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JOHANN GOTTLIEB FICHTE
(1762 - 1814)
Die Grundzüge des
gegenwärtigen Zeitalters

[1/2]

"Die kräftigste Verhinderung des Nachdenkens liegt darin: wenn man an gar nichts mehr Anstoß nimmt, über nichts sich weiter wundert, noch einen Aufschluß begehrt."

"Die Finsternis ist die Gedankenlosigkeit, die Frivolitiät, der Leichtsinn der Menschen."

"Die reine Gedankenlosigkeit, d. h. das stumme Hinfließen mit dem Strom der Erscheinungen, ohne auch nur den Gedanken einer Einheit in ihm und eines Grundes davon zu denken, ist tierisch, und erhält dadurch wieder eine gewisse Naturgemäßheit, die man gelten lassen muß. Selten ist der Mensch so glücklich, daß sie ihm zuteil wird."

"Nach ihnen ist das Tier der geborene Weise und Philosoph; dem Menschen aber ist die Narrheit zuteil geworden, welche darin besteht, daß man einen Grund der Erscheinungen sucht. Diese Narrheit, nach einem Grund zu fragen, unterdrückt der Weise soviel er vermag, und macht so durch Kunst sich wieder zum Tier."

"Man flieht keine Gesellschaft ärger, als die seiner selbst, und um nie mit sich selbst allein zu sein, sucht man alle Teile des Lebens, die uns von den, uns ohnedies von uns selbst entfernenden Geschäften übrig bleiben, in ein Spiel zu verwandeln. - Dieser Zustand ist nicht natürlich. Kinder mögen von Natur gern spielen, weil ihre Kräfte ernsthafteren Geschäften noch nicht gewachsen sind: wenn aber Erwachsene nichts mögen, als spielen, so geschieht es nicht um des Spieles willen, sondern weil sie über den Spiel etwas anderes vergessen wollen."


Vorrede

Die eigentliche Absicht und der letzte Zweck der folgenden Vorlesungen spricht, wie ich glaube, sich selbst hinlänglich aus; und sollte sich doch jemand finden, der eines deutlicheren Fingerzeigers bedürfte, so rate ich diesem, die 17. Vorlesung als eine Vorrede anzusehen. Ebenso muß die Entschließung zum Abdruck und zur Mitteilung an ein größeres Publikum selbst für sich sprechen; und, falls sie dies nicht tut, ist alle andere Fürsprache verloren. Ich habe darum bei der Herausgabe dieser Schrift dem Publikum nichts weiter zu sagen, als daß ich ihm nichts zu sagen habe.

Berlin, im März 1806
Fichte.



Siebzehnte Vorlesung
Ehrwürdige Versammlung!

Wir haben in den vorhergehenden Reden die gegenwärtige Zeit, als einen notwendigen Bestandteil des großen Weltplans mit unserem Geschlecht im Erdenleben, gedeutet, und ihren verborgenen Sinn aufgeschlossen; wir haben gesucht, die Erscheinungen der Gegenwart aus jenem Begriff zu verstehen, sie als notwendige Folge aus der Vergangenheit abzuleiten, ihre eigenen nächsten Folgen für die Zukunft vorherzusehen, und haben, falls uns dieses gelungen ist, unsere Zeit begriffen. Wir haben in diese Betrachtung uns verloren, ohne unserer selbst zu gedenken. Die Spekulation warnt, und mit gutem Grund, jeden Untersucher vor dieser Selbstvergessenheit. Um in unserem Fall die Richtigkeit dieser Warnung zu zeigen: war etwa unsere Ansicht der gegenwärtigen Zeit selbst nur eine Ansicht vom Augpunkt dieser Zeit aus, und war während dieser Ansicht unser Auge selbst Produkt dieser Zeit, so zeugte das Zeitalter eben von sich selbst, welches Zeugnis durchaus verwerflich ist; und wir hätten, weit entfernt den Sinn des Zeitalters zu erforschen, lediglich die Anzahl der Phänomene desselben um ein sehr entbehrliches und zu nichts führendes vermehrt. Ob wir uns nun in diesem Fall befinden oder nicht, läßt sich nur dadurch entscheiden, daß wir unser Untersuchen und Denken selbst wiederum denken, welches nicht anders möglich ist, als also: daß wir es zu einem Faktum in der Zeit machen, und zwar in derjenigen Zeit, in welche es gefallen ist, in der gegenwärtigen.

