HazayHönigswaldLanzMauthnerTrendelenburg | |||
Die Logik der Philosophie und die Kategorienlehre [Eine Studie über den Herrschaftsbereich der logischen Form] [2/3]
2. Abschnitt Die Einsetzung der Begriffe "Form" und "Sinn" in die kopernikanische These (1) Diese Logisierung der Gegenständlichkeit muß nun für das populäre wie für das dogmatische Bewußtsein sofort an Paradoxie verlieren, sobald bedacht wird, daß nur der Gegenstands charakter an den Gegenständen dem Logischen überliefert, aber nicht panlogistisch die Gegenstände in ihrer konkreten Ganzheit zu lauter logischem Gehalt gestempelt werden sollen. Nur um das handelt es sich, was sich an den Gegenständen, dem Seienden, dem Wirklichen, den Dingen, den kausalverbundenen Geschehnissen als bloßer Charakter, Moment, Epitheton, Prädikat, "Kategorie" der Gegenständlichkeit des Seins, der Wirklichkeit, der Dinghaftigkeit, der kausalen Zusammengehörigkeit von der Fülle ihrer sonstigen Inhalt abhebt. Was auf Rechnung logischen Gehalts kommt, ragt als ein bloßes Moment der Gegenständlich keit in die Fülle des Gegenständlichen hinein. Es spaltet sich so das Reich der Gegenstände in das Moment der Gegenstädlichkeit und in das, was gegenständlich ist, ins Sein und in die seienden Inhalte oder kurz ins Sein und ins Seiende, in die Dinghaftigkeit und ins Dinghafte, in die kausale Notwendigkeit und ins kausal Verbundene. Das Logische liegt als ein bloßes Moment über einer alogischen Masse (2). Bei dieser Erörterung der Stellung, die der transzendentallogische Gehalt einnimmt, stößt die Darstellung unvermeidlich auf die Notwendigkeit einer ersten entscheidenden, die früheren Ausmachungen über die Struktur der Geltungssphäre völlig umstoßenden Revision der Grundbegriffe. Mit einem Schlag muß dadurch die frühere Gesamtlehre von der Geltungssphäre korrigiert und eben darum die jetzige spezielle Lehre gerade vom theoretischen Geltungsgehalt und von der kopernikanischen Umwälzung genauer präzisiert werden. In der Einleitung sollte es sich noch lediglich um die Art der Unsinnlichkeit, der Geltungsartigkeit, der Zeitlosigkeit überhaupt drehen. Jetzt dagegen erhebt sich eine Frage, die wichtigste, die sich denken läßt: ob jenes "Reich" wirklich einen Inbegriff von eitel Geltungsgehalt, eine einzige lautere Masse geltender, zeitloser Art darstellt oder ob etwa der Bestand zeitloser Geltungsartigkeit lediglich ein dem Ganzen das Gepräge gebendes Moment daran ausmacht. Um die Struktur, die Konstitution des objektiven "Reiches" handelt es sich nunmehr. Die Entscheidung darüber ist einfach und grundlegend. Denn von einem einzigen Urverhältnis ist - wie die allgemeine Strukturlehre der Geltungssphäre zu zeigen hat - alle Gliederung geltungsartiger Sachlichkeit einheitlich beherrscht. Das objektive Reich ist in der Tat artikuliert! Es ist keine gleichsam amorphe, keine formlose Masse! Es hat "Form"! Und zwar das Geltende ist die "Form" daran. Nur die Form braucht zeitlos geltender Art zu sein, und das Geltende spielt nur die Rolle der Form im Reich der objektiven Sachlichkeit. Geltungsgehalt ist seiner Stellung, seinem gleichsam funktionellen Wesen nach Formgehalt. Damit ist der Fundamentalsatz erreicht, der an der Spitze wie der gesamten philosophischen Geltungswissenschaft, so auch der theoretischen Transzendentalphilosophie zu stehen hat. Er läßt sich folgendermaßen aussprechen. Wenn man auf irgendwelche Bestimmtheiten, z. B. logischen Gehalts, hinblickt, so wird man dessen gewahr, daß der Geltungsgehalt seinen Sinn nicht in sich selbst erfüllt, nicht in sich ruht, nicht eine "Welt" für sich bildet, sondern als ein Anschmiegungsbedürftiges, Ergänzung Forderndes über sich hinausweist auf ein fremdes Außer-sich. Es gibt kein Gelten, das nicht ein Gelten betreffs, ein Gelten hinsichtlich, ein Hin gelten wäre; es gibt nicht eine sich selbst genügende, selbständige, nicht anlehnungsbedürftige, auf nichts außer sich angewiesene, zugeschnittene, berechnete Region von eitel Geltungsgehalt. Man