tb-3Rapoport - A.B. Johnson    
 
LARS GUSTAFSSON
Alexander Bryan Johnson (1786-1867)
Die Sprache schafft Scheinprobleme

"Wir suchen in der Natur eine Einheit, die nur in der Sprache existiert."

JOHNSONs wichtigste philosophische Texte,  "A Treatise in Language: or the Relation Which Words Bear to Things"  (1836) und  "The Meaning of Words: Analysed into Words und Unverbal Things Classified into Intellections, Sensations, and Emotions"  (1854) sind ursprünglich in äußerst begrenzter Auflage - nur für den Freundeskreis des Autors bestimmt - erschienen. Die Geschichte ihrer Wiederentdeckung um 1940, als es dank der Bemühungen STILLMAN DRAKEs und DAVID RYNINs zu Neuauflagen kam, ist ein eigener spannend zu lesender Bericht.

Wohl als Wendepunkt aus der Vergessenheit und zurück in die Diskussion, die zu einer besseren Einschätzung seiner Person führte, muß man das Seminar betrachten, das anläßlich der 100. Wiederkehr seines Todestages 1967 in seiner Heimatstadt Utica im Staat New York stattfand,  The Centennial Conference on the Life and Works of Alexander Bryan Johnson. 

Auf die Beiträge dieses Seminars, die CHARLES TODD und RUSSEL BLACKWOOD 1969 herausgegeben haben, werde ich noch einige Male zurückkommen, da beinahe alle qualifizierten Kommentare dieses Jahrhunderts zu JOHNSONs Philosophie in diesem einen Band versammelt sind.

Doch ist JOHNSON immer noch ein Unbekannter, und das trotz des Interesses, das seine Philosophie bei denjenigen wecken müßte, die sich mit Wittgensteins später Philosophie auseinandersetzten: daher erscheint mir ein biographischer Abriß angebracht, bevor wir uns seiner Gedankenwelt zuwenden. Ich stütze mich im folgenden auf Darstellungen von CHARLES L. TODD, RUSSELL T. BLACKWOOD, JOSEPH DORFMAN JOHNSONs eigene, jetzt veröffentlichte "Autobiographie" und eigene Untersuchungen, die ich in der Stadtbibliothek von Utica angestellt habe, sowie auf Material, das mir freundlicherweise Herr ALEXANDER BRYAN JOHNSON III, in New York zugänglich gemacht hat. Zu dem letzteren gehören die wirklich interessanten Angaben über JOHNSONs Privatbibliothek in ihrem Stand nach seinem Tod 1867.

Das Leben JOHNSONs beginnt in Gosport, England, wo er am 27.Mai 1786 geboren wurde. Sein Vater, Bryan Johnson, war "paymaster" (Zahlmeister) und Zulieferer der englischen Flotte. Er entstammte einer deutsch-jüdischen Familie, die den Namen JOHNSON wahrscheinlich nach ihrer Einwanderung in England angenommen hat. Zwei Kindheitserinnerungen spielen für JOHNSON eine große Rolle: die große Meuterei der Kanalflotte bei Spithead und die Hinrichtung eines der Meuterer, deren Augenzeuge er anscheinend als kleiner Junge war.

1801 wanderte die Familie in die Vereinigten Staaten aus: Im April des Jahres 1801 kamen sie in New York an. Sie siedelten sich in der noch weitgehend unberührten Gegend bei Utica im Hinterland von New York an, südlich der Fingerseen.

In dieser Gegend waren kraftvolle und originelle Menschen nicht selten, die von einem orthodoxen Luthertum geprägt waren, das gelegentlich in plötzlichen Erweckungsbewegungen aufflammte, die auch in JOHNSONs Werk einen gewissen hemmenden Faktor hinterlassen haben.

