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CARL PICHT
Hypnose, Suggestion und Erziehung
- im Anschluß an Jean Marie Guyau -

"Die neuen Entdeckungen in Bezug auf die Suggestion erscheinen mir in der Tat bedeutsam für die Erziehung; sie gestatten nämlich, de facto festzustellen, daß es möglich ist, in einem Charakter, in jedem Zeitpunkt seiner Entwicklung, immer einen künstlichen Instinkt zu schaffen, der für kürzere oder längere Zeit vorher bestehenden Neigungen das Gleichgewicht halten kann, Die Suggestion, welche künstliche Instinkte schafft, die fähig sind, ererbten Instinkten das Gleichgewicht zu halten, ja sogar sie zu vernichten, stellt eine neue, mit der Vererbung vergleichbare Macht dar; die Erziehung ist nach meiner Ansicht nichts anderes als ein Zusammenwirken von nebeneinander bestehenden und überlegten Suggestionen."

"Eine Mutter, die bei ihrem kranken Kind wacht, schläft infolge starker Übermüdung ein. Dann kann es vorkommen, daß sie selbst für stärkere Sinnesreize unempfänglich bleibt, sofern sie nicht vom Kind verursacht werden. Macht das Kind aber eine Bewegung, oder gibt es einen Laut von sich, so erwacht die Mutter."


Einleitung

Wenn man die Literatur über die pädagogische Bedeutung der Hypnose und Suggestion durchsieht, so findet man immer wieder, daß dem französischen Arzt EDGAR BÉRILLON das Verdienst zuerkannt wird, zuerst auf die moralpädagogische Bedeutung der Hypnose hingewiesen zu haben.

Erwähnung findet zumeist auch der Arzt und Philosoph DURAND, der schon 1860 die Überzeugung aussprach: "Der Braidismus (Hypnotismus) liefert uns die Basis einer intellektuellen und moralischen Orthopädie, welche sicherlich eines Tages feierlich in die Bildungs- und Besserungsanstalten eingeführt werden wird." (1) Spezielle, auf wissenschaftliche Versuche sich stützende Vorschläge scheint DURAND nicht gemacht zu haben. Sein Ausspruch hat daher nur geringe historische Bedeutung.

Auf einem Kongreß in Nancy hielt BÉRILLON im Jahr 1886 einen Vortrag über das Thema "Hypnotismus und Erziehung". Hierin empfahl er die Anwendung der Hypnose zu pädagogischen Zwecken und bemühte sich, die Bedenken zu zerstreuen, die gegen ihre Gefahrlosigkeit erhoben wurden.

Die Annahme, daß er der erste gewesen ist, der  diese  Bedeutung der Hypnose erkannt hat, ist jedoch nicht ganz einwandfrei.

Schon drei Jahre vorher, im Februar 1883, richtete der französische Philosoph JEAN MARIE GUYAU (2) an den Herausgeber der "Revue philosophique" einen Brief, der, wie mir scheint, schon bemerkenswerte positive Vorschläge in Bezug auf die pädagogische Verwendung der Hypnose andeutet. GUYAU stützt sich auf Versuche, die RICHET angestellt hatte.

RICHET suggerierte in der Hypnose einer Dame, sie sei ein General. GUYAU führt nun aus, er hätte die Dame von eine moralische Alternative stellen sollen, sie zwischen zwei Handlungen eine Entscheidung treffen lassen sollen, von denen die eine den fast sicheren Tod bedeuten würde. Dann hätte es sich eventuelle zeigen können, ob die Furchtsamkeit der Frau stärker war als die Suggestionen, die von ihrem vermeintlichen Beruf als General ausgingen. Es erscheint GUYAU sehr wahrscheinlich, daß verschiedene Menschen in der Hypnose eine bestimmte Rolle ganz verschieden spielen werden, je nachdem, welchen Geschlechts sie sind, wie ihre Erziehung und ihre Gewohnheiten waren. RICHET war es gelungen, in der Hypnose Aufträge zu geben, die nachher im normalen Wachzustand ausgeführt wurden, ohne daß die Versuchsperon eine Erinnerung an die Vorgänge während des hypnotischen Schlafes hatte. So erweckte er fehlenden Appetit bei einer Patientin.

GUYAU schlägt vor, diese Versuche zu variieren.

Anstatt jemandem unter Hypnose den Auftrag zu geben, viel zu essen, soll man befehlen, früh aufzustehen, fleißig zu arbeiten. So, glaubt er, könne man dazu kommen, nach und nach  den moralischen Charakter von Personen zu verändern  und die Hypnose könnte eine gewisse Bedeutung in der moralischen Hygiene erlangen. Es erscheint GUYAU wichtig, daß es sich bei diesen posthypnotischen Wirkungen von Suggestionen nicht um die einmalige Ausführung eines Befehls handelt, sondern um eine neue Neigung, um einen unbewußten Antrieb, der, wie er meint, mit natürlichen Instinkten (3) Ähnlichkeit hat. Er folgert weiter, daß man vielleicht durch eine fortgesetzte Reihe von Suggestionen dahin gelangen könnte, den einen oder anderen  natürlichen Instinkt zu vernichten.  Dann müßte man beobachten, ob diese Unterdrückung des Instinkts nach dem Erwachen nicht gewisse Spuren hinterläßt. Zumindest müsse man versuchen, gewissen Manien, wie Größenwahn, hypnotisch-suggestiv aufzuheben.

