WindelbandRiehlCohenDrobischDrieschLotzeWundt | |||
Aufgabe und Einteilung der Logik [4/4]
Kapitel 7 Logik und Grammatik II [Die Beziehungen zwischen Grammatik und Logik] 35. Aus der Identität des formulierten Denkens mit der Sprache im weiteren Sinn und speziell aus dem Einfluß des stillen formulierten Denkens auf das Sprechen folgt, daß sich in allen Sprachen, vornehmlich natürlich in den entwickelteren, eine reiche logische Arbeit aufgespeichert vorfindet. Sie stellt sich in allen den Formelementen dar, die eine gebildete Sprache, "die für uns dichtet und denkt", in ihren Sätzen zum Ausdruck bringt. Was immer die Grammatik an Formbestandteilen unterscheiden lehrt: die Redeteile, den Aufbau des elementaren vollständigen Satzes aus Subjekt, Prädikat und etwa Kopula und alle Verwicklungen, die der Satzbau zuläßt, die Behauptungen, Fragen und Benennungen, die Bejahungen und Verneinungen usw. - dies alles weist die Spuren solcher logischen Arbeit auf. In allen diesen Formbestandteilen der Sprache stecken Formelemente unseres Denkens. 36. Dennoch bieten die Formelemente keiner Sprache ein Material, das die Logik für die Bestimmung der Formelemente des gültigen Denkens unmittelbar benutzen könnte. Fürs erste ist zu beachten, daß alle Formelemente der Sprachen, auch der entwickeltsten, wie etwa des Englischen und des Chinesischen, ohne grammatische und logische Reflexion geschaffen worden sind. Die Sprachforscher haben sich gewöhnt, von "unbewußter" geistiger Arbeit zu reden, die das sprachliche Denken zumeist leite. Das trifft zu, wenn wir mit einem verbreiteten Sprachgebrauch der praktischen Weltanschauung überall da von unbewußter geistiger reden, wo die Aufmerksamkeit auf den Bestand des Denkens, das sich in der Formung der Sprache vollzieht, nicht gerichtet ist und wenn wir, wie es sich gehört, vom verhältnismäßig geringen Einfluß absehen, den die grammatische Schulung auf die Entwicklung unserer Kultursprachen ausübt. Aber die Bezeichnung wird unzutreffend, wenn wir dem gebotenen psychologischen Sprachgebrauch folgen, der den Sinn des Bewußtseins auf die Gattung dessen einschränkt, was wir in unserem Fühlen und Vorstellen und dementsprechend in unserem Wollen, unmittelbar erleben oder in uns und anderen als diesem Bestand zugehörig erschließen. Dann sind z. B. die Bedingungen möglichen Bewußtseins, die wir in den Gedächtnisresiduen als solchen, im Verlauf vieler Reproduktionen solcher Residuen, sowie in der Innervation [Nervenimpulse - wp]) unserer willkürlichen Muskulatur bei Willensbewegungen voraussetzen müssen, unbewußt. Wo und wie immer jedoch Bedeutungs- oder Wortvorstellungen im spezifischen Sinne vorhanden sind, müssen diese, eben als Vorstellungen, der Gattung des Bewußtseins zugeordnet werden. Jene unbewußten Bedingungen möglichen Bewußtseins wirken in der Sprache, wie wir noch sehen werden, vielfach mit. Aber die Formelemente der Sprache selbst sind mit Einschluß der ihnen zugehörigen Bedeutungsvorstellungen durchweg auch da Bestandteile unseres Bewußtseins, wo, wie zumeist in unserem sprachlichen Denken, jede Aufmerksamkeit auf ihren Bestand und ihre Funktionen, also jede grammatische und logische Reflexion fehlt. HERMANN PAUL meint dasselbe, wenn er in der bedenklichen Sprache der HERBARTische Vorstellungsmechanik sagt, daß "die Ausbildung und Anwendung der Sprache nicht durch streng logisches Denken vor sich geht, sondern durch die natürliche, ungeschulte Bewegung der Vorstellungsmassen ,die je nach Begabung und Ausbildung mehr oder weniger logischen Gesetzen folgt oder nicht folgt." (1) Wir müssen uns nur davor hüten, die im Prinzip verfehlte mechanische Fassung der Reproduktionsvorgänge