kann diese Unselbständigkeit, diese Unerläßlichkeit, an einem andern und für ein anderes zu sein, einer ehrwürdigen Terminologie entsprechend, den Form charakter des Geltens nennen. Geltungsgehalt ist bloße leere, der Erfüllung mit "Material" oder "Inhalt" harrende Form. Alles Geltende ist ein inhaltliche Erfüllung erwartendes Hingeltendes, ein etwas anderes Betreffendes und bedarf eines Materials als des Betroffenen. Wie man die Hingeltungscharakter des Geltens bildlich als "Form" bezeichnen darf, so die Situation dessen, worauf das Gelten hingilt, wessen es zu seiner Erfüllung bedarf, als "Inhalt" oder "Material". Man greife zur vorläufigen Jllustrierung dieses Grundverhältnisses beliebige Einzelgestalten logischen Gehalts heraus! Identität ist unverständlich ohne ein Etwas, einen Inhalt, der da identisch, von der geltenden Form der Identität umkleidet ist, Identität weist über sich hinaus auf ein identisches Etwas. Ebenso ist Unterschiedenheit, diese logische Relation, diese Beziehung, dieses logische Zwischen unverständlich ohne ein Wozwischen, ohne die Beziehungsglieder, zwischen denen sie die Beziehung ist. Beziehung weist auf Glieder hin und die Glieder stehen in der Beziehung. da aber Beziehung ein Beispiel für eine logische Form ist, so heißt das: Form weist hin geltend auf Inhalt hin, und Inhalte stehen in der Form. Sofern nun nach der kopernikanischen These auch Sein, Dinghaftigkeit, Kausalität theoretischen Geltungsgehalt repräsentieren, gilt für das Verhältnis des Seins zum Seienden dasselbe wie soeben für das der Identität zum Identischen; für das Verhältnis der Dinghaftigkeit und Kausalität, dieser Zusammengehörigkeiten, zum dinghaft und kausal verbundenen Material dasselbe, wie für das Verhältnis der Unterschiedenheit zum Unterschiedenen. Sein, Dinghaftigkeit, Kausalität sind Form oder - wie die theoretische Form fortan heißen soll - Kategorie. Die Erörterung der kopernikanischen These hat jetzt zu dem auch für KANT maßgebenden Formbegriff hingedrängt. Mit der Einsetzung des Kategorienbegriffs lautet sie nunmehr: die Gegenständlichkeit an den Gegenständen ist Kategorie, fällt mit der kategorialen Fom am Reich der Wahrheit zusammen. Bevor jedoch der so schärfer bestimmte Sinn der Kopernikanischen These weiter verfolgt wird, muß erst noch einen Augenblick bei der Revision verweilt werden, die die ganze Lehre von der Geltunssphäre und damit auch vom "Reich der Wahrheit" erfahren hat. Das Reich der Wahrheit zeigt von jetzt an den einheitlichen Typus des aus Form und Material sich zusammensetzenden Gefüges. Es ist dann offenbar neben dem Begriff der Form ein Terminus auch für dieses Ganze erforderlich. Das Ineinander, die Verklammerung von Form und Material, das Ganze, in dem die für sich leere und ergänzungsbedürftige Form mitsamt ihrer inhaltlichen Erfüllung auftritt, soll als Sinn bezeichnet werden (3). Das objektive Reich, also auch das Reich der Wahrheit, von dem die Einleitung sprach, ist ein Reich des "Sinnes". Der Sinn besteht nicht aus eitel Geltungsgehalt, wie es früher scheinen mußte; vielmehr der Geltungsgehalt macht lediglich die Form des Sinnes aus. Der Sinn unterscheidet sich von der bloßen Form dadurch, daß er die inhaltliche Erfüllung mitenthält, die in der Form andeutungsweise bereits gefordert ist. Die die Elemente des Sinnes umspannende Einheit jedoch fällt genau mit dem zusammen, was bereits im Hingeltungscharakter der bloßen Form steckt. Der geltende Gehalt, z. B. der spezifisch theoretische Gehalt, der dem ganzen Sinn das Gepräge gibt, ruht ganz und ungeteilt in der Form des Sinnes. Das Material wird lediglich, als das durch den Hingeltungsgehalt Betroffene, sozusagen mitgeschleppt. Nur die Fom, nicht aber das ganze Sinngefüge, darf man deshalb als ein Geltungsartiges ansehen. Das betroffene Material kann ja - z. B. bei Wahrheiten hinsichtlich eines sinnlich-seienden Materials, d. h. wo Sinnlich-Seiendes von theoretischer Form umgolten dasteht - ein nicht- geltendes