ra-2ra-2 Die wirtschaftliche LügeVon den Fliegen des Marktes    
 
WERNER SOMBART
Händler und Helden
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"Mit innerstem Widerwillen, mit Entrüstung, mit Empörung,  mit tiefem Ekel  hat sich der deutsche Geist gegen die  Ideen des 18. Jahrhunderts,  die englischen Ursprungs waren, erhoben; mit Entschiedenheit hat jeder deutsche Denker, aber auch jeder Deutsche, der deutsch dachte, zu allen Zeiten den Utilitarismus, den Eudämonismus, also alle Nützlichkeits- und Genußphilosophie abgelehnt:  darin  waren sich die feindlichen Brüder Schopenhauer und Hegel, und Fiche und Nietzsche, waren sich Klassiker und Romantiker, waren sich Potsdamer und Weimarer, waren sich alte und neue Deutsche einig."

Zweiter Abschnitt
Deutsches Heldentum

Fünftes Kapitel: Der deutsche Geist

Wenn Ausländer über den gegenwärtigen Krieg philosophieren, so kommen sie seltsamerweise immer auf den  einen  Gedanken zurück: der Krieg von 1914 ist der Krieg NIETZSCHEs. Deutschland hat ihn entfacht, und Deutschland ist dazu beseelt worden von NIETZSCHEs Geist. Das ist, wenn wir von der Unwahrheit absehen, daß wir den Krieg allein gewollt haben, nicht unrichtig. Aber es ist einseitig. So gut nämlich, wie man diesen Krieg den Krieg NIETZSCHEs nennen kann, kann man ihn auch den Krieg FRIEDRICHs des Großen, oder GOETHEs, oder SCHILLERs, oder BEETHOVENs, oder FICHTEs, oder HEGELs oder BISMARCKs nennen: es ist eben der  deutsche  Krieg. Und FRIEDRICH NIETZSCHE ist nur der letzte Sänger und Seher gewesen, der, vom Himmel hoch dahergekommen, uns die Mär verkündet hat, daß aus uns der Gottessohn geboren werden soll, den er in seiner Sprache den Übermenschen nannte.

NIETZSCHE war nur der letzte, der uns in Gewissen geredet hat, wohl mit ein wenig anderen Worten, aber doch im gleichen Sinne wie alle unsere großen Deutschen vor ihm, und wie nur, ja  nur  ein Deutscher jemals reden konnte, wenn er selbst sich auch lieber als "guten Europäer" ansehen lassen wollte. Aber was hat er uns denn anderes gepredigt, als daß wir uns nicht verlieren sollen an das Niedrige und Gemeine, das von unten her an uns herankriecht, dessen Brutstätte aber kein anderer so deutlich wie NIETZSCHE jenseits der Grenzen des Reichs der deutschen Geister liegen sah. Wenn er sich auch oft und eindringlich dagegen gewehrt hat, daß man ihn mit Früheren verglich: wir, die wir ruhigen Auges zurückschauen auf die Ernten der vergangenen Zeit: wir wissen, daß FRIEDRICH NIETZSCHE mit dem Besten, was er uns gesagt hat, heimatberechtigt in Potsdam und Weimar ist, die beide zusammen recht eigentlich des deutschen Geistes Heimstätten sind. (Sie liegen im Zentrum Deutschlands, dessen peripherische Enden durch Königsberg und Wien gebildet werden.)

Ist denn aber dieser deutsche Geist etwas Einheitliches, das man mit einem Wort bezeichnen kann? Die Aufzählung auch nur jener vier Städte, neben denen doch Wittenberg und Hamburg und Köln und Münschen auch ihr Recht behaupten wollen, möchte den Versuch, deutsches Wesen eindeutig zu bestimmen, als aussichtslos erscheinen lassen.
    "Wer will jemals in den Begriff oder in Worte fassen, was deutsch sei? Wer will ihn beim Namen nennen, den Genius unserer Jahrhunderte, der vergangenen und der künftigen? Es würde nur ein anderes Phantom werden, das uns nach anderen felsigen Wegen verführte",
ruft RANKE einmal aus.

