tb-1 Wörterbuch der PhilosophieSalomon Maimon    
 
SALOMON MAIMON
Philosophisches Wörterbuch

"Die Frage ist hier nicht von der Möglichkeit einer  reinen, sondern der einer  angewandten Philosophie. Das Kantische System mag also in Anbetracht der Theorie noch so vollkommen sein, so bleibt doch immer ein Zweifel in Anbetracht des Gebrauchs übrig, und so lange wie die Notwendigkeit dieses Gebrauchs nicht bewiesen werden kann, kann auch der Zustand unserer wissenschaftlichen und gelehrten Kultur nicht anders als durch ein sich immer weiter ausbreitendes Streben nach dem handgreiflich Soliden bestimmt, und mußt die Sittlichkeit zur eigennützigen Klugheit herabgewürdigt werden. Die reine Philosophie hingegen wird von ihnen bloß als eine systematische Wissenschaft, die ein spekulatives Interesse für sie hat, angesehen werden. Man wird schwerlich den Politiker überreden können, daß er in seinen Verhandlungen nicht auf das besondere Interesse seines Staates, sondern auf das Interesse der Menschheit überhaupt Rücksicht nehmen, und noch viel weniger, daß er durch gar kein Interesse, sondern durch die bloße Form sich zum Handeln bestimmen soll."

Vorrede

Ein Wörterbuch in irgendeiner Wissenschaft ist eine in alphabetische Ordnung gebrachte Sammlung von Erklärungen über Gegenstände die in dieser Wissenschaft vorkommen.

Sprache und Philosophie sind auf das Genaueste miteinander verknüpft. Beide steigen und fallen im gleichen Verhältnis. Dies ist zu bekannt, als daß ich mich dabei aufzuhalten nötig hätte. Ich habe schon bei einer anderen Gelegenheit die Sprache als Mittel zum Gedankenkommerz unter den Menschen, mit der Münze als Mittel zum eigentlichen Kommerz verglichen. Ich will dieses hier, da es zu meinem Vorhaben nötig ist, noch umständlicher tun.

So wie die erste Art des Kommerzes unter Menschen natürlicherweise der Tauschhandel war, so war auch die erste Art des Gedankenkommerzes eine Art des Tauschens von Gedanken um Gedanken. Dies kann auf folgende Art erklärt werden.

Es ist außer allem Zweifel, daß die ersten Objekte des menschlichen Denkens, und folglich auch der Sprache, die sinnlichen waren. Alle anderen Gegenstände des menschlichen Denkens und ihre Benennungen sind hernach, teils unmittelbar, teils aber durch Vergleichung mit den sinnlichen, entsprungen.

Ich nehme z. B. zwei Menschen,  A  und  B  an, die sowohl den sinnlichen Begriff des Windes erlangt, als auch seine Benennung unter sich festgesetzt haben. Ich setze daher, daß  A  durch eine besondere Aufmerksamkeit auf sich selbst und seine inneren Operationen, auf den Begriff des Geistes geraten ist.

Er wird also denselben, nach Erfordernis, dem  B  mitteilen wollen. Da aber  B  diesen Begriff noch nicht erlangt hat, so kann dieses noch durch keinen besonderen Namen geschehen. Er wird daher irgendeinen Gegenstand aufsuchen, der dem Geist ähnlich ist; dies aber ist der Wind, und zwar wegen seiner Unsichtbarkeit und geschwinden Bewegung. Daher wird er nun den Geist in seiner Sprache Wind nennen. Anfangs wird  B  natürlicher Weise glauben, daß die Rede vom eigentlichen Wind ist, aus dem Zusammenhang aber wird er einsehen lernen, daß er sich hierin geirrt hat und daß die Rede nicht vom eigentlichen Wind sein kann.

