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RAINER EISFELD
A.E. van VOGT
und die Allgemeine Semantik


A.E. van VOGT an seine Leser
Null-Axiome
"Hatte jemand sich die neuen semantischen Reaktionen erst einmal angeeignet, dann kam das einer Lösung aller wesentlichen menschlichen Probleme gleich.

Das aristotelische "System" fördert die Neigung zu "identifizieren", beobachtete Tatsachen einzuordnen nach Gefühlen, Impulsen, Meinungen, Dogmen - sie folglich zu verzerren.

Was A.E. van VOGT suchte, fand er für die Null-A-Romane in ALFRED KORZYBSKIs  Allgemeiner Semantik,  von der Hypothese ausging, daß durch sprachliche Strukturen Wertungen der Realität erfolgen, die reaktions- und verhaltensteuernd wirken. KORZYBSKI erhob den Anspruch, auf dem Wege Förderung einer ganzheitlich-dynamischen "nicht-aristotelischen" Wertungslehre im Bereich der Kultur- und Sozialwissenaften die "transklassische" Entwicklung nachzuvollziehen, die PLANCK, BOHR und andere auf dem Gebiet der Naturwissenschaften geleistet hatten.

Die relativitätstheoretische Zusammenfassung in Zeit und Raum zum raumzeitlichen Kontinuum sollte ihre Entsprechung finden in einer Betrachtungs- und Sprechweise, die Körper, Geist, Verstand und Gefühl zugleich "integrierte", auf die deutungs- und Wertungszusammenhänge ihrer nervlich-sachlichen Umgebung bezog und das Bewußtsein für deren Dynamik schärfte. Auf diese Weise sollten dem Einzelnen wie der Gesellschaft Kriterien für eine "vernünftige" Erziehung und Umweltorientierung an die Hand gegeben werden.

In seinem Buch  Science and Sanity  (1. Aufl. 1933, 2. Aufl. 1941) sparte KORZYBSKI nicht mit Hinweisen auf die Zurückdrängung nervlicher oder psychosomatisch begründeter individueller Störungen und Erkrankungen, die günstigen Folgen für das Zusammenleben in der Gruppe und Familie, schließlich sowohl die Förderung der individuellen Kreativität wie des sozialen Verantwortungsbewußtseins, die er sich von dieser Denk- und Spracherziehung erwartete. Unter präventiven wie unter therapeutischen Gesichtspunkten betonte er die Notwendigkeit ständigen Trainings zur Erlangung "semantischer Flexibilität" gab seiner Lehre also einen betont pragmatischen Zuschnitt.

Daß er jedem Kapitel seiner Monographie einen umfänglichen Zitatvorspann voranstellte, sollte nach seiner eigenen Aussage verdeutlichen, ein wie beträchtlicher Teil seiner Argumente bereits verstreut existierte und nur auf ihre systematische Präsentation wartete. Daß die Berufung auf ein breites Spektrum zeitgenössischer Denker zugleich darauf hinzielte, diesem eigenen Argumentationsstrang KORZYBSKIs eine Aura besonderer Legitimität zu verleihen, ließ sich kaum bezweifeln.

Van VOGT übernahm dieses Prinzip für Weit der Null-A, wobei er die Zitate überwiegend aus  Science and Sanity  entlehnte. Er war keineswegs der einzige Science Fiction-Autor, der sich von KORZYBSKI beeindruckt zeigte. In seiner Ansprache beim 3. World Science Fiction Convention, zu dem er 1941 als Ehrengast geladen war (wie A.E. van VOGT und seine erste Frau EDNA MAYNE HULL 1946 zum darauffolgenden Konvent), zollte ROBERT A. HEINLEIN KORZYBSKI mehrere Jahre vor van VOGT eingehenden Tribut, wobei er  Science and Sanity  jedermann zur Lektüre empfahl. In seiner Novelle "Gulf" (1949) bezog er sich erneut auf KORZYBSKI, den um dieselbe Zeit HENRY KUTTNER ( Fury;  dt.  Alle Zeit der Welt)  und POUL ANDERSON ( Brain Wave;  dt.  Macht des Geistes  bzw.  Der Nebel weicht)  rühmend erwähnten.