Etwas sein. Der Sinn als Ganzes ist darum dann weder ein Geltungshaft-Zeitloses noch ein Nichtgeltungshaft-Zeitliches, sondern eben die Verklammerung von beidem: ein Sinnlich-Seiend-Zeitliches von zeitloser Form betroffen, ein Geltungsgehalt mitsamt dem, hinsichtlich dessen er gilt. Mit dem Reich ununterbrochenener, ungegliederter Zeitlosigkeit ist endgültig aufgeräumt. Daraus ergibt sich die ungeheure Rektifikation, die mit der früheren Vorstellung von der Geltungssphäre jetzt vorzunehmen ist. Nach der früheren Formulierung der Zweisphärentheorie konnte es so aussehen, als stände auf der einen Seite eine Region von durch und durch zeitlosem Geltungsgehalt, als gäbe es dort ganz und unterschiedslos aus dem Stoff der Zeitlosigkeit gemachte Gebilde, wie z. B. die zeitlosen Wahrheiten. Jetzt wird ersichtlich: an diesen sogenannten zeitlosen Wahrheiten ist lediglich ihre Form zeitlos geltender Art. Die Wahrheiten als Ganzes sind gar kein Zeitloses, sondern ein Zeitloses hinsichtlich eines davon betroffenen Nicht-Zeitlosen. Im Reich der Wahrheit, d. h. des theoretischen Sinnes, hat auch das Nicht-Geltungsartige, das Sinnlich-Seiende als Material, als Betroffenes, seine Stelle und ist darin unvertilgt geblieben. Davon überzeugt man sich leicht. Denn wenn die Wahrheiten, daß grün von gelb und süß von sauer verschieden sind, daß a die Ursache von b und c die Ursache von d ist, mehrere Wahrheiten sein sollen, dann können sie es nicht um der gemeinsamen Kategorie der Unterschiedenheit oder der Kausalität, sondern nur um des variierenden sinnlichen Materials willen sein. Dieses gehört also mit zur Bestimmtheit der einzelnen "zeitlosen Wahrheiten", begründet eine Verschiedenheit des Sinnes. Ist doch der Sinn des einen Satzes trotz der Gleichheit der Kategorie verschieden von dem des andern. Jetzt wird man dessen inne, daß es lediglich der Glanz der umgeltenden Form ist, der seinen Schimmer über das ganze einzelne Sinngefüge gießt und es zu jenem Gebilde der "zeitlosen Wahrheit" macht. Auf diese formgeprägten Sinngefüge ist das hinüberzuretten, was früher über das Wesen der Zeitlosigkeit ausgemacht wurde. Nunmehr erst erhellt sich der Sinn all der in der Einleitung gebrauchten Redewendungen, daß die Wahrheiten über Blaues, Räumliches, Zeitliches, Sinnliches nicht blaue, räumliche, zeitlich, sinnliche Wahrheiten sind. Damals konnte es noch so scheinen, als spiegelte sich das sinnliche Blau in dem aus eitel Zeitlosigkeit bestehenden Reich der Wahrheit in der verklärten Gestalt eines idealen Blau, einer idealen Bedeutungseinheit Blau wieder, als sei es als ein Glied zeitlos geltender Art, als ein Blau, das zeitlos Blau bedeutet, hineingestellt in ein Gesamtgefüge lauterer Zeitlosigkeit. In den damaligen Formulierungen wurde noch die auf PLATOs Ideenlehre zurückgehende Idealisierung der sinnlichen Inhalte zu einem zeitlos-urbildlichen Bestand mitgemacht, die sich gegenwärtig beispielsweise bei LOTZE und HUSSERL findet. Wie denn überhaupt gesagt werden muß, daß LOTZE das Gelten zwar klar herausgearbeitet hat, aber ohne zu erkennen, daß es nur die Form ist, die gilt; dagegen das Alogisch-Sinnliche weder gelten noch etwas "bedeuten" kann, sondern nur in geltender Form, in der logischen Sphäre zu stehen, von kategorialer Form betroffen zu werden vermag; wodurch dann erst die Gloriole zeitloser Bedeutungsartigkeit über der ganzen Inhaltlichkeit zu schweben scheint. Das Blau, ins Reich der Wahrheit hineingestellt, das heißt nichts anderes als: das nichtgeltend-sinnliche und alogische Blau, bleibend als das, was es ist, wird lediglich umfaßt, umgolten von zeitlos geltender kategorialer Wahrheitsform. Die Wahrheiten über das Räumliche, Zeitliche, Sinnliche sind Raum und zeitloses, unsinnliches, formales Wahrheitsgelten hinsichtlich des Räumlichen, Zeitlichen, Sinnlichen als eine betroffenen Materials. In der theoretischen Form allein steckt die Zeitlosigkeit und Unsinnlichkeit des ganzen Wahrheitsreiches. Das ist es, was von