre der  natürlichen Ordnung  und der des  Contrat social  ein absoluter Gegensatz zu bestehen, denn das, was natürlich und spontan ist, kann nicht auf kontraktlicher Übereinkunft beruhen."

"Bedeutet  natürliche Ordnung  nun, daß die menschlichen Gemeinschaften von  natürlichen Gesetzen  regiert werden, von Gesetzen, wie sie die physische Welt, oder besser, wie sie die tierischen Gemeinwesen oder das innere Leben jedes Organismus beherrschen?"

"Die Sicherheit des Eigentums ist die Grundbedingung der ökonomischen Gesellschaftsordnung."

§ 1. Die natürliche Ordnung

Der Grundbegriff des Systems der Physiokraten ist die natürliche Ordnung. Die  natürliche und wesentliche Ordnung der politischen Gesellschaften  (Ordre naturel et essentiel des Sociétés politiques) nennt MERCIER de la RIVIERE sein Buch und DUPONT de NEMOURS definiert die Physiokratie als "die Wissenschaft von der natürlichen Ordnung."

Was ist aber unter diesen Worten zu verstehen?

Zunächst ist es selbstverständlich, daß sie als gegensätzlich zur Auffassung einer künstlichen, einer vom menschlichen Willen geschaffenen Ordnung, eines "Contrat social" verstanden werden müssen (1)

Diese rein negative Definition genügt aber nicht, denn sie gestattet noch verschiedene andere Auslegungen. Zunächst würde man die natürliche Ordnung im Sinn des  Naturzustandes  nehmen können, um sie dem Zustand der Zivilisation, der dann ein künstlicher wäre, gegenüber zu stellen. In diesem Sinne würde der Mensch um die natürliche Ordnung zu finden, zu seinem Anfangszustand zurückkehren müssen.

Diese Auslegung würde sich nicht nur auf gewisse Stellen in dem physiokratischen Werken (2) stützen können, sondern auch auf jene, am Ende des 18. Jahrhunderts sehr starke, geistige Strömung, die den "guten Wilden" in den Himmel erhob, die die Literatur der Zeit, z. B. in den Erzählungen VOLTAIREs, DIDEROTs und MARMONTELs erfüllte und die wir in der anarchistischen Literatur unserer Tage wiederkehren sehen. Trotzdem aber ist sie zu verwerfen. Nichts erinnert weniger an einen Wilden, als ein Physiokrat. Sie waren alle sehr "veramtet"; Juristen, Intendanten (3), Abbés, königliche Leibärzte usw., ganz erfüllt von den Begriffen  Zivilisation, Ordnung, Autorität, Souveränität  und besonders  Eigentum,  das kaum mit dem primitiven Zustand des Wilden vereinbar ist. "Eigentum, Sicherheit, Freiheit fassen die ganze soziale Ordnung zusammen". (4) Sie neigen daher durchaus nicht zu dem Glauben, daß die Menschen irgendetwas verloren hätten, als sie vom wilden zum zivilisierten Zustand übergingen, oder sogar, wie ROUSSEAU behauptete, daß sie im Naturzustand freier wären und durch Annahme des Gesellschaftsvertrages (contrat social) ein Opfer gebracht hätten, noch daß sie, im Fall daß der Vertrag - was meistenteils eintrat - leoninisch [der Löwe behält die Beute für sich allein - wp] ausfiel, in Gefahr gewesen wären, nicht den Gegenwert der aufgegebenen Vorteile wiederzufinden. Hirngespinste!, antworten die Physiokraten. Wenn die Menschen vom Naturzustand zum Zustand der Zivilisation übergehen, so geben sie nicht nur nichts auf, sondern gewinnen im Gegenteil alles. (5)

Bedeutet "natürliche Ordnung" nun, daß die menschlichen Gemeinschaften von  natürlichen Gesetzen  regiert werden, von Gesetzen, wie sie die physische Welt, oder besser, wie sie die tierischen Gemeinwesen oder das innere Leben jedes Organismus beherrschen? In diesem Fall müßten die Physiokraten als Vorläufer der organizistischen Soziologen angesehen werden. Man muß anerkennen, daß diese Auslegung um so annehmbarer erscheint, als Dr. QUESNAY durch seine medizinischen Studien über die "tierische Ökonomie" ("L'économie animale" ist der Titel eines seiner Bücher) und über den Blutumlauf sich wohl auf dem Weg dieser Richtung befunden haben mag; die soziale Ökonomik, ebenso wie die tierische Ökonomie, hat ihm wie eine Art Physiologie erscheinen können. Von "Physiologie" bis "Physiokratie" ist es übrigens nicht weit. Sicherlich haben sie mit großem Nachdruck die Abhängigkeit der Klassen untereinander und die Abhängigkeit aller von der Erde betont und sicherlich heißt das, aus der sozialen Wissenschaft eine Naturwissenschaft machen. (6)

Jedoch erscheint uns auch diese Auslegung ungenügend. Es ist bemerkenswert, daß in der von uns angeführten Anmerkung DUPONT dort, wo er von den Gesetzen der Ameisen und Bienen spricht, annimmt, daß diese Tiere "sich denselben aufgrund gemeinsamer Zustimmung und zu ihrem eigenen Nutzen unterwerfen". Er scheint daher anzunehmen, daß auch die tierischen Gemeinwesen auf einer Art "Gesellschaftsvertrag" beruhen! Auf jeden Fall sind wir hier weit von einer Auffassung der Gesetzmäßigkeit entfernt, wie sie den Naturalisten, den Physikern und Biologien geläufig ist. Die Physiokraten sind keineswegs Deterministen. Nicht nur glauben sie nicht, daß die natürliche Ordnung sich wie das Gesetz der gegenseitigen Anziehung von selbst durchsetzt, sondern sie glauben überhaupt nicht, daß die natürliche Ordnung in den menschlichen Gemeinwesen tatsächlich so verwirklicht sei, wie sie es im Bienenstock oder im Ameisenhaufen ist: diese stellen geordnete Gemeinwesen vor, während die menschlichen Gesellschaften in ihrem gegenwärtigen Zustand ungeordnet sind, weil die Menschen, im Gegensatz zu den unfreien Tieren, freie Wesen sind.

Was ist aber zuletzt die natürliche Ordnung? Sie ist die von Gott für das Glück der Menschen gewollte Ordnung, die  Ordnung der Vorsehung.  (7) Um sie zu erkennen, muß man sie zuerst lernen und nachdem man sie erkannt hat, muß man lernen, sie zu befolgen.

Wie aber lernen? Wie sie erkennen? Das Zeichen, an dem man die natürliche Ordnung erkennt, ist der "Augenschein", die "Evidenz". Die Physiokraten gefallen sich geradezu darin, dieses Wort in ihren Schriften beständig zu wiederholen. (8) Diese augenscheinlichen Tatsachen müssen aber doch immerhin erst bemerkt werden, - auch das schärfste Licht braucht ein Auge, um gesehen zu werden, - welches Organ kommt nun hier in Frage? Der Instinkt? Das Gewissen? Die Vernunft? Wird uns die Stimme Gottes, wie durch eine übernatürliche Offenbarung, sagen, wo die Wahrheit ist? Oder wird uns die Stimme der Natur den rechten Weg weisen? Die Physiokraten haben sich anscheinend nicht um diese Frage gekümmert (obschon diese Stimmen sich doch widersprechen können), denn sie geben uns unterschiedslos alle diese Antworten. MERCIER de la RIVIERE erinnert an die Worte des heiligen Johannes über das Licht "das da scheinet an einem dunklen Ort und um jeden in die Welt geborenen Helligkeit verbreitet", was ein von Gott im Herzen jedes Menschen angezündetes Licht vermuten ließe, das ihm gestattet, seinen Weg zu finden. Nach DUPONT hat QUESNAY erkannt, daß: "der Mensch nur Einkehr bei sich zu halten braucht, um hier das köstliche Verständnis dieser Gesetze zu finden", oder daß "ohne sie zu kennen, die Menschen doch von einer unbewußten Kenntnis der Physiokratie auf natürliche Weise geleitet werden." (9) Nach vielen anderen Stellen aber scheint diese unmittelbare Erkenntnis nicht zu genügen, um die natürliche Ordnung aufzudecken, was schon daraus hervorgeht, daß QUESNAY erklärt, die Gesetze der natürlichen Ordnung müssen "gelehrt" werden, daß das sogar der Hauptzweck des Unterrichts und wie wir weiter unten sehen werden, eine der wesentlichen Aufgaben des Staates, ist.

Zusammenfassend kann man sagen, daß die natürliche Ordnung jene Ordnung ist, die "selbstverständlich" als die beste von allen, wenn auch nicht gerade jedem Beliebigen, so doch jedem vernünftigen, gebildeten, entwicklungsbereiten Wesen, wie es die Physiokraten waren, erscheint. Diese natürliche Ordnung war durchaus nicht die, welche die Beobachtung der Tatsachen ihnen enthüllt haben könnte, sondern die, die sie selbst in sich trugen. Und daher kommt es auch, daß unter anderen Gesetzen die Achtung vor dem Eigentum und der Autorität ihnen als Basis der natürliche Ordnung erschien.

Und gerade weil diese natürliche Ordnung auf diese Weise zu einer übernatürlichen wurde, nämlich sich weit über die Zufälligkeiten der Wirklichkeit erhob, erschien sie ihnen mit all der ehernen Größe der geometrischen Ordnung und mit ihrer Doppeleigenschaft der Allgemeingültigkeit und Unveränderlichkeit. Sie ist die gleiche für alle Menschen und für alle Zeiten. Sie ist die "einzige, ewige, unveränderliche und allgemeine Gesetzesvorschrift"; sie ist tatsächlich göttlich und grundwesentlich (10) Man glaubt, die Litanei des "Ave Maria" zu vernehmen! Man höre nur TURGOT ihre Allgemeingültigkeit betonen: "Wer nicht vergessen kann, daß es voneinander getrennte und verschieden regierte Staaten gibt, kann niemals eine Frage der politischen Ökonomie richtig erfassen" (11) und der gleiche TURGOT schreibt in bezug auf ihre Unveränderlichkeit: "Es handelt sich nicht um das Wissen von dem, was ist, oder dem, was war, sondern von dem, was sein soll. Die Rechte des Menschen gründen sich nicht auf seine Geschichte, sondern auf seine Natur."

