p-3Die deutsche Ideologie
 
ADAM SCHAFF
Unscharfe Ausdrücke

Marxistische Sprachkritik
Unscharfe Ausdrücke
Die vollkommene Sprache
über Allgemeine Semantik
Die Widerspiegelungstheorie
"Die ganze traditionelle Logik nimmt gewöhnlich an, daß man sich präziser Symbole bedient. Darum richtet sich diese Logik nicht nach dem irdischen Leben, sondern nur nach einer imaginären himmlischen Existenz." - B. RUSSELL"

In der Umgangssprache sowohl wie auch in der Spezialsprache der Wissenschaft macht uns immer eine grundlegende Frage zu schaffen: Was sollen wir tun, damit uns der unrichtige Gebrauch der sprachlichen Ausdrücke nicht irreführe? Wenn wir so allgemein von der Irreführung durch die Sprache sprechen, denken wir an zwei Fälle: Erstens, wenn die Sprache ihre kommunikative Funktion fehlerhaft erfüllt und im Ergebnis der sich Äußernde dem Zuhörer seinen Gedanken mitteilen kann, und zweitens, wenn die Sprache, mittels der wir denken, uns durch ihre Struktur und die durch die Überlieferung geprägten Formen (im Fall der natürlichen Sprachen) eine falsche Vorstellung von der Wirklichkeit vermittelt.

Die Gründe für solche und andere Schwierigkeiten sind sehr verschieden. Diese Schwierigkeiten sind es u.a. die den Gedanken nahelegen, daß die Sprache nicht nur Werkzeug, sondern auch Gegenstand der Forschung sein muß, ein Gedanke, der, die Philosophie des 20. Jahrhunderts befruchtend, zu Untersuchungen über die Sprache unter ontologischem, gnoseologischem und methodologischen Aspekt geführt hat.

Gegen die Fehlerhaftigkeit der Sprache richten sich die Bemühungen der Methode der semantischen Analyse, die als eine Analyse der Bedeutung des Ausdrucks verstanden wird. Diese Bemühungen haben zum Zweck sachliche und logische Fehler zu verhindern, die den Denkprozeß belasten und die zwischenmenschliche Kommunikation sowie die Selbstverständigung im Denkvorgang erschweren. Die erwähnten Fehler haben unter anderem in der Vieldeutigkeit und der Unschärfe der Ausdrücke ihren Grund.

Ich lasse hier die Frage der Verschwommenheit von Sätzen beiseite, die irgendwelche Gedanken in unverständlicher Art und Weise ausdrücken. Es ist dabei gleichgültig, ob diese Verschwommenheit in der Absicht desjenigen liegt, der sich bewußt bemüht, seinem Gedanken eine unverständliche Form zu geben (wie z.B. gewisse Philosophen, die ihren "Berufsstolz" darin sahen, ihre Gedanken esoterisch zu formulieren), oder ob sie aus der Inkompetenz eines Menschen erwächst, der sich nicht exakt auszudrücken vermag. In beiden Fällen handelt es sich um Fehler subjektiver Natur, die deshalb von geringerem Interesse sind.

Ganz anders verhält es sich mit Sätzen, die mehrdeutige und unscharfe Ausdrücke enthalten.

Mehrdeutig ist ein Ausdruck, dessen Lautgestalt oder Lautkomplex verschiedene Bedeutungen bindet (Homonyme). Das ist eine objektive linguistische Tatsache, die sich auf Grund der Sprachgeschichte natürlich erklären läßt. Die Gefahr der Verwechslung verschiedener Bedeutungen und der damit verbundenen Mißverständnisse und logischen Fehler bei der Darlegung der Gedanken verringert sich dadurch, daß mehrdeutige Ausdrücke im Kontext eines Satzes oder einer Satzgruppe gewöhnlich eindeutig werden. Denn der Kontext bestimmt die Bedeutung, in welcher die Ausdrücke im gegebenen Falle gebraucht wurden.

Es würde auch genügen  expressis verbis  auf die Bedeutung hinzuweisen, in welcher der mehrdeutige Ausdruck im gegebenen Falle benutzt wurde, um die Gefahr von Mißverständnissen zu beseitigen. Daher können wir denn auch diesen Fall in unseren Erörterungen außer acht lassen. Wir wenden uns statt dessen dem Problem der unscharfen Ausdrücke zu.