Auf jeden Fall stellen die Versuche RICHETs für ihn ein neues Mittel dar, mit dem man nachhaltigen Einfluß auf den Willen eines Menschen erlangen kann.

Aus diesem Brief GUYAUs geht hervor, daß er an die Möglichkeit denkt, auf hypnotisch-suggestivem Weg angeborene Instinkte zu vernichten und ebenso neue, förderliche Instinkte, Gewohnheiten, Neigungen usw. einzupflanzen. Er will in der Hypnose den Charakter künstlich ändern und den Willen auf ein bestimmtes Ziel hinlenken; der Gedanke einer moral- bzw. heilpädagogischen Verwertung der Hypnose ist vor BÉRILLONs Rede in GUYAU lebendig geworden.

Dies bezeugt noch ein anderer Umstand:

GUYAU schriebt das Werk "Education et Hérédité" in den Jahren 1880-1888, wie der Herausgeber FOUILLÉE bezeugt. In diesem Buch erörtert er eingehend die Anwendung von Hypnose und Suggestion in der Erziehung. Einzelne Stellen des besprochenen Briefes zeigen eine wörtliche Übereinstimmung mit solchen in "Education et Hérédité". Man darf also wohl als ziemlich sicher annehmen, daß GUYAU schon zur Zeit der Abfassung des Briefes (1883) mit der Niederschrift der betreffenden Kapitel beschäftigt war. -

Im Vorwort zu seinem Werk "Education et Hérédité" entwickelt GUYAU seine Erziehungsziele.

Die Erziehung soll
    1. "bei einem menschlichen Individuum harmonisch alle die Fähigkeiten entwickeln, die der menschlichen Art eigentümlich und, nach ihrer relativen Bedeutung, für sie nützlich sind;

    2. im einzelnen beim Individuum die Fähigkeiten entwickeln, die es im besonderen Maß zu besitzen scheint, und zwar in dem Maße, in dem sie dem allgemeinen Gleichgewicht (4) des Organismus nicht schaden können;

    3. Instinkte und Neigungen hemmen und ausrotten, bei denen zu fürchten ist, daß sie dieses Gleichgewicht stören."
Als wertvollstes Hilfsmittel zur Erreichung dieser Ziele erscheint GUYAU die Suggestion:
    "Die neuen Entdeckungen in Bezug auf die Suggestion erscheinen mir in der Tat bedeutsam für die Erziehung; sie gestatten nämlich, de facto festzustellen, daß es möglich ist, in einem Charakter, in jedem Zeitpunkt seiner Entwicklung, immer einen künstlichen Instinkt zu schaffen, der für kürzere oder längere Zeit vorher bestehenden Neigungen das Gleichgewicht halten kann ... Die Suggestion, welche künstliche Instinkte schafft, die fähig sind, ererbten Instinkten das Gleichgewicht zu halten, ja sogar sie zu vernichten, stellt eine neue, mit der Vererbung vergleichbare Macht dar; die Erziehung ist nach meiner Ansicht nichts anderes als ein Zusammenwirken von nebeneinander bestehenden und überlegten Suggestionen." (5)
Mit diesem Vorwort spricht GUYAU schon deutlich aus, welche Bedeutung er der Suggestion innerhalb und außerhalb der Hypnose beilegt. Seine Ansichten darzulegen und zu untersuchen, ist die Aufgabe des folgenden.

Auffallend ist es, daß die deutschen Autoren, die über die pädagogische Bedeutung von Hypnose und Suggestion schreiben, GUYAU bisher niemals erwähnt haben.



I. Kapitel
Zur Geschichte der Hypnose
und ihrer Erforschung

Den Kernpunkt von GUYAUs Erziehungslehre bildet die Forderung, durch hypnotische und Wachsuggestion einen wirksamen Einfluß bei der Erziehung auszuüben.

Bevor wir diese Forderung eingehender betrachten, erscheint es angebracht, einleitend einiges über das Wesen der Hypnose und der Suggestion zu bemerken. Für unsere Zwecke ist eine Erörterung dieser Begriffe unumgänglich. Denn es handelt sich bei diesen Dingen durchaus nicht um feststehende Ansichten, welche die Psychologie und Psychiatrie über die einschlägigen Erscheinungen gewonnen hätten, sondern die Meinungen der Fachvertreter gehen noch sehr auseinander.

Der Zustand, den man heute Hypnose nennt, ist nicht erst durch die wissenschaftlichen Forschungen der Neuzeit bekannt geworden, sondern schon den ältesten Kulturvölkern waren ähnliche Erscheinungen vertraut. So war z. B. der Tempelschlaf der alten Ägypter wohl nichts anderes als ein hypnotischer Zustand. Die Priester, in deren Händen die Ausübung der medizinischen Kunst ruhte, hatten das Amt, diesen schlafartigen Zustand herbeizuführen. Die bestimmten Manipulationen, welche vorhergingen, wie Fasten, Bäder, usw., könnten wir heute als vorbereitende Suggestionen bezeichnen. Sie wirkten dahin, das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Priester zu erhöhen. Im eigentlichen Tempelschlaf gaben die Patienten selbst die Mittel an, durch die sie genesen konnten.