Diese dogmatische und optimistische Auffassung sollte die ganze klassische und besonders die französische Schule beherrschen, sogar als die Vorsehung zugunsten der "Naturgesetze" abgedankt hatte. Heute ist sie stark in Mißkredit geraten, aber als sie sich am Horizont erhob, blendete sie aller Augen. Daher auch all die preisenden Epitheta [Nachträge - wp], die uns heute überschwänglich und fast lächerlich (12) erscheinen; aber gering zu achten ist es nicht, einer neuen Wissenschaft Zweck, Ideal und Rahmen gewiesen zu haben.

Am bedeutendsten ist jedoch die Auffassung von der natürlichen Ordnung in ihren praktischen Folgeerscheinungen hervorgetreten. Das ganze Gebäude der Verordnungen - das "ancién régime" als ökonomische Gesellschaftsordung -, ist durch sie zusammengebrochen. Und das auf folgende Weise:

Es genügt nicht, diese natürliche Ordnung zu kennen: man muß sich auch danach richten. Wie soll das geschehen? Nichts einfacher, da ja diese natürliche Ordnung "tatsächlich die dem menschlichen Geschlecht vorteilhafteste ist." (13) Nun aber wird jeder Einzelmensch "ganz natürlich" dem Weg zu folgen wissen, der für ihn der vorteilhafteste ist. Er wird ihn in aller Freiheit (14) finden, ohne daß irgendein Zwang, irgendein Polizeisäbel nötig ist, der ihn vorwärts treibt.

Die psychologische Waage, die jeder Mensch in sich trägt - und die man viel später das hedonistische Prinzip nannte - das die Grundlage der neoklassischen Schule ist, wird schon von QUESNAY prachtvoll ausgeführt. (15) "Den größtmöglichen Genußzuwachs bei größtmöglicher Ausgabeverminderung erreichen, stellt Vollkommenheit des Wirtschaftens vor." Das ist also auch die natürliche Ordnung. Und wenn ihr jeder folgt, so wird diese Ordnung, anstatt gestört zu werden, nur dadurch bestärkt. "Es beruth auf dem Wesensgrundsatz der Ordnung, daß der Vorteil eines einzelnen niemals vom Vorteil aller getrennt werden kann und das tritt unter der Herrschaft der Freiheit ein.  Die Welt läuft dann von selbst.  Das Trachten nach Wohlleben übt auf die Gesellschaft einen Bewegungsantrieb aus, der zu einem beständigen Streben nach dem bestmöglichen Zustand wird." (16) Das heißt alles in allem: Es gibt nur eins; die Dinge gehen lassen (laisser faire). (17)

Diese berühmten Worte sind seit 150 Jahren so oft wiederholt oder kritisiert worden, daß sie banal erscheinen; damals aber waren sie es sicherlich nicht. Es ist leicht, heute diese Sozialpolitik als zu einfach und kindlich zu verspotten und nachzuweisen, daß weder dieses Übereinstimmen der Einzelinteressen unter sich und mit der Allgemeinheit noch namentlich diese allgemeine Kenntnis des eigenen Vorteils durch die Tatsachen bestätigt wird. Ganz gleichgültig; es war vielleicht notwendig, daß dieser Optimismus an der Wiege der neuen Wissenschaft stand. Man kann eine Wissenschaft nicht aufbauen, wenn man nicht an eine gewisse vorbestimmte Ordnung glaubt.

Dies "gehen lassen" bedeutet übrigens nicht, daß nichts zu tun wäre; es war weder eine Lehre der Untätigkeit noch des Fatalismus. Im Gegenteil, das Einzelwesen hat alles zu tun, da es sich ja gerade darum handelt, jedem das Feld frei zu lassen, - fair play", wie man heute sagt -, ohne zu befürchten, daß die Einzelinteressen miteinander zusammenstoßen oder dem Allgemeininteresse schaden. Die Regierung wird allerdings weniger zu tun haben; doch wird die Aufgabe, die ihr die Physiokraten übertragen, immerhin keine Sinekure [Amt mit Einkünften ohne Pflichten - wp] sein, da sie, wie wir sehen werden, die künstlich geschaffenen Hemmungen zu beseitigen, das Eigentum, die Freiheit zu schützen, die, die hiergegen verstoßen, zu bestrafen und vor allem die Gesetze der natürlichen Ordnung zu lehren hat.


§ 2. Der Reinertrag

Die natürliche Ordnung der Physiokraten umfaßt alle sozialen Tatsachen; wenn sie sich auf dieses Allgemeine beschränkt hätten, würden sie eher den Titel der Begründer der Soziologie, als den der Begründer der Ökonomik verdient haben. Aber in dieser natürlichen Ordnung gab es ein rein wirtschaftliches Phänomen, das ihre Aufmerksamkeit ganz in Anspruch nahm und sie so sehr hypnotisierte, daß es sie in eine falsche Richtung drängte: das war die Rolle des Bodens in der Gütererzeugung. Hier finden wir die falscheste, aber auch die bezeichnendste, Auffassung der physiokratischen Lehre.

Jede Handlung zum Zweck der Gütererzeugung bedingt notwendigerweise gewisse Ausgaben, gewisse Kosten. Mit anderen Worten: einen gewissen Güterverbrauch, der selbstverständlich von den im Laufe der Gütererzeugung geschaffenen Gütern abzuziehen ist. Und selbstverständlich stellt nur der Unterschied, der Überschuß dieser über jene, den wirklichen Güterzuwachs dar. Dies nannten sie - und alle nach ihnen - den "Reinertrag" (Le produit net).

Jedoch glaubten die Physiokraten, daß dieser Reinertrag nur in einer einzigen Kategorie der Gütererzeugung, in der Landwirtschaft, existiere. Nur dort, sagten sie, übersteigen die erzeugten Güter die verbrauchten: der Landarbeiter erzeugt, abgesehen von Unglücksfällen, mehr Getreide, als er verbraucht, einschließlich nicht nur des zur Aussaat gebrauchten Saatgutes, sondern auch des von ihm als Nahrung während des Jahres verbrauchten Getreides. Und weil die landwirtschaftliche Gütererzeugung diese einzige wunderbare Fähigkeit des Reinertrages hat, konnte die Spartätigkeit einsetzen und die Zivilisation entstehen. (18)

In allen übrigen Zweigen der Gütererzeugung ist es anders; weder im Handel noch im Transport erzeugt die Arbeit des Menschen irgendetwas, da ja die schon erzeugten Güter nur ausgetauscht werden oder Ortsveränderungen unterliegen. Auch die Tätigkeit des Handwerkers beschränkt sich auf die Veränderung, Mischung oder Zusammenfügung der Rohstoffe. (19) Man wird einwerfen, daß er den Wert vermehrt? Wohl richtig, aber nur im Maßstab der Werte, die er selbst verbraucht, denn der Preis der Handarbeit stellt nichts weiter dar, als den Preis der zum Unterhalt des Handwerkers nötigen Verbrauchsgüter. In Frage komme nur eine Addition von verschiedenen aufeinanderfolgenden Werten, ebenso wie es sich nur um ein Zusammenfügen verschiedener Rohstoffe handelt. "Und", sagt LA RIVIERE, "Addieren ist nicht multiplizieren." (20)

Infolgedessen nennen sie die Fabrikanten eine unproduktive - sterile - Klasse. Mit dieser Bezeichnung haben sie aber durchaus keine Mißachtung der Fabrikanten oder Kaufleute ausdrücken wollen. "Weit entfernt, unnütz zu sein, sind diese Beschäftigungen der Reiz und die Stütze des Lebens, die Erhaltung und das Glück des Menschengeschlechts". (21)

Sie sind nur unproduktiv in dem Sinne, daß sie keine neuen "Reichtümer" erzeugen.

Hält man ihnen entgegen, daß die Fabrikanten und Kaufleute viel und sogar viel mehr als die Landwirte verdienen, so erwidern die Physiokraten: Das hat nichts zu sagen! Diesen Gewinn  erzeugen  die Arbeiter nicht, sie  gewinnen  ihn; (22) es handelt sich dabei lediglich um Reichtümer, die von anderen auf sie übertragen werden. Von wem nun? Ausgerechnet von den Landwirten! Sie liefern ihnen nicht nur alle Rohstoffe für ihre Erzeugnisse, sondern auch selbstverständlich alles, was sie in irgendeiner Form verbrauchen. Die Arbeiter sind die Bedienten oder, wie TURGOT sie nennt, die Stipendienempfänger der landwirtschaftlichen Klasse. (23) Die Landwirte können zur Not sich selbst genügen und so den ganzen Reinertrag für sich behalten. Da sie aber ihren Vorteil dabei finden, lassen sie sich vom Handwerker ihre Kleider machen, ihre Häuser bauen, ihre Werkzeuge herstellen und entlohnen ihn natürlich dafür mit einem mehr oder weniger großen Teil des Reinertrages (24) Es ist allerdings leicht möglich, daß die Handwerker, wie es viele Bediente vornehmer Häuser tun, große Profite auf Kosten ihrer Herrschaft einstecken.

"Sterile", unproduktive Klassen sind also in der physiokratischen Terminologie einfach solche, die ihren Unterhalt aus zweiter Hand empfangen. So sehr sie jedoch versucht haben, dieses unglückliche Wort zu erklären, es erschien doch so ungerecht gegenüber einer anderen Arbeitsgattung, die vielleicht mehr als jede andere die Völker bereichert hat, daß das physiokratische System dadurch unheilbar diskreditiert wurde.

