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LARS GUSTAFSSON
Fritz Mauthner -
ein sprachphilosophischer Extremist


"Will ich emporklimmen in der Sprachkritik, die gegenwärtig das wichtigste Geschäft der denkenden Menschheit ist, so muß ich die Sprache hinter mir und vor mir und in mir vernichten Schritt zu Schritt, so muß ich jede Sprosse der Leiter zertrümmern, indem ich sie betrete. Wer folgen will, der zimmere die Sprossen wieder, um sie abermals zu zerstören."


Aus seinem Leben

Die Familie war jüdisch, als solche deutschsprachig und wohlsituiert. MAUTHNERs Schulerlebnisse, vor allem aus dem Kleinseitner Gymnasium in Prag, wo er 1869 seine Reifeprüfung bestand, scheinen sehr stark zu Mauthners Skepsis gegenüber der Bildungsvorstellung seiner Zeit beigetragen zu haben, einer Skepsis, vor allem gegenüber ihrem sprachlichen Inhalt, von solcher Intensität, daß es schwerfällt, das Wort Neurose nicht zu verwenden.

MAUTHNERs Auseinandersetzung mit der Sprache, mit ihrer Fähigkeit, systematisch irrezuführen, behält sein ganzes Leben lang einen eigentümlich persönlichen Charakter. MAUTHNERs Erlebnis der Schule mit ihrem Auswendiglernen scheint sehr eng verknüpft mit der Vorstellung von sprachlicher Substanzlosigkeit.

Eine Neigung zum Deutsch-Nationalismus (gegen den tschechischen Nationalismus seiner Umgebung und gegen die jüdische Atmosphäre seiner Familie, die er als eingeschränkt ritualistisch erlebt) scheint ebenfalls zu diesem Syndrom zu gehören, seinem traumatischen Erleben von  öffentlicher Lüge  als der Diskrepanz zwischen Wort und Wirklichkeit in der sozialen Umgebung.

Umso verwunderlicher scheint sein frühzeitiger Entschluß, Schriftsteller zu werden. Nach seinen Rechtsstudien am Carolinum in Prag, die er anscheinend verabscheut hat, benützt er 1873 den Ausbruch seiner Tuberkulose, um sich als freier Schriftsteller zu etablieren.

Selbst dem sehr wohlwollenden Leser scheint seine literarische Produktion (der Gedichtband  Die große Revolution,  1872, das Drama  Anna,  1874, eine Novellensammlung  Sonntage der Baronin,  1882) zum Mißlingen verurteilt.

In den Jahren 1873 bis 1876 finden wir MAUTHNER als Theaterkritiker in Prag, zwischen 1876 und 1900 in Berlin, wo er glücklich als Theaterkritiker und erfolgreicher Autor landet. Seine Parodien erscheinen zuerst in dem damals gerade neu erscheinenden  Berliner Tageblatt,  ab 1877 im  Deutschen Montagsblatt.  Hier entsteht eine Reihe von Romanen mit zeitgenössischem und historischem Inhalt, über die leider dasselbe Urteil wie über seine Prager Produkte gefällt werden muß.

Die Periode von 1876 bis 1900 ist der Höhepunkt in MAUTHNERs Werdegang. Er hat eine bedeutende und einflußreiche Stellung im publizistischen Leben des damaligen Berlin inne. Er ist ein ernstgenommener Richter in Fragen des ästhetischen Geschmacks - bedeutend durch seine Verteidigung des Realismus - und ein gefürchteter Satiriker.

Gleichzeitig kann man aus seiner Tätigkeit in diesen Jahren, besonders kurz vor der Jahrhundertwende, unschwer eine zunehmende Unlust, einen Widerwillen gegen die publizistische Tätigkeit herauslesen. In der Satire  Schmock  (1888), in dem Roman  Die Fanfare  (1886) und in seinen  Aturenbriefen  - diese eine Satire, die auf einer ähnlichen Idee wie Montesquieus  Lettres Persanes  zurückgreifen: ein junger Wilder aus einem primitiven Land, wo der Gebrauch der Lüge unbekannt ist, kommt nach Berlin und lernt dort den Wert der Sprache und dadurch auch der Lüge kennen - in all diesen Werken kommt ein zunehmender Haß gegen die Journalistik zum Ausdruck.

