Oswald KülpeJonas CohnEdmund BurkeAugust Döring | ||||||
(1847-1933) Über das optische Formgefühl [2/6]
Über die Formen der räumlichen Auffassung Es gibt ein Sehen ohne besondere Anstrengung, ein bloßes Hinsehen, dem nur insofern eine physische Tätigkeit zugrunde liegt, als gewisse Nervengruppen in Spannung versetzt werden. Und zwar meine ich hier nicht jene punktuelle Konzentration des Blickes, wobei wir, von allem Umgebenden abstrahierend, nur diesen einen Teil des Ganzen, ähnlich wie der zielende Schütze, fixieren. Das ist abstraktes Zwecksehen und kann hier bloß in dem Grad von Belang sein, in welchem der angeschaute Teil doch hinreichend Umfang hat, um für die Anschauung als ein an sich selbst unterscheidbares organon (Stein, Welle, Blatt, Zweig, Busch) zu gelten. Es handelt sic hier um das einfache Aufnehmen des sich darstellenden Bildes, um das gerade, breite unpointierte Vordringen zum Ganzen der Erscheinung; oder, objektiv gesprochen, um den ruhigen Abdruck, um die Photographie des Gegenstandes in unserem Auge. Bei näherer Selbstbeobachtung findet sich zwar, daß hierbei der Akt des punktuellen Blickes allerdings mitwirkt, indem wir, ohne es zu wissen, ein mit seiner Umgebung gänzlich verschmolzenes Zentrum einhalten, welches einerseits von unserem Standpunkg (Kopfhaltung, Augenrichtung, Sehwinkel) und andererseits vom Augenfälligsten im Gegenstand selber (Licht) bedingt wird. Dieses einfache "Sehen" ist immer ein verhältnismäßig unbewußter Vorgang; denn der erhaltene Eindruck ist noch unbesondert. Es ist weiter nichts als ein träumerischer Schein vom Ensemble. - Allein hiermit haben wir den notwendigen Anfang aller konkreten Raumerfassung; das ist ja eben die Eigenschaft des räumlichen Objektes, daß es der menschlichen Wahrnehmung als einiges Nebeneinander und daher auch als plötzliche Präsentation seiner Idee erscheint. Unser Leib erhält so mit einem Schlag eine unmittelbare kumulative Einheit von Nervenschwingungen, unsere Seele den ersten ahnungsvollen Blitz intimer Auffassung. Und wir können hier schon darauf hinweisen, daß das auch der erste ominöse Schritt aller Kunstanschauung ist: Ein Künstler muß "Blick" haben. Nun gilt es aber, diese dunkle Ballung des Eindruckes aufzulösen und sich in ihren Verhältnissen zu orientieren. Dies geschieht, indem wir den Augapfel durch Muskeltätigkeit in Bewegung versetzen, indem wir uns die Dinge besehen, indem wir "schauen". Das Schauen ist ungleich bewegter als das Sehen, weil es nicht bloß wie dieses auf der naturnotwendigen Spannung nach einer relativen Gesamtheit beruth, sondern mit Anschluß an die einzelnen Dimensionen den Blick auf und ab, links und rechts schweifen läßt. - Und zwar sind hierbei zwei Verhaltungsarten zu unterscheiden: das eine Mal ist es ein Linienziehen, wobei ich mir haarscharf, gleichsam mit der Fingerspitze die Umrisse nachweise, das andere Mal - und dies das Natürliche, weniger Reflektierte - ist es ein Anlegen von Massen, wobei ich den Flächen, Anschwellungen und Vertiefungen eines Gegenstandes, den Bahnen der Beleuchtung, (1) den Halden, Rücken, Mulden des Gebirges gleichsam mit der breiten Hand nachfahre. (2) In beiden Fällen kann ein sprungweiser, punktierender (Lichtpunkt im Gebüsch) oder ein zügiger, fließender Bewegungsverlauf vorherrschen. Das Schauen ist bewußter als das Sehen, weil es die Formen dialektisch (d. h. in auflösener und wieder zusammenfassender Weise) untersuchen und in einen mechanischen Zusammenhang bringen will. Das Schauen erst ermöglicht eine volle künstlerische Darstellung; denn mit dieser Bewegung geht, wie sich zeigen wird, Hand in Hand ein antreibendes Beleben der toten Erscheinung, ein rhythmisches Beschwingen und Flottmachen. Und jetzt, nachdem ich dem Schauen Genüge getan, wiederholt sich der Eindruck des Sehens in einer höheren Weise. Was ich scheinbar getrennt, habe ich zusammengefaßt zu einer