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RUDOLF CARNAP
(1891 - 1970)
Gegenstandsart und Identität
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Man darf sagen, daß in den meisten Fällen sprachlicher Identität (also bei Anwendung des Wortes "derselbe" oder "auch dieser", oder auch schon bei mehrmaliger Benutzung des Wortes) uneigentliche Identität vorliegt.

Nachdem wir den Entwurf des Konstitutionssystems dargestellt haben, soll nun an einigen Beispielen gezeigt werden, welchen Wert ein solches System für die Klärung philosophischer Probleme hat. Die Leistung des Konstitutionssystems liegt dabei nicht etwa in einer Darbietung inhaltlich neuer Erkenntnisse, die zur Lösung jener Probleme verwertet werden könnten, sondern eigentlich nur in der einheitlichen Ordnung der Begriffe, aus der heraus die Frage des einzelnen Problems schärfer gefaßt und damit einer Lösung nähergebracht wird.

Über den Unterschied zwischen
Individual- und Allgemeinbegriffen

Man pflegt die Begriffe einzuteilen in Individualbegriffe und Allgemeinbegriffe: der Begriff NAPOLEON ist ein Individualbegriff, der Begriff  Säugetier  ein Allgemeinbegriff. Vom Standpunkt der Konstitutionstheorie aus besteht diese Einteilung nicht zu Recht, oder vielmehr: sie ist nicht eindeutig, jeder Begriff kann je nach dem Gesichtspunkt als Individualbegriff und auch als Allgemeinbegriff aufgefaßt werden. Nach Kenntnis der Konstitutionsformen, genauer Stufenformen, wissen wir, daß (fast) alle sogenannten Individualbegriffe ebenso Klassen oder Relationen sind wie die Allgemeinbegriffe.
BEISPIEL. Zur Erläuterung diene die folgende absteigende Stufenfolge von Gegenständen (oder Begriffen). Der Hund (Species) ist eine Klasse, zu der mein Hund gehört; der Luchs ist eine Klasse, deren Elemente die "Zustände" des Luchs sind; ein einzelner Zustand des Luchs (als eines Wahrnehmungsdings) ist eine Klasse, deren Elemente Punkte der Wahrnehmungswelt sind; ein solcher Punkt ist eine mehrgliedrige Relation, deren Glieder vier Reihenterme (nämlich die Raum-Zeit-Koordinaten) und eine oder mehrere Sinnesqualitäten sind; eine Sinnesqualität ist eine Klasse "meiner Erlebnisse"; diese werden als Grundelemente angesehen.
Die Begriffe des Beispiels wären nach üblicher Auffassung teils als individuell, teils als allgemein anzusprechen. Dabei ist aber ein jeder (außer dem letzten) konstituiert als Klasse oder Relation, und der folgende ist jeweils ein Element dieser Klasse bzw. ein Glied dieser Relation; jeder stellt also ein Allgemeines anderer Gegenstände dar.

Woran liegt es nun, daß in der üblichen Betrachtungsweise etwa die Hundspecies und die Sinnesqualität Braun als etwas Allgemeines, dagegen der Hund Luchs und ein bestimmter Weltpunkt und ein bestimmtes Erlebnis als etwas Individuelles angesehen werden, ja zuweilen nur diese als "Gegenstände", jene dagegen als "bloße Begriffe" bezeichnet werden?

Die Untersuchung dieser und ähnlicher Beispiele zeigt zunächst, daß den sogenannten individuellen Gegenständen gemeinsam ist, daß ihnen eine Zeitbestimmung zukommt, und zwar entweder ein bestimmter Zeitpunkt oder eine zusammenhängende Zeitstrecke. Ferner kommt ihnen, soweit sie räumlicher Bestimmung zugänglich sind, entweder ein bestimmter Raumpunkt oder ein zusammenhängendes Raumgebiet zu. Dagegen sind z.B. der Sinnesqualität Braun viele, untereinander nicht zusammenhängende Raumzeitgebiete zugeordnet (nämlich die Gebiete derjenigen Raum-Zeit-Punkte, an denen dieses Braun laut Erfahrung vorkommt, d.h. denen es bei der Konstitution der Wahrnehmungswelt zugeschrieben ist).

