p-4H. SchmidkunzG. KnauerStörringW. Ostwald    
 
OTTO BÜTSCHLI
Gedanken
über Begriffsbildung

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"Es ist uns heute, ohne besondere Vertiefung in Forschungen über die Sprache ursprünglicher Völker, wohl kaum mehr möglich, den Grad der anthropomorphen Deutung vorzustellen, welchem die Naturvorgänge unterworfen wurden."

"Ich finde in mir keinen Schmerz, sondern nur Schmerzgefühl, keine Lust, sondern nur Lustgefühl. Sage ich, dieser Augenblick bereitet mir Schmerz oder Lust, so meine ich, ich habe dabei Schmerzgefühl oder Lustgefühl."

Wir haben uns im vorhergehenden mit dem sogenannten Erkenntnisgrund der Urteile beschäftigt und gelangten zur Ansicht, daß diese Urteile alle dieselben sind und in letzter Instanz auf die Erkennung von Gleich und Ungleich, auf die Sätze der Identität und des Widerspruchs hinauslaufen. Die Erkenntnisgründe sind stets die erfahrungs- und anschauungsmäßig erkannten Eigenschaften der Begriffe oder der Einzelerlebnisse. Der Erkenntnisgrund ist daher scharf zu unterscheiden von dem, was man  Ursache  oder Grund des Werdens im Gebiet der äußeren Welt oder  Motiv  (Grund des Handelns) in dem der inneren oder psychischen Welt genannt hat. Während der Erkenntnisgrund stets von Beziehungen zwischen gleichzeitigen oder doch als gleichzeitig gedachten Begriffen oder deren begriffsbestimmenden Eigenschaften (bzw. auch den Eigenschaften von Einzelnem) handelt, oder doch das aufeinander Bezogene als gleichzeitig vorstellt, nicht dagegen als aufeinander folgende Zustände, ist es dagegen der Charakter derjenigen Beziehung, welche man als die ursächliche bezeichnet, daß das aufeinander Bezogene, bzw. Verglichene, zwei nacheinander folgende Zustände sind. Unter Zustand verstehen wir hier die augenblicklichen Eigenschaften eines gewissen räumlichen Gebietes; unter Gesamtzustand der Außenwelt demnach die augenblicklichen Eigenschaften der gesamten, uns bekannten Außenwelt. Unter welchen Bedingungen werden wir nun einen solchen Zustand, auf den ein anderer folgt, die Ursache nennen und wann den folgenden als die Wirkung bezeichnen. (6)

Ich will hier zunächst nicht auf die wahrscheinliche historische Entwicklung der Begriffe Ursache und Wirkung eingehen, welche uns wohl den besten Aufschluß über ihre Bedeutung geben würde, vielmehr einfach die Bedingungen festzustellen suchen, die erfüllt sein müssen, wenn eine solche Bezeichnung gerechtfertigt erscheint.

Diese Bedingung ist jedoch jedenfalls die, daß zwischen den beiden aufeinander folgenden Zuständen eine Kontinuität besteht, d. h. daß der nachfolgende Zustand oder die Wirkung als eine Veränderung des vorhergehenden erscheinen muß. Eine Veränderung ist aber immer dann, wenn der augenblicklich gegebene Zustand einen erheblichen Teil der Eigenschaften des vorhergehenden bewahrt hat und nur gewisse Eigenschaften andere geworden sind, so daß wir trotz der Verschiedenheit eines Teils der Eigenschaften die Dauer der übrigen als Kontinuität des fraglichen Zustandes oder Dings wahrnehmen. - Der einfachste derartige Fall wäre ja der, daß sich ein Ding bewegt, wobei seine Eigenschaften sich dauernd erhalten und sich nur seine Lagebeziehung zu den umgebenden Dingen ändert. Es muß aber gleich betont werden, daß ein solches sich bewegendes Ding nicht als ein in Veränderung begriffenes im gewöhnlichen Sinne angesehen wird. Eine Veränderung findet nur dann statt, wenn wir in der Tat ein Verschiedenwerden der Eigenschaften eines Dinges wahrnehmen. - Ein sich bewegendes Ding besitzt nun außer seinen übrigen Eigenschaften noch die der Bewegung und bleibt unverändert so, so lange es sich bewegt. Das sich bewegende Ding wird daher auch nicht etwa als eine Folge veränderter Zustände aufgefaßt, sondern als ein Ding in unveränderlichem, kontinuierlichem Zustand, da es eben keine Veränderung seiner Eigenschaften zeigt, vielmehr die Veränderung seiner Lagebeziehung zur Umgebung etwas ist, was ihm als solchem nicht zugehört, außer ihm liegt und genau ebenso wäre, wenn das Ding als ruhend gedacht würde, die Umgebung dagegen als beweglich. Es ist nicht unwichtig, das hier hervorzuheben, da sich sonst leicht die Meinung bilden könnte, als müßte auch der augenblickliche Zustand eines sich gleichmäßig bewegenden Dinges als die Ursache seines nächstfolgenden Zustandes angesehen werden. Im Grunde genommen liegt die Sache eigentlich so: Ein sich bewegendes Ding ist ein Veränderungszustand nicht dieses Dinges für sich, sondern des Dinges samt seiner Umgebung. Wenn also hier eine ursächliche Betrachtung stattfinden soll, so muß diese sich auf das Ding samt seiner Umgebung beziehen und dann ist sie gerechtfertigt, auch insofern, als es sich dann wirklich um Veränderung eines vorhergehenden Zustandes handelt, nämlich der Ortsbeziehungen des Dinges und der übrigen zueinander. Betrachte ich jedoch in einer, den natürlichen Verhältnissen widersprechenden und unvorstellbaren (!) Abstraktion ein Ding als für sich allein bestehendes Bewegliches, so liegt eigentlich gar keine Veränderung vor. So ist denn auch der Ort eines Dinges keine ihm inhärierende Eigenschaft, sondern eine Beziehung zu den übrigen Dingen, bzw. eine Eigenschaft des gesamten Systems von Dingen, zu welchem das betreffende gehört.

