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Schopenhauer und Sprachkritik
Den Überprüfungskriterien zur Unterscheidung von brauchbaren Begriffen und Scheinbegriffen hält nach SCHOPENHAUER die traditionelle Metaphysik nicht stand. Nun spielen die Scheinbegriffe in den einzelnen philosophischen Systemen jedoch keineswegs eine bloß untergeordnete Rolle, sie erweisen sich vielmehr als die Grundlagen einzelner Systeme. Ein aus abstrakten Begriffen konstruiertes System wird aber nach SCHOPENHAUER nicht nur der Bedürftigkeit des Menschen (vor allem dessen metaphysischem Bedürfnis) nicht gerecht, sondern es klassifiziert und subsumiert auch die diversen Faktizitäten unter einheitlichen Ordnungsstrukturen, die nur der Sprache innewohnen und nun fälschlicherweise als wirklichkeitsadäquate Welterklärung ausgegeben werden. Am Paradigma der Schriften PROKLOS bzw. an Begriffen wie "Eines", "Vielheit", "Gutes" veranschaulicht SCHOPENHAUER, wie durch unsauberen Sprachgebrauch philosophische Scheinprobleme hervorgebracht werden. "Bei persönlicher Gegenwart eines solchen Begriffsarchitekten brauchte man nur naiv zu fragen, wo denn all die Dinge seien, von denen er so Vieles zu berichten hat, und woher er die Gesetze, aus denen er seine sie betreffenden Folgerungen zieht, kenne? Da würde er denn bald genötigt sein, auf die empirische Anschauung zu verweisen, in der ja allein die reale Welt sich darstellt, aus welcher jene Begriffe geschöpft sind. Alsdann hätte man nur noch zu fragen, warum er nicht ganz ehrlich von der gegebenen Anschauung einer solchen Welt ausginge, wo er bei jedem Schritt seine Behauptungen durch sie belegen könnte, statt mit Begriffen zu operieren, die doch allein aus ihr abgezogen sind und daher weiter keine Gültigkeit haben können als die, welche sie ihnen erteilt. Aber freilich, das ist eben sein Kunststück, daß er durch solche Begriffe, in denen, vermöge der Abstraktion, als getrennt gedacht wird, was unzertrennlich, und als vereint, was unvereinbar ist, weit über die Anschauung, die ihnen den Ursprung gab, und damit über die Grenzen ihrer Anwendbarkeit hinausgeht zu einer ganz anderen Welt, als die ist, welche den Baustoff hergab, aber eben deshalb zu einer Welt von Hirngespinsten" (SCHOPENHAUER W II, S.16.)Gerade das 19. Jahrhundert markiert für SCHOPENHAUER eine schwere Existenzkrise der Philosophie, zumal in jenem Zeitraum die Begriffsdichtung ungeahnte Höhepunkte erreicht." Ein Begriffsjongleur der Oberklasse ist in SCHOPENHAUERs Augen SCHELLING, dessen Schriften der junge SCHOPENHAUER ausführlich studierte. SCHELLING selbst, vor allem aber seine Nachfolger operieren, wie SCHOPENHAUER argwöhnt nicht nur fraglos mit den abstraktesten Begriffen, sondern sie führen auch darüber hinaus die Sprache als Medium der Kommunikation ad absurdum, indem sie gerade die abstraktesten Begriffe als Grundlagen ihrer Systeme verwenden: "Man betrachte z. B. die Schriften der SCHELLINGschen Schule und sehe die Konstruktionen, welche aufgebaut werden aus Abstraktis wie Endliches, Unendliches, Sein, Nichtsein, Anderssein, - Tätigkeit, Hemmung, Produkt, Bestimmen, Bestimmtwerden, Bestimmtheit,- Grenze, Begrenzung, Begrenztsein, Einheit, Vielheit, Mannigfaltigkeit, - Identität, Diversität, Indifferenz, - Denken, Sein, Wesen u.s.f. Nicht nur gilt von Konstruktionen aus solchem Material alles oben Gesagte, sondern, weil durch dergleichen weite Abstrakta unendlich Vieles gedacht wird, kann in ihnen