Zwei Behauptungen KORZYBSKIs dürften seine Popularität unter der Science Fiction-Anhängerschaft erheblich gefördert haben. Sobald die wichtigsten semantischen Bestimmungsfaktoren entdeckt seien, schrieb er, werde "die ganze Angelegenheit außerordentlich einfach" und ließe sich "selbst von Menschen ohne besondere Ausbildung leicht anwenden". Mehr noch: Hatte jemand sich die neuen semantischen Reaktionen erst einmal angeeignet, dann kam das, sofern er nicht von außen negativ beeinflußt wurde, "einer Lösung aller wesentlichen menschlichen Probleme gleich, die ich zu nennen wüßte. Ihm wird einiges von den semantischen Reaktionen des sogenannten Genies vermittelt und das, was man als seine "Intelligenz" bezeichnen kann, auf diese Weise vergrößert."
"Hinter Gosseyns Training ragte das Gebäude der nicht-aristotelischen Technik automatischen extensionalen (d. h. erfahrungsbezogenen) Denkens auf ... "Vor über fünfhundert Jahren habe ich Null-A zum Erfolg geholfen, das jemand anders entwickelt hatte"... "Die Allgemeine Semantik bildet dazu aus, möglichst viele Aspekte einer bestimmten Situation in Betracht zu ziehen, ... Gosseyn machte Enin vertraut mit dem berühmten Motto der Allgemeinen Semantik: "Die Landkarte ist nicht das Gelände, ..."
Die austauschbare Verwendung der Begriffe "Nicht-Aristotelianismus" und "Allgemeine Semantik" durch van VOGT in diesen Zitaten - die sich vermehren ließen - aus  Welt der Null-A  und  Der dritte Gosseyn  orientiert sich an ALFRED KORZYBSKIs Buch  Science and Sanity:  Bereits im Untertitel wurde es 1933 als "Einführung in nicht-aristotelische Systeme und Allgemeine Semantik", angekündigt. Unter "System" versteht KORZYBKI (1879-1950) "ein komplexes Ganzes zusammenhängender Lehren", einschließlich der ihnen zugrunde liegenden "unbewußten Annahmen". Daraus folgen "methodische Regeln und Verfassungsgrundsätze", die sich ihrerseits "auf unsere Lebens- und Verhaltensorientierung auswirken".

KORZYBSKI geht davon aus, daß das zu seiner Zeit (und man könnte hinzufügen: bis heute) durch Politiker wie Unternehmer, Juristen ebenso wie Geistliche, in Familien, an den Schulen und Universitäten verbreitete (genau darum auch vorherrschende) System individuell wie sozial pathologische Folgen heraufbeschworen habe: Unvernunft, Unsicherheit, Verbitterung, politische Verführbarkeit, Kriege und Massaker. Er nennt dieses System "aristotelisch" - wenn auch "nicht im strikten Sinne" -, weil es auf einer fast zweitausendjährigen Fortgeltung, Vereinseitigung und Vergröberung jener Fundamentalsätze der Logik beruhe, die ARISTOTELES im vierten vorchristlichen Jahrhundert aufgestellt habe. Infolge der Fortschritte, die die menschliche Erkenntnis erzielt habe, wie dies in den Naturwissenschaften am deutlichsten zutage träte, seien die aristotelischen Axiome überholt, ein weiteres Festhalten an ihnen verhängnisvoll. Seinen eigenen Ansatz bezeichnet KORZYBSKI konsequenterweise als "nicht-aristotelisch".

Einer ersten Heranführung an die Probleme "aristotelischer" bzw."nicht-aristotelischer" Logik, und zwar zunächst unabhängig von einer Auseinandersetzung mit den Thesen KORZYBSKIs dient im folgenden der Teil 1 dieses Kommentars.

