cr-2Zen oder EntwederSchweigen und Sprechen im Zen
 
TOSHIHIKO IZUTSU
Die Ausschaltung des
diskursiven Denkens


Der wahre Mensch ohne Rang
Zen-Unsinn
Der Zweifel am Denken
Die meisten Zen-Sprüche haben anscheinend keine Bedeutung und sind sogar unsinnig, vom gewöhnlichen Sprachverständnis aus gesehen.

In der Geschichte der indischen Philosophie steht die Sprachphilosophie des Mahayana ganz allgemein in diametralem Gegensatz zu der semantischen Theorie, die von der  Vaisesika -  und der Nyaya-Schule vertreten wird. Diese Theorie kennzeichnet sich dadurch, daß ein Wort das Symbol für ein existierendes Etwas der Außenwelt ist. Jedem einzelnen Wort entspricht ein wirklich existierendes Ding. Wenn es ein Wort gibt, kann man gewiß sein, daß dem ein Objekt in der Welt entspricht; andererseits ist alles, was wißbar ist, auch benennbar. Diese Ansicht ist so dominierend in der  Vaisesika- Schule, daß in deren Ontologie "existierend",  padartha,  das heißt Bedeutung eines Wortes oder was mit einem Wort gemeint wird, heißt.

Für diese Schule ist die alleinige Tatsache, dag es das Wort "Ochse" gibt, schon der Beweis dafür, daß es in der Augenwelt eine besondere Substanz gibt, die mit diesem Namen bezeichnet wird. Da wir über diese Substanzen mehrere Besonderheiten aussagen, wie "Der Ochse ist weiß", "Der Ochse läuft" usw., können wir auch sicher sein, daß Besonderheiten wie "Weißsein" oder "Laufen" in der wirklichen Welt existieren. Und da das Wort "Ochse" universell auf verschiedene Arten des Ochsen (wie laufend, rennend, ruhend usw.) angewandt werden kann, muß der Ochse als Universales auch in Wirklichkeit existieren. Dies gilt auch für die verschiedenen Eigenschaften, die den universellen Ochsen von den anderen Tierarten wie Pferd, Schaf, Hund usw. unterscheiden.

Die Ontologie des  Vaisesika  ist ein ausgesprochener Atomismus, in dem alle existierenden Wesen letztendlich auf Atome reduziert werden können (paramänu bedeutet "äußerst fein und schmal").

Die Atome sind die unsichtbaren Grundsubstanzen. Ein Ochse ist zum Beispiel eine zusammengesetzte Substanz, die aus einem Aggregat solcher Atome besteht. Eine zusammengesetzte Substanz ist ein sichtbarer Körper, ein neues und unabhängiges Wesen, das sich von den Atomen als seinen konstituierenden Teilen so unterscheidet, wie ein Stück Stoff -das aus Fäden besteht -eine von den Fäden verschiedene Substanz ist.

Sowohl die Schule des Mittleren Weges als auch die Schule der Nur-Vorstellung des Mahayana-Buddhismus verstehen sich als radikale Opposition zu dieser Betrachtung der Beziehung zwischen der Wirklichkeit und der Sprache. Der Buddhismus behauptet, die Sprache habe keine ontologische Bedeutung. Ein Wort entspricht nicht einem Teil der Wirklichkeit. Worte sind nichts als Zeichen, die für den alltäglichen Gebrauch erfunden wurden und mit der Struktur der Wirklichkeit nichts gemeinsam haben. Die Vaigesika-Schule vertritt die Ansicht, das einem Wort wie "Topf " oder "Tisch" in der Außenwelt ein wirkliches Objekt, eine Substanz entspricht.

Für den Buddhismus ist dies eine Ansicht, die sich allein auf die zweite, das heißt weltliche Stufe der Wirklichkeit bezieht. Gewöhnliche Leute denken immer in diesem Rahmen, und deren ganzes Weltschema und Verhalten wird dadurch bedingt. Vom Standpunkt der ersten Wirklichkeit aus ist dies falsch und reiner Unsinn. Ein "Tisch" ist zum Beispiel keine Substanz, die mit einer unveränderlichen, ewig selbst-identischen Identität versehen ist. Mit anderen Worten: Er ist "nichts", weil er selbst keine dauernde ontologische Festigkeit besitzt. Als phänomenales Wesen scheint es so, als würde der Tisch wirklich existieren, genau wie ein Geist oder der im Wasser reflektierte Mond. Die Nur-Vorstellung-Schule behauptet, die Sprache würde eine solche falsche Ansicht der Wirklichkeit herbeiführen.