geordneten und beruhigten Einheit. Ich habe wieder ein geschlossenes Gesamtbild, aber ein entwickeltes, ein durchfühltes. Das "Werde", das ich dem chaotischen Sein zugerufen, hat Licht gebracht und siehe, es war gut. Doch, ehe wir weiter gehen, noch ein Wort über den unentbehrlichen Assistenten und Korrektor des Auges, über die sensible, bewegliche Hand. Schon oben habe ich mich nicht enthalten können, das Tasten in symbolischem Sinne anzuführen. In Wahrheit aber findet ein sehr eigentlicher und inniger Zusammenhang beider Organe statt. Ihre Funktionen sind verwandter Natur; denn das Tasten ist ein "derberes Schauen in die unmittelbare Nähe", das Sehen ein "feineres Tasten in die Ferne". (3) Keines aber erfüllt seine Aufgabe ohne das Andere: Kann ich nicht sehen, so fehlt mir neben der Ferne auch Licht und Farbe und ohne Rechenschaft des Tastens fehlt mir der bestimmte Aufschluß über die greifliche Form. Das Kind lernt tastend sehen und zwar darf nicht außer Acht gelassen werden, daß hierbei nicht nur Haut-, d. h. Nervenfunktionen, sondern immer zugleich Muskelbewegungen in Aktion treten. Besonders nötig haben wir die Hilfe des Tastens, um entfernte, verkürzte und verschobene Gegenstände "begreifen" zu lernen. Kinder langen bekanntlich nach dem Mond wie nach einem Teller. Das stereoskopisch gebaute Augenpaar gibt uns an sich ja doch nur ein flächenartiges Sehfeld und wir müßten glauben, daß sämtliche Teile desselben in gleich weiter Entfernung von uns liegen, wenn wir nicht vom Tastsinn über den Abstand unterwiesen wären. "Wir schieben uns also mittels der Hand das flächenartige Sehfeld vom Leib. Und so ist der Grund für die dritte Dimension des Raumes, die Tiefe, gelegt." Unter Empfindung verstehe ich hier nur einen sinnlichen Vorgang und zwar das sinnliche Befinden gegenüber einem angeschauten Gegenstand. Zunächst unterscheidet man betonte und unbetonte Empfindungen. Unbetont, vage und gleichgültig ist ein Anblick, wenn er unbewußt perzipiert wird, d. h. wenn seine Eindrucksform so wenig Reiz hat, daß ich zu keinem Innewerden dieses Reizes komme. Dies ist z. B. der Fall bei einer praktischen Wahrnehmung, wobei eben diese nur als Zweck für eine anderweitige Funktion dienen will. Davon kann hier nicht weiter die Rede sein; wir interessieren uns hier nur für betonte, intensive, d. h. angenehme oder unangenehme Empfindungen. Das künstlerische Auge kennt als solches überhaupt kein gleichgültiges Bild; denn weil ihm das Sehen in eminentem Sinne als Selbstzweck gilt, hat es auch nur mit Gradunterschieden der Betonung zu tun. Angenehme Empfindungen werden nun von solchen Reizen erzeugt, welche fördernd wirken, indem sie Nerven und Muskeln zu Bewegungen veranlassen, welche adäquat, d. h. gewohnt und einfach sind; unangenehme Empfindungen dagegen von solchen, welche hemmend wirken, indem sie ungewohnte, schwierige, inadäquate Bewegungen herbeiführen. Werden aber dieselben ausgeglichen und befreit durch den Hinzutritt von adäquaten Bewegungen, so haben wir vermöge dieses Kontrastes eine verschärfte Luftempfindung. Der umgekehrte Fall liegt auf der Hand. Als Maßstab für den Charakter der Empfindung glaube ich, kann man einfach den Begriff der Ähnlichkeit aufstellen. Es handelt sich nicht sowohl um eine Harmonie im Objekt als um eine Harmonie zwischen Objekt und Subjekt, welche dadurch zustande kommt, daß das Objekt eine der subjektiven Harmonie entsprechende harmonische Form und Formwirkung besitzt. - Zuerst aber wollen wir uns näher mit den Begriffen Ruhe und Bewegung zurechtsetzen. Ruhe hat in Wahrheit nur das Gesetz als die feste Form, als der ideale Rahmen, innerhalb dessen die Bewegung vor sich geht. Dennoch kann ich gegenüber dem passiven Vorgang einer sensitiven Funktion, d. h. einer reinen Nervenfunktion, den aktiven Vorgang einer motorischen Nervenfunktion, d. h. einer Muskelbewegung, bewegt nennen und zwar vor