Es gibt nun aber auch Ordnungen (freilich nicht raum-zeitliche), in denen den sogenannten Allgemeinbegriffen entweder ein Punkt oder ein zusammenhängendes Gebiet zukommt. Z.B. kommt dem Braun, falls es sich um einen ganz bestimmten Farbton handelt, ein Punkt des Farbkörpers zu, oder, falls es sich um Braun überhaupt handelt, ein zusammenhängendes Teilgebiet des Farbkörpers. Ebenso kommt der Species Hund sozusagen ein Punkt des zoologischen Körpers (des Systems der Tiernaturen) zu, und der Säugetierklasse ein zusammenhängendes Teilsgebiet dieses Körpers.

Der Unterschied zwischen Individual- und Allgemeingegenständen (oder -begriffen) beruht also auf dem Unterschied zwischen der zeitlich-räumlichen Ordnung und den anderen Ordnungen. Das Problem, weshalb gewöhnlich nur die in bezug auf die erste Ordnung individualisierten Gegenstände als individuell aufgefaßt werden, läuft somit auf die Frage hinaus, wodurch die Ordnungen der Zeit und des Raumes vor den übrigen Ordnungen ausgezeichnet sind. Wie wir später sehen werden sind die beiden Ordnungen auch für die Charakterisierung der wirklichkeitsartigen Gegenstände grundlegend.

Der gesuchte Unterschied geht zurück auf den Unterschied zwischen zwei Arten von Relationen, die zwischen Qualitätsklassen bestehen. Da der Gesichtssinn hierbei vor allem in Betracht kommt, nehmen wir jetzt nur auf ihn Bezug. Es handelt sich dann um den Unterschied zwischen der Gleichstelligkeit und der Gleichfarbigkeit zweier Qualitätsklassen des Gesichtssinnes. Auf der ersten dieser Relationen beruht die Konstitution der Sehfeldordnung und damit indirekt die der Raumordnung, auf der zweiten die qualitative Ordnung der Farben, der "Farbkörper".

Früher haben wir schon gesehen, daß die beiden Relationen einen formalen Unterschied aufweisen, der darauf zurückgeht, daß verschiedene gleichstellige Qualitätsklassen nie zu demselben Elementarerlebnis gehören können, wohl aber gleichfarbige. Nur mit Hilfe dieses Unterschiedes gelang es damals, die beiden Relationen und damit die beiden Ordnungen (Sehfeld und Farbkörper) zu trennen und jede für sich zu konstituieren. Wir überlegten auch schon, daß der Unterschied nicht nur eine formal-logische Bedeutung hat; die genannte formal-logische Eigenschaft der Gleichstelligkeit ist es gerade, die die besondere Leistung der aus dieser Relation abgeleiteten Raumordnung für die Erkenntnissynthese und damit auch für die Konstitution ermöglicht.

Diese Leistung der Raumordnung und, wie wir hinzufügen müssen, der beim Aufbau der physischen Welt mit ihr verknüpften Zeitordnung besteht darin, als  principium individuationis  zu dienen, und auch als "principum realisationis", nämlich als Prinzip zunächst der Setzung als wirklichkeitsartig, dann der Setzung als wirklich. Daß auch die Zeitordnung beide Leistungen erfüllt, sowohl die eines Prinzips der Individuation wie die eines Prinzips der Wirklichkeitssetzung, - und zwar primär, nämlich logisch vor der Raumordnung, - hat seinen Grund darin, daß die Zeitordnung vor allem eine Sonderung der Bestimmungen (insbesondere der Qualitätsklassen) der Elementarerlebnisse mit sich bringt, indem Bestimmungen nicht-identischer Erlebnisse als zeitlich verschieden gelten und umgekehrt.

Die Stellung der Konstitutionstheorie zur Unterscheidung individueller und allgemeiner Gegenstände läßt sich hiernach etwa so formulieren. Es gibt zwei Arten von Ordnungen, - zunächst für die Qualitätsklassen, dann abgeleitet für irgendwelche Gegenstände, - die sich dadurch unterscheiden, daß die ihnen zugrunde liegenden Relationen einen formal-logischen Unterschied in bezug auf die Zugehörigkeit zweier Qualitätsklassen zu demselben Elementarerlebnis aufweisen. Die erste Art umfaßt die Ordnungen, die wir als zeitliche und räumliche bezeichnen, die zweite Art als die übrigen.