Was nun die zweite Bezeichnung, nämlich "Allgemeine Semantik", für seinen Ansatz betrifft, so gibt KORZYBSKI an (im Vorwort 3. Aufl. von 1948), seine Arbeit habe sich völlig unabhängig vom Fortschritt der Semantik (Wortbedeutungslehre) bzw. Semiotik (Zeichen- und Symbollehre) entwickelt. Auf semantische Studien sei er erst kurz vor Abschluß des Buchmanuskripts gestoßen. Gewählt habe er den Begriff "Allgemeine Semantik" für seine Wertungslehre, die die psychobiologische, verhaltensprägende Rückwirkung sprachlicher Strukturen auf den Menschen in ihren Mittelpunkt rückt, unter dem Aspekt historischer Kontinuität - des Fortschreitens von der Ergründung einer bestimmten Wortbedeutung zur Bewertung einer Sprachstruktur.

Die wichtigsten Positionen und Ansprüche der  Allgemeinen Semantik  versuche ich, in Teil II darzustellen, und zwar sowohl in der ursprünglichen Formulierung durch KORZYBSKI seit 1933, wie in ihrer bewußten Beschränkung und gezielten Popularisierung durch SAMUEL ICHIYÈ HAYAKAWA seit 1941. Die pseudowissenschaftlichen Attribute der  Allgemeinen Semantik  sowie ihre Tendenz zum ideologischen Determinismus kritisiert der abschließende Teil III. Dabei rückt der Begriff des sozialen Interesses in den Mittelpunkt, unter dessen Zugrundelegung ich mich noch einmal mit van VOGT auseinandersetze - diesmal mit einigen Feststellungen, die er in seinem Vorwort zu  Welt der Null-A  von 1970 und seiner Zusatzbemerkung zu  Die kosmischen Schachspieler  von 1974 getroffen hat.

Der Terminus einer  neuen Logik  ist so lange irreführend, als wir nicht die "philosophische Idee einer zweiten Logik besitzen, die sich an die erste aristotelisch-klassische ergänzend und die Idee des theoretischen Denkens erweiternd systematisch anschließt" setzte GOTTHARD GÜNTHER schon 1958 dagegen.

Wie ist dieser Widerspruch zu verstehen, und was ist mit den beiden Logiken gemeint?

Der aristotelischen, über Mittelalter und Aufklärung in die Moderne überlieferten Logik liegen die folgenden vier Sätze oder Axiome zugrunde: das Gesetz der sich selbst gleichen Identität (A ist immer A), das Gesetz des verbotenen Widerspruchs (Nichts ist zugleich A und Nicht-A), das Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten (Alles ist entweder A oder Nicht-A), schließlich das Gesetz vom zureichenden Grunde (A ist nur dann A bzw. Nicht-A nur dann Nicht-A, wenn dafür ein je ausreichender Grund vorliegt). Aus dem vorletzten Axiom, dem Prinzip des "Tertium non datur", folgt am deutlichsten, daß die aristotelische Logik prinzipiell zweiwertig ist - ungeachtet einer Bemerkung, die sich bei ARISTOTELES findet, wonach von zwei einander ausschließenden Sätzen über die Zukunft nicht zwingend der eine als wahr, der andere als falsch zu gelten hätte, da das Zukünftige in sich noch unentschieden sei.

Schon vor fünf Jahrzehnten ist darauf aufmerksam gemacht worden, daß der Identitätssatz - gewissermaßen das  Leitmotiv  der vier Gesetze - deswegen so einleuchtend und unüberschreitbar wirkt, weil er die Funktionsweise des menschlichen Gehirns wiedergibt: es ist physiologisch ganz unmöglich, gleichzeitig "A" und "Nicht-A" zu denken. GOTTHARD GÜNTHER (1900-1984) hat nicht nur diese Bemerkung über die gewissermaßen elementare Zweiwertigkeit der Bewußtseinsverfassung des Menschen aufgenommen. Er hat auch ergänzend darauf hingewiesen, wie solche Zweiwertigkeit sich in der menschlichen Auseinandersetzung mit der Umwelt spiegelt, angefangen vom gefühlsbetonten Märchen (die gute Fee/die böse Hexe) bis zu den Abstraktionshöhen der Philosophie.