jeher der Rationalismus verkannt hat: daß das alogische Material zwar im Logischen zu stehen vermag, aber ohne dadurch zu einem Logischen zu werden. (4) Man wird den soeben vertretenen Begriff des Sinnes unzureichend und dürftig finden. Kaum kann es ohne weiteres einleuchten, daß die Einheit und Abgeschlossenheit des Sinnes in nichts weiterem als in einem Ineinander von Form und Material bestehen soll. Es kann jedoch hier diese Überzeugung von der letzten, höchst einfachen Struktur allen Sinnes nicht genauer begründet werden. Nur soviel sei sogleich eingeräumt, daß allerdings der theoretische Sinn, wie ihn die Logik seit jeher behandelt hat und wie er von Sätzen, Aussagen, Urteilen ablösbar ist, ein Sinn, der stets ein positiver oder negativer sowie ein richtiger oder unrichtiger sein muß, eine verwickeltere Gliederung als die bloße Verschlungenheit von Form und Material aufweist. Wenn hier trotzdem bei diesem einfachen Typus des Sinnes stehen geblieben wird, so liegt die Ansicht zugrunde, daß im Zusammenhang einer systematischen Logik sich erweisen würde, wie gerade diese reichere und kompliziertere Gliederung eine ganz bestimmte Gekünsteltheit verrät und daß dahinter als letzter Maßstab der ungekünstelte Sinn mit der hier angegebenen einfachen Struktur steht. Es ist also nicht ohne Absicht, wenn für das Urbild des Sinnes geredet und der Einfachheit halber von den sinntragenden Erkenntnisgebilden unmittelbar ablösbare und das proteron pros nemas [was zuerst bewußt wird - wp] bildende Sinn einfach übersprungen werden. Das ist darum ganz unbedenklich, da es ja in dieser Studie nicht um den weiteren Ausbau der Sinnlehre, sondern allein um die theoretische Formenlehre, die Kategorienlehre, zu tun ist. (5) So ist jetzt der entscheidende Schritt über den unbestimmten Gedanken des objektiven Reiches der Sachlichkeit, z. B. der theoretischen Sachlichkeit oder der Wahrheit, hinausgetan. Eine beherrschende, ja man kann sagen, die allein beherrschende Struktur aller Sachlichkeit, die Gliederung in Form und Material, ist angegeben. Es kann doch auch das Reich der Wahrheit ebenso wie das Reich des ästhetischen Sinnes gar nichts anderes als eine formbeherrschte Inhaltlichkeit sein, sofern man bedenkt, daß in die theoretische Sphäre das gesamte alogische Etwas als Material und ebenso in die ästhetische Sphäre der gesamte außerästhetische Bestand als "Stoff" einzugehen vermag. Das Alogische und das Außerästhetische hört nicht auf, alogisch und außerästhetisch zu sein, es steht nur in logischer und ästhetischer Form. Daß jegliche Wahrheit und jegliche Schönheit ungeachtet einer unendlichen Mannigfaltigkeit des Materials einheitlich Wahrheit und Schönheit ist, beruth auf der Gleichheit der sinnverleihenden Form. Es hat gar keinen Sinn mehr, sich über den "bloßen" Formcharakter des theoretischen Gehalts aufzuhalten, wenn doch jeglicher Sinn in nichts anderem als in formgeprägter Masse besteht. Wenn damit wirklich die Artikulation von allem Sinn getroffen ist, dann wird ersichtlich, welch grundlegende Bedeutung der Begriff der Form in der gesamten Geltungsphilosophie erhalten muß. Entsprechend ist in der theoretischen Philosophie, in der Logik, die Lehre von der kategorialen Form an die oberste Stelle zu setzen. Das Spezifische des theoretischen Sinnes oder der Wahrheit ruht auf dem Spezifischen der theoretischen Form. Es wird darum die höchste Angelegenheit der Logik sein, den Feingehalt an logischer Form aus dem All der Inhaltlichkeit herauszusondern, den Anteil des Logischen an der Gesamtinhaltlichkeit zu bestimmen, die Abgrenzung zwischen dem Logischen und dem Alogischen vorzunehmen. Der Logiker durchspäht den Gesamtbestand nach dem spezifisch logischen Gehalt daran, er isoliert den Inbegriff der logischen Formen, das Logische, den Logos aus seiner Verschlungenheit mit dem Alogischen, er scheidet ihn davon ab, er treibt Kritik des reinen Logos. Versteht man unter Kategorie die logische Form im weitesten Sinne, so muß