F. MauthnerH. J. StörigK. VorländerG. Störring | |||||
Glauben, Wissen und Erkennen
Philosophische Differenzen bestehen seltener in einer Verschiedenheit theoretischer Anschauungen, weit häufiger entspringen sie einem Unterschied im ersten Ansatz, einer Verschiedenartigkeit der Methode des Zuganges zu den Problemen. Welche Methode gewählt wird, bestimmt maßgebend die theoretische Anschauung, welche aus den Untersuchungen resultiert. Man glaubte, die Fraglichkeit jeder Ausgangsbasis dadurch überwinden zu können, daß man sich zunächst nur an "das Gegebene", an "die Phänomene" hielt. An ihre Beschreibung erst sollte die philosophische Aporetik (die Kunst, schwer lösbare Probleme zu bewältigen) anknüpfen. Die Annahme erwies sich als fiktiv. Empiristen verstehen unter dem Gegebenen etwas ganz anderes als Phänomenologen; auch konnten sich weder die Empiristen noch die Phänomenologen untereinander über dasjenige einigen, was als gegeben anzusehen ist. Die scheinbare Unschlichtbarkeit dieser Diskussion ist nicht weiter verwunderlich; denn sie hat ihre Wurzel in einem fundamentalen Irrtum. Dieser Irrtum ist sprachlichen Ursprungs. Man nimmt an, es genüge, einen Ausdruck der Alltagssprache oder einer fachwissenschaftlichen Sprache aufzugreifen, um die Aufmerksamkeit sofort auf das lenken zu können, was mit der Sprache selbst nicht mehr zu tun hat. Was glauben und erkennen heißt, weiß ja im Grund jeder! Es gilt nur, dasjenige, was alle wissen, genau zu beschreiben:
wir wollen uns den Sachen selbst zuwenden!" Verantwortlich für eine solche Einstellung ist ein primitives Bild von der Funktionsweise der Sprache. Es läßt sich schematisch so charakterisieren: Da sind die Dinge und da die Wörter; die Wörter bezeichnen die Dinge und dienen uns dazu, über die Dinge zu reden. Das Reden wird psychologisch dadurch möglich, daß wir mit den Wörtern Vorstellungen, der ihnen entsprechenden Dinge assoziieren. Diese Dinge sind Einzelgegenstände, sofern es sich um Eigennamen oder etwas diesen Ähnliches handelt, sie sind allgemeine Gegenstände (platonische Ideen), sofern es sich um Prädikate handelt. Wenn man nicht mit allgemeinen Gegenständen vorlieb nehmen will, ersetzt man sie durch Allgemeinbegriffe im menschlichen Geiste. Entscheidend für diese Einstellung ist jedenfalls, daß das Reden über die Dinge die einzige Funktion der Sprache sei. Diese Dinge können Beliebiges sein: Atome, Pflanzen, Menschen, Farben, Schmerzen und vor allem auch geistige Vorgänge wie Glauben, Wissen und Erkennen. Die Wirklichkeit ist ein riesiges Mosaik; die einzelnen Steine des Mosaiks werden durch Wörter bezeichnet, und durch Aneinanderreihung von Wörtern zu Sätzen schneidet der Sprechende aus diesem Mosaik einen ihn und den Hörenden gerade interessierenden Komplex: einen Sachverhalt, heraus. Die eineindeutige Entsprechung zwischen Wörtern und Dingen macht das Sprechen selbst zu einem Mosaikspiel im Kleinen: durch Sprachmosaike, die wir von Fall zu Fall erzeugen, beziehen wir uns auf die entsprechenden Teile des Riesenmosaiks der Wirklichkeit. Die Sprache aber ist keinem Mosaik, sondern einem Spiel mit komplizierten Regeln zu vergleichen, z.B. dem Schachspiel. Der Gebrauch von Wörtern und Sätzen entspricht den Zügen in einem solchen Spiel. Der erste Schritt zur