p-4W. Jerusalemvon der PfordtenLippsW. JerusalemE. Eberhard    
 
ALBERT GOEDECKEMEYER
Das Wesen des Urteils
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"Sehen wir nunmehr zu, was für einen psychischen Prozeß wir in der  Entscheidung  vor uns haben, so ist zunächst jedenfalls soviel gewiß, daß sie, soweit ihr erster Teil in Betracht kommt, kein praktisches Verhalten, sondern eine rein theoretische Tätigkeit ist, die umso reiner und zweckentsprechender ist, je mehr ihr alle Äußerungen des Begehrungsvermögen ferngehalten werden."

"Wenn man z. B. beim Anblick einer gelben Rose das negative Wahrnehmungsurteil fällt: diese Rose ist nicht rot, so ist dasselbe so entstanden, daß man aus welcher Veranlassung auch immer erst die Vorstellungssynthese Rose-rot vollzog, um sie dann durch eine sich an sie anschließende Beurteilung zu verwerfen. Und diese Akte der Synthese und Entscheidung  müssen  hier aufeinander folgen, da wir es in diesen negativen Wahrnehmungsurteilen eigentlich gar nicht mit unmittelbar begründeten, sondern vielmehr mit vermittelten Urteilen zu tun haben. Denn die Beurteilung der Vorstellungssynthese Rose-rot enthält folgende Stufen: die Rose ist gelb, was gelb ist, kann nicht rot sein, also ist sie nicht rot."

"Wir sahen, daß das vermittelte  Urteilen  in der willkürlichen Beziehung zweier oder mehrerer Urteilselemente aufeinander mitsamt der Beurteilung darüber besteht, ob der mit dieser Beziehung auftretende Beziehungsbegriff als ein gültiger anzusehen sei oder nicht; und müssen demnach das vermittelte  Urteil  das Resultat dieses Prozesses, als eine Vorstellungsbeziehung definieren, verbunden mit dem einer Beurteilung entsprungenen Bewußtsein der Gültigkeit oder Ungültigkeit des mir ihr gegebenen Beziehungsbegriffes. Jetzt aber haben wir gefunden, daß dem sogenannten positiven Urteil das Bewußtsein der Gültigkeit völlig abgeht."


Zu diesem Zweck haben wir aber innerhalb der "Entscheidung" oder "Beurteilung" zunächst einmal eine Trennung vorzunehmen. Denn es steht mit dieser Entscheidung keineswegs so, daß sie ein durchaus einfacher Akt wäre, vielmehr verhält es sich mit ihr erheblich anders. Hat man z. B. die Vorstellungssynthese "Erde" - rund und den damit gegebenen Beziehungsbegriff der Zusammengehörigkeit und will nun diese Vorstellungsbeziehung beurteilen, dann steht die Sache - wenn man wirklich urteil und nicht bloß Erlerntes und bereits Gewußtes einfach reproduziert (22) - nicht so, daß man sie einfach bejaht oder verneint, vielmehr wird man diese Vorstellungsbeziehung zunächst, indem man sich fragt, ob man den mit ihr assoziierten Beziehungsbegriff zu ihr hinzudenken muß oder nicht, in Beziehung setzen zum Bewußtsein der Urteilsnotwendigkeit und sich nunmehr nach Gründen umsehen, welche geeignet sind, dieses Bewußtsein in der einen oder anderen Form, nämlich entweder als das Bewußtsein, so urteilen zu müssen (als Bejahung) oder als Bewußtsein, nicht so urteilen zu können (als Verneinung), aktuell werden zu lassen. Und erst wenn man diese Gründe unter möglichster Zurücksetzung aller Ausflüsse der praktischen Seite des Seelenlebens ins Auge gefaßt und sie eventuell auch gegeneinander abgewogen hat, erst dann wird zu der Vorstellungsbeziehung - genauer zu dem mit ihr gegebenen Beziehungsbegriff - das Bewußtsein der Urteilsnotwendigkeit in einer seiner Formen hinzutreten, erst dann wird man mit anderen Worten imstande sein, zu bejahen oder zu verneinen. (23)