BRYAN JOHNSON gründete zuerst einen Großhandel in Utica. Die Geschäfte auf diesem rasch aufblühenden Handelsposten am Mohawk-Fluß (bei der Ankunft von BRYAN JOHNSON trug er noch seinen alten Namen  Fort Schuyler)  müssen wohl recht gut gegangen sein, denn 1810 finden wir die Familie in umfassende kommerzielle Unternehmungen verwickelt, wei Bankgeschäfte und lokale industrielle Geldanlagen. 1810 tritt JOHNSON außerdem als einer von zwei Juniorchefs in einen Glashüttenbetrieb ein. Die beiden Teilhaber trennen sich allerdings nach einer Reise zu verschiedenen Glashütten, die sie angetreten haben, um Glasbläser anzuwerben.

Zwischen 1811 und 1815 hält sich ALEXANDER BRYAN JOHNSON in New York auf, wo er sich im wesentlichen mit dem aus der Glashütte erwirtschafteten Kapital der Börsenspekulation widmet.

In New York erscheint 1813 auch sein erstes Buch: "An Inquiry into the Value und Nature of Capital". Bevor wir darauf eingehen, scheint es mir angebracht, etwas zu JOHNSONs Schulzeit, seiner Bildung und seiner intellektuellen Umgebung zu sagen.

Seine ersten Schuljahre, eine wohl wenig erfolgreiche Zeit, verbrachte er in Gosport. Etwas später erhielt er Unterweisung in "dancing, drawing, and the rudiments of English" in einer Privatschule in Kent, wurde aber von seinem Vater schnell wieder von dort weggeholt, nachdem sich dieser von den brutalen Methoden, mit denen die Schüler dort behandelt wurden, überzeugt hatte.

Schon aus der Londoner Zeit wird berichtet, daß JOHNSON intensiv las. Zu seiner ersten Lektüre gehörten wohl die Werke von TOM PAINE, um 1810 findet er eine wahre Goldgrube in Gestalt der "Circulation Library" des Richters NATHAN WILLIAMS, die dieser in seinem Büro in Utica unterhielt. Bereits zu diesem Zeitpunkt verlegt JOHNSON seinen literarischen Schwerpunkt auf "philosophy, grammar, and ethymology". Im wesentlichen scheint JOHNSON seine Bildung aus seinem eigenen Antrieb gewonnen zu haben - und sie scheint umfangreich gewesen zu sein. Davon legt seine Bibliothek Zeugnis ab, die er viele Jahre später als gutsituierter Bankdirektor in Utica hinterlassen hat.

Insofern der Besitz eines Buches garantiert, daß sein Besitzer es auch gelesen hat (und bei einem so bildungshungrigen und gewissenhaften Mann wie ALEXANDER BRYAN JOHNSON zählen die Indizien doch wohl stärker als gewöhnlich), läßt sich an JOHNSONs Bücherbestand feststellen, daß er die Empiristen HUME und THOMAS REID gelesen hat, aber auch die sprachphilosophisch interessanten Franzosen wie DESTUTT de TRACY und CONDORCET, CONDILLAC und Degerando. Joseph Dorfman z.B. hat bemerkt, daß JOHNSON ein "Mann der sparsamen Fußnote"  (a poor footnoter)  war, ein Autor also, der in ungewöhnlich hohem Umfang Quellenangaben zu vermeiden suchte. Und das gilt in besonderem Maße für seine philosophischen Arbeiten. Während er in seinen Schriften HUME tatsächlich nennt, habe ich nirgends einen Hinweis auf Bischof BERKELEY finden können, obwohl BERKELEYs "A New Theory of Vision" für JOHNSONs Vorstellung vom Verhältnis der Sinnesmodalitäten zueinander eine wichtige Rolle gespielt hat.

JOHNSONs Philosophie entsteht in einem intellektuell isolierten Milieu; er hat nicht systematisch gelesen, wie wir das bei  richtigen  professionellen Philosophen seiner Zeit erwarten - doch dürfen wir uns von diesen Beobachtungen nicht zu der Analyse verleiten lassen, JOHNSON sei eine Art exzentrischer Provinzler gewesen.

