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IMMANUEL KANT
Verkündigung des nahen Abschlusses
eines Traktats zum ewigen Frieden
in der Philosophie


    "Auf ewig ist der Krieg vermieden,
    Befolgt man, was der Weise spricht;
    Dann halten alle Menschen Frieden,
    Allein die Philosophen nicht."

    blindfish- Abraham Gotthelf Kästner
Erster Abschnitt
Frohe Aussicht zum nahen ewigen Frieden

Von der untersten Stufe der lebenden Natur des
Menschen bis zu seiner höchsten, der Philosophie.

CHRYSIPP sagt in seiner stoischen Kraftsprache (1): "Die Natur hat dem Schwein statt Salz eine Seele beigegeben, damit es nicht verfaule." Das ist nun die unterste Stufe der Natur des Menschen vor aller Kultur, nämlich der bloß tierische Instinkt. - Es ist aber, als ob der Philosoph hier einen Wahrsagerblick in die physiologischen Systeme unserer Zeit geworfen hat; nur daß man jetzt, statt des Wortes Seele, das der Lebenskraft zu brauchen beliebt hat (woran man auch Recht tut: weil von einer Wirkung gar wohl auf eine Kraft, die sie hervorbringt, aber nicht sofort auf eine besonders zu dieser Art Wirkung geeignete Substanz geschlossen werden kann), das Leben aber in der Einwirkung reizender Kräfte (dem Lebensreiz) und dem Vermögen auf reizende Kräfte zurückzuwirken (dem Lebensvermögen) setzt, und denjenigen Menschen gesund nennt, in welchem ein proportionaler Reiz weder eine übermäßige noch eine gar zu geringe Wirkung hervorbringt: indem widrigenfalls die animalische Operation der Natur in eine chemische übergehen wird, welche Fäulnis zur Folge hat, so daß, nicht (wie man sonst glaubte) die Fäulnis aus und nach dem Tod, sondern der Tod aus der vorhergehenden Fäulnis erfolgen muß. - Hier wird nun die Natur im Menschen noch vor seiner Menschheit, also in ihrer Allgemeinheit, so wie sie im Tier tätig ist, um nur Kräfte zu entwickeln, die nachher der Mensch nach Freiheitsgesetzen anwenden kann, vorgestellt; diese Tätigkeit aber und ihre Erregung ist nicht praktisch, sondern nur noch mechanisch.


A. Von den physischen Ursachen
der Philosophie des Menschen

Abgesehen von der den Menschen vor allen anderen Tieren auszeichnenden Eigenschaft des Selbstbewußtseins, welcher wegen er ein vernünftiges Tier ist (dem auch, wegen der Einheit des Bewußtseins, nur eine Seele beigelegt werden kann); so wird der Hang: sich dieses Vermögens zum Vernünfteln zu bedienen, nachgerade methodisch und zwar bloß durch Begriffe, zu vernünfteln, d. h. zu philosophieren; darauf sich auch polemisch mit seiner Philosophie an Anderen zu reiben, d. h. zu disputieren, und weil das nicht leicht ohne Affekt geschieht, zugunsten seiner Philosophie zu zanken, zuletzt in Masse gegeneinander (Schule gegen Schule wie Heer gegen Heer) vereinigt offenen Krieg zu führen; - dieser Hang, sage ich, oder vielmehr Drang, wird als eine von den wohltätigen und weisen Veranstaltungen der Natur angesehen werden müssen, wodurch sie das große Unglück lebendigen Leibes zu verfaulen, von den Menschen abzwenden sucht.

Von der physischen Wirkung der Philosophie

Sie ist die Gesundheit (status salubritatis) der Vernunft, als Wirkung der Philosophie. - Da aber die menschliche Gesundheit (nach dem Obigen) ein unaufhörliches Erkranken und Wiedergenesen ist, so ist es mit der bloßen Diät der praktischen Vernunft (etwa einer Gymnastik derselben) noch nicht abgemacht, um das Gleichgewicht, welches Gesundheit heißt, und auf einer Haaresspitze schwebt, zu erhalten; sondern die Philosophie muß (therapeutisch) als Arzneimittel (materia medica) wirken, zu dessen Gebrauch dann Dispensatorien [Arzneibücher - wp] und Ärzte (wobei letztere aber auch allein diesen Gebrauch zu verordnen berechtigt sind) erfordert werden: wobei die Polizei darauf wachsam sein muß, daß zunftgerechte Ärzte und nicht bloße Liebhaber sich anmaßen anzuraten, welche Philosophie man studieren soll, und so in einer Kunst, von der sie nicht die ersten Elemente kennen, Pfuscherei treiben.

