ra-1p-3ra-3mp3von HartmannW. TatarkiewiczV. NorströmM. Nemo    
 
WERNER |G| PETSCHKO
Postfaktische Zeiten

Auf der Ebene der Interessen gelingt es den Gefühlsduseln auch viel leichter, sich von den Intelligenzduseln zu emanzipieren. Wer seine Wirklichkeit unmittelbar wahrnimmt, kriegt sie quasi  offenbart und hat damit gewissermaßen  göttliche Fähigkeiten. Und es spielt im Prinzip keine Rolle, ob man das als  Realität oder  Gefühl bezeichnet. Die Unmöglichkeit, bzw. die Einbildung ist dieselbe. Wer dieser Art von Religion nicht anhängt, hat grundlegend andere geistige Voraussetzungen, die eine Diskussion mit Realisten jeglicher Coleur sinnlos macht, da diese in der Regel das Problem nicht begreifen, das mit einer erforderlichen Abstraktion verbunden ist, weil für sie die  Unmittelbarkeit der Wahrnehmung reibungslos funktioniert."

Im Zuge einer historischen Einteilung, bei der auf einen Abschnitt der Geschichte, der nunmehr vorbei ist, ein Post-Irgendwas folgt, ist seit ein paar Jahren in eingeweihten Kreisen (1) immer wieder mal von  Postdemokratie, Postpolitik  und neuerdings von  postfaktischen  Zeiten die Rede, in denen die Krise von Staat und Gesellschaft angeblich einen erneuten Höhepunkt erreicht.

Ausgegeben werden solche Unkenrufe von Leuten, denen anscheinend klar ist, wie Demokratie geht, bzw. nicht geht und wie die richtige Politik gemacht wird, also Leute, die überhaupt Spezialisten sind, was Logik und Rationalität angeht, weil sie so gut über Fakten und die Realität Bescheid wissen.

Kritik am politischen System hat es immer schon gegeben. Sie gehört gewissermaßen zur Demokratie dazu, vorausgesetzt, daß dabei das System  als solches  nicht in Frage gestellt wird. Man bleibt auf dem Boden der Verfassung und streitet in der Regel über die  Mittel  und  Methoden,  die zur vermeintlich idealen Regierungsform führen. Außerdem fällt auf, daß entsprechend dem Vergleichsmaßstab, der angelegt wird, die einen auch postdemokratisch mit den herrschenden Verhältnissen gut zufrieden sind, während für andere schon die Anzahl der Nichtwähler ein Indiz darstellt für das Versagen der öffentlichen Ordnung.

Mit dem Ausrufen postfaktischer Zeiten wird nun aber eine ganz andere Gefahr beschworen, die die Organisation des Gemeinwesen um ein Vielfaches erschwert, weil damit ein grundlegender Konsens herausgefordert wird in einer Angelegenheit, in der bisher immer über alle politischen Parteien hinweg Einigkeit herrschte, nämlich darüber, was einen  rationalen  Dialog ausmacht. Nunmehr, so heißt es, treten immer mehr "Demagogen" auf, die ihre eigenen Tatsachen für sich in Anspruch nehmen, dazu aber kein Recht haben. Was aber deren Zuhörerschaft nicht im Geringsten zu stören scheint.

ANGELA MERKEL hat die Position des politischen Establishment in ihrer Parlamentsrede vom 7. 9. 2016 auf den Punkt gebracht: "Wenn wir anfangen, dabei mitzumachen, daß Fakten beiseitegewischt oder ignoriert werden können, dann sind verantwortbare und konstruktive Antworten in der Sache nicht mehr möglich. Wenn wir anfangen, uns (...) an denen zu orientieren, die an Lösungen nicht interessiert sind, verlieren am Ende  wir  die Orientierung." (UF)

Für die Bundeskanzlerin ist es keine Frage, was unter einer "Sache" zu verstehen ist, denn sie hat es Tag für Tag mit ganz konkreten praktischen Problemen zu tun, die gelöst werden wollen und kann deshalb sehr wohl darüber urteilen, wann eine Diskussion "in der Sache" nicht mehr weiterführt. Auch hier spielt der Maßstab wieder eine entscheidende Rolle, der bestimmt, wann ein Argument noch zu berücksichtigen und wo etwas irrelevant ist und der heißt entweder "logischer Widerspruch" oder "empirische Tatsache".

Was dann in der Politik bei Meinungsverschiedenheiten aber noch dazu kommt, ist, daß früher oder später eine Entscheidung gefällt und mit Macht durchgesetzt wird. Man hat es mit  Machtverhältnissen  zu tun, die letztlich den Ausschlag geben. Am Ende muß immer gehandelt werden und  wird  gehandelt, weil man sich das "Heft [Schwert] des Handelns" nicht aus der Hand nehmen lassen will.

Die Macht, in einer Sache so zu entscheiden, daß dann auch die  verbindliche  und  konsequente  Ausführung folgt, das ist das  Praktische  an der Politik. Im Idealfall findet in der Vorphase dieses Entscheidungsprozesses auf breiter Basis eine öffentliche Diskussion statt, aber auch wenn das nicht passiert: es stehen immer wieder alle möglichen Entscheidungen an, mit denen das Leben der Leute zu regeln ist.

Das ist in groben Zügen das, was den Sachbegriff der ANGELA MERKEL und der meisten Politiker ausmacht. Es ist ein praktischer, pragmatischer, der "unter  gegebenen  Umständen" eine optimale Lösung zu finden hat. An diesem Punkt spielen die Fakten eine bedeutende Rolle, denn auch wenn so oder so entschieden und gehandelt werden muß, dürfen solche Entscheidungen nicht zuviel Widerstand auf den Plan rufen, weil dieser am Ende das ganze Machtsystem gefährdet. Deshalb müssen die Fakten zumindest so eindeutig sein, daß man sich mit gutem Grund darauf berufen kann. Und sollten einmal selbst die Experten geteilter Meinung sein, dann tritt ohnehin der theoretische Notstand in Kraft und es wird wieder so oder so entschieden. In besonderen Fällen kommt es dann vor, daß ein Verfassungsgericht von einem rechtlichen Standpunkt aus nochmal das jeweilige Geschehen in Kombination mit den Grundwerten würdigt.

Die Fakten haben als Zubringer zur Macht immer gute Dienste geleistet, doch jetzt treten anscheinend zusehends Kräfte auf den Plan, die mit ihren eigenen Fakten an die Macht wollen und zwar Fakten und Tatsachen, die mehr oder weniger erfunden sind, bloße Einbildung, Wunschvorstellungen, bei denen man so tut, als wären sie schon Wirklichkeit.

Stellt sich also die Frage, wie so ein rationaler Dialog auszusehen hat und welche Voraussetzungen dafür erforderlich sind. Anscheinend handelt es sich um einen allgemeingültigen Maßstab, einen Standard sozusagen, bei dem die Fakten und deren Beweiskraft, sowie so etwas wie Objektivität eine entscheidende Rolle spielen.

Ich hoffe, jetzt nicht, den geistigen Horizont meiner Leser zu überschreiten, wenn ich behaupte, daß man es in Sachen Realität, Wahrheit, Wissen oder Erkenntnis mit dem Problem der  Allgemeinheit  zu tun hat und das heißt in umgekehrter Lesart: mit dem Phänomen des Individuums. Doch was heißt das?

Es handelt es sich hier um den ältesten Gegensatz der Menschheitsgeschichte, der in nahezu jeden Lebensbereich hineinspielt, insofern ein solcher etwas mit Gedanken und Bewußtsein zu tun hat.  Allgemein  heißt nicht nur "überall" und "immer", sondern auch "sicher" und steht für Ordnung. Viele Menschen verbinden damit Klarheit, etwas Positives und nichts Negatives. Das Allgemeine ist das Normale, die Norm. Platt und überspitzt könnte man sagen: Das Allgemeine ist gut, das Vereinzelte schlecht.

Der kritische Beobachter merkt hier schon, daß die Sache nicht so einfach liegt. Damit würden sich nämlich auch faschistische Sprüche wie: "Du bist nichts, dein Volk ist alles!" rechtfertigen lassen. Kein Wunder also, wenn Einzelne, bzw. Minderheiten, bisweilen gegen das Allgemeine, d. h. die Mehrheit aufbegehren, weil sie z. B. ihre Freiheit gefährdet sehen oder sich ungerecht behandelt fühlen.

ANGELA MERKELs Begriff von der "Sache" ist ein allgemeiner. Sie hat die Allgemeinheit im Blickfeld. Die Politik kann sich nicht um jedes Einzelschicksal kümmern. Das ist organisatorisch und bürokratisch nicht machbar. Damit ist ein klares Machtverhältnis ausgesprochen. Die Machtposition bestimmt den Grad der Allgemeinheit, mit dem man es zu tun hat. Es muß immer erst eine bestimmte kritische Masse erreicht sein, bevor die Politik etwas auf den Schirm kriegt. Je mehr Macht jemand hat, desto mehr Menschen sind es, über die bestimmt wird. Will man ROUSSEAU glauben, dann wird die Macht übertragen und entsteht aus der Zustimmung einer Allgemeinheit von Menschen. So zumindest die Theorie vom "Gesellschaftsvertrag". Im Idealfall beruth eine solche Wahl auf guten Gründen und nicht bloß auf Sympathiewerten.

Womit wir wieder beim rationalen Dialog wären und der Frage, was gute Gründe ausmacht. Reicht es z. B. aus, "nur" logisch zu sein, um diesen Anspruch zu erfüllen? Ist der Sachbegriff der ANGELA MERKEL - im Augenblick noch die mächtigste Frau der Welt - ist der logisch oder ist es in erster Linie die Macht, die ihr Denken bestimmt?

Von ihrem eigenen Standpunkt aus betrachtet, ist das wahrscheinlich keine Frage. Sicher hält Frau MERKEL das, was sie denkt und tut für logisch, für rational und für vernünftig, sonst würde sie nicht so denken und handeln. Sie mag vielleicht einmal zweifeln, aber diese Zweifel dürften nicht überhand nehmen, denn dann wäre sie die Falsche für dieses Amt und müßte zurücktreten.