Bevor wir jedoch zu einer genaueren Definition des Phänomens der Unschärfe von Ausdrücken und zur Erforschung ihrer Genese übergehen, müssen wir in der folgenden Frage Klarheit schaffen: Ist die Unbestimmtheit den sprachlichen Ausdrücken oder der Wirklichkeit, von welcher in diesen Ausdrücken die Rede ist, zuzuschreiben? Dies ist gerade für die Untersuchung der Subjektivität bzw. Objektivität der Unschärfe von Ausdrücken von größter Bedeutung.

Man muß nämlich das Problem der Entstehung der Unschärfe der Ausdrücke von der eben gestellten Frage nach der Zurechnung der Unschärfe unterscheiden. Beide Fragen stehen irgendwie im Zusammenhang mit dem Problem der Natur der Unschärfe, mit dem wir uns hier besonders befassen, aber von verschiedenen Seiten aus und in verschiedener Hinsicht.

RUSSELL hat einmal in dem bereits in seinem Aufsatz  Vagueness  den Gedanken ausgesprochen, die Unschärfe sei ein charakteristisches Merkmal dessen, was die Dinge repräsentiert (die Sprache ist ein Beispiel dieser Repräsentation), aber nicht der Dinge als solcher. "Außerhalb der erkenntnisvermittelnden oder mechanischen Repräsentation eines Gegenstandes - sagt RUSSELL - kann es kein Ding geben wie Ungenauigkeit oder Exaktheit; die Dinge sind das, was sie sind, und nichts weiter". Ich solidarisiere mich vollkommen mit dieser Äußerung und halte sie für wesentlich für die Erfassung des Problems. Die Dinge sind weder exakt, noch ungenau, ebensowenig wie sie wahr oder falsch sind u.ä.m. Die Dinge sind immer nichts anderes als Dinge. Ungenau ist hingegen unsere Erkenntnis der Dinge und die sie ausdrückenden sprachlichen Wendungen, ebenso wie auch die Erkenntnis und die sie ausdrückenden sprachlichen Wendungen wahr oder falsch sind.

Im Falle der Unschärfe ebenso wie im Fall der Wahrheit geht es um eine Charakteristik des Verhältnisses der Erkenntnis (die immer eine gedanklich-sprachliche Einheit ist) zur Wirklichkeit, nicht aber um eine Charakteristik eben dieser Wirklichkeit.

Wir fragen uns jetzt, was ein undeutlicher Name und welches sein Verhältnis zu den obenerwähnten Namenskategorien ist. Zu diesem Zweck wollen wir hier den Fall eines Namens näher analysieren, den wir zweifellos als undeutlich bezeichnen.

Da fließt Wasser in einem Flußbett, welches es sich in der Erde ausgehöhlt hat. Stellen wir uns beispielsweise die Weichsel in Warschau, die Seine in Paris und die Themse in London dabei vor. Wir sagen ohne zu zögern: Die Weichsel, Seine und Themse sind Flüsse. Folglich ist das Wort "Fluß" ein allgemeiner Name für Gegenstände wie Weichsel, Seine oder Themse.

In vielen anderen Fällen werden wir ebenfalls ohne weiteres die Frage "Ist das ein Fluß?" bejahend beantworten können, wenn es z.B. um die Wolga, die Donau oder den Mississippi geht. Darüber entscheidet vor allem die Breite und Länge des Flußbetts, durch das die Wassermasse fließt. Aber Gegenstände, die eine Wassermasse sind, die durch ein Flußbett fließt, gibt es auf dem Erdball viele, wenn auch ihre Menge endlich ist. Verschieden sind auch die Breiten, Tiefen und Längen der entsprechenden Flußbetten.

Nehmen wir an, daß wir all diese Gegenstände in einer Reihe angeordnet haben, wobei wir die Flußbetten, durch welche die Wassermasse fließt, nach den drei Dimensionen - von den größten zu den kleinsten - klassifizieren. Versuchen wir jetzt, diese Gegenstände mit Namen zu versehen, indem wir uns der Ausdrücke unserer Sprache: "Fluß", "Flüßchen", "Bach" und "Quelle" bedienen. Es wird sich sehr bald herausstellen, daß wir es an den beiden entgegengesetzten Enden der Reihe mit Gegenständen zu tun haben, die uns bei der Anwendbarkeit bestimmter Namen keinerlei Schwierigkeiten machen; je mehr wir uns aber von diesen äußersten Enden entfernen und uns der Mitte der Reihe näher, auf desto größere Schwierigkeiten stoßen wir.