nur äußerst wenig gedacht werden: es sind leere Hülsen" (SCHOPENHAUER W II, S. 101).SCHOPENHAUER lokalisiert den Begriffsmißbrauch nicht nur in der Erkenntnistheorie und in der Naturphilosophie, sondern auch in der Ethik. Jeder auf rein abstrakter Begrifflichkeit basierenden Ethik hält SCHOPENHAUER entgegen, daß diese nur ein formales, inhaltsleeres Menschenbild ihren Ausführungen zugrunde legen kann. Dadurch wird aber die Intention, auch praktisch ins Leben einzugreifen, fast völlig unterbunden. SCHOPENHAUER hat bei seiner Kritik abstrakter ethischer Konstrukte vor allem SCHLEIERMACHER im Auge: "Daß ebenfalls in der praktischen Philosophie aus bloßen abstrakten Begriffen keine Weisheit zu Tage gefördert wird, ist wohl das Einzige, was zu lernen ist, aus den moralischen Abhandlungen des Theologen SCHLEIERMACHER, mit deren Vorlesung derselbe in einer Reihe von Jahren die Berliner Akademie gelangweilt hat... Da werden zum Ausgangspunkt lauter abstrakte Begriffe genommen, wie Pflicht, Tugend, höchstes Gut, Sittengesetz u. dgl. ohne weitere Einführung, als daß sie eben in den Moralsystemen vorzukommen pflegen, und werden nun behandelt als gegebene Realitäten. Über dieselben wird dann gar spitzfindig hin und her geredet, hingegen gar nie auf den Ursprung jener Begriffe, auf die Sache selbst losgegangen, auf das wirkliche Menschenleben, auf welches doch allein jene Begriffe sich beziehn, aus dem sie geschöpft sein sollen, und mit dem es die Moral eigentlich zu tun hat" (SCHOPENHAUER W II, S. 101 f.).Diese Scheinbegriffe können nach SCHOPENHAUER zunächst bloß unbewußt verwendet werden, weil sie als unantastbare, durch die Tradition mit dem Stigma der Zeitlosigkeit versehene Werte jeweils schon für vermeintlich unwandelbare Bedeutungen einstehen. Sie können allerdings auch in Dienste bestimmter Ideologien treten - oder die Unwissenheit des Autors hinter pompösem Wortschwall verbergen. Vor allem der letztgenannte Aspekt erweckt SCHOPENHAUERs besondere Empörung. Die immer beachtlicher zunehmende Menge an Fremdwörtern im Gelehrtenjargon sowie die Vorliebe für komplizierte, verschachtelte Wendungen werden zum probaten Allheilmittel, durch das Inventar an Fachausdrücken einfache Vorgänge künstlich zu verkomplizieren. SCHOPENHAUER erblickt darin eine Degradierung und Barbarisierung der Wissenschaft. "Jene Alltagsköpfe nämlich können schlechterdings sich nicht entschließen zu schreiben, wie sie denken, weil ihnen ahndet, daß alsdann das Ding ein gar einfältiges Ansehen erhalten könnte. Es wäre aber immer doch etwas. Wenn sie also nur ehrlich zu Werke gehn und das Wenige und Gewöhnliche, was sie wirklich gedacht haben, so wie sie es gedacht haben, einfach mitteilen wollten, so würden sie lesbar und sogar, in der ihnen angemessenen Sphäre, belehrend sein. Allein, stattdessen streben sie nach dem Schein, viel mehr und tiefer gedacht zu haben, als der Fall ist. Sie bringen demnach, was sie zu sagen haben in gezwungenen, schwierigen Wendungen, neu geschaffenen Wörtern und weitläufigen, um den Gedanken herumgehenden und ihn verhüllenden Perioden vor. Sie schwanken zwischen dem Bestreben, denselben mitzuteilen, und dem, ihn zu verstecken" (SCHOPENHAUER P II, S.564).SCHOPENHAUER trägt seine Kritik am sprachlichen Mißbrauch aus der Überzeugung heraus vor, daß die Sprache sehr wohl in der Lage ist, den Wirklichkeitsbezügen gerecht zu werden, freilich unter der Grundvorausetzung, daß Begriffe als das angenommen werden, was