Sprache ist untrennbar mit Begrifflichkeit verbunden. Die Bedeutung des Wortes wird im Begriff verallgemeinert, und die anscheinende Festigkeit und Dauer des Begriffs wird allzuschnell auf die Struktur der Welt projiziert. So erscheint der "Tisch" als durch-sich-selbst-existierendes Wesen, das eine wirkliche Festigkeit und auer besitzt. Das gleiche gilt für die Eigenschaften des Tisches wie Farbe und Form.

Im  Trimsika Vijnaptimatratasiddih  erklärt VASUBANDHU, daß solche "Dinge", die durch die natürliche Neigung des menschlichen Geistes produziert werden, nur falsch vorgestellte Seinsformen sind und nicht wirklich existieren. Vasubandhu argumentiert, der Mensch sei daran gewöhnt, sich die Existenz eines äußeren Dinges als Entsprechung eines Wortes vorzustellen, zum Beispiel den Objekt-Tisch als Entsprechung des Wort-Tisches. Er stellt sich weiter vor, daß das Auge als Wahrnehmungsorgan existiere, um den Objekt-Tisch wahrzunehmen. Als eigentliches "Existierendes" kann jedoch nur der dauernde Flug des Bewußtseins ( citta-samtana, ) dessen eigentlicher Inhalt sich von Moment zu Moment ändert, anerkannt werden. Der Objekt-Tisch wie auch das wahrnehmende Auge sind Produkte der diskriminierenden Funktion des Geistes, der diese subjektiven und objektiven Wesen durch Analyse aus dem Fluß des Bewußtseins herausgreift.

Der Mensch vergißt dabei völlig, daß der Inhalt des Bewußtseins von Moment zu Moment verschieden ist. So setzt er fälschlicherweise den "Tisch" als Universales, das sich trotz aller Raum- und Zeitunterschiede gleichbleibt. Streng gesprochen ist auch dieser besondere Tisch, den ich in diesem Moment wahrnehme, verschieden von dem sogenannten gleichen Tisch, den ich kurz darauf wahrnehmen werde. Und so wie der Objekt-Tisch von Moment zu Moment verschieden ist, so ist es auch das wahrnehmende Auge. Selbstverständlich ist das Auge, das einen runden Tisch wahrnimmt, verschieden von dem Auge, das einen viereckigen Tisch wahrnimmt. So werden sowohl das Auge als auch das Objekt fälschlicherweise durch die Vorstellung unterden Einfluß der Sprache gestellt. Und diese falschen Wesen sind phänomenale Formen, die unaufhörlich aus den tiefen potentiellen Kräften hervortreten, die im Unbewußten, das in dieser Schule  alaya-Bewußtsein genannt wird, gespeichert sind.

Auf ähnliche Weise behauptet NAGARJUNA, Gründer der Schule des Mittleren Weges und Stellvertreter der Philosophie des Nichts, die sogenannten Wesen seien nichts als Hypostasierungen [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] der Wortbedeutungen. Das Wort, sagt er, sei nicht solcher Art, daß es ein wirkliches Objekt bezeichnen würde. Anstatt sicherer Beweis der Existenz eines ontologischen Wesens zu sein, ist das Wort selbst nichts als ein unbegründetes geistiges Konstrukt, dessen Bedeutung durch seine Beziehung zu anderen Worten bestimmt wird. So ändert sich die Bedeutung eines Wortes, wenn sich das Maschenwerk, dessen Teil es ist, auch nur ganz minimal verändert.

Gewöhnliche Menschen, die mit der "weltlichen Ansicht", die auf der linguistischen Konvention begründet ist, konform leben, können nur in einer Welt existieren, die aus einer unendlichen Anzahl verschiedener Dinge, die nur Hypostasierungen der Wortbedeutungen sind, besteht. Diese linguistisch artikulierte Weltanschauung wird der Wirklichkeit auferlegt und verdeckt das, was sie wirklich ist, in ihrer reinen Unartikuliertheit - in ihrer unendlichen Offenheit, wie es Zen sagen würde. Gewöhnliche Menschen sind sich dieser letzten Schicht der Wirklichkeit nicht bewußt.

