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JOHANNES REHMKE
Lehrbuch der
Allgemeinen Psychologie

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    Vorwort
§ 1. Psychologie als Wissenschaft überhaupt
§ 2. Die Psychologie als Fachwissenschaft überhaupt
§ 3. Die Psychologie als besondere Fachwissenschaft
§ 4. Der Ausgangspunkt
§ 5. Geschichte des Seelenbegriffs
§ 6. Der altmaterialistische Seelenbegriff
§ 7. Der spiritualistische Seelenbegriff
§ 8. Der neumaterialistische Seelenbegriff
§ 9. Der spinozistische Seelenbegriff
§ 10. Die zwei Arten von Konkretem
§ 11. Das Konkretum "Seele"
§ 12. Die Fehlerquelle der geschichtlichen Seelenbegriffe
§ 13. Die Behauptung von unbewußtem Seelischen
§ 14. Das konkrete Bewußtsein als das Seelengegebene überhaupt
§ 15. Die Bedingung des Bewußtseins im unmittelbar Gegebenen
§ 16. Die Wechselwirkung zwischen Seele und Dingwirklichem
§ 17. Das Zusammen von Seele und Leib

"Der Kampf um die Seele, welcher sich in der Frage, ob die Seele ein besonderes Konkretes sei oder nicht, gründet, spitzt sich, zu einem Kampf um das  Subjekt  des Seelenlebens zu, ob dieses  Subjekt  ein Moment des Bewußtseins oder ob Bewußtsein eines der wechselnden Momente des Subjekts sei."

"Es verhält sich mit der [sog.] Bewußtseinseinheit wie mit der begrifflichen Einheit des Dingmomentes  Farbe;  diese Einheit erweist sich, wann immer sie gegeben ist, als ein Zusammen von Gattung und Besonderheit ( Farbe  überhaupt und z. B.  grüne  Besonderheit); das Zusammen ist aber ein schlechthin notwendiges, so daß, wenn Farbe überhaupt (die Gattung) irgendwo gegeben ist, auch die Besonderheit (grün oder rot usf.) mitgegeben sein muß. Das ist einleuchtend und keinem Mißverständnis ausgesetzt, weshalb auch keiner auf die Vermutung kommt, es könnte auch  grün  ohne Farbe oder Farbe ohne  grün  oder  rot  usf. gegeben sein. Nicht weniger notwendiges Zusammen ist aber auch die  Bewußtseinseinheit von Subjekt und Bestimmtheit;  es ist ein überflüssiges Wort, wenn wir von  bewußtem Denken, Fühlen und Wollen  so wie wenn wir von  farbigem Grün oder Rot  reden wollten; und ganz ebenso ist  unbewußtes Denken, Fühlen und Wollen  ein  leeres  Wort, dem wir keinen Inhalt geben können, wie es  farbloses Grün oder Rot  ist. Andererseits bleibt es ebenso unmöglich,  Bewußtseinssubjekt  für sich, ohne Bewußtseinsbestimmtheit, gegeben zu denken, wie  Farbe überhaupt  für sich ohne Besonderheit (grün oder rot usf.) gegeben sein kann."

"Ohne Bewußtseinssubjekt ist der Begriff dieser notwendigen Einheit, welche wir das konkrete Bewußtsein nennen und ohne so ein Konkretes (Veränderliches) ist die Fachwissenschaft Psychologie eben nicht möglich."

Erster Teil
Das Seelenwesen

§ 13.
Die Behauptung von unbewußtem Seelischen

Gleichwie die Erkenntnis vom Bewußtseinssubjekt als dem notwendigen Moment des Bewußtseins einzig und allein den sicheren Schutz gegen alle offene und versteckte Materialisierung des Seelengegebenen gewährt, so bewahrt sie mit Sicherheit auch vor der in der Tat nur dem Boden des materialistischen Seelenbegriffs ersprießenden Behauptung vom unbewußten Seelischen. "Unbewußtes Seelenleben" ist ein Widerspruch und kann nicht sein, "unbewußtes Ding" aber ist ein überschüssiges Wort, denn Ding und Bewußtsein schließen sich ihrem Begriff nach aus.



