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SHIZUTERU UEDA
Schweigen und
Sprechen im Zen


... wurde sogleich der Ruf nach der Polizei laut, weil eine solche Fülle an wertvollen Büchern nur mit Hilfe des Teufels in die Hände eines Einzelnen gelangt sein konnte.

Jede Wirklichkeit, die wir erfassen, ist für uns bereits eine durch Sprache gedeutete Wirklichkeit. Die Sprache führt und lenkt durch den ihr eigenen Artikulations- und Auslegungshorizont alle Erfahrungen und ermöglicht sie dadurch erst. In diesem Sinne ist unsere Welterfahrung von vornherein sprachlich verfaßt, wie es WILHELM von HUMBOLDT und ERNST CASSIRER in einer klassischen Weise herausstellten. Durch das In-der-Welt-sein wohnen wir zugleich in der Sprachwelt. Sprache gilt uns dann als Weltansicht im HUMBOLDTschen Sinne; sie zeigt sich in ihrer schöpferischen weltöffnenden Funktion.

Wir müssen aber auch die Kehrseite der Welt als Sprachwelt klar ins Auge fassen. Sprache erschließt zwar eine Welt als Sinnhorizont, sie bestimmt und beschränkt jene aber auch. Allerdings täuscht der Entschlossenheitscharakter der Welt zunächst über diese Beschränktheit hinweg. Die Ambivalenz des Menschseins waltet bereits in seiner elementaren Sprachlichkeit. Die Sprache als solche kann durch ihre eigene Funktion auch gefährlich werden. So kommt es häufig vor, daß der durch die Sprache vorgezeichnete Verständnishorizont der Welt neue Erfahrungen schwer, manchmal sogar unmöglich macht. Die Leistung der Sprache kann von der Annäherung auch zur Entfremdung von der Wirklichkeit umschlagen.

In der Tat ist die sprachlich verfaßte Welt zunächst meist ein Weltnetz und Weltkäfig, in dem wir eingesperrt sind. Der betreffende Umschlag geschieht - unbefangen und fatal zugleich - schon im primitiven Stadium der Erfahrung. Man sagt unbefangen, man erfahre etwas. Und schon ist es geschehen. Denn meistens verstehen wir zugleich, was wir erfahren. Dies zeigt sich daran, daß wir unsere Erfahrung sprachlich formulieren können, zum Beispiel: "Ich sehe Blumen." Und es ist zunächst völlig unerheblich, ob man es ausspricht oder nicht. Zur Erfahrung gehört ein derartiges Verständnis ihrer selbst. Dann verstehen wir, erfahren wir, beziehungsweise dann haben wir schon erfahren, was wir so verstehen, was wir durch die Sprache so fassen.

Dahinter steckt "mehr" als schlichtes Verständnis dessen, was wir erfahren. Es geht nicht nur um ein Verständnis dessen, was wir erfahren, sondern um ein Verständnis der Erfahrung überhaupt. Dieses "mehr" bildet aus der Sprache als Verständnishorizont einen möglichen Weltkäfig. Es wirkt als Sperre für ein anderes "mehr" der Erfahrung, welches ursprünglich das übersteigt, was in der Erfahrung durch die Sprache gefaßt ist. Wir erfahren etwas, und zwar in der Weise, daß wir sagen: "Ich sehe Blumen." Die Erfahrung wird dabei schon vom Ich her rekonstituiert, auf daß das Ich das so Erfahrene in die Hand nimmt und begreift. Für den Zen-Buddhismus bilden das geschlossene Ich und die Sprache als Weltnetz und Weltkäfig durchweg ein Bedingungsverhältnis. Um des wahren Selbst willen kommt es also auf eine Auflösung des geschlossenen Ich an; auf der Sprach-Ebene des Problems gilt dies als die Befreiung von der Sprache hin zur Sprache. Erst dadurch können wir uns von der Gefahr der Sprache lösen, so daß unser Sprechen schöpferisch wird.

Bei der Realisierung des selbst-losen Selbst geht es also ebenso um die Befreiung von der Sprache hin zu ihr. Da die Gefahr der Sprache nicht zufällig in ihr selbst liegt, geht es dem Zen-Buddhismus nur um jene Bewegung von der Sprache zur Sache selbst, um die Sache zur Sprache zu bringen, um das Gedachte zur Sprache zu bringen; es geht auch nicht nur um jene Bewegung von der Sprache zum Geist, um diesen zur Sprache zu bringen. Alle diese Bewegungen, wie sie in der Tat sehr oft geschehen, finden aus der Sicht des Zen-Buddhismus immer noch im Bannkreis der Sprache statt. Vielmehr geht es um eine extreme Bewegung vollkommen aus der Sprachwelt heraus und von da schöpferisch, das heißt eine Welt erschaffend, wieder in die Sprache zurück.