Die Deutschen "entschlüpfen der Definition und sind damit schon die Verzweiflung der Franzosen", meinte NIETZSCHE, der es als ein Kennzeichen der Deutschen ansah, daß bei ihnen die Frage: "Was ist deutsch?" niemals ausstirbt. Und vielleicht ist das einzige, was man an allem deutschen Wesen wiederfindet, das ewig Wechselnde, das immer Anderssein, weshalb der Deutsche nicht eigentlich ist, sondern ewig wird, die unendliche Mannigfaltigkeit, der unerschöpfliche Reichtum an Einzelheit und Sonderheit, der "Abyssus [Abgrund - wp] von Individualität", wie es im Überschwang der romantischen Sprechweise hieß.

Freilich, das wäre schon viel, was man von der deutschen Seele aussagen könnte. Aber mir will dünken, daß man noch genauer einzelne Wesenseigentümlichkeiten des deutschen Geistes bezeichnen kann, die ihn scharf von allen andern unterscheiden, und die vor allem deutlich eine ganz bestimmte deutsche Weltanschauung erkennen lassen, so wie wir unschwer eine spezifisch englische Weltbetrachtung wahrnehmen konnten.

Deutsches Denken und deutsches Empfinden äußert sich zunächst einmal in der einmütigen Ablehnung all dessen, was auch nur von ferne englischem oder insgesamt westeuropäischen Denken und Empfinden nahe kommt. Mit innerstem Widerwillen, mit Entrüstung, mit Empörung, "mit tiefem Ekel" hat sich der deutsche Geist gegen die "Ideen des 18. Jahrhunderts", die englischen Ursprungs waren, erhoben; mit Entschiedenheit hat jeder deutsche Denker, aber auch jeder Deutsche, der deutsch dachte, zu allen Zeiten den Utilitarismus, den Eudämonismus, also alle Nützlichkeits- und Genußphilosophie abgelehnt:  darin  waren sich die feindlichen Brüder SCHOPENHAUER und HEGEL, und FICHTE und NIETZSCHE, waren sich Klassiker und Romantiker, waren sich Potsdamer und Weimarer, waren sich alte und neue Deutsche einig.

Um nur zweier deutscher Denker Worte zu nennen, die in manchem Sinne als schärfste Gegner in Fragen der Lebensbetrachtung erscheinen (und doch im Grunde freilich so verwandt sind!), vernehmen wir, wie FICHTE und NIETZSCHE die Pöbelart des englischen Gedankes beurteilen:
    "Durch die neue Erziehung soll ... die Bildung zum reinen Willen das erste werden ...

    Daß man um seiner Erhaltung und seines Wohlseins willen im Leben sich regen und bewegen könne,  muß er  (der Zögling)  gar nicht hören  und ebensowenig, daß man deswegen lerne oder daß das Lernen dazu etwas helfen könne."

    Darin eben besteht die Schlechtigkeit, daß man nur sein sinnliches Wohlsein liebe und nur durch Furcht oder Hoffnung für dieses, sei es nun im gegenwärtigen, oder in einem künftigen Leben, bewegt werden könne." - FICHTE



    "So will ich ihnen vom Verächtlichsten sprechen: das aber ist der  letzte Mensch ... Wir haben das Glück erfunden,  sagen die letzten Menschen und blinzeln."

    "Was von Weibsart ist, was von Knechtsart stammt, und sonderlich der Pöbel-Mischmasch: dies will nun Herr werden alles Menschen Schicksals - oh Ekel! Ekel! Ekel!

    Das frägt und frägt und wird nicht müde:  Wie erhält sich der Mensch am besten, am längsten, am angenehmsten? 