und der durch sie erzeugten Repräsente dadurch gleichsam zu beleben, daß wir die sprachlichen Vorstellungsgruppen mit ihm nach dem Vorbild der deutschen Naturphilosophie zu "psychischen Organismen" verdichten und verselbständigen. Dazu kommt ein zweites Moment. Die Sprache vermag zwar dem Ausdruck und der Mitteilung von Gedanken als Urteilen nur dienstbar zu werden, weil sie eine Art des Denkens ist; aber sie dient doch zugleich insbesondere den Zwecken der Mitteilung. Die reflexionslose Formung des Sprachmaterials untersteht also zugleich diesen Zwecken, die mit den logischen Bedingungen des gültigen Denkens zumeist nichts zu tun haben. So die grammatische Scheidung der drei Personen, der älteren Sprachformen eigene Dual und Trial neben dem Plural, die sprachliche Trennung eines Inclusivus und Exclusivus beim Pronomen, je nachdem der Redende die Angeredeten ein- oder ausschließt und zahlreiche andere syntaktische Beziehungen mehr. 37. Auch die Bedeutungsreproduktionen der Sprache verlaufen nur ausnahmsweise so, wie die logischen Normen dies fordern. Schon bei früherer Gelegenheit war darauf hinzuweisen, daß die ursprünglichen Bedeutungsvorstellungen durchweg der praktischen Weltanschauung entspringen. Wenige bekannte Beispiele, deren jetzige Daten mir Fr. BECHTEL auf meine Bitte übermittelt hat, mögen das bezeugen. Unser Wort "Mond" entstammt einer Wurzel, die allem Anschein nach "messen" bedeutet. Das griechische hippos (lat. equus, altsächs. ehu, in ehuskalk, Pferdeknecht) geht wohl auf eine Wurzel zurück, die "scharf, schnell sein" bedeutet. Unser "grün" ist gleichen Stammes mit dem englischen "to grow, wachsen"; unser "Riechen" führt zurück auf "Rauchen". Die Worte vieler, auch voneinander völlig unabhängiger Sprachen für unsere etymologisch dunklen "Seele, Geist" leiten auf die alten, naheliegenden Bedeutungen "Hauchen, Atmen, Wehen". Mehrfach ist ferner aufgefallen, daß die Sprachen wenig kultivierte Völker für Gegenstände der Sinneswahrnehmung, die den praktischen Interessen dienen, etwa für die jagdbaren und zur Nahrung gebrauchten Tiere, einen reichen und in seinen Bedeutungen wohlgegliederten Wortschatz besitzen, während sie für Gegenstände, die außerhalb dieser Interessen stehen, nur wenige Worte von unbestimmter Bedeutung aufzuweisen haben. In feinster Schattierung treten die psychologischen Motive der Bedeutungsentwicklung im Wortschatz unserer Kultursprachen zutage. Eine leidlich geprüfte Gruppe von Beispielen bieten die Farbenworte, deren Entwicklung nur ein erstaunlicher Mangel an Kritik als Belege für eine Entwicklung der Farbenempfindungen selbst ansehen konnte. Im übrigen erscheint es trotz manchen eindringenden Monographien und anerkennenswerten Versuche, allgemeine Gesichtspunkte für die Formen der Bedeutungsentwicklung überhaupt aufzustellen, verfrüht, sichere allgemeine Regeln auf diesem Gebiet zu suchen. Sicher ist zur Zeit nur das eine, daß selbst in der Entwicklung der wissenschaftlichen Terminologie, soweit diese einigermaßen in den Kleinverkehr des täglichen Lebens übergegangen ist, der logische Fortschritt unseres Denkens nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt. (2) 38. Die Logik ist demnach von der Grammatik nicht weniger wesensverschieden, als von der Psychologie; nur ist die Verschiedenheit hier eine andere, als dort. Die allgemeine Grammatik ist die Wissenschaft vom Bestand und der Entwicklung aller der mannigfachen Verzweigungen der Sprache, die sich in den Verschiedenheiten der Sprachen bis hinunter zu den Dialektdifferenzen vorfinden. Sie hat die Tatsachen, die der Bestand der Sprachen darbietet, zu ordnen und von dieser deskriptiven Stufe aus