So unerläßlich aber es ist, bei jedem geistigen Geschäft an sich selbst zu denken, ebenso schwer ist es auch, dieses zu tun, besonders es laut zu tun, d. h. von sich zu sprechen. Nicht als ob ich es schwer fände, von mir, dieser meiner Person, zu sprechen. In der Einleitungsrede, als ich eine Versammlung erst anzuknüpfen und zu errichten suchte, habe ich mit großer Leichtigkeit von mir selber gesagt, was meines Wissens niemand mir verdacht hat, und was mich nicht reut; aber jetzt, zum Beschluß, wüßte ich gar kein, auch nur des Aussprechens würdiges Wort über mich vorzubringen. Von mir ist nicht die Rede, nicht ich habe untersuchen und denken wollen; - wenn darauf überhaupt etwas ankäme, so hätte ich es tun können, ohne irgendeinem Menschen etwas davon zu sagen; - aber es kommt überhaupt der Welt gar nichts darauf an und macht gar keine Begebenheit in der Zeit, was der Einzelne denkt oder nicht denkt; sondern Wir, als eine in den Begriff verlorene, und mit der absoluten Vergessenheit unserer individuellen Personen zur Einheit des Denkens verflossene Gemeine, wie wir die äußere Erscheinung davon oft gegeben haben, und sie in diesem Augenblick geben, wir haben denken und untersuchen wollen: und dieses Wir, keineswegs mich, meine ich, wenn ich von einem denkenden Rückblick auf uns selber und von der Schwierigkeit rede, denselben laut und sprechend zu vollziehen. Es sucht sich dann so manches zur Sprache zu drängen, was schicklicher jeder bei sich selbst denkt; der Unvorsichtige kann verleitet werden zu berühren, was die zartere Scham vor sich selbst und anderen lieber unberührt läßt, und mit Vorstellungen an die Gemüter zu dringen, welche nicht ansich, sondern dadurch, daß sie in der Voraussetzung ausgesprochen werden, man könne sie sich nicht selbst machen, dem gebildeten Sinn lästig sind. Nachdem ich, meines Wissens, bisher von dieser Art der Beredtsamkeit, welche man nur noch einem Stand, zu dem ich nicht gehöre, erlaubt, mich frei erhalten, so hoffe ich nicht, gerade zum Schluß in sie zu verfallen.

Wir wollen, habe ich gesagt, heute über unser bisheriges Denken - unseres, nicht meines, in dem Sinne, den ich angegeben habe, - wiederum denken; besonders um sicher zu werden, daß es nicht selbst ein Produkt der in ihrem Einfluß unserem Auge bloß verborgen gebliebenen Gegenwart gewesen ist. Ich behaupte hierbei: es ist dieses Denken gewiß nicht Produkt unserer Zeit, wenn es zuvörderst überhaupt nicht Produkt irgendeiner Zeit ist, sondern über alle Zeit hinausliegt; sodann, da es in diesem Fall gar wohl überhaupt leer und nichts bedeutend sein und in die leere und nichtige Zeit fallen könnte, wenn es Grund und Prinzip eines lebendigen Lebens in einer neuen Zeit wird.

Um über das erste, ob unser hier vollzogenes Denken über alle Zeit hinausliegt, Auskunft zu erhalten, lassen Sie uns sehen: was für ein Denken dasselbe seinem Inhalt nach gewesen und unter welche Hauptgattung des menschlichen Denkens wir es zu bringen hätten? - Ich antworte: es war ein religiöses Denken; alle unsere Betrachtungen, waren religiöse Betrachtungen und unsere Ansicht und unser eigenes Auge in dieser Ansicht religiös.

Religion besteht zufolge des, in allen unseren bisherigen Reden dunkler oder deutlicher, mittelbarer oder unmittelbarer angeregten und in der letzten Vorlesung von allen Seiten betrachteten Gedankens darin: daß man alles Leben als notwendige Entwicklung des einen, ursprünglichen, vollkommen guten und seligen Lebens betrachtet und anerkennt. Nun ist es fürs Erste ganz klar, daß diese Ansicht nicht in der bloßen Wahrnehmung und beobachtenden Anschauung des Lebens, oder irgendeines Dinges liegt, noch aus ihr zu entspringen vermag. Durch die sorgfältigste Beobachtung des Daseienden wird man nie weiter kommen als zu wissen: so und so ist nun eben das Ding; keineswegs aber dazu, diese bloße Erscheinung überhaupt nicht gelten zu lassen, sondern eine höhere Bedeutung derselben anzunehmen. Diese Maxime muß sich rein aus dem Gemüt, als ein absolut ihm eingepflanzter Grundzug entwickeln, und durch die bloße empirische Wahrnehmung gelangt man nie zu ihr, indem sie eben die empirische Wahrnehmung, als höchsten Entscheidungsgrund alles Gültigen, völlig aufhebt. Es ist klar, daß diese Maxime dem von uns aufgestellten Prinzip des deutlichen Denkens des Zeitalters widerspricht, daß dieses nie zu ihr kommen kann, und daß durch die erste religiöse Ahnung eines höheren, als die Welt ist, man sich über ein solches Zeitalter erhebt, und aufhört ein Produkt desselben zu sein. Kurz: nicht das bloße Wahrnehmen, sondern das Denken aus sich selber heraus ist das erste Element der Religion. Mit dem bekannten Ausdruck der Schule: Metaphysik, zu Deutsch: Übersinnliches, ist das Element der Religion. Vom Anbeginn der Welt an bis auf diesen Tag war die Religion, in welcher Gestalt sie auch erscheinen mochte, Metaphysik; und wer die Metaphysik, lateinisch: alles Apriori, - verachtet und verspottet, der weiß entweder gar nicht, was er will, oder er verachtet und verspottet die Religion.