Der Mangel an ihm ebenbürtigen Intellektuellen in seiner Umgebung in Utica hat sich wohl eher darin bemerkbar gemacht, daß ihm Gesprächspartner und Zuhörer gefehlt haben, als im Mangel an philosophischer Literatur, die in der Zeit von 1839-1860 zur Allgemeinlektüre in gebildeten und besonders interessierten Kreisen gehörte.

Das nationalökonomische Werk "An Enquiry" von 1813, das am Anfang von JOHNSONs schriftstellerischem Wege steht, zeigt nach dem Urteil eines bedeutenden Experten wie Joseph Dorfman nicht nur, daß JOHNSON seine Lehrjahre in der Wirtschaft gut darin verarbeit: es ist auch hoch originell.

In zweierlei Hinsicht ist JOHNSON den nationalökonomischen Perspektiven seiner Zeit voraus. Er sieht die Unzulänglichkeiten der Goldwährung: in seinem Plädoyer für eine "soft money policy" nimmt er eine spätere Entwicklung der amerikanischen monetären Grundsätze vorweg. Auffallender noch ist sein Weitblick, der sich in seiner Einstellung zu Staatsschulden und zu öffentlichen Anleihen überhaupt äußert. JOHNSON nimmt KEYNES in seiner Argumentation klar vorweg, daß eine öffentliche Anleihe als Mittel und Anreiz für den Markt dient, deren Wirksamkeit in der Folge durch verschiedene einzelne Initiativen erhöht wird. Diese Grundsätze entwickelt er später auch in einer Reihe von Pamphleten in den Jahren um 1840 und um 1860.

In seinem Erstlingswerk, der Abhandlung über das Kapital, such man vergeblich nach dem frühesten Ferment zu JOHNSONs erkenntnistheoretischen Bemühungen. Bei einer etwas großzügigen Beurteilung könnte man im "Behaviorism" oder "Enquiry" Ansätze zu der tiefen Abneigung gegen abstrakte Größen in seiner späteren Erkenntnistheorie sehen, indem er nämlich von Anfang an abstrakte, ökonomische Größen ablehnt, wenn sie keinen Einfluß auf das menschliche Handeln am Markt haben.

Ein genauer Zeitpunkt, der als Geburtsstunde für JOHNSONs Philosophie gelten könnte, läßt sich nicht bestimmen: er muß in die Jahre zwischen 1813-1828 fallen, als JOHNSON erstmals mit seiner Philosophie in populärwissenschaftlichen Vorlesungen in Utica an die Öffentlichkeit tritt. Seine große Autobiographie ist leider in jeder Hinsicht wenig aufschlußreich, endlose Abschriften privater Korrespondenz und ziemlich naive Reisebeschreibungen sind darin aufgenommen, sie gibt also keinen Anhaltspunkt. Er betont dort lediglich, wie auch in seiner Korrespondenz mit verschiedenen Zeitgenossen - nicht zuletzt mit seinem Schwiegervater John Quincy Adams-, daß die Leidenschaft für philosophische Spekulationen und Untersuchungen ihn sein Leben lang in seiner freien Zeit beherrscht und sein Leben privat wie im Beruf grundlegend bestimmt hat.

Als JOHNSON gegen Ende seines Lebens von einer unerwarteten Katastrophe überrascht wird, dem Bankrott der Bank von Ontario, 18 Monate nach deren Neuaufbau im Jahre 1858, wollte er die Schuld an dem Unglück seinen gelehrten philosophischen Interessen zuschieben. Sie hätten ihn davon abgehalten, einen - wie sich später herausstellen sollte - unzuverlässigen Kassierer streng zu kontrollieren, wie er es so häufig in seinen Handbüchern über kommerzielle Themen anderen hatte einprägen wollen.