Es ist eine umstrittene Frage, ob die Physiokraten die Erzeugung eines Reinertrages nur der Landwirtschaft zusprachen oder das gleiche von den Förderindustrien, den Bergwerken und dem Fischfang gelten ließen. Man behauptet gewöhnlich, daß das für die Bergwerke zutreffe, wenn auch infolge der wenigen und sich widersprechenden Stellen ihrer Schriften kein vollgültiger Beweis geführt werden kann. Man kann hierüber im Zweifel sein, denn wenn einerseits die Bergwerke unbestritten dem Menschen neue Güter zubringen, Rohstoffe, genau wie der Boden und das Meer, so sind doch andererseits Boden und Meer sich beständig erneuernde Quellen des Lebens, was für die Bergwerke keineswegs zutrifft. Wie TURGOT sehr richtig sagt: "Ein Feld erzeugt Frucht Jahr für Jahr ... Für eine Erzgrube gilt nicht dasselbe; sie erzeugt keine Früchte, sondern ist selbst die zu pflückende Frucht." - Daraus schließt er, daß Bergunternehmungen ebensowenig einen Reinertrag liefern, wie die Fabriken. "Wenn jemand aus der Grube einen Reinertrag zieht, so ist das der Eigentümer des Grund und Bodens", aber, fügt er hinzu, dieser Reinertrag ist unbedeutend. (25)

Dieser Grundunterschied, den die Physiokraten zwischen der landwirtschaftlichen und der industriellen Erzeugung aufstellten, stammt aus der Theologie. Die Erzeugnisse des Bodens sind das Werk Gottes und allein Gott ist der Schöpfer, während die Erzeugnisse der Kunstfertigkeiten Menschenwerk sind und dem Menschen keine Schöpferkraft innewohnt. (26) Es ist leicht, ihnen zu antworten, daß Gott, wenn er allein Schöpfer ist, ebenso Schöpfer bleibt, wenn er uns unsere Kleidung, als wenn er uns unser tägliches Brot gibt, daß der Mensch, wenn er nur umformen, nicht erschaffen kann, diese Tätigkeit ebenso in der Bearbeitung des Bodens, wie in der des Eisens oder des Holzes ausübt. Selbstverständlich kann die Landwirtschaft, ebenso, wie alle anderen Industrien die Materie nur umformen. Ein zweites kann es nicht geben. Die Physiokraten haben nicht fassen können - vielleicht weil LAVOISIER es noch nicht gelehrt hatte - daß in der Natur nichts sich erzeugt und nichts verloren geht, daß das in die Erde gesäte Getreidekorn seine Ähren ebenso aus Stoffen des Bodens und der Luft, Gramm für Gramm, zusammensetzt, wie der Bäcker aus demselben Korn, Wasser, Salz und Hefe Brot macht.

So blind jedoch waren die Physiokraten nicht, zu übersehen, daß die Naturgüter und das Getreide selbst, genau wie die Industrie-Erzeugnisse Preisschwankungen auf dem Markt unterworfen sind und daß sich der Reinertrag, bei einem zu großen Tiefstand des Preises in Nichts auflöst. Wie erzeugt in diesem Falle die Erde noch einen Wert? Und was macht den Wertunterschied zwischen landwirtschaftlichen und industriellen Erzeugnissen aus? Man versteht das nicht mehr?

Wahrscheinlich war in der Vorstellung der Physiokraten der "gute Preis", d. h. der Preis, der einen Mehrwert über die Produktionskosten einschloß, das normale Ergebnis der natürlichen Ordnung. Wenn der Preis, der einen Mehrwert über die Produktionskosten einschloß, das normale Ergebnis der natürlichen Ordnung. Wenn der Preis unter da Niveau der Produktionskosten sank, war die natürliche Ordnung zerstört und es war nicht erstaunlich, daß in diesem Fall der natürliche Wert verschwand. Dies soll ohne Zweifel in dem ziemlich rätselhaften Satz von QUESNAY ausgesprochen werden, wo er sagt: "Fülle und Billigkeit ist nicht Reichtumg. Knappheit und hohe Preise ist Armut.  Fülle und hohe Preise ist Wohlleben".  (27)

Wenn aber der "gute Preis" nur der Wertüberschuß des Erzeugnisses über die Produktionskosten ist, so wird dieser Mehrwert nicht öfter und nicht seltener in der landwirtschaftlichen, als in der industriellen Produktion in Erscheinung treten. Er wird sich in der einen nicht mehr als in der anderen überall dort bemerkbar machen, wo beide dem Gesetz der Konkurrenz unterworfen sind; im Gegenteil wird er überall dort, wo Seltenheit besteht, in der einen wie der anderen auftreten. Es bleibt daher nur die Frage, ob Monopolwerte in der landwirtschaftlichen Produktion öfter als in der industriellen Produktion vorkommen. Ganz allgemein kann man diese Frage bejahen, da die Menge des Bodens der Natur der Sache nach begrenzt ist und infolgedessen bleibt ein gewisser Teil Wahrheit in der physiokratischen Theorie bestehen, - obgleich die Aufstellung von Schutzzöllen in jedem Land und die landwirtschaftlichen Krisen bezeichnend genug für den starken Einfluß der Konkurrenz auf den Boden sind. Jedenfalls ist das aber nur eine Frage der Praxis.

Der Reinertrag im physiokratischen Sinn ist also nur eine Jllusion; er kann weder in der Schöpfung eines  Stoffes,  noch in der eines  Werte gesucht werden. Diese Jllusion läßt sich aber aus dem geschichtlichen Milieu, in dem die Physiokraten lebten, erklären. Was sahen sie damals? Eine ganze Klasse von Menschen, der Adel und die Geistlichkeit, lebten von den Pachterträgnissen ihrer Ländereien; wie aber hätten sie leben können, wenn die Erden nicht die Kraft gehabt hätte, außer den von den Bauern verbrauchten Erzeugnissen noch den nötigen Überschuß hervorzubringen, um den Besitzern die Möglichkeit einer vornehmen Lebensführung zu gewähren? Es wirkt ganz eigentümlich, wenn man bedenkt, daß sie wohl in den Handwerkern Stipendienempfänger im Dienst der Landwirte sahen, aber nicht auf den Gedanken kamen, daß die müßigen Landbesitzer ebensogut als Stipendienempfänger der Pächter angesprochen werden könnten. Wenn es zu ihrer Zeit eine zahlreiche Klasse von Aktionären gegeben hätte, denen ihre Renten gestatteten, ein ebenso "vornehmes" Leben zu führen, würden die Physiokraten wahrscheinlich auf das Bestehen eines industriellen Reinertrages geschlossen haben.

Der Gedanke, daß die Natur oder Gott mittels der Erde Werte schafft, war übrigens ziemlich eingewurzelt, da ja ADAM SMITH, wie wir sehen werden, ihn noch bis zu einem gewissen Grad gelten läßt. Erst bei RICARDO erscheint das Einkommen aus Grundbesitz, in vollständiger Umkehrung der Rollen, nicht mehr als ein Segen der Natur und des Bodens, als  alma parens,  [nährende Eltern - wp] mit der Bestimmung, zugleich mit dem Wachstum der natürlichen Ordnung größer zu werden, sondern als eine Folge der Beschränktheit und wachsenden Unfruchtbarkeit des Bodens; nicht mehr als ein Gratisgeschenk Gottes an die Menschen, sondern als eine vom Grundbesitzer dem Verbraucher auferlegte Steuer. Es nennt sich dann auch nicht mehr  Reinertrag,  sondern  Rente. 

Was die Bezeichnung "unproduktiv" anlangt, die aller Arbeit außer der landwirtschaftlichen gegeben wurde, so werden wir sehen, wie sie sich verwischte und wie die Bezeichnung produktiv nach und nach jeder Arbeitsgattung, erst der Industrie, dann dem Handel, zuletzt den freien Berufen zugesprochen wurde. Um nur bei der Industriearbeit zu bleiben, so genügt die Bemerkung, daß auch, wenn sie weiter nichts, als den Gegenwert des verbrauchten Wertes produzierte, das allein schon die Bezeichnung "unproduktiv" verbieten würde; sonst würde, wie ADAM SMITH witzig bemerkt, jede Ehe unproduktiv - steril - sein, die nicht mehr als zwei Kinder erzeugt. Die Behauptung, daß addieren nicht multiplizieren sei, ist Unsinn, denn wir haben schon nachgewiesen, daß auch die Landwirtschaft nur zusammenzählen kann. Übrigens lehrt schon die Arithmetik, daß Multiplizieren nur eine abgekürzte Form der Addition ist.

Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß unter allen Einkommensarten, gerade die für die berechtigste und höchststehende gehalten wurde, die  nicht das Ergebnis von Arbeit  war und die späterhin unter dem Namen Bodenrente am schwierigsten zu rechtfertigen sein sollte.

Muß man nun folgern, daß die physiokratische Agrartheorie des Reinertrages vollständig unproduktiv - steril - gewesen sei? Nein.

Vom geschichtlichen Standpunkt aus hat sie zunächst das glückliche Ergebnis gehabt, den damals herrschenden volkswirtschaftlichen Lehren entgegenzuwirken, dem Merkantilismus, der behauptet, neuer Reichtum könnenur durch den Handel und ein Reinertrag nur durch die Ausbeutung fremder Völker oder Kolonien entstehen.

Die Physiokraten haben über die Merkantilisten und die Colbertisten hinweg SULLY die Hand gereicht, der die Quelle des Nationalreichtums "in den beiden Brüsten Getreidebau und Viehzucht" sah. Es ist tatsächlich bemerkenswert, daß, trotz dieses Irrtums die Landwirtschaft seitdem den Rang, den Physiokraten ihr gegeben haben, nicht wieder verloren hat; diese starke Betonung der Landwirtschaft, eine recht unerwartete Folgeerscheinung, ist ein Hauptfaktor im Wiedererwachen der Schutzzollidee gewesen, so daß die freihändlerischen Physiokraten vom Erfolg ihrer eigenen Lehre verraten wurden ... Es ist jedoch keineswegs sicher, daß sie nicht heute für einen landwirtschaftlichen Schutzzoll eintreten würden! Das ist auch die Meinung von ONCKEN, der sie am eingehendsten studiert hat. (28)

Und wenn auch der Unterschied, den die Physiokraten zwischen Landwirtschaft und Industrie zu sehen meinten, größtenteils nur in ihrer Einbildung vorhanden ist, so bleibt es doch wahr, daß die Landwirtschaft durch ihre zweckvolle Auslösung der pflanzlichen und tierischen Kräfte des Lebens einzigartig dasteht. Und diese geheimnisvolle Lebenskraft - vielleicht dieselbe, die die Physiokraten unter dem Namen Natur undeutlich zu erkennen glaubten - besitzt, selbst wenn man sie rein physisch-chemischen Kräften gleichsetzen will, besondere Eigenschaften, die die landwirtschaftliche Produktion von der industriellen unterscheiden; in mancher Hinsicht ist sie ihr unterlegen, weil ihr Ergebnis von Zeit und Raum abhängig ist, in anderer wieder ist sie ihr überlegen, weil sie allein jene, nur ihr innewohnende Eigenschaft besitzt: nämlich die zur Nahrung des Menschen nötigen Dinge hervorzubringen. Sie stellt daher gewaltige Probleme auf, die schon MALTHUS ankündigen.