Wir können leicht Fälle anführen, wo wir nicht wissen, ob der gemeint Gegenstand Fluß oder Flüßchen zu nennen ist. Dabei hat diese Schwierigkeit nichts mit unserer Unwissenheit zu tun, sondern nur mit der Tatsache, daß sich in Grenzfällen die charakteristischen Merkmale für die beiden zu unterscheidenden Namen verwischen. In solchen Fällen sprechen wir meistens von "Flüßchen", indem wir durch die Verkleinerung des Namens betonen, daß es sich nicht um einen Fluß, jedoch auch nicht um einen gewöhnlichen Bach handelt. Man könnte sich auch anders ausdrücken und sagen: ein kleiner Fluß oder ein großer Bach. Aber dadurch wird das Problem, mit dem wir uns herumquälen, nicht behoben, sondern nur verschoben; denn wie soll man einen Fluß von einem Flüßchen, einen Bach von einem großen Bach unterscheiden?

Wenn sich zwischen dem Bereich eines Namens und seinem Komplementärbereich ein Grenzgebiet befindet (RUSSELL nennt es bildlich Halbschatten  penumbra),  das sich aus objektiven Gründen nicht nach dem einen oder anderen Bereich zurechnen läßt, dann bedeutet es durchaus keinen Ausweg, wenn man für dieses Gebiet einen neuen Namen erfindet oder auch überhaupt auf dessen Benennung verzichtet. Es bleibt doch trotz alledem die Aufgabe bestehen, dieses Niemandsland - ein spezifisches Niemandsland zwischen den Fronten der miteinander konkurrierenden Namen - von dem unbestreitbaren Gebiet des Namen und seiner Negation abzugrenzen.

Der namenbildende Faktor "nicht", wie das KUBINSKI mit Recht betont hat, dient in diesem Fall der Schaffung eines nicht widersprechenden, sondern eines dem gegebenen im engeren Sinne entgegengesetzten Namens. Dieser Name weist folgende Merkmale auf: Die Bereiche beider Namen sind im Universum enthalten, schließen einander aus, und die Summe ihrer Umfänge ist eine eigentliche Untermenge des Universums. Wenn auch durch die Schaffung neuer Unterscheidungen und Namen die Randzone des undeutlichen Namens immer weiter verschoben werden kann, bleibt dennoch unser wesentliches Problem bestehen. Das hat schon RUSSELL betont.

Man muß ergänzende hinzufügen, daß der Kunstgriff, der in solchen Fällen der Wissenschaft angewandet wird, nämlich die Präzisierung der Termini auf dem Wege der Konvention, durchaus keine Lösung bedeutet - wenn er auch für das praktische Handeln höchst wichtige Folgen haben mag -, sondern einzig und allein die Grenzen der Randzone verschiebt.

Denn wenn wir auf dem Wege der Übereinkunft festsetzen, daß wir unter Bach diejenigen Gegenstände verstehen, die eine Wassermasse sind, die durch ein Flußbett von höchstens fünf Metern Breite fließt, und die Gegenstände, die diese Breite überschreiten, "Flüsse" heißen, dann verschieben wir nur das Problem, da doch bekanntlich die Feststellung, ob etwas "Fünfmeterbreite" hat, dieselben, wenn auch in ihrem Ausmaß subtileren "Randzonen"-Probleme nach sich zieht, wie die Unterscheidung von Fluß und Bach.

Wir haben also das Problem der Entstehung der Ungenauigkeit der Namen berührt. Indessen geht es uns hier nur um die Definition des ungenauen Namens und um sein Verhältnis zum individuellen und zum allgemeinen Namen. Diese Definition können wir auf Grund der angeführten Beispiele geben. Es geht dabei immer um das Verhältnis des Namen zur Menge der bezeichneten Gegenstände, unter der Bedingung jedoch, daß der Bereich des Namens schlecht definiert ist (d.h. eine unpräzise "Randzone" enthält).