der Begriff der Kategorie zum obersten Begriff der Logik werden. Das folgt aus den letzten Voraussetzungen, daraus, daß Logik ein philosophisches Geltungserkennen ist und aller Geltungsgehalt sich als Form erwiesen hat. Wendet man die allgemeinen Begriffe der Form und des Sinnes auf das theoretische Geltungsgebiet an, so läßt sich jetzt der Wahrheitsbegriff in Schärfe erfassen. Er ist durch die folgenden beiden Sätze auf das einfachste festgenagelt. Erstens: das Gebiet der Wahrheit muß sich gegen all das, was nicht Wahrheitscharakter hat, durch einen spezifisch theoretischen oder logischen Geltungsgehalt, durch einen Kosmos logischer Geltungsbedeutungen abgrenzen. Wahrheit kann nicht das beliebige Irgendetwas sein, sondern muß sich durch einen spezifisch theoretischen Charakter auszeichnen. Zweitens aber: Wahrheit als Ganzes kann auch wiederum nicht ein einziger lauterer Geltungsgehalt, ein Inbegriff von eitel logischer Bedeutung sein. Das geht aus dem Formcharakter des spezifisch logischen Gehalts hervor, der unentfliehbar die Gespaltenheit in Wahrheitsform und Wahrheitsmaterial mit sich bringt. Aus diesen beiden Sätzen folgt, daß es sich bei Wahrheit stets um ein Form-Material-Gefüge, umd das Betroffensein, Umfaßtsein, Umgoltensein eines Materials durch die logische Form handeln muß. Im Wahrheitsbegriff läßt sich jetzt eine Doppeldeutigkeit entdecken. Man kann unter "Wahrheit" den bloßen spezifisch logischen Wahrheitsgehalt verstehen, der das Gebiet der Wahrheit zum Wahrheits gebiet stempelt. Man kann aber vom formalen Wahrheitsgehalt, von der bloßen leeren kategorialen Wahrheitsform, die Wahrheit in concreto, die materialiter angesehene Wahrheit, das heißt das in kategoriale Wahrheitsform und dadurch betroffenes Material sich gliedernde Ganze, also das "Reich" der Wahrheit oder den theoretischen Sinn, unterscheiden. Der Inbegriff der Wahrheit in concreto ist der Inbegriff des in kategorialer Form stehenden Materials, und die einzelne Wahrheit - von der es einen Plural gibt - ist einzelnes, in theoretischer Form stehendes Kategorienmaterial. Unter Wahrheit ohne Zusatz soll stets der theoretische oder der wahre Sinn verstanden und demgegenüber die bloße kategoriale Form als Wahrheitsform oder formaler Wahrheitsgehalt ausdrücklich kenntlich gemacht werden. Dabei sollen Wahrheits- und theoretische Form, wahrer und theoretischer Sinn hier wie im folgenden stets als gleichbedeutend gelten. Durch die bloße Einführung des Formbegriffs in die Geltungssphäre ist die in der Einleitung aufgestellte Zweisphärentheorie immer noch nicht endgültig aufgehoben. Es hat sich lediglich die Geltungssphäre als nicht aus lauter Geltungsartigkeit bestehend, sondern als in Form und Materials sich gliedernd herausgestellt. Das Nebeneinanderbestehen zweier selbständiger Gebiete dagegen ist dadurch noch nicht erschüttert worden. Soviel hat sich allerdings bisher bereits ergeben, daß im Reich des Sinnes die ganze sinnliche Inhaltlichkeit des Gegenstandsreiches noch einmal vertreten ist. Doch dessen ungeachtet könnten ja das Gegenstandsreich und das Wahrheitsreich zwei nebeneinander bestehende Sphären bleiben, die nur die Eigentümlichkeit hätten, diesen sinnlichen Bestandteil miteinander gemeinsam zu haben, der also dann in jedem der beiden Gebiete, somit doppelt vertreten wäre. So würde, um bei dem früheren Beispiel zu bleiben, das sinnliche Blau der blauen Gegenstände zugleich auf einem anderen Gebiet, dem Reich der Wahrheit, auftreten und dort zwar nicht als zeitlose Blaubedeutung, wohl aber als sinnliches Material fungieren. Aber diese Möglichkeit wird sofort ausgeschlossen, wenn man nunmehr zu der vorangegangenen Erörterung des Sinnbegriffs wiederum die kopernikanische These hinzuzieht. Denn aus ihr geht doch hervor, daß die angeblich getrennten Reiche des Gegenstandes und des theoretischen Sinnes auch in ihren formalen Bestandteilen zusammenfallen, indem ja die Gegenständlichkeit der Gegenstände identisch ist mit der Form im