Wenn eine Änderung der Eigenschaften des Dinges eintritt, das ruhende z. B. in Bewegung übergeht, haben wir eine Aufeinanderfolge veränderter (verschiedener) Zustände.

Einen einfachen und sehr durchsichtigen Fall sehen wir in folgendem. Zwei Tropfen einer Flüssigkeit bewegen sich aufeinander zu und vereinigen sich bei der Berührung zu einem einzigen. Hier tritt eine tatsächliche Veränderung der Eigenschaften der beiden sich berührenden Tropfen auf, indem sie ihre Gestalt völlig ändern und das Produkt eine ganz andere Form hat. Die beiden Tropfen können in diesem Fall als Ursachen bezeichnet werden und zwar, da die einzige Bedingung, die erfüllt sein muß, damit der geänderte Zustand eintritt, die ist, daß die Tropfen sich berühren, als ganz gleiche Ursachen.

Richtiger ist jedoch, meiner Meinung nach, auch hier folgende Auffassung: Die beiden Tropfen, welche sich berühren, sind ein Zustand, auf den ein veränderter folgt. Der erste Zustand, d. h. die beiden sich berührenden Tropfen, verdient als Ursache bezeichnet zu werden, der darauffolgende als Wirkung. Dagegen erscheint es mir von geringerer Bedeutung, hier von zwei, oder wenn sich mehr Tropfen vereinigen, von mehr Ursachen zu reden. Man kann diese einzelnen Dinge, welche in ihren Zusammentreten oder ihrem Zusammenhang den Zustand bilden, auf den der veränderte (die Wirkung) folgt, als "Teilursachen" benennen. Die eigentliche Ursache dagegen ist der Gesamtzustand, auf welchen die Änderung, die Wirkung, folgt. Diejenige Eigenschaft dagegen, welche die Teilursachen besitzen müssen, damit die Wirkung folgt, die Veränderung eintritt, sind die  Gründe  dieser Wirkung, dieser Veränderung. Im obigen Fall sind diese die flüssige Beschaffenheit der beiden Teilursachen und deren Berührung. Diese Eigenschaften der Teilursachen sich die erfahrungsmäßigen Bedingungen für das Folgern der Wirkung; sie bilden daher für mein Urteil über die beiden Folgezustände Erkenntnisgründe, in derselben Weise wie die empirischen Daten (Eigenschaften) Erkenntnisgründe für das Urteil über das Seiende. (7)

Warum ist das Blatt grün? Weil es Chlorophyll enthält.

Warum vereinigen sich diese beiden Körper? Weil sie flüssig sind und sich berühren.

Das eben erwähnte Beispiel der beiden Tropfen ist jedoch auch gleichzeitig eines, welches wir hinsichtlich des Vorgangs der Veränderung so vollständig wie möglich begreifen. Wir finden, daß sich die unveränderten Eigenschaften der beiden Teilursachen in der Wirkung, dem vereinigten Tropfen, einfach summieren. Es handelt sich um eine einfache Quantitätsbeziehung zwischen den beiden Teilursachen und der Wirkung. Daß das Ganze aber die Summe der Teile ist, ist logisch denknotwendig, da in der Begriffsbestimmung enthalten. Was wir daher von vornherein erwarten mußten, sehen wir eintreten. Nur für die Abweichung von diesem logisch notwendigen Ergebnis bedürften wir einen Grund zur Begründung der Abweichung. Wir begreifen daher in diesem Falle die Eigenschaften der Wirkung aus den Eigenschaften der Teilursachen vollständig, da der Vorgang mit unserem Begriff von Vereinigung der Teile zu einem Ganzen in Einklang steht, unter diesen Begriff fällt. Sobald dagegen in der Wirkung eine qualitative Veränderung der Eigenschaften der Ursache hervortritt, hört ein Begreifen auf. Qualitative Verschiedenheit ist stets etwas neues und erfordert für unser Denken einen besonderen Grund. Erst wenn wir in der Lage wären, diese qualitative Änderung auf eine solch quantitative Übertragung von Eigenschaften zurückzuführen, wie sie im obigen Beispiel statthat, dann würden wir unser Begreifen für befriedigt erklären.