Die berühmten Orakel der Griechen zu Epidaurus und Pergamus dienten zu Heilzwecken. Auch hier vernahmen die Kranken die göttlichen Aussprüche im Schlaf. Ebenso handelt es sich beim Orakel zu Delphie offenbar um einen hypnose-ähnlichen Zustand, in dem die Prophezeiungen gegeben wurden.

Die Fakire ind Indien versetzen sich durch Autosuggestion in einen Zustand, der vielfach die Symptome einer Hypnose aufweist:

Gleichartigen Erscheinungen begegnen wir im christlichen Mittelalter bei gewissen Mönchen, welche im 14. Jahrhundert auf dem Berg Athos lebten und sich durch ein unverwandtes Anstarren ihres Nabels in einen hypnotischen Zustand versetzten. Diese Tätigkeit trug ihnen den Namen  Omphalopsychiker  ein.

Auch die Ansichten über den Einfluß der Gestirne auf die Menschheit blieben nicht ohne Bedeutung für unsere Probleme. In der Astrologie wurzelt die Lehre vom sogenannten  "tierischen Magnetismus".  An dieser Stelle haben wir THEOPHRASTUS BOMBASTUS PARACELSUS (1530) zu nennen. Er war der Vorläufer von FRIEDRICH MESMER, den wir als den Vater der Lehre vom tierischen Magnetismus bezeichnen können. Er fand, daß viele Körper, insbesondere auch Wasser, Tiere und Menschen "magnetisch" gemacht werden können und dann einen heilenden Einfluß auf gewisse Krankheiten auszuüben vermögen. Er nahm an, daß ein magnetisches Fluidum von einem Körper zum anderen überströmt.

Diese Lehre, die er im Jahr 1775 veröffentlichte, fand in seiner Vaterstadt Wien gar keinen, in Paris aber, wohin MESMER sich wandte, großen Anhang. Einer seiner bekanntesten Nachfolger ist der Marquis von PUYSÉGUR; er entdeckte den Zustand des Somnambulismus, der mit manchen Erscheinungen bei der Hypnose vielleicht identisch ist.

Einer langen Pause in der Reihe der Entdeckungen auf diesem Gebiet folgte dann eine klassische Leistung. 1814 erkärte der Abbé FARIA in Paris, daß es kein magnetisches Fluidum gibt, sondern daß der ganze Erfolg bei der Hypnose auf den Willen der Versuchsperson zurückzuführen ist. Dieser Gedanke inauguriert [ins Leben rufen - wp] eine neue Ära in der ganzen Disziplin. Man kann FARIAs Auffassung auch heute noch als grundlegend für alle Erscheinungen der Hypnose und Suggestion betrachten.

Trotz der merkwürdigen Entdeckung bewahrte die Wissenschaft eine stete Zurückhaltung auf diesem Gebiet. Ein Grund hierfür lag darin, daß allerhand Kurpfuscher, Scharlatane, Quacksalber und Wundertäter den Hypnotismus in außerordentlicher Weise ausbeuteten und ihn dadurch in der öffentlichen Meinung in einen völligen Mißkredit brachten.

JAMES BRAID, ein englischer Arzt, stellte 1840 fest, daß die Fesselung der Aufmerksamkeit, welche durch das Fixieren eines glänzenden Punktes erzielt wird, die nächste Ursache des hypnotischen Zustandes ist. Er war der erste, der wissenschaftlich die Erhöhung der Beeinflußbarkeit in der Hypnose eingehender untersuchte. Indessen war auch er noch nicht ganz auf dem richtigen Weg. Er betonte zu sehr den physischen Reiz, der bei der Fixation vorliegt, während schon FARIA richtiger die psychische Seite ganz in den Vordergrund geschoben hatte. Immerhin darf BRAID wohl als der erste moderne Forscher auf dem Gebiet der Hypnose bezeichnet werden.

Aber seine Resultate wurden weit übertroffen durch die Entdeckungen der  Nancy-Schule.  An erster Stelle muß hier LIÉBEAULT genannt werden. Was FARIA behauptet hatte, bewies er, nämlich daß die Suggestion, d. h. die psychische Beeinflussung von Seiten des Hypnotiseurs und der daraus resultierende Glaube, die "Annahme" der Suggestion, das Wesentliche sind, von dem das Zustandekommen der Hypnose abhängt. Die verbale Suggestion gilt ihm aus ausreichend zur Erreichung dieses Ziels.

Die Erklärung schien zu einfach, als daß sie sogleich einen rechten Anklang gefunden hätte. Erst durch HYPPOLITE BERNHEIM, der mit LIÉBEAULT zusammen arbeitete, erlangten die Forschungen der Nancy-Schule ihren Weltruf.

Damit war der Bann gebrochen, und in allen Ländern begann man, sich wissenschaftlich mit der Hypnose zu beschäftigen.