Reich des Sinnes. Da sich aber die sinnlichen Bestandteile auf beiden Seiten wiederholen, die formalen sich gleichfalls als identisch erweisen, so fällt das ganze Reich des theoretischen Sinnes einfach mit der Gegenstandssphäre zusammen. Die kopernikanische These erhält eine genauere Fassung, wenn man in die undifferenzierte Formulierung des vorigen Abschnitts die Begriffe der Form und des Sinnes einführt. Die ungegliederte Fassung hieß einfach: der Gegenstand fällt mit dem Theoretischen zusammen. Die nach Form und Material gegliederte lautet: die Gegenständlichkeit an den Gegenständen fällt mit der theoretischen Form, der Inbegriff der Gegenstände mit dem theoretischen Sinn zusammen. Jetzt ist die Möglichkeit gewonnen, mit scharfer Abgrenzung gegen den Panlogismus die kantische Identitätsphilosophie bezüglich des Verhältnisses von Gegenstand und logischen Sachgehalt dahin zu formulieren: die Gegenständlichkeit formaliter spectata [formal betrachtet - wp], die Gegenständlichkeit an den Gegenständen, fällt mit der kategorialen Wahrheitsform, der Inbegriff der Gegenstände, die Gegenständlichkeit materialiter spectata, das Gegenstandsgebiet, mit dem Inbegriff theoretischen Sinnes zusammen. Die Gegenständlichkeit ist mit der kategorialen Wahrheitsform, die Gegenstände sind mit theoretischem Sinn identisch. Die seienden Gegenstände sind freilich nicht eitel logischer Gehalt, aber wohl sind sie von logischem Geltungsgehalt umschlossenes alogisches Material. Räumlich-zeitliche Gegenstände, das heißt eben: raum- und zeitlose Gegenständlichkeit hinsichtlich des Räumlich-Zeitlichen. Wie die Gegenständlichkeit der räumlichen und zeitlichen Gegenstände raum- und zeitloser Wahrheitsgehalt (6) ist, so sind die räumlichen und zeitlichen Gegenstände von raum- und zeitlosem formalem Wahrheitsgehalt (7) betroffenes "räumliches" und "zeitliches" alogisches Material, oder, wie man dafür auch einsetzen kann: die einzelnen Gegenstände sind einzelne theoretische Sinngefüge, einzelne "Wahrheiten". Denn die Wahrheiten als Einzelheiten theoretischen Sinnes umspannen ja außer dem zeitlosen Geltungsgehalt auch das betroffene nichtgeltende Material. Man darf deshalb unbedenklich sagen: räumlich-zeitliche Gegenstände sind Wahrheiten, physische Gegenstände sind physikalische Wahrheiten usw. Freilich Wahrheiten, Einzelheiten des Sinnes, nicht Erkenntnisse, Urteile, Sätze; und ferner Wahrheiten in der ungekünstelten Sphäre, nicht in dem von den wissenschaftlichen Sätzen ablösbaren Zustand! Zu verwerfen ist also jener angebliche Parallelismus, jenes Aneinandergebundensein von ordo et connexio rerum [Ordnung und die Verknüpfung der Dinge - wp] und ordo et connexio veritatum [Ordnung und die Verknüpfung der Wahrheiten - wp], wonach dem Inbegriff raum- und zeiterfüllender Gegenstände und Sachverhalte ein Inbegriff raum- und zeitloser Wahrheiten "darüber" irgendwie korrespondiert, als sein begleitender Wahrheitsschatten zugeordnet ist. Mit besonders scharfer Ausprägung ist diese Trennung von Gegenstand und Wahrheit, Gegenstand und "Sinn", Gegenstand und "Bedeutung", in neuerer Zeit von BOLZANO und HUSSERL vertreten worden. Man durchschaut jetzt, daß hierbei Gegenständlichkeit und Wahrheitsform, Gegenstände und Wahrheiten gegeneinander verselbständigt werden, während in Wahrheit die beiden Reiche der Gegenstände und der Wahrheiten über sie zu dem einen, mit dem Wahrheitsbegriff identischen Gegenstandsgebiet zusammenrücken, der angebliche Wahrheitsschatten in die Gegenstände selbst hineinfällt, die vermeintlich diesen Schatten werfen (8). Die vermeintliche Zweiheit der beiden Reiche, des Gegenstands und der Wahrheit darüber, enthüllt sich als eine zweifache unberechtigte Verdoppelung. Einmal nämlich wiederholt sich der kategoriale Gehalt auf der gegenüberliegenden Seite, also im Gegenstandsgebiet, als metalogische, metakategoriale Gegenständlichkeit, der gegenüber die Wahrheit in ein Verhältnis der Abbildlichkeit und Schattenhaftigkeit rückt. Umgekehrt