Der Kampf um die Seele, welcher in der Frage, ob die Seele ein besonderes Konkretes sei oder nicht, sich gründet, spitzt sich, wie wir nun wissen, zu einem Kampf um das "Subjekt" des Seelenlebens zu, ob dieses "Subjekt" ein Moment des Bewußtseins oder ob Bewußtsein eines der wechselnden Momente des Subjekts sei. Wie unsere Antwort lautet, haben wir schon gesagt; ihre endgültige Erörterung bleibt aber zurückgestellt, bis erst eine andere Streitfrage erledigt ist, welche das andere der von uns behaupteten allgemeinen Seelenmomente, die "Bewußtseinsbestimmtheit", betrifft. Wie beim "Bewußtseinssubjekt" des Seelengegebenen sich die Frage erhoben hat, ob dieses "Subjekt" nicht auch, ohne  Bewußtseins subjekt zu sein, gedacht werden könne, ja gedacht werden müsse, so veranlaßt auch die Bewußtseinsbestimmtheit des Seelengegebenen nicht auch  ohne Bewußtseins bestimmtheit zu sein, gedacht werden kann und muß.

Es ist die Frage nach der "unbewußten Seele" und nach "unbewußtem Seelenleben", die uns hier zu beschäftigen hat. Vorausgeschickt mag werden, daß die Frage nach "unbewußtem Seelischen" bei allen, welche sie erhoben haben, auf der Voraussetzung des Seelengegebenen überhaupt als eines  vom Dinggebenen schlechthin Verschiedenen  steht. Daher wird es verständlich werden, daß die Behauptung von unbewußtem Seelischen sich nicht bei den Materialisten, weder bei den Altmaterialisten noch bei den Neumaterialisten echter und unechter Art findet, ja hier  gar nicht aufkommen konnte  und daß umgekehrt sowohl die Spiritualisten als auch die Spinozisten zur Annahme von unbewußtem Seelischen  gelangen mußten.  Jenen ersten beiden ist  Bewußtseinsbestimmtheit  und  Seelenleben gleichbedeutend  und zwar Bewußtseinsbestimmtheit in dem Sinne: die Bestimmtheit "Bewußtsein" des  Dingkonkreten;  und was sonst an Dingbestimmtheit gegeben sein kann, fällt ihnen unter einen anderen Begriff als den des Seelischen überhaupt. Die beiden anderen aber finden sich genötigt, die Gleichdeutigkeit jener Worte aufzuheben und im Gegebenen überhaupt bewußtes und unbewußtes Seelisches, d. h.  Undingliches  zu unterscheiden.

Die Wichtigkeit der Sache fordert eine eingehende Behandlung, die wir damit beginnen, daß wir uns über den Sinn, in welchem, abgesehen von unserem Fall, das Wort "unbewußt" gewöhnlich verwendet wird, zuvor unterrichten. Wir finden hier drei verschiedene Bedeutungen des Wortes:

Unbewußt heißt:
    [1]. das, was selber überhaupt nicht Bewußtsein ist oder, wie man gewöhnlich sagt, überhaupt nicht Bewußtsein hat.

    [2]. das, was nicht Besitz eines bestimmten Bewußtseins oder, wie man meistens sagt, nicht Bewußtseinsinhalt ist.

    [3]. das, was zwar Besitz eines bestimmten Bewußtseins, aber doch nicht des aufmerkenden Bewußtseins ist.
Unbewußtes [1] ist das Dinggebene überhaupt, nicht aber immer auch Unbewußtes [2 und 3], z. B. die Lampe, welche ich jetzt betrachte, ist unbewußt [1], aber bewußt [2 und 3]. Andererseits ist Bewußtes [1] nicht immer auch Bewußtes [2] und dann erst recht auch nicht Bewußtes [3], sondern in vielen Fällen Unbewußtes [2 und 3], z. B. all das andere konkrete Bewußtsein [1], was in diesem Augenblick  mir  nicht bewußt [2 und 3] ist. Endlich ist Bewußtes [2] vielfach Unbewußtes [3], z. B. ich sehe etwas, [Bewußtes 2], aber es geht, wie wir zu sagen pflegen,  unbemerkt  [Unbewußtes 3] an mir vorüber, "mir blieb ganz unbewußt [3], daß ich es gesehen habe".