CHARCOT, der die Hypnose in der Salpêtriére zu Paris ausschließlich an Hysterischen anwandte, glaubte, daß der Eintritt der Erscheinungen von dieser nervösen Krankheit abhängig ist. Im Folgenden bleibt darzulegen, daß die Hypnose weder von einer Krankheit abhängt, noch selbst eine solche ist.

Eine stattliche Reihe von Ärzten und Psychologen folgte der Nancy-Schule. In Frankreich wären VOISIN und BÉRILLON zu erwähnen, in Belgien DELBOEUF, in Holland van EEDEN, de JONG, in Dänemark, Schweden und Norwegen JOHANESSEN, SELL, FRÄNKEL, CARLSEN, SCHLEISNER, VELANDER und vor allem WETTERSTRAND, in England HACK-TUCKE und LLOYD-TUCKEY. In der Schweiz wurde der Hypnotismus besonders durch FOREL bekannt. In Deutschland und Österreich erwachte ziemlich spät das wissenschaftliche Interesse für die Hypnose. Verdienste erwarben sich neben vielen anderen WEINHOLD, PREYER, EULENBURG, MOLL, SPERLING, HIRSCH, von SCHRENCK-NOTZING, DESSOIR, von KRAFFT-EBING und FREUD.


II. Kapitel
Über das Wesen der Hypnose
und verwandter Zustände

Wir sahen, wie man allmählich dazu kam, die Hypnose als einen wesentlich psychischen Zustand zu erkennen. Wenn wir nunmehr zu einer genaueren Darlegung des Wesens der Hypnose übergehen, so erhebt sich an erster Stelle die Frage, ob wir es mit Krankheitserscheinungen zu tun haben oder mit ansich normalen seelischen Vorgängen, deren Eintritt aber von bestimmten, vielleicht seltenen Bedingungen abhängig ist.

Wie schon erwähnt war CHARCOT einer der Hauptvertreter der Ansicht, daß die Hypnose nur bei Hysterischen zu erzielen sei bzw. bei solchen Personen, in denen sich hysterische Elemente,  tares hystériques,  vorfinden. Von vornherein erscheint jedoch die ganze Untersuchungsmethode CHARCOTs einseitig. Indem er die Erscheinungen der Hypnose bei Hysterischen feststellte und planmäßig hervorrief, ohne aber diese Versuche in gleichem Maß auch bei geistig normalen Menschen anzustellen, bildete sich bei ihm und seinen Anhängern die Vorstellung, daß die Hypnose wesentlich durch hysterische Krankheitselemente bedingt sei. Den Erfolgen LIÉBEAULTs, BERNHEIMs und anderer bei geistig gesunden Menschen begegnete man dann damit, daß man bei den Versuchspersonen hysterische Elemente vermutete. Indessen wurden die Zahlen, die man gegen CHARCOT ins Feld führen konnte, auf die Dauer erdrückend. FOREL gibt an, daß 9ß-96% aller Menschen hypnotisierbar sind. LIÉBEAULT, BERNHEIM und MOLL nennen ähnlich hohe Zahlen. Wollte man aber 90-96% aller Menschen als hysterisch bezeichnen, so müßte man den Zustand der Hysterie schon als Normalzustand ansehen, wozu denn doch kein Anlaß vorliegt.

THEODOR MEYNERT, einer der Hauptwidersacher des Hypnotismus, nennt die Hypnose einen "experimentell erzeugten Blödsinn". FOREL sagt hierzu (6):
    "Würde er  (Meynert)  sagen,  Wahnsinn so wäre es eher noch plausibel. Seine Ansicht stützt sich offenbar darauf, daß man bei Hypnotisierten viele Erscheinungen (Halluzinationen, falschen Glauben, Erinnerungsfälschungen usw.) erzeugen kann, die bei Geisteskranken auch beobachtet werden, und bei oberflächlicher Betrachtung, wenn man selbst keine Erfahrung mit der Suggestion auf einer und mit den Geisteskranken auf der anderen Seite besitzt, kann man leicht durch diese Analogie verführt werden. Man vergißt aber dabei folgende Punkte:

      1. Alle diese angeblichen Symptome von Geistesstörung kommen auch im normalen Schlaf, obwohl zum Teil weniger ausgebildet, vor. Der Schlaf ist aber keine Geisteskrankheit.

      2. Bei Hypnotisierten zeigen die erzeugten Symptome keine Tendenz, sich im Wachzustand zu wiederholen, vorausgesetzt, daß der Operateur seine Sache versteht und nicht geradezu durch Suggestionen absichtlich dahin arbeitet, störende Symptome zu züchten und zu fixieren.


    Wir stehen hier vor einer ernsten Frage.  Liébeault, Bernheim, Wetterstrand, van Eeden, van Renterghem, de Jong, Moll,  ich selbst und die anderen Schüler Nancys, wir erklären kategorisch, daß wir, gestützt auf ein Material von vielen tausend hypnotisierten Personen, nie einen Fall von ernster oder dauernder Schädigung der geistigen oder körperlichen Gesundheit durch die Hypnose, dagegen sehr viele Heilungen und Besserungen von Krankheiten bei den von uns behandelten Personen beobachtet haben."
Mit FOREL dürfen wir annehmen,
    1. daß die Hypnose weder eine Nerven- oder Geisteskrankheit ist, noch auch durch eine solche bedingt wird,

    2. daß bei richtiger und geschickter Anwendung die Hypnose ungefährlich ist.
Diese zweite Feststellung, die das Ergebnis umfangreicher Erfahrungen darstellt, ist überaus bedeutsam für unser ganzes Problem. Denn es versteht sich von selbst, daß die Gefahrlosigkeit der Hypnose eine grundlegende Bedingung für ihre eventuelle Anwendung bei der Erziehung ist.