sie sind: nämlich als Vorstellungen von Vorstellungen, deren Nutzen in der Klassifizierung von Einzelerscheinungen besteht. SCHOPENHAUERs Mißtrauen richtet sich also nicht gegen die Sprache selbst, sondern gegen deren bewußte Verunstaltung durch das Fachgelehrtentum. Dieses Vertrauen in die Sprache wird jedoch sehr bald im Rahmen der Philosophie von MAX STIRNER schwer erschüttert. Allerdings nimmt SCHOPENHAUER mit seiner Kritik am Jargon der Fachgelehrten einen elementaren Anhaltspunkt späterer Sprachskepsis vorweg, indem er nachweist, daß die Sprache ihrer kommunikativen Funktion sehr rasch verlustig gehen kann und dialektisch in ihr Gegenteil umschlägt. Gerade die deutsche Philosophie praktiziert diesen dialektischen Umschlag nach SCHOPENHAUER in besonders krasser Form. An die Stelle des Bemühens um Verständlichkeit, in dem SCHOPENHAUER die Hauptfunktion des sprachlichen Vollzugs erblickt, tritt die gezielt eingesetzte Desorientierung und Unverständlichkeit, die in abtrakter Begriffsakrobatik gipfelt. "Am längsten aber hält die Maske der Unverständlichkeit vor, jedoch nur in Deutschland, als wo sie von FICHTE eingeführt, von SCHELLING vervollkommnet, endlich in HEGEL ihren höchsten Klimax erreicht hat: stets mit glücklichstem Erfolge. Und doch ist nichts leichter, als so zu schreiben, daß kein Mensch es versteht: wie hingegen nichts schwerer, als bedeutende Gedanken so auszudrücken, daß Jeder sie verstehen muß" (SCHOPENHAUER P II, S. 565f.).SCHOPENHAUER geht in seiner Kritik jedoch noch einen Schritt weiter und versucht zu belegen, daß die Verunstaltung der Sprache sowie die Verwendung abstrakter Begriffe keineswegs bloß nur die Unwissenheit des jeweiligen Autors kaschieren muß. Denn handelt es sich hierbei noch um die eher harmlosen Spiele mit Worten, die als Aufputz trivialer Gedanken eingeführt werden, so ändert sich für SCHOPENHAUER die Situation drastisch, sobald die Verwendung abstrakter Begriffe zur Strategie ausartet," um das eigenständige Denken zu untergraben. Einen solchen Vorwurf richtet SCHOPENHAUER nun gegen HEGELs Metaphysik des absoluten Geistes. Nach SCHOPENHAUER erweist sich HEGEL als jener Philosoph, der aus der Konstruktion von Scheinbegriffen eine Methode gewann, deren allgemeine Grundzüge nun nach Belieben weiter ausgebaut werden könnten. Resultierte bei anderen Denkern der Mangel an konkreter Anschauung aus Traditionsbefangenheit oder Lebensferne, so findet dieses Manko in HEGEL seine eigentliche Glorifizierung. SCHOPENHAUER macht HEGEL den Vorwurf, "den wahren und natürlichen Hergang der Sache gerade auf Kopf zu stellen und demnach die Allgemein-Begriffe, welche wir aus der empirischen Anschauung abstrahieren, die mithin durch Wegdenken von Bestimmungen entstehen, folglich je allgemeiner desto leerer sind, zum Ersten, zum Ursprünglichen, zum wahrhaft Realen (zum Ding an sich, in KANTischer Sprache) zu machen, infolge dessen die empirisch-reale Welt allererst ihr Dasein habe..." (SCHOPENHAUER P I, S. 181).Abseits von der speziell auf HEGEL zugeschnittenen Polemik wird hier ein allgemeiner Grundzug der SCHOPENHAUERschen Sprachkritik sichtbar. Einer erfahrungstranszendenten Metaphysik gelingt es - folgt man SCHOPENHAUER - durch die Freilegung eines abstrakten Begriffsfeldes eine allein durch die Sprache konstituierte Scheinwelt zu strukturieren. Ein durch abstrakte Begriffe bedingtes System erweckt derart den Eindruck, es eröffne einen Zugang zur Wirklichkeit, der