Ist man nun aus dieser Gefangenheit und Befangenheit in den Erscheinungen erlöst, so ist das zweite, um zur wahren Religion zu gelangen, die Maxime: den Grund der Welt weder in das Ungefähr zu setzen, welches mit anderen Worten heißt, einen Grund der Welt anzunehmen, und doch auch nicht annehmen; noch in blinde Notwendigkeit, welches mit anderen Worten heißt, einen schlechthin unbegreiflichen und in sich toten Grund der Welt und des Lebens in ihr annehmen; noch in eine lebendige, aber böse, menschenfeindliche und eigensinnige Ursache, wie es der Aberglaube seit allen Zeit in höherem oder niederem Grad getan hat; sondern in das eine, absolut gut und ewig gut bleibende göttliche Dasein. So wie die erste Maxime, das zeitliche Dasein überhaupt nicht für das wahre gelten zu lassen, sondern jenseits desselben ein höheres anzunehmen, - ebenso muß auch die zweite, dieses höhere als Leben, und als gutes und seliges Leben zu fassen, rein aus dem Gemüt, als ein absolut in ihm liegender Grundzug kommen. Von außen kann dem Einzelnen höchstens die Hilfe gereicht werden, daß man ihm diese Ansicht mitteilt und auffordert, sie an seinem eigenen Wahrheitssinn zu erproben, welcher, wenn er nur recht befragt wird, und wenn die Masse der schon vorhandenen Irrtümer und Vorurteile nicht gar zu mächtig ist, ohne Zweifel beistimmen wird. Ein eigentlich logisches Erzwingungsmittel der Einsicht gibt es nicht, - denn selbst die allerplatteste und roheste Denkart des bloßen Egoismus ist in sich konsequent, und wer hartnäckig darauf besteht, sie nicht zu verlassen, kann nicht dazu genötigt werden.

In Summa - wie wir auch schon in der letzten Rede es deutlich ausgesprochen haben: In der religiösen Ansicht werden schlechthin alle Erscheinungen in der Zeit eingesehen als notwendige Entwicklungen des einen, in sich seligen, göttlichen Grundlebens, folglich jede einzelne als die notwendige Bedingung eines höheren und vollkommeneren Lebens in der Zeit, das aus ihr ersprießen soll. Nun ist, - dies ist wohl zu bemerken, - diese eine, ewig sich gleichbleibende Einsicht der Religion in aller Zeit, selber, ihrer Form nach, wiederum verschieden und eine doppelte. Nämlich: es wird entweder bloß im Allgemeinen eingesehen, daß, da alles in der Zeit erscheinende Leben nur eine Entwicklung des einen Lebens sein kann, auch die besondere, nun eben eintretende Erscheinung notwendig dasselbe ist, - daß sie es ist, sage ich, ohne daß sich verstehen läßt, wie und auf welche Weise sie es ist; und in dieser Gestalt können wir die Religion nennen: bloß Vernunftreligion, - hinausliegend über allen Verstand und allen Begriff, ohne daß dadurch ihrer Klarheit und Gewißheit der geringste Abbruch geschieht. - Vernunftreligion nennen wir sie, denn sie ist ein bloßes Vernehmen des Daß, ohne Verstehen des Wie. - Oder, was der zweite Fall wäre, es läßt sich sogar begreifen und verstehen, wie und auch welche Weise die in Untersuchung gezogene Erscheinung die Entwicklung eines höheren Lebens ist; das vollkommenere, das daraus hervorgehen soll, läßt sich wirklich angeben, und die vorliegende Erscheinung, als notwendiger Grund des bestimmten Besseren, im deutlichen Begriff erhärten. In dieser letzteren Gestalt könnte man die Religion nennen: Verstandesreligion. Durch die Sphären beider ist das ganze Gebiet der Religion umfaßt, so daß die Vernunftreligion die beiden äußersten Enden desselben umschließt, die Verstandesreligion das in der Mitte Liegende einnimmt. Wie jedes menschliche Individuum, als solches, und die besonderen Schicksale desselben auf das Ewige sich beziehen, als das tiefste Ende des Religionsgebietes, läßt sich nicht begreifen; und ebensowenig, wie diese ganze gegenwärtige und erste Leben unseres Geschlechts sich zu der unendlichen Reihe künftiger Leben verhält, und durch sie bestimmt wird, - als das höchste Ende desselben Gebietes; daß sie aber insgesamt gut sind, und durchaus notwendig für das vollkommenste Leben, sieht der Religiöse klar ein. Was hingegen das erste Erdenleben der Gattung, für sich allein und ohne Beziehung auf andere Leben gedacht, als bloßes Gattungs-, keineswegs als individuelles Leben bedeutet, als die mittlere Sphäre jenes religiösen Gebietes: läßt sich begreifen, und ist von uns begriffen worden; und aus demselben Grund läßt sich begreifen, wie jede der notwendigen Epochen dieses Erdenlebens sich zum Ganzen verhält, und was sie in demselben beabsichtigt. Hier daher liegt der Boden der Verstandesreligion; und diesen hat unsere Untersuchung, - hinstellend die Epoche, in welcher wir leben, als ihren hellsten Punkt, - durchmessen.

