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PAUL ELTZBACHER
(1868-1928)
Über Rechtsbegriffe
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"Ein Weltalter, das die Eingeweide der Erde durchwühlt, die Wasserkräfte nach menschlicher Willkür gestaltet, die Luft durchschifft und durch tausende von Drähten die Entfernungen überbrückt, ein Zeitalter der Hygiene, der Fürsorge für gesunde Wohnstätten kann unmöglich denselben Begriff des Eigentums an Grund und Boden haben wie das Zeitalter eines Karl des Kahlen."

"Sehe ich nach und nach von immer mehr Merkmalen eines Begriffs ab, welcher der Wissenschaft von irgendeiner Rechtsordnung angehört, und halte ich nur das eine Merkmal fest, daß sein Gegenstand Normen dieser Rechtsordnung sind, so erhalte ich eine Reihe von Begriffen, die alle zueinander im Verhältnis von Art und Gattung stehen und alle der Wissenschaft von dieser Rechtsordnung angehören. So gelange ich vom Hochverrats- zum Verbrechens- und von diesem zum Unrechtsbegriff des heutigen deutschen Reichsrechts."


Zweites Kapitel
Dreiteilung der Rechtsbegriffe
A. Die Aufgabe

1. Die üblichen Äußerungen über die Rechtsbegriffe leiden an einem inneren Widerspruch.

Man sagt, daß sich nicht bloß die Rechtssätze, sondern mit ihnen auch die Rechtsbegriffe ändern (1), die realen Mächte, von denen der Inhalt des Rechts abhängig ist, sollen einmal diese und dann wieder andere Rechtsbegriffe Geltung erlangen lassen (2). Aber bedient sich nicht, wer eine solche "Änderung" der Rechtsbegriffe feststellt oder die gestern und heute "geltenden" Rechtsbegriffe miteinander vergleicht, eben hierbei solcher Rechtsbegriffe, die sich durchaus nicht ändern, vielmehr gerade diejenigen Merkmale enthalten, welche jenen sich ändernden Rechtsbegriffen gemeinsam sind?

Man nennt z. B. den Begriff des subjektiven Rechts bildsam je nach den Verschiedenheiten des geltenden Rechts und der herrschenden Lehre (3). Verwendet man aber nicht, indem man die nach den Verschiedenheiten des geltenden Rechts verschiedenen Begriffe des subjektiven Rechts sämtlich doch als Begriffe des subjektiven Rechts bezeichnet und erkennt, einen durchaus anderen Begriff des subjektiven Rechts, der keineswegs so "bildsam" ist, vielmehr die jenen mannigfachen Begriffen gemeinsamen Merkmale enthält?

Oder man erklärt, Erwerb, Schenkung, Mord, Diebstahl, Betrug, diese und andere Rechtsbegriffe hätten in der Zeit des Dekalogs und der Zwölftafelgesetzgebung ungefähr in der selben Allgemeinheit existiert wie heute (4), oder auch, ein Weltalter, das die Eingeweide der Erde durchwühlt, die Wasserkräfte nach menschlicher Willkür gestaltet, die Luft durchschifft und durch tausende von Drähten die Entfernungen überbrückt, ein Zeitalter der Hygiene, der Fürsorge für gesunde Wohnstätten könne unmöglich denselben Begriff des Eigentums an Grund und Boden haben wie das Zeitalter eines SEPTIMIUS SEVER oder eines KARL des KAHLEN (5). Aber wenn man vom Betrugs- oder Grundeigentumsbegriff eines bestimmten Zeitalters redet, trotz der sehr mannigfachen Betrugs- und Grundeigentumsbegriffe, die in jedem Zeitalter neben- und nacheinander "existieren", warum redet man nicht von einem Begriff des Betrugs oder des Grundeigentums, der für alle Zeitalter derselbe ist und die Merkmale enthält, die die Betrugs- oder Grundeigentumsbegriffe der verschiedensten Zeitalter miteinander gemein haben? Macht man nicht von einem solchen Begriff eben dort Gebrauch, wo man behauptet, daß ein jedes Zeitalter seinen besonderen Begriff des Betrugs oder des Grundeigentums hat, indem man nämlich verschiedene Begriffe verschiedener Zeitalter als Begriffe des Betrugs oder des Grundeigentus bezeichnet und erkennt?