Was ist hier also, wenn er den Sinn des  A  fassen soll, für ihn zu tun? Er wird in Gedanken alle ihm bekannten Eigenschaften des Windes gleichsam die Musterung passieren lassen, um zu sehen, ob nicht irgendeine derselben in diesenn Zusammenhang paßt, und die Rede verständlich machen kan. Nach vielen vergeblichen Versuchen und Mißverständnissen wird er endlich zum Verständnis der Rede gelangen. Dadurch werden beide imstande sein, mittels der Sprache wechselseitig einander ihre Gedanken zu vermehren.  A  vermehrt nämlich die Erkenntnis des  B  dadurch, daß er ihm den Begriff von Geist und dessen Eigenschaften mitteilt; so wie  B  die Erkenntnis des  A  durch die von den Eigenschaften des Windes, erweitert; worauf jener aus Notwendigkeit aufmerksam geworden ist, dieser aber nicht. Hier geht also ein ordentlicher Tausch von Gedanken um Gedanken vor.

Die Einteilung der Dinge in Arten und Geschlechter, und die darauf gegründete Einführung der Definitionen im Gedankenkommerz kann füglich mit der Einführung des Geldes im gemeinen Kommerz verglichen werden.

Nachdem sich die Bedürfnisse der Menschen so vermehrt hatten, daß jedes Individuum derselben, zur Befriedigung seiner Bedürfnisse einen Kommerz mit mehreren eingehen mußte, so konnte der unmittelbare Tauschhandel nicht weiter fortgesetzt werden; weil es dem einen schwer fallen mußte, denjenigen aufzufinden, der das Mittel zur Befriedigung seines Bedürfnisses im Besitz hatte, und dem wiederum das, was der erstere besaß, Bedürfnis war.

Die Menschen gerieten daher auf Mittel, wodurch sie dieser Beschwerlichkeit abhelfen können; nämlich auf die Einführung des Geldes als Zeichen aller Bedürfnisse überhaupt.

Hierdurch finde ich nun leicht jemanden, der mein Bedürfnis befriedigen kann, denn das Geld, welches er von mir empfängt, ist ihm gleichfalls ein Mittel, wodurch er zu gelegener Zeit das seinige zu befriedigen imstande ist. Der Kommerz ist also dadurch leichter und allgemeiner geworden.

Gleich Anfangs wählte man dazu etwas, das außerdem, daß es zum Zeichen aller Bedürfnisse überhaupt dient, auch noch dazu ein allgemeines Bedürfnis ansich ist; wodurch man zwei Absichten zugleich erreichen wollte. Erstlich einen allgemeinen Maßstab zu bekommen, wodurch man das Verhältnis vom Wert aller Bedürfnisse gegeneinander bestimmen könnte; zweitens, sich dadurch zugleich die unmittelbare Befriedigung eines Bedürfnisses zu verschaffen.

Wäre das Geld ein bloßer Maßstab, wie z. B. das Papiergeld, so bliebe noch immer der Zweifel übrig: vielleicht wird es einst gar nichts zu messen geben; was hilft also das Geld, wofür man dann nichts bekommen kann, und das auch ansich keinen Wert hat?

Man bemerkte aber nicht, daß diese beiden Zwecke, nicht aufs Vollständigste zugleich erreicht werden können. Denn je reeller eine Münze ist, desto besser wird dadurch zwar der zweite, aber desto schlechter der erste Zweck erreicht, weil der Wert eines solchen Geldes ansich selbst veränderlich und folglich dasselbe zu einem allgemeinen Maßstab untauglich ist.

Die Menschen fanden daher für gut, sich dieser beiden Arten des Geldes zugleich zu bedienen, wodurch sie nach einer weisen Poliltik beide Vorteile zu erlangen, und beide Nachteile zu verhüten suchen.