Nehmen wir den Fall zweier sich stoßender elastischer Körper, welchen ich schon bei früherer Gelegenheit erörterte (1901), (8) den ich aber jetzt aufgrund erneuter Überlegung etwas anders beurteile. Wir haben zwei Körper, einen ruhenden (A) und einen in bestimmt gerichteter Bewegung begriffenen (B), die sich berühren und stoßen. Dieser Zustand der beiden Körper (Teilursachen) ist nach der oben vorgetragenen Auffassung die Ursache, der darauffolgende Zustand dagegen, daß der Körper  A  sich bewegt,  B  dagegen ruth, die Wirkung. Die Eigenschaften aber, welche die beiden Teilursachen besitzen müssen, sind die Bedingungen oder die Erkenntnisgründe meines Urteils über diesen Vorgang. Also
    1. die bestimmt gerichtete Bewegungseigenschaft von  B, 

    2. die Berührung von  A  und  B, 

    3. die Ruhe von  A. 
In diesem Fall vermag ich die Wirkung aus den Eigenschaften der Teilursachen nicht in der Weise logisch zu begreifen, wie im vorhin besprochenen Fall. Einmal fehlt mir ein logischer Grund dafür, daß nun  A  sich bewegt,  B  dagegen ruth. Dieser Mangel ist jedoch auch dem ersteren Beispiel eigentümlich, denn hier habe ich auch keinen Grund dafür, daß sich die beiden Tropfen vereinigen, es ist eben erfahrungsgemäßes Geschehen. Im Fall der beiden stoßenden Körper sehe ich nun gewissermaßen, daß die Bewegungseigenschaft des Körpers  B  auf den  A  übergeht, übertragen wird. Im ersteren Fall dagegen übertrugen oder vereinigten sich die beiden Körper samt ihren Eigenschaften und das ist mir begreiflich, auch deshalb, weil ich diesen Vereinigungsvorgang der beiden Körper räumlich geschehen sehe und ihn mir daher räumlich vorstellen kann. - Im zweiten Fall dagegen liegt die Sache anders. Hier sollte ich mir vorstellen, daß die Eigenschaft eines Körpers übergeht oder übertragen wir auf einen zweiten. Das ist aber ein unvorstellbarer Vorgang, denn um ihn auszuführen, müßte es mir möglich sein, mir eine Eigenschaft, also in diesem Fall die der Bewegung, losgelöst von den sonstigen Eigenschaften des betreffenden Körpers vorzustellen.

Wie gesagt, ist das jedoch unausführbar; ich kann mir nur ein Ding als bewegt vorstellen und das auch nur, insofern andere Dinge noch neben ihm sind; dagegen ist eine von den Dingen losgelöste Bewegung als für sich Existierendes unvorstellbar, ein Wort, das nur insofern Bedeutung hat, als es eine Eigenschaft von Dingen bezeichnet. Dazu gesellt sich, daß ich mir diese übertragbare Eigenschaft, wenn ich sie als im Raum befindlich wirklich vorstellen wollte, doch nicht anders, als räumlich vorstellen könnte, wenn eben Vorstellen irgendeine Bedeutung haben soll. Ich will daher nicht sagen, d. h. in diesem Falle in Worten ausspreche, ich nicht eine gewisse Befriedigung empfinde, die aber nur soweit geht, als in dem Satz liegt: der Vorgang verläuft so, als wenn die Eigenschaft der Bewegung von  A  auf  B  übertragen würde. Eine volle Befriedigung dagegen empfinde ich nicht, da mir die Möglichkeit fehlt, mir diese Übertragung räumlich vorzustellen. Deshalb fühle ich, daß hier etwas stattfindet, was ich nicht voll begreife, d. h., was ich nicht genötigt bin, so und nicht anders zu denken.

Diese Unmöglichkeit des Vorstellens der Übertragung einer Eigenschaft von einem Ding auf ein anderes, ist, meiner Meinung nach, auch der eigentliche Grund dafür, daß man in diesen Vorgang den Begriff der  Kraft  hineingebracht hat. Deshalb scheint es mir an diesem Ort angezeigt, diesen Begriff näher zu betrachten, da man mir gelegentlich vorwarf, daß ich ihn ungerechtfertigterweise als einen unnötigen bezeichnete. - Daß der Begriff der Kraft ursprünglich rein aus dem Menschen selbst geschöpft wurde, dürfte ja keiner Frage unterliegen. Ich meine sogar, daß man noch viel zu wenig Gewicht darauf gelegt hat, wie die primitive Menschheit anfänglich wohl alles Sein und Geschehen in der Natur völlig nach Analogie des eigenen Handelns, sowie des eigenen Organismus beurteilte und deutete. Wer etwas darüber nachdenkt, wird noch in der heutigen Ausdrucksweise vielfach Reminiszenzen an solche Deutungen finden, die ursprünglich gewiß mehr als einfache Bilder waren; so z. B. das Meer verschlingt die Schiffe; die Sonne saugt oder zehrt die Dünste und Wolken auf - trinkt den Tau; der Sturm heult, tobt; der Vulkan speit; das Feuer verzehrt das Holz usf. Wenn wir uns vorstellen, wie gerade für den ursprünglichen Menschen das Verschwinden von Dingen, wie das Verdunsten von Wasser, das Verbrennen organischer Körper und dgl., etwas seiner Natur nach ganz unverständliches war, so wird es sehr begreiflich, daß diese Vorgänge alle nach dem Gesichtspunkt des Verschwindens der Nahrung im menschlichen Körper, des Auffressens oder Verzehrens beurteilt wurden. Es ist uns heute, ohne besondere Vertiefung in Forschungen über die Sprache ursprünglicher Völker, wohl kaum mehr möglich, den Grad der anthropomorphen Deutung vorzustellen, welchem die Naturvorgänge unterworfen wurden.