    Überwindet mir, ihr höheren Menschen, ... den Ameisen-Kribbelkram, das erbärmliche Behagen, das  Glück der Meisten - !" - NIETZSCHE
Und was setzen wir jenem Krämerideal entgegen? Gibt es ein Bejahendes, das sich übereinstimmend in aller deutsch gerichteten Weltanschauung wiederfindet? Ich glaube, ja. Und wenn ich es in einem Satz ausdrücken soll, was es ist, so möchte ich den alten Schifferspruch nennen, der über dem Hause  Seefahrt  in Bremen eingemeißelt ist und der lautet:
    "Navigare necesse, vivere non est"
    [Seefahrt tut not, Leben nicht.]
"Leben brauchen wir nicht; aber wenn wir leben, so haben wir unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit zu tun"; oder: "sein Werk hat der Mensch zu verrichten, so lange er lebt"; oder: "das Einzelleben: Wichtigkeit, am großen Ganzen schaffen, ist unsere Bestimmung"; oder: "am Wohlergehen des Menschen ist nichts gelegen, wenn er nur der Sache dient" oder wie sonst man diesen Spruch übersetzen will: es läuft immer auf dasselbe hinaus. Und welchen deutschen Mann wir auch um seine Meinung fragen: er wird mit dem Spruch antworten, der über dem Hause  Seefahrt  in Bremen eingemeißelt ist: der gewöhnliche Mann, der jetzt im Schützengraben für Deutschlands Freiheit kämpft, wie auch die Geister, die uns als Fanale dienen:
    "Es ist nicht nötig, daß ich lebe; wohl aber, daß ich meine Pflicht tue und für das Vaterland kämpfe, um es zu retten, wenn es noch zu retten ist." - FRIEDRICH der Große

    "Versuche deine Pflicht zu tun, und du weißt gleich, was an dir ist. Was aber ist deine Pflicht? Die Forderung des Tages." - GOETHE

    "Nehmen wir die Betrachtung des Menschengeschlechts hinzu ... Auch hier stellt das Leben sich keineswegs dar als ein Geschenk zum Genießen, sondern als eine Aufgabe, ein Pensum zu Abarbeiten." - SCHOPENHAUER
NIETZSCHEs (der mir immer besonders wertvoll als Kronzeuge für deutschestes Denken und Werten ist, weil er von oberflächlichen Lesern wohl gar als Gegner deutschen Wesens und als anders geartet wie die früheren großen Deutschen betrachtet wird):
    "Was liegt am Glück; trachte ich denn nach Glück? Ich trachte nach meinem Werk."

    "Was ist das Größte, das ihr erleben könnt? Das ist die Stunde der Verachtung ... Die Stunde, wo ihr sagt:  Was liegt an meinem Glück! Es ist Armut und Schmutz und ein erbärmliches Behagen ..." 