Diesen drei Bedeutungen des Wortes "unbewußt" fügen nun die Spiritualisten und Spinozisten eine vierte hinzu. Während nach dem üblichen Sprachgebrauch das, was unbewußt [1] ist, zum Dinglich Gegebenen gehört, bezeichnen sie mit "unbewußt" [4]  Undingliches,  zum Seelengegebenen Gehöriges. Dieses Unbewußte [4] muß mit dem Unbewußten [1] selbstverständlich das gemein haben, daß es Bewußtes [2 und 3] sein  kann,  weil ja, wenn das nicht der Fall wäre, die Verfasser eines solchen Unbewußten [4] gar nichts behaupten könnten; zwar mag das ihnen schon bewußte [2 und 3] Unbewußte [4] uns anderen noch Unbewußtes [2 und 3] sein, aber unser Ziel muß dahin gehen, daß es uns auch Bewußtes [2 und 3] werde.

Ihre Behauptung von Unbewußtem [4] will uns nun nötigen, den Umfang des Begriffs "Unbewußt [1]" um dieses "Unbewußte [4]" zu erweitern; wir wußten nur von  Unbewußtem[1]  = Dinglichem,  jetzt hören wir, daß es  auch Unbewußtes[1]  = Undingliches  gibt. Wir hielten bisher angesichts des unmittelbaren Seelengegebenen, das wir allein zu Rate zogen, fest an der Formel:  "Seelisches = Bewußtes"[1], jetzt wird uns aufgegeben unter Beseitigung dieser Formel  auch unbewußtes[1] Seelisches  hinzunehmen. Der Gegensatz  Dingliches-Seelisches  bleibt allerdings dabei in seiner ganzen Schärfe und das Gegebene in seiner Gesamtheit umfassend bestehen, aber der Gegensatz  Unbewußtes[1]- Bewußtes[1] soll sich nun nicht mehr mit jenem decken. Zwar soll es dabei bleiben, daß alles Dingliche Unbewußtes [1], aber nicht, daß alles Seelische Bewußtes [1] sei; die Behauptung geht eben dahin, daß es Unbewußtes [1] gibt, das Dingliches und solches, das Undingliches oder Seelisches sei. Aber was bedeutet denn dieses "Seelische", welches  nicht Dingliches und doch Unbewußtes[1] wäre? Das einzige Undingliche, welches wir im unmittelbar Gegebenen antreffen, ist das Bewußte [1]; "Bewußtsein bietet sich als der einzige Begriff, in dem wir das "Immaterielle", die Seele, sicher fassen, aus der bloß verneinenden Bestimmung des Seelischen herauskommen und einen festen Boden gewinnen können. Alles Undingliche des  unmittelbar  Gegebenen erweist sich ohne Ausnahme durch den Begriff des "Bewußtseins" bestimmt, und von welcher Seite und in welcher Zergliederung auch immer unmittelbar gegebenes "Seelisches" betrachtet wird, das Zergliederte ist Bewußtseinssubjekt und Bewußtseinsbestimmtheit; Denken, Fühlen und Wollen als unmittelbar Gegebenes kennen wir nicht anders, denn als Bestimmtheit des Bewußtseins, das sich ohne das andere Moment, das Bewußtseinssubjekt, niemals findet. Was das heißen soll, ein Vorstellen, Fühlen und Wollen ohne dieses Bewußtseinssubjekt als das Grundmoment sei gegeben, was gar das heißen sollen, "ohne Bewußtsein" vorstellen usw.: dafür bietet das unmittelbar Gegebene schlechterdings keinen Anhalt.

Ferner lehrt uns dasselbe Gegebene, daß Bewußtsein [1] nicht etwa eine Bestimmtheit ist, welche einem Konkreten anhaftet (dieses "Konkrete" müßte überdies ja ein Dingkonkretes sein, welches dann den Widerspruch Unbewußtes [1] - Bewußtes [1] ergäbe): vielmehr ist das Bewußtsein selber ein Konkretes, das Bestimmtheiten hat und dessen Bestimmtheiten Vorstellen, Fühlen und Wollen sind.