Wenn nun die Hypnose weder durch eine Nerven- und Geisteskrankheit bedingt wird, noch auch selbst eine solche darstellt, so haben wir sie unter diejenigen seelischen Erscheinungen zu rechnen, die bei jedem geistig gesunden Menschen eintreten können. Nach dieser Abwehr einer falschen Auffassung erhebt sich von Neuem die Frage:

Was ist die Hypnose in einem psychologischen Sinn?

Es ist ein naheliegender und verlockender Gedanke, die Hypnose mit dem Schlaf zu identifizieren oder doch wenigstens damit zu vergleichen. Schon die Bezeichnung ist von  hypnos = Schlaf  hergenommen. Um zu entscheiden, ob die Hypnose dem normalen Schlaf gleich oder ähnlich, oder aber von diesem wesentlich verschieden ist, müssen wir Entstehung und Symptome von Schlaf und Hypnose einer vergleichenden Prüfung unterziehen. Lassen wir zunächst einige Hauptvertreter der Hypnoseforschung über diesen Punkt zu Wort kommen.

BERNHEIM ist der Ansicht (7), daß der Schlaf aus einer bewußten oder unbewußten Suggestion  hervorgeht.  Derjenige, welcher sich selbst sagt, daß er schlafen wird, oder dem man es einredet, so daß in beiden Fällen das Bewußtsein unverrückt auf die Vorstellung des Schlafens eingestellt ist, erfährt an sich allmählich alle Symptome des Schlafes, eine Schwere der Lider, ein Verschwimmen des Gesichtsfeldes, eine Unempfindlichkeit des Körpers; er entzieht sich den äußeren Reizen, schließt die Augen usw. und schläft ein. Die verschiedenen Methoden des Hypnotisierens wirken allesamt mittels der Suggestion. Das Anstarren eines glänzenden Gegenstandes bei starker Konvergenz der Augenachsen erzeugt eine Schwere und Ermüdung derselben, welche an den Schlaf erinnert; der Verschluß der Lider durch den Hypnotiseur ist eine direkte Aufforderung zum Schlafen. BERNHEIM ist also der Meinung, daß durch Konzentration der Aufmerksamkeit auf die Vorstellung des Schlafes sowohl dieser wie auch die Hypnose autosuggestiv eintritt. Die verschiedenen Mittel (Anstarren usw.) dienen nur dazu, die Aufmerksamkeit zu fesseln und die Vorstellung des Schlafes einzugeben und zu fixieren. BERNHEIM steht damit völlig auf dem Standpunkt LIÉBEAULTs, nach welchem der Schlaf dadurch eintritt, daß die Aufmerksamkeit auf den "Begriff" des Schlafes verdichtet ist (8).

Die gleiche Anschauung, daß der Schlaf ebenso wie die Hypnose die Folge einer Suggestioin ist, vertritt FOREL:
    "Die Gewohnheit, zu einer bestimmten Zeit einzuschlafen, ruft eine gewaltige Schläfrigkeit zu der betreffenden Zeit täglich hervor. Auch ein bestimmter Ort, die Stimme einer bestimmten Person, das Liegen in einem Lehnstuhl ... vor allem noch der Lidschluß sind sehr gewöhnliche, schlaferzeugende Mittel. All das sind Autosuggestionen, durch die der Schlaf erzeugt wird. Das Erwachen, das Umgekehrte des Einschlafens, zeigt ganz dieselben suggestiven Erscheinungen wie das Einschlafen. Man erwacht gewöhnlich durch Assoziation zu einer gewissen, gewohnten Stunde. Eigentümlich ist die Fähigkeit gewisser Menschen, zur bestimmten, beabsichtigten Zeit zu erwachen." (9)
Zunächst erscheint es als ein etwas unsicheres Verfahren, aus der Gleichartigkeit der auslösenden Ursachen auf die Gleichheit der Zustände zu schließen. MOLL sagt mit Recht:
    "Es ist auch gelegentlich die Gleichartigkeit der Mittel, die den Schlaf und derer, die Hypnose herbeiführen, betont worden, um dadurch die Identität beider zu beweisen. Indessen ist hier doch einige Kritik nötig. Monotone Reize, so sagt man, führen Hypnose herbei und ebenso den Schlaf ... Niemals aber darf man aus der Identität der Ursachen einen Schluß auf die Identität der Zustände ziehen. Es ist nötig, die Identität der Symptome zu prüfen." (10)
Die Theorie des Schlafes, die BERNHEIM, LIÉBEAULT und FOREL vertreten, erscheint uns unbefriedigend begründet und auch ansich verfehlt. Gewiß kommt die Hypnose dadurch zustand, daß die Aufmerksamkeit auf den Gedanken zu schlafen hingewendet wird. Diese eine Vorstellung nimmt das Bewußtsein in hohem Maß in Anspruch und drängt andere ganz zurück. Wir haben es mit einer höchsten Konzentration der Aufmerksamkeit zu tun. Ein Zuschauer, der "wie gebannt" den Vorgängen eines sehr erregenden Dramas folgt und dabei nicht sieht, noch hört, was sonst in seiner Umgebung geschieht, befindet sich in einem der Hypnose nicht unähnlichen Zustand. Seine Aufmerksamkeit ist in so hohem Maß abgelenkt, daß die zu den peripheren Nervenenden gelangenden Sinnesreize in den Zentralteilen des Nervensystems nicht zur Grundlage von bewußten, bzw. bemerkten Wahrnehmungsvorstellungen werden können. Die Aufmerksamkeit ist, nach einer bei Psychologen und Psychiatern verbreiteten Hypothese ihrem Wesen nach ein Hemmungsprozeß oder bringt doch zumindest Hemmungen mit sich.