aber kehrt das alogische Material in verklärter Gestalt im Schattenreich der Wahrheit wieder, wo alles ein einziger lauterer zeitloser Geltungsinbegriff sein soll. Anstelle der Dualität des logischen Form- und des alogischen Material-Elements, die beide zusammen das einzige Reich des theoretischen Sinnes konstituieren, herrscht dort die Dualität eines durch und durch metalogischen Reiches, in dem auch das Logische in metalogischer Maske erscheint, auf der einen und eines eitel logischen Reiches, in dem auch das Alogische in den Himmel zeitlos geltender Bedeutungen versetzt ist, auf der anderen Seite. Die kopernikanische Auffassung zerstört die Dualität der beiden Reiche, aber innerhalb des einen Reiches, das das Reich der Wahrheit und eben darum des Gegenstandes ist, richtet sie den Gegensatz der kategorialen Form und des Kategorienmaterials auf. Es gibt nicht das "Über"-Verhältnis zwischen den beiden Reichen. Aber es gibt innerhalb des einen Reiches die Hinsichtlichkeit und das Betroffensein zwischen den beiden Struktu- Elementen, es gibt ein formals Wahrheitsgelten hinsichtlich eines dadurch betroffenen Materials. Für den Wahrheitsbegriff ist anstelle der Abbildlichkeit der Wahrheit gegenüber dem Gegenstand allein die Form-Material-Duplizität maßgebend (9). Der Haupterklärungsgrund für das hartnäckige Auseinanderreißen von Wahrheit und Gegenstand, für das Abbildlichkeitsverhältnis, in das man die Wahrheit und den Sinn zum Gegenstand bringt, liegt, wie hier nur angedeutet werden kann, in dem Umstand, daß man stets von einem - gekünstelten - Sinn des Satzes und des Urteils ausgeht, der allerdings nicht mit dem Gegenstand zusammenfällt, sondern den Gegenstand treffen oder ihn verfehlen kann. Man verkennt dann, daß doch auch der Gegenstand selbst nichts anderes ist als Sinn - nämlich der ungekünstelt urbildliche Sinn -, und daß der Abstand von Sinn und Gegenstand auf eine Distanz von Sinn und Sinn hinausläuft. Alles, was man über das Abbildlichkeits-Verhältnis von Wahrheit und Gegenstand ausmacht, trifft allerdings für das Verhältnis von gekünsteltem und urbildlichem Sinn zu (10). Auf andere Anlässe für die Auseinanderhaltung von Gegenstand und Wahrheit wird erst im zweiten Teil eingegangen. Erst dort kann die kopernikanische Identitätslehre ihre volle Erledigung finden, wie dort auch die ganze Aufstellung der Zweiweltentheorie einer erneuten Prüfung unterworfen wird (vgl. II. Teil, 1. Kapitel, 2. Abschnitt). Indem die kopernikanische Auffassung die Gegenständlichkeit als logische Form durchschaut, führt sie zugleich zur Schöpfung einer "transzendentalen Logik". Denn gewisse logisch-kategoriale Formen erhalten wieder unmittelbare gegenständliche Bedeutung, ja werden geradezu als die Gegenständlichkeit selbst erkannt. Auch innerhalb des Dogmatismus wurde bereits dem Logischen eine über das bloße Formale und das bloß Subjektiv-Immanente hinausreichende, zum Gegenstandsgebiet hinübergreifende Bedeutung eingeräumt. Aber doch stets im Sinne irgendeiner Korrespondenz, Harmonie, Abbildlichkeit zwischen dem Realen und dem "Idealen" oder Logischen, zwischen Gegenstand und "Erkennen". Stets sollten die logischen Moment begrifflicher Ausdruck und Spiegelbild der realen Verhältnisse sein. Solidarisch verbunden also war immer schon die Realität einer transsubjektiven Wirklichkeit mit der Objektivität logischer Momente; die Leugnung einer transzendenten Wirklichkeit zog immer schon die Ablehnung der transzendenten Gültigkeit logischer Begriffe nach sich und umgekehrt. Aber nur aufeinander bezogen und okkasionalistisch [gelegenheitsursächlich - wp] miteinander verkettet war das Reale und das Logische bisher, durch KANT wird es miteinander zusammenfallend. Der Gegensatz von realer und bloß logischer Bedeutung wird durch ihn hinfällig und sinkt zu einem Gegensatz innerhalb des Logischen herab. Die Realität ist in das Logische hineingezogen, das Logische reicht in die Gegenstände als deren Sein, Dingheit, kausale