Das Bild des Zeitungsmannes und seiner Welt, das MAUTHNER hier zeichnet, erinnert in der Tat sehr an ARVID FALKs journalistisches Abenteuer in AUGUST STRINDBERGs  Rotem Zimmer.  Speziell in den  Aturenbriefen  taucht dieselbe Idee der  öffentlichen Lüge  auf, die eine wichtige Rolle in AUGUST STRINDBERGs  Das Neue Reich  (1882) spielt. Die öffentliche Anwendung der Sprache in der Gesellschaft dient vor allem dem Ziel, allgemein bekannte, aber niemals offen zugegebene Unwahrheiten aufrechtzuerhalten, denn diese sind eine notwendige Bedingung für die Gesellschaftslüge.

Der philosophische Gedanke, den MAUTHNER in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts systematisch in den  Beiträgen  entwickelt, nämlich, daß die Sprache ein systematisch irreführendes Zeichensystem ist, steht also in direktem Zusammenhang mit den allgemeineren und in logischer Hinsicht schwächeren fiktionalistischen Strömungen seiner Zeit.

MAUTHNERs Idee, eine Sprachkritik zu verfassen, geht jedoch zurück auf das Jahr 1873. In seinen  Erinnerungen  (1918), die seinem Biographen JOACHIM KÜHN zufolge wahrscheinlich etwas stilisiert sind, macht MAUTHNER geltend, ihm sei die Idee einer Sprachkritik wie ein augenblickliches Erlebnis im Jahre 1873 gekommen. In einem anderen autobiographischen Zusammenhang verlegt er das Erlebnis ins Jahre 1869. Er spricht von einem überwältigenden Erlebnis eines  Sprachschreckens,  einer Furcht vor der unerhört suggestiven Macht der Sprache über Menschen.

Jedenfalls steht fest, daß MAUTHNER bereits 1873 ein Manuskript mit dem Titel  Kritik der Sprache  angefertigt hat, das er allerdings verbrennt, wahrscheinlich deswegen, weil er zu der Einsicht kam, daß seine philosophischen Vorbereitungen - das gilt vor allem für die Kantstudien - allzu dilettantisch waren.

Die Arbeiten zu den  Beiträgen  beginnen 1891. Von 1898 an ist der damals noch junge Agitator und Philosoph GUSTAV LANDAUER näher mit der Arbeit verbunden, als eine Art Schützling, Freund und als deren erster Kritiker.

Spuren seiner Verbundenheit lassen sich in der Einleitung vermuten, und zwar in dem Abschnitt, in dem MAUTHNER das Verhältnis von Sozialismus und Sprache in einer auffallend ähnelnden Weise diskutiert: Durch die Sprache ist ein für allemal eine unauflösbare Gemeinschaft aller Menschen hergestellt, denn die Erlebnisse, die sich durch ihre Individualität dem sozialen Bereich der Sprache entziehen - sich nicht mitteilen lassen -, entbehren bei letzter Analyse der Realität. Die Wirklichkeit, so wie sie sich im Wissen von Natur und Menschen darstellt, ist ein soziales Phänomen, identisch mit der Sprache, und durch ihre sprachliche Gemeinschaft haben alle Menschen denselben Anteil an der Wirklichkeit.

MAUTHNER brauchte neun Jahre, um die  Beiträge  zu schreiben. Im Juli 1902 ist die Arbeit abgeschlossen. Die  Beiträge  sind ein äußerst umfängliches Werk, das im Verlauf von beinahe zweitausend Seiten die Sprache und ihr Verhältnis zur Wirklichkeit unter den verschiedensten Aspekten behandelt. Sprachwissenschaftliche, psychologische und naturwissenschaftliche Analysen semantischen und erkenntnistheoretischen Inhalts - bis hin zu Erscheinungen wie der Frauensprache und der Pflanzenseele, die vor allem in den oft mehr soziologisch als philosophisch ausgerichteten beiden letzten Bänden Gegenstand der Reflexion sind.

Wie immer man es auch beurteilen mag - Joachim Kühn behauptet in seiner Biographie, daß das Buch in Wirklichkeit bedeutend lebhafter diskutiert worden ist, als MAUTHNERs  Erinnerungen  das erkennen lassen wollen -, so kann man doch nicht sagen, daß das Werk zu einem philosophischen Durchbruch geführt hätte, weder zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung noch später.

1905 bricht MAUTHNER seine letzten Verbindungen zur Berliner Presse ab und läßt sich in Freiburg, später in Meersburg, nieder. Sein weiteres Leben bis 1923 gleicht dem eines Eremiten.