Die formal-logischen Eigenschaften der den Ordnungen erster Art zugrundeliegenden Relationen machen es möglich, diese Ordnungen als Prinzipien der Individuation und danach auch der Wirklichkeitssetzung (die ihrem Sinne nach Individuation voraussetzt) zu verwenden. So ergibt sich ein formal feststellbarer Unterschied zwischen solchen Gegenständen, die (entweder selbst oder durch Vermittlung ihrer Elemente usw.) in den Ordnungen erster Art einem Punkt oder einem zusammenhängenden Teilgebiet zugeordnet sind, den "Gegenständen erster Art", und den Gegenständen, die diese Eigenschaft nicht haben, den "Gegenständen zweiter Art".

Es zeigt sich, daß für einen Gegenstand zweiter Art stets eine Ordnung zweiter Art vorhanden ist (d.h. konstituiert werden kann), in bezug auf die er sich analog verhält, indem er nämlich einem Punkt oder zusammenhängendem Teilgebiet dieser Ordnung zugeordnet ist. Den so unterschiedenen Gegenständen erster und zweiter Art mag man nun, wenn man will, die üblichen Bezeichnungen "individuell" bzw. "allgemein" beilegen, wofern man mit diesen Ausdrücken nur die angegebenen unterscheidenden Eigenschaften meint und vor allem beachtet, daß die sog. individuellen Gegenstände nicht etwa in irgendeinem Sinne logisch einfacher oder einheitlicher sind als die allgemeinen.


Über die Identität

Das Problem der Identität hängt mit dem soeben behandelten Problem der Unterscheidung zwischen individuellen und allgemeinen Gegenständen zusammen. Es setzt zu seiner Klärung die Lösung jenes Problems, die Erkenntnis der logischen Bedeutung jenes Unterschiedes voraus.

Das Problem der Identität ensteht nur infolge des Umstandes, daß nicht jeder Gegenstand nur einen Namen (im weitesten Sinne) hat. Denn das Problem besteht im Grund in der Frage, wann zwei verschiedene Bezeichnungen denselben Gegenstand bezeichnen. Daß es mehrere verschiedene Bezeichnungen desselben Gegenstandes gibt, ist nicht nur die empirische Unvollkommenheit des Bezeichnungssystems. Die Mehrnamigkeit ist vielmehr logisch dadurch bedingt, daß es für jeden Gegenstand nicht nur einen  Eigennamen  geben kann (mehr als ein Eigenname ist überflüssig), sondern außerdem noch  Kennzeichnungen,  und zwar stets mehrere (vielleicht sogar im allgemeinen beliebig viele).

Wie erklärt worden ist, besteht eine Kennzeichnung darin, daß ein Gegenstand durch Angabe von überschneidenden Klassen, zu denen er gehört, oder von Relationen zu anderen Gegenständen, oder auch durch bloße strukturelle Beschreibung seiner Stelle in einem Relationsgefüge so bezeichnet wird, daß die Beschreibung nur für ihn allein und für keinen anderen Gegenstand zutriftt. Wir haben gesehen, welche grundlegende Bedeutung den Kennzeichnungen gerade in der Konstitutionstheorie zukommt; besteht doch das Konstitutionssystem aus nichts Anderem als solchen Kennzeichnungen in der Form konstitutionaler Definitionen.