TARSKIs eingangs zitierter Satz entstammt seiner Einführung in die mathematische Logik. Diese, auch als  symbolische Logik,  oder  Logistik,  bezeichnete Disziplin, teilweise vorgezeichnet im 17. Jh. durch LEIBNIZ im Laufe des vorigen und besonders des gegenwärtigen Jahrhunderts systematisch begründet und weiter entwickelt, bezeugt den enormen Einfluß, den spätestens seit der Jahrhundertwende Mathematik und Physik auf die Philosophie gewonnen haben. Als ihr Hauptwerk gelten nach wie vor BERTRAND RUSSELLs und ALFRED NORTH WHITEHEADs monumentale dreibändige  Principia Mathematica  (1910-1913). Kennzeichnend für die Logistik sind
  • ihre Symbolsprache (d. h. die Zuordnung bestimmter Zeichen zu einzelnen Ausdrücken),

  • ihre Formalisierung (an Stelle von Regeln des Schließens treten Rechenregeln, bei deren Aufstellung die inhaltliche Bedeutung der einzelnen Ausdrücke nicht mehr berücksichtigt wird),

  • endlich die Entwicklung und Anwendung von Kalkülen (im Sinne der Umformung von Ausdrücken zu Zeichensystemen sowie des logischen Rechnens mit diesen Systemen nach festen Operationsregeln).
Man wird sicherlich sagen können, daß der Aufschwung der Logistik eine "Trennung des Denkprozesses von der inhaltlichen Bedeutung des Gedachten" (GÜNTHER) zumindest gefördert hat.

Bedürfnisse, etwa der Mengenlehre oder der HEISENBERGschen Quantenmechanik, um nur diese beiden Beispiele zu nennen, haben nun zur Entwicklung und Benutzung mehrwertiger Logikkalküle geführt. Derartige Kalküle verfügen, mit anderen Worten, nicht nur über die beiden Wahrheitswerte  wahr  bzw.  falsch  der traditionellen Logik, sondern über mindestens -gesetzt den Fall einer dreiwertigen Logik - drei Werte: wahr/ falsch/unentschieden für jeden einzelnen Satz. Der polnische Logistiker JAN LUKASIEWICZ ( Philosophische Anmerkung zu mehrwertigen Systemen des Aussagekalküls, 1930)  und andere haben dabei auch an die zitierten Überlegungen ARISTOTELES angeknüpft, welche Sätzen über die Zukunft gelten. Insofern mag die Kluft zwischen den beiden "Zweigen der Logik - dem technisch-symbolischen und dem inhaltlich-philosophischen" nicht derart tief sein, wie GÜNTHER behauptet, der eine Verständigung "überhaupt nicht mehr (für) möglich" hält.

Dagegen trifft die Feststellung zu, daß ein breiterer Übergang zu drei- oder generell n-wertigen Logiksystemen auf inhaltlichinterpretativer Ebene bis heute nicht erfolgt ist. GÜNTHER selbst hat versucht, zu unterscheiden zwischen einer zweiwertigen aristotelischen Gegenstandslosigkeit im Sinne einer Reflexion über das Sein und einer nicht-aristotelischen mehrwertigen Logik totaler Reflexion, will sagen der Reflexion auf die Reflexion (qua Form) über Seinsobjekte. Dieser Versuch, gewissermaßen das Denken über den Denkprozeß als Basis einer transklassischen Logik mit den mindestens drei Werten irreflexiv (bezogen auf einen nicht reflexionsfähigen Sachverhalt), einfach reflexiv und doppelt reflexiv zu definieren - einer Logik, die das philosophische Interpretationsmodell für mehrwertige Logikkalküle liefern würde -, ist nicht auf umfängliche Resonanz gestoßen.

GÜNTER hat sich dem Problem nicht-aristotelischer Logiksysteme noch von einer anderen Seite her genähert: Die Weiterentwicklung der Informationsverarbeitungs- und Regelungstechnik hat mit der Schaffung kybernetischer Maschinen einerseits zur "Herausdestillierung" objektiv darstellbarer Mechanismen aus subjektiven Bewußtseinsvorgängen geführt. Andererseits steht damit jedoch keineswegs (auch nicht perspektivisch) die gänzliche Aufhebbarkeit subjektiv-menschlichen Selbstbewußtseins durch Projizierung in eine kybernetische Außenwelt an. Neben Subjekt (Ich) und Objekt (Nicht-Ich) tritt, so GÜNTHER folglich Information, einschließlich des übermittelnden Kommunikationsprozesses, als dritte metaphysische Realitätskomponente.