Diesen Tatsachen entgegen kehrt die Lehre vom unbewußten [1] Seelischen die Sache geradezu um und behauptet, Bewußtsein [1] sei eine Bestimmtheit, die zwar niemals dem Dinglichen, wohl aber zu Zeiten dem undinglichen Vorstellen, Fühlen und Wollen zukommt, zu Zeiten ihm fehlt: man behauptet, es gebe neben bewußtem auch unbewußtes Vorstellen usw. Ich nehme dabei natürlich an, daß das Wort unbewußt im Sinne von 1 und nicht im Sinne von 2 oder 3 gefaßt wird, denn nur um ersteres handelt es sich; daß es unbewußtes [2] Vorstellen gibt, d. h. daß manch einer vorstellt, ohne daß es  mir  bewußt ist und ebenso, daß es unbewußtes [3] Vorstellen gibt, d. h. daß auch ich selber manches vorstelle, ohne daß ich darauf merke, so ja unbestritten sein.

Aber was kann unter "unbewußtem [1] Vorstellen" gedacht werden, oder, wie ist es zu verstehen, daß "bewußtes [1] Vorstellen" nicht ein überflüssiges Wort ist? Alle Versuche, den Begriff "Vorstellen", ebenso "Denken", "Fühlen", "Wollen" klar zu machen,  wenn man vom Bewußtsein  [1]  absieht,  sind und bleiben vergeblich und sie müssen es sein, denn alle allgemeinen Begriffe des Gegebenen überhaupt, sei es des Dinglichen, sei es des Undinglichen oder Seelischen, schöpfen wir einzig und allein aus dem unmittelbar Gegebenen und was uns unmittelbar gegeben wird, d. h. was wir erschließen, das kann sich uns nur aufgrund der, dem unmittelbar Gegebenen entnommenen, allgemeinen Begriff erschließen.

Zu diesen allgemeinen Begriffen aber gehört das Bewußtsein, als das sich das unmittelbare Seelengegebene bietet: Seelisches, das nicht Bewußtsein wäre, bleibt deshalb für uns nicht bloß ein "Unerfahrbares", sondern ein schlechthin Unbegreifliches, "Seelisches (Undingliches) ohne Bewußtsein" ist und bleibt ein  leeres Wort. 

Wenn die Gegner einwenden, man könne doch füglich "nach Analogie" des "bewußten Vorstellens" usf. ein unbewußtes annehmen, so vergessen sie, daß  Bewußtsein  nicht Bestimmtheit des Vorstellens, sondern Vorstellen Bestimmtheit des Bewußtseins' ist: woraus folgt, daß jegliche solche Annahme "nach Analogie" hier, weil man  vom Bewußtsein ganz absehen  soll, zur  Unmöglichkeit  wird, und daß, wenn man dennoch eine Annahme "unbewußtes [1] Vorstellen" macht und bei diesem Wort etwas denken will, eben eine Bewußtseinsbestimmtheit, ein "bewußtes [1] Vorstellen" unter dem äußerlichen Deckblatt "unbewußtes [2] Vorstellen" gedacht wird.

Zu der Verirrung "undingliches Unbewußtes" [1] würde man niemals gekommen sein, wenn man am unmittelbar Gegebenen "Bewußtsein" sich des Momentes "Bewußtseinssubjekt" vergewissert und dies nicht übersehen hätte. Man wäre dann dessen inne geworden, daß die Bewußtseinsbestimmtheit (Vorstellen usf.) eben Bestimmtheit des Bewußtseins ist, d. h. ohne Bewußtseinssubjekt gar nicht sein kann, weil Bewußtsein eben nicht anders zu denken ist, denn als jene Einheit von Bewußtseinssubjekt und Bewußtseinsbestimmtheit. Indem wir diese Bewußtseinseinheit in ihren beiden Momenten klar begreifen, wird uns die Behauptung ganz unverständlich, Vorstellen usf. sei nur zufällig mit dem Bewußtsein verknüpft, es gebe daher auch unbewußtes [1] Vorstellen: denn Vorstellen ist nicht anders gegeben und möglich, denn als Bestimmtheit eines Vorstellenden, Vorstellendes aber, das natürlich stets die beiden Momente "Subjekt" und "Vorstellen" enthält, ist einzig und allein das Bewußtsein. Man mag sich drehen, wie man will, ein  anderes  Vorstellendens, ein "unbewußtes [1]", findet sich weder unmittelbar noch mittelbar; das "Subjekt" des Vorstellenden läßt sich nicht in ein "Subjekt ohne Bewußtsein" verkehren und wer dem Bewußtseinssubjekt eine "Substanz ohne Bewußtsein" unterlegt, der verkehrt (ohne diesen Widerspruch geht es nicht) das undingliche Subjektsmoment des Bewußtseins in eine dingliche Substanz. Eine solche ist allerdings "Unbewußtes" [1], aber eben Dingliches, nicht undingliches Unbewußtes.