Ist aber eine solche extreme Bewegung dem Menschen, dessen Sein durch seine Sprachlichkeit ausgezeichnet ist, überhaupt möglich? Dies ist eine entscheidende Frage. Diese extreme Bewegung ist zumindest denkbar. So spricht MERLEAU-PONTY von der Umwandlung des "gesprochenen Worts" zum "sprechenden Wort". Nach seiner Sicht bewohnen wir eine Welt, in der die Sprache institutionalisiert ist. Der entscheidende erste Schritt des Sprechens ist demnach immer schon getan und vorbei. Um wirklich sprechen zu können, müssen wir also zu dem ursprünglichen Schweigen vor dem Geräusch des Wortes zurückgebracht werden. Wenn dann dieses ursprüngliche Schweigen durch ein anfängliches Sprechen gebrochen wird, dann wird erst wirklich gesprochen. Diese Umwandlung ist für MERLEAU-PONTY zugleich "eine Verwandlung meines Seins". Er sieht ein gegenseitiges Bedingungsverhältnis zwischen dem Selbst und der Sprache, so wie der Zen-Buddhismus. Dieser fragt nur, wie sich das ereignet, diese Umwandlung vom gesprochenen zum sprechenden Wort, welche zugleich eine Verwandlung des Menschseins bewirkt.

Ereignet sich eine solch extreme Bewegung aber wirklich, und wie? Wir können über sie nicht als unsere eigene Tätigkeit verfügen, sondern sie ereignet sich, wenn überhaupt. Und zwar uns durchbrechend, uns wieder neu gebärend. Aber sie fällt uns keineswegs irgendwie und irgendwoher beliebig zu. Es geht vielmehr um eine Bewegung, die als solche auf unser Selbst wirkt. Noch einmal: Ereignet sich die betreffende Bewegung wirklich, und wenn ja, wie?

Der Zen-Buddhismus antwortet: ja, wirklich - und benennt dafür Beispiele. Da, wo es um die Grenze der Sprache geht, erleichtern nur konkrete Beispiele das Verständnis, wie hier eines aus der chinesischen Zen-Geschichte. Ein Mönch konnte trotz eifrigsten Übens nicht zum Durchbruch gelangen. So geriet er in höchste Spannung und Verzweiflung. Eines Tages warf er bei der Gartenarbeit einen Stein am Boden beiseite, und jener traf zufällig einen Bambus. Mit diesem Geräusch geschah es. Der Mönch erwachte. Später wurde er ein Großmeister mit dem Namen Kyögen. Es gibt für das Erwachen jedoch keinen bestimmten Anlaß; die Zen-Geschichte verdeutlicht dies an vielen Beispielen. Beim einen Mönch war es ein Bündel Holz, welches zur Erde fiel, bei einem anderen war es ein singender Vogel, bisweilen ereignete es sich auch unmittelbar zwischen Meister und Jünger.

Auf dem Weg der Übung erklingt oder leuchtet dem Betreffenden plötzlich und direkt ETWAS - unsagbar, unerfaßbar, aber klar und gewaltig. ETWAS, was man sonst möglicherweise als Singen eines Vogels hören oder in einer religiösen Vorstellung bzw. Deutung als Orakel oder Wort Gottes empfangen würde. Doch in der gespannten Gegenwart des Ereignisses von ETWAS findet sich weder Raum für eine Deutung noch für eine Vorstellung. Dieses ETWAS in der Gegenwart - im Fall des Meisters Kyögens war es ein Geräusch - durchbricht das Ich-bin-ich und damit seine geschlossene Welt als Sprachnetz hinüber in eine Offenheit, Befreiung und ein Erwachen. Dasselbe ETWAS. Dasselbe Geräusch bei Kyögen wird als Urlaut dann zu einem neuen Ursprung für das Wort. Oft gibt das Erwachen dann einen unmittelbaren Anlaß zu einem kurzen Gedicht. Übrigens umfaßt das Wort "Erwachen" im Zen-Buddhismus sowohl eine "Offenbarung" auf der objektiven Seite als auch eine Heilserfahrung auf der subjektiven Seite. Dies entspricht der Tradition des Ur-Buddhismus, in dem der Name "Buddha", etymologisch "einen Erwachten" bedeutet.