Damit wird die klassische Logik auch durch eine kybernetische Kritik in Frage gestellt und der Übergang zu einer mindestens dreiwertigen Logik gefordert, die die traditionelle als Spezialfall in sich enthält. Zugleich läßt sich - für Einzelheiten muß auf GÜNTHERs Argumentation in Das Bewußtsein der Maschinen verwiesen werden - vom Vorgang der kybernetischen Objektivierung bestimmter subjektiver Reaktionskomponenten in technisch hergestellten Seinsformen aus ein Zugang gewinnen zur philosophischen Bestimmung der neuen nicht-aristotelischen Logik im Sinne jener Reflexionslogik, wie sie zuvor skizziert wurde.

Ein Grund für die vergleichsweise geringe Resonanz, die GÜNTHERs Überlegungen gefunden haben, mag in dem Argwohn zu suchen sein, mit dem die Kritik auf seine Bekundung reagiert hat, die Perspektive der formalisierten zweiwertigen Logik und mit ihr des abendländischen Denkens wie der abendländischen Geschichte sei "unvermeidlich" der Nihilismus; einer nicht-aristotelischen Logik dagegen "müsse" sowohl eine seelische Metamorphose des gesamten Menschen wie eine neue Dimension menschlicher Geschichte entsprechen. Auch wenn GÜNTHER sich auf andere Meinungen berufen kann, wonach eine Preisgabe der aristotelischen Logik nicht nur die einsteinsche, sondern auch die kopernikanische Umwälzung in den Schatten stellen würde, ist aus seinen Aussagen doch abschätzig auf ein "Heilsinteresse" bei ihm geschlossen worden - man ist versucht zu sagen: fast wie im Falle KORZYBSKIs und seiner "mehrwertigen" Allgemeinen Semantik -, ohne daß man GÜNTHER damit gerecht würde.

Denn mag manche Erwägung, die der Entwicklung von Logiksystemen zugrunde liegt, ebenso wie anschließend die Konstruktion derartiger Kalküle selbst auch vertrackt anmuten - GOTTHARD GÜNTHERs Hinweise erinnern daran, daß die Logik wesentlicher Bestandteil einer zivilisatorischen Entwicklungsstufe ist, auf der Meinungsverschiedenheiten jedenfalls dem Prinzip nach durch begründete Argumente geregelt werden. Hat man sich entschieden, grundsätzlich an die Vernunft zu appellieren statt an Dogmen oder Vorurteile, so läßt sich mit zunehmender Erschließung und Gestaltung der menschlichen Umwelt im weitesten Sinne eine wachsende Ausdifferenzierung auch der Logik kaum vermeiden.

Gerade auf die in ihrem Kern (nämlich der Zahl der Wahrheitswerte) unterbliebene Ausdifferenzierung der aristotelischen Logik reduziert sich, wie schon angemerkt, für den polnischen, als ehemaliger zaristischer Offizier nach 1918 in die USA gelangten Mathematiker ALFRED KORZYBSKI der Ursprung aller Mängel des "aristotelischen, zweiwertigen, intensionalen "Systems", das er vehement attackiert. Den (aus der Semantik übernommenen und abgewandelten) Begriff "intensional" benutzt KORZYBSKI, um eine Anschauungs- bzw. Orientierungsweise zu kennzeichnen, die auf verbalen a priori-Definitionen ("Etikettierungen") fußt.