Die Frage: was unsere ganze Untersuchung eigentlich gewesen war, ist beantwortet. Folgendes nämlich haben wir getan: wir haben uns erhoben in den Äther der Religion auf dem Weg, der für unser Zeitalter der betretenste und der geläufigste ist, auf dem Weg des Verstandes. So gewiß unsere Untersuchung religiös war, schwebte sie, weit entfernt, ein Produkt unserer Zeitepoche zu sein, über allen Zeitepochen und aller Zeit; so gewiß sie an das in unserer Zeit herrschende Prinzip anknüpfte, erhob sie sich recht eigentlich aus unserer Zeit heraus über die Zeit. Die kräftigste Verhinderung des Nachdenkens liegt darin: wenn man an gar nichts mehr Anstoß nimmt, über nichts sich weiter wundert, noch einen Aufschluß begehrt. Was jeden, diesem Zustand noch so Nahen noch immer am leichtesten anregt, weil es auf sein eigenes Wohl und Wehe unmittelbaren Einfluß hat, sind die ihm am nächsten liegenden Zeitbegebenheiten. Welcher Gebildete hat nicht wenigstens beim Anblick dieser sich zuweilen gewundert, nach einer Bedeutung dieser sonderbaren Erscheinung gefragt und Aufschluß gewünscht? Ohne mich auf Kleinigkeiten einzulassen, die sehr oft in das Gebiet des absolut Unverständlichen fallen, oder, selbst falls sie verständlich wären, nie zu etwas Großem führen, haben wir die Zeit im Großen und Ganzen gedeutet; doch so, daß wohl nicht leicht Eins der Mitglieder dieser Versammlung dasjenige ganz übergangen finden dürfte, was ihn am vorzüglichsten interessiert. Wir haben sie gedeutet mit verständlich religiösem Sinn, alles begreifend als notwendig in diesem Ganzen, und als sicher führen zum Edleren und Vollkommeneren.

Es ist daher kein Zweifel, daß unsere Untersuchung über alle Zeit hinaus sich erhoben hat. Dies allein aber genügt mir noch nicht. Ist sie kein Produkt, keine Lieblingsmeinung, keine Einseitigkeit unseres Zeitalters, so ist das recht gut: aber ist sie nicht vielleicht überhaupt Nichts, ein leerer Schimmer und Traum, fallend in die leere Zeit, und für die wahre und wirkliche Zeit gar nicht vorhanden? Wir haben die Prinzipien für die Beantwortung dieser zweiten Frage anzugeben.

In diese leere Zeit fällt etwas, wenn es zum bloßen Zeitvertreib dient, oder, was dem ganz gleich ist, zur bloßen Befriedigung einer auf keine ernsthafte Wissbegierde gegründeten Neugierde. Der Zeitvertreib ist ganz eigentlich eine leere Zeit, welche zwischen die durch ernsthafte Beschäftigung ausgefüllte Zeit in die Mitte gesetzt wird. Als ich diese Reden eröffnet habe, nahm ich nichts weiter auf mich, als daß ich Sie wenige Stunden dieses Winters auf eine nicht unschickliche und Ihrer nicht unanständige Weise unterhalten wollte; mehr konnte ich, auf mich allein rechnend, nicht versprechen: und sogar dieses ganz unbedingt zu versprechen wäre gewagt gewesen; denn das Unterhalten setzt von der anderen Seite Unterhaltbarkeit, und eine bestimmte Unterhaltung, einen gewissen Grad und Art von Unterhaltbarkeit voraus. - Hätten Sie nun, insgesamt und alle ohne Ausnahme, mich bei diesem Wort gefaßt, so könnten Sie heute insgesamt rühmen, daß Sie diesen Winter über sechzehn bis siebzehn Stunden Langeweile durch ein neues Mittel losgeworden sind; welches dann immer auch etwas Gutes, Ersprießliches und Gesundes wäre, wogegen ich nichts haben dürfte. Etwas ganz Gewisses aber wäre es auch, daß diese sechzehn bis siebzehn Stunden nicht in Ihre wirkliche, sondern in Ihre leere Zeit gefallen sind.