Wir wollen uns nun dem Problem des Schweigens zuwenden. Als Ansatz zur Erörterung zitieren wir von LUDWIG WITTGENSTEIN jenen bekannten Schlußsatz aus seiner Abhandlung "Tractatus logico-philosophicus": "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen." Bereits im Vorwort heißt es: "Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen." Aber wie kann das, wovon man nicht sprechen kann, begrenzt werden? WITTGENSTEIN glaubte seinerzeit, dies sei von innen durch das Sagbare möglich. Unter jenem Sagbaren verstand er dabei das, was sich klar sagen ließe, wie Sätze der Naturwissenschaft. Alles andere unterläge dem Schweigen.

Hieran sehen wir einerseits, daß eine Bestimmung über das Sagbare allzu eng und abstrakt ist, und andererseits, daß jenes Unsagbare allzu eindeutig von dem Sagbaren her begrenzt ist. Eigentlich wäre es unmöglich, das Unsagbare vom Sagbaren her zu begrenzen, indem dieses Sagbare von vornherein innerhalb der Sprache definiert wird. Es ist eben nicht so, daß wir schweigen können, indem wir vorher wissen, was unsagbar ist. Das Unsagbare, Unaussprechliche ist erst das, was uns schweigen läßt. WITTGENSTEIN muß das auch geahnt haben. Kurz vor dem Schlußsatz lesen wir: "Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist dasMystische." Wir fragen, was sich ereignet, wenn sich etwas unsagbarerweise zeigt?

Es heißt bei WITTGENSTEIN: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen." Wir Menschen als mit Sprache begabte Wesen können oder wollen vielleicht nicht schweigen, solange wir nicht sprach-los gemacht worden sind. Erst wenn das geschieht, dann wäre das Schweigen nicht das Letzte. Was uns schweigen läßt, kommt dann zur Sprache. Es ist eben nicht so, daß es eine unaus- sprechliche Wirklichkeit irgendwo und irgendwie gäbe, sondern wirklich ist jenes Ereignis, das uns zur Bewegung aus der Sprache heraus zur Sprache bewegt.

Über das absolute Schweigen kann nicht gesprochen werden. Um dem absoluten Schweigen zu entsprechen (vielleicht besser "entschweigen"), reicht es noch nicht aus, einfach zu schweigen. Statt dessen soll hier (als Entsprechung zum absoluten Schweigen) eine sprachliche Modifikation des Schweigens in Betracht gezogen werden, nämlich eine radikal durchgeführte Negation als Sprachvollzug. Es handelt sich dabei um so viel wie die sog. "negative Theologie" bzw. via negativa in der Tradition der christlichen Mystik. Nur wird die Negation im Zen entsprechend dem unendlichen Nichts "jenseits der hundertfachen Negation" radikaler und dynamischer durchgeführt.

Während zum Beispiel MEISTER ECKHART, der innerhalb der christlichen Theologie die negative Theologie sehr radikal betrieb, sagte: "Gott ist ein Nichts", so sagt der ZenBuddhismus einfach und unbedingt: "Nichts!". Mit seiner Aussage: "Gott ist ein Nichts" wollte ECKHART sagen: Gott ist, und zwar als ein Nichts für die menschliche Erfassung. Gott ist nämlich das Sein selbst, überseiendes Sein, ein lauteres Sein, so lauter, daß es über jede Bestimmung erhaben ist und eben daher, von dem Menschen her, ein Nichts für den Menschen. Das Wort "Nichts" ist bei ECKHART am Leitfaden einer doppelten Zweiheit gesprochen "Sein und Nichts" oder "Gott und Mensch". Wenn der Zen-Buddhismus einfach: "Nichts" sagt, so wird jede Zweiheit und jede Einheit zertrümmert und durchbrochen. Es meint: Offene Weite; Heiliges und Weltliches sind spurlos verschwunden.

Ein solch unendliches Nichts artikuliert sich nun in einem Sprachgebrauch, in dem die radikale dynamische Negation sehr beweglich zum Ausdruck gelangt, wie folgt: "weder Sein noch Nichts, weder Nicht-sein noch Nicht-Nichts", "nirgends wohnen und zugleich im Nirgends-wohnen auch nicht wohnen", "von allem abgeschieden und von der Abgeschiedenheit selbst abgeschieden". Das Nichts artikuliert sich in seiner Unendlichkeit; seiner Radikalität entsprechen konkrete praktische Vollzugsweisen, wie sie im Zen-Buddhismus charakteristisch sind.