Ebenso ging es auch mit dem Gedankenkommerz und der Sprache zu. Die ersten Begriffe, und folglich auch Namen, waren die der  Individua.  Die Menschen, die diese erlangt hatten, konnten sich hierüber miteinander unterhalten. Dieses hatte aber die Schwierigkeit des Tauschhandels, daß nämlich diejenigen, die diese Begriffe und Namen erhalten hatten, sich mit denjenigenn nicht unterreden konnten, die sie noch nicht erhalten hatten. Man erfand daher Namen der allgemeinen Begriffe oder der Arten und Geschlechter. Dadurch sind die Menschen imstande, auch denjenigen, die die Individua, wovon die Rede ist, noch nicht kennen, sich durch allgemeine Merkmale verständlich zu machen. Man hat dieses so weit getrieben, daß man zuletzt auf die allgemeinsten Begriffe (Prädikamente [Kategorien - wp]) geraten ist. Durch diese Allgemeinmachung nahm der Wert derselben als  Zeichen  immer mehr zu; ihr  reeller Wert  hingegen nahm immer mehr ab, indem sie immer mehr  unter sich,  aber immer weniger  in sich  enthielten, bis nun endlich die allgemeinsten Begriffe als Formen des Denkens sich zwar auf alle Objekte beziehen, selbst aber gar keine reellen Objekte sind. Sie sind also ein  Maßstab des Vermögens, vermehren aber dasselbe um nichts. 

Diese Wahrheit, so evident sie ansich auch ist, ist dennoch von den meisten Philosophen übersehen worden. Sie glaubten im Besitz von etwas zu sein, das selbst ein reelles Denken und zugleich ein Maßstab allen Denkens überhaupt wäre; bis ein BACON, ein KANT, jeder zu seiner Zeit sie darauf aufmerksam machte. Jene sind den Geldgeizigen gleich, die über die große Wertschätzung der Mittel den Gebrauch derselben vernachlässigen.

Das Hauptgeschäft also, worauf die Philosophen ihr Augenmerk haben müßten, ist die Erlangung dieser beiden Vorteile zugleich: daß die Begriffe Realität enthalten, und dennoch allgemeingültig sind. Sie müßten sich daher beider Hilfsmittel zugleich bedienen; zur Erkenntnis der individuellen Dinge und ihres Gebrauchs der individuellen, zur Erkenntnis der allgemeinen Wahrheiten aber der allgemeinen Namen.

Eine Sammlung von Definitionen soll gleich einer Wechselkurstabelle nicht nur das Verhältnis ihres relativen Wertes gegeneinander, sondern auch den absoluten Wert einer jeden nach einer idealen Münze (Kritik des Erkenntnisvermögens überhaupt) angeben.

Das Definieren ist für den Philosophen ein schweres und zugleich ein unentbehrliches Geschäft. Daß jeder vollständigen Erkenntnis eine Definition, d. h. ein ausführlicher präziser Begriff ihres Gegenstandes vorhergehen muß, ist offenbar. Von der einen Seite aber wird man auch die Schwierigkeit eines solchen Unternehmens leicht zugeben.

Erstens können primitive Empfindungen wegen ihrer Einfachheit, in Anbetracht unserer, nicht definiert werden. Ja ich kann nicht einmal durch Vorzeigung ihres Gegenstandes sicher sein, daß der andere eben dieselben Empfindungen davon hat, die ich davon habe.

Zweitens können keine Objekte der Erfahrung die aus dergleichen Empfindungen zusammengesetzt sind, definiert werden; weil ihre Begriffe so wenig ausführlich, wie präzise, angegeben werden können, indem wir an ihnen beständig neue Merkmale entdecken können, die sich aus den in ihren Begriffen schon enthaltenen, nicht als Eigenschaften aus ihrem Wesen herleiten lassen, und die wir daher zu ihren Begriffen als neue Bestandteile hinzufügen müssen, und die folglich niemals ausführlich werden können; so kann sich auch nach genauer Untersuchung zeigen, daß einige Merkmale der Begriffe keine wesentliche Bestimmung, sondern bloß  Eigenschaften  der übrigen Merkmale sind, und folglich von der Definition ausgeschlossen werden müssen.

Die reinen Begriffe der Formen  a priori,  oder der subjektiven Bedingungen allen Denkens überhaupt können nicht definiert werden, weil sie allen Definitionen vorausgehen und ihnen zugrunde liegen müssen.