In die wahre und wirkliche Zeit fällt etwas, wenn es Prinzip wird, notwendiger Grund und Ursache, neuer und vorher nie dagewesener Erscheinungen in der Zeit. Dann erst ist ein lebendiges Leben geworden, das anderes Leben aus sich erzeugt. Das, was durch diese Untersuchungen Prinzip geworden sein könnte, wäre die herrschende Tendenz und Gewohnheit, alle Erscheinungen ohne Ausnahme aus dem religiösen Standpunkt anzusehen. Nun ist es unmöglich, daß durch diese unsere, hier in einigen Stunden dieses Winters angestellten Betrachtungen dieses Prinzip uns erst hat eingepflanzt werden können. Teils läßt es sich überhaupt nicht, wie schon oben erinnert wurde, von außen in den Menschen hineinbringen, sondern es muß ursprünglich in seinem Wesen sein, und ist es ohne Ausnahme; teils haben wir bei weitem nicht alle die Mittel, welche es gibt, um dasselbe zu wecken und anzuregen, anzuwenden vermocht. Das ganze künstliche Verfahren der Schule, das systematische Aufsteigen und Abschneiden jedes Einwandes, die regelmäßige Abgrabung der Wurzel des Irrtums in jedem ihrer Äste, - ferner, das tiefe und langwierige Studium, und die künstliche Entwicklung der Denkkraft, welche beide das erste voraussetzt, - konnte und durfte hier nicht angebracht werden; eingepflanzt demnach, oder auch nur ursprünglich geweckt und angeregt, konnte hier der religiöse Sinn nicht werden. Es wurde vorausgesetzt, daß er in allen hier mitwaltenden Gemütern schon ehemals warm und kräftig herausgetreten und sich geäußert hat, und jetzt nur etwa, durch die übrigen ununterbrochenen Geschäfte und Zerstreuungen des Lebens und seine gewöhnlichen Umgebungen verdeckt, schlummert. Diesen nur entschlummerten, keineswegs erstorbenen, konnten wir ansprechen; gerade wie jeder es mit sich selbst allein ebensogut hätte vollziehen könen, wenn er die Zeit und Fertigkeit der Meditation in Angelegenheiten dieser Art gehabt hätte; mir fiel das Geschäft zu, einen Teil meiner Zeit auf die Ermessung und Berechnung einer Rede zu wenden, welche jeder ebenso an sich hätte halten können, und die er zuletzt auch wirklich an sich halten und sie an seinem eigenen Gefühl versuchen mußte, wenn sie überhaupt an ihn gerichtet sein sollte. Höchstens konnte ich von dem meinigen das hinzutun, daß ich den Gegensatz zwischen Ihrer damaligen Geistesbildung, als der religiöse Sinn zuerst in Ihnen lebendig wurde, und ihrer damaligen aufhob und diesen, an sich selber ewig sich gleichbleibenden Sinn von den etwaigen anderweitigen Beschränkungen, die seine erste Entwicklung umgaben, kräftigst abtrennte und ihn in Ihren gegenwärtigen Kulturzustand hineinversetzte.

Fürs Erste gibt es nun schon zur vorläufigen Beurteilung der angeregten Frage, ob die hier angestellten Betrachtungen für uns bloß leere Worte und Gedankenspiele waren - höchstens dienlich, um eine müßige Stunde hinzubringen - oder, ob sie etwas in uns selber Lebendes angesprochen, ein gutes Kriterium: wenn es uns nämlich zumute war, als ob hier nur unsere eigenen, von jeher gehegten Ahnung und Gefühle deutlich ausgesprochen werden, und als ob wir selber uns von jeher die Sache ungefähr ebenso gedacht hätten, wie sie hier dargestellt wurde: so ist sicher etwas in uns Liegendes angesprochen. Dies, sage ich, ist ein nur vorläufiges und selbst nur halb entscheidendes Kriterium. Das letztere deswegen: es kann einer aus voller Seele beistimmen, bei dem doch nur ein flüchtiges wissenschaftliches, oder ästhetisches Wohlgefallen erregt ist, das da wohl in einer konsequenteren Ansicht der Welt, oder in begeisteteren Kunstprodukten sich zeigen, nie aber einfließen wird auf die innere Tiefe des Gemüts. Es kann ein anderer widersprechen, weil er mit wissenschaftlichen Vorurteilen an die Betrachtung gegangen ist, und gerade umso heftiger widersprechen, je mehr das geheime Einverständnis seines eigenen Gemüts mit demjenigen, was seiner Theorie zufolge sein muß, ihn reizt und peinigt; - der doch im Grunde einstimmt, und bei welchem die Einstimmigkeit allmählich die ganze Denkart und den Charakter ergreifen, und seiner Verfahren in Widerspruch setzen wird mit seiner Theorie, - bis endlich diese selbst, da aus dem Herzen ihr keine weitere Nahrung zufließt, verwelken wird und abfallen wie dürres Laub.

Aber das sichere und völlig entscheidende Kriterium, ob etwas in uns schon Lebendes angesprochen, und so kräftig angesprochen wird, daß es nicht wieder von Neuem entschlummern kann, - in welchem Fall das dermalige Erwachen eines neuen, künftigen, immer nicht sicher zu erwartenden Erweckens bedürfte, und nur für dieses von einigem Wert sein könnte, ohne dieses aber gleichfalls in die leere Zeit fällt; - das sichere und völlig entscheidende Kriterium dieser Frage, sage ich, ist dies: ob dieses angeregte Leben unaufhörlich weiter ausbreitet und Grund und Quell neuen Lebens wird?