Die Symptome einer solchen Hypnose analogen Zustände finden wir in spezieller ausgeprägtester Form bei der Hypnose selbst. Hier handelt es sich in der Tat darum, wie LIÉBEAULT richtig hervorhob, die Aufmerksamkeit ganz auf die Vorstellung des Schlafes zu  "verdichten".  Daher legen die Vertreter der Nancy-Schule auch den Hauptwert darauf, der Versuchsperson zu suggerieren: "Sie werden jetzt, sobald Sie sich in diesen Stuhl setzen, eine große Mattigkeit in allen Gliedern verspüren, Arme und Beine hängen schlaff herab, die Augenlider werden immer schwerer und sind schließlich nicht mehr zu öffnen usw." Wird diese Suggestion angenommen, so tritt die Hypnose sehr schnell ein. Die  Vorstellung  dieser dem echten Schlaf vorangehenden Symptome muß in den sinnlich lebhaften Eindruck übergehen, daß gewisse äußere Tatsachen ihr entsprechen. Diese äußeren Tatsachen, eine Schwere der Glieder usw. in unserem Fall, sind zunächst nur vorgestellt bzw. erwartet. Wenn diese Vorstellung bzw. Erwartung zur völligen Herrschaft im Bewußtsein gelangt, so werden jene vorgestellten Tatsachen real. Wir gelangen hier zum Fundamentalgesetz der Suggestion:
    "Ein vom Menschen in seinem Organismus erwarteter psychologischer oder physiologischer Effekt hat die Neigung einzutreten." (11)
Wir werden noch sehen, zu welchen Konsequenzen uns dieses Gesetz führt.-

Nun ist zu fragen, ob der Eintritt eines normalen Schlafes auf gleiche Weise vor sich geht. Entsteht auch er, wie LIÉBEAULT meint, dadurch, daß wir unsere Aufmerksamkeit immer mehr auf die "Vorstellung des Schlafes verdichten"? Mir scheint: Seine Ursachen sind ganz andere, entgegengesetzte. Die Aufmerksamkeit wird nicht immer mehr gefesselt, immer mehr konzentriert auf die Vorstellung des Schlafes, sie nimmt im Gegenteil immer mehr ab. Zum besseren Verständnis wollen wir uns zunächst vergegenwärtigen, daß die Aufmerksamkeit am Tag auf äußere und innere Erlebnisse, auf Sinneswahrnehmungen, Erinnerungen, Gedanken usw. verteilt ist. Es herrscht jedoch im gewöhnlichen Wachzustand keine völlig  gleichmäßige  Verteilung, sondern irgendein psychischer Vorgang, sei es auch der trivialste, nimmt die Aufmerksamkeit in besonderem Maß in Anspruch. Dabei geht ein stetes Hin- und Her-, Auf- und Abfluten der Aufmerksamkeit vor sich; nacheinander wird sie von den verschiedenen Bewußtseinsinhalten gefesselt. Ob man sich den Gipfel des Bewußtseins mehrgliedrig oder einfach vorzustellen hat; ob also gleichzeitig mehrere Vorstellungen unsere Aufmerksamkeit fesseln können, oder nur eine einzie, ist hier zunächst nicht entscheidend. Es genügt festzuhalten, daß die Aufmerksamkeit im Wachzustand sich gewissen Bewußtseinstatsachen im besonderen Maß zuwendet, ohne daß aber dadurch andere Bewußtseinsvorgänge völlig ausgeschaltet werden. So kann z. B. jemand in die Lektüre eines Buches vertieft sein und doch gleichzeitig die auf ihn eindringenden Schall- und Lichtreize bewußt, wenn auch ohne Lebhaftigkeit und nur unklar und undeutlich erleben. Wird die Konzentration auf den gedanklichen Inhalt des Gelesenen stärker und stärker, so vermindert sich in steigendem Maß die Aufnahmefähigkeit für äußere Reize, und ein der Hypnose einigermaßen verwandter Zustand tritt ein. Je mehr die Aufmerksamkeit von  einem  Vorstellungsinhalt in Anspruch genommen wird, desto weniger bleibt für alle anderen psychischen Vorgänge übrig. (12)