    "Wir (Immoralisten) sind in ein strenges Garn und Hemd von Pflichten eingesponnen und  können  da nicht heraus - darin sind wir eben  Menschen der Pflicht,  auch wir! Bisweilen, es ist wahr, tanzen wir wohl in unseren  Ketten  und zwischen unseren  Schwertern;  öfter, es ist nicht minder wahr, knirschen wir darunter und sind ungeduldig über all die heimliche Härte unseres Geschicks. Aber wir mögen tun, was wir wollen: die Tölpel und der Augenschein sagen gegen uns  das sind Menschen "ohne" Pflicht;  wir haben immer die Tölpel und den Augenschein gegen uns."
Man hat wohl gesagt: solcherart Weltanschauung sei die Ausgeburt unserer spekulativen Philosophie, und den "Kategorischen Imperativ der Pflicht" habe uns KANT beigebracht. Das ist gewiß falsch. Schon die Nennung von deutschen Namen, deren Träger vor KANT gelebt, und die doch dieselbe Moral vertreten haben, beweist, daß diese Ableitung falsch ist. Es hieße auch KANT selber bitter unrecht tun und hieße den Geist seiner Lehre ganz und gar verkennen, wollte man behaupten: er habe bestimmte Moralgrundsätze aufgestellt und bestimmte Gesetze der Lebensauffassung gelehrt. Nein; so wie er die Formen der Erkenntnis nur entdeckt, nicht erfunden haben wollte, so hat er auch das moralische Gesetz nicht selbstherrisch aufgestellt, sondern in seinen Formen nur bloßgelegt und freilich auch seine übersinnliche Herkunft aufgewiesen. Man kennt die schöne Stelle, die einzige, an der auch die  Kantische  Schreibweise so etwas wie Schwung bekommt, wo er die göttliche Herkunft des Pflichtbewußtseins aus Vernunftgründen ableitet.
    "Pflicht!  Du erhabener, großer Name usw. ... welches ist der Deiner würdige Ursprung, und wo findet man die Wurzel Deiner edlen Abkunft? ... Es kann nichts Minderes sein, als was den Menschen über sich selbst (als einen Teil der Sinnenwelt) erhebt, was ihn an eine Ordnung der Dinge knüpft, die nur der Verstand denken kann, und die zugleich die ganze Sinnenwelt, mit ihr das empirisch bestimmbare Dasein des Menschen in der Zeit und das Ganze aller Zwecke (welches allein solchen unbedingten praktischen Gesetzen, als das moralische, angemessen ist) unter sich hat. Es ist nichts anderes, als die  Persönlichkeit,  d. h. die Freiheit und Unabhängigkeit vom Mechanismus der ganzen Natur, doch zugleich als ein Vermögen eines Wesens betrachtet, welches eigentümlichen, nämlich von seiner eigenen Vernunft gegebenen, reinen praktischen Gesetzen, die Person also, als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen ist, sofern sie zugleich zur intelligiblen Welt gehört; da es auch nicht zu verwundern ist, wenn der Mensch, als zu beiden Welten gehörig, sein eigenes Wesen, in Beziehung auf seine zweite und höchste Bestimmung, nicht anders als mit Verehrung und die Gesetze derselben mit der höchsten Achtung betrachten muß."
Das ist ja recht eigentlich die Großtat der deutschen Philosophie, daß sie - und  nur  die deutsche Philosophie, während die aller übrigen Länder in den Verstandeskategorien stecken geblieben ist - sich zur Aufgabe gestellt hat, mit den Kräften der Vernunft von unserem Leben auf dieser Ebene Fäden hinüberzuspinnen in jenes ernste, stille Geisterreich, von dem wir kommen und wohin wir gehen; daß sie das Übersinnliche in der Vernunft selbst aufgesucht und so erst eigentliche Philosophie erschaffen hat.

Diese deutsche Philosophie erhebt sich wirklich und durch die Tat ihres Denkens zu dem unwandelbaren "Mehr denn alle Unendlichkeit", wie FICHTE es in ein großes Wort geprägt hat, und findet allein in diesem das wahrhafte Sein.
    "Zeit und Ewigkeit und Unendlichkeit erblickt sie in ihrer Entstehung aus dem Erscheinen und Sichtbarwerden jenes Einen, das ansich schlechthin unsichtbar ist und nur in dieser seiner Unsichtbarkeit richtigt erfaßt wird. Schon die Unendlichkeit ist, nach dieser Philosophie, nichts ansich, und es kommt ihr durchaus kein wahrhaftes Sein zu: sie ist lediglich das Mittel, woran das einzige, das da ist, und das nur in seiner Unsichtbarkeit ist, sichtbar wird und wodurch ihr ein Bild, ein Schema und Schatten seiner selbst, im Umkreis der Bildlichkeit erbaut wird. Alles, was innerhalb dieser Unendlichkeit der Bilderwelt noch weiter sichtbar werden mag, ist nun vollends ein Nichts des Nichts, ein Schatten des Schattens, und lediglich das Mittel, woran sich jenes erste Nichts der Unendlichkeit und der Zeit selber sichtbar wird und dem Gedanken der Aufflug zu einem unbildlichen und unsichtbaren Sein eröffnet."
In kurzem Dichterwort lauten diese Gedanken dann:
    "Alles Vergängliche
    Ist nur Gleichnis ..."
Als ob GOETHE um ein Deut "realistischer" oder besser "materialistischer"; "naturalistischer" gedacht hätte als die großen Vertreter der deutschen Transzendentalphilosophie!