Die Definition kann also folgendermaßen lauten: Ein Name ist dann ungenau, wenn er viele Gegenstände bezeichnet, deren Klasse nicht genau bestimmt ist. Auf dieser Linie bewegen sich die Gedankengänge MAX BLACKs:
"Die Ungenauigkeit ist durch einen endlichen Bereich und das Unbestimmte seiner Grenze bestimmt."(1)
Zwar kritisiert BLACK an RUSSELL, daß er die Allgemeinheit eines Namens mit der Ungenauigkeit verwechsle, was tatsächlich bei RUSSELL vorkommt
"Im Gegenteil ist die Repräsentation eines Gegenstandes dann undeutlich, wenn die Relation des repräsentierenden Systems zum repräsentierten nicht ein-eindeutig, sondern ein-mehrdeutig ist."(2),
aber in demselben Essay unterscheidet RUSSELL mit Recht den allgemeinen vom ungenauen Charakter einer Aussage, und die Definition BLACKs bewegt sich ausgesprochen im Fahrwasser seiner Argumentation.
"Daraus geht hervor, daß jeder Satz, der praktisch gebildet werden kann, in gewissem Grade ungenau ist; das heißt, daß es nicht irgendeine bestimmte Tatsache gibt, die notwendig und hinreichend für seine Wahrheit wäre, sondern eine gewisse Region möglicher Fakten, von denen jedes beliebige den Satz verifizieren könnte. Aber diese Region selber ist unbestimmt: Wir können ihr keine bestimmte Grenze zuschreiben. Darauf beruht der Unterschied zwischen Ungenauigkeit und Allgemeinheit."(3)
Was die Anwendbarkeit der Definition der Ungenauigkeit auf die oben angeführten Namenskategorien betrifft, so machen uns natürlich die allgemeinen Namen keinerlei Schwierigkeiten. Allgemeine Namen pflegen ungenau zu sein, aber sie müssen es nicht sein. Man kann sagen, daß die Allgemeinheit eines Namens eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung seiner Unbestimmtheit ist. So ist z.B. der Name "Planet", Planet unseres Sonnensystems, allgemein, aber er ist nicht genau, was seinen Bereich betrifft: Diese Klasse besteht ja aus den uns bekannten neun Planeten. Wenn hingegen zu der Allgemeinheit des Namens die Bedingung hinzukommt, daß die Grenzen der Klasse der Gegenstände, die er bezeichnet (z.B. "Fluß"), unbestimmt sind, so ist er ungenau.

Ein interessantes Problem sind die sogenannten logischen Konstanten, wie z.B. die Worte "oder", "nicht" u.ä.m. Nach RUSSELL sind auch diese unbestimmt da ihre Bedeutung in der Logik auf eine Art definiert wird, die die Wahrheit oder Unwahrheit der Sätze impliziert, und auf diese Weise werde das Problem der Unbestimmtheit mittelbar eingeführt. Das Wort "oder" definiert RUSSELL folgendermaßen:
" p oder q  ist wahr, wenn  p  wahr ist, wenn  q  wahr ist; falsch hingegen ist es dann, und nur dann, wenn  p  und  q  falsch sind".
Daher drückt RUSSELL auch seine begründete Skepsis in bezug auf die Exaktheit und Schärfe der logischen Zeichen aus, obwohl man gewöhnlich diese Eigenschaften voraussetzt.
"Die ganze traditionelle Logik nimmt gewöhnlich an, daß man sich präziser Symbole bedient. Darum richtet sich diese Logik nicht nach dem irdischen Leben, sondern nur nach einer imaginären himmlischen Existenz. Diese himmlische Existenz unterscheidet sich jedoch - soweit es um die Logik geht - von der unseren nicht durch die Natur der Gegenstände, sondern einzig durch die Vollkommenheit unserer Erkenntnis. Hier bin ich ganz mit PLATO einverstanden. Gleichwohl werden die, die keine Vorliebe für die Logik haben, wie ich fürchte, von meinem Himmel enttäuscht sein."(4)
Von hier aus ist es nur ein Schritt zu dem Standpunkt, den tatsächlich RUSSELL und nach ihm BLACK vertreten, daß alle sprachlichen Zeichen unbestimmt sind. Ich sehe keine Notwendigkeit zu so extremen und radikalen Schlußfolgerungen. Selbstverständlich kann man immer zeigen, daß ein sprachliches Zeichen in irgendeiner Hinsicht ungenau ist. Aber in irgendeiner anderen Hinsicht sind die sprachlichen Zeichen gewöhnlich exakt, und man braucht dies durchaus nicht zu leugnen. Es genügt festzustellen, daß es Fälle gibt, wo Ausdrücke unscharf sind, daß diese Fälle häufig vorkommen (jedenfalls häufiger als es gemeinhin scheint) und diese Unschärfe etwas Objektives ist.