Aber auch bei allen übrigen Fragen erkenntnismäßiger, besonders wissenschaftlicher Bestimmung spielen die Kennzeichnungen eine große Rolle. "Der Vater des Herrn A", "der Geburtstag des Herrn A", "die Species dieses Käfers hier", "der spezifische Widerstand von Kupfer" und dergl. sind Kennzeichnungen, die in Fragen vorkommen können. Als Antwort werden dann andere Bezeichnungen derselben Gegenstände verlangt, nämlich Personennamen, Daten, Zahlen und dergl. Die Fragen haben nur deshalb Sinn, weil es verschiedene Bezeichnungen desselben Gegenstandes gibt, nämlich die Bezeichnung in der Frage ("der Geburtstag des Herrn A") und die in der Antwort ("der 22. März 1832"). Die Bezeichnungen desselben Gegenstandes nennen wir, "gleichbedeutend". Der Unterschied zwischen Bedeutung und Sinn eines Gegenstandszeichens ist dabei zu beachten; er entspricht dem Unterschied zwischen logischem Wert und Erkenntniswert von Aussagen. Die Ausdrücke "der Geburtstag des Herrn A" und "der 22. März 1832" haben dieselbe Bedeutung, denn es ist derselbe Tag, den beide bezeichnen. Dabei haben sie aber offenbar verschiedenen Sinn. Das zeigt sich schon darin, daß ihre Identisch-Setzung keine Trivialität ergibt.

Das Kriterium für gleiche Bedeutung besteht in der Substituierbarkeit: zwei Bezeichnungen gelten dann als gleichbedeutend, wenn jede Aussagefunktion, die bei Einsetzung der einen Bezeichnung einen wahren Satz liefert, dasselbe bei Einsetzung der anderen Bezeichnung tut. Das ist die Definition der logischen Identität.
BEISPIEL. Die Sätze "GOETHE starb am 22. März 1832" und "GOETHE starb am Geburtstag des Herrn A" sind gleicherweise wahr. Das Entsprechende gilt auch für alle anderen Sätze über dieses Datum. Daß der eine der beiden Sätze wertvoll, der andere wertlos ist, ist hierbei gleichgültig. Es kommt für das Kriterium der gleichen Bedeutung, der "Identität", nur auf den Wahrheitswert der Sätze an.
Die Identität wird im gewöhnlichen Sprachgebrauch, auch in dem der Wissenschaft, nicht immer in ihrem strengsten Sinne genommen. Auch Gegenstände, die nicht im streng logischen Sinne identisch sind, pflegt man sprachlich als identisch zu behandeln; welche Gegenstände als identisch angesehen werden, zeigt sich gewöhnlich in der Verwendung des Wortes "derselbe" oder einfach "dieser". Häufig gilt die Identität nicht für den Gegenstand selbst, auf den sie sprachlich bezogen wird, sondern für seine Art, als deren Vertreter er also genommen wird.
BEISPIEL. Die Frage "hast du schon dieses Buch, diesen Schmetterling?" meint nicht den vorgewiesenen Gegenstand selbst, sondern die Art, als deren Vertreter der Gegenstand genommen wird. Diese uneigentliche Identifizierung kann auch mehrere von einander verschiedene Richtungen haben, wie sich in den folgenden vier Sätzen zeigt: "die Straßenbahn in A. hat dieselben Wagen wie die in B."; "ich bin heute mit demselben Wagen herausgekommen wie gestern, nämlich 6.12 h"; "dies ist derselbe Wagen, der bisher auf der Linie 10 fuhr"; "ich saß in dem Wagen, den du hast vorbeifahren sehen."
Wie die angeführten Beispiele zeigen, ist zwar in manchen Fällen eindeutig, worauf sich die Identität beziehen soll, d.h. als Vertreter welcher Art der Gegenstand gemeint ist. Zum Beispiel wird bei einem Tier oder einer Pflanze in der Regel die Species gemeint sein. In anderen Fällen dagegen gilt ein Gegenstand je nach dem Zusammenhang als Vertreter ganz verschiedener Klassen; die sprachlich auf den Gegenstand selbst bezogene Identität gilt dann jeweils nur von einer dieser Klassen. So liegt es im Beispiel der vier Sätze über den Wagen. Um die in solchen Fällen auftretende Verschiedenheit der Richtung der Identifizierung zu charakterisieren, können wir zwei verschiedene Betrachtungsweisen oder Ausdrucksweisen anwenden.