Von einem anderen Standpunkt aus betrachtet ist ANGELA MERKEL alles andere als logisch oder rational und vielleicht auch mit guten Grund. Für mich selbst stellt sich die Frage, ob ein Mensch überhaupt "ansich" rational oder logisch sein kann und es sich bei dem Glauben daran, daß sowas möglich ist, nicht vielmehr um ein Vorurteil und einen Irrtum handelt.

Meiner Meinung nach denkt ANGELA MERKEL  nicht  logisch, weil sie von falschen Voraussetzungen ausgeht, was wiederum mit ihrem Sachbegriff zu tun hat. Eine andere Frage wäre die, ob sich jemand, der das Problem der Faktizität etwas tiefgründiger angeht, überhaupt für die Politik eignet und nicht erst ein Etikettenschwindel in Bezug auf die "Gegebenheiten" eine öffentliche Ordnung, wie wir sie kennen, ermöglicht. Aber ich will nicht vorgreifen.

Beim Problem der Allgemeinheit, bzw. der Allgemeingültigkeit, handelt es sich um ein Phänomen, das viele kluge Köpfe immer wieder beschäftigt hat und das, wie gesagt, wohl zu den weitreichendsten und folgenreichsten logischen Schwierigkeiten zählt. Leider haben es davon immer nur weichgespülte Populärversionen an die Oberfläche geschafft und zu einer Breitenwirkung gebracht. Die Allgemeinheit ist in aller Munde, aber nur als Vulgärbegriff, der als ominöses "allgemeines Interesse" oder "Allgemeinwohl" letztlich die Institutionen in Staat und Gesellschaft rechtfertigt.

Wen wundert es da, daß Leute behaupten, das "Volk" zu sein und die Allgemeinheit für sich in Anspruch nehmen? Beim üblichen Durcheinander von "Staats-", und "Gesellschaftsbegriff" schwebt die Allgemeinheit gewissermaßen einmal über dem einen und dann über der anderen, weil es mit den Begrifflichkeiten nicht allzuweit her ist und auch nicht mit der Ahnung, welche Rolle überhaupt die Allgemeinheit in der Sprache spielt und wie das mit Objektivität und den Fakten zusammenhängt. Tiefgründigere Überlegungen in diesem Bereich haben nichts damit zu tun, was viele Leute als sinnvoll und richtig ansehen. LUDWIG WITTGENSTEIN trifft hier den Nagel auf den Kopf, wenn er meinte, daß Logik und Wissenschaft uns nichts über den Sinn des Lebens sagen. Und in der Tat ist sehr viel von diesem  Sinn  im nüchternen logisch-mathematischen Denken der Naturwissenschaften, vor allem durch eine Überschätzung der Technik, auf der Strecke geblieben. Überhaupt wurde von den Rationalisten - und das gilt auch für die sogenannten Sozialwissenschaften - ein Etikettenschwindel betrieben, indem ein verobjektiviertes Individuum die Stelle des inkommensurablen, einzigartigen,  echten  Individuums einnahm, was indirekt einer Diffamierung des Subjektiven und Emotionalen als etwas Irrationalem gleichkommt. Dem Humanismus wurde damit kein Gefallen getan.

"Wissen ist Macht", das war schon immer der Leitspruch im logischen Lager und er bedeutet nichts anderes als daß die Verallgemeinerung, die Allgemeinheit, Macht hat. Wissen war schon immer  mächtiges  Wissen. Bereits PLOTIN sagte: "Das Allgemeine waltet durch ein ruhiges Gebieten." Wissenschaft ist die Kunst des Allgemeinen und Politikwissenschaft die Wissenschaft der  Macht.  In der Politik wird die Macht zur praktischen Realität. Die Frage ist aber: mit welchem Recht? Muß diese Macht logisch und rational sein, oder wird sie durch die bloße Quantität der Wählerstimmen gerechtfertigt, so daß es im Prinzip egal ist, wer in Deutschland Bundeskanzler oder in Amerika Präsident wird, wenn nur die erforderliche Mehrheit zustande kommt und es jemand versteht, die breite Masse für sich zu gewinnen.

Und an diesem Punkt bin ich wieder beim Mysterium der Frage, ob Allgemeinheit Realität hat, einer Frage, die die altgriechischen Skeptiker genauso beschäftigte, wie die Nominalisten des Mittelalters, bis hin zu den philosophischen Sprachkritikern der Neuzeit. Ein HEGEL war z. B. der Meinung, daß "das Allgemeine als Abstraktes nicht zu vollbringen" ist und "ein Wille, der nur das abstrakt Allgemeine will,  nichts  will" und auch gar "kein Wille ist", was ihn aber nicht hinderte, den Staat zu verherrlichen. Ein wahrhaft dialektisches Kunststück.

Wo Allgemeinheit Realität hat, wird zwischen Wort und Sache kein Unterschied gemacht. Was jemand  sagt,  ist gleichzeitig auch Realität. Man muß schon lügen, damit das nicht so ist. Es wird im Grunde so getan, als hätte man selbst die Macht etwas durchzusetzen, als gäbe es bei der Identifizierung von Wort und Ding keine Probleme. Die Leute reden am Stammtisch so, als wären sie selbst Politiker. Es wird identifiziert was das Zeug hält. Das Phänomen ist unter dem Namen  Begriffsrealismus  oder  naiver Realismus  bekannt. Es ist so, als wären die Spekulationen, bzw. Wahlversprechungen schon Wirklichkeit - oder um ein anderes beliebtes Beispiel zu nehmen - als bräuchte man nur die Speisekarte zu essen, um satt zu werden.

Es handelt sich hier um eine unzulässige Gleichsetzung, bei der nicht differenziert wird, wo eigentlich differenziert werden sollte, eben zwischen Wort und Ding. Dem naiven Denker "ist" das Wort das Ding, wie irgendein Gegenstand ein Stuhl oder Tisch "ist", als Stuhl oder Tisch "existiert" - eben real ist. In dieser Art von Realismus gibt es an der Wirklichkeit eines Buches, das vor mir auf dem Tisch liegt, keinen Zweifel, genausowenig daran, daß in Fukushima ein Kernkraftwerk havariert (AvK) oder England eine Insel ist.  Das sind einfach Tatsachen.  Aber diese Tatsachen handeln immer von einer Allgemeinheit, weil es sich um Worte handelt. Alle Worte, ja alle Vorstellungen, sind Allgemeinbegriffe, die einen mehr, die anderen weniger. Im Wort wird schematisiert, es werden genauer betrachtet verschiedene Dinge mit demselben Namen benannt und dann zu einer Definition, einem "Begriff" ausgebaut. Der Begriff ist dann das, was man sich von der Bedeutung her unter einem Wort vorstellt. Solche Begriffsbestimmungen entstehen aber auf unterschiedliche Art und Weise. Oft wurde einem als Kind nur gesagt, daß diese oder jene Sache so  heißt  und nicht anders und das hat sich dann jemand oft ein Leben lang gemerkt. Oder man schlägt in einem Lexikon nach, wie etwas zu verstehen ist. Leider hat sich die Methode der Definition - abgesehen von den Bereichen, wo es darum geht, wie etwas technisch-mechanisch funktioniert - in den Angelegenheiten, in denen man es mit lebendigen Menschen zu tun hat, nicht wirklich als eindeutig und wirksam erwiesen.

Oft beruhten solche Festlegungen auf einem dogmatischen Standpunkt, bei denen nicht der vernünftige Grund, sondern die bloße Autorität dessen den Ausschlag gab, der so einen Machtspruch vom Stapel ließ. Dementsprechend regte sich auch oft Widerspruch, wenn ohne guten Grund allzu frech etwas einfach nur  behauptet  wurde. Das Problem ist also nicht neu. In vielen Bereichen wurde dennoch über die Zeit eine Relativität der Standpunkte erkämpft und das führte schließlich so weit, daß sogar die Beweiskraft der klassischen Logik und der Identitätssatz mit gutem Grund angezweifelt werden konnte. Die einstige Objektivität hieß dann auf einmal  Intersubjektivität  und in Sachen Ursache und Wirkung wurde plötzlich von  Monokausalität  als einer Einseitigkeit gesprochen. Die Allgemeingültigkeit des Wissens und der Wahrheit verlor immer mehr ihren Absolutheitsanspruch. Die  Wertung  gewann dem Wissen gegenüber zusehends an Bedeutung. Die Erkenntnis erschien auf einmal "abhängig" von Umständen, Bedingungen, in einem Bezugsrahmen, was den dogmatischen Vertretern der Allgemeinheit in der Politik zunächst gar nicht paßte, denn damit wurden die herrschenden Autoritäten gehörig in Frage gestellt. (2)

Mit der Relativierung der Dinge begann der Siegeszug des  Bewußtseins.  Der Mensch und seine Individualität wurden immer mehr zum Maß aller Dinge. In diesem Sinne folgte auf eine rationalistische "Aufklärung" die irrationale Gegenbewegung, zum einen die  Romantik  Mitte des 19. Jahrhunderts und dann kam es in der Zeit vor dem Faschismus zu einem "Lebenskult", der gegen ein Überhandnehmen von Maschinen und Technik stürmte. Die Finsternis der heutigen Zeit hat hier sozusagen ihre Vorläufer, ihre Vorbilder, wenn man so will. Eine leblose, kalte Abstraktion durfte damals nicht den blutwarmen Menschen verdrängen und zur Nebensache machen. Nicht der Verstand war das ausschlaggebende, sondern Wille und Gefühl. Im Idealfall sollten sich die Vermögen des Bewußtseins, das als Einheit derselben betrachtet wurde, alle ausgewogen am rechten Platz befinden, geleitet von der entsprechenden Urteilskraft, die dieses oder jenes fordert, bzw. zuläßt oder unterbindet, wie es eben angemessen ist. Von so einer Ausgewogenheit war in den Augen der Vitalisten und Energetiker aber nichts weiter entfernt, als eine abstrakte, verobjektivierte Weltbetrachtung, in der allein das Allgemeingültige als rational und das Subjektive als  irrational betrachtet wurde, und zwar irrational nicht allein in einem logischen Sinn gemeint, sondern darüber hinaus auch in einem moralischen und abwertend im Sinn von "irre".