völlige Deckungsgleichheit von Begriff und Wirklichkeit implizieren würde. Insofern richten sich SCHOPENHAUERs Vorwürfe gegen HEGEL ebenso wie gegen dessen Epigonen. HEGEL ist für SCHOPENHAUER somit selbst nur ein Symptom für den allgemeinen Bankrott der traditionellen Metaphysik. "Wenn ich daher solche moderne Philosopheme lese," schreibt SCHOPENHAUER, "die sich in lauter sehr weiten Abstraktis fortbewegen, so kann ich bald, trotz aller Aufmerksamkeit, fast nichts mehr dabei denken, weil ich eben keinen Stoff zum Denken erhalte, sondern mit lauter leeren Hülsen operieren soll, welches eine Empfindung gibt, der ähnlich, die beim Versuch, sehr leichte Körper zu werfen, entsteht: die Kraft nämlich und auch die Anstrengung ist da: aber es fehlt am Objekt, sie aufzunehmen, um das andere Moment der Bewegung herzustellen. Wer dies erfahren will, lese die Schriften der SCHELLINGianer und, noch besser, der HEGELianer" (SCHOPENHAUER W II, S. 79).SCHOPENHAUER forciert jedoch seine Sprachkritik nicht in historischer Hinsicht. Er unternimmt noch keine Relativierung der Begriffe durch einen Rekurs auf deren Zeitlichkeit - ein Anliegen, das später in der Sprachkritik MAUTHNERs dominiert. Sehr wohl aber widmet SCHOPENHAUER einer psychologischen Analyse der Begriffsarchitektur breiteren Raum. Er versucht zu belegen, daß der Begriffsvorrat der traditionellen Metaphysik die Kreativität der Intellektuellen untergräbt" und eine staatlich sanktionierte Philosophie, deren Hauptprotagonisten er in der Universitätsphilosophie erblickt, hinter der abstrakten Begriffsarchitektonik bloß ihre materiellen, profanen Interessen verbirgt. "Denn für Andere oder überhaupt für mittelbare Zwecke gerät nimmerrnehr ein Kopf in die höchste, dazu eben erforderte, Anspannung, als welche gerade das Vergessen seiner selbst und aller Zwecke verlangt, sondern da bleibt es beim Schein und Vorgeben der Sache. Da werden zwar allenfalls einige vorgefundene Begriffe auf mancherlei Weise kombiniert und so gleichsam ein Kartenhäuserbau damit vorgenommen, aber nichts Neues und Ächtes kommt dadurch in die Welt. Nun nehme man noch hinzu, daß Leute, denen das eigene Wohl der wahre Zweck, das Denken nur Mittel dazu, ist, stets die temporären Bedürfnisse und Neigungen der Zeitgenossen, die Absichten der Befehlenden u. dgl. im Auge behalten müssen. Dabei läßt sich nicht nach der Wahrheit zielen, die, selbst bei redlich auf sie gerichtetem Blicke, unendlich schwer zu treffen ist. Überhaupt aber, wie sollte der, welcher für sich nebst Weib und Kind ein redliches Auskommen sucht, zugleich sich der Wahrheit weihen? der Wahrheit, die zu allen Zeiten ein gefährlicher Begleiter, ein überall unwillkommener Gast gewesen ist, die vermutlich auch deshalb nackt dargestellt wird, weil sie nichts mitbringt, nichts auszuteilen hat, sondem nur ihrer selbst wegen gesucht sein will" (SCHOPENHAUER P I, S. 171).Dadurch gerinnt für SCHOPENHAUER das Diktum der Wertfreiheit philosophischen Wissens zur bloßen Phrase. Ihr entspricht dann auch die Phraseologie des philosophischen Vokabulars. Dieses erweckt zwar nach bloß oberflächlichen Gesichtspunkten betrachtet den Eindruck einer autonomen, elitären Wissenschaft; doch gerade jener spezifische Diskurs der Philosophie ist für SCHOPENHAUER schon in einem höheren, ihn überlappenden Diskurs der Macht, vor allem der Macht des Staates über die Wissenschaft, integriert. Eine Überprüfung des philosophischen Begriffsarsenals kommt nach