Kraft  hat nun meines Erachtens als Begriff eine sehr gerechtfertigte, erfahrungsmäßige Grundlage. Diese ist nämlich das  Kraftgefühl,  welches der gesunde, wohlgenährte und ausgeruhte Mensch hat, im Gegensatz zum kranken, schlecht genährten und ermüdeten. Daß ein solches Gefühl vorhanden ist und in seinem Kontrast gegen den Zustand der Ermüdung wohl unterschieden wird, unterliegt keinem Zweifel. Besitze ich dieses Kraftgefühl, bin ich in diesem Zustand, so vermag ich größere Lasten zu heben, schneller zu laufen, länger zu arbeiten, als wenn es mir mangelt; ich bin dann kräftig. Habe ich dagegen diese Tätigkeiten ausgeübt, so ist mein Kraftgefühl verschwunden. Der Mensch, welcher Kraftgefühl hat, kann also mehr leisten und die Eigenschaft des Kraftgefühls ist der Erkenntnisgrund hierfür. Bei der Arbeit geht dieses Kraftgefühl jedoch verloren.

Nun lag es sehr nahe, diesen Verlust so zu deuten, daß bei der körperlichen Anstrengung in der Tat etwas aus dem menschlichen Körper herausgetreten und ihm verloren gegangen sei, eben dieses etwas, welches das Kraftgefühl im Menschen bedingte, nämlich die Kraft, deren Besitz ihn sich kräftig fühlen ließ. (9) Dieses Verlorengegangene bewegte eben zunächst seinen Arm, der Arm bewegte den Stein und je größer der Stein war, desto schneller trat der Verlust des Kraftgefühls ein. Nichts lag daher näher, als die Deutung: die Kraft, welche mein Kraftgefühl bedingt, geht in meinen Arm, aus diesem in den Stein und bewegt nun diesen; je größer der Stein ist, desto mehr Kraft muß auf ihn übergehen, damit er sich bewegt.

Die erste Entwicklung des Kraftbegriffs entstammt jedenfalls einer Zeit, in der der Bau des menschlichen Organismus und die Funktion seiner Organe noch nicht oder doch sehr unvollständig bekannt war. Zu dieser Zeit konnte daher die sogenannte Kraft als etwas angesehen werden, was direkt aus dem Innern des Menschen in die bewegten Gliedmaßen und von diesen auf den bewegten äußeren Körper übertragen wurde. Die genauere Kenntnis mußte dagegen belehren, daß die Bewegung der Gliedmaßen eine Folge der Kontraktion der Muskeln ist, also die Bewegung des äußeren Körpers nur eine Folge der Bewegung der Muskeln. Dies führte dann zunächst zu der Ansicht, daß die Kraft aus dem inneren Körper zunächst den Muskeln durch Vermittlung der Nerven zugeleitet werde und erst von den Muskeln als sogenannte Muskelkraft auf den bewegten Körper übergehe. Hieraus endlich mußte sich die heutige Vorstellung entwickeln, daß nämlich der eigentlich Sitz und Ursprungsort der Muskelkraft der Muskel ist und daß von den Nerven nur die Anregung, der Anstoß zu deren Auftreten zugeleitet werde. Der Muskel mit seiner Muskelkraft trat durch diese Betrachtung in die Reihe derjenigen Körper, wie sie ja auch in der anorganischen Welt genugsam angetroffen werden, die befähigt sind, infolge einer auslösenden Ursache oder einer Veranlassung, d. h. einer Veränderung ihres Zustandes, sich zu bewegen, ohne daß auf sie selbst Bewegung übertragen wird. Als nun die Betrachtung auf dieser Stufe angelangt war, war die ursprüngliche Grundlage, auf welcher sich der Begriff der Kraft entwickelt hatte, als nicht zutreffend beseitigt. Da der eigentliche Sitz der mechanischen Leistungen des menschlichen Organismus in den Muskeln erkannt war, dagegen das Kraftgefühl, von dem ursprünglich ausgegangen war, als ein Gefühl meines innersten und eigentlichen Ichs nicht in den Muskeln seinen Sitz haben konnte, so mußte dieses Gefühl nur noch als eine Begleiterscheinung, welche mit dem kräftigen, unermüdeten Muskelsystem verbunden ist, angesehen werden, dagegen nicht mehr als dasjenige selbst, welches das Bewegende meines Armes sei und von diesem auf den Stein übergehe.