Abgeschwächt wurde dieser krasse Gegensatz zwischen dem Logischen und dem Irrationalen immer wieder durch Tendenzen, in denen die  Bedeutung,  die  Wichtigkeit  der Dinge, die  gewollt  werden, ihrer bloß faktischen Existenz gegenübergestellt wurde. Solche Ansichten schafften es zwar nie das objektive Gespenst ganz zu vertreiben, erlangten aber in Form einer Zweigleisigkeit, neben der physikalischen Naturgesetzlichkeit, zumindest eine gewisse Existenzberechtigung als moralische Wertvorstellungen und Ideale und deckten so andere menschliche Belange ab, die in der rationalen Welt keinen Platz hatten. In der Wissenschaft aber hatte das Werturteil nichts zu suchen, auch wenn das, wie in der Wirtschaftswissenschaft zu ziemlichen Widersprüchen führte, weil es dort ja nur so vor Nutzen und Kosten und der Empfindung von Bedürfnissen wimmelt.

Im Werturteilsstreit zu Zeiten MAX WEBERs, der dann um 1970 noch einmal als Positivismusstreit aufloderte, schien man bereits zu ahnen, daß man sich mit einem übertriebenen Anhängen an Objektivität, Logik und Rationalismus eine "Verrücktheit" ganz anderer Art eingehandelt hatte. Wo Wissen und Wahrheit bisher "funktionierten" und Zweifler schnell durch all die technischen Errungenschaften vom Gegenteil überzeugt werden konnten, wurde die Wissenschaft als Heilsbringer immer mehr in Frage gestellt. Erst mit dem Aufkommen des Computers erhielt die Technik und das Mathematische wieder einen Schub in Richtung Heilserwartung. Jetzt wird in pseudo-seriösen Wissenschaftsformaten wie "Quarks" vom WDR allen Ernstes behauptet, daß Computer eines Tages "intelligenter" sein werden als der Mensch. In diesem Trend wirbt Google mit seiner Computerbrille, daß sie die Menschen "intelligenter" macht und Santander im Norden Spaniens wird zur "Smart City" erklärt, weil dort die Müllcontainer und Parkplätze mit Sensoren ausgestattet sind. Der alte Aberglaube an die unbegrenzte Machbarkeit, geboren aus logischer Rationalität in Form einer Überschätzung des "Computerischen", des Rechnerischen, ist aber nichts weiter, als eine grobe Fehleinschätzung dessen, worauf es in einem sinnvollen menschlichen Leben wirklich ankommt.

Für eine begründete Kritik am Wissenschaftswahn, der vor allem ein technologischer Irrsinn ist, reicht es beim hauptsächlich sinnlich determinierten, "natürlichen" Massenpublikum nicht aus, aber eben doch für eine dumpfe Ahnung, für ein Gefühl dafür, daß am ganzen System irgendetwas grundsätzlich nicht stimmt.

Den Verteidigern von Logik und Rationalität ist durchaus klar, was für schwerwiegende Folgen ein "Abschied von der Faktenorientiertheit" (AvK) für das demokratische System hat. Aber ihre Argumentation greift zu kurz, denn in der praktizierten Verabsolutierung des Logischen, das immer nur ein Formales, ein Mathematisches ist, bei dem mit Worten wie mit Zahlen gerechnet wird, ohne die eigentliche Verbindung mit den Dingen zu thematisieren, wird das eigentliche Problem nicht verstanden. Die Zahlen und Worte werden ja nur unter sich logisch geordnet und geben nur deshalb ein einwandfreies Ergebnis ab, aber eben nur im Vollzug einer abstrakt-theoretischen Inzucht. Viel Mißtrauen der einfachen Leute und ihre Vorliebe für das Praktische rührt nicht unwesentlich von dieser Abgehobenheit des Theoretischen, das ein Allgemeines ist, her.

In der Theorie feiert die Allgemeinheit ihre Triumphe.  Praktisch  geht es immer nur um eine ganz konkrete Situation. Indem man nun aber das Allgemeine zum allgemein  Gültigen  erklärt, wird der Anspruch erhoben, daß die Theorie auch in der Praxis funktioniert und weil das in der Mechanik, bzw. Technik in der Regel der Fall ist, wird geglaubt, diese Gesetzlichkeit auch auf andere Gebiete übertragen zu können, was wie gesagt, gerade in so "praktischen" Wissenschaften wie der Wirtschaftstheorie und der Rechtswissenschaft zu grundsätzlichen Widersprüchen und Ungereimtheiten führt, weil dort der "Wille" eine entscheidende Bedeutung hat.

Es gab auch eine Zeit, da wurde besonders viel Wert auf eine "reine", also exakte Wissenschaft gelegt. In den  reinen  Theorien hatte das Subjekt nichts verloren, so allgemeingültig war alles formuliert. Wenn sich da so eine "reine" Zahl auf den Weg in die rauhe Wirklichkeit machte, dann tat sie es auf die sicherste Art und Weise als Raum und Zeit, denn in Form einer "realen" Messung sah niemand eine Verwirklichung dieser im Grunde "idealen" Gebilde als problematisch an. Bis auf den heutigen Tag haben große Teile der Bevölkerung keine Probleme damit Zahlen und Worte, bzw. Raum und Zeit als Realität zu betrachten, wohingegen sie den "klassischen" Idealen und deren Verwirklichung gegenüber eher skeptisch sind.

Die meisten und die hartnäckigsten Fakten der Realitätsapostel sind aus diesem Stoff gemacht: aus meßbaren "Einheiten", wobei aber niemandem mehr in den Sinn kommt, daß diese Einheiten eigentlich Erfindungen sind, Schöpfungen des menschlichen Geistes, die es ohne das Bewußtsein eines Subjekts so in der Wirklichkeit, in der Natur gar nicht gibt. Aber in der Logik "aufgeklärter" Rationalisten wird so getan, als wären die Maßzahlen automatisch mit den Sachen identisch, so wie man einem Kind sagt: "Das  ist  ein Schaf" und für das Kind ist es das Wort, das in diesem Moment "tatsächlich" existiert. Aber so wie Worte und Zahlen  Ideen  sind, die sich nicht mit den Händen greifen lassen, sind auch "Fakten" Ideen, geistige Gebilde, sozusagen "theoretischer Natur". Und dementsprechend ist auch die Vorstellung, daß mit den "belegbaren Fakten, über die Einigkeit herrschen muß, die alle gleichermaßen anerkennen müssen, damit uns nicht eine Welt ohne gemeinsame Tatsachen droht" (AvK), auch wieder nur eine Theorie, eine Meinung, ein Glaube und wenn man so will - ein Gefühl und zwar ein solches, das dem Denker die Sicherheit gibt, daß er mit seinem Grund [unmittelbare Wahrnehmung] zufrieden sein kann und nicht mehr weitersuchen muß. Der Unterschied zwischen Intelligenzdusel und Gefühlsdusel besteht nur darin, daß ersterer das Gefühl hat, etwas zu wissen und der Gefühlsdusel nicht weiß, daß er etwas bloß fühlt. Im Grunde haben beide dasselbe Problem, nur eben vom anderen Ende her und doch sind die jeweiligen Parteien himmelweit voneinander entfernt.

So gesehen ist das Chaos bereits perfekt und von Orientierung kann überhaupt nicht die Rede sein, wenn man einmal etwas genauer hinschaut. Es merkt nur niemand, weil alles seit ein paar Generationen überhaupt nicht mehr so genau genommen wird, habe ich den Eindruck. Von den Rationalisten und Logikern ist keine Rettung zu erwarten, weil der wissenschaftliche Objektivismus - wo er mehr sein will als ein technisches Mittel zum Zweck - nichts weiter ist, als  noch  ein Idealismus, ein weiterer Optimismus in der Reihe zahlreicher Hoffnungen, der im Grunde auf derselben Stufe steht mit vielen anderen Befürchtungen und Sorgen, nur eben intellektuell verklausuliert. In der Wissenschaft geben, wie in anderen Gesellschaftsbereichen auch, Interessen und Zwecke und damit die  Macht  den Ton an. Bei den sogenannten "Fakten" handelt es sich nur um eine ganz bestimmte Technik, eine "Kunst", die zu einem bestimmten Zweck dient, der aber bewußt oder unbewußt verschleiert wird, um z. B. den Glauben an das Gute nicht zu gefährden, der in der menschlichen Vernunft versichert scheint, die mit rechnerischer Rationalität und Logik identifiziert wird.

Weil der Vernunftbegriff aber nur Sinn macht, wenn damit ein umfassenderes Vermögen als das bloß logische Denken gemeint ist, nämlich ein Einbegreifen auch des Irrationalen, fallen den Verteidigern eines System der wertfreien Fakten (den Faktencheckern) ihre eigenen Argumente auf die Füße. Ganz andere "Fakten", nämlich solche der Faktenlosigkeit, bedrohen jetzt das Weltbild der Rationalisten, "Fakten" in Form einer gründlicheren Logik, die bei einer  Entscheidung  ansetzt, einer Logik, die über das Formale, bloß Rechnerische und über willkürliche Identifizierungen, die "erkannt" und nicht "entschieden" sein wollen, hinausgeht. In der neuen Vernunft hat niemand mehr Angst vor dem Gespenst des Skeptizismus und einer Unmöglichkeit der objektiven Wahrheit. Und dann sind es die Realitätsapostel, die etwas nicht wahrhaben wollen, "weil ein einziger Widerspruch gleich das ganze System erschüttert" (AvK). Und dieser Widerspruch heißt: "Es ist nichts gegeben!" Alle Fakten sind konstruiert und gemacht, produziert zu einem bestimmten Zweck. Es braucht keine Ideologie mehr zur Auswahl der Fakten, denn allein schon das Zugeben einer "Auswahl" ist der Beweis dafür, daß es keine Fakten gibt, die  über  der Bewertung, den Wertvorstellungen, dem, was als wichtig und unwichtig beurteilt wird, stehen. Fakten sind ein Mittel zum Zweck und der Nimbus der Neutralität ist ein Vorurteil, wie es deren schon viele gegeben hat in der Menschheitsgeschichte.