Außerdem legt noch der Sprachgebrauch dem Definieren neue Schwierigkeiten in den Weg. Denn da die Sprache nicht vom Philosophen, sondern vom gemeinen Mann erfunden worden ist, so wäre es unschicklich, wenn sich der Philosophe hierin zum Gesetzgeber aufwerfen wollte. Nun ist aber der Sprachgebrauch, eben darum weil er vom gemeinen Mann eingeführt ist, sehr schwankend. Wie sollte es also der Philosoph unternehmen, solche Worte und Begriffe, die im gemeinen Leben gebraucht werden, zu definieren?

Aber aller dieser Schwierigkeiten ungeachtet kann doch der Philosoph das Geschäft des Definierens nicht ganz aufgeben, nur muß er hierin behutsam zu Werke gehen.

Die primitiven Empfindungen können zwar als solche nicht definiert werden, aber sie haben es auch nicht nötig. Sie sind die Materie in den Objekten, d. h. bloße Elemente des Denkens, aber kein Denken selbst, sondern erst durch ihre sowohl sinnlichen wie Verstandesformen dazu gemacht worden. Die sinnlichen Objekte selbst könen zwar im strengsten Sinne des Wortes nicht definiert werden; sie lassen aber dennoch  Definitiones provisionelles  [voräufige Definitionen - wp] zu, die man durch Erfahrung und Versuche immer mehr berichtigen und vollständiger machen kann. Die Formen des Denkens können zwar ansich nicht definiert werden; man kann aber die Bedingngen ihres Gebrauchs  a priori  angeben. Was aber den Sprachgebrauch anbetrifft, so kann freilich der Philosophe keine Münze schlagen, oder den Wert der schon gangbaren nach Willkür verändern, d. h. er kann keine neuen Worte in der Sprache einführen, auch nicht die Bedeutung der alten nach Willkür bestimmen. Er kann aber dennoch den Wechselkurs anzeigen; und wenn er nur hierin behutsam verfährt, und seine Definitionen nicht für unveränderlich ausgibt, sondern bereit ist, dieselben nach Erfordernis abzuändern und zu verbessern, so kann ihm allerdings die Rechtmäßigkeit und der Nutzen solcher Definitionen nicht streitig gemacht werden.

Die Definitionen und die Definita stehen ungefähr in eben demselben Verhältnis zueinander wie die kleine und die große Münze. Jene ist zum unmittelbaren täglichen Gebrauch, diese aber zum  unmittelbaren täglichen Gebrauch,  diese aber zum  Handel im Großen  am bequemsten. LOCKE ist gegen den Gebrauch der Definitionen in der Philosophie. Er glaubt, daß man sicherer zu Werk geht, wenn man anstatt einer Definition, die aus dem Geschlechtsbegriff und der nächsten Art besteht, alle Merkmale eines Objekte angibt; weil es gemeinhin einer solchen Definition an Ausführlichkeit fehlt. LEIBNIZ hingegen verteidigt ihren Gebrauch.

Jener nimmt mehr Rücksicht auf die Ausführlichkeit des Begriffs, wodurch sein Gegenstand erkannt, und von allen übrigen unterschieden wird: dieser hingegen sieht zugleich auf die Präzision, wodurch nur solche Merkmale in den Begriff hereingebracht werden, die sich nicht auseinander herleiten lassen, und wo also die Folgen auf ihren wahren Grund bezogen werden.

Ich glaube aber, daß in Anbetracht der Objekte der Mathematik, LEIBNIZ Recht hat. Jeder mathematische Begriff ist in Anbetracht seiner Folgen immer ausführlich. Ein rechtwinkliges Dreieck ist nicht ausführlicher in Anbetracht seiner Folgen, nämlich daß z. B. das Quadrat der Hypotenuuse der Summe der Quadrate der Katheten gleich ist, als der Begriff eines Dreiecks überhaupt in Anbetracht der seinigen, daß z. B. die Summe seiner Winkel zwei rechten Winkeln gleich ist. Man braucht also nicht diese Folgen in den Begriff selbst, als wesentliche Stücke hereinzubringen.