Bevor wir in unserer eigentlichen Betrachtung weitergehen, dürfte es sich empfehlen, die mit dem Kraftbegriff innig zusammenhängenden Begriffe  Druck, Zug, Spannung, Widerstand  zu erörtern. Wenn mein Arm einen kleinen Stein fortstößt, so wird seine Bewegung oder Kraft nach der obigen Anschauung auf den Stein übertragen. Wenn ich aber gegen einen sehr großen Stein, einen Fels, in gleicher Weise meinen Arm bewege, so bleibt der Fels in Ruhe. Ich fühle jedoch, daß ich bei dieser Tätigkeit in derselben Weise, ja noch mehr ermüde, als wenn ich den kleinen Stein in Bewegung gesetzt hätte. Ich habe also nach der naiven Auffassung auch bei dieser Tätigkeit Kraft verloren, ohne daß sie als eine äußere Bewegung hervorgetreten wäre. Der Stein hat meiner Bewegung widerstanden, er hat meine Kraft vernichtet, aufgezehrt, nach den naiven Vorstellung. - Diesen Vorgang der Vernichtung oder Aufzehrung meiner Kraft kann ich jedoch durch einen analogen Vorgang noch offenbarer machen. Wenn ich nicht einen Stein, sondern den Arm eines anderen Menschen fortzubewegen suche, so kann ich das ebenfalls und der betreffende mensch wird mir berichten, daß er dabei nicht ermüde, daß er nichts von seiner Kraft verliere. Wenn ich dagegen finde, daß ich den Arm dieses Menschen nicht fortbewegen kann, daß er mir ebenso widersteht wie der Fels, dann wird mir der gleiche Mensch berichten, daß er dabei Kraft verliere, daß er ermüde, daß er sich bemüht habe, meinen Arm zu bewegen und zwar in der meinem Arm entgegengesetzten Richtung. Ich erfahre daher, daß beabsichtigte, entgegengesetzt gerichtete Bewegungen zweieer Arme sich vernichten, sich aufzehren, daß der Arm des anderen Menschen einen Widerstand leistet und dabei Kraft verliert und daß dieser Kraftverlust des widerstehenden Armes demjenigen gleich groß ist, den mein fortbewegter Arm verliert. - Aufgrund meiner Denkweise muß ich hieraus schließen, daß Kräfte, welche sich in entgegengesetzter Richtung bewegen, sich vernichten, sich aufzehren. Bin ich auf diesem Punkt der Überlegung angelangt, so werde ich den Analogieschluß nicht umgehen können, daß auch der mir widerstehende Fels meinem Arm eine Kraft entgegensetzen muß, die die meines Armes vernichtet. ganz dieselben Betrachtungen ergeben sich nun auch für den Fall, daß ich am Arm meines Gegners ziehe; auch dieser Vorgang führt zu dem Schluß, daß sich entgegengesetzt gerichtete Kräfte aufzehren.

Ergreife ich nun einen Stein und halte ihn einige Zeit, so fühle ich wachsende Ermüdung, je länger ich ihn halte, also Kraftverlust. Auch das muß ich nach Analogie so deuten, daß der Stein meinen Arm mit einer gewissen Kraft zieht und daß ich diese Kraft durch die entgegengerichtete meines Armes überwinden oder vernichten muß.

Sucht dagegen in anderer Mensch meinen aufliegenden Körper in der Richtung gegen die Unterlage zu bewegen, so gelingt ihm das nur auf eine kleine Strecke, indem er mich etwas niederdrückt. Dagegen habe ich ein besonderes Gefühl von dieser seiner Bewegungsabsicht, bzw. seiner gehemmten Bewegung, ein Gefühl, welches ich als Druckgefühl bezeichne. Vom Arm, der dieses Druckgefühl bedingt, sage ich, er drückt und den Inbegriff der drückenden Körper, in Rücksicht eben auf diese ihre gemeinsame Eigenschaft des Drückens, nenne ich den Begriff des Drückens, insofern ich diese gemeinsame Eigenschaftsbeziehung der beiden Körper als etwas von dem drückenden ausgehendes betrachte. Betrachte ich dieselbe Eigenschaftsbeziehung dagegen als etwas, das dem gedrückten Körper zugefügt oder mitgeteilt wird, was dieser erleidet, so nenne ich sie  Druck. 