Als Grund für seine Beschäftigung mit der Philosophie nennt JOHNSON des öfteren mit einem geradezu schockierenden Freimut Eitelkeit. Es ist möglich, daß er hier einem Bedürfnis nachgibt, sich im koketten Stil der Epoche gegen eine Kritik zu wehren, die sicher in seiner bürgerlichen Umgebung nicht von der Hand zu weisen war. Aber der Tonfall, den er anschlägt, nicht zuletzt in seinem Briefwechsel mit John Quincy Adams, deutet sehr stark darauf hin, daß sein Bedürfnis, bei der Nachwelt als einfallsreicher Denker Anerkennung zu finden, ihm, dem kleinen Finanzmann im Norden des Staates New York, Antrieb gewesen sein muß, weiter an seinen philosophischen Werken zu arbeiten, trotz der Gleichgültigkeit seiner Umgebung und der gelehrten Welt seiner Zeit.

In all ihrer Anspruchslosigkeit zeigen wohl auch diese Zeilen - in weit höherem Maße aber das Interesse, das moderne große Forscher wie ALONZO CHURCH, MAX BLACK und GEORG HENRIK von WRIGHT seiner Philosophie bewiesen haben -, daß JOHNSONs philosophische Investition, die wohl abenteuerlichste seines Lebens, ebenfalls eine gute Entscheidung war.

1813 verläßt er New York, wo er einige Jahre teils mit der Abfassung seiner Abhandlung über das Kapital, teils mit der - erfolgreichen - Verwaltung von Teilen des väterlichen Vermögens uns seines eigenen Kapitals an der damals noch jungen Effektenbörse zugebracht hat. Vermutlich treibt ihn das Gerücht von einer beabsichtigten Beschießung der Stadt New York wieder zurück nach Utica, der Stadt, die bis zu JOHNSONs Tod sein hauptsächlicher Aufenthaltsort bleiben sollte.

Dort geht er im Alter von 28 Jahren bei einem Rechtsanwalt in die Lehre - nach dem Brauch der Zeit als Praktikant-, in das Büro eines Freundes seines Vaters, des Richters Nathan Williams.

Drei Jahre später wird er als Rechtsanwalt zugelassen. 1819 wird er Direktor der Ontario Branch Bank und im September desselben Jahres Präsident dieser Bank, eine Position, die er bis 1855 innehat.

Zur Geschichte des Staates New York der frühen zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts gehört unter anderem die sogenannte  Lyzeuumsbewegung. 

1826 entstand das Manifest dieser Bewegung, die die Volksbildung auf ihre Fahnen geschrieben hatte (von JOSIAH HOLBROOK und BENJAMIN SILLIMAN) - wohl in der Folge der allgemeinen Reformbewegung, die in diesen Jahren von Oneida ausging, dem Port-Royal dieser Zeit und Gegend. In Europa ließe sich diese Bewegung am ehesten mit den frühen Arbeiterbildungsvereinen vergleichen.

JOHNSON gründete bereits 1823 mit einigen anderen Bürgern Uticas nach englischem Vorbild das Lyzeum von Utica und wurde im Februar des folgenden Jahres Präsident der neuen Einrichtung. Anliegen der Begründer war es, in allgemeinbildenden Vorträgen "Kenntnisse über die Geschichte der Natur und andere nützliche Wissenschaften" zu vermitteln.

Dieses Ereignis ist von großer Bedeutung für JOHNSONs Philosophie. Hier nämlich findet er sein philosophisches Publikum. Sein erstes Werk über das Verhältnis von Sprache und außersprachlicher Wirklichkeit erscheint 1825 in der Urfassung - als Vorlesungsreihe am  Lyzeum von Utica.  Wenn man JOHNSONs "Treatise on Language" gelesen hat, ist man geneigt, in die Begeisterung Timothy Flints, eines früheren Kritikers des Buches im 19. Jahrhundert, einzustimmen:
"Welche Zuhörerschaft muß das im Lyzeum von Utica gewesen sein, die diesem Mann so geduldig in seinen scharfsinnigen, feingesponnenen und manchmal dunkel gewobenen Gedankengängen folgte."
An dieser Stelle ist vielleicht eine charakteristische Eigenheit Johnsons anzumerken, die das Studium seines Werkes zugleich bereichert und erschwert: sein Stil. Dieser ist ebenfalls für das Verständnis seiner Philosophie von Bedeutung. In JOHNSONs Darstellungsweise liegen Kraft und Offenheit. Aber gleichzeitig stößt sein allzu intensiver Gebrauch von Metaphern unangenehm auf, sein Hang zu Aphorismen; vor allem aber die Wiederholungen sind es, die den Leser ermüden. Bestimmte Sätze kehren mit leitmotivischer Monotonie wieder und lassen, im schlimmsten Fall, die Lektüre seiner beiden philosophischen Hauptwerke zu einer Art Wanderung durch die Wüste werden.