Gewinnung eines richtigen Bildes vom Bau der Sprache wurde getan, als man sich im Rahmen logischer Untersuchungen genötigt sah, den sogenannten logischen Ausdrücken nicht, und, oder, alle, es gibt usw. eine größere Aufmerksamkeit zuzuwenden als bisher. Empiristische Erkenntnistheoretiker und Logiker hatten mit diesen Ausdrücken ursprünglich nichts Rechtes anzufangen gewußt; sie paßten nicht in ihr Mosaikbild von der Sprache. Noch nach J.St. MILL müßten diese Wörter in einer idealen Sprache vollkommen verschwinden; denn diese ideale Sprache bestünde nur mehr in einer Aneinanderreihung von Namen. Heute weiß man, daß eine der wichtigsten Funktionen der Sprache, nämlich die Möglichkeit des Argumentierens, der Bildung logischer Ableitungen und Beweisführungen, auf diesen Zeichen und ihrer Funktion beruht. Eine "Darstellungsfunktion" der Sprache gäbe es bis zu einem gewissen Grade auch, wenn das Mosaikbild zutreffend wäre (und es ist z.B. für die Sprache der Bienen annähernd zutreffend, in der es ebenfalls eine "Darstellungsfunktion" gibt); eine Argumentationsfunktion der Sprache fällt aus diesem Bilde heraus (in der Bienensprache z.B. kann man nicht argumentieren). Die logischen Ausdrücke bezeichnen nichts; es hat keinen Sinn, zu fragen, worauf sich das "nicht", das "und" oder das "alle" beziehen. Eine solche Frage stellen hieße, der falschen Idee huldigen, wonach all Ausdrücke Namen sind. Das, was diesen Ausdrücken Bedeutung verleiht, sind einzig und allein bestimmte Operationsregeln, welche für sie gelten. Die Operationsregel für die Negation besagt, daß der negierte Satz den gegenteiligen Wahrheitswert hat als der unnegierte, die Operationsregel für das "alle", daß ein mit Hilfe dieses Wortes gebildeter Satz nur dann wahr ist, wenn sämtliche Sätze wahr sind, die durch Ersetzung des "alle" durch beliebige Gegenstandsnamen zustande kommen usw. So gelangte man dazu, zwischen den logischen Ausdrücken und den deskriptiven Ausdrücken zu unterscheiden. Die ersteren bezeichnen nichts, daher sind für ihre Bedeutung nur die für sie geltenden Gebrauchsregeln maßgebend, die letzteren hingegen "bezeichnen Gegenständliches". Doch auch mit den deskriptiven Zeichen verhält es sich im Prinzip nicht anders. Auch für ihre Bedeutung sind allein die Regeln für ihren Gebrauch maßgebend, nicht hingegen die "durch sie bezeichneten" individuellen oder allgemeinen Gegenstände und auch nicht die mit ihnen assoziierten Vorstellungen. Diese Einsicht mag zuerst den Nominalisten gedämmert haben, als sie leugneten, daß die generellen Prädikatsausdrücke als Namen platonischer Wesenheiten aufgefaßt werden dürften. Immerhin wurden diese Ausdrücke auch von den mittelalterlichen Nominalisten als "allgemeine Namen" bezeichnet; sie schienen danach Namen ohne Namensträger zu sein, eigentlich Wörter ohne Existenzberechtigung. Die Situation änderte sich, als man erkannte, daß es synkategorematische Ausdrücke gibt, die erst innerhalb eines Kontextes einen Sinn ergeben. Ein zweiter Schritt bestand dann darin, alle generellen Prädikatausdrücke, nämlich offene Sätze, z.B. "x ist rot", zu konstruieren. Lehre ich jemandem die Bedeutung eines solchen Ausdrucks, dann beginne ich nicht damit, ihm meinen Geisteszustand zu schildern, und in ihm einen ähnlichen Geisteszustand