Kritik der Sprachkritik Mauthners - I I I -
Begriff und Wort sind nach MAUTHNER ebenso wie Vernunft und Sprache vertauschbare Bezeichnungen. Der einzige Unterschied zwischen ihnen ist nur in der Richtung der Aufmerksamkeit gelegen: einmal auf das Geräusch, welches die Sprachorgane bei Formung eines Lautkomplexes hervorbringen, das andere mal auf den Komplex der durch den Lautkomplex angeregten Assoziationen. Das Wort bloß als "Wortschall", als Lufterschütterung, zu betrachten, ist ebenso äußerlich, ungenau, wie den Begriff bloß als Komplex von Assoziationen zu betrachten. Psychologischer Sachverhalt ist kein erkenntnistheoretisch -logischer. Und es kommt hier nur auf die erkenntnis - theoretische Bedeutung an. Worte sind Symbole, vertretende Zeichen für Vorstellungen oder Begriffe; Begriffe sind ebenfalls Symbole. Die Natur der Begriffe muß an den wissenschaftlichen Begriffen, welche mit Bewußtsein gebildet und angewendet werden, sich viel besser offenbaren, als an den vulgären Begriffen, den Worten der Gemeinsprache - und je fortgeschrittener eine Wissenschaft, je ausgebildeter ihre Begriffssprache, ihre Terminologie, um so besser, deutlicher, wie an den Begriffen der Physik und Mathematik, wo die implizite Definition eintreten kann. Die Begriffe und Worte der Gemeinsprache aber werden von MAUTHNER vorwiegend zum Gegenstand der Analyse gemacht. Sie können aber wegen ihrer Verschwommenheit, eber ihrer mangelnden Ökonomie, kaum zu den eigentlichen Begriffen gerechnet werden (MACH), wenn auch, genetisch betrachtet, gewiß "die Begriffsbildung der Wissenschaft die natürliche Fortsetzung der Begriffsbildung des täglichen Lebens ist" (von ASTER).
"Es ist ohne Zweifel zweckmäßig, den Namen und Gedanken für eine Gruppe von Eigenschaften, wo dieselben hervortreten können, stets bereit zu halten. Ein Chemiker kann ein Stück Natrium bei dem bloßen Anblick erkennen, setzt aber hierbei eigentlich voraus, daß eine Anzahl Proben, die er im Sinne hat ..., das von ihm erwartete Resultat geben würden. Wenn ich sage, ein Körper ist elektrisch, so ruft mir dies viel mehr Erinnerungen wach, ich erwarte viel bestimmtere Gruppen von Tatsachen, als wenn ich etwa die in dem Einzelfalle sich äußernde Anziehung hervorheben würde." (MACH) Trifft der Geübte darauf, so weiß er sofort, was das Wort von ihm will. Wohlgeübte Tätigkeiten ... sind also der Kern der Begriffe. - In diesen Ausführungen treten die begriffbildenden Faktoren der Erinnerung und der Erwartung, sowie der ökonomische Symbolcharakter von Begriff und Wort klar hervor, aber auch der Wert von Begriff und Wort. Was das Verhältnis von Wort und Begriff und ihre Funktion innerhalb des Erkennens angeht, so sagt der "Sprachkritiker" vor MAUTHNER, GUSTAV GERBER:
Er löst sie von ihrer erkenntnisermöglichenden Umweg-Funktion; er verkennt den Zweck solcher nicht-realen Gebilde, ein bequemes Ordnen der Sinneseindrücke zu ermöglichen. Ihre höchst nützliche Leistung für die Berechnung, Beherrschung der Tatsachen genügt ihm nicht. Er mißt das Denken an seinem Wirklichkeitsgehalt und bleibt bei der Feststellung von dessen Nichtvorhandensein stehen; ganz im Sinne eines Realismus sollen aber die Begriffe, Worte, soll das Denken letztlich Erscheinungen abbilden, deren Wesen erfassen. Das lenkt auf die Auffassung des Verhältnisses von Denken und "Wirlichkeit" bei MAUTHNER hin, ebenfalls auf den Erkenntnisbegriff MAUTHNERs. Kritik des Wirklichkeitsbegriffs Mauthners MAUTHNER behauptet, Nominalist zu sein, in dem Sinne des von ihm zustimmend zitierten LOCKEschen Satzes, daß "alle menschlichen Urteile sich nur auf Worte und Wortverbindungen beziehen, nicht auf die Dinge selbst". Aber deswegen, weil die Worte nicht das wirkliche Wesen der Dinge bezeichneten, sondern nur eine Zusammenfassung sinnlich wahrnehmbarer Eigenschaften