Da mir der Mensch berichtet, daß er bei diesem Drücken ermüdet und da jede gehemmte Armbewegung mit Kraftverlust verbunden ist, so finde ich auch hier wieder, daß das Drücken des Armes Kraftübertragung auf meinen widerstehenden Körper ist; daß also ein Druckgefühl anzeigt, daß eine Kraft auf meinen widerstehenden Körper übertragen wird, bzw. daß letzterer eine widerstehende, nicht von meinem Kraftgefühl entspringende Kraft leisten muß. Da nun der Stein, welchen ich auf meinen Körper lege, das gleiche Druckgefühl zur Folge hat, so muß ich nach Analogie wieder schließen, daß der drückende Stein eine Kraft auf meinen Körper überträgt, welche dieser durch seine Widerstandskraft vernichtet. Ich finde darin also eine Bestätigung dessen, was mich schon der erhobene Stein gelehrt hat.

Endlich bemerke ich, daß sich gewisse Körper durch die Bewegung meines Armes zusammendrücken oder biegen lassen; dann aber, wenn ich den Arm entferne, wieder die frühere Gestalt annehmen; auch hier ist der Schluß unabweisbar, daß sie eine Widerstandskraft besitzen, die mit der Veränderung ihrer Gestalt wächst und die ich als ihre Spannung bezeichne.

Nach Analogie mit meinem eigenen Körper muß ich daher schließen, daß alle Körper, die sich bewegen, eine Kraft besitzen; daß ferner alle Körper, die widerstehen, ziehen, drücken, eine Kraft haben müssen, wenigstens in dem Augenblick, wo sie widerstehen, drücken und ziehen.

Wir gelangen nun wieder zu der schwierigen Frage: wie soll ich mir den Übergang meiner Kraft auf den bewegten Stein denken oder richtiger vorstellen. Ich bemerke deutlich, daß mir etwas verloren geht, was ich früher besaß, das Kraftgefühl; ich bemerke ferner, daß der Stein nichts erhält, was ich als Materie, vorstellbar im Raum, bezeichnen könnte. Wenn daher auf den Stein etwasa übergeht, so muß es immateriell, imponderabel sein, eine immaterielle, imponderable Substanz, von der in der älteren Philosophie vielfach die Rede war. Das Kraftgefühl als Seelenzustand, als psychisches Erlebnis, gehört ja in das immaterielle Gebiet; die Kraft, welche ja nur die Substanziierung (Objektivierung) dieses Gefühls ist, sich also zu ihm verhält, wie Schmerz zu Schmerzgefühl (ich fühle den Schmerz, ich fühle die Kraft) - insofern das konstant bleibende Ich oberhalb der wechselnden Seelenzustände steht und sie daher als etwas von ihm Unterschiedenes zu objektivieren geneigt ist - die Kraft gehört also ebenso in den Bereich der immateriellen seelischen Erscheinungen. Insofern mir auf seelischem Gebiet eine solche Übertragung von Eigenschaften von einem Menschen auf die anderen, wenn auch nur scheinbar - begreiflich ist - ich kann einem anderen Menschen Kraft einflößen, ihm Schmerz zufügen und dgl., so bereitet die Vorstellung, daß die immaterielle, imponderable, als Seelenerscheinung gedachte Kraft von einem auf das andere Ding übertragen werde, keine besonderen Schwierigkeiten mehr; sobald eben die Kraft einmal als etwas hypothetisch Objektiviertes, wenn auch Immaterielles gedacht und vergessen wird, daß sie in Wirklichkeit nichts ist, als der Erkenntnisgrund für die Leistungsfähigkeit des kräftigen Menschen, d. h. daß sie nur die Wahrnehmung ist, daß ein leistungsfähiger Mensch ein besonderes Gefühl hat, aufgrund dessen wir ihn "kräftig" nennen.

Wenn wir nun einmal auf diesem Punkt angelangt sind, daß wir die als besondere Seelenerscheinung objektivierte Kraft als Ursache (Teilursache) betrachten, welche das Kraftgefühl zur Folge hat, als etwas, das dem Kraftgefühl vorhergeht, als etwas, das dem Menschen zugegeben, bedingt, daß der Zustand des Kraftgefühls folgt, so verstehen wir, daß es dann keine besonderen Schwierigkeiten mehr haben konnte, sich zu denken, daß diese als immaterielle Erscheinung angesehene Kraft auf den Stein übergehe und in diesem ebenso die Bewegung bedinge, wie sie die Bewegung meines Armes bedingt habe. Wir verstehen dann auch in gewissem Grad, wie man zu dem Schluß gelangen konnte, zu sagen: "Kraft ist die Ursache der Bewegung", während doch Ursache, wie schon der Name klar zeigt, eine  Sache,  ein Ding bedeutet und daher auf materiellem Gebiet nur auf dingliche Begriffe angewendet werden kann.

Wenn ich mir die Kraft als etwas vorstelle, das in mir vorhanden, aufgespeichert ist, so geht sie zeitlich der Bewegung voraus, verhält sich also zu ihr wie die vorausgehende Ursache zur Wirkung.

Das Verhältnis des bewegenden Armes zu dem von ihm bewegten Ding war dann etwa folgendes:

Arm + Kraft
1. Teilurs.
Ding ohne Kraft
2. Teilurs.
1. Zustand
3. Teilurs.