Nach der ersten Betrachtungsweise handelt es sich (z.B. bei jenen vier Sätzen) nicht um Identität, sondern um verschiedene andere Relationen, die aber (sei es nur sprachlich, sei es auch in der Auffassung) als Identität genommen werden. Nach der zweiten Betrachtungsweise dagegen handelt es sich nicht um Gleichartigkeit (dieser oder jener Richtung), sondern um Identität im strengen Sinne; allerdings nicht um Identität zwischen den jeweils auftretenden Einzelgegenständen selbst, sondern zwischen Gegenständen höherer Stufe (Klasse oder Relation), auf die die Gegenstände als Repräsentanten hinweisen.
BEISPIEL. Wenden wir auf das angeführte Beispiel der vier Sätze über den Wagen die erste Betrachtungsweise an, so sagen wir: zwischen den Gegenständen besteht streng genommen nicht die Identität, die der Sprachgebrauch ansetzt, sondern andere Relationen, nämlich
  1. die Gleichartigkeit in Bau und Aussehen
  2. die gleiche Tageszeit oder die gleiche Stelle im Fahrplan
  3. die "Genidentität", d.h. Zugehörigkeit verschiedener "Dingzustände" zu demselben Ding;
  4. die intersubjektive Zuordnung zwischen Dingzuständen.
Bei der zweiten Betrachtungsweise dagegen nehmen wir die Wagen als Repräsentanten von Gegenständen höherer Stufe; diese Gegenstände höherer Stufe, für die strenge Identität gilt, sind in den vier Fällen:
  1. der Bautypus (als Klasse oder Wagen);
  2. die Institution, die darin besteht, daß täglich um 6.12 h ein Wagen als Klasse von Wagen (-fahrten);
  3. das physische Ding "Wagen" als Klasse seiner Zustände;
  4. der intersubjektive Gegenstand "Wagen" als Klasse der einander subjektiv zugeordneteten Gegenstände, also ein einzelner Wagen im intersubjektiven Sinne.
Daß strenge Identität nur gilt
  1. für den Bautypus an beiden Orten,
  2. für die von mir an den beiden Tagen benützte Institution,
  3. für das physische Ding zu verschiedenen Zeiten,
nicht dagegen für die Gegenstände selbst, die nur Vertreter dieser Gegenstände höherer Stufe sind, ist leicht zu sehen; nicht so leicht aber im Falle d), daß die Identität nur für den als Klasse konstituierten intersubjektiven Gegenstand gilt, nicht für die einander intersubjektiv zugeordneten.
Aus den angestellten Überlegungen geht hervor, daß bei jeder Aussage über Identität genau zu beachten ist, ob die Identität im strengen Sinne gemeint ist oder nicht. Man darf sagen, daß in den meisten Fällen sprachlicher Identität (also bei Anwendung des Wortes "derselbe" oder "auch dieser", oder auch schon bei mehrmaliger Benutzung des Wortes) uneigentliche Identität vorliegt. Hier sind dann die Gegenstände als Vertreter streng identischer Gegenstände höherer Stufe genommen; es handelt sich anstatt um Identität und andere Gleichheitsrelationen.

Als Relationen dieser Art kommt besonders in Betracht: die Gleichheit irgendwelcher Art, im Sinne der Übereinstimmung in irgendeiner Eigenschaft; die Genidentität und die intersubjektive Zuordnung. Die beiden letzteren werden besonders häufig mit der (eigentlichen) Identität verwechselt; vielleicht trägt ihre bisherige Namenlosigkeit einen Teil der Schuld daran. In allen Fällen solcher Relationen wird der Gegenstand höherer Stufe, für den die Identität gilt, erst aus den nicht-identischen Gegenständen mit Hilfe der betreffenden Relation konstituiert; und durch diese Konstitution ensteht dann erst die Berechtigung, hier von Identität zu sprechen.

Es ist bemerkenswert, daß zuweilen der zeitliche Verlauf der Begriffsentwicklung dergestalt ist, daß zunächst eine Relation der vorhin charakterisierten Art sprachlich als Identität genommen und dann erst der Gegenstand höherer Stufe konstituiert wird, durch den dieser Sprachgebrauch gerechtfertigt wird; und zwar wird er sozusagen gerade durch diesen uneigentlichen Sprachgebrauch konstituiert. Hierher gehört die Methode der Konstitution des Gegenstandes auf Grund anderer Gegenstände durch die Angabe, wann immer zwei der zugrunde liegenden Gegenstände als identisch angesprochen werden sollen.
BEISPIELE. Die auf der Genidentität beruhende Konstitution von Wahrnehmungsdingen kann etwa die Form annehmen: "ein wahrgenommenes Ding a und ein wahrgenommenes Ding b sind dasselbe Ding, wenn a und b die und die Bedingungen erfüllen (nämlich die Genidentitätskriterien)". Ferner werden z.B. die Tierarten (und in analoger Weise die Pflanzenarten) dadurch konstituiert, daß die Zoologie von "demselben" Tier spricht, wenn die und die Kriterien erfüllt sind. Auch die vorhin genannten vier Fälle der Redeweise von "demselben" Wagen können hier herangezogen werden.