Als ein Meister von einem Jünger gefragt wurde, "Was ist Buddha?", hielt er mit seiner Hand dem Fragenden den Mund zu. Dies ist ein praktischer Vollzug der negativen Theologie bei einem konkreten Anlaß. Die Negation gilt dabei nicht nur der Rede über den Buddha bzw. die Wahrheit, sondern auch dem Schweigen als bloßem Nicht-sagen. So war das erste Wort eines Meisters bei jeder Begegnung mit einem Jünger stets: "Dreißig Stockschläge, wenn du etwas zu sagen hast! Dreißig Stockschläge, auch wenn du nichts zu sagen hast!" Ein anderes extremes Beispiel verdeutlicht dies noch. "Du predigst ja jeden Morgen den Mönchen bei der Versammlung. Warum predigst du denn überhaupt?" So gefragt erwiderte der Meister: "Bei mir gibt es keinen Zoll Raum zur Versammlung. Ich habe keine Zunge zu predigen."

Wenn die Negation auf diese Weise auch noch so radikal durchgeführt wird, so ist das Nichts doch nicht das einzige letzte Wort des Zen-Buddhismus. Wie in der christlichen Mystik 'via negativa' und 'via eminentiae' zusammengehören, so ist es auch im Zen der Fall. Nur wird die Bejahung wieder umso unmittelbarer und schlichter durchgeführt. MEISTER ECKHART sagt: "Wer ein Stück Holz im göttlichen Licht sieht, dem erscheint es als ein Engel." Das ist ECKHARTs Bejahung des Holzes, nicht aber eine Bejahung des Holzes als solchen, sondern als eines Engels. Im Zen-Buddhismus heißt es schlichter: "Die Berge Berge, Wasser Wasser, Langes lang, Kurzes kurz." Es handelt sich um eine Art erfüllte Tautologie. je radikaler das unendliche Nichts in seiner Negationsdynamik ist, desto einfacher und schlichter erfolgt die Bejahung. Wir sehen hier eine Zusammengehörigkeit von unendlichem Nichts und einfachstem Einfachen, von radikaler Negation und schlichter Bejahung. Mit dieser Bejahung befinden wir uns an dem Ort, an dem wir zu dem zweiten Aspekt, zu der "Sprache der Natur" übergehen können.

Als Modell unserer Erörterung dient uns jene Verszeile aus dem Begleittext zum zweiten Bild des wahren Selbst: "Die Blumen blühen, wie sie blühen." Hier kommt die "Sprache der Natur" zu Worte. Sie ist dabei zugleich die Sprache des Selbst, in der dieses vollkommen selbst-los ganz zum Ausdruck kommt. Dieses Verhältnis bedarf einer Erklärung, denn das Selbst und die Natur können so angesehen werden - und so ist es meistens auch der Fall -, als seien sie jeweils verschiedenen Bereichen zuzuordnen. Wir fragen also nach der Seinsweise des Blühens der Blumen, wie sie blühen, und fragen damit zugleich nach der Existenzweise des Selbst, welches so spricht und sich selbst auf diese Weise selbst-los ganz mit zum Ausdruck bringt.

Da hier von der Sprache der Natur die Rede ist, erscheint eine Bemerkung über das Wort "Natur" in der buddhistischen Sprache angebracht. Der sino-japanische Terminus des Buddhismus "Shi-zen entspricht nicht in jeder Hinsicht dem westlichen Begriff der Natur. Das Wort "Shi-zen" besteht aus zwei chinesischen Schriftzeichen. Das erste bedeutet im Zusammenhang mit dem zweiten "von sich selbst her". Das zweite bedeutet "so sein" mit einer gewissen implizierten Bejahung. Dementsprechend besagt der Terminus, fast wörtlich übertragen, soviel wie: "So sein, wie es von sich selbst her ist." Dies sieht die Natur weder als Gegenstandswelt von Naturdingen, noch als eine bestimmte Region des Seienden im Ganzen, die sich von Gott, den Menschen oder der Geschichte u.a. unterscheidet.