allem deshalb, weil jene auf einem ungleich bestimmteren und stärkeren Willensakt beruth. - Die ähnliche oder unähnliche Objektsform kann sich nun zu unserer Körperform sowohl wie zu den durch eben diese bedingten Bewegungsformen nur mit Hilfe von verhüllten oder offenbaren Bewegungsreizen, d. h. also durch Nerven- oder durch Muskelempfindungen in Rapport setzen. Wenn wir nun Nerven und Muskeln unterscheiden, so ist damit natürlich nicht geleugnet, daß auch der Muskel Nerven hat und daß also im "Schauen" auch immer das "Sehen" implizit mitwirkt. Wenn ich weiterhin das physische Verhalten und Befinden bei sensitiven Reizen Zuempfindung und das bei motorischen Nachempfindung nenne, so muß gleicherweise diese jener eingeordnet werden. In erster Linie für den Lichtsinn steht natürlich das Licht. Die Wirkung desselben beruth wie bekannt auf Bewegungen, Fluktuationen des Lichtäthers, die Farbenwirkung lediglich auf der verschiedenen Schnelligkeit dieser Bewegung, bzw. auf längeren oder kürzeren Lichtwellen. Man hat nun unter anderem die Annahme aufgestellt, daß das Auge drei verschiedene Arten lichtempfindender Nervengruppen besitze (rot, grün, violett oder rot, grün, blau). (4) Wenn das wahr ist, so wirkt also ein einfaches Licht oder eine einfache, isolierte Farbe, abgesehen davon, daß sie durch die regelmäßige (nicht grelle, nicht flackernde) Form ihrer Herbewegung eine willkommene Schwingungsform der entsprechenden Nervengruppe hervorrufen kann, insofern angenehm oder unangenehm als die Nervengruppe überhaupt zu einer Reaktion geneigt ist oder nicht. Und diese Neigung wird wohl nur an einem im Auge latenten Schwingungsreiz einer der beiden übrigen Nervengruppen liegen. Eine aus zwei Grundfarben gemischte Farbe wirkt anziehend, wenn sie eine bequeme Kombination von Nervenschwingungen erregt. Dasselbe gilt natürlich von koordinierten Farben. Selbst im Nervenleben würde demnach etwas wie Symmetrie existieren und aus dieser würde sich dann das Bedürfnis leichter Kontraste der koloristischen Wirkungsteile erklären. Einen merkwürdigen Beleg hierfür geben die sogenannten Nachfarben, welche wohl von Reflexreizen auf restierende [die restlichen - wp], ruhende Augennerven herzuleiten sind. (5) Doch auch die verschiedenen Dimensionen, Bahnen, Richtungen und Teilstellungen der Licht- und Farbenerscheinung kann ich mit Muskelbewegungen des Auges betrachten und dann handelt es sich zugleich um Nachempfindung. Allerdings wird dieselbe nie so lebhaft sein, wie gegenüber einer wirklichen Bewegung des Objektes (Blitz), wobei der Gegensatz zwischen den bewegten und den ruhenden oder zwischen verschieden bewegten Teilen eines Bildes immer überraschend wirkt und zur Aufmerksamkeit nötigt. Aber gerade solche leisere Emotionen, die so leicht übersehen und unterschätzt werden, glaube ich hier eingehender berücksichtigen zu müssen. Da nun aber die Nachempfindung in diesem Fall Licht oder Farbe wie ein Nebeneinander von besonderen Körpern nimmt und ihre eigentliche Einheit ganz außer Acht lassen kann, so stellen wir auch die Reizformen dieser subjektiven Bewegungen lieber an individuellen Körpern, d. h. an festen Formen dar. WUNDT sagt: "Wo sich das Auge frei bewegen kann, da verfolgt es seinem physiologischen Mechanismus gemäß in vertikaler und horizontaler Richtung genau die gerade Linie; die schräge Linie legt es in einer Bogenlinie zurück." (Vgl. Seite 80) Negativ also kann man den Satz aufstellen, daß die gerade Linie bei schräger Richtung und die zackig gebrochene Linie bei gerader (bzw. vertikaler oder horizontaler) Richtung zunächst und an sich widerlich ist, jene, weil sie unbequeme Bewegungen, diese, weil sie ungewohnt rasche Bewegungsänderungen nötig macht. Weiterhin verfolgen wir gerne Raumerstreckungen, an denen sich eine bestimmte Form in ähnlichen Abständen wiederholt; noch mehr aber solche, an welchen diese Wiederholungen (Hauptformen) durch allerlei methodisch eingeschobene Veränderungen (Teilformen) unterbrochen werden. Hierauf beruth der rhythmische Eindruck der Form, der nichts anderes ist, als die wohlige Gesamtempfindung einer harmonischen Reihe von gutgelungenen Selbstmotionen. Worauf aber beruth nun angesichts von festen Formen und abgesehen von ihrer Helligkeit und Farbe die Verschiedenheit der Zuempfindung? Ich glaube, man darf dreist antworten: Auf der Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit des Objektes zunächst mit dem Bau des Auges, weiterhin aber mit dem Bau des ganzen Körpers. Die horizontale Linie ist befriedigend, weil unser Augenpaar eine horizontale Lage hat; (6) sie streift aber ohne einen anderen Formgegensatz an den Eindruck der Indifferenz. Die vertikale Linie dagegen kann bei isolierter Wahrnehmung störend wirken, weil sie dem Bau des aufnehmenden Augenpaares in gewissem Sinne widerspricht, indem sie schon eine komplizierte Funktion desselben notwendig macht. Jedoch mit Beziehung auf die verleidete Milde anderer Dimensionen wird diese Aufstörung natürlich stets als ein willkommener Wechsel und Kraftreiz empfunden. Das Rund, ein Teller, Reif, Ball macht dagegen zunächst entschieden einen wohltätigen Effekt, weil es dem Rund des Auges homogen ist. - Überhaupt haben wir an allen regelmäßigen Formen Gefallen, weil unser Organ und seine Funktionsformen regelmäßig sind. Unregelmäßige Formen genieren uns, nach WUNDTs sinnigem Ausdruck, wie "eine gestörte Erwartung". Das Auge vermißt nur mit Schmerzen die Gesetze, nach denen es selber gebildet ist und sich bewegt. Indessen kann es sich auch hier auf dem Gebiete der bloßen Empfindung nicht sowohl um kahle Regelmäßigkeit, als um organische Normalität handeln und auch die Gesetze der Symmetrie und Proportion, welche von den Formalisten als zutreffende Maßstäbe vorgeschlagen werden, lassen sich leicht unter diesen Gesichtspunkt stellen. Die totale Regelmäßigkeit kommt nur an Teilen des menschlichen Körpers vor (Auge) und daher sehen wir sie auch lieber als Teil im Objekt. Die Symmetrie zerfällt nun in allseitige und einseitige, letztere weiterhin in horizontale und vertikale Symmetrie. Und zwar zeigt sich wiederum, daß die horizontale Symmetrie mit Anschluß an unsere körperliche immer besser wirkt als die vertikale. Für die Vertikalrichtung erscheint ein anderes Formgesetz plausibel, das Gesetz der Proportion oder des "goldenen Schnittes." Nach ZEISING besteht dasselbe darin, daß der kleinere Formteil sich zum größeren verhält, wie der größere zum Ganzen. Die verschiedenen Nuancen dieses Gesetzes, seine Wechselwirkung mit dem Gesetz der Symmetrie, können hier nicht weiter verfolgt werden, um so weniger, als der ästhetische Formalismus selbst hierüber noch lange nicht mi sich im Klaren zu sein scheint. Wir können uns hier mit dem allgemeinen Satz begnügen, daß alle diese Gesetze der Regelmäßigkeit, Symmetrie, Proportion nichts anderes sind als subjektive Gesetze des normalen Menschenkörpers und nur als solche für die Ästhetik einigen Wert haben können, wenn auch immerhin nur einen höchst elementaren und wenig erschöpfenden. (7) Wie verhält es sich nun aber mit unserem Begriff der Ähnlichkeit? - Der Weg der unmittelbaren, rein sinnlichen Vergleichung, auf welchem wir die Ähnlichkeit der objektiven mit der subjektiven Form nachzuweisen suchen, kann nur dann zu einem ersprießlichen Ziel führen, wenn wir zum direkten Gesichtseindruck den indirekten der Reflexwirkungen hinzunehmen. Der Gesichtssinn für sich allein reicht ja nicht aus, um die Vergleichung anzustellen, sie wird nur möglich, wenn es sich zugleich um Reize im ganzen Körper handelt. - Allerdings fällt es sehr schwer, diese einläßlich nachzuweisen, da jede allgemeine Leibempfindung viel unmerklicher ins Bewußtsein tritt als eine isolierte. Wir können häufig die merkwürdige Beobachtung an uns