Ein Beispiel von der Kraft der Philosophie, als Arzneimittels, gab der stoische Philosoph POSIDONIUS durch ein an seiner eigenen Person gemachtes Experiment in Gegenwart des großen POMPEIUS indem er durch lebhafte Bestreitung der epikureischen Schule einen heftigen Anfall der Gicht überwältigte, sie in die Füße herabdemonstrierte, nicht zu Herz und Kopf hingelangen ließ und so von der unmittelbaren physischen Wirkung der Philosophie, welche die Natur durch sie beabsichtigt (die leibliche Gesundheit), den Beweis gab, indem er über den Satz deklamierte, daß der Schmerz nichts Böses ist. (2)

Vom Schein der Unvereinbarkeit der Philosophie
mit dem beharrlichen Friedenszustand derselben

Der Dogmatismus (z. B. der WOLFF'schen Schule) ist ein Polster zum Einschlafen und das Ende aller Belebung, wobei letztere gerade das Wohltätige der Philosophie ist. - Der Skeptizismus, welcher, wenn er vollendet daliegt, das gerade Widerspiel des ersteren ausmacht, hat nichts, womit er auf die regsame Vernunft Einfluß ausüben kann; weil er alles ungebraucht zur Seite legt. - Der Moderatismus, welcher auf die Halbscheid ausgeht, in der subjektiven Wahrscheinlichkeit den Stein der Weisen zu finden meint, und durch eine Anhäufung vieler isolierter Gründe (deren keiner für sich beweisend ist) den Mangel des zureichenden Grundes zu ersetzen wähnt, ist gar keine Philosophie; und mit diesem Arzneimittel (der Doxologie) ist es wie mit Pesttropfen oder dem venezianischen Theriak [Allheilmittel mit Opium - wp] bewandt: daß sie, wegen des gar zu vielen Guten, was in ihnen recht und links aufgegriffen wird, zu nichts gut sind.

Von der wirklichen Vereinbarkeit der kritischenPhilosophie
mit einem beharrlichen Friedenszustand derselben.

Kritische Philosophie ist diejenige, welche nicht mit den Versuchen Systeme zu bauen oder zu stürzen, oder gar nur (wie der Moderatismus) ein Dach ohne Haus zum gelegentlichen Unterkommen auf Stützen zu stellen, sondern von der Untersuchung der Vermögen der menschlichen Vernunft (in welcher Absicht es auch sein mag) Eroberung zu machen anfängt, und nicht so ins Blaue hinein vernünftelt, wenn von Philosophemen die Rede ist, die ihre Belege in keiner möglichen Erfahrung haben können. - Nun gibt es doch etwas in der menschlichen Vernunft, was uns durch keine Erfahrung bekannt werden kann, und doch seine Realität und Wahrheit in Wirkungen beweist, die in der Erfahrung dargestellt, also auch (und zwar nach einem Prinzip a priori) schlechterdings geboten werden können. Dieses ist der Begriff der Freiheit, und das von dieser abstammende Gesetz des kategorischen, d. h. schlechthin gebietenden Imperativs. - Durch dieses bekommen Ideen, die für die bloß spekulative Vernunft völlig leer sein würden, obgleich durch diese zu ihnen, als Erkenntnisgründen unseres Endzwecks, unvermeidlich hingewiesen werden, eine wenn auch nur moralisch-praktische Realität: nämlich uns so zu verhalten, als ob ihre Gegenstände (Gott und Unsterblichkeit), die man also in jener (praktischen) Rücksicht postulieren darf, gegeben wären.