In der Aufmerksamkeitsfunktion, die am Tag stets auf irgendeinen Vorgang sich mehr oder weniger konzentriert, tritt beim Zustandekommen des gewöhnlichen Schlafes eine wesentliche Änderung ein. Die Konzentration der Aufmerksamkeit nimmt mehr und mehr ab. Das ganze Bewußtseinsniveau sinkt umso mehr, je weniger sich die psychischen Vorgänge mit Aufmerksamkeitskonzentration in uns vollziehen. Mit dem Fortfall der Aufmerksamkeitskonzentration verschwindet schließlich auch das Bewußtsein; man schläft ein. Man sagt, daß man, um den Schlaf herbeizuführen, seine Aufmerksamkeit stark einseitig konzentrieren muß. So denkt jemand, der nicht einschlafen kann, unausgesetzt daran, daß er einschlafen will, oder er stellt sich das Wort  Schlaf  visuell oder akustisch vor. Er sagt die Zahlen von eins bis zehn dauernd vorwärts und rückwärs her usw. Ohne Zweifel liegt hier eine einseitige Fesselung der Aufmerksamkeit vor, aber alle diese Mittel werden doch nur gebraucht, um die durch andere seelische Erlebnisse stark in Anspruch genommene Aufmerksamkeit abzulenken und damit abzuschwächen. Ebenso gut, wie man die Vorstellung des Schlafes festhalten kann, um diesen herbeizuführen, kann man seine Aufmerksamkeit auf irgendeine andere Vorstellung konzentrieren. Man kann sich auch bemühen, an nichts zu denken, und man erreicht den Schlaf ebensogut oder ebenso schlecht. Der Zweck all dieser Mittel ist nicht die Konzentration der Aufmerksamkeit auf die Vorstellung des Schlafes, sondern die Ablenkung von stärkeren seelischen Erlebnissen. Gelingt es, die Aufmerksamkeit auf diese Weise abzulenken, so tritt der Schlaf auf die gleiche Weise ein, wie er gewöhnlich zustande kommt. Wenn nämlich keine Vorstellungen mit besonderer Aufmerksamkeit erlebt werden, so liegt eine dauernde Senkung des Bewußtseinsniveaus vor, die leicht zur Bewußtlosigkeit führt. Wir sahen, daß bei der Hypnose eine starke  einseitige  Konzentration erforderlich ist. Beim Schlaf laufen die künstlichen Mittel darauf hinaus, die Aufmerksamkeit von bestimmten, stärker fesselnden Erlebnissen abzulenken, so daß erstere, an sich wenig fesselnden Vorstellungen zugewandt, mehr und mehr nachläßt und schließlich mit dem Bewußtsein verschwindet.

Daß der Eintritt von Schlaf und Hypnose von ganz verschiedenen Umständen abhängt, beweist u. a. die Erfahrung, daß sehr junge Kinder leicht schlafen, aber sehr schwer zu hypnotisieren sind. Wenn man auch mit Berechtigung sagen kann, daß der leicht eintretende Schlaf der Kinder einfach von physiologischen Erfordernissen des Organismus bedingt wird, so ist es andererseits doch auch richtig, daß bei einer künstlichen Erzeugung beider Zustände die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit zu konzentrieren, mitspricht. Kinder können nicht leicht ihrer Aufmerksamkeit eine bestimmte, unveränderliche Richtung geben. Infolgedessen tritt die Hypnose, welche eine solche starke, dauernde Konzentration erfordert, nur sehr schwer ein; der Schlaf aber, zu dem eine Ablenkung und Abschwächung der Aufmerksamkeit erforderlich ist, ergibt sich leicht.

Nunmehr bleiben die  Symptome  von Schlaf und Hypnose zu vergleichen. Im tiefen, traumlosen Schlaf scheint kein Bewußtsein mehr vorhanden zu sein. Von Aufmerksamkeit kann man nicht wohl reden, wenn das Bewußtsein fehlt. Je mehr der Organismus die während des Wachzustandes sich ergebenden stofflichen Veränderungen ausgleicht, desto aufnahmefähiger werden die Sinne wieder für äußere Reize. Werden Sinnesnerven genügend stark gereizt, so können diese Reize in den Wahrnehmungszentren derart aufgenommen und verarbeitet werden, daß Vorstellungserlebnisse resultieren. So entstehen Träume und es kann dann von einer völligen Bewußtlosigkeit nicht mehr die Rede sein. Hinreichend starke Sinnesreize führen zum Erwachen.

Vergleichen wir mit diesen Symptomen die der Hypnose, so finden wir wesentliche Unterschiede. Völlige Bewußtlosigkeit ist in der Hypnose nicht vorhanden. Dies ist nur im Schlaf und vielleicht in der Narkose der Fall. Wird jemand durch die Suggestion des Schlafes in Hypnose versetzt, so bleibt er dauernd mit dem Hypnotiseur in Verbindung oder Rapport. Ist die Hypnose sehr tief, so kann man es durch geeignete Suggestionen dahin bringen, daß der Hypnotisierte nur für das empfänglich ist, was vom Hypnotiseur ausgeht. Redet ein anderer den Hypnotiker an, so bleibt das ohne Wirkung. Man spricht dann von einem Isolierrapport. Das Bewußtsein fehlt also in der Hypnose nicht völlig, die Aufmerksamkeit bleibt auf ganz bestimmte Vorgänge konzentriert.