2. Einerseits behauptet man also man also, daß mit den Rechtsnormen die Rechtsbegriffe sich von heute auf morgen ändern, daß der Begriff des subjektiven Rechts verschieden ist je nach der Verschiedenheit des geltenden Rechts, daß die Begriffe des Erwerbs, der Schenkung, des Mordes, des Diebstahls, des Betrugs, des Grundeigentums in jedem Zeitalter ihren besonderen Inhalt haben. Und andererseits folgt aus diesen Behauptungen selbst, daß es Rechtsbegriffe gibt, die sich nicht mit den Rechtsnormen jedesmal ändern, daß es einen Begriff des subjektiven Rechts gibt, der unabhängig ist von der Verschiedenheit des geltenden Rechts, und daß es Begriffe des Erwerbs, der Schenkung, des Mordes, des Diebstahls, des Betrugs, des Grundeigentums gibt, die den verschiedensten Zeitaltern gemeinsam sind.

Dieser innere Widerspruch kann nur dadurch überwunden werden, daß man drei Arten der Rechtsbegriffe voneinander scheidet. Und zwar sind zunächst (Abschnitt II) die Glieder der Dreiteilung zu bestimmen, sodann ist (Abschnitt III) die Notwendigkeit der Dreiteilung darzulegen.


II. Die Glieder der Dreiteilung
A. Dreiteilung der Rechtsbegriffe

I. Man kann drei Teile der Rechtswissenschaft unterscheiden.

Der erste von ihnen umfaßt die Wissenschaften von einer Rechtsordnung. Eine Rechtsordnung ist die Gesamtheit derjenigen Rechtsnormen, welche auf ein und demselben Wollen beruhen. Rechtsordnungen sind zum Beispiel das heutige Recht Preussens, das gegenwärtige deutsche Reichsrecht, das geltende europäische Völkerrecht. Die Wissenschaften von einer Rechtsordnung bilden Begriffe von den Normen dieser Rechtsordnung und ordnen diese Begriffe. Die Wissenschaften von einer Rechtsordnung haben also die Normen dieser Rechtsordnung zu Gegenständen.

Der zweite von den drei Teilen der Rechtswissenschaft besteht aus den Wissenschaften von einem Rechtskreis. Ein Rechtskreis ist eine beliebige Gesamtheit von Rechtsordnungen; hervorzuheben sind die Gesamtheiten solcher Rechtsordnungen, die bei einem bestimmten Volk oder auf einem bestimmten Teil der Erde gleichzeitig gelten oder nacheinander gegolten haben. Beispiele von Rechtskreisen sind das deutsche Recht und das heutige Recht Europas. Die Wissenschaften von einem Rechtskreis bilden diejenigen Begriffe von den Normen dieses Rechtskreises, die nicht schon durch die Wissenschaften von den verschiedenen Rechtsordnungen des Rechtskreises gebildet werden, und ordnen sämtliche Begriffe von den Normen dieses Rechtskreises insofern, als dies nicht schon durch die Wissenschaften der verschiedenen den Rechtskreis bildenden Rechtsordnungen geschieht. Die Wissenschaften von einem Rechtskreis haben also zu Gegenständen die Normen dieses Rechtskreises, soweit diese nicht schon Gegenstände der Wissenschaften von den verschiedenen Rechtsordnungen des Rechtskreises sind.