§ 3. Der Umlauf der Güter

Die Physiokraten waren die ersten, die die Verteilung der Einkünfte in eine synthetische Theorie faßten. Sie haben zeigen wollen, - was sicherlich eine geniale Idee war - daß die Güter von selbst aus einer Klasse der Gesellschaft in die andere zirkulieren, daß sie kommen und gehen, indem sie stets den gleichen Kanälen folgen, deren Windungen die Physiokraten mit Erfolg nachgegangen sind. "Dieser Umlauf ist es", sagt TURGOT, "dessen Beständigkeit das Leben des politischen Körpers ausmacht, gerade wie das Leben des tierischen Körpers vom Blutumlauf abhängt."

Ein Gelehrter, wie Dr. QUESNAY, der ein Buch über die tierische Ökonomie geschrieben hatte (29) und die damals noch ganz neue Entdeckung HARVEYs kannte, war gerade der richtige Mann, um diese biologische Idee auf die Soziologie anzuwenden. Er übertrug sie in sein  Tableau économique,  das nichts anderes, als eine Veranschaulichung der Art und Weise ist, wie sich der Umlauf der Einkommen vollzieht und dessen Erscheinen bei seinen Zeitgenossen eine unglaubliche Bewunderung auslöste, die uns heute eher zum lächeln bringt. (30) Jedoch Professor HECTOR DENIS erklärt, daß er nicht weit davon entfernt sei, die Bewunderung MIRABEAUs zu teilen. (31)

Obgleich man seitdem erkannt hat, daß dieser Umlauf weit verwickelter ist, als ihn die Physiokraten sich vorstellten, ist es doch der Mühe wert, diese primitive Zeichung hier zu beschreiben. (32)

QUESNAY unterschied drei große soziale Klassen:
    1. Die produktive Klasse, in die nur Landwirte (und vielleicht die Fischer und Bergleute gehören);

    2. Die besitzende Klasse, die nicht nur die Grundbesitzer umfaßt, sondern auch alle, die aufgrund eines Rechtstitels Hoheitsrechte ausüben: man sieht hier die Nachwirkung jener feudalen Idee, nach der die Hoheitsrechte mit dem Eigentum verbunden sind;

    3. Die sterile Klasse, die Industrie, Handel, Bedientenschaft und freie Berufe umfaßt.
Wo ist nun die Quelle der Güter, deren Strom wir verfolgen wollen? Selbstverständlich in der ersten Klasse, da sie ja die einzige produktive ist. Angenommen (und QUESNAY scheint dabei der damaligen Wirklichkeit ziemlich nahe gekommen zu sein), daß sie für 5 Milliarden Francs Werte erzeugt. Davon behält sie zunächst 2 Milliarden, die für ihren Unterhalt an Naturprodukten, sowie für den ihres Viehbestandes, für Aussaat und Dünger nötig sind; dieses Einkommen kommt nicht in Umlauf; es verbleibt dort, wo es entsteht.

Den Rest ihrer Erzeugnisse, 3 Milliarden, verkauft die landwirtschaftliche Klasse. Da aber die landwirtschaftlichen Erzeugnisse nicht alle ihre Unterhaltsbedürfnisse decken, und sie gewerbliche Güter wie Kleider, Werkzeuge usw. braucht, so bezieht sie diese von der Industrie, der sie dafür 1 Milliarde bezahlt.

Es bleiben ihr also nur noch 2 Milliarden Geld übrig, die sie der besitzenden und herrschenden Klasse als Pacht und Abgaben aushändigt. Wir werden weiter unten sehen, wie die Physiokraten diesen anscheinenden Parasitismus rechtfertigen.

Wenden wir uns nun der besitzenden Klasse zu. Die 2 Milliarden, die sie als Pacht erhält, werden von ihr selbstverständlich zum Leben und zwar zum Gut-leben verwendet. Hierfür braucht sie einmal Lebensmittel, die sie der landwirtschaftlichen Klasse abkauft (soweit sie dieselbe nicht in natura erhalten hat) und gibt ihr, sagen wir, 1 Milliarde zurück; dann kauft sie von der unproduktiven Klasse für 1 Milliarde gewerbliche Güter. - Ihr Konto ist damit ausgeglichen.

Die sterile Klasse nun, die selbst nichts erzeugt, kann, wie die vorhergende, das, was sie braucht, nur aus zweiter Hand erhalten und zwar aus den Händen der produktiven Klasse, aber sie erhält es auf zwei verschiedene Arten.
    1) 1 Milliarde von der landwirtschaftlichen Klasse als Bezahlung einer gleichwertigen Menge gewerblicher Güter und

    2) 1 Milliarde von der besitzenden Klasse, ebenfalls als Bezahlung einer gleichwertigen Menge gewerblicher Güter.
Diese letzte Milliarde ist eine der beiden, die der besitzenden Klasse von der landwirtschaftlichen Klasse überwiesen wurde und die daher einen  vollen Kreislauf hinter sich hat.  Diese beiden Milliarden, die die sterile Klasse als Lohn erhalten hat, werden von ihr natürlich für Lebensmittel und Rohstoffe für die Industrie ausgegeben. Und da einzig und allein die produktive Klasse ihr diese Lebensmittel und Rohstoffe liefern kann, zahlt sie ihr, der landwirtschaftlichen Klasse, diese 2 Milliarden als Gegenwert zurück, so daß diese beiden Milliarden zu ihrer Quelle zurückkehren. Mit der Milliarde, die die besitzende Klasse schon gezahlt hat, und mit den 2 Milliarden der nicht verkauften Urprodukte besitzt die produktive Klasse wieder die Gesamtsumme von 5 Milliarden und der Kreislauf kann ewig so fort gehen. (33)

Diese Zusammenfassung gibt nur eine unvollständige Idee der Kreuz- und Quergänge der Einkünfte, deren Sprünge die Physiokraten mit kindlicher Freude verfolgten. Und dabei ist ihnen all dies Wirklichkeit! (34) Die Tatsache, stets ihre Milliarden wieder vollzählig beisammen zu haben, begeistert die Physiokraten und gleich wie viele unserer heutigen Mathematiker unter den Nationalökonomen bemerken sie gar nicht, daß sie am Ende ihrer Rechnungen doch eben nur das wiederfinden, was sie selbst erst eingestellt haben. Selbstverständlich ist es klar, daß dieses Tableau nichts in bezug auf den Grundgedanken ihres Systems beweist, nämlich, daß es eine produktive und eine sterile Klasse gibt. (35)

Das Interessanteste am Verteilungssystem der Physiokraten ist daher nicht die besondere Art, wie sie sich diese Verteilung vorstellen, sondern der Grundgedanke, daß der Güterumlauf gewissen Gesetzen unterworfen sei und daß folglich das Einkommen eines jeden von diesem Umlauf abhänge.

In dieser Dreiteilung der Gesellschaftsklassen fällt der besondere Platz auf, den die besitzende Klasse einnimmt. Hierin liegt ein ganz eigentümlicher Zug der physiokratischen Lehre.

Jeden, der das oben beschriebene Tableau nicht mit physiokratischen Augen, sondern von unserem modernen Standpunkt aus betrachtet, wird das Dasein dieser Klasse befremden und empören, dieser Klasse, die ohne irgendwelche Gegenleistung zwei Fünftel des Volkseinkommens für sich erhebt; und jeder würde annehmen, daß QUESNAY und seine Nachfolger, indem sie das Parasitentum dieser Klasse so scharf hervorheben, wenn nicht offensichtlich, so doch in der Tendenz ihrer Werke dem Sozialismus vorarbeiteten. Doch wieweit waren sie von jedem derartigen Gedanken entfernt! Sie haben keine Ahnung gehabt, in welche schiefe Lage sie die Grundbesitzer brachten. Im Gegenteil, sie sind ihnen gegenüber voller Ehrerbietung. Nicht sie, sondern die Industrie und die Industriearbeiter werden von ihnen mit dem Ausdruck  steril,  unproduktiv bedacht! Aus diesen Großgrundbesitzern machen sie die Grundlage der ganzen natürlichen Ordnung. Sie umkleiden sie mit einer Art wirtschaftlichen Hohenpriestergewandes; der Besitzer hat das Amt, den Menschen das Brot auszuteilen, das Brot des Lebens; nur durch seine Hand werden alle der Kommunion teilhaftig. Er ist eine göttliche Einrichtung: so schreiben sie selbst. (36) Eine derartige anbetende Verehrung bedarf einer Erklärung.

Anscheinend hätten die Physiokraten doch die von ihnen selbst ausdrücklich als  produktiv  bezeichnete Klasse, nämlich die Leiter der Landwirtschaft, die damals alle Pächter oder Halbscheidpächter [Pächter und Verpächter teilen sich den Ertragt zur Hälfte - wp] waren, an die erste Stelle setzen müssen! Pächter und Halbscheidpächter haben aber die Erde nicht gemacht; sie haben sie erst vom Besitzer erhalten. Ihm gebührt der Vorrang noch vor der produktiven Klasse, denn er ist, nach Gott, der erste Verteiler allen Reichtums. (37)

Es ist überflüssig, besonders auf diese merkwürdige Verirrung hinzuweisen, aufgrund derer sie den wirklichen Schöpfer der Erde und ihrer Produkte nicht in dem, der sie bearbeitet, sondern im Müßiggänger sahen. Doch läßt sich dies zunächst gerade aus der Logik ihrer Dokrtinen erklären. Es ist nämlich zuerst darauf hinzuweisen, daß die Physiokraten der Arbeit nicht die hohe Stellung zusprechen konnten, die wir ihr heute beilegen, da für sie die Arbeit des Landarbeiters ebensowenig, wie die des Industriearbeiters; wenn sie die erste produktiv nannten, so lag das daran, weil die Natur mitarbeitete, denn nur diese, aber nicht der Arbeiter, schafft Güter. (38) Weiterhin kann man diese Auffassung aus dem Milieu heraus, in dem sie lebten, erklären. Da sie seit den Feudalzeiten nur Gemeinwesen kannten, die von müßigen Großgrundbesitzern regiert und sowohl wirtschaftlich, wie politisch geleitet wurden, erlagen sie in bezug auf die Notwendigkeit des Großgrundbesitzes derselben Jllusion, in der ARISTOTELES hinsichtlich der Notwendigkeit der Sklaverei befangen war. (39)

Wenn jedoch die Physiokraten die Angriffe nicht voraussahen, die später auf das Grundeigentum niederhageln sollten, so haben sie, besonders der Abbé BAUDEAU, doch nicht unterlassen, es zu erklären und zu rechtfertigen. Die von ihnen vorgebrachten Begründungen müssen um so eher erwähnt werden, als die konservativen Nationalökonomen während hundert Jahren nicht müde geworden sind, sich ihrer zu bedienen.