Innerhalb der Entscheidung lassen sich also zwei Momente deutlich voneinander trennen: die Beziehung der Vorstellungssynthese auf das Bewußtsein der Urteilsnotwendigkeit und das damit verbundene Aufsuchen von Gründen einerseits und andererseits das daraus entstehende Bejahen oder Verneinen, Anerkennen oder Verwerfen oder wie man diese Bewußtseinszustände sonst noch nennen kann. (24)

Sehen wir nunmehr zu, was für einen psychischen Prozeß wir in der "Entscheidung" vor uns haben, so ist zunächst jedenfalls soviel gewiß, daß sie, soweit ihr erster Teil in Betracht kommt, kein praktisches Verhalten, sondern eine rein theoretische Tätigkeit ist, die umso reiner und zweckentsprechender ist, je mehr ihr alle Äußerungen des Begehrungsvermögen ferngehalten werden. Denn wer eine Vorstellungssynthese zum Bewußtsein der Urteilsnotwendigkeit in Beziehung setzt und sich nach Gründen umsieht, die das Aktuellwerden dieses Bewußtseins in einer seiner Formen zur Folge haben könnten, der wird nur dann gut fahren, wenn er alle Wünsche und Hoffnungen, alle Neigungen und Abneigungen, kurz alle Ausflüsse seiner praktischen Natur möglichst beseite läßt. Aber auch der zweite Teil, das Bewußtsein der Urteilsnotwendigkeit oder Gewißheit selbst, läßt sich schwerlich als eine Reaktioni eines wollenden oder fühlenden Individuums gegen einen Vorstellungsinhalt auffassen, schwerlich, wie es z. B. RICKERT (25) in präziserer Form versucht, als ein Lustgefühl betrachten. Denn diese Annahme scheint zu allzu bedenklichen Konsequenzen zu führen. Einmal nämlich würde sich daraus ergeben, daß die Gewißheit wie alle Gefühle graduell abrufbar sei, (26) was ganz sicher nicht der Fall ist, da man das Bewußtsein der Gewißheit nur haben oder nicht haben, nicht aber in höherem oder geringeren Grad besitzen kann. (27) Und zweitens würde man - wenn man sich auch gegen den Einwurf BRENTANOs (28), daß bei einer Abstufbarkeit der Gewißheit diese in absolut gewissen Sätzen eine für unser Nervensystem geradezu gefährliche Intensität haben müßte, durch die Annahme eines Maximalwertes der Intensität würde retten können - doch der Absurdität rettungslos preisgegeben sein, daß jemand, der die Kunde eines für ihn äußerst schmerzlichen Ereignisses in einer solchen Form erhält, die jeden Zweifel ausschließt, sowohl das Gefühl heftigstens Schmerzes, als auch das eines Maximums von Lust zugleich besitzen würde. - Es dürfte deshalb doch wohl richtiger sein, im Bewußtsein der Gewißheit oder Urteilsnotwendigkeit kein Gefühl zu sehen, sondern einen eigentümlichen, der theoretischen Seite des psychischen Lebens einzuordnenden Inhalt, (29) der von mannigfaltigen Gefühlen der Lust und Unlust begleitet sein kann.

Wenn wir aber die "Entscheidung" so auffassen, daß wir die nunmehr genau bestimmten Momente in ihr unterscheiden und sie in diesem Sinne als den zu der bloßen Vorstellungssynthese im Urteil hinzukommenden Faktor ansehen, so bedarf es jetzt noch einer Erklärung darüber, wie sich die beiden Faktoren des Urteils zeitlich zueinander verhalten.