Der dritte und letzte Teil der Rechtswissenschaft ist die allgemeine Rechtswissenschaft. Diese bildet diejenigen Begriffe von Rechtsnormen, die nicht schon durch die Wissenschaften der verschiedenen Rechtsordnungen und Rechtskreise gebildet werden, und ordnet sämtliche Begriffe von Rechtsnormen insofern, als dieses nicht schon die Wissenschaften der verschiedenen Rechtsordnungen und Rechtskreise tun. Gegenstände der allgemeinen Rechtswissenschaft sind also die Rechtsnormen überhaupt, ohne Einschränkung auf irgendeine einzelne Rechtsordnung oder einen einzelnen Rechtskreis, soweit sie nicht schon Gegenstände der Wissenschaften von den verschiedensten Rechtsordnungen und Rechtskreisen sind. Hierdurch unterscheidet sich die allgemeine Rechtswissenschaft von den Wissenschaften auch der weitesten Rechtskreise; sie beschränkt sich nicht auf die Normen bestimmter Rechtsordnungen, weist vielmehr keinerlei Rechtsnormen zurück; und wenn sie nicht die Normen sämtlicher Rechtsordnungen in Betracht zieht, so beruth dies nicht auf einer vorsätzlichen Begrenzung des Stoffes, sondern auf der notwendigen Begrenztheit aller Forschung. - Nicht zu verwechseln mit der allgemeinen Rechtswissenschaft ist das, was man als "allgemeine Rechtslehre" bezeichnet hat, nämlich der allgemeine Teil, den ebensogut jede Wissenschaft von einer Rechtsordnung oder einem Rechtskreis wie die allgemeine Rechtswissenschaft hat und der die höchsten Begriffe dieser Wissenschaft enthält (6).

Die Wissenschaften von einer Rechtsordnung und die Wissenschaften von einem Rechtskreis lassen sich im Gegensatz zur allgemeinen Rechtswissenschaft als besondere Rechtswissenschaften zusammenfassen; doch darf hieraus nicht entnommen werden, daß sie auch dem Verfahren nach von ihr verschieden sind. Das Verfahren der allgemeinen Rechtswissenschaft und das der besonderen Rechtswissenschaften ist genau das gleiche. Ob die Rechtswissenschaft sich nur mit den Normen irgendeiner Rechtsordnung oder eines Rechtskreises oder ob sie sich mit den Rechtsnormen überhaupt beschäftigt, immer hat sie einen durch Erfahrung gegebenen Stoff zu bearbeiten. Die besonderen Rechtswissenschaften bearbeiten diesen Stoff im Einzelnen, die allgemeine Rechtswissenschaft bearbeitet ihn im Ganzen, aber gleich jenen geht auch sie von ihm aus und bleibt von ihm abhängig. - Wohl unter dem Einfluß der Meinung, daß eine allgemeine Rechtswissenschaft notwendig über alle Erfahrung hinausgehen muß, haben sich die Pfleger der Rechtswissenschaft fast ausschließlich den besonderen Rechtswissenschaften zugewandt. Auf die Bedeutung der allgemeinen Rechtswissenschaft hat man seit Anfang dieses Jahrhunderts wiederholt mit Nachdruck hingewiesen (7), aber ihre Pflege ist dennoch sehr vernachlässigt worden.

Entsprechend diesen drei Teilen der Rechtswissenschaft gibt es drei Arten von Rechtsbegriffen.

1. Den Wissenschaften von einer Rechtsordnung gehören die Begriffe von den Normen der einzelnen Rechtsordnungen an; man kann sie Begriffe der Wissenschaften von einer Rechtsordnung nennen.

Den Wissenschaften von einem Rechtskreis gehören diejenigen Begriffe von den Normen der einzelnen Rechtskreise an, welche nicht schon den Wissenschaften der diese Rechtskreise bildenden Rechtsordnungen zu eigen sind; sie lassen sich als Begriffe der Wissenschaften von einem Rechtskreis bezeichnen.

Der allgemeinen Rechtswissenschaft gehören diejenigen Begriffe von Rechtsnormen an, welche nicht schon Eigentum der besonderen Rechtswissenschaften sind; sie können Begriffe der allgemeinen Rechtswissenschaft heißen.