Wenn trotz der offenbaren Tatsache des Bewußtseins als des Zusammens von Subjekt und Bestimmtheit dennoch die Meinung von unbewußtem [1] Denken, Fühlen und Wollen aufkommen konnte, so mag bei manchen, die sich sehr wohl des unmittelbaren Seelengegebenen als eines steten Zusammens von Subjekt und Bestimmtheit (Denken, Fühlen und Wollen) bewußt sind, der Grund darin zu suchen sein, daß sie dieses Zusammen eben nicht als ein notwendiges, d. h. als eine begriffliche Einheit, sondern nur als "tatsächliches" Zusammen begriffen haben, in welchem das "Subjekt" gleichsam als Inhaber des Bewußtseins angesehen wurde, der dieses dann jeder Bestimmtheit, die mit ihm "zusammen" auftritt, als Auszeichnung zukommen läßt. So gefaßt, war die Vermutung nahe gelegt, daß das, was da als "Bestimmtheit" mit dem Bewußtseinssubjekt "zusammen" ist, auch für sich und ohne die Bewußtseinsauszeichnung gegeben sein könnte: wenn sich aber nur etwas dabei denken ließe! In Wahrheit ist das Zusammen von Subjekt und Bestimmtheit (Denken, Fühlen und Wollen) im Bewußtsein ein so unauflösliches, daß ein gesondertes Gegebensein eines der beiden Momente gar nicht zu denken ist.

Es verhält sich mit dieser Bewußtseinseinheit, um einen Vergleich aus dem Dinggegebenen heranzuziehen, wie mit der begrifflichen Einheit des Dingmomentes "Farbe"; diese Einheit erweist sich, wann immer sie gegeben ist, als ein Zusammen von Gattung und Besonderheit ( Farbe  überhaupt und z. B.  grüne  Besonderheit); das Zusammen ist aber ein schlechthin notwendiges, so daß, wenn Farbe überhaupt (die Gattung) irgendwo gegeben ist, auch die Besonderheit (grün oder rot usf.) mitgegeben sein muß. Das ist einleuchtend und keinem Mißverständnis ausgesetzt, weshalb auch keiner auf die Vermutung kommt, es könnte auch "grün" ohne Farbe oder Farbe ohne "grün" oder "rot" usf. gegeben sein. Nicht weniger notwendiges Zusammen ist aber die  Bewußtseinseinheit  von Subjekt und Bestimmtheit;' nicht weniger ist es ein überflüssiges Wort, wenn wir von  bewußtem[1]Denken, Fühlen und Wollen  als wenn wir von  farbigem Grün oder Rot  reden; und ganz ebenso ist  "unbewußtes[1]"  Denken, Fühlen und Wollen  ein  leeres  Wort, dem wir keinen Inhalt geben können, wie es  "farbloses" Grün oder Rot  ist. Andererseits bleibt es ebenso unmöglich,  Bewußtseinssubjekt  für sich, ohne Bewußtseinsbestimmtheit, gegeben zu denken, wie  Farbe überhaupt  für sich ohne Besonderheit (grün oder rot usf.) gegeben sein kann.

Zwei Irrwege gibt es, auf denen man zur Behauptung eines "unbewußten [1] Denken, Fühlen und Wollens" gelangt, den einen beschreiten diejenigen, welche zwar an der Einheit von Subjekt und Bestimmtheit festhalten, deren anschauungssüchtige Einbildungskraft aber diese Einheit aus dem Begriff des Undinglichen d. i. des Bewußtseins herauszerrt und ins Dingliche versetzt als "Seelensubstanz"; indem sie an jener Einheit festhalten, sehen sie sich genötigt, die Seelensubstanz ohne Bewußtsein [1] denken, fühlen usw. zu lassen: diesen Weg gehen die Spiritualisten.