BLACK spricht sich entschieden für den objektiven Charakter der Unschärfe sprachlicher Ausdrücke aus und unterscheidet Objektivität von Subjektivität auf Grund des nachstehenden Kriteriums: Sind die Merkmale der Ausdrucksunschärfe Tatsachen des menschlichen Verhaltens (also psychologische Gegebenheiten), oder sind es Tatsachen der physischen Welt? Die Lösung des Problems ist richtig, wenn auch das Kriterium unrichtig ist. Denn die Unschärfe liegt nicht bei den Dingen, sondern bei den Ausdrücken der Sprache.

Die Unschärfe der Ausdrücke ist dennoch nicht etwas nur Subjektives, etwas, was aus einer Unzulänglichkeit oder einem Fehler hervorgeht. Ihr liegt das Verhältnis der sprachlichen Ausdrücke zur objektiven Wirklichkeit zugrunde, über die diese Ausdrücke etwas sagen. Aus der Beschaffenheit der Ausdrücke und der Beschaffenheit der Wirklichkeit ergibt sich, daß die Ausdrücke der Sprache nicht den ganzen Reichtum der Wirklichkeit, von der sie reden, in exakter Weise abbilden können.

Diese Frage bedarf - angesichts ihrer Wichtigkeit - einer eingehenderen Analyse. Für RUSSELL ist sie nur ein Randproblem, das er überdies nicht konsequent behandelt, wie wir weiter unten sehen werden. BLACK interessiert sich dagegen mehr für die methodologische Seite des Kampfes mit der Unschärfe der Ausdrücke, während das ontologische Problem bei ihm nur gestreift wird. Und dennoch ist dies kein unwesentliches Problem.

Die verschiedensten philosophischen Richtungen haben die übliche wissenschaftliche Erkenntnis oder auch die gewöhnliche Erkenntnis des Alltags im weiteren Sinne - sofern sie verbalen Ausdruck fand - seit eh und je einer Kritik unterzogen. Diesem Motiv begegnen wir von PLATO bis BERGSON. Wenn wir die irrationalen Konsequenzen dieser Kritik zurückweisen, deren Autoren meistens zu einem unbegründeten Glauben an irgendeine averbale, unmittelbare "wahre Erkenntnis" kamen, bleibt deren rationaler Kern übrig: Die Betonung der Unvollkommenheit der sprachlichen Mittel als Werkzeug zur Abbildung der Wirklichkeit.

Die verallgemeinernden sprachlichen Zeichen sind das Ergebnis eines Abstraktionsvorganges. Bei der Bedeutung eines Sprachzeichens - und um diese geht es doch - haben wir es immer mit dem Ergebnis einer Abstraktion zu tun, die bei dem Prozeß der Klassifizierung in Erscheinung tritt, einem Prozeß, bei dem ein bestimmtes Merkmal zur Grundlage genommen wird und alle anderen von einem gegebenen Gesichtspunkt aus als unwesentlich eliminiert werden. Eben deshalb sind die Sprachzeichen, wie es logischen Gebilden zukommt, statisch, starr, unelastisch.

Ich verstehe darunter, daß das Sprachzeichen durch seine Bedeutung das Bild der Wirklichkeit, von der es spricht, unverrückbar festlegt - auch dann, wenn es von Bewegung und Veränderung spricht, denn auch von diesen Erscheinungen spricht es in einem klassifizierenden Sinn, d.h. es fördert die ihnen gemeinsamen Merkmale zutage und verallgemeinert diese in Form einer bestimmten Kategorie. Ich verstehe darunter weiter, daß das Sprachzeichen in seiner Bedeutung die Wirklichkeit abbildet, indem es diesem Abbild einen steifen, unelastischen Rahmen gibt, der mittels der Klassifikation die jeweiligen Dinge, ihre Eigenschaften, Tätigkeiten usw. aus der Totalität der uns umgebenden Welt aussondert. Je exakter ein Terminus ist, je strenger er unter logischem Gesichtspunkt ist, um so schärfer und deutlicher treten diese Eigenschaften der Sprachzeichen zutage.

Aber die Wirklichkeit ist in jedem Teil und unter jedem Aspekt veränderlich und in Bewegung, sie ist durch eine unendliche Menge von Übergängen und Wechselbeziehungen mit anderen Teilen und Aspekten der objektiven Welt verbunden. Wenn wir von dieser Veränderlichkeit, diesen Übergängen und Wechselbeziehungen abstrahieren, erhalten wir - wenn es erlaubt ist, ein Bild zu gebrauchen - einen Querschnitt, ein anatomisches Präparat der Wirklichkeit.