Die stilistischen Eigenarten werden erst verständlich, wenn wir uns in die Lage des Philosophen versetzen. Die Wiederholungen ebenso wie die mal treffenden, mal schwerfälligen Metaphern entsprechen genau dem, was man bei einem Mann erwarten kann, der wie JOHNSON mit einer doppelten Aufgabe kämpft, einerseits klassische philosophische Probleme in Licht radikal neuer (wie ihm scheint) Ideen zu rücken und zu überprüfen, die er andererseits einem Publikum nahezubringen versucht, das weder die geringsten philosophischen Vorkenntnisse noch die Fähigkeit mitbringt, die Originalität der vorgestellten Gedanken zu begreifen. Das ist genau die Situation Johnsons bei den Vorlesungen am Lyzeum von Utica 1825.

Sicherlich hätten seine Bücher wenigstens zum Teil anders ausgesehen, wenn ein hinreichend philosophisch vorgebildetes Publikum ihn verstanden und ihm gedanklich Widerstand entgegengesetzt hätte.

Diese Einsicht ist wichtig, weil man sonst allzu rasch einer zu genauen Interpretation seiner Terminologie verfällt.

Worte wie "verbal", "significant", "word" und "name" haben eine Bedeutung, die oft nur Schritt um Schritt anhand von Beispielen festgestellt wird und wenn wir diese Worte voreilig mit den entsprechenden Termini der Philosophie seiner Zeit gleichsetzen, laufen wir große Gefahr, uns auf Deutungen festzulegen, die Johnsons Philosophie als uninteressant oder absurd ausweisen, bevor wir sie überhaupt ernsthaft haben zu Wort kommen lassen. Das "Prinzip der vorsichtigen Interpretation" muß hier beachtet werden.

Mit einer wichtigen Ausnahme scheint es in JOHNSONs Philosophie von dem Augenblick seines ersten Auftritts im Lyzeum von Utica 1825 bis hin zu seinem letzten Buch keine entscheidende Veränderung gegeben zu haben.

Die Sprache läßt uns durch ihre sinnbildenden Strukturen dort Einheiten in der Natur vermuten, wo keine sind. Solche Suggestionen führen zu Aporien, philosophischen Problemen, die ihrerseits dadurch aufgelöst werden können, daß der Wortsinn wiederum reduziert wird auf seinen ursprünglichen empirischen Inhalt.

Die Ausnahme ist JOHNSONs Auffassung von diesem Inhalt. Von 1836 an will er diesen empirischen Inhalt auf Empfindungen der fünf Sinne Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken reduzieren.

Als Antwort auf die Kritik die seine beiden ersten Fassungen von "A Treatise on Language" erfahren hatten, kommen spätestens 1854 zwei neue Kategorien hinzu, "emotions" und "intellections". Diese Veränderung bedeutet, daß er bis zu einem gewissen Grade seine sehr enge Auffassung vom Begriff erweitert. Von einem extrem nominalistischen Standpunkt findet er den Weg zu einer Auffassung, die man widerstrebenden Konzeptionalismus nennen könnte.

Eine tiefgehende Veränderung seiner grundlegenden Gedanken bedeutet dieser Schritt nicht.

Ein in all seiner Banalität außerordentlich wichtiger Gedanke für Johnsons Auffassung von Semantik ist, daß der nicht-verbale Teil der Wirklichkeit mehr Elemente enthält und dichter und reicher differenziert ist als der verbale Teil.