Was nun in dieser Hinsicht zunächst die mittelbar begründeten Urteile betrifft, so ergibt sich eigentlich schon aus ihrem Begriff die zeitliche Aufeinanderfolge der beiden Urteilsfaktoren. Denn mittelbar begründet sind ja diejenigen Urteile, welche, um mit dem Bewußtsein der Urteilsnotwendigkeit ausgesprochen zu werden, aus anderen Urteilen abgeleitet werden müssen. Eben diese schließen sich dann aber an die Synthese an und schieben sich zwischen sie und die Bejahung oder Verneinung ein. Und darum wird auchvon allen mir bekannten Logikern, die sich überhaupt mit dieser Frage beschäftigt haben, für diese Urteile die Sukzession von Synthese und Entscheidung zugegeben. (30)

Ganz dasselbe soll nun aber auch für die unmittelbar begründeten Urteile gelten, sofern sie negativ sind. (31) Und auch das wird man zugestehen müssen. Denn wenn man z. B. beim Anblick einer gelben Rose das negative Wahrnehmungsurteil fällt: diese Rose ist nicht rot, so ist dasselbe so entstanden, daß man aus welcher Veranlassung auch immer erst die Vorstellungssynthese Rose-rot vollzog, um sie dann durch eine sich an sie anschließende Beurteilung zu verwerfen. Und diese Akte der Synthese und Entscheidung  müssen  hier aufeinander folgen, da wir es in diesen negativen Wahrnehmungsurteilen eigentlich gar nicht mit unmittelbar begründeten, sondern vielmehr mit vermittelten Urteilen zu tun haben. Denn die Beurteilung der Vorstellungssynthese Rose-rot enthält folgende Stufen: die Rose ist gelb, was gelb ist, kann nicht rot sein, also ist sie nicht rot. (32)

Aber während die Entscheidung in den vermittelten Urteilen ebenso wie in den - im Grunde gleichfalls vermittelten - negativen Wahrnehmungsurteilen als nachfolgender Akt zu der Synthese hinzukommt, meint man, daß diese beiden Faktoren in den positiven oder besser affirmativen Wahrnehmungsurteilen, die nur in der Abstraktion trennbaren, in Wirklichkeit aber durchaus miteinander verschmolzenen Momente ein und desselben unteilbaren psychischen Aktes seien. (33) Hier soll also nicht zuerst die Synthese vorhanden sein, auf die sich dann wie in den anderen Fällen eine erst nachkommende Beurteilung richtet, im im Bewußtsein, so urteilen zu müssen, zur Ruhe zu kommen, sondern hier soll mit der Synthese ohne weiteres "das Bewußtsein über die Gültigkeit, also das Bejahen" (34) gegeben sein.

Gegen diese Auffassung müssen wir aber, ganz abgesehen davon, daß sie schon der bloßen Beobachtung nicht zu entsprechen scheint, (35) einen Grund geltend machen, der sie, was man auch immer zu ihren Gunsten anführen mag, doch als unhaltbar erweist. Wir behaupten, daß das Bewußtsein der Gewißheit oder Gültigkeit niemals unmittelbar gegeben, sondern stets das Resultat eines besonderen psychischen Aktes ist. Der Beweis hierfür liegt aber in Folgendem. Soll der Begriff des Bewußtseins der Gültigkeit oder der Gewißheit überhaupt irgendeinen Sinn haben, so kann das nichts anderes ausdrücken, als die Einsicht, so urteilen zu müssen. (36) Diese Einsicht ist aber weder jemals ohne ein kritisches Verhalten oder Beurteilen gegeben - eine Behauptung, durch die sich SIGWARTs Ansicht von der WINDELBAND und RICKERTs unterscheidet -, noch auch jemals mit der Vorstellungsbeziehung völlig verschmolzen. Denn mag man noch so viele "Urteile" aussprechen, will man das Bewußtsein ihrer Gültigkeit haben, will man gewiß sein, so urteilen zu müssen, so ist eine auf das Gegebene - die Beziehung der Urteilselemente aufeinander mitsamt dem Beziehungsbegriff - gerichtete Reflexion nötig, die als solche stets ein nachkommender Akt ist, sodaß also das Bewußtsein der Gültigkeit eines Satzes nicht nur überhaupt eine Beurteilung, sondern diese auch als zeitlich später als das, worauf sie sich richtet, erfordert.