2. Diese drei Arten von Rechtsbegriffen werden sämtlich unausgesetzt gebildet und verwandt, ohne daß man sie freilich streng voneinander scheidet.

Und zwar spricht man, wenn man Begriffe irgendeiner besonderen Rechtswissenschaft vor Augen hat, meist nicht von Begriffen dieser Rechtswissenschaft, sondern von Begriffen dieser Rechtsordnung oder dieses Rechtskreises; man spricht vom Betrugsbegriff des heutigen deutschen Reichsrechts, dem Neutralitätsbegriff des europäischen Völkerrechtts, dem Körperschaftsbegriff des deutschen Rechts; eine Audrucksweise, deren Ungenauigkeit durch ihre Kürze aufgewogen wird.

Hat man dagegen Begriffe der allgemeinen Rechtswissenschaft vor Augen, so pflegt man sich jedes auf eine einzelne Rechtsordnung oder einen einzelnen Rechtskreis hindeutenden Zusatzes zu enthalten; man redet schlechthin vom Begriff des Eigentums, des Diebstahls, der Staatsgewalt; gegen diese Ausdrucksweise ist nicht einzuwenden.


B. Die drei Arten der Rechtsbegriffe
in ihrer Besonderheit

Um sich die Eigenart der hier unterschiedenen drei Arten von Rechtsbegriffen deutlich zu machen, tut man gut, zunächst einmal eine jede von ihnen besonders zu betrachten.

1. Die Begriffe der Wissenschaften von einer Rechtsordnung sind Begriffe von solchen Normen, die sämtlich ein und derselben einzelnen Rechtsordnung angehören. Es gibt soviel Arten solcher Begriffe, wie es Rechtsordnungen gibt, die Gegenstand wissenschaftlicher Bearbeitung sind. Man spricht von Begriffen des heutigen deutschen Reichsrechts, des heutigen russischen Rechts, des römischen Rechts beim Tod JUSTINIANs.

Die Begriffe der Wissenschaften von einer Rechtsordnung sind zum einen Teil Begriffe von einzelnen Normen dieser Rechtsordnung und hier wieder teils Begriffe von einer einzelnen Norm dieser Rechtsordnung, teils von einer einzelnen Gesamtheit mehrerer Normen dieser Rechtsordnung, teils von einem einzelnen Element einer Norm dieser Rechtsordnung, teils vo einer einzelnen Gesamtheit von Elementen mehrerer Normen dieser Rechtsordnung. Begriffe dieser Art, die der Wissenschaft des gegenwärtigen deutschen Reichsrechts angehören, sind zum Beispiel der Begriff der im deutschen Bundesgesetz vom 1. Juni 1879 enthaltenen Norm, nach welcher die Staatsangehörigkeit in einem deutschen Bundesstaat durch gewisse Tatsachen erworben und durch gewisse andere verloren wird, der Begriff des im Deutschen Reich geltenden Urheberrechts, der Begriff des Zahlungsbefehls im Sinne der Reichszivilprozessordnung, der Begriff der Rechtsstellung des deutschen Kaisers nach der Reichsverfassung.

Zum andern, weitaus wichtigeren Teil sind die Begriffe der Wissenschaften von einer Rechtsordnung Begriffe von Gattungen der Normen dieser Rechtsordnung, und hier unterscheiden sich wiederum die Begriffe einer Gattung von Normen dieser Rechtsordnung, einer Gattung von Gesamtheiten mehrerer Normen dieser Rechtsordnung, einer Gattung von Elementen einer Norm dieser Rechtsordnung und einer Gattung von Gesamtheiten der Elemente mehrerer Normen dieser Rechtsordnung. Beispiele von Begriffen dieser Art, die der Wissenschaft des gegenwärtigen deutschen Reichsrechts angehören, sind der Begriff der strafrechtlichen Norm des gegenwärtigen deutschen Reichsrechts, der Begriff der in einem Abschnitt des Reichsstrafgesetzbuch zusammengefaßten Normen, der Begriff des Erwerbsgrundes der Staatsangehörigkeit nach dem Bundesgesetz vom 1. Juni 1870, der Begriff der Rechte des Urhebers nach dem geltenden deutschen Reichsrecht.