Schon in der vorigen Rede ist deutlich dargetan worden, daß die Religion überhaupt sich gar nicht äußerlich darstellt, und den Menschen durchaus nicht treibt, irgendetwas zu tun, das er nicht ohne sie ebensowohl getan hätte, sondern daß sie ihn nur innerlich vollendet zu seinem wahrhaften Sein und Dasein. Sie ist gar kein Tun, noch Tätiges, - sondern sie ist eine Ansicht; sie ist Licht, und das einige wahre Licht, welches alles Leben und alle Gestaltungen des Lebens in sich trägt, und sie in ihrem innersten Kern durchdringt. Einmal ausgebrochen, quillt es aus sich selber ewig fort und verbreitet sich ohne Aufhören; und es ist so vergeblich, ihm zu sagen: leuchte, als es vergeblich wäre, dies der irdischen Sonne zu sagen, wenn sie am Himmel steht. Es tut dies ohne alles unser Gebot; und leuchtet es nicht, so ist es eben nicht angebrochen. Wie es anbricht, so verschwinden die Finsternisse und die Traumgestalten und Gespenster, welche im Schoß derselben sich erzeugten, von selbst. Es ist vergeblich, den Finsternissen zu sagen: werdet Licht! Sie können kein Licht aus sich hervorgehen lasen, denn sie haben keines in sich. Ebenso vergebens ist es, dem in Vergänglichkeit verlorenen Menschen zu sagen: erhebe dein Auge zum Ewigen! Er hat für das Ewige kein Auge; das Auge, das er hat, ist selbst vergänglich und ist die Vergänglichkeit, und gebiert Vergänglichkeit aus sich heraus. Lasset aber das Licht erst ausbrechen, so wird die Finsternis sichtbar, und weicht und zieht sich zurück, wie Schatten über die Flur. Die Finsternis ist die Gedankenlosigkeit, die Frivolitiät, der Leichtsinn der Menschen. Wo das Licht der Religion aufgegangen ist, hat man den Menschen vor diesen nicht weiter zu warnen, noch er mit ihnen zu kämpfen; sie sind zerflossen, und man kennt nicht mehr ihre Stätte. Sind sie noch da, so ist das Licht der Religion sicher noch nicht aufgegangen, und alles Warnen und Vermahnen ist verloren.

Demnach, - das aufgestellte Kriterium zuvörderst negativ angewendet, - wird die Beantwortung der Frage, ob diese Betrachtungen in die leere oder wahre Zeit gefallen sind, davon abhängen, ob die Gedankenlosigkeit, die Frivolitiät, der Leichtsinn aus unserem Leben verschwinden, und immer mehr verschwinden werden.

Die reine Gedankenlosigkeit, d. h. das stumme Hinfließen mit dem Strom der Erscheinungen, ohne auch nur den Gedanken einer Einheit in ihm und eines Grundes davon zu denken, ist tierisch, und erhält dadurch wieder eine gewisse Naturgemäßheit, die man gelten lassen muß. Selten ist der Mensch so glücklich, daß sie ihm zuteil wird. Jene Frage nach der Einheit stellt sich ein und fordert ihre Beantwortung. Wer sich der dadurch aufgegebenen Forschung nicht unterwerfen mag, dem bleibt nichts übrig, als sich gegen jenen Andrang zu verstocken, die absolute Gedankenlosigkeit, die ihm, als natürlichen Zustand, seine Natur versagte, mit Freiheit zu seiner Maxime zu machen, und in sie die rechte, wahre Weisheit zu setzen. An vornehmen Benennungen, als da sind: wahrer, gesunder Menschenverstand, Skeptizismus, Kampf gegen Schwärmerei und Aberglauben, wird es nicht gebrechen. Nach ihnen ist das Tier der geborene Weise und Philosoph; dem Menschen aber ist die Narrheit zuteil geworden, welche darin besteht, daß man einen Grund der Erscheinungen sucht. Diese Narrheit, nach einem Grund zu fragen, unterdrückt der Weise soviel er vermag, und macht so durch Kunst sich wieder zum Tier. Läßt sich nun etwa durch diese Maxime und alle die ihr beigelegten vornehmen Namen jener Trieb, sicheren Boden zu finden, noch nicht unterdrücken, so sucht man durch andere Mittel ihm zum Schweigen zu bringen.Man versucht, sich selbst mit jenem Streben aufzuziehen und lächerlich zu machen, indem man überhaupt es lächerlich zu machen, sucht; um an sich selbst Rache dafür zu nehmen, daß man sich doch einmal überraschen und ergreifen ließ, auch, damit ja die anderen einer solchen Schwachheit uns nicht für fähig halten. Man flieht keine Gesellschaft ärger, als die seiner selbst, und um nie mit sich selbst allein zu sein, sucht man alle Teile des Lebens, die uns von den, uns ohnedies von uns selbst entfernenden Geschäften übrig bleiben, in ein Spiel zu verwandeln. - Dieser Zustand ist nicht natürlich. Kinder mögen von Natur gern spielen, weil ihre Kräfte ernsthafteren Geschäften noch nicht gewachsen sind: wenn aber Erwachsene nichts mögen, als spielen, so geschieht es nicht um des Spieles willen, sondern weil sie über den Spiel etwas anderes vergessen wollen. Oder es kommt dir ein ernster Gedanke in den Weg, den du nicht magst: so laß ihn liegen und setze deinen angefangenen Weg fort! Das aber tust du nicht, sondern dur wendest dich gegen ihn und bietest alle Gewalt deines Witzes auf, um ihn in ein lächerliches Licht zu setzen. Warum gibt du dir denn die Mühe? Du mußt doch den Gedanken in seiner ersten ernsthaften Gestalt gar nicht ertragen können, da du nicht eher Ruhe hast, bis du ihn in eine andere, dir gefälligere Form gebracht hast. Leichtsinn und Frivolität - und zwar, je höher sie steigen, desto mehr - sind untrügliche Kennzeichen, daß im Innern des Herzens etwas ist, das nagt, und welchem man gern entfliehen möchte; und sie sind gerade dadurch unverwerfliche Beweise, daß die edlere Natur in diesen noch nicht ganz ausgestorben ist. Wer es vermag, einen tiefen Blick in solche Gemüter zu werfen, dem geht der schmerzlichste Jammer auf über ihren Zustand und über die unaufhörliche Lüge, in der sie sich befinden; indem sie alle glauben machen wollen, daß sie höchst glücklich und vergnügt sind, und von ihnen wieder die Bestätigung erwarten, jedoch sie bei sich selbst niemal Glauben finden; - zugleich mit einem wehmütigen Lächeln über ihr Bestreben, schlimmer zu scheinen, als sie wirklich sind.