Die ihnen am stärksten erscheinende Begründung, wenigstens führen sie sie am öftersten an, besteht darin, daß der Besitzer oder seine Bevollmächtigten das Land urbar gemacht haben. Folglich verdankt selbst die produktive Klasse nur ihnen, daß sie das Produktionsmittel in Händen hat. Sie sind es, die stets und noch immer das, was die Physiokraten die  grundlegenden Vorschüsse  (avances fonciéres) nennen, leisten, d. h. die Ausgaben für Rodung, Einfriedung, Gebäude usw. (40) Der Großgrundbesitzer erscheint ihnen daher keineswegs als Parasit, nicht einmal als ein sein Einkommen aus zweiter Hand erhaltender Stipendiat, wie der Fabrikant. Sein Anteil gebührt ihm  optimo jure,  kraft eines Rechtes, das älter und höher ist als das des Landwirtes. Denn wenn der Landwirt das Erzeugnis macht, so hat er, der Besitzer, den Boden gemacht. Man könnte die drei Gesellschaftsklassen der Physiokraten mit drei Personen vergleichen, die sich in das Wassers eines Brunnens teilen: Die produktive Klasse zieht das Wasser in Eimern aus dem Brunnen. Die besitzende Klasse erhält es aus ihren Händen, ohne etwas dafür zu geben, da sie es war, die den Brunnen gegraben hat. Die sterile Klasse hält sich in respektvoller Entfernung und muß das Wasser des Brunnens mit ihrer Arbeit bezahlen.

Nur liegt hierin ein Widerspruch, den die Physiokraten nicht bemerkt zu haben scheinen. Wenn das Einkommen des Besitzers nur ein Entgelt für seine Vorausgabe, seine Kosten vorstellt, dann ist es kein Geschenk der Natur! und der Reinertrag löst sich in nichts auf, da er ja, aufgrund der Definition selbst, nur das ist, was vom Bruttoertrag nach Rückzahlung der Kosten übrig bleibt, nämlich der Überschuss über die Produktionskosten. Bei dieser Erklärung aber bleibt kein Überschuß. Folglich beziehen die Grundbesitzer ihr Einkommen nur als Kapitalisten und nicht als Vertreter Gottes!

Wenn die Grundvorschüsse den Rechtsgrund des Besitzes bilden, soll man da glauben, daß sie nicht auch sein Maß und seine Grenze bestimmen und daß das Einkommen aus Grundbesitz keinen notwendigen Zusammenhang mit ihnen hat?

Oder soll man das Einkommen der besitzenden Klasse in zwei Teile zerlegen: einen nicht verfügbaren, der für sie in der Tat nur die Wiedererstattung ihrer Vorschüsse ist, ebenso wie das Einkommen der Pächter und einen anderen, der als Überschuß nun den Reinertrag ausmacht? Wie können sie aber dann die Aneignung dieses Reinertrages rechtfertigen?

Sehr einfach! Schon bringen sie ein anderes Argument; das der  sozialen Nützlichkeit:  die landwirtschaftliche Erschließung des Bodens würde aufhören, behaupten sie, und die einzige Quelle aller Güter versiegen, wenn man demjenigen, der den Boden urbar gemacht hat, das Recht absprechen wollte, die Früchte seines Fleißes zu ernten. (41)

Es ist kaum nötig, auf den Widerspruch zwischen diesem und dem vorigen Beweisgrund hinzuweisen. Soeben sagten sie, der Boden muß Eigentum sein,  weil er urbar gemacht worden ist.  Jetzt sagen sie: der Boden muß Eigentum sein,  weil er sonst nicht urbar gemacht würde.  Dort wird die Arbeit als grundlegende Ursache der Produktion, hier als ihr Endzweck angenommen.

Weiterhin sagen die Physiokraten, daß das Eigentum an Grundbesitz sich ganz einfach aus dem, was sie persönliches Eigentum nennen, als notwendige Folger ergibt, d. h. aus dem Recht eines jeden Menschen, für seine Erhaltung zu sorgen; denn das Recht, für seine Erhaltung zu sorgen, schließt das Recht auf bewegliches Eigentum ein und dieses wieder das Recht auf Eigentum an Grundbesitz: "die drei Arten Eigentum sind folglich so eng verbunden, daß man sie als ein einziges Recht ansprechen muß, von dem keiner der drei Bestandteile losgelöst werden kann, ohne daß die beiden anderen mit zerstört werden. (42) Und in der Tat zeigen die Physiokraten nicht nur für das Eigentum an Grundbesitz so große Achtung, sondern überhaupt für alles Eigentum. "Die Sicherheit des Eigentums ist die Grundbedingung der ökonomischen Gesellschaftsordnung", schreibt QUESNAY, (43) und MERCIER de la RIVIERE sagt: "Man kann das Eigentumsrecht wie einen Baum betrachten, an dem die verschiedenen sozialen Einrichtungen wie die Äste, von selbst gewachsen sind". (44) Bis in die stürmischsten Zeiten der französischen Revolution und der Schreckensherrschaft findet man diesen Kultus des Eigentums; als jede Achtung vor dem menschlichen Leben geschwunden war, blieb doch die Achtung vor dem Eigentum bestehen.

Man sieht, daß die Rüstkammer, aus der die Verteidiger des Großgrundbesitzes ihre Waffen holen sollten, schon so ziemlich gefüllt war. (45)

Wenn die Physiokraten auf der einen Seite das Grundeigentum kräftig verteidigten, so haben sie ihm auf der anderen Seite zahlreiche und strenge Pflichten auferlegt, die das Gegenstück seiner hohen Würde bilden. Nicht die Autorität soll diese Pflichten in Paragraphen fassen, dafür aber der Verstand und die guten Sitten". (46) Diese Pflichten sind:
    1. Ohne Unterlaß ihr Werk betreiben, nicht das der Bearbeitung, die sie nichts angeht, sondern die Instandsetzung weiteren Bodens: die Grundvorschüsse sind fortzusetzen. (47)

    2. die Austeiler der von der Natur erzeugten Güter im Interesse der Allgemeinheit, die Verwalter der Gesellschaft zu sein; (48)

    3. die Muße ihres Lebens dazu zu verwenden, der Gesellschaft unentgeltlich all jene Dienste zu leisten, deren sie nicht entbehren kann; 4. die Gesamtheit der Steuern, wie wir sehen werden, zu zahlen, und

    5. vor allem die Landwirte, ihre Pächter, zu schützen und sie nicht zu bedrücken, indem sie ihnen mehr als den Reinertrag abnehmen.
Allerdings gehen die Physiokraten nicht so weit, vom Besitzer zu verlangen, ihnen einen Teil dieses Reinertrages zu überlassen, aber sie beschwören ihn, ihnen wenigstens den Betrag ihrer reichlich bemessenen jährlichen und primären Vorschüsse (avances annuelles et primitives), zu lassen. Dies ist zwar nicht viel, aber für die damalige Zeit doch immer etwas. "Ruft nur: Wehe den Besitzern, wehe den Herrschern! Wehe allen Ländern, wenn den Landwirten diese Rückzahlungen genommen werden, wenn die Erde, von deren Fruchtbarkeit alles abhängt, bestohlen wird! - ... Überzeugt Euch wohl, daß das Los dieser kostbaren Menschen, die ihren Besitz oder den anderer bearbeiten, niemandem gleichgültig sein kann ..., daß alles, was sie bedrückt, erniedrigt, beeinträchtigt, beraubt, der Gesellschaft die tiefsten Wunden schlägt, daß alles, was sie erheben, alles, was zu ihrem Wohlsein, ihrer Befriedigung, ihrem Reichtum beitragen würde, eine Quelle des Glücks für sämtliche Klassen ist." (49)

Diese warmherzigen Worte, die damals keineswegs banal waren, wiegen ein wenig die Begünstigung auf, die die Physiokraten der Klasse der Grundbesitzer erzeigten, von der sie weiter nichts als einige soziale Dienste forderten, die noch dazu jeder offiziellen Bestätigung ermangelten.
LITERATUR, Charles Gide / Charles Rist - Die Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen, Jena 1913
    Anmerkungen
    1) JEAN-JAQUES ROUSSEAU war ein Zeitgenosse der Physiokraten, denn er starb erst im Jahre 1778 und sein Buch, der "Contrat social" erschien 1762. Doch war er kein Anhänger ihrer Schule und der Marquis MIRABEAU versuchte vergeblich, ihn zu der physiokratischen Lehre zu bekehren.

    Wohl scheint zwischen der Lehre der  natürlichen Ordnung  und der des  Contrat social  ein absoluter Gegensatz zu bestehen, denn das, was natürlich und spontan ist, kann nicht auf kontraktlicher Übereinkunft beruhen. Man könnte sogar zum Glauben neigen, daß die berühmte Theorie ROUSSEAUs als Gegensatz zur physiokratischen Lehre erfunden worden sei, wenn man nicht wüßte, daß die Grundgedanken des Contrat social schon lange vor ROUSSEAU, in vielen, hauptsächlich auf calvinistischer Anschauung fußenden Schriften niedergelegt sind. Für ROUSSEAU scheint die soziale Ordnung die Lösung einer mathematischen Aufgabe zu sein: Er stellt sie nämlich hin, als ob sie gewissen komplizierten Voraussetzungen genügen müsse, die er wie folgt formuliert: "Eine Assoziationsform finden, die die Person und das Besitztum eines jeden Gesellschafters schützt und aufgrund derer ein jeder, mit allen vereint, doch nur sich selbst gehorcht und ebenso frei, wie vorher bleibt." Nichts liegt der Auffassung der Physiokraten ferner: für sie gibt es nichts, das zu schaffen oder zu finden wäre. Die natürliche Ordnung ist "selbstverständlich".