der Dinge (über deren Vollständigkeit wir nicht einmal jemals gewiß sein könnten), ist die Sprache MAUTHNER keine Erkenntniswerkzeug. Eben hier macht MAUTHNER die Wendung zum Realismus. Gewiß: unsere Worte und Denkzeichen sind nichts als "nomina", fiktive Zusammenfassungen, sie können nichts anderes sein. Sie brauchen aber auch nichts weiter zu sein. Auch die einfachste Beschreibung, Darstellung schließt schon rationale Elemente notwendig in sich - fiktive Elemente; das ist in der Tat allein schon bedingt durch den "metaphorischen" Charakter der Sprache. Ich kann nicht darstellen oder beschreiben ohne alle sprachlichen und rationalen Kategorien; da ich beschreiben nur mitter der Sprache kann, ist es nicht anders möglich, als daß die fiktiven sprachlichen Elemente in die Beschreibung hineinkommen. Um des Empfindungschaos beschreibend Herr zu werden, muß ich es begrifflich ordnen muß ich, der ich nur die Empfindungen habe, z.B. "Körper" oder "Dinge" statuieren; es sind nur, wie unter anderen MACH schön ausführt, zusammenfassende bzw. abkürzende Symbole für Gruppen von Empfindungen, besonders Gruppen mit Elementen von relativ größerer Beständigkeit. Es sind Erinnerungs- oder Erwartungssymbole, bloß fiktive Einheitspunkte, auf welche die Mannigfaltigkeit der Bewußtseinsinhalte gezogen wird. Ja, das "Bewußtsein" als solches verfälscht bereits die eine Empfindungs -Wirklichkeit, indem es (was besonders ins Auge fällt in der Sprache) sie als wahrgenommene, als Bewußtseins-Welt spaltet in "Subjekt" und "Objekt", in "Ich" und "Dinge" bzw. "Erscheinungen" und "Ding an sich", zerlegt das Kontinuum der gegegebenen Empfindungen in willkürliche Gebilde, Abschnitte usw. Aber - gegen MAUTHNER! - ohne diese Urfiktion ist "Erkennen" in keiner Form denkbar. Denn Erkennen kann nur heißen: etwas. "Ich" und "Welt der Objekte" bedeutet eine notwendige Zerspaltung der Wirklichkeit eben in der Sprache; MAUTHNER betont: durch die Sprache als solche - mit der er eben darum Bewußtsein identifiziert. Treffend beschreibt diesen Sachverhalt auch ADOLF LAPP:
Wollten wir ohne Fiktionen auskommen, so würde nichts als ein stumpfes sinnloses Empfindungschaos übrig bleiben, und unser differenziertes menschliches Seelenleben würde zu einem brutalen Triebleben zusammensinken. Wenn wir also irgendein Gedankengebäude, natürlich auch das der Fiktionstheorie, denken und darstellen wollen, so benützen wir Fiktionen". Die Unentbehrlichkeit dieser Fiktionen will MAUTHNER nicht wahrhaben, nicht den eminenten Nutzen, den sie, unbeschadet ihres Mangels an Wirklichkeitsgehalt, für das Leben haben. Was er selbst ständig wiederholt, daß Worte nur Zeichen für Sinneseindrücke als letztes Reales sind, bequeme Erinnerungszeichen, genügt ihm immer wieder nicht, - immer wieder sucht er die "Brücke" zur "Wirklichkeit". Denn es gibt - trotz alles Schwankens und aller Unklarheiten - für MAUTHNER eine Wirklichkeit hinter den Empfindungen, das Ding an sich geistert, von KANT und SCHOPENHAUER her, auch in der Sprachkritik. Erkenntnis über die Sinneseindrücke hinaus gebe es nicht, da unsere Urteile letzten Endes nicht weiter, sondern auf die Sinneseindrücke zurückführen. - Die Erfahrung als Ganzheit von Empfindungen führt nicht zum Transzendenten, zum so sehr begehrten Ding an sich. "So spiegelt sich das Kind in der Seifenblase, die es selbst gemacht hat, und niemand kann sagen, ob es mehr weiß von der Wirklichkeit als die Farben, an denen es sich freut." Gibt es eine Wirklichkeit außer der Welt der Symbole, eine Wirklichkeit, die nicht bewußtseinsimmanente Wirklichkeit ist? - Diese Frage - für den Positivisten ist sie nicht sinnvoll - wird von ihm sowohl direkt verneint, wie auch - und das ist allerdings ein notwendiges, bedeutungsvolles Glied in dem sprachkritischen Gedanken MAUTHNERs - direkt bejaht. MAUTHNER ist mit sich selbst im Widerspruch, wenn er eine Wirklichkeit jenseits der Sinneswahrnehmungen annimmt, hinter den "Erscheinungen" noch einmal eine "Wirklichkeit" sucht. Tatsächlich aber nimmt er diese "Verdoppelung der Wirklichkeit" vor, gegen die er sich gerade so scharf wendet an anderen Stellen. Zum Beispiel in "Die Sprache" unter Zitierung von LICHTENBERG:
MAUTHNER sind nicht nur die Worte Zeichen für Sinnesempfindungen, sondern diese selbst wieder nur Zeichen für ... - für was?, nun eben für irgend welche Dinge, bewußtseinstranszendente Dinge, Dinge an sich als Ursachen der "Erscheinungen"; trotz seiner diesbezüglichen Kritik an KANT. Übrigens, was diesen betrifft, liegt bei ihm eine konstante Verkennung des "Dinges an sich" vor. Er nimmt an, daß KANT das Ding an sich als Ursache der Erscheinung hypostasiert [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] habe. - Tatsächlich liegt hier ein Grundirrtum: MAUTHNER geht von der vulgären KANT-Deutung aus. Hätte er Gelegenheit genommen, mit dem VAIHINGERschen KANT tiefere Bekanntschaft zu machen (auch schon bei Bekanntschaft mit COHEN), wäre vielleicht seine ganze Kritik der Erkenntnis bedeutend verschieden von der vorliegenden ausgefallen. Auch besonders, von der VAIHINGERschen Richtung abzusehen, hätte er sich diese Kenntnis aus der Darstellung KANTs durch von ASTER holen können. MAUTHNER verkennt, daß die "Dinge" nichts sind, wenn wir das mit den Sinnen (unseren "Zufalls-Sinne") Wahrgenommene, alle von ihnen aussagbaren Prädikate von ihnen abgezogen denken. Er merkt nicht, daß er hier ausgesprochen in Metaphysik verfällt. Gewiß sind die Dinge Dinge für uns, das Wahrgenommene Wahrgenommenes von uns; aber es ist sinnleer, außerdem noch, wie MAUTHNER, Dinge an sich, eine zweite Welt zu hypostasieren. Das Ding an sich ist nichts als ein Grenzbegriff, ein "limitativer" Begriff, da für uns das Wesen der Dinge immer nur in ihrer Erscheinung besteht. Wo aber kein Gegensatz besteht, ist die Unterscheidung von Schein und Wirklichkeit ganz müßig und wertlos. So ist denn im kritischen Positivismus (VAIHINGER, MACH) das "Ding an sich" zur bloßen erkenntnistheoretischen Hilfsvorstellung geworden, und die Welt der Erscheinung umfaßt alles, was wir "wirklich" nennen können. "Wirklichkeit" selbst ist ein Relationsbegriff. Ding an sich und Erscheinung sind, wie auch "Ich" und "Außenwelt", "Subjekt" und "Objekt", vom konsequent kritisch-positivistischen Standpunkt aus nur Korrelationsbegriffe. Nicht die Empfindungen sind gebildete "Zeichen", Symbole, von den dingen - wie MAUTHNER meint, vielmehr das "Ding" bzw. der "Körper" ist gebildet als Gedankensymbol von einem Empfindungskomplex von relativer Konstanz. Nicht die Welt ist also unsere Vorstellung, sondern unsere Vorstellungen, bzw. Empfindungen sind die Welt. Hier erhebt sich für MAUTHNER eine neue Frage. "Für den Sprachkritiker ... gähnt zwischen der zufällig gewordenen menschlichen Vernunft und der Wirklichkeit eine unüberbrückbare Kluft." Unsere Sinne sind zufällig gewordene "Zufalls-Sinne", unsere Sinnesempfindungen nur zufällige Bilder der Wirklichkeit, und damit ist auch unsere "Welt" eine Zufalls-Welt, eine von vielen (unendlich vielen) möglichen Welten. Hier wird recht deutlich der ungeklärte Positivismus MAUTHNERs. Können wir überhaupt von Welt, von anderer Wirklichkeit sprechen, außer von der Welt, die uns unsere Sinnesempfindungen geben, von anderer Wirklichkeit als: die es "für uns" ist, als: in der wir leben, die wir so - - nennen? Wir können nur bei Möglichkeiten sinnvoll von "zufällig" sprechen, nicht bei einer Einzigkeit. Die Lehre von den "Zufallssinnen" impliziert ein "unbekanntes Land jenseits derselben", noch eine andere Welt als die uns durch die Sinne gegebene, das "Ding an sich"; dem nominalistischen Prinzip