Aus diesem letzten Lebensabschnitt stammen zwei umfangreiche Werke, "Wörterbuch der Philosophie" (zwei Bände 1910/11) und das erst mit seinem Tode abgeschlossene "Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande" (vier Bände 1921-23).


Mauthner und Wittgenstein

Für eine Generation von Studierenden der modernen Philosophie war wahrscheinlich der etwas dunkle, in Klammern gesetzte Hinweis in LUDWIG WITTGENSTEINs "Tractatus logico-philosophicus" - im übrigen eine der äußerst wenigen Stellen in diesem Buch, wo ein einzelner Philosoph namentlich erwähnt wird - die erste und meistens auch einzige Verbindung zu dem Philosophen FRITZ MAUTHNER.

WITTGENSTEINs "Tractatus" schließt mit der berühmten Passage, wo der Philosoph seine Sätze mit einer Leiter vergleicht, die der Leser fortstoßen kann, wenn er mit ihrer Hilfe einen bestimmten Punkt erreicht hat, wo er die Leiter nicht mehr braucht.

Schon auf der ersten Seite seines sprachphilosophischen Hauptwerks, "Beiträge zu einer Kritik der Sprache", in dem MAUTHNER in drei umfangreichen Bänden von 1901-1902 sein extrem sprachkritisches Programm vorlegen sollte, heißt es:
"Will ich emporklimmen in der Sprachkritik, die gegenwärtig das wichtigste Geschäft der denkenden Menschheit ist, so muß ich die Sprache hinter mir und vor mir und in mir vernichten Schritt zu Schritt, so muß ich jede Sprosse der Leiter zertrümmern, indem ich sie betrete. Wer folgen will, der zimmere die Sprossen wieder, um sie abermals zu zerstören.(1)

Das Bild ist alt: es findet sich bei dem antiken Philosophen SEXTUS EMPIRICUS, den MAUTHNER stolz zu seinen Vorgängern zählte. In seinen "Philosophischen Untersuchungen" spricht WITTGENSTEIN an einer Stelle davon, daß die Kinder eines Volkes, dem die Eisenbahn unbekannt ist, von anderen das Eisenbahn-Spielen übernommen haben und dieses Spiel spielen könnten, ohne zu wissen, daß sie damit etwas nachahmen.

Man kann etwas  nachahmen,  ohne daß dieses Nachgeahmte von einem psychischen Prozeß begleitet zu sein braucht.

Ein australischer Ureinwohner, der niemals eine Eisenbahn gesehen hat und nie davon hat reden hören, hat keinen Zugang zu diesem Wort, da er ja die Sache nicht kennt. Wie könnten wir ihm den Begriff Eisenbahn vermitteln?

So heißt es in FRITZ MAUTHNERs  Beiträgen,  und seine Überlegung klingt, als ob er WITTGENSTEIN das Stichwort gegeben hätte. Denn auch MAUTHNERs Frage kommt aus einem Zusammenhang, dessen Problematik darin besteht, daß es keinen Raum für einen psychologischen Prozess gibt, wo wir normalerweise einen annehmen.

Schon recht früh in den  Philosophischen Untersuchungen  führt WITTGENSTEIN der Begriff  Sprachspiel  für eine Art Modellsituation ein, gedachten sprachlichen Situationen und Zusammenhängen von Sprachanwendung, deren Aufgabe es ist, der sprachlichen Analyse als Vergleichsobjekt zu dienen.

Dem späten WITTGENSTEIN bedeutet  Sprache  die Summe verschiedener  Sprachspiele  in ihrer ganzen Vielfalt und Unterschiedlichkeit, auf den verschiedenen Ebenen, auf denen sich Sprachspiele abspielen.

Für MAUTHNER ist Sprache ein majestätisches  Gesellschaftsspiel  (im Wort schwingen beide Bedeutungen,  Gesellschaftsspiel  und das allgemeinere  soziale Spiel  mit) und sein philosophisches Hauptproblem ordnet den beiden Begriffen  Spiel  und  Spielregel  eine Schlüsselrolle zu, wie wir im Verlauf der Verhandlungen sehen werden.

Der Hinweis auf MAUTHNER im  Tractatus  war also nicht ganz so zufällig, wie es vielleicht ausgesehen haben mochte.

Andererseits wäre der Versuch überstürzt, Verbindungen von LUDWIG WITTGENSTEIN und FRITZ MAUTHNER auf irgendeine aufsehenerregende Weise herbeiführen zu wollen.

Zwei philosophische Grundprobleme haben beide Philosophen gemeinsam, deren sie sich zutiefst bewußt sind.