Dieser Gedanke taucht in allen seinen philosophischen Schriften an zahllosen Stellen wieder auf, typisch ist eine Formulierung wie die folgende:
"Wir müssen unterscheiden zwischen dem Umfang und der Mannigfaltigkeit der Schöpfung und der Unzulänglichkeit der Sprache."
Dieser Gedanke ist deshalb von großer Bedeutung für JOHNSON, weil daraus den Schluß zieht, daß die Sprache die Wirklichkeit insgesamt nur dann wiedergeben kann, wenn man  systematische Vieldeutigkeit  dafür in Kauf nimmt. Eine Reihe konkreter Begriffe, vor allem solche, die mit bestimmten Kategorien von Dingen und Qualitäten verknüpft sind, fallen bei JOHNSON unter diese Rubrik:
"Das Wort Stern z.B. bezeichnet einen Anblick ohne Assoziationen (einen Anblick, der nicht mit irgendwelchen Gefühlen etc. assoziiert wird), aber das Wort, das da nur einen Augenblick zu bezeichnen scheint, bezeichnet eine große Anzahl von Augenblicken, die sich in Größe, Glanz, Farbe, Gestalt etc. unterscheiden. Ich stelle das fest, damit sie erkennen können, daß verbale Bezeichnungen ein unangenehmes Mittel sind, die Mannigfaltigkeit und Zahl der natürlichen Existenzen einzuschätzen."
Aber vor allem die abstrakten und allgemeinen Begriffe und Bestimmungen in JOHNSONs früher wie später Philosophie - wenn auch z.T. in verschiedenem Zusammenhang - sind von diesem Urteil betroffen.

Daß JOHNSON konsequent Abstraktion als eine Form von Vieldeutigkeit auffaßt, ist für seine gesamte Sprachkritik kennzeichnend.
"Die Gravitation, die so viel in den astronomischen Theorien bewirkt - die Atlas ersetzt hat und ihm an Einssein entspricht, ist, soweit es ihre Identität betrifft, nur eine Sprachtäuschung. Das Wort  Gravitation  bezeichnet viele interessante und wichtige Phänomene, aber wenn wir darüber hinaus nach der Gravitation selber suchen, benehmen wir uns wie das Kind in der Oper, das nach ungeduldigem Anhören von Musik, Gesang und Tanz sagte: "Ich habe genug von all dem, ich will jetzt Oper haben."
Die Idee, daß die Sprache dürftig ist, d.h. weniger Elemente als die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit besitzt, und daß die Wirklichkeit als Folge davon nicht erschöpfend durch sprachliche Symbole repräsentiert werden kann, ist keineswegs originell.

Originell ist die Art, wie JOHNSON die Idee anwendet. Es ist jedoch außerordentlich schwierig, diesen Gedanken unmißverständlich zu interpretieren. Seine Philosphie in "A Treatise on Language" ist extrem phänomenalistisch, selbst Emotionen und "intellections" (wie JOHNSON sie nennt) werden auf dieselbe Weise wie Empfindungen behandelt. Allerdings scheint JOHNSON ihnen in "A Treatise on Language" ebenfalls eine Art selbständigen Status einzuräumen. Er stellt fest, daß wir die Tendenz haben, unsere inneren Empfindungen ("internal feelings") in geringerem Maß Unterscheidungen zu unterwerfen als unsere äußeren. In jeder denkbaren Hinsicht sind die inneren Empfindungen denselben semantischen Gesetzen unterworfen wie die äußeren.

Sowohl in einem engeren als auch in einem weiteren Sinne besteht JOHNSON mit großem Nachdruck auf der Behauptung, daß es aus logischen Gründen unmöglich sei, von einer Sinnesempfindung auf eine andere zu schließen. Aus der Empfindung in einer Sinnesrichtung (z.B. des Sehsinns) ergibt sich keine logische Konsequenz für die Empfindung in einer anderen (z.B. Tastsinn).