    Allerdings glaubte ROUSSEAU trotzdem an eine natürliche Ordnung, an die Stimme der Natur, an die angeborene Güte des Menschen usw. "Die ewigen Gesetze der Natur und der Ordnung bestehen. Dem Weisen dienen sie anstelle positiver Gesetzesvorschriften; das Gewissen und die Vernunft haben sie ihm ins Herz geschrieben". ("Emile", V.) Genau die gleiche Sprache führen die Physiokraten. Es besteht aber der große Unterschied, daß nach ROUSSEAU der natürliche Zustand durch die gesellschaftlichen Einrichtungen (besonders die der Politik, zu denen er auch das Eigentum rechnet) unmöglich geworden ist und daß es sich darum handelt, dem Volke den Gegenwert dessen, was es verloren hat, zurückzugeben. - Das ist der Zweckgedanke des "Contrat social": - Für die Physiokraten dagegen sind die gesellschaftlichen Einrichtungen, darunter ganz besonders das Eigentum, nur eine spontane Entfaltung der natürlichen Ordnung, die allerdings durch die gewalttätige Handlungsweise der Regierungen zur Unnatur geworden ist. Sobald aber diese Einmischung aufhört, würde auch die natürliche Ordnung wieder ihren normalen Entwicklungsgang gehen, wie ein Baum, von den Hemmungen, die ihn gebeugt, befreit, sich wieder aufrichtet.

    Ein Hauptunterschied ist sodann, daß für die Physiokraten die Begriffe Eigennutz und Pflicht sich decken, da das Individuum beim Verfolgen seines eigenen Nutzens das Wohl aller verwirklicht, während für ROUSSEAU Eigennutz und Pflicht antagonistisch sind, die Pflicht den Eigennutz unterdrücken muß: "Das persönliche Interesse steht stets im umgekehrten Verhältnis zur Pflicht und steigert sich im gleichen Maß, wie die Vergesellschaftung enger und die Verpflichtungen weniger heilig werden" (Contrat social II, Kap. 3). Er will damit sagen, daß der Eigennutz in der Familie oder der Korporation stärker als im Vaterlandsverband ist.
    2) "Es gibt eine natürliche Gesellschaft, die jeder Übereinkunft zwischen den Menschen vorausgegangen ist ... Diese selbstverständlichen Grundsätze der vollkommensten Gesellschaftsbildung, drängen sich von selbst dem Menschen auf; ich meine dabei nicht nur den gebildeten und wissensdurstigen Menschen, sondern auch den einfachen wilden Menschen, so wie er aus den Händen der Natur kommt" (DUPONT I, Seite 341 und 24).

    Ebenso scheinen einige Physiokraten nicht weit vom Glauben entfernt gewesen zu sein, daß diese natürliche Ordnung wirklich in der Vergangenheit bestanden habe und daß die Menschen sie durch ihre Schuld verloren haben. DUPONT de NEMOURS sagt wörtlich: "Wie aber haben die Völker diesen glückseligen Zustand, dessen sie sich in einem so fürhen und so glücklichen Altertume erfreuten, verlassen können? Wie sind sie dazu gekommen, die natürliche Ordnung zu verkennen?" (I, Seite 25) .- Nichtsdestoweniger würde selbst in dieser Auffassung die frühere natürliche Ordnung keine Beziehung zum Zustand des Wilden haben, sondern mehr das vorstellen, was die Alten mit dem "goldenen Zeitalter", die Christen mit dem "*Garten Eden" bezeichneten. In diesem Sinn würde die natürliche Ordnung das verlorene, nun wiederzufindende, Paradies bedeuten.

    Übrigens erscheint dieser Gesichtspunkt nur ausnahmsweise bei den Physiokraten; immerhin verdient er festgestellt zu werden, um zu zeigen, wie fremd die moderne Entwicklungs- und Fortschrittslehre den Physiokraten war.
    3) Was heute bei uns einem Regierungspräsidenten entsprechen würde [Anmerkung des Übersetzers].
    4) MERCIER de la RIVIERE II, Seite 615 "Das  Naturrecht  ist in der  Ordnung der Natur  unbestimmt (welche Antithese!); "es wird es erst in der Ordnung des Rechtswesens durch die Arbeit". (QUESNAY, Seite 43
    5) "Wenn sie einen Gesellschaftsvertrag eingehen und Übereinkommen zu ihrem gegenseitigen Vorteil abschließen werden, so werden sie den Gebrauch ihrer freien Naturrechte vermehren und ihrer Freiheit keinen Abbruch tun, denn es ist ja gerade der Zustand, den ihr aufgeklärter Freiheitsbegriff in voller Unabhängigkeit erwählt haben würde." (QUESNAY, Seite 43, 44)
    6) DUPONT de NEMOURS sagt: "Die natürliche Ordnung ist die physische Verfassung, die Gott selbst dem Weltganzen gegeben hat" (Einführung in die Werke QUESNAYs, Seite 21). Und an einer anderen Stelle schreibt er, indem er den gleichen Gedanken entwickelt. "Vor 13 Jahren kam ein äußerst genial begabter Mann, geschult in wissenschaftlichem Denken und durch seine Erfolge in einer Kunst, die als erste Bedingung die Beobachtung und Achtung der Natur verlangt, schon bekannt, zu dem Schluß, daß die Natur ihre physischen Gesetze nicht auf die bisher untersuchten beschränkt und daß, wenn sie den Ameisen, Bienen und Bibern die Fähigkeit gibt, sich aufgrund gemeinsamer Zustimmung und zu ihrem eigenen Nutzen einer guten, gleichmäßigen und gleichförmigen Regierungsform zu unterwerfen, sie dem Menschen nicht die Gabe verweigern wird, sich zum Genuß gleicher Vorteile aufzuschwingen. Begeistert von der Bedeutung dieser Anschauung und von den folgenschweren Aussichten, die sie eröffnet, widmete er die ganze Schärfe seines Verstandes der Untersuchung der  physischen Gesetze  im Zusammenhang mit der Gesellschaft" (I, Seite 338)

    Gerade diese naturalistische Auffassung stellt HECTOR DENIS in seiner  Histoire des Doctrines  als besonders charakteristisch für das physiokratische System hin und illustriert sie durch eine Reihe von Diagrammen, die die Übereinstimmung zwischen dem Güterumlauf im physiokratischen System und dem Blutumlauf beweisen sollen.
    7) "Die Gesetze sind unveränderlich, sie gehören zum Urwesen der Menschen und der Dinge, sie sind der Willensausdruck Gottes."

    "Alle unsere Interessen, all unser Wollen vereinen sich, ... und bilden für unser gemeinsames Glück eine Harmonie, die man als  das Werk einer gütigen Gottheit, die die Erde von glücklichen Menschen bewohnt sehen will  ansprechen kann" (MERCIER de la RIVIERE I, Seite 390; II, Seite 638).
    8) "Es gibt einen natürlichen Richter letzter Instanz für alle Anordnungen, selbst für die des Herrschers und dieser Richter ist die  Tatsache  (die Evidenz) ihrer Übereinstimmung mit oder ihrer Gegensätzlichkeit zu den natürlichen Gesetzen" (DUPONT I, Seite 746)
    9) DUPONT,  Introduction aux ouevres de Quesnay  I, Seite 19 und 26.
    10) BAUDEAU, Bd. I, Seite 820
    11) TURGOT, Brief an Mademoiselle LESPINASSE (1770)
    12) Vgl. weiter unten in betreff des "Tableau économique".
    13) BAUDEAU, "Ephémérides du Citoyen et passim".
    14) "Die Gesetze (der natürlichen Ordnung) hindern in nichts die Freiheit des Menschen ... denn die Vorteile dieser höchsten Gesetze sind ganz offenbar das Ziel der besten Wahl, die die Freiheit treffen kann. " (QUESNAY,  Natürliches Recht,  - droit naturel - Seite 55) Und MERCIER de la RIVIERE sagt (Bd. II, Seite 617): "die Aufrechterhaltung des Eigentums und der Freiheit läßt ohne Zuhilfenahme irgendeines anderen Gesetzes die vollkommenste Ordnung herrschen."
    15)  Dialogues sur la artisans  (Gespräche über die Handwerker).
    16) MERCIER de la RIVIERE, Bd. II, Seite 617
    17) Der Ursprung dieses berühmten Ausspruchs ist sehr unsicher. Mehrere Physiokraten, besonders MIRABEAU und MERCIER de la RIVIERE sprechen ihn VINCENT de GOURNAY zu, aber TURGOT, der doch ein Freun von VINCENT de GOURNAYs war und eine Lobrede auf ihn verfaßt hat, schreibt ihn (in etwas anderer Form - laßt uns nur machen - laissez-nous faire - ) einem Kaufmann der Zeit COLBERTs, LEGENDRE, zu. Nach ONCKEN stammt das Wort vom Marquis d'ARGENSON, der es in seinen  Memoiren  schon 1736 gebraucht. Da das Wort ansich recht banal ist und nur deshalb einigen Wert hat, weil es die Devise einer großen Schule geworden ist, haben diese Forschungen wenig Interesse. Siehe auch üebr die Frage des kleinen Problems das Buch SCHELLEs,  Vincent de Gournay  (1897) und besonders ONCKEN,  Die Maxime Laisser-faire et laissez-passer  (Bern, 1886).
    18) "Das Glück der ganzen Menschheit ist eng mit dem größtmöglichen Reinertrag verbunden." (DUPONT de NEMOURS,  Origine d'une science nouvelle  - Ursprung einer neuen Wissenschaft,' Seite 346
    19) "Die Arbeit, die sich nicht mit dem Boden beschäftigt, ist vollständig unproduktiv, denn der Mensch ist nicht Schöpfer." (LE TROSNE, Seite 942)

    "Die natürliche Tatsache, daß die Erde die Quelle aller Güter ist, ist an sich schon so selbstverständlich, daß niemand sie bezweifeln kann." (ders.  Intérêt social). 