2. Die Begriffe der Wissenschaften von einem Rechtskreis sind Begriffe von solchen Normen, die sämtlich ein und demselben einzelnen Rechtskreis, nicht aber sämtlich ein und derselben Rechtsordnung dieses Rechtskreises angehören. Es gibt ebensoviele Arten solcher Begriffe, wie es wissenschaftlich bearbeitete Rechtskreise gibt. Man redet von Begriffen des römischen, des deutschen, des heutigen europäischen Rechts.

Die Begriffe der Wissenschaften von einem Rechtskreis sind einesteils Begriffe von einzelnen Normen dieses Rechtskreises. Diese Begriffe können nicht Begriffe von einer einzelnen Rechtsnorm oder einem einzelnen Element einer Rechtsnorm sein; denn die einzelne Rechtsnorm und das einzelne Element einer Rechtsnorm gehören notwendig immer nur einer einzigen Rechtsordnung an, und die Begriffe von ihnen hat also die Wissenschaft dieser Rechtsordnung zu bilden. Wohl aber können sie Begriffe von einer einzelnen Gesamtheit mehrerer Rechtsnormen und von einer einzelnen Gesamtheit von Elementen mehrerer Rechtsnormen sein, falls nämlich die mehreren Rechtsnormen zwar alle diesem Rechtskreis, aber den verschiedenen ihn bildenden Rechtsordnungen ohne Unterschied angehören, sodaß also die Wissenschaft keiner dieser Rechtsordnungen und auch keines engeren Rechtskreises den Begriff jener Gesamtheit bilden kann. Derartige Begriffe der Wissenschaft des deutschen Rechts sind zum Beispiel der Begriff des deutschen Lehenrechts, der Begriff der Rechtsstellung des Fürsten nach den verschiedensten Rechtsordnungen des deutschen Rechts.

Andernteils, und dieser Teil ist viel wichtiger, sind die Begriffe der Wissenschaften von einem Rechtskreis Begriffe von Gattungen der Normen dieses Rechtskreises. Diese Begriffe können gleicherweis Begriffe einer Gattung von Rechtsnormen , einer Gattung von Gesamtheiten mehrerer Rechtsnormen, einer Gattung von Elementen einer Rechtsnorm und einer Gattung von Gesamtheiten der Elemente mehrerer Rechtsnormen sein; es kommt nur darauf an, daß die Gattung zwar lediglich Normen dieses Rechtskreises, aber Normen der verschiedenen ihn bildenden Rechtsordnungen ohne Unterschied umfaß; andernfalls würde die Bildung des Gattungsbegriffs der Wissenschaft eines engeren Rechtskreises oder gar der Wissenschaft einer einzelnen Rechtsordnung dieses Rechtskreises obliegen. Begriffe der Wissenschaft des deutschen Rechts von dieser Art sind zum Beispiel der Begriff der deutschrechtlichen Norm, der Begriff der lex barbarorum, der Begriff der beweglichen Sache nach deutschem Recht, der deutschrechtliche Begriff des Lehens.

3. Die Begriffe der allgemeinen Rechtswissenschaft sind Begriffe von solchen Rechtsnormen, die weder sämtlich irgendeiner einzelnen Rechtsordnung noch auch nur sämtlich irgendeinem einzelnen Rechtskreis angehören.