Das erste hängt mit der Existenz von etwas zusammen, das man verallgemeinert  psychische Akte  nennen könnte. Den empirischen Standpunkt zu diesem Problem pflegt man folgendermaßen zu formulieren: "Nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensu." (Nichts ist im Intellekt, was nicht zuvor in den Sinnen wahr.) LEIBNIZ verbesserte dieses Prinzip mit: "nisi intellectus ipse" (außer dem Intellekt selbst). Aber was ist dieser  Intellekt?  Ist das etwas, das handeln kann? Gibt es intellektuelle  Handlungen?  Worin besteht das Denken?

MAUTHNER nähert sich diesem Problem in einem radikal empirischen und reduktionistischen Geist. Er will beweisen, daß Denken nichts anderes ist als sprachliches Verhalten, Sprechen, wenn man so will. Wie JOHN LOCKE sieht er unser  Inneres  erfüllt von Wahrnehmungen und Erinnerungen an Wahrnehmungen, und zwar ausschließlich diesen beiden. Und die Sprache, die ihre Zusammenfassung in Klassen und die Wiedererinnerung ermöglicht, wenn eine neue Wahrnehmung auftaucht, diese Sprache, die bei letzter Analyse nichts anderes als eine Aktivität ist, die Sprachaktivität eines einzelnen Individuums, stellt für ihn die ganze Bedeutung von LEIBNIZ  intellectus  dar.

In einer Reihe kühner Gedankenexperimente versucht WITTGENSTEIN in seinen  Philosophischen Untersuchungen  Punkt für Punkt die Annahme von psychischen Prozessen zu eliminieren, um herauszufinden, inwieweit eine Erklärung ohne sie auskommen kann.

Kann man z.B. etwas  nachahmen,  ohne zu wissen, was man nachahmt? Was heißt  einer Regel folgen?  Kann man einer Regel folgen, ohne zu wissen, welcher Regel man folgt? Was außer dem  Schmerzverhalten,  stellt das  Empfinden von Schmerz  dar?

Das gemeinsame Problem führt beide Philosophen in reduktionistische Richtung, sie versuchen etwas, was später  behaviouristische  Deutung der Verstandesaktivitäten genannt wird.

Zu dieser Verstandesaktivität gehört auch die intersubjektivistische Kommunikation, die Vermittlung von Information von einem Individuum zum anderen.

Hier beginnt das zweite gemeinsame Problem das beide gemeinsam haben. Man könnte es als das  Problem des intersubjektiven Moments  im Kommunikationsprozess formulieren.

Wort hat Sinn. Unter optimalen Bedingungen können gesprochene oder geschriebene sprachliche Sätze Kommunikation von einem Individuum zum andern vermitteln.

Aber was wird eigentlich vermittelt?

Ein Wort wie  Schmerz  kann nicht mit Hilfe anderer Worte definiert werden. Der Sinn, den ich mit dem Wort verbinde, gründet sich ganz und gar auf meine eigenen Schmerzempfindungen. Dasselbe gilt für dich. Wenn du sagst: "Ich habe Schmerzen in einem Eckzahn", verbinde ich damit das Erlebnis, das ausschließlich du zu haben behauptest, mit eigenen Schmerzempfindungen. Ich nehme an, daß "Schmerz" für dich dasselbe wie für mich bedeutet. Daß wir in einem intuitiven Sinn von "demselben Schmerz" sprechen. Aber was macht nun deinen subjektiven "Schmerz" zum speziellen Beispiel für dieselbe universale Größe "Schmerz"? Welches ist das intersubjektive Moment?

Beide, MAUTHNER und WITTGENSTEIN, kommen zu dem extremen Resultat, daß  der Schmerz  selbst etwas ist, das man vom Gedankengang abkoppeln, ein Weg, den man  abkürzen  kann. Wenn man die Grammatik für Ausdrücke der Empfindungen nach dem Modell "Objekt und Name" konstruiert, dann fällt das Objekt als irrelevant aus der Betrachtung heraus, sagt WITTGENSTEIN.

Daß Zucker süß schmeckt, ist eine soziale Konvention sagt MAUTHNER. Er ist der Ansicht, daß das intersubjektive Moment ganz einfach durch die Tatsache konstituiert wird, daß ein Satz wie: "Die Suppe schmeckt süß" von den Empfängern akzeptiert wird. Es gibt zwischen den verschiedenen Kommunikationsteilnehmern nichts über diese Übereinstimmung hinaus, was im Kommunikationsprozess vermittelt wird.