Gemeint ist hier vielmehr die Wahrheit des Seins alles Seienden, wie dieses in dem Sein von sich selbst her ist. Wenn es im Zen heißt: "Die Blumen blühen, wie sie blühen", dann ist zwar von einem sog. Naturphänomen die Rede, die eigentliche Aussage liegt jedoch im "Wie" oder "So- wie", das unmittelbar auch den dies sagenden Menschen betrifft. In diesem Zusammenhang sagt der Spruch folgendes: Wenn der Mensch in seinem Nichts (also nicht vom Ich her) Blumen so erfährt, wie sie von sich selbst her blühen oder anders formuliert, wenn im Nichts des Menschen Blumen so blühen, wie sie von sich selbst her blühen, so ist der Mensch auch in seiner Wahrheit. Damit entsteht auf Grund (auf Un- Grund) der Selbst-losigkeit des Menschen eine ganz spezifische Verbindung zwischen dem subjektiv Existenziellen und dem objektiv Sachlichen. Seine ganze Existenz wird also ursprünglich schon darin entschieden, wie ein Mensch beispielsweise Blumen sieht - und zwar unabhängig davon, ob dies dem Betreffenden nun bewußt ist oder nicht.

In der "So"-heit sieht der Buddhismus den ursprünglicheren Wahrheitsbegriff noch vor seiner Differenzierung in Seinswahrheit einerseits und Satz- bzw. Erkenntniswahrheit andererseits. Dem Zen geht es im betreffenden Bild der blühenden Blumen nicht um eine Beschreibung eines Naturphänomens, sondern um eine Vergewisserung der Wahrheit. Wenn im chinesisch-japanischen Buddhismus die "Natur" eine solche Bedeutung der Wahrheit erlangt hat, so geschah dies auf Grund des gegenseitigen Durchdringens von der "Natur" als So-heit und dem unendlichen Nichts. Dieses Durchdringen äußert sich im "Wie" und "So-wie".

Es heißt also: Die Blumen blühen, wie sie blühen. Um den Ort dieses Zenspruches innerhalb der Geistesgeschichte der Weltreligionen bestimmen zu können, wollen wir zum Vergleich einen bekannten Vers von JOHANNES SCHEFFLER (1624-1677) mit dem Dichternamen ANGELUS SILESIUS heranziehen. Er lautet: "Die Ros' ist ohn Warum; sie blühet, weil sie blühet. Sie achtet nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man sie siehet." Erst zur Zeit der Barockmusik erlangte die Natur als solche langsam ihre eigene Realität; es existierte damit eine Mystik, die im Geist MEISTER ECKHARTs doch der Natur einen eigenen Stellenwert in der Einigungsbeziehung mit Gott anerkannte, wie besonders bei ANGELUS SILESIUS zu erkennen ist. "Die Rose, welche hier dein äußres Auge sieht, Die hat von Ewigkeit in Gott also geblüht."

Es heißt im Zen: Die Blumen blühen, wie sie (von sich selbst her) blühen. Bei SILESIUS heißt es: Die Ros ist ohn warum; sie blühet, weil sie blühet. - Die beiden gehören fast zu ein und derselben Geisteswelt. Doch beim genaueren Hinhören fühlen wir dazwischen doch einen feinen Tonunterschied, und zwar anhand des "Wie" im Zen einerseits und des "Weil" bei dem deutschen Dichter andererseits. Das Blühen der Rose ist bei SILESIUS nicht mehr ein kreatürlichnatürliches Phänomen, sondern ein Ereignis in Gott, ein Ereignis Gottes. Die Rose hier hat von Ewigkeit in Gott also geblüht." Es ist nämlich das Leben Gottes, was da blüht.

Das Ohne-warum-sein der Rose ist nichts anderes als Gottes Sein, wie es in sich sein eigener Grund ist. Bei ECKHART wird es deswegen mit dem "Ohne-warum-sein" stark ausgezeichnet. Nun wird die Rose, die in ihrem Sein bis zu Gott transparent ist und in Gott als dessen Leben ohne warum blüht, auch mit den "äußeren Augen" gesehen. Dabei ist die sichtbare Wirklichkeit der Rose nichts anderes als eine Vergegenständlichung des Lebens Gottes, wie es in sich blüht. Der in sich "ohne Warum" blühende Gott ist "Fleisch geworden" und zeigt sich so den äußeren Augen. Im Zen klingt dies vergleichsweise schlicht: Die Blumen sind hier ganz bis zum Nichts transparent, indem auch das "Ohne warum" ins Nichts verschwunden ist. Gleichzeitig sind die selben Blumen ganz Wirklichkeit geworden, auch ohne das "Ohne warum".
LITERATUR - Shizuteru Ueda, Schweigen und Sprechen im Zen-Buddhismus, in Schabert / Brague (Hrsg): Die Macht des Wortes, München 1996