machen, daß eine Gesichtserregung in einer ganz anderen Provinz unseres Körpers, in einer ganz anderen Sinnessphäre verspürt wird. Wenn ich über eine heiße, von der Sonne grell beleuchtete Straße gehe und setze eine dunkelblaue Brille auf, so bekomme ich immer zugleich für einen Moment den Eindruck, als werde mir die Haut abgekühlt. Andererseits spricht man nur deshalb von "schreienden" Farben, weil durch grellen Schimmer in der Tat widerliche Reize in den Gehörsnerven entstehen. In niedrigen Stuben bekommt unser ganzer Körper eine Empfindung von Last und Druck. Alterskrumme Mauern können die Grundempfindung unserer leiblichen Statik beleidigen. Die Anschauung der äußeren Grenzen einer Form kann sich in dunkler Weise mit der Empfindung der eigenen Körpergrenzen kombinieren, welche ich an oder vielmehr mit meiner allgemeinen Hauthülle spüre. Auch die Muskelbewegungen des Augapfels (bzw. Kopfes) haben Bewegungsreize in anderen Organen zur Folge, besonders in den Tastorganen; sie können aber auch sensitive Nervenreize hervorrufen, wie diese umgekehrt motorische. Ebenso können Denkreize sensitive, wie motorische Reize in den niederen Organen erzeugen und umgekehrt. (8) Es handelt sich überhaupt um den ganzen Körper; der ganze Leibmensch wird ergriffen. Denn in Wahrheit gibt es ja keine strikte Lokalisierung in demselben. Jede betonte Empfindung führt daher schließlich entweder zu einer Steigerung oder Schwächung der allgemeinen Vitalempfindung. Es ist zwar noch nicht der Ort hier, auf den strengen Unterschied zwischen rein ästhetischem und pathologischem Verhalten einzugehen; dennoch muß jetzt schon als wesentlicher Punkt hervorgehoben werden, daß hier das Sehen ganz in seiner Reinheit als Selbstzweck genommen wird und somit alle stofflichen Kränkungen und Erhitzungen ausgeschlossen werden. Sobald solche eintreten, erlischt auch die reine Anschauung und räumt ihren Platz der unreinen (Nebenzweck), d. h. der lüsternen und apprehensiven Leidenschaft. - Die Sonne des freien Künstlerblickes scheint ohne Unterschied auf Gerechte und Ungerechte; dessen ungeachtet verhilft sie doch jenen zum Sieg: die negativen Reize werden abgesondert und bewältigt durch ein Fixieren und Akzentuieren der positiven. Gelingt dies nicht, dann tritt allerdings eine Apprehension ein. Aber wir sind getragen von der herrschenden Instinktion unserer eigenen leiblichen Vollkommenheitsanlage, kraft welcher wir uns an die homogene Dominante halten und schlichtend über alle Unterbrechungen hinweggleiten.
1) Auch Licht und Farbe können auf ihre räumlichen Stellungen und Dimensionen hin betrachtet werden. 2) Das Erste ist das zeichnerische, das Zweite das plastisch-malerische Verhalten. Als anziehende Exempel dienen hierfür die Silhouette und das Relief nach seinen verschiedenen Entwicklungsformen. 3) Lehrbuch der empirischen Psychologie von G. A. LINDNER, Wien, Seite 53 und 96 4) WILHELM WUNDT, Vorlesungen über Tier- und Menschenseele, Seite 158 5) WUNDT, Vorlesungen über die Thier- und Menschenseele, Vorlesung 35, Seite 77 6) Vgl. J. V. VÖLKER, Analyse und Symbolik, 1861, Seite 16 7) Dem scheinbaren Widerspruch, daß auch zuweilen horizontale Proportionalität neben vertikaler Symmetrie anziehend aussehe, könnte man, glaube ich, einfach mit der Antwort begegnen, daß hier entweder die subjektive Körperhaltung als liegend poniert [gesetzt - wp] wird (vgl. den Abschnitt über die Bildvorstellung) oder daß eine Vielheit von aufrechten, nebeneinander stehenden Leibkräften vorschwebt oder daß isolierte rhythmische Muskelbewegungsreize (Nachempfindungen) in Tätigkeit treten, welche von der ruhigen Raumwirkung abstrahieren. Die Totalwahrheit wird in einem mystischen Ineinander dieser drei Gesichtspunkt bestehen. 8) Diese Reflexwirkungen, dieses gegenseitige Vikarieren [an die Stelle treten - wp] der Sinne, sind die physische Ursache der Verbindung der Künste. |