Das gilt nun natürlich auch für die sogenannten unmittelbaren Urteile affirmativer Art. Auch in ihnen ist das Bewußtsein der Gültigkeit mit der Beziehung der Urteilselemente aufeinander nicht ohne weiteres gegeben. Soll mir das unmittelbare Urteil: die Sonne scheint, gewiß sein, soll ich das Bewußtsein seiner Gültigkeit besitzen, so ist es nicht nur  möglich,  zu fragen: scheint die Sonne wirklich? sondern  notwendig.  Denn ich kann mit dem Scheinen der Sonne nicht zugleich auch die Gewißheit dieses Scheinens wahrnehmen, da sie kein Wahrnehmungs-, sondern ein Reflexionsprädikat ist. Deshalb hat für den, der gar nicht fragt, überhaupt nicht reflektiert, der Begriff der Gewißheit oder der Gültigkeit gar keinen Sinn. (37) Er entsteht erst dann, wenn man auf die vorliegende Vorstellungsbeziehung reflektiert und sich der Gründe bewußt wird, auf denen sie beruth. Und so enthält denn jedes Urteil, sofern es faktisch mit dem Bewußtsein seiner Gültigkeit verbunden, mit anderen Worten: wirklich ein Urteil ist, die Entscheidung nicht nur überhaupt, sondern auch als einen der Synthese zeitlich nachfolgenden Akt.

Müssen wir aber aus diesem Grund die Zulässigkeit der Ansicht bestreiten, die meint, daß bereits die positiven "Urteile" neben den vorstellungsmäßigen Elementen des Urteils das Bewußtsein der Gültigkeit enthielten, sei es als Resultat einer mit der Beziehung unmittelbar verschmolzenden Beurteilung oder nicht, so scheint unserer Auffassung daraus nunmehr eine nicht unbedeutende Schwierigkeit hinsichtlich der Bestimmung des unleugbaren und auch von uns zugestandenen Unterschieds zwischen Frage und Urteil zu erwachsen. Denn wir konstatierten vorhin, daß bereits die Frage die vorstellungsmäßigen Bestandteile des Urteils enthält und leugneten soeben, daß im positiven "Urteil" mehr als diese Elemente vorhanden ist. Worin besteht nun die unbestreitbare Verschiedenheit beider?

Die Antwort wird sich von selbst ergeben, wenn wir einen kurzen Blick auf den psychologischen Ursprung der Frage werfen. - Anfänglich hält der Mensch  jeden  Beziehungsbegriff, der mit einer Beziehung zwischen zwei Vorstellungen gegeben ist, für wahr, besser, da das Fürwahrhalten schon das Bewußtsein der Gültigkeit involviert, dieses aber ursprünglich nicht vorhanden ist, er  handelt  einfach nach den gegebenen Beziehungsbegriffen und zwar triebartig, also ohne weiter auf sie zu reflektieren. Nun stellt sich aber im Laufe der Erfahrung heraus, daß nicht alle Beziehungsbegriffe, denen er bei seinem Handeln folgt, mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Ein Kind, das zum erstenmal ein Stück Kreide erblickt und dasselbe in den Mund führt, geleitet durch die ihm geläufige Assoziation  weiß + hart = süß,  wird finden, daß der Beziehungsbegriff der Zusammengehörigkeit, der, wie klar oder unklar auch immer für es die Vorstellungsbeziehung, weißer Gegenstand - süß genauer bestimmte, nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Es fühlt sich zum erstenmal in seinem Leben getäuscht und als Folge dieser bzw. mehrerer Täuschungen entstehen in ihm die korrelativen Begriffe  wahr  und  falsch, Gültigkeit  und  Ungültigkeit.  Und erst jetzt ist (der Zweifel und) die Frage möglich, weil der bisher ganz reflektorisch befolgte Beziehungsbegriff, der sich an eine Vorstellungssynthese anschloß, jetzt nicht mehr als ohne weiteres gültig erscheint. Er der Mensch also, der durch Irrtum zum Bewußtsein der korrelativen Begriffe  Wahrheit  und  Falschheit  gelangt ist - einerlei, was sie näher für ihn bedeuten - hat die Fähigkeit gewonnen, an einem mit einer Vorstellungssynthese gegebenen Beziehungsbegriff zu zweifeln und mit Rücksicht auf ihn die Frage zu stellen, ob er im vorliegenden Fall auch wirklich Gültigkeit besitzt.