den gesetzmäßigen historischen Zusammenhang der Sprachvorgänge zu erforschen. Sie ist demnach eine historische Geisteswissenschaft, ein Glied der Soziologie als der Geschichte der menschlichen Kultur. Wie die Wurzeln aller soziologischen Disziplinen, so erstrecken sich auch ihre Wurzeln teils in die Psychologie, speziell die Psychologie des menschlichen Denkens, teils in die Physiologie, speziell die Physiologie der Ausdrucksbewegungen, insbesondere der lautlichen. Die theoretische Wissenschaft der allgemeinen Grammatik ist daher von der allgemeinen normativen Wissenschaft der Logik so verschieden, wie allgemeine historische Wissenschaften von normativen. Die allgemeine Grammatik ist allerdings eine junge, aus der vergleichenden Grammatik der Glieder einzelner Sprachstämme und einzelner Sprachstämme untereinander hervorgehende Wissenschaft. Jahrhunderte hindurch ist die Grammatik wesentlich eine praktische oder technische Wissenschaft gewesen, die "verzeichnete, was von grammatischen Formen und Verhältnissen innerhalb einer Sprachgenossenschaft zu einer gewissen Zeit üblich ist (oder war), was von einem jeden gebraucht werden kann, ohne von anderen mißverstanden zu werden und ohne ihn fremdartig zu berühren"; (3)und die Bedürfnisse der Kulturvölker sorgen dafür, daß solche praktische grammatische Aufgaben stets bestehen bleiben. Diese Arten praktischer Grammatik haben sogar, wie alle Arten praktischer Geisteswissenschaften, einen normativen Charakter: ihre Aufgabe ist zu lehren, wie gesprochen und geschrieben werden soll. Aber es versteht sich von selbst, daß keine dieser normativen Grammatiken der Entwicklungsphasen irgendeiner Sprache ein Anrecht darauf hat, die Grundlage für eine Vergleichung der Logik und Grammatik zu liefern. Es ist schon zweifelhaft, ob wir einer Sprache vor allen anderen Gliedern desselben Stamms das Vorrecht zugestehen können, die entwickeltste von allen zu sei; und die Sprachen verschiedener Stämme lassen eine solche einfache, aufsteigende Ordnung erst recht nicht zu. Selbst endlich, wenn es eine solche Sprache geben könnte, die gleichsam als eine absolute bezeichnet werden dürfte, so läge angesichts der verschiedenartigen Aufgaben des Denkens und der Mitteilung von Gedanken keine Möglichkeit vor, sie als ein Mustbild des gültigen Denkens zu fassen. Eine grammatisierende Logik, die etwa in einer allgemeinen Grammatik Aufklärung über das allen Sprachen Gemeinsame suchen wollte, um dieses ohne weiteres als logisch bedeutsam zu benutzen, würde deshalb lediglich auf einem prinzipiellen Irrtum beruhen. Ferner liegt ein tatsächlicher Irrtum überall da vor, wo grammatische Eigenheiten einer oder weniger Sprachen unmittelbar logisch verwertet worden sind. Gerade weil die Vermischung spezieller grammatischer Abstraktionen und allgemeiner logischer Normen die Aufgaben der Logik seit ARISTOTELES, insbesondere der stoischen Schule, in der Logik von Port Royal, in der eklektischen Logik des achtzehnten Jahrhunderts und in manchen logischen Arbeiten des neunzehnten die Aufgaben der Logik verwirrt hat, muß sich die Logik von solcher Vermischung prinzipiell frei zu halten suchen. Es liegt etwas Treffendes in der übertreibenden Bemerkung von SAYCE: "Had Aristotle been a Mexican, his system of Logic would have assumed a wholly different form." [Wäre Aristoteles Mexikaner gewesen, hätte seine Logik eine gänzlich andere Form angenommen. - wp] Es ist deshalb von vornherein daran festzuhalten, daß sich die Formelemente des gültigen Denkens niemals lediglich aus den grammatischen Beziehungen und niemals aus ihnen unmittelbar gewinnen lassen. Die Grammatik als solche bietet gar keine Handhabe, die