    "Die Erzeugnisse des Bodens zerfallen in zwei Teile, ... das, was übrig bleibt, ist jener unabhängige und verwendungsbereite Teil, den die Erde als reines Geschenk über die Vorschüsse und über den Arbeitslohn hinaus dem gibt, der sie bearbeitet." (TURGOT,  Réflexions sur la formation,  usw.).

    "Die von den Handwerkern den Rohstoffen gegebenen Formen sind gut und schön, aber vor ihrer Arbeit müssen andere schon Güter erzeugt haben; erstens alle Rohstoffe, zweitens alle Nahrungsmittel. Nach ihrer Arbeit müssen andere das erzeugen, womit sie entschädigt oder bezahlt werden. Im Gegensatz hierzu erzeugen die Landwirte als erste und einzige, alles, was sie verwenden, alles, was sie und andere verbrauchen. Hierin liegt der Unterschied zwischen produktiv und unproduktiv." (BAUDEAU,  Briefwechsel  mit GRASLIN)
    20) Ein Weber kauft für 150 Francs Nahrungsmittel und Kleidung und für 50 Francs Flachs, den er als Leinwand für 200 Francs verkauft, welche Summe dem Aufwand gleich ist." (MERCIER de la RIVIERE II, Seite 598). "Die Industrie überdeckt, Schicht um Schicht, einen Wert mit weiteren Werten, aber sie schafft keinen, der nich schon vorher bestanden hätte" (ders).
    21) BAUDEAU,  Ephémérides du Citoyen et passim,  1770, IX. Man kann sogar finden, daß die Kaufleute etwas weit gehen, wenn sie sagen: "Warum achtet man nicht, gleiche Verhältnisse vorausgesetzt, den, der  verkauft,  ebenso wie den, der  gibt?  Der Bedarf gibt dem Handel, wie der Wohltätigkeit ihre Bedeutung" ( Du marchand de grains,  - über den Getreidehändler, - Journal de l'Agriculture, du Commerce et des Finances, Dezember 1773, von CURMOND, 1900 in einer Dissertation über den Getreidehandel angeführt). Man muß betonen, daß, "unproduktiv" oder "steril" in der Sprache der Physiokraten keineswegs "unnütz" bedeutet. Sie waren genügend intelligent, um zu verstehen, daß die Arbeit des Webers, der aus dem Flachs, Leinwand, aus der Wolle, Tuch macht, ebenso nützlich wie die des Landwirts ist, der diesen Flachs und diese Wolle produziert, oder vielmehr, daß seine Arbeit ohne die Arbeit jenes ganz unnütz wäre. Und sie wußten ebenso gut, daß, wenn man sagen kann die Arbeit des Landwirtes sei  nützlicher,  als die Arbeit des Webers oder des Maurers, wenn der Boden zur Erzeugung von Brot benutzt wird, man das doch nicht mit gleichem Nachdruck behaupten kann, wenn er dazu benutzt wird, Rosen oder Maulbeerblätter für die Seidenfabrikation zu erzeugen.
    22) LE TROSNE, Seite 945
    23) Eine unter der Feder TURGOTs um so bemerkenswertere Bezeichnung, da er, wie wir weiter unten sehen werden, weniger ausschließlich für die Landwirtschaft eingenommen und der Industrie günstiger gesinnt war, als die Physiokraten.

    "Es erschien notwendig, einfach und natürlich, die zahlenden Menschen, die ihre Güter unmittelbar der Natur verdanken, von den bezahlten Menschen zu unterscheiden, die Güter nur als Entlohnung für nützliche oder angenehme Dienste, die sie den ersteren leisten. erhalten können" (DUPONT I, Seite 142).
    24) Ich brauche Leute, die mir den Dienst einer Stoffbereitung für meine Kleidung leisten, wie ich jemanden brauche, der mir Ratschläge über meine Gesundheit und meine Geschäfte gibt oder einen Diener, der mir dient" (LE TROSNE, Seite 949)
    25) Vgl. hierüber eine interessante These von PERVINQUIÉRE,  Contribution á l'etude de la productivité dans la physiocratie  (Beiträge zum Studium der Produktivität in der Physiokratie). Die Gleichgültigkeit der Physiokraten in der Frage der Bergwerke zeigt eine gewisse Lücke des wissenschaftlichen Geistes, denn diese Frage hätte, auch von ihrem Gesichtspunkt aus, eine ganz besondere Bedeutung haben sollen. Die Rohstoffe galten ihnen, ebenso wie die Nahrungsmittel, als Grundform des Reichtums. Die Rohstoffe werden aber ebensosehr und mehr noch als vom Boden, von Bergwerken geliefert, was schon zu ihrer Zeit der Fall war. In der Geschichte der Menschheit hat das Eisen keine geringere Rolle, als das Korn gespielt. Vielleicht hätten sie bemerkt, daß auch die Landwirtschaft nur eine Förderindustrie und der Landwirt eine Art Bergarbeiter ist, der, um die Rohstoffe des Bodens zu gewinnen, sich der Pflanze als Zwischenglied bedient, so daß die Erde  sich ebenso wie eine Grube erschöpfen muß. 
    26) "Die Arbeit, ausgenommen die Bearbeitung des Bodens, ist überall unproduktiv (steril), denn der Mensch ist nicht Schöpfer" (LE TROSNE, Seite 942)

    "Der Boden besitzt diese Fähigkeit (die Fruchtbarkeit) kraft der Allmacht des Schöpfers und des Segens, den er am Anbeginn über ihn aussprach; eine unerschöpfliche Quelle der Fruchtbarkeit der Natur. Der Mensch findet diese Fähigkeit vor; er tut weiter nichts, als sich ihrer zu bedienen" (Interêt social, Kap. I, §2).
    27) QUESNAY, Seite 325
    28) ONCKEN,  Geschichte der Nationalökonomie,  I. Teil, Die Zeit vor Adam Smith. Das Buch ist, wie das MELINÉs: Die Rückkehr zum Boden (Le retour á la Terre), obgleich schutzzöllnerisch, ganz mit dem Geist der Physiokraten getränkt.
    29) QUESNAY,  Essai physique sur l'Économie animale,  1747
    30) "Seit dem Anfang der Welt", schreibt der Marquis MIRABEAU, "sind drei Entdeckungen gemacht worden, die den politischen Gesellschaften ihre Hauptstärke gegeben haben. Die erste ist die Erfindung der Schreibkunst, die zweite die Erfindung des Geldes. Die dritte, das Resultat der beiden anderen, das sie aber erst ergänzt, indem es das Objekt der beiden anderen zur Vollkommenheit bringt, ist das "Tableau économique", - die graphische Darstellung der volkswirtschaftlichen Verhältnisse, die unter allen anderen hervorragende Erfindung, die den Ruhm unseres Jahrhunderts bildet und deren Früchte die Nachwelt pflücken wird". Der Abbé BAUDEAU sagt nicht weniger lyrisch: "Ich habe mir gestattet, diese Figuren mit dem Einverständnis des großen Meisters gesondert anzuführen, dessen schöpferischer Genius die wunderbare Idee dieses Schaubildes erfand, das allen Augen das Ergebnis der höchsten Wissenschaft vorführt und das diese Wissenschaft in ganz Europa zum ewigen Ruhm seiner Erfindung und zum Wohl des Menschengeschlechts dauernd lebendig erhalten wird." (Seite 867)

    Die erste Ausgabe dieses Tableaus, die nur in einigen wenigen Exemplaren gedruckt worden war, ist verloren, aber ein Korrekturbogen ist in der Pariser Nationalbibliothek von einem deutschen Nationalökonomen, Professor STEPHAN BAUER an der Universität Basel gefunden und im Faksimile von einer ausländischen Gesellschaft, der  British Economic Association,  1894, veröffentlicht worden.
    31) "Die Entdeckung des Umlaufs der Güter in den wirtschaftlichen Gesellschaften nimmt in der Geschichte der Wissenschaft denselben Platz ein, wie die des Blutumlaufs in der Geschichte der Biologie."
    32) Das Schaubild QUESNAYs zeigt gegenübergestellte Säulen und ist mit Zick-Zack-Linien, die sich von einer Säule zur anderen kreuzen, bedeckt. Wenn QUESNAY heute lebte, würde er sicherlich vom System der graphischen Darstellung, die viel klarer ist, Gebrauch gemacht haben. Es nimmt Wunder, daß niemad auf den Gedanken gekommen ist, ihm diesen posthumen Dienst zu erweisen. HECTOR DENIS hat das "Tableau" in anatomische Schaubilder übertragen, die er der Darstellung der Venen und Arterien im menschlichen Körper gegenüberstellt.

    Die Tatsache, daß QUESNAY zur Erklärung seines Schaubildes arithmetische Berechnungen angewendet hat, gibt ihm den Anspruch darauf, bis zu einem gewissen Grad, als Vorläufer der mathematischen volkswirtschaftlichen Schule angesehen zu werden. Das hat man auch nicht unterlassen. Vgl. im  Journal of Quarterly Economics,  1890, einen Aufsatz von Prof. STEPHAN BAUER und im  Economic Journal,  Juni 1896, einen Aufsatz von ONCKEN: "Die Physiokraten als Begründer der mathematischen Schule." Übrigens ist Le TROSNE nach viel kategorischer: "Da die ökonomische Wissenschaft sich mit meßbaren Dingen befaßt, kann sie eine exakte, der Berechnung zugängliche Wissenschaft genannt werden. Sie brauchte eine besondere Formel, die ihren Zwecken angepaßt war und die als Stütze der Vernunftschlüsse diente. Diese Formel ist im  Tableau économique  gegeben." ( De l'ordre social - Über die soziale Ordnung -, eine Abhandlung,  VIII, Seite 218).
    33) TURGOT, der zwar nicht vom Tableau économique spricht, faßt es doch im folgenden Satz sehr gut zusammen: "Das, was der Landarbeiter über seine persönlichen Bedürfnisse hinaus den Boden erzeugen läßt, ist der einzige Lohnfonds -  Fonds des salaires  (man beachte diesen Ausdruck, der berühmt werden sollte) -, den alle anderen Glieder der Gesellschaft als Tauschwert ihrer Arbeit erhalten. Indem sie sich des Preises dieses Tauschwerts zum Ankauf der Lebensmittel des Landarbeiters bedienen, geben sie ihm nur genau das wieder, was sie von ihm erhalten haben" (TURGOT, I, 10) Weitere Einzelheiten finden sich bei Abbé BAUDEAU,  Explication du Tableau économique). 
    34) "Der Vorgang dieses Handels zwischen den verschiedenen Klassen und seine Grundbedingungen sind durchaus hypothetisch. Wer sich die Mühe nimmt, darüber nachzudenken, wird erkennen, daß sie getreu nach der Natur gebildet sind." (QUESNAY, Seite 60)
    35) Sie bilden es sich jedoch ein. "Man sieht, wie die unproduktive Klasse nur von der sukzessiven Zahlung, vom Lohn für ihre Arbeit, der untrennbar vom zum Lebensunterhalt verwendeten Ausgaben ist, abhängt ...  Man sieht,  daß es sich nur um Verbrauch und Gütervernichtung, nicht um neue Gütererzeugung handelt. (QUESNAY, ebenda)
    36) "Es ist unmöglich, das Besitzrecht nicht als eine göttliche Einrichtung anzuerkennen, die das Mittel ist, aufgrund dessen wir bestimmt sind, als zweite Ursache, das große Werk der Schöpfung fortzusetzen und die Absichten seiner Urheber zu fördern." (RIVIERE, Seite 618)