Nun wird auch der Unterschied zwischen positivem Urteil und Frage klar sein. Es ist nicht so, als enthielte das positive Urteil den mit einer Beziehung zwischen Urteilselementen gegebenen Beziehungsbegriff mitsamt dem Bewußtsein seiner Gültigkeit, die Frage dagegen nur den ersten, vorstellungsmäßigen Bestandteil, sondern jenes ist es, daß nur die vorstellungsmäßigen Elemente enthält und zwar lediglich als Grundlage des Handelns ohne das Bewußtsein der Gültigkeit oder Ungültigkeit, die Frage dagegen involviert außer der Vorstellungsbeziehung zugleich den Zweifel, d. h. das Bewußtsein, daß der mit den aufeinander bezogenen Urteilselementen gegebene Beziehungsbegriff möglicherweise nicht gültig ist. Sie schließt also - und damit  nähern  wir uns SIGWARTs Auffassung der Frage (38) - den Gedanken der Gültigkeit oder Ungültigkeit schon ein und enthält damit mehr als das positive Urteil, für das diese Begriffe noch gar nicht existieren. (39)

Nach diesen Erörterungen können wir uns nun der abschließenden Frage zuwenden, was wir als Urteil auffassen wollen, indem wir zunächst wieder auf das vermittelte Urteil zurückgehen. Wir sahen, daß das vermittelte  Urteilen  in der willkürlichen Beziehung zweier oder mehrerer Urteilselemente aufeinander mitsamt der Beurteilung darüber besteht, ob der mit dieser Beziehung auftretende Beziehungsbegriff als ein gültiger anzusehen sei oder nicht; und müssen demnach das vermittelte  Urteil  das Resultat dieses Prozesses, als eine Vorstellungsbeziehung definieren, verbunden mit dem einer Beurteilung entsprungenen Bewußtsein der Gültigkeit oder Ungültigkeit des mir ihr gegebenen Beziehungsbegriffes. Jetzt aber haben wir gefunden, daß dem sogenannten positiven Urteil das Bewußtsein der Gültigkeit völlig abgeht. Sollen wir nun auch dieses als Urteil bezeichnen oder nicht? Offenbar ist das eine Frage, deren Entscheidung dem Belieben des einzelnen mehr oder weniger anheimgestellt ist. Wer sich nicht dazu entschließen kann, den sogenannten positiven Urteilen die Bedeutung von Urteilen abzusprechen, der würde, da eine Verschiedenheit zwischen ihnen und den mit dem Bewußtsein ihrer Gültigkeit verbundenen Urteilen nicht geleugnet werden kann, eine weitere und eine engere Bedeutung des Wortes Urteil in der Weise unterscheiden müssen, daß er die mit dem Bewußtsein ihrer Gültigkeit verbundenen Sätze Urteile im engeren Sinn des Wortes nennt und die sogenannten positiven Urteile unter den Begriff des Urteils im weiteren Sinn des Wortes subsumiert. (40) Wer aber zu den wesentlichen Merkmalen des Urteils außer der Synthese eine Beurteilung rechnet, der wird nicht umhin können, den sogenannten positiven Urteilen die Bezeichnung  Urteil  schlechtweg zu versagen und diese als nunmehr völlig eindeutigen Begriff nur für diejenigen Sätze vorzubehalten, die außer der willkürlichen Beziehung zweier Urteilselemente (Vorstellungen oder Begriffe) aufeinander das einer Beurteilung entsprungene Bewußtsein der Wahrheit oder Falschheit des mit jener Beziehung gegebenen Beziehungsbegriffes enthalten. Und diese Auffassung vom Wesen des Urteils wird nach allem, was wir ausgeführt haben, die unsrige sein.