NAGARJUNA argumentiert, daß die erste dieser zwei Dimensionen, das heißt die linguistisch artikulierte Welt, reine Vorstellung sei. Was wirklich ist, sei die Dimension der Wirklichkeit vor dem analytischen Begreifen durch das Netz der artikulierten Worte. Diese prälinguistische Wirklichkeit ist die Wirklichkeit, das heißt das Nichts ( sunyata).  Das Wort  sunyata  bezieht sich auf den ursprünglichen metaphysischen Zustand der Wirklichkeit, in der es keine fälschlich gesetzten und fixierten Dinge gibt. Die einfache Tatsache, daß es hinter den immer-veränderlichen Formen der Phänomene überhaupt keine fixierten Wesen gibt, ist, wenn sie vom Menschen subjektiv verstanden wird, die höchste Wahrheit. Wenn der Mensch diese höchste Stufe erreicht hat und zurückschaut, dann entdeckt er, daß die Unterscheidung zwischen erstem oder "heiligem" Bereich der Wirklichkeit und zweitem oder "gemeinem" Bereich der Wirklichkeit reine Vorstellung war. Selbst das "Heilige" ist einartikulierter Teil der Wirklichkeit, der sich von dem, was nicht "heilig" ist, unterscheidet.

Das Koan Nr. 1 des PI YEN beschreibt diese Situation in einer für das Zen typischen brüsken und knappen Form. Der Kaiser WO von Liang fragt den BODHIDHARMA: "Was ist die erste Bedeutung der heiligen Wahrheit?" Darauf antwortete der BODHIDHARMA: "Grenzenlos offen! Nichts Heiliges!"

Ein grenzenlos offener Kreis, dessen Mittelpunkt überall und nirgends ist, der sich allen Versuchen der Festlegung entzieht - hier ist nichts festgelegt, nichts hat wesentliche Begrenzungen. Es gibt nichts,das als "Heiliges" dauernd festgelegt werden könnte. Diese lakonische Antwort des schon legendären ersten Patriarchen des Zen-Buddhismus stellt einen Abriß der Grundlehre des NAGARJUNA" dar.

Es wäre nur verständlich, wenn die Sprache in einem solchen besonderen Kontext schwerwiegende Probleme aufwerfen würde. Es gehört zur Natur der Sprache - wie wir oben sahen -, Wirklichkeit in festgelegten Wesen zu artikulieren. Zen fordert jedoch, daß Sprache ohne Artikulation eines einzigen Dinges auskommen solle.
Meister SHOU SHAN hielt seinen Bambusstab hoch.
Indem er ihn seinen Schülern zeigte, sagte er: "Wenn ihr, Mönche, dies einen Bambusstab nennt, dann legt ihr es fest. Wenn ihr es nicht Bambusstab nennt, dann widerstrebt ihr der Tatsache. Sagt mir, Mönche, jetzt sofort: Wie würdet ihr es nennen?"
Auf dem philosophischen Hintergrund, der oben aufgezeichnet wurde, wird es ein einfaches sein, Meister SHOU SHAN Intention zu verstehen. Wenn man einen Bambusstab "Bambusstab" nennt, hypostasiert man die Bedeutung des Wortes in eine getrennte selbständige Substanz und begeht den Fehler, die Wirklichkeit, wie sie wirklich ist, in ihrer grenzenlosen Offenheit zu artikulieren. Wenn man dahingegen nicht zu geben will, es sei einBambusstab, undsagt, es  sei kein  Bambusstab, widersetzt man sich der Tatsache, das die Wirklichkeit hier und jetzt in der phänomenalen Form eines Bambusstabes erscheint. Meister WU MEN Autor des  Wu Men Kuan,  kommentierte diese Anekdote mit den Worten:
Wenn man es Bambusstab nennt, legt man es fest. Wenn man es nicht Bambusstab nennt, widerstrebt man der Tatsache. So kann man weder etwas sagen noch nichts sagen. (Was ist es dann?) Sag es mir sofort! Sag es mir sofort!
Das "Sag es mir sofort!" oder "Sag sofort etwas! " ist bezeichnend für einen solchen-Zen-Kontext. Es bedeutet: "Sag etwas Bestimmendes ohne Überlegung, ohne Nachdenken! " Denn selbst die kleinste Überlegung würde den Menschen sofort von der ersten Stufe der Wirklichkeit wegführen. Die erste Stufe der Wirklichkeit muß viel eher an Ort und Stelle in Form eines Wortes oder einer Geste letzte Fassung werden- aus einer Bewußtseinsdimension heraus, die über der Artikulation liegt.