Nein: nur der scheint mir den Sinn und Wert auch der deutschen Dichtung ganz auszuschöpfen, der als ihren tiefsten Grundton aus allem diesen Glauben an die beiden Welten herausklingen hört, denen wir Menschen angehören. Zwei Leben leben wir auf Erden: ein niederes sinnliches und ein höheres geistiges. Mit jenem sind wir vereinzelt, mit diesem vereint. Und aller Sinn des Erdenwandels ist der: daß wir aus jenem niederen Sinnenleben aufsteigen in das höhere des Geistes, in dem wir mit der Geisterwelt, der wir entstammen, wieder eins werden. Also ist Lebensüberwindung, Lebensaufgabe das, was wir vollbringen sollen. In seltsamer Übereinstimmung haben wir zwei unserer größten Dichter im Bild des Verbrennens diese Läuterung und Emporhebung des sinnlichen Menschen zu den höheren Daseinsformen des geistigen Menschen auszudrücken versucht in Worten, die jeder kennt:
    "Und so lang Du das nicht hast,
    Dieses: stirb und werde,
    Bist Du nur ein trüber Gast
    Auf der dunkeln Erde ..."
Und ZARATHUSTRA spricht: "Verbrennen mußt Du Dich in Deiner eigenen Flamme: wie wolltest Du neu werden, wenn Du nicht erst Asche geworden bist. ..."

Das ist ja der Grundgedanke der Philosopie NIETZSCHEs, der sich in Worten gar oft monistisch gebärdet und dessen Denken doch im Innersten transzendental gewesen ist. Sonst hätte seine Lehre von der Selbstüberwindung, die er als der Weisheit letzten Schluß verkündet, ja ganz und gar keinen Sinn: es sei denn, wir wollten sein Ideal des Übermenschen in ein simples Züchterideal vertölpeln. Hören wir die wundervollen ZARATHUSTRA-Worte:
    "Vieles ist dem Leben höher geschätzt als Leben selber ... Auch das Größte gibt sich noch hin und setzt um der Macht willen - das Leben dran. Das ist die Hingebung des Größten, daß es Wagnis ist und Gefahr, und um den Tod ein Würfelspielen ...

    Und dies Geheimnis redete das Leben selber zu mir: Siehe, sprach es, ich bin das, was sich immer selber überwinden muß ...

    Mit meinen Tränen gehe in deine Vereinsamung, mein Bruder. Ich liebe den, der über sich selber hinaus schaffen will und so zugrunde geht."
Was ist in diesen Worten anderes ausgesprochen als das, was uns die Faustidee ebenfalls lehrt. In der Hingabe vollendet sich das Schicksal des Menschen: in der "Aufgabe" seiner selbst, mittels deren er über die Schranken seiner Leiblichkeit hinauswächst und sich mit dem Reich der Geister wieder vereint: er kehrt in seine Heimat zurück.

So findet auch der Pflichtgedanke seine tiefste Begründung. In der deutschen Sprache, und nur in ihr, der einzigen "Ursprache", Wie FICHTE wollte, enthält  ein  Wort, deucht mich, den ganzen Sinn all unseres Denkens und Dichtens und Strebens: das Wort  "Aufgabe".  Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen, indem wir leben, eine Aufgabe, die sich in tausend Aufgaben des Tages auflöst. Aufgabe ist das Leben, sofern es uns aufgegeben ist von einer höheren Macht. Indem wir aber den Inhalt unseres Lebens ausschöpfen, geben wir uns in allen unseren Werken auf; und diese Aufgabe unseres eigenen Ichs gibt uns die einzige tiefe Befriedigung, die das irdische Leben bieten kann, gibt uns unseren Seelenfrieden, weil wir durch sie jene Vereinigung mit dem Göttlichen vollbringen, von dem getrennt und losgerissen zu sein, auf Erden unser tiefstes Weh und Leiden ausmacht.