logischen Elemente des in der Sprache vorliegenden formulierten Denkens rein auszusondern. Nichts Grammatisches hat als solches logische Bedeutung und nichts Logisches als solches grammatische. Erst wenn die Logik auf ihrem Weg den Bestand und die Geltung der Formelemente des wissenschaftlichen Denkens bestimmt hat, kann sie versuchen festzustellen, inwieweit sich diese Elemente sprachlich ausgestaltet haben. Sie wird sogar diese nachträgliche Rücksicht auf die Grammatik nie beiseite schieben dürfen. Denn wenn sie mit eigenen Augen sehen gelernt hat, muß das Aufsuchen der logischen Elemente, die in den Sprachen verschiedenfach ausgeprägt worden sind, ihr dankenswerte Hilfen zur Verifikation ihrer Ableitungen leisten. Obgleich die Logik demnach als allgemeine formale und normative Wissenschaft von den Bedingungen des gültigen Denkens sowohl von der allgemeinen historischen Grammatik, wie von den speziellen praktischen, normativen Grammatiken wesensverschieden ist, berühren sich beide doch insofern, als sie, wenn auch von ganz verschiedenen Gesichtspunkten aus, das formulierte Denken zum Gegenstand ihrer Untersuchung haben. Aus dieser Gleichheit des Gegenstandes und der Differenz der Gesichtspunkte für die Untersuchung ergeben sich die eben angedeuteten Rücksichten, welche die Logik der Grammatik, sowie entsprechende, welche die Grammatik der Logik schuldig ist. Dazu kommen mittelbare Beziehungen beider Wissenschaften zueinander. Denn beide wurzeln, die Grammatik nur reichlicher als die Logik, jede allerdings in anderem Sinne, in der Psychologie des Denkens. Einteilung der Logik 39. Die logischen Formelemente des Denkens sind in allen wissenschaftlichen Methoden die gleichen: formulierte Urteile und aus ihnen gebildete Schlüsse. Die Methoden der verschiedenen Wissenschaften bauen sich jedoch aus diesen Elementen in verschiedener Weise auf. Sie unterscheiden sich wie die Gegenstände, über die und die Gesichtspunkte, nach denen sich gültige Aussagen über diese Gegenstände gewinnen lassen. So sind die algebraischen Methoden der Auflösung von Gleichungen dritten Grades, die physikalischen Methoden der Ermittlung der Polarisation der strahlenden Bewegungen, die physiologischen Methoden zur Untersuchung der Leitungsgeschwindigkeit in den motorischen Nerven und die historischen Methoden zur Bestimmung der Abhängigkeitsbeziehungen von Handschriften voneinander spezifisch verschieden. Ebenso wechseln die Methoden innerhalb einer und derselben Wissenschaft je anch der besonderen Beschaffenheit des Gegenstandes der Untersuchung. Die chemischen Methoden der qualitativen, der quantitativen Analyse von Verbindungen, der Äquivalentgewichtsbestimmungen von Elementen, die linguistischen Methoden der Feststellung des Lautwechsels, der syntaktischen Strukturveränderungen des Sprachbaus, der Bedeutungsentwicklung der Worte usw., bieten gleichfalls charakteristische Unterschiede untereinander dar. Und wie die logischen Methoden der Untersuchung, so sind auch die rhetorischen Methoden der Darstellung verschiedenartig. Trotz dieser durchgreifenden methodologischen Verschiedeneheiten der Wissenschaften sind ihnen jedoch auch zahlreiche einfachere methodische Bestandteile gemeinsam, also, wie die logischen Elemente des Urteilens und Schließens, dem Denken unabhängig von der besonderen Beschaffenheit der Gegenstände eigentümlich. So bedarf jede Wissenschaft der Methoden der Beschreibung und der Definition, der Einteilung und der Begründung. Diese mögen im Unterschied von den einfachsten Bestandteilen der wissenschaftlichen Methoden als logische Elemente zweiter Ordnung bezeichnet werden. Aus ihnen und den logischen Elementen erster Ordnung setzen sich die verschiedenen Methoden aller Wissenschaften zusammen. 