Diese Philosophie, welche ein immer (gegen die, welche verkehrterweise Erscheinungen mit Sachen ansich verwechseln) bewaffneter, eben dadurch auch die Vernunfttätigkeit unaufhörlich begleitender bewaffneter Zustand ist, eröffnet die Aussicht zu einem ewigen Frieden unter den Philosophen, durch die Ohnmacht der theoretischen Beweise des Gegenteils einerseits und durch die Stärke der praktischen Gründe der Annahme ihrer Prinzipien andererseits; - zu einem Frieden, der überdem noch den Vorzug hat, die Kräfte des durch Angriffe in scheinbare Gefahr gesetzten Subjekts immer rege zu erhalten und so auch die Absicht der Natur, zu kontinuierlicher Belebung desselben und Abwehrung des Todesschlafs, durch Philosophie zu befördern.


Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, muß man den Ausspruch eines nicht bloß in seinem eigentlichen (dem mathematischen) Fach, sondern auch in vielen anderen vorzüglichen, mit einem tatenreichen, immer noch blühenden Alter bekrönten Mannes, nicht für den eines Unglücksboten, sondern als einen Glückwunsch auslegen, wenn er den Philosophen einen über vermeintliche Lorbeeren gemächlich ruhenden Frieden gänzlich abspricht (3): indem ein solcher freilich die Kräfte nur erschlaffen und den Zweck der Natur in Absicht der Philosophie, als fortwährenden Belebungsmittels zum Endzweck der Menschheit, nur vereiteln würde; wogegen die streitbare Verfassung noch kein Krieg ist, sondern diesen vielmehr durch ein entschiedenes Übergewicht der praktischen Gründe über die Gegengründe zurückhalten, und so den Frieden sichern kann und soll.


B. Hyperphysische Grundlage des Lebens
des Menschen zum Zweck einer Philosophie
desselben.

Mittels der Vernunft ist der Seele des Menschen ein Geist (mens) beigegeben, damit er nicht ein bloß dem Mechanismus der Natur und ihren technisch-praktischen, sondern auch ein der Spontaneität der Freiheit und ihrem moralisch-praktischen Gesetzen angemessenes Leben führt. Dieses Lebensprinzip gründet sich nicht auf Begriffen des Sinnlichen, welche insgesamt zuvörderst (vor allem einen praktischen Vernunftgebrauch) Wissenschaft, d. h. theoretische Erkenntnis voraussetzen, sondern es geht zunächst und unmittelbar von einer Idee des Übersinnlichen aus, nämlich der Freiheit, und vom moralischen kategorischen Imperativ, welcher diese uns allererst kund macht; und begründet so eine Philosophie, deren Lehre nicht etwa (wie Mathematik) ein gutes Instrument (Werkzeug zu beliebigen Zwecken) folglich bloßes Mittel, sondern die sich zum Grundsatz zu machen ansich Pflicht ist.

Was Philosophie, als Lehre die unter allen Wissenschaften
das größte Bedürfnis der Menschen ausmacht?

Sie ist das, was schon ihr Name anzeigt: Weisheitsforschung. Weisheit aber ist die Zusammenstimmung des Willens zum Endzweck (dem höchsten Gut); und da dieser, sofern er erreichbar ist, auch Pflicht ist, und umgekehrt, wenn er Pflicht ist, auch erreichbar sein muß, ein solches Gesetz der Handlungen aber moralisch heißt: so wird Weisheit für den Menschen nichts anderes, als das innere Prinzip des Willens der Befolgung moralischer Gesetze sein, welcherlei Art auch der Gegenstand desselben sein mag; der aber jederzeit übersinnlich sein wird: weil ein durch einen empirischen Gegenstand bestimmter Wille wohl eine technisch-praktische Befolgung einer Regel, aber keine Pflicht (die ein nicht physisches Verhältnis ist) begründen kann.