(Ursache)
Arm ohne Kraft
1. Teilurs.
Ding + Kraft
3.Teilurs.
2. Zustand
2.Teilurs.

(Wirkung)

Die vorher dem Arm oder dem stoßenden Ding beigegebene, ihm als Teilursache innewohnende Kraft wurde durch ihre Übertragung auf das andere Ding zur Teilursache von dessen Bewegung. Und wenn ich den Begriff Kraft als die Gesamtheit derjenigen Dinge auffasse, denen eine solche Teilursache beigegeben ist und Bewegung als die Gesamtheit der bewegten Dinge, nur mit Rücksicht auf diese beiden gemeinsamen Eigenschaften, so konnte ich einen derartigen Satz: "Die Kraft ist die Ursache der Bewegung" wohl aussprechen.

Oben wurde schon darauf hingewiesen, daß ursprünglich wohl zweifellos die gesamte Natur anthropomorphistisch gedeutet wurde. Nun fanden sich in der Natur eine Menge Dinge, die sich unablässig bewegten, die Sonne und die Sterne vor allem, ohne daß eine eigentliche Ursache, ein sie stoßender Arm, ein sie bewegendes Ding, wahrgenommen werden konnte. Es blieb daher zunächst gar nichts andere übrig, als sie nach Analogie des spontan beweglichen Menschen zu beurteilen. Für diesen ergab sich aber als Erkenntnisgrund seiner Bewegung die Kraft; irgendein anderer Grund der Bewegung dieser Himmelkörper war nicht einzusehen. Es blieb daher zunächst, wie gesagt, gar nichts anderes übrig, als ihnen ebenfalls hypothetisch einen analogen Erkenntnisgrund ihrer Bewegung, d. h. Kraft zuzuschreiben. Hiermit ergibt sich dann auch leicht, daß hier ein falscher Analogieschluß vorliegt, der etwas vom Organismus Geltendes auf davon ganz Verschiedenes überträgt.

Aus den vorstehenden Erörterungen erfuhren wir, daß der Kraftbegriff als Eigenschaft des menschlichen und nach berechtigtem Analogieschluß ihm ähnlich gebauter Organismen nicht "Ursache", sondern Erkenntnisgrund ist. Ursache meiner Handlungen ist nicht die Kraft, sondern das Motiv, aus dem sie hervorgeht oder, wenn wir, was richtiger ist, auf physischem Gebiet bleiben wollen, derjenige physische Zustand meines Inneren, welcher jenem Motiv parallel geht. Auf Anorganismuen übertragen, ist der Begriff der Kraft eine falsche Analogie, durch welche auch der Vorgang der Bewegungsübertragung nicht begreiflicher gemacht wird. Das, was wir wahrnehmen, ist Bewegung, diejenige Eigenschaft, von der wir erfahrungsgemäß wissen, daß sie, wenn vorhanden, Bewegungen anderer Dinge zur Folge haben kann. Die Eigenschaft der Bewegung ist daher der Erkenntnisgrund dafür, daß ein Ding die Teilursache (oder wirkende Teilursache) eines Ursachensystems werden kann. Daß dabei die Bewegungseigenschaft wirklich übertragen werde, zeigt die Wahrnehmung nicht. Wenn wir dies supponieren, so ist es eine Annahme, welcher die Vorstellbarkeit abgeht und die sich daher in leeren Wortbegriffen bewegt. Es ist dies eine Annahme, welche dazu gemacht wurde, um uns die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung logisch denknotwendig zu gestalten und so begreiflich zu machen.

Soll dies der Fall sein, so muß die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung in die Form eines logischen Schlusses, eines gewöhnlichen Urteils, gebracht werden. Der logische Schluß bezieht sich aber auf die Verknüpfung gleichzeitig vorhandener, bzw. auch auf die Ausschließung sich gleichzeitig verneinender Eigenschaften eines Dings oder Erlebnisses. Wenn  a  ist, dann ist auch  b;  wenn  a  ist, ist  b  nicht. Beim kausalen Schluß handelt es sich dagegen stets um die Verknüpfung zeitlich aufeinander folgender Eigenschaften, wenn  a  ist, dann folgt  b,  wenn  a  nicht ist, dann kann  b  nicht folgen. Will ich diesen kausalen Schluß in die Form des gewöhnlichen logischen Urteils bringen, so kann das nur so geschehen, daß ich die Wirkung in der Ursache schon hypothetisch antizipiere, als Eigenschaft des Erkenntnisgrundes der Ursache vorausnehme. Wenn auf den Stoß (Bewegung) der Teilursache  B  die Bewegung von  A  folgt, so habe ich die Verknüpfung zweier zeitlich aufeinander folgender Bewegungen, zweier Eigenschaften, von denen ich jedoch nicht sagen kann, die Bewegung von  A  ist dieselbe Bewegung, welche  B  verloren hat. Wenn ich jedoch der Bewegung von  B  eine weitere Eigenschaft hypothetisch zuschreibe, welche ich erst aus der Wirkung entnehme, nämlich die Eigenschaft, übergehen zu können, bzw. daß die Bewegungseigenschaft von  A  dieselbe ist, wie die von  B  verlorene, so erscheint es mir als logischer Schluß, daß der bewegte Körper  B  auch die Eigenschaft haben muß, unter geeigneten Bedingungen den Körper  A  zu bewegen.