Mit den Objekten der Natur aber ist es hierin ganz anders beschaffen; hier glaube ich, hat LOCKE Recht, indem er behauptet, daß dergleichen Definitionen zu NIchts taugen, weil man immer neue Merkmale, die sich nicht aus den schon bekannten, als Eigenschaften aus ihrem Wesen herleiten lassen, hinzuzufügen gezwungen ist, folglich die Begriffe niemals ausführlich sein können. Durch Herzählung aller bekannten Merkmale aber kann man sich doch dieser Ausführlichkeit immer nähern. Die Präzision verliert auch nichts dabei, weil dieses Begriffe dieselbe ohnedem, da wir das Innere der Objekte der Natur nicht so sehr kennen, daß wir ihre Eigenschaften auseinander herleiten können, nie erreichen werden. Mag aber die Erklärung eines Worts geschehen, auf welche Art auch immer, so ist sie doch immer unentbehrlich.

Ein Buch, das solche Erklärungen entweder in systematischer oder alphabetischer Ordnung enthält, ist mit einer Wechselkurstabelle zu vergleichen. Die Definita sind hier Zeichen vom inneren Wert der Definitionen, Münze überhaupt. Die Begriffe die sie vorstellen sind von verschiedener Art; einige haben bei ihrer geringen Quantität dennoch einen großen Wert; sie bestehen aus einer geringen Anzahl wesentlicher Bestimmungen, und sind dennoch, wegen ihres großen Einflusses auf das menschliche Denken, von großer Wichtigkeit; andere sind wieder umgekehrt der kleinen Münze gleich, sie enthalten viel in sich aber wenig unter sich. Jene dienen zum unmittelbaren Gebrauch, diese hingegen können auch außerdem zur Erfindung neuer Wahrheiten dienen.

Diese Definitionen können entweder in systematische Ordnung einer ganzen Wissenschaft, oder in alphabetische Ordnung gebracht werden. Beide Arten haben ihren Vorteil und Nachteil. Die systematische Ordnung ist zum Studieren, die alphabetische Ordnung eines Wörterbuchs aber bloß zum Nachschlagen geschickt. Dieses setzt schon jenes voraus.

Mein Vorhaben bei diesem Wörterbuch ist keineswegs, die Gegenstände der Philosophie nach irgendeinem bekannten System in alphabetischer Ordnung zu erklären (wie ungefähr WALCH in seinem philosophischem Lexikon, das nach dem zu seiner Zeit alleinherrschenden WOLFFischen System eingerichtet, oder wie SCHMIDT in seinem Wörterbuch, das bloß zum Nachschlagen bei den Kantischen Werken bestimmt ist), sondern die Gegenstände der Philosophie auf eine freie Art zu behandeln, wobei ich mich zuweilen diesem, zuweilen jenem System nähern, zuweilen auch von beiden abweichen, und dabei von dieser Abweichung den Grund angeben wird. Man kann mir also nicht die Abweichung von diesem oder jenem System als ein Versehen anrechnen, ehe man den Grund, der mich dazu bewog, untersucht hat.

Ferner werde ich hauptsächlich solche Worte, deren Gebrauch im gemeinen Leben von großem Nutzen ist, wie z. B. die moralischen, ästhetischen und dgl. sind, zu erklären suchen, und nur diejenigenn logischen und transzendentalen Begriffe hinzufügen, die darauf Einfluß haben. Und da der Plan dieses Werks weitläufig ist, indem er sich auf Alles, dessen Erkenntnis nützlich ist, erstreckt, so konnte ich nicht das Ganze auf einmal ausarbeiten. Ich mußte daher dasselbe in verschiedene Teile einteilen, wovon jeder ein ganzes Alphabeth enthalten soll. Der daraus erfolgenden Unbequemlichkeit im Nachschlagen aber werde ich durch ein Universalregister abzuhelfen suchen; das ich zuletzt hinzuzufügen Willens bin.

In diesem Wörterbuch werden nicht bloß Definitionen, sondern auch hauptsächlich die damit verknüpften Wahrheiten vorkommen, so daß die meisten Artikel als kurze Abhandlungen anzusehen sind. Es ist gleichsam ein Leitfaden, woran ich meine Gedanken anknüpfen will, und habe also nicht nötig, so wenig in Anbetracht des Inhalts als der Form, mich an irgendetwas zu binden.