    "Die Gesellschaftsordnung setzt unbedingt diese dritte Klasse von Bürgern voraus, die die ersten Vorbereiter und Hüter der Bodenkultur und die verwaltenden Besitzer des Reinertrags sind." (QUESNAY, Seite 186)
    37) "Unmittelbar  unter  den Grundbesitzern ist die produktive Klasse, deren Arbeit die Grundvorschüsse bedingt und von denen sie selbstverständlich abhängt." (BAUDEAU, Seite 691).
    38) Es muß darauf hingewiesen werden, daß die Physiokraten niemals von landwirtschaftlichen Arbeitern sprechen: Man könnte fast meinen, daß es zu ihrer Zeit keine gegeben hat! Ihre Fürsorge für die Landwirte erstreckt sich nicht tiefer, als auf die Kategorie der Pächter und Halbscheidpächter. Deshalb hat WEULERSSE, wenn auch nicht ohne Übertreibung, ihre Lehre als ein "durchaus kapitalistisches System" bezeichnen können.
    39) "Ebensogut, wie man sie die Klasse der Besitzenden nennt, kann man sie auch Klasse der Adligen nennen, denn in diesem Sinn ist der Adel, anstatt eine Chimäre zu sein, wie man manchmal sagt, eine den zivilisierten Reichen sehr nützliche Wirklichkeit" (BAUDEAU, Seite 670).
    40) "An dritter Stelle (auch wenn sie meistens an die erste gestellt werden) kommen die Großgrundbesitzer, die den Boden rodeten, Gebäude errichteten, Pflanzungen anlegten und Einfriedungen auf ihre Kosten machten, oder aber diese Ausgaben zurückerstatteten, indem sie schon fertig ausgerüstete Erbliegenschaften aufkauften ... Diese Rente gehört uns, werden sie sagen, aus Gründen der Gerechtigkeit und Weisheit, da wir für den Boden Ausgaben für Unterhaltsmittel vorgestreckt haben, die wir zu unterhalten und zu bewahren beauftragt sind (BAUDEAU,  Philosophie économique,  Seite 757) "Die erste Kraft, deren Reproduktion nötig ist, ist der der Gesellschaft unentbehrlichste Mensch. Diese erste Kraft ist der Grundbesitzer: Daher beruht die Rechtfertigung seiner Vorrechte auf der physischen Notwendigkeit der Reproduktion" (La RIVIERE, Seite 466f).

    "Durch Ausgaben erwirbt sich der wahre, gerechte und nützliche Grundbesitz. Bis zum Augenblick, wo diese ersten Grundvorschüsse eintreten, ist das Eigentum nur das exklusive Recht, den Boden eines Tages produktiv zu machen" (BAUDEAU, Seite 851), d. h. solange als der Boden nicht instand gesetzt ist, beschränkt sich das Eigentum auf die einfache Okkupation.

    Die Physiokraten unterschieden 3 Arten von Vorschüssen:
      1. Die  jährlichen  Vorschüsse (avances annuelles), die die Kosten der Bestellung in jedem Jahr vorstellen, - wie Saat, Dünger, Arbeitsleistungen und, natürliche, die Unterhaltungskosten der Arbeiter. Diese Vorschüsse müssen jährlich vollständig durch die Jahresproduktion ersetzt werden. Wir nennen das heute Betriebskapital.

      2. Die  primären  Vorschüsse (avances primitives), wie Ankauf von Vieh und Geräten, die eine mehr oder weniger lange Reihe von Erzeugungsarbeiten aushalten und daher in einem Jahr nur zu einem Bruchteil wieder eingebracht werden müssen. Man sieht hier sehr gut die seit dem klassisch gewordene Unterscheidung zwischen fixem Kapital und Betriebskapital, die Amortisation des ersteren gegenüber der völligen Rückerstattung des zweiten. Es war ihnen auch nicht entgangen, daß eine verständige Erhöhung der primären Vorschüsse, eine Verminderung der jährlichen Vorschüsse gestattet.

      Diese Gedanken waren damals sehr neu und sind der Wissenschaft vollständig einverleibt worden, nur mit dem Unterschied, daß sie, anstatt allein auf die landwirtschaftliche Produktion beschränkt zu sein, auf alle Produktion überhaupt ausgedehnt wurden.

      3. Die  grundlegenden  Vorschüsse (avances fonciéres) sind die, deren Zweck die Vorbereitung des Bodens für die Bearbeitung ist (offenbar hätten sie besser  primäre  Vorschüsse - avances  primitives  - genannt werden sollen).
    Die beiden ersten Arten von Vorschüsse sind die, die dem Landwirt zufallen und ihm ein Anrecht auf einen Lohn schaffen, der wenigstens genügen muß, um sie zurückzuerstatten.

    Die dritte Art fällt dem Besitzer zu und sie ist es, die ihm ein Recht auf den Grundbesitz gibt." Ehe man einen Pächter einsetzen und eine jährliche,  regelmäßig  und fortlaufende Feldbestellung vornehmen kann, sind Gebäude, Scheunen und Ställe, Wege, Pflanzungen, Bodenbearbeitung, Entfernung von Steinen, Stämmen und Wurzeln, Wasserlaufregulierungen und Schutzstätten nötig. - Das sind, werter Herr, die grundlegenden Vorschüsse, die wahren Arbeiten des Besitzers, die wahre Begründung seines Besitzrechtes" (BAUDEAU, Ephémérides, Mai 1776, Antwort an CONDILLAC.
    41) "Ohne die Sicherheit des Besitzes würde das Land öde liegen" (QUESNAY, Maxime IV). "Alles wäre verloren, wenn das Eigentumsrecht und die Erzeugnisse nicht ebenso sicher gestellt wäre, wie das auf den Grund und Boden, wie das, das jede Einzelperson auf sich selbst hat" (DUPONT I, Seite 26).
    42) La RIVIERE I, Seite 242
    43) QUESNAY, Maxime IV.
    44) La RIVIERE, Seite 615, 617
    45) Hier ist einer der zahlreichen Unterschieden zwischen TURGOT und den Physiokraten zu beachten: TURGOT ist weit weniger vom sozialen Nutzen des Grundbesitzes und der Rechtmäßigkeit des Besitzrechtes der Grundbesitzer überzeugt. Er erklärt ihren Ursprung ganz einfach als eine historische Tatsache, die der Besitzergreifung und schwächt dadurch ganz bedeutend die Beweisführung der Physiokraten. "Die Erde bevölkerte sich; man machte sie mehr und mehr urbar. Vom besten Boden war zum Schluß überall Besitz ergriffen worden; für die zuletzt gekommenen blieb nur sandiger, öder, unfruchtbarer Boden, den die Ersten liegen gelassen hatten. Zum Schluß aber fand jedes Stück Land seinen Herrn und die, die keinen Boden haben konnten, hatten keinen anderen Ausweg, als die Arbeit ihrer Arme gegen den Überfluß der Nahrungsmittel der Grundbesitzer einzutauschen." (RIVIERE I, Seite 12). Damit sind wir nicht weit von der Theorie RICARDOs entfernt.
    46) BAUDEAU, Seite 378 47) "Ein Grundbesitzer, der stets die Grundvorschüsse seines Erbgutes auf der Höhe hält, tut das nützlichste, was ein Privatmann überhaupt auf Erden tun kann (BAUDEAU).
    48) "Die Reichen sind die Verwalter der Ausgaben, mit denen sie die Arbeiter entlohnen; sie würden die Letzteren schädigen, wenn sie, um diese Ausgaben zu ersparen, arbeiteten." (QUESNAY I, Seite 193)
    49) BAUDEAU, Seite 835, 839. Auch MERCIER de la RIVIERE schreibt nicht weniger streng: "Es ist bei Strafe der Vernichtung der Erzeugnisse der Gesellschaft dem Großgrundbesitzer und jeder menschlichen Macht verboten, etwas von dem Teil zu nehmen, der von den Produkten beiseite zu setzen ist, um diese Vorschüsse dauernd zu machen" (Seite 467). Wenn sie die Geschichte Irlands hätten voraussehen können, so würden sie dort eine bemerkenswerte Bestätigung ihrer Ansichten gefunden haben.

    Wir erinnern jedoch hierbei, worauf wir schon oben (Anmerkung 38) hingewiesen haben, daß die Physiokraten, wenn sie vom Recht des Landwirtes auf einen Teil der Erträgnisse sprechen, nur die Pächter und Halbscheidpächter, aber nicht die lohnempfangenden landwirtschaftlichen Arbeiter im Auge hatten; für die letzteren begnügten sie sich, die Forderung aufzustellen, daß sie reichlich zu leben haben sollten. Man hat sie sogar in Verdacht gehabt, als ob sie befürchteten, die Arbeiter möchten zu reichlich zu leben haben, da sie dann mit arbeiten aufhören würden (vgl. WEULERSSE II, Seite 729). Diese Beschuldigung erscheint aber ungerecht. WEULERSSE führt selbst die Worte QUESNAYs an, mit denen er gegen die "Behauptung der Erpresser, daß die Bauern arm sein müssen, um sie am faulenzen zu hindern," protestierte.