wird ins Gesicht geschlagen. Da wir keine "andere" Wirklichkeit haben, von keiner anderen wissen, können wir ja von keinem Standpunkt aus beurteilen, daß die unsere "Wirklichkeit" "zufällig" ist. Sie ist uns gegeben, und es ist leere Begriffsmetaphysik, sie als "zufällige" zu statuieren. Konsequent im Sinne des Nominalismus wäre die Annahme: Das empirisch Gegebene nennen wir Wirklichkeit, insofern ist Wirklichkeit tatsächlich nur eine Metapher. Von dieser Ursymbolisierung aus aber haben wir ein Recht, innerhalb derselben nicht mehr zu relativieren, sondern dies Gegebene als "absolut" zu betrachten; das Leben selbst zwingt uns dazu. Wir wollen nicht mehr als unsere Zufallswelt erkennen, eben die Zufallswelt, die uns mittels unserer "Zufallssinne" geliefert ist; nur von dieser können wir mit Sinn sprechen. Mehr kann sinnvoll keine Erkenntnis fordern; damit ist ihrem letztendlich praktischen Zweck, des empirischen Chaos Herr zu werden, Genüge getan. Erst wenn wir "hinter" die "Zufallswelt" eine andere, transzendente, setzen, kann von Inadäquatheit von Ziel und Mittel mit Fug die Rede sein. Unsere Sinne sind "Zufallssinne", allerdings - mit ihnen können wir keine "absolute Welt" erfassen; "absolute Welt" aber ist ein Trugbegriff, eine Fiktion, nichts weiter; wer damit spielt, wie MAUTHNER, verfällt in metaphysische Spekulation. Ist aber einmal die ABsurdität einer Fragestellung erkannt, so braucht man sich über das betreffende Problem nicht mehr den Kopf zerbrechen. Es sind bei ihm aber immer realistische Vorstellungen im Spiel, die schließlich sogar dominierend werden.
Die hier entwickelte Auffassung der MAUTHNERschen "Zufallssinne" bzw. "Zufallswelt" sei kurz zusammengefaßt: das verhaßte Ding-ansich hat es verstanden, durch eine Hintertür in die Erkenntniskritik MAUTHNERs Einzug zu halten. Indem er meint, "der Gedanke sei der Wissenschaft noch kaum gekommen, daß nicht nur die hörbaren und sichtbaren Erscheinungen der unbekannten Elektrizität, daß am Ende alles, was uns umgibt als Schall und Licht, nur die stammelnde Übersetzung unserer Sinne sei, aus einer fremden, fremden Welt ...", spottet er seiner und weiß nicht wie. "Zufallssinne, Zufallswelt" sind nur eine neue Formulierung der Scheinfrage. Die "Lehre von den Zufallssinnen" hat Vorläufer, von denen MAUTHNER selbst, wie schon oben erwähnt, einige anführt. Ebenfalls ist schon oben darauf hingewiesen worden, daß die Andeutung dieser Auffassung bei GUSTAV GERBER MAUTHNER unbekannt geblieben ist. Origineller, aber hier nicht bedeutungsvoller, ist die "Lehre von den Drei Welten", auf deren "Entdeckung" er sehr stolz ist. Er unterscheidet Grade der Wirklichkeitsnähe bzw. -ferne. In einem bestimmten (!) Sinn könnte auch der Positivist solche Stufen annehmen. MAUTHNER neigt aber dazu - das heißt auch hierin kommt er nicht mit sich ins Reine -, der "adjektivischen Welt" in prinzipiellem Gegensatz zu den beiden anderen, der substantivischen und der verbalen, Realität zuzuerkennen, und ihr daraus eine besondere Dignität herzuleiten. Vielleicht ist hier das "Irgendwie", wie die Metapher die Wirklichkeit deckt, "eine geheimnisvolle Übereinstimmung mit der Wirklichkeitswelt" besteht. (LANDAUER) Hier also wird er ein absolutes Erkennen für bestehend halten, ein sehr naiver Realismus. Und ein anderes Mal glaubt er, jede der drei Wortgattungen gebe nur einen anderen Aspekt der wirklichen Welt; eine Vereinigung der drei Aspekte müsse ein adäquate Erkenntnis der Wirklichkeit ergeben. In keiner Sprache allerdings sei diese Vereinigung möglich, "... eine Sprache, die die Welt nicht erkennend zerspaltete, haben wir nicht". Eine solche "Erkenntnis", wie sie MAUTHNER vorschwebt, scheint mystisch, in der "Sprache" überhaupt unmöglich. Erkenntnis mittels der Vernunft - gibt es eine andere? - muß "zerspalten". |