Notwendigkeit hinein. Es darf darum nur von einer Ausdehnung des Logischen auf die Gegenständlichkeit und in sie hinein, nicht aber von einer Herrschaft "über" sie gesprochen werden. Denn sonst würden doch wieder Gegenständlichkeit und theoretischer Geltungsgehalt als gesonderte Größen zu bestehen scheinen, zwischen denen irgendein Verhältnis obwaltet. Über alle Korrelationstheorie muß jedoch der Stab gebrochen werden, mögen sie nun eine Herrschaft oder eine Abhängigkeit des Logischen gegenüber dem Sein, eine Priorität des Seins vor dem Gelten oder des Geltens vor dem Sein behaupten. Wie darum jede Abbildlichkeit und Schattenhaftigkeit der Wahrheit zu bekämpfen ist, so auch umgekehrt jede Behauptung einer Abhängigkeit in entgegengesetzter Richtung, einer Priorität des theoretischen Geltens, des "Forderns", des "Sollens" vor dem Sein (11). Der bisher erreichte Ertrag läßt sich dahin angeben: es ist die Formartigkeit von jeglichem Geltungsgehalt, die Struktur des Sinnes, aufgedeckt, und es ist mit Zuhilfenahme der kopernikanischen These das Zusammenfallen von Gegenstands- und Wahrheitsgebiet durchschaut. Dementsprechend enthüllen sich zwei Verstöße der in der Einleitung aufgetretenen Zweisphärentheorie. Erstens hat die Einleitung die Geltungssphäre als ein in sich geschlossenes, nicht formartig über sich hinausweisendes Reich behandelt und sodann gerade das theoretische Reich gegen das Gegenstandesgebiet verselbständigt und sich so einer vollen Verdoppelung schuldig gemacht.
1) Es ist nicht zu vergessen, daß der ganzen Absicht dieser Abhandlung gemäß die Erörterung derart fundamentaler logischer Grundbegriffe nur in ganz skizzenhaftem Zustand gelassen werden mußte. 2) reicht in die Gegenstände hinein. 3) Sinn ist hier in einem absoluten Sinn und nicht im Sinne von "Sinn von" gebraucht. Bei diesem Sprachgebrauch wird wahrer oder theoretischer Sinn im absoluten Sinn erst zum Sinn des Urteils oder Satzes. Über "Sinn" und "Bedeutung" ist HUSSERL, Logische Untersuchungen II, 1901, zu vergleichen. 4) Erst durch meine Terminologie ("Wahrheit", "Sinn") kommt zum Ausdruck, daß die Kategorien, obwohl gleich Gegenstandsform, Gegenständlichkeit selbst, doch spezifische Logizität sind. Gegenüber aller metaphysischen Kategorienlehre, deren guter Kern das Konstitutive ist! 5) Auf mein Vorhaben, in der Logik das objektive Reich der Sachlichkeit, den von den Erkenntnisakten und sinntragenden symbolischen Zeichen ablösbaren "Sinn" zugrunde zu legen, ist die von HUSSERL ausgegangene, zu einer Revision der logischen Grundbegriffe drängende Anregung von entscheidendem Einfluß gewesen. Darüber wird eine spätere eingehendere Arbeit über die logischen Grundprobleme genauer zu berichten haben. 6) theoretischer Formgehalt 7) theoretischer Formgehalt 8) ist doch geradezu schief! Ich habe ja gar nicht die Distanz, die zwischen Gegenstand und immanentem Reich der geltenden Wahrheit tatsächlich besteht, gebührend berücksichtigt. Auch im II. Teil, I. Kap., 2. Abschnitt, nicht genügend beachtet! Dagegen in meiner "Urteilslehre" legitimiere ich ausdrücklich das Über-Verhältnis! 9) Lediglich von einem angeblichen Abbildlichkeits-Verhältnis zwischen Sinn und Gegenstand, theoretischer Form und Gegenständlichkeit, ist hier die Rede. Ganz unberührt bleibt dadurch das Verhältnis des erkennenden Subjektsverhaltens zum Sinn oder zum Gegenstand. 10) Es kann darum RICKERT zugestimmt werden, wenn er zwischen dem Sinn des Satzes und dem Gegenstand das "Über"-Verhältnis statuiert: "Ich bilde einen wahren Satz über oder von einem idealen Sein, aber der Sinn dieses Satzes fällt ebensowenig mit dem idealen Sein selbst zusammen, wie der Sinn eines Satzes über reales Sein mit diesem identisch ist". RICKERT, Zwei Wege der Erkenntnistheorie, Kant-Studien, Bd. 14, 1909, Seite 35 und 36 11) Auf diese beispielsweise in RICKERTs "Gegenstand der Erkenntnis" vertretene Prioritätslehre wird jedoch erst im II. Teil, im 2. Abschnitt des 1. Kapitels eingegangen werden. |