Sind diese Phänomene uns gänzlich verschwunden, scheuen wir nicht mehr den Ernst und das Nachdenken, sondern fangen nun schon an, es über alles zu lieben: so sind unsere Betrachtungen nicht in die leere, sondern in die wirkliche Zeit gefallen.

Hat das Licht der Religion sich in uns entzündet, so vertreibt es nicht nur die Finsternisse, sondern es ist auch für sich selber und als solches da, indem es außerdem die Finsternisse nicht vertreiben könnte; verbreitet sich, bis es unsere ganze Welt umfaßt, und wird so Quelle eines neuen Lebens. - Im Beginn dieser Reden haben wir alles Große und Edle im Menschen darauf zurückgeführt, daß er seine Person in der Gattung verliert und an die Sache dieser Gattung sein Leben setzt, für sie arbeitet, entbehrt, duldet und, sich opfernd, stirbt. Immer waren es Taten, immer, was heraustreten konnte in der äußeren Erscheinung, worauf wir gesehen haben. Dabei mußten wir anknüpfen mit dem Zeitalter. Jetzt, bei Durchgehen durch diese Ansicht veredelt, wie ich voraussetze, reden wir nicht mehr so. Das einzige wahrhaft Edle im Menschen, die höchste Form der in sich selbst klar gewordenen Idee ist die Religion: aber die Religion ist gar kein Äußerliches, und erscheint nie in irgendeiner Äußerung, sondern sie vollendet bloß innerlich den Menschen. Sie ist Licht und Wahrheit im Geist. Das richtige Handeln findet sich dann von selber, denn die Wahrheit kann nicht anders handeln, als nach der Wahrheit; aber dieses richtige Handeln ist kein Opfer mehr, noch ein Dulden und Entbehren, sondern es ist selber die Ausübung und Ausströmung der höchsten inneren Seligkeit. Wer mit Widerwillen und im Streit mit seiner inneren Finsternis dennoch nach der Wahrheit handelt, den bewundere man, und preise seinen Heldenmut; wem es inner klar geworden ist, der ist unserer Bewunderung und Verwunderung entwachsen: es ist in seinem Wesen gar kein Anstoß weiter, noch Unbegreifliches, sondern alles ist die eine, aus sich selbst fortfließende klare Quelle.

Folgendermaßen drückten wir uns damals aus: wie, wenn der Odem des Frühlings die Lüfte belebt, das starre Eis, wovon noch kurz vorher jedes Atom fest in sich selber sich verschloß, und kalt jedes Nachbaratom von sich abhielt, sich nun nicht länger hält, sondern zusammenströmt in eine einige, sich durchdringende und erquickende laue Flut; und so verfließt durch den Liebeshauch der Geisterwelt, und ist durch ihn ewig verflossen, das Ganze der Geisterwelt. Heute setzen wir hinzu: und dieser Hauch der Geisterwelt, das sie schaffende und bindende Element, ist das Licht; dieses das ursprüngliche; die Wärme, falls sie nicht wieder verfliegen, sondern einige Dauer in sich tragen soll, ist bloß die erste Äußerung des Lichts. In der Finsternis der irdischen Ansicht stehen alle Gegenstände getrennt da; jeder einzelne in sich selber zusammengehalten durch die dunkle und kalte Materie, die in ihm sich hinzieht; aber es gibt in dieser Finsternis kein Ganzes. Das Licht der Religion beginne! - und alles geht auf und tritt heraus insgesamt schwimmend in dem einen fortgehenden und umfassenden Lichtstrahl.

Dieses Licht ist sanft, stillerquickend und wohltätig dem Auge. In der Dämmerung der irdischen Ansicht werden die verworren beleuchteten Gestalten gefürchtet, und werden darum gehaßt. In der Beleuchtung der Religion ist alles gefällig, und strahlt Frieden und Ruhe aus. In ihr ist die Mißgestalt verschwunden, und alles schwimmt im rosafarbenen Äther. Nicht, daß man an einen hohen Willen des Schicksals, der nun einmal nicht zu ändern ist, sich ergeht; für die Religion gibt es kein Schicksal, sondern eitel Weisheit und Güte, in die man sich nicht notgedrungen ergibt, sondern die man mit unendlicher Liebe umfaßt. - In diesen hier angestellten Betrachtungen sollte diese freundliche und gefällige Ansicht zunächst über unser Zeitalter und über das ganze Erdenleben unserer Gattung verbreitet werden. Je inniger diese Milde uns ergriffen hat, je tiefer sie eingedrungen ist in alle unsere Ansichten: mit einem Wort, je mehr Frieden mit aller Welt und Freude an jeglichem Dasein für uns gewonnen ist, desto sicherer können wir sagen, daß die hier angestellten Betrachtungen nicht in die leere, sondern in die wirkliche Zeit fallen.