Von den übersinnlichen Gegenständen
unserer Erkenntnis

Sie sind Gott, Freiheit und Unsterblichkeit -
    1) Gott, als das allverpflichtende Wesen;

    2) Freiheit, als Vermögen des Menschen, die Befolgung seiner Pflichten (gleich als göttlicher Gebote) gegen alle Macht der Natur zu behaupten;

    3) Unsterblichkeit, als ein Zustand, in welchem dem Menschen sein Wohl oder Weh im Verhältnis zu seinem moralischen Wert zuteil werden soll. - Man sieht, daß sie zusammen gleichsam in der Verkettung der drei Sätze eines zurechnenden Vernunftschlusses stehen; und da ihnen, eben darum, weil sie Ideen des Übersinnlichen sind, keine objektive Realität in theoretischer Hinsicht ggegeben werden kann, so wird, wenn ihnen gleichwohl eine solche verschafft werden soll, sie ihnen nur in praktischer Hinsicht, als Postulat (4) zugestanden werden können.
Unter diesen Ideen führt also die mittlere, nähmlich die der Freiheit, weil die Existenz derselben im kategorischen Imperativ enthalten ist, der keinem Zweifel Raum läßt, die zwei übrigen in ihrem Gesetz bei sich; indem er das oberste Prinzip der Weisheit, folglich auch den Endzweck des vollkommensten Willens (die höchste mit der Moralität zusammenstimmende Glückseligkeit) voraussetzend, bloß die Bedingungen enthält, unter welchen allein diesem Genüge geschehen kann. Denn das Wesen, welches diese proportionierte Austeilung allein zu vollziehen vermag, ist Gott; und der Zustand, in welchem diese Vollziehung an vernünftigen Weltwesen allein jenem Endzweck völlig angemessen verrichtet werden kann, die Annahme einer schon in ihrer Natur begründeten Fortdauer des Lebens, d. h. die Unsterblichkeit. Denn wäre die Fortdauer des Lebens nicht darin begründet, so würde sie nur Hoffnung eines künftigen, nicht aber ein durch Vernunft (im Gefolge des moralischen Imperativs) notwendig vorauszusetzendes künftiges Leben bedeuten.


Resultat

Es ist also bloßer Mißverstand oder Verwechslung moralisch-praktischer Prinzipien der Sittlichkeit mit theoretischen, unter denen nur die ersteren in Anbetracht des Übersinnlichen Erkenntnis verschaffen können, wenn noch ein Streit über das, was Philosophie als Weisheitslehre sagt, erhoben wird; und man kann von dieser, weil gegen sie nichts Erhebliches mehr eingewandt wird und werden kann, mit gutem Grund den nahen Abschluß eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie verkünden.

Zweiter Abschnitt
Bedenkliche Aussicht zum nahen ewigen
Frieden in der Philosophie

Herr SCHLOSSER, ein Mann von großem Schriftstellertalent, und einer (wie man zu glauben Ursache hat) für die Beförderung des Guten gestimmten Denkungsart, tritt, um sich von der zwangsmäßigen, unter Autorität stehenden Gesetzverwaltung in einer doch nicht untätigen Muße zu erholen, unerwarteterweise auf den Kampfplatz der Metaphysik: wo es der Händel mit Bitterkeit weit mehr gibt, als auf dem Feld, das er eben verlassen hatte. - Die kritische Philosophie, die er zu kennen glaubt, obgleich er nur die letzten aus ihr hervorgehenden Resultate angesehen hat, und die er, weil er die Schritte, die dahin führen, nicht mit sorgfältigem Fleiß durchgegangen war, notwendig mißverstehen mußte, empörte ihn; und so wrude er flugs Lehrer "eines jungen Mannes, der (seiner Sage nach) die kritische Philosophie studieren wollte", ohne selbst vorher die Schule gemacht zu haben, um diesem davon abzuraten.

Es ist ihm nur darum zu tun, die Kritik der reinen Vernunft wo möglich aus dem Weg zu räumen. Sein Rat ist, wie die Versicherung jener guten Freunde, die den Schafen antrugen: wenn diese nur die Hunde abschaffen wollten, mit ihnen wie Brüder in beständigem Frieden zu leben. - Wenn der Lehrling diesem Rat Gehör gibt, so ist er ein Spielzeug in der Hand des Meisters, "seinen Geschmack (wie dieser sagt) durch die Schriftsteller des Altertums (in der Überredungskunst, durch subjektive Gründe des Beifalls, statt Überzeugungsmethode, durch objektive) fest zu machen." Dann ist er sicher: jener werde sich Wahrheitsschein (verisimilitudo) für Wahrscheinlichkeit (probabilitas) und diese, in Urteilen, die schlechterdings nur a priori aus der Vernunft hervorgehen können, sich für Gewißheit aufheften lassen. "Die rauhe barbarische Sprache der kritischen Philosophie" wird ihm nicht behagen; da doch vielmehr ein schöngeistigerer Ausdruck, in die Elementarphilosophie getragen, daselbst für barbarisch angesehen werden muß. - Er bejammert es, daß "allen Ahnungen, Ausblicken aufs Übersinnliche, jedem Genius der Dichtkunst, die Flügel abgeschnitten werden sollen" (wenn es die Philosophie angeht!).