Der Glaube an Wörter wie "Tatsache" oder "Wirklichkeit" in der Bevölkerung rührt im Grunde immer noch aus einer Zeit, in der die logische Dignität der Allgemeingültigkeit - und zwar als Geltung im Sinn von Durchsetzbarkeit - noch sehr verbreitet war. Jeder fühlte sich persönlich angesprochen, wenn von Allgemeinheit die Rede war. Das Wir-Gefühl und die nationale Begeisterung ließ sich mit ein paar Sätzen zum großen Publikum gesprochen herstellen. Heutzutage muß man für eine solche Harmonisierung schon eine landesweite Kampagne schalten mit allen möglichen Schikanen. "Du bist Deutschland!" an allen Ecken, Enden und Kanälen. Einer solchen Allgemeinheit ist selbstverständlich jemand, der nur seine eigenen, nicht-nationalen Interessen als Grund angibt, immer in Beweisnot.

Beim gebildeteren Publikum handelt es sich bei der Anerkennung von Fakten eigentlich um einen vorab geschlossenen Kompromiß, in dem die Beteiligten darüber übereinkommen, bestimmte Erkenntnistheorien [in der Regel den Empirismus] als gültig anzusehen und über die Selbstverständlichkeit des sogenannten Tatsachenwissens keinen Zweifel aufkommen zu lassen. Es wird von grob fahrlässig geprüften Voraussetzungen ausgegangen, die dann eine gemeinsame Basis für die weitere Diskussion abgeben. Einigkeit herrscht dann über Sätze wie: "In Fukushima ist ein Kernkraftwerk havariert." Oder: "Den Griechen droht der Bankrott." (AvK) Über die Folgen und Konsequenzen aus diesen Tatsachen kann dann diskutiert werden. Wieso aber kann es bei solchen Fakten überhaupt zu einer Einigkeit kommen? Nur, weil alles mögliche als selbstverständlich vorausgesetzt wird, was gar nicht selbstverständlich ist, sondern wiederum einer Einigung bedürfte. Diese Einigkeit beruth darauf, daß das, was man im Fernsehen sieht und einem von Journalisten erzählt wird, den Fakten, der Wahrheit entspricht. Das scheint bei so einem Reaktorunglück auch ganz offensichtlich, besonders wenn sich jemand noch an das Tamtam um Tschernobyl erinnern kann. Da sind immer Ängste mit im Spiel, die den Blick trüben. Und wenn man dann noch bedenkt, daß die Kameraleute die meiste Zeit nur in einem Sicherheitsbereich filmen durften und nicht überall Zugang hatten, mußte man wieder den Experten vor Ort vertrauen, daß das, was sie mitteilen auch der Wahrheit entspricht. Insgesamt waren es aber viel weniger die Fakten und zwar von Anfang an, die das Urteil bestimmten, sondern die Schlußfolgerungen, bei denen sich jemand ausmalte, wie schlimm dieses Unglück in seinen Auswirkungen auch hierzulande sein würde.

Auf die genauen Fakten kommt es in den wenigsten Fällen an. Die wären viel zu technisch und kompliziert, als daß man sie "unfrisiert" dem großen Publikum auftischen könnte. Die große Mehrheit ist auch an Einzelheiten nicht wirklich interessiert. Der reicht es, was auf den Fernsehbildern an Zerstörung zu sehen ist, daß der Atommeiler seinen Zweck auf das Gröblichste verfehlt hat und daß die Leute dort mit den Folgen leben müssen, jeder auf seine Weise. Die Politiker im fernen Tokio auf andere Weise als die Betreibergesellschaft und die Bewohner der Umgebung auf eine andere Weise, als die Angehörigen derjenigen, die bei dem Unglück ums Leben kamen. Bei ihnen allen durchliefen die "Fakten" eine Entwicklungsphase entsprechend der Informationspolitik, die Leute mit ganz bestimmten Interessen verfolgen und man tröstet sich einfach damit, daß nach all der Salami-Taktik am Ende dann doch die Wahrheit ans Licht kommt, aber im Grunde könnte man dieses Spiel mit den Fakten und der Wahrheit ewig weitertreiben in alle möglichen Zusammenhänge hinein, so daß die tatsächliche Wahrheit, die "wirklich wahren Fakten" nicht erst nach ein paar Jahrzehnten, sondern womöglich erst in hundert Jahren oder noch später zutage treten. Es hängt meistens davon ab, wieviele Leute sich wie intensiv dafür interessieren.

Darauf  einigen,  daß in Fukushima ein Kernkraftwerk havariert ist, kann man sich nur deswegen, weil es auf die genaueren Umstände nicht ankommt, weil es schon genügt, daß so ein Kernkraftwerk  ganz allgemein  havariert, um die Gedanken in eine ganz bestimmte Richtung zu lenken. Die damit verbundenen Interessen lassen sich nicht ausschalten, weil etwas  überdenken  heißt, es in seinen Einzelheiten und seinem Zusammenhang zu betrachten und Einzelheiten gibt es viele und Zusammenhänge auch und damit Möglichkeiten, unterschiedlicher Meinung zu sein. Letztlich gibt immer ein  persönliches  Urteil den Ausschlag, mit dem sich jemand auf etwas festlegt und seine eigenen Gründe, seine eigene Meinung dazu hat, aber  gewußt  wird immer nur in Bezug  auf  und im Vergleich  zu  etwas, d. h. "relativ".

Es ist so, als würde man ein Buch sehen, das vor einem auf dem Tisch liegt. Darüber kann durchaus Einigkeit herrschen, solange es nicht darum geht, was in dem Buch steht, denn dann wird die Sache schon komplizierter, besonders, wenn es nicht nur darum geht, wieviele Seiten das Buch hat und daß die Buchstaben schwarz und das Papier weiß ist, sondern z. B. darum, auf was der Autor mit seinen Sätzen hinauswill, was er bezweckt. Nicht viel anders steht es mit den Griechen und ihrem Bankrott und ganz besonders mit der Drohung. Da könnte man z. B. fragen: "Wer droht eigentlich wem? Droht der Bankrott selbst und  allen  Griechen auf einmal oder jedem Einzelnen der Reihe nach?

Die sogenannten Konsequenzen, d. h. die Interessen und Zwecke, der  Wille  an einer Sache läßt sich nicht von der Sache selbst trennen. Auch wenn der diesjährige Nobelpreisträger in Medizin vorgibt 20 Jahre lang zweckfrei vor sich hin geforscht zu haben, bis er schließlich eine bestimmte Zellfunktion als regelmäßig befreifen konnte, dann tut er das, weil er einen bestimmten Zweck im Auge hat. Er will etwas verstehen, das er vielleicht die Wahrheit oder die Fakten nennt, was aber weniger eine Rolle spielt, weil es kein Verstehen  ansich  gibt, weil man immer nur innerhalb eines bestimmten Systems etwas suchen kann, weil es ohne Interesse keine Fragen gibt, weil Bewußtsein immer ein Bewußtsein "von etwas" ist und es kein Bewußtsein ohne Gegenstand gibt und deshalb verdinglicht werden muß, schematisiert und zu Sprache gemacht. Wer das begreift, versteht auch, was GOETHE in seinem  Faust  sagt: "Alles Faktische ist schon Theorie." Und das gilt auch für Wahrnehmungen und Empfindungen. Sie treffen im Bewußtsein auf einen Fundus an Vorstellungen, Erinnerungen und Wünschen, mit denen sie sich mehr oder weniger logisch verbunden werden.

Es hat auch eine Zeit gegeben, da war dieses Thema der Verbindung des sinnlich Erfahrenen im Bewußtsein unter dem Stichwort "Apperzeption" groß in Mode. Apperzeption meint, daß in der bloßen Wahrnehmung, der Perzeption, immer sowas wie eine Intention dazu kommt und sich beides nicht trennen läßt. Später wurde in diesem Sinn viel von "Intentionalität" gesprochen, die bei der Wahrnehmung eine so große Rolle spielt und die Aufmerksamkeit, bzw. die Richtung, in die diese bewußt gelenkt wird, war von entscheidender Bedeutung. Aber all diese Subjektivierungen einer objektiven Realität der Fakten konnten nicht Fuß fassen und blieben einzelne Stimmen im Wind positiv pragmatischer Bestrebungen eines ziemlich unüberlegten Praktizismus und seiner Begeisterung dafür. Mit dogmatischen Machtsprüchen wurde einfach eine Trennung von Fakten und Werturteilen behauptet und die Interpretation der Fakten hatte mit den Fakten selbst nichts mehr zu tun. Niemand fiel mehr auf, daß es bei echten Fakten und einem objektiven Wissen nichts zu interpretieren und auch nichts zu diskutieren gibt, weil Fakten ja Fakten sind, an denen sich nicht rumeiern läßt. Aber Fakten sind eben nur der  theoretische  Idealfall und den gibt es in der Wirklichkeit nicht und noch so viel Bemühen um das Herstellen von Laborbedingungen wird nicht dazu führen, eine allgemeingültige Realität, die für jeden Menschen gleichermaßen dieselbe ist, zu beweisen. Man muß immer erst mit einem ganz bestimmten Verallgemeinerungsgrad zufrieden sein, sich auf einen solchen einigen, damit man bei einer Messung der Wassertemperatur der Aare im August (EK) auf  eine  Temperatur kommt. Sind es keine Grad mehr, sondern etwa Milligrad, dann können sich durchaus Unterschiede ergeben, weil mit Milligrad ein anderer Zweck verfolgt wird als mit Grad. Und schon hat man es mit verschiedenen Fakten bei ein und derselben Sache zu tun.