Das  Koan  berichtet uns nichts darüber, ob unter den Schülern einer war, der diese herausfordernde Frage Meister SHOU SHANs angemessen beantworten konnte. in dem gleichen Buch gibt es jedoch ein anderes  Koan,  in dem ein Schüler seinem Meister eine geeignete Antwort auf eine ähnliche Frage gibt.
Meister PAI CHANG holte eine Wasserflasche hervor, stellte sie auf den Boden und fragte: "Wenn ihr es nicht Wasserflasche nennen sollt, wie würdet ihr es nennen?" Der Abt des Klosters antwortete: "Es kann auf keinen Fall Holzstück genannt werden!" Daraufhin wandte sich der Meister WEI SHAN zu und bat ihn, seine Antwort zu geben. Auf der Stelle warf WEI SHAN die Wasserflasche mit seinem Fuß um. Der Meister lachte und bemerkte: "Der Abt wurde von diesem Mönch in dieser Runde geschlagen."
WEI SHAN, der damals die Position des  tien tsuo - Mönch, der sich um das Essen im Kloster kümmert- innehatte, wurde darauf hin zum Vorsteher eines neuerbauten Klosters ernannt. Er wurde später einer der großen Meister und eröffnete ein rühmliches Kapitel in der Geschichte des Zen in China.

Wir wollen nun die Bedeutung dieser anscheinend sinnlosen Tat des Meisters WEI SHAN untersuchen. Die Antwort, die von dem Abt gegeben wurde, stimmt mit dem gewöhnlichen Menschenverstand völlig überein. "Es kann auf keinen Fall Holzstück genannt werden" - mit anderen Worten: "Eine Flasche ist eine Flasche, sie kann niemals Holz sein." Diese Aussage ist sinnvoll vom Standpunkt der zweiten Ebene der Wirklichkeit aus.

Es muß bemerkt werden, daß es, solange man auf der zweiten Ebene der Wirklichkeit gefangen bleibt, unmöglich ist, die Grenzen dieses einfachen Realismus zu überschreiten. Man kann, auf dieser Ebene verweilend, die Unhaltbarkeit dieses Essentialismus erfassen und die Wasserflasche zum Beispiel "Gott" oder "Buddha" oder sogar "Nichts" nennen, um dessen magischen Bann zu brechen. Dabei befindet man sich trotzdem noch im Bereich der hypostasierten Wortbedeutungen. Denn sowie ein Wort wie "Gott" oder "Nichts" auf der Ebene der zweiten Wirklichkeit geäußert wird, legt sich der semantische Inhalt auch schon fest und kristallisiert sich in eine festgelegte Einheit mit einem eigenen Wesen. Zen verlangt den Übergang auf eine völlig andere Dimension - wo  A  weder  A  noch  nicht-A  ist, und doch, oder gerade deshalb,  A  unbestreitbar  A  ist.

In dieser neuen Dimension der Wirklichkeit ist die Wasserflasche weder eine Wasserflasche noch keine Wasserflasche, denn diese Dimension ist die des  sunyata , wo es keine festgelegten Wesen gibt. Aber gerade wegen dieser absoluten Ununterschiedenheit und Unartikuliertheit kann alles und jedes die totale Manifestation der ganzen Wirklichkeit sein. in diesem besonderen Sinn ist eine Wasserflasche eine Wasserflasche. In einer Wasserflasche ist das ganze  sunyata  aktualisiert. Die Wasserflasche wird nicht durch ihr eigenes Wesen, sondern durch das  sunyata  begründet und gestützt. Anders gesagt: In einer Wasserflasche ist das ganze Universum enthalten. Sie ist das ganze Universum. Ist die Wasserflasche in einer solchen Situation noch eine Wasserflasche? Ja und nein. Der junge Mönch WEI SHAN gab diesem Tatbestand Ausdruck durch sein anscheinend irrationales Verhalten, das in dem oben zitierten  Koan  festgehalten wurde.

Stille, wortlose Gesten sind nicht die einzigen Mittel, um die erste Ebene der Wirklichkeit zu aktualisieren. Sehr oft wird Sprache, völlig ausgereifte Rede, benutzt, um die ewige Wahrheit im Hier und jetzt zu aktualisieren. Hier ein typisches Beispiel:
Einmal fragte ein Mönch Meister FENG HSÜEH: "Die Rede verdirbt die Transzendenz (der Wirklichkeit), während das Schweigen die Manifestation verdirbt. Wie könnte man eine Rede und Schweigen kombinieren, ohne die Wirklichkeit zu verderben?"