Die Gegenstandsarten des Physischen, Physischen und Geistigen

Es sei zunächst noch einmal kurz zusammengefaßt, wie das Wesen der verschiedenen Gegenstandsarten (hier nur der hauptsächlichsten) und ihre Unterschiede sich auf Grund des Konstitutionssystems darstellen. Für die nachher zu erörternden Probleme ist das von grundlegender Bedeutung. Die Unterschiede innerhalb der Hauptgegenstandsarten lassen wir jetzt unberücksichtigt, um nicht auf Einzelheiten eingehen zu müssen. Wir greifen deshalb von jeder Gegenstandsart die wesentlichsten Vertreter heraus: im Eigenpsychischen die Erlebnisse, ihre einmaligen Bestandteile und die Qualitäten (der Sinnesempfindungen, Gefühle, Wollungen usw.); im Physischen die physischen Dinge; im Fremdpsychischen auch wieder die Erlebnisse, ihre einmaligen Bestandteile und die Qualitäten; im Geistigen die primären geistigen Gegenstände und allgemeine höhere.

Das Konstitutionssystem zeigt, daß alle Gegenstände sich aus "meinen Elementarerlebnissen" als Grundelementen konstituieren lassen; mit anderen Worten (denn das bedeutet der Ausdruck "konstituieren"): alle (wissenschaftlichen) Aussagen lassen sich unter Beibehaltung des logischen Wertes umformen in Aussagen über meine Erlebnisse (genauer: über Beziehungen zu ihnen). Jeder Gegenstand, der nicht selbst eins meiner Erlebnisse ist, ist somit ein Quasigegenstand; sein Name ist ein abkürzendes Hilfsmittel, um über meine Erlebnisse zu sprechen. Und zwar ist der Name innerhalb der Konstitutionstheorie und damit innerhalb der rationalen Wissenschaft  nur  eine Abkürzung; ob er außerdem noch etwas "an sich Bestehendes" bezeichnet, ist eine Frage der Metaphysik, die innerhalb der Wissenschaft keinen Platz hat.

Die eigenpsychischen Gegenstände (und zwar die wichtigsten, oben genannten) sind teils selbst meine Erlebnisse, teils Klassen von solchen, die mit Hilfe der Grundrelation(en) gebildet worden sind, teils Relationen zwischen ihnen selbst und diesen Klassen; es sind also meine Erlebnisse selbst und Hilfsausdrücke (Quasigegenstände) der nächsten Stufen.

Die physischen Gegenstände sind vierdimensionale Anordnungen von Qualitäten (bzw. von Zahlen, die die Qualitäten vertreten), also von Klassen meiner Erlebnisse. Die Erlebnisse sind zunächst in Klassen und diese in Vierfachsysteme von Reihen gefaßt; gewisse Teilsysteme hiervon sind die physischen Gegenstände.

Die fremdpsychischen Gegenstände bestehen in einer neuen Anordnung der eigenpsychischen Gegenstände nach Maßgabe gewisser physischer Gegenstände (nämlich meines Leibes und der Leiber der anderen Menschen). Sie stimmen also mit den physischen Gegenständen darin überein, daß auch sie Ordnungen der eigenpsychischen Gegenstände sind. Während aber diejenige Ordnung der eigenpsychischen Gegenstände, die zu den physischen führt, eine der Ordnung des Eigenpsychischen ganz fremde Beschaffenheit hat (nämlich jenes vierfache Reihensystem), hat diejenige Ordnung der eigenpsychischen Gegenstände, die die fremdpsychischen ergibt, eine weitgehende Ähnlichkeit mit der Ordnung der eigenpsychischen Gegenstände selbst, zwar nicht in bezug auf die Nachbarschaft im Einzelnen (nämlich die Anordnung in der Zeit), aber in bezug auf die allgemeinen Gesetze der Ordnungsnachbarschaft (nämlich die psychologischen Gesetze des Verlaufs in der Zeit).