Es kommt überhaupt immer auf den verwendeten Abstraktionsgrad, d. h. den als sinnvoll und nützlich erachteten Verallgemeinerungsgrad an, mit dem man eine Sache sieht, denn mit dem Abstraktionsgrad erhöhen, bzw. verringern sich auch die Möglichkeiten der Differenzierung. Das ist bei Begriffen wie "Staat" oder "Politik" der breiten Bevölkerung auch meist klar. Da gibt es viele unterschiedliche Auffassungen. Die Naturgesetzler glauben jedoch, daß das bei Maßeinheiten nicht der Fall ist und tun so, als würde es sich bei Zentimeter und Kilogramm nicht um eine Abstraktion handeln, weil sie deren Idealität nicht begreifen. Und nur deshalb haben sie kein Problem damit, Abstraktion und Realität gleichzusetzen und Raum und Zeit sind keine Ideen mehr, sondern das Realste, das es gibt. Es genügt schon, daß etwas technisch funktioniert, um eine  Wahrheit,  ein  Wissen  vor Augen zu haben, um  rational  zu sein.

Was bei den Sätzen, in denen angeblich Einigkeit über Fakten herrscht, noch auffällt, ist, daß sie immer exemplarisch für viele andere Fälle gelten sollen, bei denen es eigentlich um etwas ganz anderes geht. So entsteht der Eindruck einer allgemeingültigen Rationalität, die so klar ist, wie 2 + 2 vier gibt. Man hat es auf einmal mit einer Menschheit zu tun, die prinzipiell vernünftig ist und deshalb besteht Hoffnung, weil jeder einen "gesunden Menschenverstand" hat. Aber der menschliche Geist besteht nicht nur aus den Grundrechenarten und der Fähigkeit Lesen und Schreiben zu können. Man muß darüber hinaus auch imstande sein zu  verstehen,  um was es in einem Text geht. Mit bloßem Auswendiglernen kommt man da auf längere Sicht nicht weiter. Da landet man am Ende in einer Gefühlswelt, die den Willen verwirrt und kein folgerichtiges Denken mehr aufkommen läßt. Am Ende steht die Enttäuschung, wenn aus all den Hoffnungen nichts wird und man sucht die Schuldigen auch nicht bei sich selbst und seinem prinzipiellen Irrtum.

Die Realitätsapostel setzen auf einem als grundsätzlich akzeptierten Verallgemeinerungsgrad auf, der Fakten genannt wird, und beschwören eine gemeinsame Wirklichkeit. Daß dabei nichts den berühmten "Tatsachen" entspricht, sondern immer nur Zwecke verfolgt werden [und das gilt auch für die Rechtsprechung], darauf kommen diese Hohenpriester der Wissenschaftsreligion anscheinend nicht. (3) Die wahren "Sandmänner" (AvK) sind darum weniger in den Reihen der TRUMPs, PUTINs und ERDOGANs dieser Welt zu suchen, sondern unter den Anhängern einer zweckfreien, neutralen und objektiven Wissenschaft und  sie  sind es, die aus ihrem Traum unter keinen Umständen geweckt werden wollen (AvK). Oder es ist einfach so, daß zu den naiven Träumern noch die "gebildeten" Träumer dazukommen und dann ist das Chaos, wie gesagt, erst recht perfekt. Dann wimmelt es nur so vor "Tatsachenallergikern" (AvK), nur daß die Tatsache dann eben die ist, daß es keine allgemeingültigen Tatsachen gibt und nicht geben kann, weil ein "Bewußtsein ansich" ein objektives Bewußtsein, ein "Bewußtsein überhaupt" unmöglich ist, auch wenn man jeden Menschen auf dieser Welt dazu bringen könnte, 5 + 7 richtig auszurechnen.

Jeder Mensch hat seine eigene Wirklichkeit. Das wird besonders bei schwierigen existenziellen oder moralischen Entscheidungen deutlich. Alles was  gemeinsam  ist, beruth auf Einigung, auf Konvention, d. h. auf Vertrag, muß  gewollt  sein. Es geht auch gar nicht anders, weil alles sogenannte empirische Wissen darauf beruth, daß etwas sinnlich erfahren werden kann, aber diese Erfahrung ist bereits Abstraktion, so wie jede Wahrnehmung und Empfindung nur als Abstraktion zur Vorstellung und damit bewußt werden kann. Die Welt ist eine "gemachte". Daran ändern auch alle Sprachgewohnheiten nichts, in denen eine Identität von Wort und Sache vorgetäuscht wird. Der Hammer in meiner Hand ist nur als Abstraktion ein Hammer. Alle Wörter sind in Bezug auf eine Abstraktionsstufe zu betrachten, zusammengesetzt aus Bestandteilen, der Hammer z. B. aus Stiel und Kralle. Aber auch das Holz oder ein Kunstoff als Griff "haben" (4) wieder eine Zusammensetzung. Jede Empfindung, jede Wahrnehmung ist zusammengesetzt, zu einem ganzen Ding gemacht, das dann als Vorstellung so und so  heißt.  So eine Vorstellung kann man sich auch suggerieren lassen und dann empfindet man, was einem suggeriert wird. Die einfachste "Tatsache" ist bereits gefolgert und das Interesse und damit die "Ideologie" unvermeidbar. Es ist so, als würde man aufhören wollen zu wollen und begreift nicht, daß man das auch  wollen  muß.

Das sind alles ganz andere Argumente ("Tatsachen" würden die Realitätsapostel sagen) die das Weltbild der Rationalisten bedrohen, die eigentlich Idealisten und Optimisten sind, weil sie glauben, etwas unmittelbar wahrnehmen zu können, was immer schon vermittelt ist. Wenn überhaupt von einer "aufgeklärten Position" (AvK) die Rede sein kann, dann ist es die, daß  nichts gegeben ist,  nichts "ansich", sondern nur immer etwas "für jemanden" gilt. Die ach so wertfreie Wissenschaft ist von einem Machtinteresse geleitet (weil es nichts  gibt  und alles  gemacht  ist) und die Frage zu klären, ob ein bestimmtes Interesse gerechtfertigt ist, ist eine Sache ethischer Überlegungen.

"Es kann nicht sein", daß z. B. medizinische Fortschritte dafür herhalten müssen, als Beispiel für die wissenschaftliche Methode auch ökonomische Interessen zu legitimieren. Wenn verstanden wird, daß ein Machtverhalten (der Wille zur Macht) unvermeidlich ist, dann sind auch die "Post-Truth-Politics" nicht mehr ganz so "ekelhaft" (SL), weil die objektive Wahrheit selbst ekelhaft ist. Die Intelligenzdusel, die sich über die Gefühlsdusel mokieren, sind im Grunde um keinen Deut besser, sondern nur auf eine andere Art borniert und ignorant. Da ist dann auch die "Schnelligkeit der neuen Medien" (SL) keine Ausrede mehr, die es erschwert Fakten zu prüfen, denn die wissenschaftliche Verwechslung von Zweck und Technik mit Wissen und Wahrheit hat einen langen Bart, so lange, wie der Bart des Vorurteils weiter Teile der Bevölkerung in Bezug auf den Augenschein ist. Hier unterscheidet sich nur das Niveau der Dummheit, aber dumm ist beides, der Traum von der "unmittelbaren Gegebenheit" genauso, wie der naive Wortrealismus. In diesem Streit ist der Einäugige König unter Blinden.

Die Amputation des Morallappens bei all denen, die eine "wahrheitsunabhängige Politik" machen (SL) kann mich nicht schrecken "angesichts der Tatsache", (5) daß in den meisten Gehirnen der Leute, die das übliche Bildungsprogramm durchlaufen haben, der Naivlappen, der eigentlich nach dem 12. Lebensjahr friedlich absterben sollte, weil einem das semantische Problem klar geworden ist, munter bis ins hohe Alter weiterwuchert und laufend das Erwachsen- und das Menschwerden verhindert, weil die Identifizierung auf Jllusionen beruth. Wer glaubt, daß es in der Politik um Wahrheit geht, hat den Schuß nicht gehört. Um Wahrheit geht es immer dann, wenn von dieser Wahrheit nichts zu befürchten ist, wenn sie nicht zu einer Machteinbuße führt. Vielmehr ist es der  Glaube  daran, daß so etwas wie eine objektive Wahrheit möglich ist, daß alle Menschen in ein und derselben Welt leben, der Glaube, daß das Volk eine Einheit darstellt, ein Glaube, der einem ordnungspolitischen Zweck dient. Damit läßt sich gut regieren.

Die große Mehrheit der Menschen ist diesem Glauben nach rational, gut, einsichtsfähig und verständnisvoll, so daß Zwang und Gewalt eigentlich unnötig sind. Aber so eine Harmonie und Eintracht läßt sich auch dadurch herstellen, daß eine Herde Schafe einfach ihrem Leithammel folgt und das Individuum nichts weiter darstellt als einen logischen Teil der Allgemeinheit. Ein solches Individuum ist aber kein Individuum mehr, sondern Teil einer Allgemeinheit, wenn auch der kleinstmögliche. Alle Menschen sind hier in einem logischen Sinn und nicht in einem moralischen "gleich". Das konkrete Subjekt ist hier nicht prinzipiell inkommensurabel, unvergleichlich, einzigartig und damit logisch betrachtet  irrational.  Eine solche Individualität wird wissenschaftlich nicht erfaßt, findet nicht statt. Es wird so getan, als gäbe es eine  logische  Brücke vom Individuum zur Allgemeinheit, aber die gibt es nicht. Es gibt nur eine  gewollte, zweckbedingte.  "Gewußt" und "erkannt" wird immer nur ein bereits Rationalisiertes. "Individualitas non est scientia" - das Einzelne ist kein Gegenstand der Wissenschaft. Und nun gehen die Pegida-Anhänger und Konsorten auf die Straße und schreien "Uns gibt es doch!", zumindest ist es das, was sie eigentlich meinen, wenn sie "Ausländer raus!" rufen.