Das Verständnis des hypnotischen Zustandes wird erleichtert, wenn man die Erscheinung des partiellen Schlafes betrachtet. Eine Mutter, die bei ihrem kranken Kind wacht, schläft infolge starker Übermüdung ein. Dann kann es vorkommen, daß sie selbst für stärkere Sinnesreize unempfänglich bleibt, sofern sie nicht vom Kind verursacht werden. Macht das Kind aber eine Bewegung, oder gibt es einen Laut von sich, so erwacht die Mutter.

LEHMANN erwähnt ein eigenes Erlebnis: zum Zweck des Experiments hatte er 500 mg reines Koffein eingenommen und lag infolge dieser Vergiftung eine ganze Nacht hindurch in einem eigentümlichen Halbschlaf. Am Morgen hatte er völlig ausgeschlafen, die ganze Nacht hindurch aber hatte er alle Geräusche gehört, so das viertelstündige Schlagen einer Kirchenuhr und den Lärm einer verkehrsreichen Straße. (13)

Im zuletzt zitierten Beispiel war offenbar der Gehörsinn wach, im ersten Fall aber befand sich die Mutter in einem wirklichen Schlaf. Dieser Schlaf aber ist deshalb verschieden vom gewöhnlichen, weil er unter ganz bestimmten Bedingungen zustande kam. Die Mutter schlief ein, während ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Kind konzentriert war. In Bezug auf alle Sinnesreize, die vom Gegenstand dieser Aufmerksamkeit, dem Kind, ausgehen, bleiben die seelischen Funktionen in voller Bereitschaft, während sie im übrigen ruhen.

So "schläft" ja auch der Hypnotisierte wirklich ein, aber ebenfalls unter anormalen Bedingungen. Auch seine Aufmerksamkeit bleibt für alles, was der Hypnotist tut und sagt, in Bereitschaft. Der wesentliche Unterschied zwischen Schlaf und Hypnose besteht also im Rapport. Beim Schlaf ist, abgesehen von den Träumen, kein Bewußtsein vorhanden, und mit dem letzteren fehlt auch die Aufmerksamkeit. Bei der Hypnose finden wir ein teilweises Bewußtsein, die Aufmerksamkeit ist auf den Hypnotiseur und das, was von ihm ausgeht, gerichtet. Es ist also nicht beweisend, wenn man, um die Identität von Schlaf und Hypnose darzutun, sagt, auch mit einem Schlafenden könne man sich in einen Rapport versetzen. Sobald man einen Schlafenden zum teilweisen Erwachen bringt und seine Aufmerksamkeit erregt, führt man den Schlaf in einen hypnoseartigen Zustand über. Nach Herstellung eines Rapports kann man nicht mehr von einem Schlaf im gewöhnlichen Sinn reden. Umgekehrt kann eine Hypnose in Schlaf übergehen, wenn der Rapport vernachlässigt wird und verloren geht.

Auf die Erscheinung des Somnambulismus können wir hier nicht weiter eingehen. Es handelt sich bei diesem Phänomen um einen anormalen Schlafzustand mit einer Erregung der motorischen Gebiete der Hirnrinde. Mit der Hypnose ist der Somnambulismus nicht schlechthin zu identifizieren, obwohl hier ähnliche Beziehungen bestehen, wie zwischen Hypnose und Schlaf. Das Unterscheidende liegt auch hier im Rapport.

LITERATUR - Carl Picht, Hypnose, Suggestion und Erziehung, Leipzig 1913
    Anmerkungen
    1) zitiert nach WALTHER ROSE, Die hypnotische Erziehung der Kinder, Berlin 1898
    2) JEAN MARIE GUYAU, geboren am 28. Oktober 1854 in Laval Mayenne, gestorben am 31. März 1888 in Mentone (Riviera). Seine Mutter war die Schriftstellerin AUGUSTINE TUILLERIE [Pseudonym: G. Bruno], sein Stiefvater der Philosoph ALFRED FOUILLÉE.
    3) Über den Begriff "Instinkt" bei GUYAU siehe weiter unten Kapitel III.
    4)  Gleichgewicht  im Sinne von  Gesundheit. 
    5) GUYAU, "Education et Hérédité", Vorwort, Seite XV.
    6) AUGUST FOREL, Der Hypnotismus, Stuttgart 1895, Seite 131.
    7) HYPPOLITE BERNHEIM, Die Suggestion, Seite 127/28
    8) MAX HIRSCH, Suggestion und Hypnose, Leipzig 1893, Seite 28
    9) FOREL, a. a. O., Seite 49 und 52
    10) ALBERT MOLL, Der Hypnotismus, Berlin 1890, Seite 162/63
    11) HIRSCH, a. a. O., Seite 19
    12) siehe HIRSCH, a. a. O., Seite 20f
    13) ALFRED LEHMANN, Die Hypnose, Leipzig 1890