Es ist aber die lichteste Eigenart unseres deutschen Denkens, daß wir die Vereinigung mit der Gottheit schon auf Erden vollziehen, und sie vollziehen nicht durch Abtötung unseres Fleisches und unseres Willens, sondern durch kraftvolles Handeln und Schaffen. Daß die Aufgabe unserer selbst durch unausgesetztes Stellen und Vollbringen neuer Aufgaen im tätigen Leben erfolgt: das gibt unserer Weltauffassung die sieghafte Kraft, gibt ihr die Unüberwindlichkeit auf dieser Erde. Deshalb aber nenne ich sie auch eine heroische, heldische, und nun sieht der Leser, bis zu welchem Punkt ich ihn geführt habe:  deutsch sein, heißt ein Held sein,  und dem englischen Händlertum im Geiste und im Leben setzen wir ein deutsches Heldentum entgegen.

Händler und Held:  sie bilden die beiden großen Gegensätze, bilden gleichsam die beiden Pole aller menschlichen Orientierung auf Erden. Der Händler, sahen wir, tritt an das Leben heran mit der Frage: was kannst du Leben mir geben; er will nehmen, will für möglichst wenig Gegenleistung möglichst viel für sich eintauschen, will mit dem Leben ein gewinnbringendes Geschäft machen; das macht: er ist arm; der Held tritt ins Leben mit der Frage: was kann ich dir Leben geben? er will schenken, will sich verschwenden, will sich opfern - ohne Gegengabe; das macht: er ist reich. Der Händler spricht nur von "Rechten", der Held nur von Pflichten, die er hat. Und auch, wenn er seine Pflicht erfüllt hat, fühlt er sich immer noch zu geben geneigt:
    "Erfüllte Pflicht empfindet sich immer noch als Schuld,
    weil man sich nie ganz genug getan." - GOETHE

    "Also will es die Art edler Seelen: sie wollen nichts umsonst haben, am wenigsten das Leben.
    Wer vom Pöbel ist, der will umsonst leben; wir andern aber, denen das Leben sich gab, - wir sinnen immer darüber,  was  wir am besten  dagegen  geben!"

    "Das ist euer Durst, selber zu Opfern und Geschenken zu werden: und darum habt ihr den Durst, alle Reichtümer in eure Seele zu häufen ..."

    "... ein Grauen ist uns der enartende Sinn, welcher spricht: alles für mich".

    Also sprach wiederum ZARATHUSTRA.
Die Tugenden aber des Helden sind die entgegengesetzten des Händlers: sie sind alle Positiv, Leben gebend und weckend, es sind "schenkende Tugenden": Opfermut, Treue, Arglosigkeit, Ehrfurcht, Tapferkeit, Frömmigkeit, Gehorsam, Güte. Es sind kriegerische Tugenden, Tugenden, die ihre volle Entfaltung im Krieg und durch den Krieg erleben, wie auch alles Heldentum erst im Krieg und durch den Krieg zu voller Größe emporwächst. Um das zu begreifen, müssen wir noch einige weitere Einsicht in das Wesen heldischer Weltanschauung zu gewinnen trachten. Wir werden die Richtung der Ideen kennenlernen müssen, die alles Heldentum auf Erden mit Notwendigkeit einschlägt, und die zur Vaterlandsliebe und zur Staatsidee hinüberführen.
LITERATUR: Werner Sombart, Händler und Helden - Patriotische Besinnungen, München/Leipzig 1915