40. Das Gebiet der Logik als formaler Wissenschaftslehre gliedert sich dementsprechend in zwei Abschnitte, einen ersten, der die Voraussetzungen und die Formelemente des Denkens, also die Gegenstände des Denkens, sowie die Urteile und Schlüsse behandelt und einen zweiten, der die Formelemente zweiter Ordnung, die allen Wissenschaften gemeinsamen Methoden, zum Gegenstand hat. Sie ist demnach teils Elementarlehre, teils Methodenlehre des wissenschaftlichen Denkens. So gefaßt ist sie allgemeine Logik gegenüber einer Gruppe spezieller Untersuchungen, deren Gegenstände die besonderen Methoden der verschiedenen Wissenschaften ausmachen. Ein Ganzes bilden diese speziellen logischen Untersuchungen jedoch nur durch das gemeinsame Ziel einer Reduktion der einzelnen Methoden auf die Elemente der allgemeinen Logik, das sie leitet. Sie zerfallen in so viel gesonderte Teile, wie es verschiedenartige besondere Methoden des wissenschaftlichen Denkens gibt. Und wir können die Besonderheiten dieser Methoden nur aus den einzelnen Wissenschaften selbst und zwar im wesentlichen nur so aufnehmen, wie sie von jenen dargeboten werden. Denn die Verbesserung etwa vorhandener oder die Auffindung neuer Methoden geschicht von den möglichen Ansatzpunkten aus, die sich bei Vertiefung in die verschiedenen Gegenstände ergeben. Wir können sie auch nicht etwa den allgemeinen methodologischen Erörterungen entnehmen, zu denen sich die Wissenschaften umso mehr veranlaßt finden, je reicher die Erkenntis des Zusammenhangs ihrer Gegenstände wird. Denn die Einsicht in den Bau der speziellen Methoden kann lediglich aus der Durchdringung der besonderen Probleme erwachsen, zu deren Lösung sie die Mittel gewähren sollen. Ihre logische Erörterung hat deshalb einen technischen Anhang der Einzelwissenschaften zu bilden, dessen Ausführung nur denjenigen gelingen kann, die sowohl mit den Ergebnissen der allgemeinen Logik, als auch mit der Fülle der Kenntnis der einzelnen Gegenstände ausgerüstet an sie herantreten. (4) Es gibt aus diesen Gründen keine spezielle Logik, die sich etwa als dritter Teil der Elementar- und Methodenlehre der allgemeinen Logik anschließen könnte. Sie ginge über die Grenzen einer Untersuchung der allen Wissenschaften gemeinsamen formalen Voraussetzungen nach allen Richtungen hinaus. Trotzdem wird es zweckmäßig sein, die Grenzen der Logik als Wissenschaftslehre nicht so peinlich zu beachten, wie sie nach diesen allgemeinen Erwägungen zu ziehen sind. Es gibt eine Reihe methodologischer Fragen, die streng genommen weder der allgemeinen Logik noch den speziellen methodologischen Untersuchungen eigentümlich sind und doch für beide nicht geringe Bedeutung haben. Es ist dies die logische Charakteristik der allgemeinen methodologischen Unterschiede zwischen den großen Gruppen der Wissenschaften, die uns in den mathematischen, den natur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen entgegentreten. Zur Klarlegung dieser Unterschiede bedarf es des Durchgangs durch alle Einzelheiten der besonderen Methoden nicht. Inwiefern sie andererseit die Aufgaben der allgemeinen Logik bereichert und vertieft, wird sich am besten aus ihrem Inhalt selbst erhellen. 