Der eine Teil von ihnen besteht aus Begriffen von einzelnen Rechtsnormen. Diese können nicht Begriffe von einer einzelnen Rechtsnorm oder einem einzelnen Element einer Rechtsnorm sein, weil die einzelne Rechtsnorm und das einzelne Element einer Rechtsnorm notwendig von ihnen also durch die Wissenschaft dieser Rechtsordnung zu bilden sind. Dagegen können sie wohl Begriffe von einer einzelnen Gesamtheit mehrerer Rechtsnormen und von einer einzelnen Gesamtheit von Elementen mehrerer Rechtsnormen sein, falls nämlich die mehreren Rechtsnormen den verschiedensten Rechtsordnungen und Rechtskreisen ohne Unterschied angehören, so daß also die Wissenschaft keiner einzelnen Rechtsordnung und auch keines einzelnen Rechtskreises den Begriff jener Gesamtheit bilden kann. Zu dieser Art von Begriffen der allgemeinen Rechtswissenschaft zählen zum Beispiel der Begriff des Verfassungsrechts aller Völker und Zeiten, der Begriff der Rechtsstellung des Fürsten nach sämtlichen Rechtsordnungen der Vergangenheit und Gegenwart.

Den anderen, bei weitem wichtigeren Teil der Begriffe der allgemeinen Rechtswissenschaft bilden Begriffe von Gattungen der Rechtsnormen. Diese können gleichermaßen Begriffe einer Gattung von Rechtsnormen, einer Gattung von Gesamtheiten mehrerer Rechtsnormen, einer Gattung von Elementen einer Rechtsnorm und einer Gattung von Gesamtheiten der Elemente mehrerer Rechtsnormen seine; nur muß die Gattung in jedem Fall Normen der verschiedensten Rechtsordnungen und Rechtskreise ohne Unterschied umfassen; andernfalls würde der Gattungsbegriff durch die Wissenschaft irgendeines einzelnen Rechtskreises oder gar irgendeiner einzelnen Rechtsordnung zu bilden sein. Derartige Begriffe der allgemeinen Rechtswissenschaft sind zum Beispiel der rechtlichen Regelung des Verfahrens in Strafsachen, der Begriff der Urkunde, der Begriff des Eigentums.


C. Die drei Arten der Rechtsbegriffe
in ihren Beziehungen

Die Eigenart der hier unterschiedenen drei Arten von Rechtsbegriffen wird noch deutlicher, wenn man sie nunmehr auch in ihren Beziehungen betrachtet.

I. Die Begriffe einer jeden Rechtswissenschaft, mag dieses nun irgendeine besondere oder mag es die allgemeine Rechtswissenschaft sein, stehen in Beziehungen untereinander.

1. Sehe ich nach und nach von immer mehr Merkmalen eines Begriffs ab, welcher der Wissenschaft von irgendeiner Rechtsordnung angehört, und halte ich nur das eine Merkmal fest, daß sein Gegenstand Normen dieser Rechtsordnung sind, so erhalte ich eine Reihe von Begriffen, die alle zueinander im Verhältnis von Art und Gattung stehen und alle der Wissenschaft von dieser Rechtsordnung angehören. So gelange ich vom Hochverrats- zum Verbrechens- und von diesem zum Unrechtsbegriff des heutigen deutschen Reichsrechts.

Ebenso ist es, wenn ich hintereinander von immer mehr Merkmalen eines Begriffs absehe, welcher der Wissenschaft von irgendeinem Rechtskreis angehört, und nur das eine Merkmal beibehalte, daß sein Gegenstand Normen dieses Rechtskreises sind; auch hier erhalte ich eine Reihe von Begriffen, die alle zueinander im Verhältnis von Art und Gattung stehen und alle der Wissenschaft von diesem Rechtskreis angehören. Ich komme vom Hochverrats- zum Verbrechens- und von diesem zum Unrechtsbegriff des heutigen europäischen Rechts.

Das Gleiche gilt endlich auch, wenn ich allmählich von immer mehr Merkmalen eines Begriffs der allgemeinen Rechtswissenschaft absehe und nur das eine Merkmal beibehalte, daß sein Gegenstand Rechtsnormen sind; hier erhalte ich wiederum eine Reihe von Begriffen, die alle im Verhältnis von Art und Gattung zueinander stehen und alle der allgemeinen Rechtswissenschaft angehören. Vom Begriff des Hochverrats komme ich zu dem des Verbrechens und von diesem zu dem des Unrechts.