Es wäre vielleicht nicht unschicklich, wenn ich mich hier in Klagen über den Verfall der Philosophie, über die wenige Aufmunterung die man dazu in unseren Zeiten findet und dgl. ausließe. Aber, erstlich glaube ich, daß man durch dergleichen Klagen das Übel nicht heben kann. Zweitens scheinen dergleichen Klagen nicht so sehr gegründet zu sein, als man es glauben möchte. Drittens könnte ich dieses auf keine bessere Art tun, als wenn ich hierüber die Worte eines unserer größten Denker anführe, der in der Vorrede zu seinen Briefen über die Kantische Philosophie sich folgendermaßen ausdrückt. (1)
    "Nicht ohne Kummer glaubte er (er spricht von seinem Freund, an den er diese Briefe richtet) bemerkt zu haben, daß der Zustand unserer wissenschaftlichen und gelehrten Kultur durch ein sich immer weiter ausbreitendes Streben nach dem handgreiflich Soliden bestimmt werde; daß der nie sehr große Enthusiasmus der Nation für ihre Dichter und Philosophen sichtbar abnehme; daß die Sittlichkeit durch die Sittenlehrer immer allgemeiner zur eigennützigen Klugheit herabgewürdigt, daß die Rechte der Menschheit von den Rechtsverständigen immer ausdrücklicher aus dem Vorteil eines einzelnen Staates erklärt, daß die Angelegenheiten der Religion von helldenkenden Köpfen beiseite gesetzt, und größtenteils dem fruchtlosen Kampf zwischen den Verteidigern des Aberglaubens und Unglaubens überlassen werden; daß die Elementarphilosophie durch das Bestreben, sie der Vorstellungsart des gemeinen Mannes näher zu bringen, ausartet, und der Wert der Lehrbücher nach dem Verhältnis, in welchem sie das Denken ersparen, geschätzt wird;, daß jede Schrift, die neue Ideen aufstellt, in eben dem Verhältnis mißverstanden, widerlegt, und verschrien wird, und daß endlich die wenigen Selbstdenker in ihren von Zeit zu Zeit fast gegen den Dank des Publikums, erscheinenden Versuchen sich untereinander mehr als jemals, mit und ohne Vorsatz, und so bestimmt entgegen arbeiten, daß immer der  eine  niederreißt, was der andere gebaut hat."

    "Da meiner Überzeugung nach, die Hauptquelle dieses Unwesens da, wo sie mein Freund am wenigsten vermutet hatte, im inneren Zustand der Philosophie selbst, und zwar im gänzlichen Mangel derjenigen Prinzipien liegt, die er für längst gefunden hält: so blieb mir, um ihn zu beruhigen, nichts anderes übrige, als der Versuch, ihn auf einige der wesentlichsten Bedürfnisse der bisherigen Philosophie aufmerksam zu machen; und da ich eine  neue  kennen gelernt habe, die diese Bedürfnisse zu befriedigen verspricht, ihm zum Studium derselben einzuladen, aufzumuntern und vorzubereiten. Auf diese Weise entstanden die Winke über die Beschaffenheit der gegenwärtigen und zukünftigen Philosophie, die den Inhalt dieser Briefe ausmachen."
Aber ich glaube, so begründet auch die Bemerkungen dieses Freundes ansich sind, so ist doch die hierüber geäußerte Klage nicht völlig so begründet, als es anfangs scheinen mochte; weil, wie der Verfasser sich selbst ausdrückt, die Hauptquelle dieses Unwesens im inneren Zustand der Philosophie selbst zu suchen ist. Nur hierin kann ich mit diesem großen Denker nicht übereinstimmen, wenn er glaubt, daß man sie im gänzlichen Mangel derjenigen Prinzipien suchen müsse, die sein Freund für längst erfunden hält; weswegen er ihn in diesen Briefen auf neue Prinzipien, die er selbst kennen gelernt hat, aufmerksam zu machen, und dadurch den Grund dieses Kummers zu heben sucht; sondern ich halte vielmehr dafür, daß der Grund dieses Übels nicht in dieser oder jener Art zu philosophieren, sondern in der Natur der Philosophie selbst liegt; die, indem sie sich auf Gegenstände der Erfahrung bezieht, eine nie auszufüllende Lücke zwischen Theorie und Praxis sehen läßt.