LITERATUR - Albert Goedeckemeyer, Das Wesen des Urteils, Archiv für systematische Philosophie, Bd. IX, Berlin 1903
    Anmerkungen
    22) Das geschieht in sehr vielen Experimenten MARBEs, die daher als Material zur Bestimmung des Wesens des  Urteils  unbrauchbar sind.
    23) Ich sehe dabei von der dritten Möglichkeit, dem problematischen Verhalten, ab. Prinzipielle Neuerungen werden dadurch nicht herbeigeführt.
    24) Wollte man übrigens zwischen dem Akt des Urteilens und dem fertigen Urteil noch unterscheiden, so wäre zu bemerken, daß das fertige Urteil den ersten Teil der Entscheidung nicht mehr aktuell, sondern nur noch potentiell in der Bejahung oder Verneinung enthält.
    25) RICKERT, Gegenstand der Erkenntnis, Seite 60
    26) WINDELBAND, Straßburger Abhandlungen, Seite 186; KRIES, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, 1899, Seite 8
    27) Vgl. SIGWART, Logik I, Seite 235 Anm.; BERGMANN, Hauptpunkte der Philosophie, Seite 11
    28) BRENTANO, Vom Ursprung der sittlichen Erkenntnis, Seite 58
    29) Seither hat übrigens BERGMANN aus den "Funktionen des Willens" der reinen Logik "entgegengesetzte Bewußtseinsvorgänge" (Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 107, Seite 180, vgl. Hauptpunkte der Philosophie Seite 4) oder "Denkhandlungen" (Grundprobleme der Logik, Seite 78, vgl. Hauptpunkte Seite 5) werden lassen und bezeichnet sie (Hauptpunkte Seite 36) ganz unzweideutig als Tätigkeiten des Verstandes.
    30) Vgl. WINDELBAND, Straßburger Abhandlungen, Seite 176; SIGWART, Logik I, Seite 147; Impersonalien, Seite 60f
    31) Vgl. WINDELBAND, a. a. O.; RICKERT, Gegenstand der Erkenntnis, Seite 53
    32) Vgl. auch SCHUPPE, Erkenntnistheoretische Logik, Seite 279f; WINDELBAND a. a. O. Seite 276 Anm.
    33) WINDELBAND, a. a. O. Seite 175; RICKERT, a. a. O. Seite 52; SIGWART, Logik I, Seite 147, 159 Anm., Impersonalien Seite 60, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. V, Seite 100. Ähnlich VOLKELT, Erfahrung und Denken, Seite 208f
    34) RICKERT, a. a. O.
    35) Vgl. WUNDT, Logik I, Seite 213f
    36) Vgl. SIGWART, Logik I, Seite 102
    37) Dieselbe Ansicht glaube ich in BERGMANNs Hauptpunkten der Philosophie, Seite 22, finden zu dürfen.
    38) SIGWART, Impersonalien, Seite 61, vgl. Logik I, Seite 146; auch WINDELBAND, Straßburger Abhandlungen, Seite 187
    39) Vgl. WUNDT, Logik I, Seite 213
    40) Vgl. BERGMANN, Grundprobleme der Logik, Seite 78; Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 107, Seite 180; Hauptpunkte der Philosophie, Seite 5. - Seiner Auffassung vom positiven "Urteil" steht die unsrige am nächsten.