hervorzurufen - was ich tun müßte, wenn es auf die mit dem Wort verbundene Vorstellung ankäme -, ich bemühe mich auch nicht, ihm eine Schau allgemeiner Wesenheiten wie der Röter zu vermitteln, sondern ich trachte danach, in ihm die Fähigkeit zu erzeugen, das Wort in der Zukunft richtig zu gebrauchen. Das Erlernen des Gebrauches von generellen Ausdrücken kann in gewissem Sinne als ein Induktionsvorgang bezeichnet werden; denn nie kann ich alle Fälle der Anwendung des Ausdruckes anführen, ich kann nur gewisse positive Fälle angeben, in denen der Ausdruck zu gebrauchen ist und gewissen negative, in denen er nicht zu gebrauchen ist. Ob der Lernende mich verstanden hat, kann nur die nachträgliche Anwendung zeigen, die er von dem Ausdruck macht. Auch für die Namen und die sonstigen Bezeichnungen von Einzelgegenständen gilt, daß die ihren Gebrauch bestimmenden Regeln ihre Bedeutung ausmachen, und nicht die mit ihnen verbundenen Vorstellungen oder sonstigen "intentionalen Akte". Solche psychischen Begleitvorgänge können zwar den richtigen Gebrauch erleichtern, sie sind aber für ihn nicht wesentlich. Somit erweist sich die ganze Sprache als von einem System von Regeln beherrscht. Daher ist das Bild vom Schachspiel als eine erste Annäherung geeignet. Wird mit dieser Vorstellung von der Sprache als einem mehr oder weniger komplizierten Spiel nicht der eigentliche geistige Gehalt der Sprache vernichtet? Ganz im Gegenteil. Solange man glaubt, daß die einzelnen Wörter die Bedeutungen wie ein ätherische Wolke mit sich führen, die jederzeit durch geeignete intentionale Akte reproduzierbar sind, liegt im sinnvollen Reden überhaupt keine Leistung (warum sollten z.B. die Tiere zu dumm sein, um solche Akte zu vollziehen?). Erst dadurch, daß sie ein Spiel auf Grund eines Systems von Regeln darstellt, die "beherrscht werden müssen, wird die Sprache zu jenem einzigartigen geistigen Phänomen, durch das sie den Menschen über das Tierreich emporhebt. Vertritt man die Ansicht, daß die Wörter ihre Bedeutung mit sich führen, so kann man gar nicht angeben, wieso eine Bedeutungsanalyse auf Schwierigkeiten stoßen sollte. Das wiederholte Aussprechen des Wortes müßte bei normalem Funktionieren des Gedächtnisses das Hervorrufen der vollen Bedeutung bewirken können. Bestehen die Bedeutungen jedoch in Regeln, die in nicht explizit formulierter Gestalt vorliegen, so muß man, um die Bedeutungen zu enthüllen, diesen Regeln nachgehen; und dies kann bisweilen ein ziemlich mühsames Unterfangen sein, da man dazu alle charakteristischen Vorkommnisse jenes Wortes, dessen Bedeutung zu analysieren ist, zusammentragen und miteinander vergleichen muß. Denn die Verwendungen der Ausdrücke stehen uns nicht mit einem Schlage vor Augen. Der Wert einer derartigen Untersuchung wird erhöht, wenn man mehr oder weniger verwandte Ausdrücke betrachtet, d.h. solche, für welche die Regeln bisweilen parallel verlaufen, bisweilen divergieren. Der Vergleich mit dem Schachspiel ist nur ein Bild, das der ersten Annäherung dient. In vielen Hinsichten bestehen entscheidende Unterschiede zwischen der Sprache und einem derartigen Spiel. Einige dieser Unterschiede mögen kurz erwähnt werden:
LITERATUR - Wolfgang Stegmüller, Das Universalienproblem einst und jetzt, Darmstadt 1965 |