SCHOPENHAUER einer Immunisierung gegenüber jenen Machtstrategien gleich. Der vorurteilslose und unbefangene Blick des Forschers wird für SCHOPENHAUER eine Alternativposition zur tradierten aber auch staatlich sanktionierten Philosophie. "Diesem allen zufolge wird Der, dem es nicht um Staatsphilosophie und Spaßphilosophie, sondem um Erkenntnis und daher um ernstlich gemeinte, folglich rücksichtslose Wahrheitsforschung zu tun ist, sie überall eher zu suchen haben, als auf den Universitäten, als wo ihre Schwester die Philosophie ad normam conventionis das Regiment führt und den Küchenzettel schreibt. Ja, ich neige mich mehr und mehr zu der Meinung, daß es für die Philosophie heilsamer wäre, wenn sie aufhörte, ein Gewerbe- zu sein, und nicht mehr im bürgerlichen Leben, durch Professoren repräsentiert, aufträte. Sie ist eine Pflanze, die wie die Alpenrose und die Fluenblume... nur in freier Bergluft gedeiht, hingegen bei künstlicher Pflege ausartet" (SCHOPENHAUER P I S. 175).Mit seiner rigorosen Ablehung der Universitätsphilosophie dokumentiert SCHOPENHAUER besonders drastisch seine Skepsis gegenüber einer ideologisch mißbrauchten Sprache. Gleichwohl zeigt das Zitat aber auch SCHOPENHAUERs Überzeugung auf, daß eine korrekte Sprache, die in Tuchfühlung mit der konkreten Anschauung bleibt, sehr wohl einen Fortschritt des philosophischen Wissens implizieren würde. Bei SCHOPENHAUER herrscht hier noch der gute Glaube an ein den ökonomischen Sachzwängen entrücktes Subjekt des in der Tat "wertfreien" Forschers vor, eine Position, die im Zuge der späteren ideologiekritischen Sprachphilosophie ebenfalls hinterfragt wird. In SCHOPENHAUERs Kritik an HEGEL deutet sich jedoch andererseits ein vor allem bei STIRNER und später für MAUTHNER wichtiger Grundzug ideologiekritischer Sprachskepsis an. Die verunstaltete, ideologisch mißbrauchte Sprache schlägt sich nach SCHOPENHAUER keineswegs bloß in staatlich besoldeten Werken nieder - sie übt eine erzieherische Funktion aus. Dadurch gelingt es ihr auch, die Autonomie des Intellektuellen zu untergraben und in bestimmten vorgeprägten Begriffsrastem zu denken. So beanstandet SCHOPENHAUER leidenschaftlich die in seinen Augen fatalen Auswirkungen der HEGELschen Philosophie auf das Bildungswesen. "Wem, nach diesem Allen, noch ein Zweifel über Geist und Zweck der Universitätsphilosophie bliebe, der betrachte das Schicksal der HEGELschen Afterweisheit. Hat es ihr etwa geschadet, daß ihr Grundgedanke der absurdeste Einfall, daß er eine auf den Kopf gestellte Welt, eine philosophische Hanswurstiade war und ihr Inhalt der hohlste, sinnleerste Wortkram, an welchem jemals Strohköpfe ihr Genüge gehabt und daß ihr Vortrag, in den Werken des Urhebers selbst, der widerwärtigste und unsinnigste Gallimathias (verworrenes Geschwätz) ist, ja, an die Deliramente... der Tollhäuser erinnert? Oh nein, nicht im Mindesten. Vielmehr hat sie dabei 20 Jahre hindurch, als die glänzendste Kathederphilosophie, die je Gehalt und Honorar einbrachte, floriert und ist fett geworden, ist nämlich in ganz Deutschland durch Hunderte von Büchern, als der endlich erreichte Gipfel menschlicher Weisheit und als die Philosophie der Philosophien verkündet, ja, in den Himmel erhoben worden, Studenten wurden darauf examiniert und Professoren darauf angestellt, wer nicht mitwollte, wurde von dem dreist gemachten Repetenten ihres so lenksamen wie geistlosen Urhebers für einen Narren auf eigene Hand... erklärt, und