Es sind in diesem Sinn prinzipielle logische Ungereimtheiten, die auch zu psychologischen Problemen führen, wenn sie nicht aufgearbeitet werden. Wie immer auch diese Irrationalität bezeichnet wird: der Mangel bleibt derselbe, weil dieses Denken, das logisch und rational zu sein vorgibt, nicht wirklich logisch und rational ist, weil es sich um eine Art Goldmacherei handelt, um die Konstruktion eines perpetuum mobile, um die Quadratur des Kreises, weil etwas verheinheitlicht werden soll, was ohne ein willentliches Zutun grundsätzlich nicht zusammenpaßt. Zwischen Einzelnem und Allgemeinem besteht keinerlei Proportion. Der prinzipielle Konflikt zwischen Subjekt und Objekt ist auf logischem Weg nicht zu lösen. Die meisten Politiker wollen nicht begreifen, daß ihre Herrschaft keine  logische  und keine  rationale  und auch keine  emotionale  ist, sondern eine  moralische,  bzw. rechtliche. Die Moral und das Recht betreffen den Anfang und das Ende, die beide nicht logisch sind und nicht logisch sein können, weil sie auf einer mehr oder weniger willkürlichen  Entscheidung  beruhen, mit der auf Werte Bezug genommen wird und die eine möglichst freie sein soll. Das, wovon man ausgeht und worauf man hinauswill, läßt sich nicht  logisch  begründen. Man muß es  wollen.  So wie man es wollen muß, rational zu sein. Damit etwas wertvoll sein kann, muß man ein Bedürfnis danach haben. Allgegenwärtig sind aber in der heutigen Zeit nicht höhere geistige Interessen, sondern niedere materielle und so gesehen war es nur eine Frage der Zeit, bis wieder einmal das Irrationale alias Postfaktisches ausbricht, weil es ein Materialismus ist, der sich nicht selbst genügt und auch ohne den Verstand höher hinauswill. Jetzt muß nur noch begriffen werden, daß man es beim Faktischen mit einem Idealismus zu tun hat und der Spuk hat ein Ende.

Wer dieses Problem dadurch zu lösen glaubt, indem er  Meinungen  sich selbst genug sein läßt, wohingegen  Fakten  einen Kontext brauchen (SL) redet am eigentlichen Punkt vorbei. Fakten brauchen insofern einen Kontext, weil das Denken ein einziges Verbinden oder eben nicht Verbinden bedeutet. Die Grenzen für solche Verbindungen und Zusammenhänge lassen sich aber nicht  objektiv  und allgemeingültig festlegen, sondern immer nur zweckbedingt. Und deshalb sind alle sogenannten Fakten  subjektive  Fakten, willkürliche Grenzsetzungen der Randbedingungen, Fkaten der Umstände, immer zweckbedingt und niemals wertfrei, weil sie sonst keinen Sinn machen würden. Und so muß man auch irgendwann die Fakten sich selbst genug sein lassen, d. h. für einen bestimmten Zweck als ausreichend deklarieren, ohne daß etwas "ansich", allgemeingültig und objektiv "so ist".

Die entscheidende unter allen möglichen Beziehungen ist immer die zu einem selbst, bzw. zu den Wertvorstellungen, die jemandem als Prinzip gelten und zwar in einem ethischen Sinn. Dazu gehört, daß man nicht einfach irgendwelche Begriffe wie "Wahrnehmung", "Vorstellung2 oder "Bewußtsein" unkritisch übernimmt, sondern sich eigene Gedanken macht. Oft wird aber einfach das, was jemand dogmatisch und autoritär behauptet und schlecht begründet, einfach nachgeplappert, ohne daß sich die Leute klar machen, was ihnen so eine Abstraktion tatsächlich  bedeutet,  welcher Wert damit gemeint ist. Wer den Faktenbegriff unkritisch verwendet, macht sich keine Gedanken über Maßeinheiten, Zahlen, >das Gegebene und was dergleichen "Einheiten" sonst noch sind. So jemand gibt sich mit einem oberflächlichen Blick auf die Dinge zufrieden und hält Raum und Zeit für Fakten. Das Infragestellen derartiger Selbstverständlichkeiten ist seinem beschränkten Urteil gemäß  unpraktisch, nutzlos  und  sinnlos.  Dieses Desinteresse geht nicht selten sogar so weit, daß im Prinzip alle höheren geistigen Interessen irrelevant werden. Das ist der Unterschied zu demjenigen, der im Grunde genommen auch nur praktisch verfährt, aber eben über ein gründlich durchdachtes Urteil verfügt und damit begreift, daß Verallgemeinerungen durchaus nützlich sein können, aber nur dann, wenn sichergestellt ist, daß dabei ein Zweck verfolgt wird und keine absolute Wahrheit zur Debatte steht.

Eine praktische Vernunft macht nur dann Sinn, wenn man Fakten als Verallgemeinerung im Sinne eines technischen Nutzens versteht, sozusagen als Namen für eine Automatisierung, bei der man sich das erneute Überprüfen von Einzelheiten sparen kann, weil klar ist, daß sich immer wieder dasselbe wiederholt und es auch nur auf diese Wiederholung in einem technischen Sinn ankommt und nicht auf die Frage, ob etwas überhaupt sinnvoll ist oder nicht. Freilich sollte so etwas dann nicht als "Fakt" bezeichnet werden, weil das unter den "gegebenen" Umständen nur zu einer Begriffsverwirrung führt. Von der lateinischen Wurzel des  factum  her begriffen, wäre das ja gar kein Widerspruch. Man müßte Fakten dann eben nur als etwas  gemachtes,  als Tat der Verallgemeinerung, als Handlung begreifen, in der abstrahiert wird, womit das Abstrakte dann das Faktische wäre. Damit wäre ein Faktisches ein Praktisches und so in einem ganz konkreten, nicht prinzipiell übertragbaren Fall von Nutzen und Vorteil. Der Anspruch auf Allgemeingültigkeit wäre abgewehrt. Ein solcher Bedeutungswandel dürfte es allerdings sehr schwer haben, weil der Faktenbegriff einfach zu sehr vorbelastet ist.

Es ist aber nicht nur Unwissenheit und Borniertheit, die dazu führt, daß sich Interessen und Zwecke als allgemeingültige Tatsachen verkaufen lassen. Es ist auch viel Pharisäerhaftes dabei, also Falschheit, Heuchelei und eine Verschlagenheit, die den eigenen Vorteil als Wohl der Allgemeinheit erscheinen läßt. Die Motivation unterscheidet sich nicht allzusehr von der, mit der man nach der Einführung des Buchdrucks verhindern wollte, daß neben der Bibel auch noch andere Bücher gelesen werden. Es haben sich nur die Methoden geändert. Die Wenigen, die über die Geschicke der Vielen bestimmen, sind oft gar nicht so blöd, um die Zweifelhaftigkeit ihres Tuns zu begreifen, aber am Ende ist ihnen das Hemd dann doch näher als die Hose. Mitbestimmung ist gut und schön, aber nur solange einem dadurch nicht selber die Kompetenzen beschnitten werden. An der eigentlichen Wahrheit (bei der man auch Nachteile in Kauf nehmen müßte) ist in einer über die Grenzen der Menschlichkeit hinaus konkurrierenden Welt selten jemand interessiert, aber man tut so, als wäre das nicht der Fall und ist sogar entrüstet und moralisch empört, wenn jemand vom Glauben abfällt, indem etwa zugegeben wird, daß man sich seine eigene Wahrheit macht und auch machen muß.

In den Medien wimmelt es dementsprechend nur so vor Halbwahrheiten und Halbwissen und anderem unwichtigem Zeug, mit dem ein konzentriertes und unbefangenes Nachdenken verhindert werden soll. Die Vielfalt der Meinungen führt zu keiner Auseinandersetzung um das bessere Argument, sondern zusehends in die Verwirrung und dann kann man sich noch glücklich schätzen, wenn einem seine Orientierungslosigkeit überhaupt noch auffällt. Auch wenn sich immer noch viele Faktenapostel berufen fühlen, hier für Ordnung zu sorgen, so mögen sie vielleicht das Schlimmste verhindern, was irgendwelche Auswüchse an Populismus und Primitivität betrifft, aber zur Lösung der eigentlich wichtigen Probleme tragen sie nichts bei, weil gerade die Fakten Teil des Problems sind und nicht Teil der Lösung. Die Nachrichtensendungen als Inbegriff objektiver Information haben im Grunde keine andere Aufgabe, als Tag für Tag die Macht einer selektierten Wirklichkeit zu beweisen, die Macht ihrer Allgegenwart, die eigentlich eine Allgegenwart der Macht ist.

Für ein gesellschaftliches System, das seine Glaubwürdigkeit aus objektiven Gesichtspunkten bezieht, ist eine Abschaffung der Fakten dann natürlich der Super-Gau, der direkt in den Faschismus führt oder so ähnlich. Da ist sicher was dran, aber dennoch greift eine solche Einstellung, wie gesagt, zu kurz. Das Problem liegt viel tiefer und es reicht überhaupt nicht, das Gespenst vermeintlich finsterer Zeiten an die Wand zu malen. Die Finsternis ist schon da. Der Wille zur Aufklärung muß deshalb aufrichtig sein und darf vor allem nicht vor einem kurzfristigen Vorteil Halt machen. Das Irrationale ist  nicht nur  böse. Jedes echte Individuum ist in einem logischen Sinn irrational, weil es etwas Besonderes ist. Deshalb muß es aber nicht gleich abartig verrückt sein, nur weil Idiot vom altgriechischen  idotes  kommt, das nichts anderes als "Privatperson" bedeutet. Jede echte Entscheidung ist irrational, weil sie ein Werk der Freiheit ist. Und ohne freie Entscheidung gibt es auch keine Moral, kann es kein Recht geben und damit auch keine Ordnung.