Den anderen Weg verfolgen diejenigen, welche die unlösliche Einheit von Subjekt und Bestimmtheit des Bewußtseins fahren und die letztere auch ohne das andere Moment gegeben sein lassen; machen sie freilich hiermit nicht völlig Ernst, so finden wir, wann immer sie das Gegebensein der Bestimmtheit (Denken, Fühlen und Wollen) behaupten, diese Bestimmtheit doch heimlich in ihrer Einheit mit dem Bewußtseinssubjekt von ihnen gedacht; sie haben jene Bestimmtheit dann als Undingliches gewahrt und sich selber vor dem Widerspruch, in den die Spiritualisten sich stürzen, bewahrt, befinden sich aber nur im Irrtum zu meinen, daß sie die Bestimmtheit in der Tat ohne das Bewußtseinssubjekt gegeben und gedacht hätten, ein Irrtum, der dann eben seinen Ausdruck im "unbewußten [1] Denken, usf." findet.

Machen sie aber völlig Ernst mit der Behauptung, die Bestimmtheit sei ohne das Subjekt gegeben, so ist auch ihnen die einzige Zuflucht, das "Denken, Fühlen und Wollen" aus dem Begriff des Bewußtseins, des Undinglichen, herauszudichten und das in Wahrheit Undingliche, wie es ja auch von ihnen selber sonst bestimmt wird,  dinglich  zu fassen, etwa als Bewegung oder wie sonst auch immer: sie leben dann eben im Widerspruch des  undinglichen Dinglichen.  Diesen zweiten Weg, der sich dann wiederum in zwei besondere gabelt, beschreiten die Spinozisten.


§ 14. Das konkrete Bewußtsein als
das Seelengegebene überhaupt

Ist die Seele, sei es unmittelbar sei es mittelbar Gegebenes, schlechthin anderes als Dinggegebenes überhaupt, so kann dieses andere als Undingliches einzig und allein im Begriff "konkretes Bewußtsein" richtig erfaßt sein. Bewußtsein muß alles Seelische sein. Die Auffassung von einer Seele als einer Zeitreihe von bloßen Bewußtseinsbestimmtheiten kommt, weil sie das in allen Bewußtseinsaugenblicken selbige Moment, das Bewußtseinssubjekt, unbeachtet läßt, nicht zum Begriff des konkreten Bewußtsein; ohne diesen aber kann von Veränderungen im Seelischen und infolge dessen auch nicht von Psychologie, welche die Gesetze der seelischen Veränderlichkeit feststellen soll, die Rede sein: die Bedingung der Möglichkeit einer Psychologie ist das Gegebensein von konkretem Bewußtsein.



In der wissenschaftlichen Welt wird heute wohl wenigstens unwidersprochen bleiben, daß die "Seele" etwas Undingliches ist. Wenn das aber zugestanden wird, so bleibt uns, wollen wir die "Seele" anders, als etwas Gegebenes überhaupt begreifen, nur der Begriff "Bewußtsein". Denn Bewußtsein und Ding sind die beiden allgemeinen Begriffe, unter die das Gegebene überhaupt fällt und sie sind Begriffe, die schlechthin im Gegensatz stehen: was Ding ist, kann nicht Bewußtsein und was Bewußtsein ist, nicht Ding sein; Bewußtsein ist Undingliches. Ob aber alles Undingliche auch Bewußtsein ist? Die Psychologen des "Unbewußten" verneinen das: zwar sei alles Undingliche Seele ("Geist") und andererseits alles Bewußtsein Seele, aber nicht alles Seelische Bewußtsein. Freilich bleiben sie den Beweis für das Letztere schuldig, ja sie vermögen gar nicht einmal dieses unbewußte [1] Seelische, wenn sie gänzlich den Begriff  Bewußtsein dahingestellt  sein und doch die  Undinglichkeit  des Seelischen nicht fahren lassen, zu denken, selbst der allgemeinste Begriff fehlt ihnen; und das ist kein Wunder, denn dieser allgemeinste Begriff könnte nur der willkürlich beiseite gestellte des Bewußtseins sein.