So wie ERNST MACH, mit dem er zeitweilig eifrig korrespondierte, meint MAUTHNER mit  Objekte  immer  interne Objekte.  Es gibt Empfindungen und es gibt die Fähigkeit der Sprache, durch diese Empfindungen systematisch den Eindruck von komplexen, intersubjektiv zu beobachtenden Dingen zu erwecken. Aber in gleich hohem Maß wie  das Ich,  ist  die Sache  eine Illusion, ein Produkt der systematisch irreführenden Eigenschaften der Sprache.

Soweit die Übereinstimmung beider Philosophen. Methodisch unterscheiden sie sich erheblich voneinander. WITTGENSTEINs methodische Orientierung ist vor allem logisch ausgerichtet.

Man kann seine Sprachspiele als eine Reihe von Approximationen (Annäherungen) an eine ungeheuer komplexe sprachliche Wirklichkeit auffassen, wobei er keinerlei Hoffnung hegt, eine endgültige Übersicht zu gewinnen.

Für MAUTHNER ist das Problem durch die Einsicht gelöst, daß Sprache ihrem eigenen Wesen zufolge  Gesellschaftsspiel  ist.

In ihrer Auffassung von solchen Fragen, die mit  Abbildung, Bedeutung, Begriff  und  Regel  zu tun haben - nicht zu vergessen: in ihrer Auffassung von Logik (die MAUTHNER - darin nur NIETZSCHE vergleichbar - mit extrem nominalistischer Skepsis betrachtet) -, unterscheiden sich beide Philosophen außerordentlich voneinander.

Die direkten Auswirkungen von FRITZ MAUTHNERs Debut auf der philosophischen Bühne kurz nach der Jahrhundertwende (mit seinen  Beiträgen)  waren relativ unbedeutend. Das direkte Echo auf sein Werk war sehr verhalten. Es scheint, als ob die Philologen sein Buch als Sache der Philosophen angesehen, und die Philosophen es den Philologen zugeschoben hätten. (Die beiden Exemplare, die sich in öffentlichen schwedischen Bibliotheken befinden, sind beide fälschlich unter "Allgemeine Sprachwissenschaft" katalogisiert.) Der Mangel an begeistertem Echo von seiten der Philosophen von Beruf war sicherlich ebenfalls ein Grund für die oft direkt beleidigenden Wendungen, mit denen MAUTHNER die zeitgenössische Universitätsphilosophie abfertigte.

Eine Ausnahme machte schon früh eine (immer noch) sehr wertvolle Analyse von Walter Eisen mit seiner Dissertation " FRITZ MAUTHNERs Kritik der Sprache"(2), die 1929, also wenige Jahre nach MAUTHNERs Tod veröffentlicht worden ist.

Zwischen dieser Arbeit und GERSHON WEILERs "MAUTHNER's Critique of Language" von 1970, läßt sich kaum eine wirklich engagierte und professionelle Untersuchung zu MAUTHNERs Philosophie finden.

Durch seine Freundschaft mit dem Anarchisten GUSTAV LANDAUER, der selber - angeregt von MAUTHNERs Ideen - ein Buch zu diesem Thema geschrieben hat, "Skepsis und Mystik", wurde MAUTHNERs Name der deutschen sozialistischen Debatte ein Begriff.

Seine Bedeutung für MACH und über MACH für BOGDANOV, LENIN und die erkenntnistheoretische Auseinandersetzung in Sowjetrußland ist äußerst schwer zu beurteilen.

MAUTHNERs Schicksal als Philosoph ruft u.a. das  Repräsentationsproblem  in der Ideengeschichte ins Bewußtsein. Sein Werk ist im Hinblick auf neue Ideen quantitativ unbedeutend. Dabei ist es durch seine extrem konsequente Durchführung  idealtypisch  für einen sprachkritischen, nominalistischen und reduktionistischen Gedankengang.
LITERATUR - Lars Gustafsson, Sprache und Lüge - Nietzsche, A.B. Johnson, Mauthner - Drei sprachphilosophische Extremisten, München/Wien 1980
    Anmerkungen
  1. FRITZ MAUTHNER, Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Band I, Leipzig 1901, Seite 2
  2. WALTER EISEN, Fritz Mauthners Kritik der Sprache. Eine Darstellung und Beurteilung vom Standpunkt des kritischen Positivismus, Diss. Wien und Leipzig 1929