Dieses Licht verbreitet sich aus sich selber und erweitert seines Sphäre, bis es zuletzt unsere ganze Welt durchdringt. Wie, wenn das irdische Licht in einem Punkt beginnt, die Schatten zurückweichen, die Grenzen des Tages und der Nacht sich scheiden, und zwar die Finsternis selbst sichtbar wird, noch aber nicht die in sie gehüllten Gegenstände: ebenso verhält es sich mit dem Licht der Religion. In einer Sphäre, in der Ansicht unseres Erdenlebens, sollte dieses Licht hier uns aufgehen. Ist es uns nur wirklich da aufgegangen, so wissen wir schon fest und sicher, daß auch jenseits dieser Sphäre nur Weisheit herrscht und Güte, weil überhaupt nichts anderes zur Herrschaft kommen kann; aber wir verstehen noch nicht, wie sie da herrscht, und was es ist, das sie dort beabsichtigt. Im Hinblick auf das Daß durchdrungen von felsenfester Überzeugung und Einsicht, bleibt jenseits dieser Sphäre im Hinblick auf das Wie uns doch nur der Glaube übrig. Unsere Sphäre ist beleuchtet durch ein sich selber verständliches und klares Licht: die Gegend jenseits ist allerdings auch schon umfaßt vom Licht, noch aber ruht Dunkel auf den übersinnlichen Gegenständen, die sie enthält. Aber das verständliche und in sich selbst klare Licht bleibt nicht eingeschlossen in seine ersten Grenzen, sondern wie es nur in sich selber heller wird, ergreift es zugleich die nächsten Umgebungen, und von ihnen aus abermals die nächsten; die Sphäre der Verstandesreligion erweitert sich, und nimmt einen Teil der Sphäre des Glaubens nach dem andern in sich auf. Werden wir daher immer verständiger werden in dem Einen, das des Verstandes wert ist, in den Planen der göttlichen Weisheit und Güte: so ist dies ein sicherer Beweis, daß die hier angestellten Untersuchungen nicht in eine leere Zeit gefallen sind, sondern in die wirkliche.

Mit einem Wort: allein unser künftiges Wachstum an innerem Friedenn und Seligkeit, sowie an innerem Verständnis, kann den Beweis geben, daß die Lehre, welche hier gedacht wurde, wahr ist, und daß sie an uns wirklich gekommen und ein Leben in uns gewonnen hat.

Sie sehen, Ehrwürdige Versammlung, daß dieser Beweis nicht äußerlich erscheint; daß keiner für den anderen, sondern nur jeder für sich, aus seiner eigenen Seele heraus, antworten kann, und am besten tut, wenn er auch nur lediglich in seine eigene Seele hinein antwortet. Sie sehen, daß in keinem Fall heute oder morgen die aufgeworfenen Fragen sich beantworten lassen, sondern daß die Beantwortung auf eine sehr unbestimmte Zeit hinaus sich verschiebt. Sie sehen, daß wir heute, am Beschluß unserer Arbeit stehend, durchaus nicht wissen können, ob wir Etwas oder Nichts getan haben; und daß wir auch hierüber an das bloße Bewußtsein unserer redlichen Absicht, falls wir dieses zu fassen vermögen, und aus der Region des Verstandes in die des Glaubens und der Hoffnung verwiesen werden.

Und gesetzt, wir könnten diese Fragen beantworten, und könnten sie unserem Wunsch gemäß beantworten: was ist diese Versammlung auch nur gegen diese volkreiche Stadt; und was ist diese Stadt gegen das gesamte Reich der Kultur? Ein Tropfen Wasser vielleicht in einem mächtigen Strom. Würde nicht der von einem neuen Lebenselement durchdrungene Tropen - falls er nämlich wirklich durchdrungen ist, - mit dem Strom sich mischen und in ihm verschwinden, so daß gar bald im Ganzen keine Spur des ihm erteilten Elementes übrigbleibt? - Auch hier bleibt uns nichts, als die Hoffnung, daß, falls Wahrheit war, was hier gedacht wurde, und falls sie in einer gerade unser Zeitalter ansprechenden Gestalt erschienen wäre, dieselbe Wahrheit, in derselben Gestalt, ohne all unser Wissen auch wohl anderwärts durch andere Organe das Zeitalter ansprechen wird; so daß mehrere Tropfen in dem großen Strom von demselben Lebenselement durchdrungen würden und allmählich zusammenfließen, und auf diese Weise nach und nach dem Ganzen ihr Element erteilten.

Dieses lassen Sie uns hoffen, und mit dieser freudigen Hoffnung im Blick, Ehrwürdige Versammlung, lassen Sie uns scheiden!
LITERATUR - Johann Gottlieb Fichte, Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, dargestellt in Vorlesungen gehalten zu Berlin, im Jahre 1804-1805, erste Auflage, Berlin 1806, in "Johann Gottlieb Fichtes Sämtliche Werke", hg. von J. H. Fichte, Bd. 7, Berlin 1846