Dem gegenüber behaupten wir: Alles Seelische ist Undingliches und alles Undingliches ist Bewußtsein; wir stützen uns dabei auf die seelischen Tatsachen, auf das unmittelbare Gegebene; aus ihnen ziehen wir das Recht zu der Behauptung: alles Seelische ist Bewußtsein. Die Gegner stimmen darin mit uns überein, daß das  unmittelbar  Gegebene "Seele" in der Tat Bewußtsein sei; sie müssen bei genauer Zergliederung dieses Gegebenen aber auch das Weitere zugestehen, daß dieses Bewußtsein in jedem Augenblick seines Gegebenseins die Einheit der beiden Momente Subjektu und Bestimmtheit ist, denn diese Einheit ist der Inhalt des Begriffs: das "Bewußtsein" oder das unmittelbar Gegebene "Seele".

Was nun an Seelischem erschlossen werden, also  mittelbar  gegeben sein kann, das vermögen wir nur zu erschließen, zu haben und zu begreifen  aufgrund  wenigstens des  allgemeinsten Begriffes,  in dem uns das  unmittelbar  gegebene Seelische klar liegt, also aufgrund des Begriffes "Bewußtsein"; mit anderen Worten: ohne das "mittelbar gegebene Seelische" als Bewußtsein zu denken, können wir dasselbe überhaupt nicht denken.  Schlechthin Neues,  wie es das angeblich mittelbar gegebene Undingliche "Seele ohne Bewußtsein" ja sein müßte, läßt sich  überhaupt nicht durch Schlüsse  gewinnen,  alles  Schließen ist gebannt in die allgemeinen Begriffe des unmittelbar Gegebenen;' nur dieses allein kann schlechthin Neues bieten. Aber daß im unmittelbar Gegebenen nicht "Seele ohne Bewußtsein" zu finden ist, räumen die Verfechter des Unbewußten [1] "Seele" bereitwillig ein, zu den "Tatsachen" des Seelengegebenen gehört es allerdings nicht. Weil es aber nicht dazu gehört, kann derartig Neues auch nicht erschlossen werden und erschließt man in Wahrheit "etwas", so muß dieses etwas, soll es Undingliches sein, als "Bewußtsein" gedacht sein und so hat man eben  nicht  schlechthin Neues, nicht "unbewußtes [1] Undingliches", nicht "Undingliches ohne Bewußtsein".

Freilich wollen die Gegner es nicht wahr haben, daß dieses  "Undingliche ohne Bewußtsein"  gegenüber dem unmittelbar Gegebenen überhaupt ein schlechthin Neues sein müsse; sie deuten das dadurch an, daß sie jenes mit dem  gleichen  Wort benennen, wie das undingliche Bewußtsein, nämlich mit "Seele", sie deuten es ferner an, indem sie die Bestimmtheit ihres "Undinglichen ohne Bewußtsein" mit denselben Worten, wie die des undinglichen Bewußtseins, bezeichnen, nämlich mit  "Vorstellen, Denken usf."  Aber da wir unmittelbar und mittelbar eine Seele  nur  als Bewußtsein und Vorstellen und Denken nur als  Bewußtseinsbestimmtheit kennen können, so  bleibt  die Behauptung, es gebe auch eine Seele "ohne Bewußtsein", es gebe auch Vorstellen, Denken usf., das nicht Bewußtseinsbestimmtheit sei, ein leeres Wort.

Wenn daher, was immer als Undingliches gegeben sein mag, nur als Bewußtsein begriffen sein kann, so können wir weiter gehen und sagen: alles Undingliche des Gegebenen überhaupt ist entweder selber konkretes Bewußtsein oder Moment des konkreten Bewußtseins. Mit dem dinglich Abstrakten teilt das Bewußtseinsabstrakte, sei es abstraktes Individuum des Augenblicks, sei es allgemeines Abstraktes (z. B. Denken, Fühlen), das Schicksal, nur als "Stück" der notwendigen Einheit des konkreten Individuums gegeben und möglich zu sein. Diese Tatsache wird verkannt von einer Richtung in der Psychologie, welche wir wohl als eine Spielart der spinozistischen ansehen dürfen, der  positivistischen.  Sie versteht unter dem unmittelbar Gegebenen "Seele" eine  Zeitreihe  von bloßen Bewußtseinsbestimmtheiten, da sie das Bewußtseinssubjekt als notwendiges Ergänzungsmoment jeden Bewußtseinsaugenblicks ganz außer Acht läßt. Wäre die Seele eine solche zeitlich aneinander hängende Anzahl von verschiedenen Bewußtseinsbestimmtheiten, so hätten wir im Seelengegebenen wohl eine Summe von im Nacheinander auftretenden Abstraktionen vor uns, nicht aber ein aus ihnen bestehendes Konkretes, da das einheitsstiftende Subjektsmoment den einzelnen Augenblicken von "Seele" ja fehlen soll.