Dieser Zusammenhang wird in der bürokratischen Organisation von Gesellschaft und Staat, von Wirtschaft und Politik, viel zu wenig bedacht. An den Schalthebeln der Macht heißt es: "Zuviele Köche verderben den Brei!" oder "Alle wollen Häuptling sein und niemand Indianer!" Damit aber die Aufgaben- und Arbeitsteilung in großen Organisationen zweckdienlich sein kann, braucht es die erforderliche Urteilskraft, die tiefer verankert ist als das übliche Gewäsch an Fakten und Realitäten, bzw. Emotionen, die nicht weniger Anspruch auf Wirklichkeit erheben. Mit den Vorurteilen ist nicht nur im Lager der Gefühls- sondern auch der Intelligenzdusel aufzuräumen. Und das Ganze ist längst überfällig, weil zuviele "Verantwortliche" in dieser Hinsicht die Entschleierung grundlegenden Unsinns jahrelang selbstgerecht verschlafen haben.

Ein rationaler Dialog wird nicht stattfinden, solange man einen Gegner als "irrational" diffamiert, und dabei selbst nicht weniger irrational ist, nur eben auf eine "logische" Art, die vielleicht die viel schlimmere ist. Es ist längst Zeit, daß wieder ein frischer Wind weht, der der logischen Allgemeinheit in ihrer Verkleidung als objektivem Wissen und absoluter Erkenntnis den Garaus macht. In diesem Streich fällt auch die Realität in ihrem wertfreien Dasein und Wissenschaft wird als bloße Technik zu einem Mittel zum Zweck, das sich höheren Interessen zu beugen hat. Es geht in erster Linie darum, welche Interessen und Bedürfnisse vernünftig sind und erst dann ist die logische Folgerichtigkeit ein Thema. Rechthaberei in Bezug auf die Fakten ist nicht nur eine Verlogenheit, sondern auch Zeitverschwendung. Man braucht jetzt aber nicht meinen, daß damit auch das Prinzip Widerspruch als Korrektiv abgeschafft ist. Der logische Fehler bleibt weiter eine zu kritisierende Ungereimtheit, nur eben nicht bezogen auf eine absolute Wahrheit oder ein Wissen  ansich,  sondern immer nur auf die jeweiligen Ausgangspunkte, die jemand für sein Denken und Handeln in Anspruch nimmt. Was aber wiederum nicht heißen soll, daß sich nicht auch der größte Quark widerspruchsfrei präsentieren läßt. Letztlich muß also immer jeder für sich selbst entscheiden, ob etwas Ernst genommen werden kann oder nicht. Das eigentliche Problem ist ein moralisches. War es schon immer! Der Objektivismus ist im Grunde nur die Fortsetzung des Absolutismus mit logischen Mitteln und die Realitätsapostel sind dabei die Hofschranzen der Obrigkeit und nicht etwa Selbstdenker.

Erst wenn begriffen wird, daß Fakten nicht unterschiedlich ausgelegt werden (RZ), sondern bereits selbst etwas Ausgelegtes sind, kann man sich dem eigentlichen Problem der Legitimierung von Interessen zuwenden. Dann hat man es auf beiden Seiten des Konflikts tatsächlich mit "Andersdenkenden" (RZ) zu tun. Auf der Ebene der Interessen gelingt es den Gefühlsduseln auch viel leichter, sich von den Intelligenzduseln zu emanzipieren. Wer seine Wirklichkeit unmittelbar wahrnimmt, kriegt sie quasi "offenbart" und hat damit gewissermaßen "göttliche Fähigkeiten". Und es spielt im Prinzip keine Rolle, ob man das als "Realität" oder "Gefühl" bezeichnet. Die Unmöglichkeit, bzw. die Einbildung ist dieselbe. Wer dieser Art von Religion nicht anhängt, hat grundlegend andere geistige Voraussetzungen, die eine Diskussion mit Realisten jeglicher Coleur sinnlos macht, da diese in der Regel das Problem nicht begreifen, das mit einer erforderlichen Abstraktion verbunden ist, weil für sie die "Unmittelbarkeit" der Wahrnehmung reibungslos funktioniert.

Mit der Relativierung des Absoluten wird nicht nur der Faktismus, sondern in seinem Fahrwasser auch die objektive Wahrheit in Mitleidenschaft gezogen. Wen wundert es da, daß die Realitätsapostel um das "das Politische", das "Für und Wider, die großen Kontroversen um Ideen und Gesellschaftsentwürfe" (TA) fürchten. Solche Sorgen entspringen aber einer pharisäerhaften Heuchelei, weil dieses Für und Wider auf der politischen Bühne immer schon ein Abwägen dessen war, was der breiten Masse "vermittelt" werden kann und was nicht. Ein bestimmter Allgemeinheitsgrad [Schlagworte] wird da selten verlassen und man bildet sich ein, in seinem Gerede den Sprachgebrauch zu repräsentieren. Wenn es dann aber drauf ankommt und jemand wiedergewählt werden will, dann hält sich der Text auf den Wahlplakaten meist in überschaubaren Grenzen. Ein Bild sagt eben mehr als tausend Worte.

Die großen Ideen der Menschheit waren und sind auch heute noch  Ideale die aber heutzutage unter völlig falschen Voraussetzungen, nämlich formal-logischen, diskutiert werden und deshalb auch immer weniger Wirkung entfalten und zwar genau in dem Maß, in dem eine Faktenlogik diesen Idealen widerspricht. Gesellschaftsentwürfe müssen dann notwendigerweise utopisch bleiben und werden sinnlos, weil mit der Objektivität, die selbst ideal ist, ein Ideal gegen das andere antritt und sich bekämpft, was eigentlich kein Gegner ist. Die Abgrenzung des Wissens vom Wollen bleibt weiter ein Rätsel.

In dieser Naivität liegt jede Menge Konfliktpotential begraben, das viele Verhandlungen notwendigerweise scheitern läßt, weil ein unvoreingenommener Blick auf die Dinge gar nicht möglich ist. Eine erste Lüge (das "Gegebene" als proton pseudos) gebiert alle weiteren und es braucht immer ein gerüttelt Maß an Selbsttäuschung, um wenigstens eine  Jllusion  von Rationalität und Vernunft weiter am Leben zu erhalten. Der "Richtungsstreit und die Willensbildung" (TA) setzt bereits an einem Punkt an, den die Rationalisten in der Regel gar nicht auf dem Schirm haben, mit dem Ergebnis, daß die Alternativen keine Alternativen sind und die Konsequenzen keine Konsequenzen, weil ein Grundirrtum von Anfang an alle weiteren Fehler gebiert. Den ursprünglichen Kompromiß, die Fakten, und das, was er kostet, hat niemand mehr auf der Rechnung. Man garniert seine Interessen mit pseudo-rationalen Argumenten und folgt doch nichts anderem als einen pragmatischen Willen zur Macht, für den ein Wahlvolk immer Mittel zum Zweck bleibt und gar nicht zum Selbstzweck werden kann, nicht werden darf, weil dann jede Regierung überflüssig wäre und dieser Gedanke ist ganz offensichtlich absurd.

Wäre das nicht so, müßte die Bildungs- und Kulturpolitik in diesem Land eine ganz andere sein. Man muß den lenkenden Akteuren auf dieser Bühne gar nicht unterstellen, daß sie sich zu jeder Zeit im Klaren sind, auf welcher "eigentlichen" Grundlage ihre Entscheidungen beruhen. Fest steht jedenfalls, daß sich kaum jemand die Mühe macht, zu untersuchen, ob die gestellten Fragen zur Lösung von Problemen auch die richtigen sind und nicht vielleicht andere zielführender sein können. Im herrschenden Politikbetrieb lösen grundsätzliche Fragen keinen Lärm aus, der so gewaltig ist (TA), daß er das Gespenst der Faktenhuberei verscheucht, weil sich mit Fakten bequem regieren läßt, zumindest solange noch genügend Leute daran glauben. Werden erst einmal die Fakten akzeptiert, bleibt auch nicht mehr viel zu fordern übrig. Und in diesem Sinn hat man es mit einem "feingewürzten Faktenmenü" zu tun, in dem "vollmundig behauptet" wird, (TA) wir würden in politischen Zeiten leben, weil bereits mehr als die Hälfte aller Angelegenheiten "faktisch" entpolitisiert ist, indem man eine objektive Allgemeingültigkeit vortäuscht, wo bereits Interessen und ein Machtkampf im Gange sind.

Und dieser Machtkampf wird derart logisch verbrämt, daß selbst dem geschulten Beobachter jeder Anhaltspunkt zum Eingreifen genommen wird. Man gesteht zwar ein, daß Fakten nicht den "Felsengrund der Realität bilden und kritikanfällig" sind (EK), man zitiert NIETZSCHEs berühmtes Wort, daß es keine Fakten, nur Interpretationen gibt, daß Fakten  Artefakte  und künstlich sind (EK), um im nächsten Atemzug zu behaupten, daß diese Künstlichkeit des Faktischen keine Unverbindlichkeit bedeutet. Hier werden logische Ideen mit ethischen vermischt mit dem Ergebnis, daß die Objektivität relativiert und die Ethik verobjektiviert wird. Logische Folgerichtigkeit und ethische Verbindlichkeit werden nicht auseinandergehalten, so daß man am Ende nicht mehr weiß, was man von seinem Verstand und was von seinem Willen zu halten hat. Derartige Pseudo-Erklärungen steigern nur die allgemeine Verwirrung.