Die Philosophie in demjenigen Teil, der die Wissenslehre enthält (im theoretischen) und der, obwohl meistenteils auf eine Beschränkung der Anmaßungen in der theoretischen Erkenntnis gerichtet ist, doch schlechterdings nicht vorbeigegangen werden kann, sieht sich in ihrem praktischen eben sowohl genötigt, zu einer Metaphysik (der Sitten) als einem Inbegriff bloß formaler Prinzipien des Freiheitsbegriffs, zurückzugehen, ehe noch vom Zweck der Handlungen (der Materie des Wollens) die Frage ist. - Unser antikritischer Philosoph überspringt diese Stufe, oder er verkennt sie vielmehr so gänzlich, daß er den Grundsatz, welcher zum Probierstein aller Befugnis dienen kann: Handle nach einer Maxime, nach der du zugleich wollen kannst, sie solle ein allgemeines Gesetz werden, völlig mißversteht und ihm eine Bedeutung gibt, welche ihn auf empirische Bedingungen einschränkt, und so zu einem Kanon der reinen moralisch-praktischen Vernunft (dergleichen es doch einen geben muß) untauglich macht; wodurch er sich in ein ganz anderes Feld wirft, als wohin jener Kanon ihn hinweist, und abenteuerliche Folgerungen herausbringt.

Es ist aber offenbar: daß hier nicht von einem Prinzip des Gebrauchs der Mittel zu einem gewissen Zweck (denn dann wäre es ein pragmatisches, nicht ein moralisches Prinzip) die Rede ist; daß nicht, wenn die Maxime meines Willens eines Anderen, sondern wenn sie sich selbst widerspricht (welches ich aus dem bloßen Begriff, a priori, ohne alle Erfahrungsverhältnisse, z. B. "ob Gütergleichheit oder ob Eigentum in meine Maxime aufgenommen wird?" nach dem Satz des Widerspruchs beurteilen kann), dieses ein unfehlbares Kennzeichen der moralischen Unmöglichkeit der Handlung ist. - Bloße Unkunde, vielleicht auch etwas böser Hang zur Schikane, konnte diesen Angriff hervorbringen, welcher jedoch der

Verkündigung eines ewigen Friedens
in der Philosophie

keinen Abbruch tun kann. Denn ein Friedensbund, der so beschaffen ist: daß, wenn man sich einander nur versteht, er auch sofort (ohne Kapitulation) geschlossen ist, kann auch für geschlossen, zumindest dem Abschluß nahe, angekündigt werden.


Wenn auch Philosophie bloß als Weisheitslehre (was auch ihre eigentliche Bedeutung ist) vorgestellt wird, so kann sie doch auch als Lehre des Wissens nicht übergangen werden: sofern diese (theoretische) Erkenntnis die Elementarbegriffe enthält, deren sich die reine Vernunft bedient; gesetzt, es geschähe auch nur, um dieser ihre Schranken vor Augen zu legen. Es kann nun kaum die Frage von der Philosophie in der ersteren Bedeutung sein: ob man frei und offen gestehen soll, was und woher man das in der Tat von ihrem Gegenstand (dem sinnlichen und übersinnlichen) wirklich weiß, oder in praktischer Hinsicht (weil die Annahme desselben dem Endzweck der Vernunft förderlich ist) nur voraussetzt?