Abgesehen davon, daß diese Auffassung dem tatsächlichen Seelenleben Gewalt antut (siehe § 10 und 11), mußt sie auch deshalb abgewiesen werden, weil sie die Psychologie, welche doch die Positivisten betreiben wollen, damit für unmöglich erklärt. Denn die Psychologie als Fachwissenschaft hat es mit Veränderung, also mit Veränderlichem zu tun; sie geht darauf aus, die Gesetze der  seelischen Veränderung  zu begreifen; dazu muß aber selbstverständlich ein  Veränderliches  gegeben sein, d. h. ein  konkretes Individuum, die notwendige Einheit  von abstrakten Individuen des Augenblicks  im Nacheinander;  so ein seelisch Konkretes haben wir auch im tatsächlichen Seelengegebenen aufgezeigt. Eine bloße  Summe  von abstrakten Augenblicken "Bewußtseinsbestimmtheit" bleibt aber, mag sie noch so sehr das zeitliche Aneinander aufweisen, ein Abstraktes, denn  weder der einzelne Augenblick, noch die Summe  verändert  sich.  Der Neumaterialismus, welcher das Seelische "Bewußtseinsbestimmtheit", mit Übergehung des Bewußtseinssubjektes, dem  Gehirn  als seine Bestimmtheit zuschreibt, hat hier einen Ausweg; das  Konkrete,  welches die seelischen  Veränderungen  erfährt, fehlt ihm nicht, es ist das  Gehirn;  er kann daher von seelischen Veränderungen und einem seelisch Veränderlichen (Gehirn) reden und eine Psychologie als Wissenschaft versuchen. Die Positivisten wollen aber nicht Neumaterialisten sein, ihnen ist "Bewußtseinsbestimmtheit" nicht Bestimmtheit des Gehirns, sondern ein  besonderes  undingliches Gegebenes, nicht zum "Dingkreis" Gehöriges: aber aus bloßen Bewußtseinsbestimmtheiten, die ohne das identische Subjektsmoment gegeben sein sollen, kann Konkretes nicht gebildet sein; mag man ihre Summe auch einen "Kreis" nennen, so begründet das Bild "die in sich zurücklaufende Kreislinie" noch keineswegs die  konkrete Bewußtseinseinheit,  welche jene Bewußtseinsbestimmtheiten im Nacheinander (aber mit dem Bewußtseinssubjekt) enthält. Ohne Bewußtseinssubjekt ist der Begriff dieser notwendigen Einheit, welche wir das konkrete Bewußtsein nennen und ohne so ein Konkretes (Veränderliches) ist die Fachwissenschaft Psychologie eben nicht möglich.

Wenn aber die Positivisten dennoch Psychologie treiben, Gesetze der seelischen  Veränderungen  feststellen, so ist die "Logik der Tatsachen", die ihnen trotz ihrer Behauptung das Seelengegebene als undingliches  Konkretes  aufzwingt, eben stärker, als ihr System, welches nur undinglich  Abstraktes  als Seelisches anerkennt.

Unsere Erörterung über das Konkrete überhaupt und das Bewußtsein als Konkretes im Besonderen, unser Nachweis dieses konkreten Bewußtseins als des Seelengegebenen überhaupt hat also, abgesehen vom allgemeinen "philosophischen" Ergebnis, auch die Psychologie als mögliche Fachwissenschaft, welche die  Gesetze  der  Veränderlichkeit  eines Gegebenen oder ein gegebenes  Konkretes  in seiner Gesetzmäßigkeit als diese EInheit erkennen will, erst sicher gestellt.
LITERATUR - Johannes Rehmke, Lehrbuch der Allgemeinen Psychologie, Hamburg und Leipzig 1894