Die geistigen Gegenstände sind Ordnungen fremdpsychischer (und in geringem Maße auch eigenpsychischer) Gegenstände, die gewöhnlich mehrere Stufen über ihnen stehen.


Metaphysisches Wesen

Die gegebenen Antworten auf die Frage nach dem Wesen der verschiedenen Gegenstandsarten werden sicherlich vielfach als unbefriedigend empfunden, nämlich dann, wenn mit der Frage nicht das konstitutionale, sondern das metaphysische Wesen gemeint war. Die Frage nach dem konstitutionalen Wesen eines Gegenstandes will wissen, wie er im konstitutionalen Zusammenhang des Systems steht, insbesondere, wie er sich aus den Grundgegenständen herleitet. Die Frage nach dem metaphysischen Wesen dagegen will wissen, was der betreffende Gegenstand ansich sei.

Daß sie voraussetzt, es gebe den Gegenstand nicht nur als bestimmte Konstitutionsform, sondern auch als "Gegenstand an sich", charakterisiert gerade diese Frage als zur Metaphysik gehörig. Häufig wird dies übersehen und daher diese Frage auch in der nicht-metaphysischen Wissenschaft gestellt, wo sie keine Berechtigung und keinen Sinn hat.

Es muß noch genauer angegeben werden, was unter dem konstitutionalen Wesen eines Gegenstandes zu verstehen ist. Genau genommen kann in der Wissenschaft gar nicht vom Wesen, auch nicht dem konstitutionalen, eines Gegenstandes gesprochen und folglich auch nicht danach gefragt werden. Nur in einem gewissen uneigentlichen Sinne hat ein Gegenstand ein Wesen, hat ein Gegenstandsname eine Bedeutung, hat also die Frage nach der Bedeutung eines Gegenstandsnamens einen Sinn. Genau genommen muß die Frage nicht lauten: "welche Bedeutung hat dieses Gegenstandszeichen?", sondern: "welche Sätze, in denen dieses Gegenstandszeichen auftreten kann, sind wahr?"

Eindeutig beurteilbar ist nur die Wahrheit oder Falschheit eines Satzes, nicht die Bedeutung eines Zeichens, auch nicht eines Gegenstandszeichens. Die Angabe des Wesens eines Gegenstandes oder, was dasselbe ist, die Angabe des Zeichens eines Gegenstandes, besteht deshalb in der Angabe von Kriterien der Wahrheit derjenigen Sätze, in denen das Zeichen dieses Gegenstandes auftreten kann. Solche Kriterien können in der verschiedenen Weise formuliert werden; dadurch ist dann die jeweilige Art der Wesensangabe charakterisiert.

Bei der Angabe des konstitutionalen Wesens eines Gegenstandes besteht das Kriterium in der Konstitutionsformel des Gegenstandes als einer Umformungsregel, mit deren Hilfe jeder Satz, in dem das Zeichen des Gegenstandes auftreten kann, schrittweise in Sätze über Gegenstände niederer Konstitutionsstufe übersetzt werden kann und schließlich in einen Satz über die Grundrelation(en) allein.

Der früher erwähnte Begriff der "Wesensbeziehung", der in den Erörterungen über Wesensprobleme eine große Rolle spielt (besonders bei den Problemen der Kausalität und des psychophysischen Parallelismus), ist mit dem des metaphysischen Wesens verwandt. Eine Wesensbeziehung kann nicht in das Konstitutionssystem eingeordnet werden. Aussagen über sie können also nicht in eine verifizierbare Form gebracht werden. Also kann die Wissenschaft auch schon eine Frage über die Wesensbeziehung nicht stellen. Dieser Begriff erweist dadurch seine Zugehörigkeit zur Metaphysik.
LITERATUR - Rudolf Carnap, Der logische Aufbau der Welt, Frankfurt/Berlin/Wien 1979