Ich würde an der Stelle dieses Freundes geantwortet haben: Ich gestehe es gerne, daß die bisherige Art zu philosophieren in Anbetracht der Prinzipien mangelhaft ist, und daß nur die Kantische Philosophie insofern sie auf Prinzipien  a priori  die in der Vernunft selbst gegründet sind, sich stützt, einer vollständigen Theorie empfänglich ist. Die Frage ist hier aber nicht von der Möglichkeit einer  reinen,  sondern der einer  angewandten  Philosophie. Das Kantische System mag also in Anbetracht der Theorie noch so vollkommen sein, so bleibt doch immer ein Zweifel in Anbetracht des Gebrauchs übrig, und so lange wie die Notwendigkeit dieses Gebrauchs nicht bewiesen werden kann, kann auch der Zustand unserer wissenschaftlichen und gelehrten Kultur nicht anders als durch ein sich immer weiter ausbreitendes Streben nach dem handgreiflich Soliden bestimmt, und mußt die Sittlichkeit zur eigennützigen Klugheit herabgewürdigt werden, usw. weil dergleichen Motive von allen Menschen als praktisch, d. h. handlungsbestimmend anerkannt werden. Die reine Philosophie hingegen wird von ihnen bloß als eine systematische Wissenschaft, die ein spekulatives Interesse für sie hat, angesehen werden. Man wird schwerlich den Politiker überreden können, daß er in seinen Verhandlungen nicht auf das besondere Interesse seines Staates, sondern auf das Interesse der Menschheit überhaupt Rücksicht nehmen, und noch viel weniger, daß er durch gar kein Interesse, sondern durch die bloße Form sich zum Handeln bestimmen soll. Ich glaube, daß auch der große Mann, der Urheber dieses Systems, es aus keinem anderen Gesichtspunkt als aus diesem hat betrachten wollen.

Da ich mich aber hierüber sowohl in diesem Werk als auch anderswo umständlich erklärt habe, so will ich mich hierbei nicht länger aufhalten.

Übrigens sehe ich wohl voraus, daß, indem ich in diesem Werk von den beiden herrschenden philosophischen Parteien in gewissen Punkten abweiche, ich mir dadurch manche Kritik zuziehen werde. Besonders wird man an meinem Vortrag und Stil, an der schriftstellerischen Ökonomie, und an der dezisiven [festlegenden - wp] Art meiner Behauptungen viel auszusetzen finden. Das erstere hoffe ich immer rechtfertigen zu können; denn was den Vortrag usw. anbetrifft, so gestehe ich selbst, daß diese nicht die besten sind. In Anbetracht des Letzteren aber, nämlich der dezisiven Art der Behauptungen, glaube ich, daß man auf die so sehr gepriesene Bescheidenheit in der Philosophie am wenigsten Rücksicht nehmen muß. Es ist sehr ekelhaft, beständig die Formeln:  ich glaube, ich halte dafür, meiner geringen Einsicht nach  und dgl. wo nicht die Natur der Sache selbst es erfordert, zu wiederholen. Diese Höflichkeitsformeln sind schon im gemeinen Leben eine unnütze Last, wie vielmehr müssen sie es in der Philosophie sein, indem es doch bekannt ist, daß jeder Schriftsteller sich zum Lehrer aufwirft, er mag diese Ehre auch noch so sehr von sich ablehnen wollen.
LITERATUR: Salomon Maimon, Philosophisches Wörterbuch oder Beleuchtung der wichtigsten Gegenstände der Philosophie, Berlin 1791
    Anmerkungen
    1) Siehe die Vorrede zu REINHOLDs Briefen über die Kantische Philosophie.