41. Wennschon demnach das logische Gefüge der speziellen wissenschaftlichen Methoden in den Kreis der Aufgaben der allgemeinen Logik nicht hineingehört, so ist doch die Erkenntnis der gewaltigen logischen Arbeit, die in den Methoden der einzelnen Wissenschaften aufgespeichert vorliegt, für die Logik von größtem Wert. Selbst die logische Elementarlehre vermag aus ihr reichen Gewinn zu schöpfen. Denn die Gesichtspunkte für die Ableitung der einzelnen logischen Normen treten aus der Idee der Wahrheit und dem psychologischen Tatbestand des Denkens nicht so scharf heraus, daß die Kontrolle aus dem Gebrauch der logischen Formelemente in den einzelnen wissenschaftlichen Methoden irgendwo entbehrlich würde. Überdies gewährt die Rücksicht auf den tatsächlichen Bestand der wissenschaftlichen Methoden einen ähnlichen Schutz gegen den leeren Formalismus, dem die Logik Jahrhunderte hindurch verfallen war, wie die Einsicht in den tatsächlichen Verlauf der Denkvorgänge, deren Normen entwickelt werden sollen. Noch am Anfang des 19. Jahrhunderts hatte die logische Forschung, abgesehen von wenigen kümmerlichen Ansätzen, z. B. den ebenso geistreichen wie oberflächlichen Erörterungen in BACONs Novum Organum, die Notwendigkeit dieser Rücksicht nicht erkannt. Um so höher ist die Einsicht zu veranschlagen, der TRENDELENBURG schon im Jahre 1840 Ausdruck gegeben hat - noch vor dem Erscheinen von STUART MILLs auch in dieser Hinsicht bahnbrechenden Arbeit, aber nach der Veröffentlichung von JOHN HERSCHELs eben erwähnten Schrift: "Die Wissenschaften versuchen glücklich ihre eigentümlichen Wege, aber zum Teil ohne nähere Rechenschaft der Methode, da sie auf ihren Gegenstand und nicht auf das Verfahren gerichtet sind. Die Logik hätte hier die Aufgabe, zu beobachten und zu vergleichen, das Unbewußte zum Bewußtsein zu erheben und das Verschiedene im gemeinsamen Ursprung zu begreifen. Ohne sorgfältigen Hinblick auf die Methode der einzelnen Wissenschaften muß sie ihr Ziel verfehlen, weil sie dann kein bestimmtes Objekt hat, an dem sie sich in ihren Theorien zurechtfindet." Bis zum vollständigen Verkennen der selbständigen Aufgaben der allgemeinen Logik hat AUGUSTE COMTE diesen Gedanken übertrieben. Mit allmählich sich steigernder Schärfe hat er das Studium der wissenschaftlichen Methoden in ihrer historischen Entwicklung für den einzigen Weg ausgegeben, auf dem sich die logischen Gesetze finden lassen. 42. Eine obenhin geordnete, große Zahl von Einteilungsversuchen der Logik hat WILLIAM HAMILTON zusammengestellt. Die verbreitetste Gliederung der überlieferten Logik, in die Lehre vom Begriff, vom Urteil, vom Schluß und von der Methode, ist, wie es scheint, durch PETRUS RAMUS eingeführt worden. Die englischen Logiker pflegen den ersten Teil im Anschluß an die nominalistischen Theorien des Allgemeinen, die HOBBES besonders der neueren Philosophie überliefert hat, vielfach durch die Lehren von den names oder terms zu ersetzen.
1) HERMANN PAUL, Prinzipien der Sprachgeschichte, Halle 1898, Seite 33. Man vgl. Seite 23: "Vielleicht der bedeutendste Fortschritt, den die neuere Psychologie gemacht hat, besteht in der Erkenntnis, daß eine große Menge von psychischen Vorgängen sich ohne klares Bewußtsein vollziehen und daß alles, was je im Bewußtsein gewesen ist, als ein wirksames Element im Unbewußten bleibt ... Alle Äußerungen der Sprechtätigkeit fließen aus diesem dunklen Raum des Unbewußten in die Seele." 2) Mannigfaltige, aber durchweg der Kontrolle bedürftige Angaben vom Standpunkt einer haltlosen Identifizierung des Sprechens und Denkes bei LAZARUS GEIGER, Ursprung und Entwicklung der menschlichen Sprache und Vernunft, 2 Bd., Frankfurt a. M. 1868/72 und MAX MÜLLER, Lectures on the Science of Language, 1861. 3) HERMANN PAUL, Prinzipien der Sprachgeschichte, Halle 1898, Seite 22 4) Ein Muster solcher technischen Methodologie bietet die von STUART MILL vielfach verwertete Schrift von J. F. W. HERSCHEL, A Preliminary Discourse on the Study of Natural Philosophy, New Edition, Philadelphia 1835; auch in zwei deutschen Bearbeitungen zugänglich. |