2. So stehen die sämtlichen Begriffe einer jeden Rechtswissenschaft untereinander im Verhältnis von Art und Gattung. Die niedrigsten Begriffe einer jeden Rechtswissenschaft stehen im Verhältnis von Art und Gattung zu höheren, diese zu noch höheren, diese schließlich zum höchsten Begriffs dieser Rechtswissenschaft.

Dergestalt ergeben sich unzählige Reihen, die alle von einem niedrigsten Begriff dieser Rechtswissenschaft zu ihrem höchsten Begriff hinführen und zusammen das System dieser Rechtswissenschaft ausmachen. Es gibt soviele verschiedene System dieser Art, wie es neben der allgemeinen Rechtswissenschaft besondere Rechtswissenschaften gibt; und die Gesamtheit dieser Systeme läßt sich dann wieder zu einem System der einen und einzigen Rechtswissenschaft zusammenfassen.

II. Außer den Beziehungen, in denen die Begriffe einer jeden Rechtswissenschaft untereinander stehen, gibt es aber auch noch Beziehungen zwischen Begriffen verschiedener Rechtswissenschaften.

1. Wenn man bei einem Begriff, welcher der Wissenschaft von irgendeiner Rechtsordnung angehört, von dem Merkmal absieht, daß sein Gegenstand Normen dieser Rechtsordnung sind, dagegen alle seine anderen, hiervor unabhängigen Merkmale beibehält, so gehört der Begriff, den man erhält, der Wissenschaft von irgendeinem Rechtskreis an; der alte Begriff steht zum neuen im Verhältnis der Art zur Gattung. So gelangt man vom Hochverratsbegriff des heutigen deutschen Reichsrechts zu dem des deutschen Rechts.

Sieht man ferner von dem Merkmal des Begriffs ab, Normen dieses Rechtskreises zum Gegenstand zu haben, hält aber an seinen sämtlichen anderen, hiervon unabhängigen Merkmalen fest, so bekommt man einen Begriff, der der Wissenschaft irgendeines weiteren Rechtskreises angehört; wiederum steht der alte Begriff zum neuen im Verhältnis der Art zur Gattung. Vom Hochverratsbegriff des deutschen gelangt man zu dem des indogermanischen Rechts.

Schreitet man in dieser Weise weiter fort und sieht schließlich auch noch vom Merkmal des Begriffs, Normen irgendeines Rechtskreises zum Gegenstand haben, dagegen von keinem seiner sonstigen, hiervon unabhängigen Merkmale ab, so hat man einen Begriff der allgemeinen Rechtswissenschaft; und auch hier besteht zwischen dem alten und neuen Begriff das Verhältnis der Art zur Gattung. Vom Hochverratsbegriff des indogermanischen Rechts gelangt man am Ende zum Begriff des Hochverrats.

2. Solche Begriffe verschiedener Rechtswissenschaften, die sich nur durch das Merkmal, daß sie Normen dieser oder jener Rechtsordnung oder dieses oder jenes Rechtskreises oder Rechtsnormen überhaupt zu Gegenständen haben, und die hiervon ableitbaren Merkmale unterscheiden, kann man einander entsprechende Rechtsbegriffe nennen. Allen Begriffen der Wissenschaften von einer Rechtsordnung entsprechen Begriffe der Wissenschaften von einem Rechtskreis, und allen Begriffen der Wissenschaften von einem Rechtskreis entsprechen Begriffe der allgemeinen Rechtswissenschaft; dagegen entsprechen nur dem Gattungsbegriff der Wissenschaften von einem Rechtskreis Begriffe der Wissenschaften von einer Rechtsordnung und nur den Gattungsbegriffen der allgemeinen Rechtswissenschaft Begriffe der besonderen Rechtswissenschaften. So entspricht der Betrugsbegriff des heutigen deutschen Reichsrechts der Betrugsbegriff des heutigen europäischen Rechts und diesem der Begriff des Betruges; dagegen entspricht dem Begriff der sämtlichen Betrugstatbestände des in Europa geltenden Rechts kein Begriff irgendeiner Wissenschaft von einer Rechtsordnung, und dem Begriff der sämtlichen Betrugstatbestände sämtlicher Rechtsordnungen entspricht kein Begriff irgendeiner besonderen Rechtswissenschaft.