Diese Orientierungsweise - denn um Lebensorientierungen geht es KORZYBSKI, wie sich aus seinem oben umrissenen "System"verständnis unmißverständlich ergibt - hängt für ihn eng damit zusammen, daß das aristotelische "System" in jedem Menschen die Neigung fördert zu "identifizieren", beobachtete Tatsachen einzuordnen nach "Gefühlen", Impulsen, "Meinungen", Dogmen, sie folglich zu verzerren. Die Tendenz zur Identifizierung jedoch - und damit schließt sich der Kreis - ist unentrinnbar angelegt in jenem statischen Identitäts- und Substanzdenken, als das KORZYBSKI die Axiome der aristotelischen Logik interpretiert.

Freilich läßt KORZYBSKI keinen Zweifel daran, daß es ihm nicht um eine formale Revision der aristotelischen Logik geht, sondern um die Erarbeitung einer nicht-aristotelischen Bewertungs- und Orientierungslehre, wobei (in nicht ganz einwandfreier Analogie zur euklidisch / nicht-euklidischen (RIEMANNschen) und newtonschen/ nicht-newtonschen (relativistischen) Geometrie bzw. Physik) sein nicht-aristotelisches das aristotelische "System" als Grenzfall erhalten soll. Das Neue A-System - das neue Null-A- System also wird von ihm als n-wertig und extensional charakterisiert. "Extensional" meint eine Orientierung an empirisch beobachtbaren Tatsachen: Extensionales Bewußtsein der Abstraktion, der Distanz zwischen Wort und Wirklichkeit, und extensionale Akzeptierung eines unaufhebbaren "Unschärfeprinzips" bei jeder Aussage über die Realität sollen intensionales Vertauschen der Abstraktions- mit der Wirklichkeitsebene sowie intensionale "Objektivierung" von Postulaten und Gefühlen ablösen.

Ein dynamisches Prozeßdenken unter Berücksichtigung jener Veränderungen, die von der submikroskopischen Ebene aufwärts in unserer Umwelt beständig stattfinden, hätte an die Stelle statischen Substanzdenkens zu treten. Ganz entsprechend wäre die überkommene Subjekt-Prädikat-Form der Aussage - ganz entsprechend also wäre diese Art der Aussage mit ihrem hohen Abstraktionsgrad zu ersetzen durch Aussageformen, die die spezifischen asymmetrischen Beziehungen - Strukturen - von Eigenschaften und Ereignissen widerspiegeln.

Kurz: Wie das aristotelische "System" auf der vorsprachlichen Wahrnehmungs- wie der sprachlichen Aussagestufe nach KORZYBSKI vom Prinzip der Identität und der positiven Form der Bekundung regiert wird, so soll das nicht-aristotelische "System" auf beiden Stufen Nicht-Identität und Negativform der Feststellung zugrundelegen: "Die Landkarte ist nicht das Gelände ... Das Wort ist nicht die Sache selbst. Bei seinem Null-A-Zyklus (am deutlichsten zweifellos im 1. Band) hat van VOGT dieses Prinzip der gesamten Romanstruktur zugrunde gelegt.

Immer wieder wird die Handlung dadurch vorangetrieben, daß sich die Nichtübereinstimmung, die Nicht-Identität von Wahrnehmung und Wirklichkeit, enthüllt: Gosseyns wahre Identität ist nicht diejenige, an die er zunächst glaubt; sein erster Körper ist nicht der einzige, über den er verfügt; Crangs und Prescotts Rollen sind nicht so begrenzt bzw. eindeutig, wie es zunächst den Anschein hat - und so fort. So erklärt sich auch, daß van VOGT als Motto des  Instituts für Allgemeine Semantik  eine Feststellung des Mathematikers und Philosophen ALFRED NORTH WHITEHEAD (aus seinem Buch  Prozeß und Realität)  gewählt hat, die sich bei KORZYBSKI beifällig zitiert findet: "Das negative Urteil ist der Höhepunkt geistigen Vermögens." (jedenfalls hat van VOGT diese Wahl für die Buchausgabe von  Welt der Null-A  getroffen. In der ursprünglichen Astounding-Fassung lautete das Motto noch wesentlich schlichter, aber gleichfalls im Einklang mit KORZYBSKIs Ansatz: "Words, ah Words" - Worte, Worte ... ).
LITERATUR, A. E. van Vogt, Welt der Null-A, München 1986