sogar die Wenigen, welche eine schwache Opposition gegen diesen Unfung wagten, traten mit derselben nur schüchtern, unter Anerkennung des - großen Geistes und überschwänglichen Genies- jene abgeschmackten Philosophasters auf" (SCHOPENHAUER P I, S. 162).Der Fortschritt in der Verunstaltung der Sprache und der Anhäufung des abstrakten Begriffsvokabulars läuft nach SCHOPENHAUER konform mit einem unaufhaltbaren Rückschritt der Forschung. Der Sprache gelingt es nicht nur, hinter komplizierten und verschachtelten Wendungen realpolitische und ökonomische Interessen zu verbergen, sondern sie führt darüber hinaus auch wieder Begriffe ein, die bereits in vergangenen Epochen der Philosophie aus dem wissenschaftlichen Diskurs ausgeschieden sind. Die Wiedereinführung "abgestorbener" Begriffe, die nun als modernisierte Scheinbegriffe ihre Wirkung auf den Kreis der Intellektuellen nicht verfehlen, dienten zur Neutralisierung und Bloßstellung möglicher Gegner aber auch zur Umerziehung bzw. zur andressierbaren Gefügigkeit diverser Selbstdenker. SCHOPENHAUER sieht als Symptom des geistigen Niedergangs die in Deutschland durch HEGEL und SCHELLING massiv blockierte Kant-Rezeption an. "Nach einem solchen Rückschritt vom größten Fortschritt, den jemals die Philosophie gemacht hat, darf es uns nicht wundem, daß das angebliche Philosophieren dieser Zeit einem völlig unkritischen Verfahren, einer unglaublichen, sich unter hochtrabenden Phrasen versteckenden Rohheit und einem naturalistischen Tappen, viel ärger als es je vor KANT gewesen, anheim gefallen ist. Da wird denn z. B. mit der Unverschämtheit, welche rohe Unwissenheit verleiht, überall und ohne Umstände von der moralischen Freiheit als einer ausgemachten, ja unmittelbar gewissen Sache, desgleichen von Gottes Dasein und Wesen, als sich von selbst verstehenden Dingen, wie auch von der Seele, als einer allbekannten Person geredet, ja sogar der Ausdruck angeborene Ideen, der seit LOCKEs Zeit sich hatte verkriechen müssen, wagt sich wieder hervor. Hierher gehört auch die plumpe Unverschämtheit, mit der die HEGELianer, in allen ihren Schriften, ohne Umstände und Einführung, ein Langes und Breites über den sogenannten Geist reden, sich darauf verlassend, daß man durch ihren Gallimathias viel zu sehr verblüfft sei, als daß, wie es Recht wäre, Einer dem Herrn Professor zu Leibe ginge mit der Frage: Geist? wer ist denn der Bursche und woher kennt Ihr ihn? ist es nicht etwa bloß eine beliebige und bequeme Hypostase [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp], die ihn nicht ein Mal definiert, geschweige deduciert oder beweist?" (SCHOPENHAUER P I, S. 191).SCHOPENHAUER steht mit seiner Kritik am Begriffsvokabular der Metaphysik um die Mitte des 19. Jahrhunderts nicht allein auf weiter Flur. Vor allem von Seiten der Junghegelianer - und hier im Speziellen von FEUERBACH und STIRNER -wird sein Ansatz der Sprachkritik (freilich ohne explizit auf ihn zurückzugreifen) wieder aufgenommen und weiter entwickelt. Im Zentrum der Analysen FEUERBACHs steht vor allem eine detailierte Untersuchung der Begriffe von HEGELs Metaphysik des absoluten Geistes, die, bedingt durch ein von SCHOPENHAUER bereits skizziertes und von FEUERBACH radikalisiertes anthropologisch bzw. physiologisch orientiertes Menschenbild, schließlich in einer neuen antimetaphysischen Philosophie kulminiert. ![]()
W = Die Welt als Wille und Vorstellung, Zürich 1977 P = Parerga und Paralipomena, Zürich 1977 |