Wenn "Demokratie der politische Raum sein soll, der uns das Recht für das Fragen und Prüfen gibt, in dem sich die Macht dem Argument beugt und nicht das Argument der Macht" (EK), dann frage ich mich, warum immer nur die falschen Fragen gestellt werden, Fragen, die nicht weit und nicht tief genug gehen und immer dann Halt machen, wenn es interessant wird. Ich frage mich, warum so viele kritische Ansätze der Vergangenheit, warum einfache erkenntnistheoretische Prinzipien immer noch für so viele Menschen unverständlich sind. Das "Tribunal der Fakten, das heißt der Institutionen, die stark und neutral genug sind, um dem Bürger eine tragfähige Begründung für seine Entscheidungen zu garantieren" (EK) steht nicht nur vor dem Bankrott, sondern hat auch noch nie richtig funktioniert und niemand kommt auf die Idee, daß das z. B. auch was mit den Untersuchungen eines HUME oder KANT zu tun haben könnte. Die bildungspolitischen Versäumnisse in dieser Hinsicht sind gravierend, erst recht, wenn man gar kein Philosoph sein muß, um diese Dinge prinzipiell begreifen zu können. Es genügt die Fähigkeit selbst denken zu wollen und ein bißchen Anleitung. Dann hätten auch viele der heutigen gesellschaftlichen Probleme schon zu einem viel früheren Zeitpunkt und damit rechtzeitig und vorausschauend angegangen werden können. Das Bildungsniveau in diesem Land hätte sich seit der Hochzeit des "deutschen Geistes" kumulativ und sukzessiv auf breiter Basis gesteigert und man stände jetzt nicht vor der unmöglichen Aufgabe, mit einer desinteressierten Generation oder zweien alle Versäumnisse der Vergangenheit in kürzester Zeit aufarbeiten zu müssen, weil über viele Jahre einseitig ganz bestimmte (technische) Interessen gefördert und andere (humanistische) vernachlässigt wurden. Die Stunde der Dogmatiker, Demagogen und Dummschwätzer (EK) schlägt schon viel zu lange. Erschlichene Allgemeingültigkeit bildet die Basis vieler Institutionen, die damit sozusagen auf einer Zeitbombe sitzen, die an verschiedenen Stellen immer wieder gezündet werden wird. Die "Bewirtschaftung von Launen" (EK) hat nicht erst mit den neuen Medien begonnen und die Ökonomisierung der Wissenschaften gibt es auch nicht erst seit heute. Der logische Unsinn ist schon viel früher zur Gewohnheit geworden. Es hat auch nicht an kritischen Stimmen gefehlt, die immer wieder Versäumnisse angemahnt haben, aber sie wurden überhört und totgeschwiegen aus Gründen herrschender Machtinteressen.

"Die Philosophie" hat sich bis auf den heutigen Tag in einem wichtigen Punkt immer noch nicht als Magd von der Theologie emanzipiert, weil der Glaube an den Absolutismus in der wissenschaftlichen Allgemeinheit weiterhin fast alle Theorien durchzieht (siehe Anmerkung 2). Mit Wissenschaft wird ein Positivismus gerechtfertigt, den man als Idealismus, als Optimismus verstehen muß, der ein wesentlicher Bestandteil der herrschenden Machtverhältnisse ist und das Volk bei Laune halten soll, damit es nicht den Glauben verliert, denn setzt erst einmal der große Run ein auf das Wissenskapital, ist das System nicht mehr zu retten. Aus diesem Grund werden im Krieg auch Deserteure sofort standrechtlich erschossen, damit niemand auf dumme Gedanken kommt. Wer die Macht über die Kommunikationsmittel hat, der verfügt auch über die Macht, herrschende Meinungen zu gestalten und abweichende Ansichten und damit den Zweifel am ganzen System zu unterdrücken. In den meisten Fällen befindet sich diese Macht in den Händen von Leuten, die damit ökonomische Interessen verbinden. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat in dieser Hinsicht den Kampf gegen "die Privaten" längst verloren, ja versucht sogar diese in ihrer Quotenstrategie nachzuäffen. Es bleibt abzuwarten, ob sich im Internet eine Gegenbewegung etablieren und halten kann. Sind die Abweichler, die einer solchen Materialisierung des gesellschaftlichen Lebens ihren Widerstand entgegensetzen, im Recht, weil sie den vernünftigeren und gründlicheren Durchblick haben, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die alten primitiv-materiellen Verhältnisse einer höheren Kultur weichen müssen. Das ist zumindest meine Hoffnung, weil sonst alles sinnlos, nur scheinbar wäre.

Es ist also Zeit, "sich bewußt zu machen, was auf dem Spiel steht" (EK) und zu begreifen, daß die bisherigen herrschenden empirischen Grundlagen nichts taugen, sie also bereits zersetzt sind (EK) und deshalb auch eine Zersetzung der Demokratie gar nicht zu befürchten ist, weil immer nur von einem sehr allgemeinen Begriff von Demokratie auszugehen ist, der bei sorgfältiger Prüfung leicht ins Wanken gebracht werden kann. In der Politik geht es in erster Linie um die  Macht  und erst dann um die Sache. Die "Sache" selbst ist meist viel zu kompliziert, um sie dem großen Publikum vermitteln zu können, oft auch zu kompliziert für die Parlamentarier selbst. Muß man einfach  glauben daß jemand anderer etwas besser weiß und ein gutes Gefühl dabei haben. Und deshalb ist es auch scheinheilig ist, den Pegida- und AfD-Mitläufern ihre Gefühle und Empfindungen vorzuwerfen, wo doch die ganze Werbung mit Emotionen operiert und in der Politik nicht weniger die Gefühle der Wähler beeinflußt wurden und werden (CW). "Wenn Menschen etwas glauben, dann ist es nicht mehr wichtig, ob etwas wahr ist" (CW). Solche Ansichten spielten da, wo es um die Macht geht, insgeheim immer schon eine große Rolle. Der Unterschied zu heute besteht nur darin, daß sich die Leute sowas jetzt auch öffentlich zu sagen trauen.

Eine Bundeskanzlerin, die der Meinung ist, daß "Fakten nicht beiseitegewischt und ignoriert werden dürfen, weil sonst verantwortbare und konstruktive Antworten in der Sache nicht mehr möglich sind", kommt mit ihren Ansichten nicht über eine vulgäre Begrifflichkeit hinaus, weil sie eine Ethik im logischen Denken einfordert, aber überhaupt keine Möglichkeit hat, diesen Anspruch zu überprüfen, ob er tatsächlich mit Fakten eingelöst wird. Was sie unter einer Sache versteht hat nichts mit einem "Gegenstand", einem "Objekt", einem "Ding" in einem erkenntnistheoretischen Sinn zu tun und auch nichts mit den Beziehungen, die sich daraus für ein Bewußtsein ergeben. Sie weiß nicht, was dabei "sein soll" und "sein kann", bzw. "nicht sein kann". Sie tut, wie die meisten anderen Menschen auch, die eher praktisch veranlagt sind, so, als wäre das Ding-ansich bereits Realität und nicht etwa unerkennbar, wie ein KANT meinte. Wenn der Zusammenhang von Abstraktion und Macht nicht verstanden wird, dann besteht auch leicht die Gefahr, daß man Leuten, die sich mit solchen Fragen intensiv auseinandersetzen, womöglich unterstellt, daß sie "nicht an Lösungen interessiert sind" und "man sich deshalb nicht an ihnen orientieren darf, weil man sonst selbst die Orientierung verliert". Ich meine, eine Politik, die über  allgemeine  geistige Voraussetzungen nicht hinauskommt, kann gar nicht anders, als auf die sozialen oder egoistischen Gefühle der Menschen abzuzielen, weil in ihr ein grundlegendes logisches Problem ebenso wenig Bedeutung hat, wie in einem hauptsächlich technischen Wissenschaftsbetrieb und erst recht in einem, was die Folgerichtigkeit angeht, eher unbeleckten Volk.

Die Orientierungslosigkeit drückt sich in der allgemeinen Voraussetzung aus, daß jeder Mensch über ein "Bewußtsein ansich" verfügt, mit dem sich  2 + 2  genausogut zusammenzählen, wie sich Gleichungen mit 3 Unbekannten lösen lassen. Das Einfache ist im Prinzip dasselbe wie das Schwierige. Mit anderen Worten:  jeder  kann im Grunde ein Nobelpreisträger oder Präsident der USA werden, wenn er nur wirklich will. Dieser Art von Rationalität, die letztlich auf einen Wunschtraum zurückgeht, der dem des Lottospielers ähnelt und auf einer Perversion der "Gleichheit aller Menschen" beruth, sind keine Grenzen gesetzt. Anscheinend begreift nur ein IMMANUEL KANT die geistige Versklavung, die in der Behauptung einer objektiven Realität liegt [die lediglich eine  Möglichkeit  und  Wahrscheinlichkeit  benennt, mit der sich ein bestimmter Zweck erfüllt], wenn er sagt: "Wäre das Ding-ansich Wirklichkeit, so wäre die Freiheit nicht zu retten."

Die zwingende Notwendigkeit des Faktischen ist eine erschlichene. Fakten sind  Technik  und damit Macht,  Mittel  und nicht Zweck. Deshalb schaffen Fakten auch kein Recht. Wird das nicht begriffen, sind alle Versuche die Ideale des menschlichen Geistes zu verwirklichen vergebens. Freiheit oder Gerechtigkeit lassen sich erst nach der Abschaffung des Faktischen in seiner unbedingten Allgemeingültigkeit sinnvoll diskutieren. Das sollten sich alle Weltverbesserer hinter die Ohren schreiben!

Ich selbst lebe schon seit über 30 Jahren in postfaktischen Zeiten, mit all den Anfechtungen, die das in einer Welt der logischen Selbstverständlichkeiten so mit sich bringt. Mit einem schon fast übermenschlichen Glauben halte ich aber dennoch an der Überzeugung fest, daß sich das bessere Argument schließlich durchsetzt. Wahrscheinlich wird mir aber nichts anderes übrigbleiben, als diesem Glauben auch noch posthum weiter zu frönen [indem ich mich das eine oder andere Mal im Grab umdrehe]. Die Faktenapostel in ihrer Selbstgerechtigkeit werden weiter "business as usual" machen und sich nur ganz am Rande, wenn überhaupt, mit "unrealistischen" Ansichten abgeben und weiter das goldene Kalb der Machbarkeit anbeten. Ich bleibe bis zum Schluß Optimist, Zweckoptimist. Optimismus ist Pflicht, weil alles andere ein noch größerer Blözinn wäre. Andere Leute zu überzeugen, ist aber nicht meine Sache, auch wenn es vielleicht nicht so aussieht. Überzeugen muß sich jeder selbst. "Man ist ihnen nur den Anstoß zum Nachdenken schuldig", um es mit ROBERT von MOHL zu sagen.
LITERATUR - Werner |G| Petschko, Postfaktische Zeiten [online-edition] 22. 10. 2016