Was kommt denn anderes als solch ein anatomisches Präparat dabei heraus, wenn wir die veränderliche Wirklichkeit in das Prokrustesbett der von ihr abstrahierenden Kategorien packen, wenn wir einen durch allseitige Abhängigkeiten verbundenen Ausschnitt der Wirklichkeit mittels sprachlicher Zeichen abzubilden suchen, die starre Grenzen haben und um so weniger elastisch sind, je mehr wir sie "schärfen".

Wenn wir das Verhältnis der Sprachzeichen zur Wirklichkeit von dieser Seite her betrachten, wonach die Wirklichkeit durch Sprachkategorien abgebildet, "widergespiegelt" wird, dann liegt es auf der Hand, daß die Sprache als Werkzeug nicht an den abgebildeten Gegenstand "angepaßt", daß das Verhältnis der Widerspiegelung der Wirklichkeit durch die Sprache nicht ein-eindeutig ist. Das ist eine Tatsache, die wir im Auge behalten müssen, wenn wir sprachliche Fakten analysieren.

Allerdings geht daraus hervor, die averbal und a-intellektuell sein soll. Es gibt keinen logischen Übergang von den empirisch konstatierten sprachlichen Fakten zur metaphysischen Spekulation. Wir können hingegen daraus etwas lernen in bezug auf die Ungenauigkeit der Ausdrücke und deren Genese.

Die sprachlichen Zeichen sind nicht deshalb ungenau, weil sie unvollkommen wären (was uns auf den Gedanken bringen könnte, daß es technische Mittel zur Beseitigung dieser Unvollkommenheiten gibt), sondern weil zwischen der starren, die Erscheinungen der Wirklichkeit unter irgendeinem Gesichtspunkt klassifizierenden Einteilung und dieser Wirklichkeit selbst ein Verhältnis der Inadäquatheit besteht. Denn diese Wirklichkeit entzieht sich durch ihre Veränderlichkeit, ihre Übergänge von einem Zustand zum anderen, von einer Erscheinung zur anderen jeglicher starren Klassifikation.

Handelt es sich hier um einen grundsätzlichen Defekt der Sprache, der die Schranke für die Erkenntnis der Wirklichkeit bildet, wie das die irrationalistischen Verfechter der "wahren Erkenntnis" behaupten? Keineswegs. Jede Messung, die mit Hilfe eines Instruments vorgenommen wird, ist fehlerhaft. Es genügt, die Grenzen dieses Fehlers zu kennen, um seine Wirkung auf unsere Überlegungen zu beurteilen.

Ähnlich, wenn auch nicht genauso, verhält es sich mit der Sprache. Es genügt zu wissen, welcher Art der Fehler bei der Abbildung der Wirklichkeit durch die sprachlichen Ausdrücke ist, um so oder so, in diesem oder jenem Grade den Fehler mit Hilfe anderer Ausdrücke derselben Sprache "unschädlich" zu machen". Jedenfalls kann man ihn bis zu dem Moment vermindern, wo die Idealisierung, d.h. die bewußt falsche Annahme, daß es überhaupt keinen Fehler gibt, nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch annehmbar und begründet ist.

Das "Nicht-Angepaßtheit" der sprachlichen Ausdrücke an die Wirklichkeit ist also etwas Objektives. Das steht aber nicht der Erkenntnis der Wirklichkeit mittels einer aus solchen "nicht-angepaßten" Ausdrücken zusammengesetzten Sprache im Wege. Es geht nur darum, den Charakter dieses "Nicht-Angepaßtseins" und seine Grenzen zu erkennen.
LITERATUR - Adam Schaff, "Die vollkommene Sprache" und die Grenzen der Exaktheit der Ausdrücke, in Schaff, "Essays über die Philosophie der Sprache", Wien/Frankfurt/Zürich 1968
    Anmerkungen
    1) MAX BLACK, Vagueness, in "Language and Philosophy", New York 1949, Seite 31
    2) BERTRAND RUSSELL, Vagueness, in " Australasion Journal of Psychology and Philosophy",  1923, Seite 89
    3) BERTRAND RUSSELL, Vagueness, in  Australasion Journal of Psychology and Philosophy,  1923, Seite 88
    4) BERTRAND RUSSELL, Vagueness, in "Australasion Journal of Psychology and Philosophy", 1923, Seite 88-89