Der Meister antwortete: "Ich erinnere mich immer an die Frühlingslandschaft, die ich einst in Chiang Nan sah. Rebhühner riefen dort inmitten von duftenden Blumen in voller Blüte!"

Der Mönch sagte: Wenn wir Worte benutzen, um die erste Ebene der Wirklichkeit zu beschreiben, wird die ursprüngliche Unartikuliertheit unweigerlich als begrenztes Wesen artikuliert. Wenn wir jedoch schweigen, dann taucht alles im ewigen Nichts unter, und der phänomenale Aspekt der Wirklichkeit geht dadurch verloren. Daher die Frage: Wie können wir Rede und Schweigen kombinieren, um die Wirklichkeit unter ihren beiden Aspekten darzustellen?
Anstatt dem Mönch zu antworten,  wie  er Rede und Schweigen kombinieren könnte, vergegenwärtigt Meister FENG HSÜEH den Augen des Mönchs die erste Ebene der Wirklichkeit als Kombination von Schweigen und Rede. Um die Struktur seiner Darstellung zu erläutern, müssen wir hier bedenken, daß die entzückende, hier mit Worten beschriebene Frühlingsszene eine Landschaft ist, die aus den Tiefen der Erinnerung hervorgeholt wird. Es ist eine Landschaft, die sowohl zeitlich als auch räumlich vom eigentlichen Standpunkt des Dichters weit entfernt ist. Mit anderen Worten: sie existiert nicht. Als wirklich hervorgerufene Erinnerung ist sie jedoch sehr lebendig da. Das Rufen der Rebhühner kann an diesem zeitlich-räumlichen Punkt der äußeren Wirklichkeit nicht gehört werden. Ohne Zweifel rufen die Rebhühner in eineranderen Dimension inmitten von duftenden Blumen. Alle Elemente des Gedichtes, das Subjekt-Ich mit einbeschlossen, sind zur gleichenZeit abwesend und anwesend. Dies ist eine eigenartige Kombination von Rede und Schweigen.

Ich möchte diese Darstellung mit dem Zitat eines anderen  Koans  aus demselben  Wu Men Kuan  beenden; ein  Koan  in dem wir die vollkommene Dramatisierung der Rückverwandlung der Artikulation in die Nicht-Artikulation verfolgen können. Die Anekdote beschreibt sehr lebendig, wie der Mönch TE SHAN, der später selbst ein berühmter Meister werden sollte, zum erstenmal die Erleuchtung erreichte.
Einst besuchte TE SHAN den Meister LUNG TAN, um dessen Belehrung einzuholen, und blieb bis zum Abend.

TAN sagte: "Die Nacht ist hereingebrochen. Warum ziehst du dich nicht zurück und ruhst aus?"

SHAN verbeugte sich, hob den Vorhang hoch und trat heraus. Draußen war es sehr dunkel. Er kam zurück und sagte dem Meister, es sei sehr dunkel draußen.

TAN zündete eine Kerze an und gab sie ihm. Als SHAN sie ergreifen wollte, blies er sie aus. Auf der Stelle erreichte SHAN die Erleuchtung.
Aus dem, was bis jetzt gesagt wurde, deutet sich diese Anekdote selbst. Es ist ein stilles Drama. In den letzten kritischen Momenten werden keine Worte benutzt. Es ist selbstverständlich, daß das Kerzenlicht, das die Dunkelheit erleuchtet und in sichtbare Dinge aufteilt, die Rolle der Sprache mit ihrer wesentlichen Funktion der Artikulation spielt. Als der Meister die Kerze ausblies, versank die einmal erhellte Welt wieder in ihre ursprüngliche Dunkelheit zurück, in der nichts unterschieden werden kann. Es ist dabei wichtig zu bemerken, daß für TE SHAN, der für einen Moment die erleuchtete Welt (das heißt die artikulierte Welt) gesehen hatte, die Dunkelheit nun nicht mehr nur Dunkelheit war; es war viel eher eine Dunkelheit, die alle artikulierten Dinge in sich aufgenommen hatte; es war die Nichtexistenz als Füllhorn der Existenz.

Es wird nun verständlich, wie Worte, die in einem solchen Kontext geäußert werden, sehr oft denjenigen völlig unsinnig erscheinen können, die in dem Netz der semantischen Artikulation verfangen sind.
LITERATUR - Toshihiko Izutsu, Philosophie des Zen-Buddhismus, Reinbek 1986