Die einander entsprechenden Begriffe verschiedener Rechtswissenschaften stehen, wie sich gezeigt hat, sämtlich untereinander im Verhältnis von Art und Gattung. Die Begriffe der Wissenschaften von einer Rechtsordnung stehen im Verhältnis von Art und Gattun zu den ihnen entsprechenden Begriffen der Wissenschaften von den diese Rechtsordnung umschließenden Rechtskreisen; diese wieder zu den ihnen entsprechenden Begriffen der Wissenschaften von den weiteren, diesen Rechtskreis umschließenden Rechtskreisen; diese schließlich zu dem ihnen entsprechenden Begriff der allgemeinen Rechtswissenschaft.

So ergeben sich unzählige Reihen, die alle von einem Begriff der Wissenschaft einer Rechtsordnung zu dem ihm entsprechenden Begriff der allgemeinen Rechtswissenschaft emporführen und zusammen ein System einander entsprechender Begriffe ausmachen. Es gibt soviel verschiedene Systeme dieser Art, wie es Gattungsbegriffe der allgemeinen Rechtswissenschaft gibt; die Gesamtheit dieser Systeme aber läßt sich dann wieder zu einem System der einen und einzigen Rechtswissenschaft zusammenfassen.

III. Die Begriffe einer jeden Rechtswissenschaft stehen als in zweierlei Beziehungen.

Erstens steht ein jeder Rechtsbegriff im Verhältnis von Art und Gattung zu denjenigen Begriffen, die mit ihm ein und derselben Rechtswissenschaft angehören; er ist ein Glied solcher Reihen, die von einem niedrigsten Begriff irgendeiner Rechtswissenschaft zu ihrem höchsten Begriff emporführen; er ist ein Bestandteil des Systems der Begriffe dieser Rechtswissenschaft.
Ein jeder Rechtsbegriff steht zweitens im Verhältnis von Art und Gattung zu den ihm entsprechenden Begriffen anderer Rechtswissenschaften; er ist ein Glied solcher Reihen, die von einem Begriff der Wissenschaft einer Rechtsordnung zu dem ihm entsprechenden Begriff der allgemeinen Rechtswissenschaft emporführen; er ist Bestandteil eines Systems einander entsprechender Rechtsbegriffe.
LITERATUR Paul Eltzbacher, Über Rechtsbegriffe, Berlin 1900
    Anmerkungen
    1) von Jhering, Geist des römischen Rechts, Bd. 2, § 39, Seite 348.
    2) Adolf und Rudolf Merkel, Jurististische Enzyklopädie, § 360, Seite 172.
    3) Bekker, Pandekten, Bd. 1, § 18, Seite 49.
    4) Wundt, Methodenlehre, Seite 603.
    5) Kohler, Archiv für bürgerliches Recht, Bd. 82, Seite 146
    6) siehe Merkel, Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, Bd. 1, 1874,f Seite 1-10, 402-421; "Juristische Enzyklopädie", Seite 1-2; Holtzendorffs "Enzyklopädie", Seite 91.
    7) Zum Beispiel: Feuerbach, Teutsche Rechtswissenschaft, Seite 163-164, 169-170; Puchta, Institutionen, Bd. 1, § 32 (Seite 55-56); von Liszt, Strafgesetzgebung der Gegenwart, Bd. 1, Seite XXV; Pollock, Methods of jurisprudence, Seite 11.