Es kann sein, daß nicht Alles wahr ist, was ein Mensch dafür hält (denn er kann irren); aber in Allem, was er sagt, muß er wahrhaft sein (er soll nicht täuschen): es mag nun sein, daß sein Bekenntnis bloß innerlich (vor Gott) oder auch ein äußeres ist. - Die Übertretung dieser Pflicht der Wahrhaftigkeit heißt die Lüge; weshalb es äußere, aber auch innere Lügen geben kann: so daß beide zusammen vereinigt oder auch einander widersprechend, sich ereignen können.

Eine Lüge aber, sie mag innerlich oder äußerlich sein, ist zweifacher Art:
    1) wenn man das für wahr ausgibt, dessen man sich doch als unwahr bewußt ist;

    2) wenn man etwas für gewiß ausgibt, wovon man sich doch bewußt ist, subjektiv ungewiß zu sein.
Die Lüge ("vom Vater der Lügen, durch den alles Böse in die Welt gekommen ist") ist der eigentlich faule Fleck in der menschlichen Natur; so sehr auch zugleich der Ton der Wahrhaftigkeit (nach dem Beispiel mancher chinesischer Krämer, die über ihre Laden die Aufschrift mit goldenen Buchstaben setzen: "Allhier betrügt man nicht") vornehmlich in dem, was das Übersinnliche betrifft, der gewöhnliche Ton ist. - Das Gebot: du sollst (und wenn es auch in der frömmsten Absicht wäre) nicht lügen, zum Grundsatz in die Philosophie als eine Weisheitslehre innigst aufgenommen, würde allein den ewigen Frieden in ihr nicht nur bewirken, sondern auch in alle Zukunft sichern können.
LITERATUR: Immanuel Kant, Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie, Königsberg 1798
    Anmerkungen
    1) Cicero, De natura deorum, lib. a, § 160
    2) Im Lateinischen läßt sich die Zweideutigkeit in den Ausdrücken "das Übel" (malum) und "das Böse" (pravum), leichter als im Griechischen verhüten. - In Anbetracht des Wohlseins und der Übel (der Schmerzen) steht der Mensch (so wie alle Sinnenwesen) unter dem Gesetz der Natur und ist bloß leidend; in Anbetracht des Bösen (und Guten), unter dem Gesetz der Freiheit. Jenes enthält das, was der Mensch leidet; dieses, was er freiwillig tut. - In Anbetracht des Schicksals ist der Unterschied zwischen rechts und links ein bloßer Unterschied im äußeren Verhältnis des Menschen. In Anbetracht seiner Freiheit aber und dem Verhältnis des Gesetzes zu seinen Neigungen ist es ein Unterschied im Innern desselben. - Im ersteren Fall wird das Gerade dem Schiefen, im zweiten das Gerade dem Krummen, Verkrüppelten entgegengesetzt. - - - Daß der Lateiner ein unglückliches Ereignis auf die linke Seite stellt, mag wohl daher kommen, weil man mit der linken Hand nicht so gewandt ist, einen Angriff abzuwehren, als mit der rechten. Daß aber bei den Auguren, wenn der Ausper sein Gesicht dem sogenannten Tempel (nach Süden) zugekehrt hatte, er den Blitzstrahl, der zur Linken geschah, für glücklich ausgab; scheint zum Grund zu haben, daß der Donnergott, der dem Ausper gegenüber gedacht wurde, seinen Blitz alsdann in der Rechten führt.
    3) Auf ewig ist der Krieg vermieden / Befolgt man, was der Weise spricht; / Dann halten alle Menschen Frieden, / Allein die Philosophen nicht. - Kästner.
    4) Postulat ist ein a priori gegebener, keiner Erklärung seiner Möglichkeit (folglich auch keines Beweises) fähiger, praktischer Imperativ. Man postuliert also nicht Sachen, oder überhaupt das Dasein irgendeines Gegenstandes, sondern nur eine Maxime (Regel) der Handlung eines Subjekts. - Wenn es nun Pflicht ist, zu einem gewissen Zweck (dem höchsten Gut) hinzuwirken, so muß ich auch berechtigt sein, anzunehmen: daß die Bedingungen da sind, unter denen allein diese Leistung der Pflicht möglich ist, obgleich dieselben übersinnlich sind, und wir (in theoretischer Hinsicht) keine Erkenntnis derselben zu erlangen vermögend sind.