Denselben Gedanken entwickelt GEORGE BERKELEY im 49. Paragraphen seines "A New Theory of Vision" und Molyneux erörtert dieselbe Frage in seiner Korrespondenz mit JOHN LOCKE: wenn eine blindgeborene Person gelernt hat, zwischen einem Würfel und einer Kugel durch taktile Empfindungen zu unterscheiden, könnte sie dann, wenn sie plötzlich das Augenlicht wiedergewönne, dieselbe Unterscheidung mit Hilfe des Sehsinns treffen?

BERKELEY beantwortet diese Frage negativ: die Objekte des Sehsinns und des Tastsinns sind hier wie in allen anderen Fällen zwei ganz unterschiedliche Dinge. Was uns an der Erkenntnis hindert, so sagt Berkeley - und seine Formulierung kommt der JOHNSONs so nahe, daß man seinen Einfluß kaum ausschließen kann -, ist, daß Vorstellungen des Sehsinnes konstant dieselben Namen haben wie Vorstellungen des Tastsinns, Vorstellungen, die notwendigerweise miteinander verbunden werden, da die Sprache nunmal so funktioniert.

Dies ist nach JOHNSON allerdings nur die eine Seite. Er geht mit seiner Behauptung noch einen Schritt weiter:

Aus einer einzelnen Empfindung ergibt sich keine logische Konsequenz für eine andere Empfindung derselben Sinnesrichtung.

Alle Wörter, die sich auf eine physische Wirklichkeit beziehen - sofern sie sich überhaupt auf irgendeine physische Wirklichkeit beziehen -, systematisch vieldeutig sind. Das Wort "Kugel" kann sich auf eine Gefühlsempfindung, eine optische Empfindung, vielleicht auch auf eine akustische Empfindung beziehen: einen logisch notwendigen Zusammenhang zwischen diesen Empfindungen gibt es nicht. Aus der Tatsache, daß ein Gegenstand rund aussieht, folgt nicht, daß er sich rund anfühlen muß. Aus diesem Grund hat das Wort "Rundheit" z.B. eine ganz andere Bedeutung, wenn wir von der "Rundheit" der Erde sprechen oder von der "Rundheit" einer kleinen Kugel, die wir in der Hand halten.

JOHNSON ficht eine Reihe erkenntnistheoretischer Aussagen mit Hilfe dieser Theorie an, und er meint, damit klassische erkenntnistheoretische Antinomien auflösen können.

Ohne seine Theorie von Vieldeutigkeit so weit zu entwickeln, daß sie auch im entferntesten als vollständige Erkenntnistheorie durchgängig wäre, entwickelt JOHNSON doch einige äußerst interessante Gedankengänge auf diesem Gebiet.

Gewiß, JOHNSON bleibt in dieser Hinsicht in einem traditionellen Rahmen. Sowohl Condillacs "Traité des Sensations", der hartnäckig an dem Gedanken festhält, daß Denken nichts anderes sei als ein Zusammenstellen von Sensationen (Empfindungen), wie auch die Tradition des schottischen Realismus haben eine große Bedeutung für ihn gehabt.

Wenn z.B. THOMAS REID in seinen "Essays on the Intellectual Power of Man" von der Vieldeutigkeit der Eigenschaftsworte spricht, hat man wirklich den Eindruck, sich ganz in der Nähe von JOHNSONs Philosophe zu befinden.
"Man muß hier beachten, daß die Empfindung, die ich fühle, und die Eigenschaft der Rose, die ich empfinde, beide mit demselben Namen bezeichnet werden. Rosenduft ist der Name, der beiden gegeben wird, so daß der Name zwei Bedeutungen hat: wenn man aber die verschiedenen Bedeutungen voneinander trennt, ist alle Verwirrung beseitigt, und wir vermögen klare und unmißverständliche Antworten auf Fragen zu geben, über die die Philosophen viel disputiert haben."

LITERATUR, Lars Gustafsson, Alexander Bryan Johnson - Die Sprache schafft Scheinprobleme, in ders. Sprache und Lüge, München/Wien 1980