Wenn wir von unbewegten Dingen auf gewisse Veranlassungen hin Bewegungen ausgehen sehen, so ist die Annahme einer in diesen Dingen vorhandenen Kraft ebenfalls eine falsche, anthropomorphistische Analogie-Übertragung. Alles, was wir wissen, ist eben, daß diesen Dingen die, an sich nicht wahrnehmbare Eigenschaft zukommt, unter gewissen Bedingungen, in einem gewissen Zustand, sich zu bewegen oder ihre Gestalt zu ändern, andere Dinge zu bewegen, unter Veränderung ihrer eigenen Gestalt und eventuell ihrer sonstigen Eigenschaften. Eine solche verborgene Eigenschaft können wir ein  Vermögen  nennen und unter diesen Oberbegriff auch den Kraftbegriff des Menschen einreihen; dagegen fehlt jede Berechtigung, eine dem Menschen analoge Kraft in den betreffenden Dingen vorauszusetzen. Wollten wir, um uns das ganz dunkle Vermögen eines Dings zu derartigen Änderungen, bei welchen mechanische Bewegung auftritt, begreiflich zu gestalten, eine Hypothese aufstellen, so wäre nur die imstande, uns eine wirkliche Vorstellung von dem verborgenen Vermögen zu geben, welche als dessen Quelle eine verborgene Bewegung voraussetzt. Denn daß Bewegung Bewegung zur Folge hat, ist eine geläufige Erfahrung in der anorganischen Welt; daß dagegen Kraft Bewegung zur Folge hat, ist eine nur für den Menschen und ihm ähnlich gebaute Organismen gültige Erfahrung. Wobei dann noch die Dunkelheit bleibt, daß uns die Beziehung zwischen Kraft und Bewegung unvorstellbare Wortbeziehung ist, wogegen die Bewegung, welche auf Bewegung folgt, wohl vorstellbar ist, wenn auch nicht der Übergang der Bewegungseigenschaft von einem Ding auf das andere.

Auf dem eben Dargelegten beruth denn auch, meiner Ansicht nach, das sehr berechtigte Bestreben der Naturforschung, diese verborgenen Eigenschaften oder Vermögen, welche die Dinge befähigen, sich so zu verändern, daß sie andere Dinge bewegen, auf in den Dingen verborgene Bewegungen zurückzuführen, denn nur so können solche Vermögen in Vorstellbares umgebildet und daher auch aus gewissen obersten Voraussetzungen als logisch denknotwendig begriffen werden. (10)

Ein letzte mögliche Konsequenz wäre im Verlauf dieser Darstellung aber ferner, daß auch die einfache Übertragung der Bewegung durch Stoß als nur eine scheinbare gedeutet und auf diese Weise die Unbegreiflichkeit der Übertragung der Bewegungseigenschaft eliminiert würde.

Entsprechend der Bewegungseigenschaft sind alle  übertragbaren anderweitigen Eigenschaften  der Dinge aufzufassen, als Warmsein, Leuchten, Elektrisch- und Magnetischsein. Auch sie sind, wie die Bewegungseigenschaft, Erkenntnisgründe dafür, daß gewisse Teilursache in einem Teilursachensystem gewisse Änderungen anderer Teilursachen des Systems zur Folge haben. Das, was man daher im allgemeinen Naturkräfte genannt hat, sind die Erkenntnisgründe dafür, warum eine Teilursache (gemeinhin Ursache oder wirkende Ursache genannt) eben dies sein kann; die Angabe derjenigen Eigenschaft, welche vorhanden sein muß, damit sie eben eine Teilursache im besonderen Kausalvorgang sein kann. - In meiner Schrift von 1901 habe ich, in nicht ganz korrekter Weise, bei Erörterung des Stoßvorganges, die Bewegung als die wirkende Ursache, alles übrige dagegen im Kausalvorgang als Bedingungen bezeichnet. Wie gesagt, erscheint dies bei tieferer Überlegung des Problems als nicht ganz richtig. - Wenn wir zwar die Bedeutung der Begriffe, die ich oben dargelegt habe, festhalten, so erscheint der Begriff der Bewegung als die Gesamtheit der sich bewegenden Dinge, aller Vorstellungen sich bewegender Dinge. Bei dieser Auffassung würde daher auch der Satz: "Bewegung ist die wirkende Ursache beim Stoß zweier Dinge" besagen: "Ein in Bewegung befindliches Ding, das ein ruhendes berührt, ist die wirkende Teilursache dafür, daß die Bewegung der anderen Teilursache folgt." Da die Naturwissenschaften die gesetzmäßigen Kausalbeziehungen der Dinge im allgemeinen, nicht dagegen die der historischen Einzeldinge festzustellen sich bemühen, so wäre für sie eine solche Bezeichnung der übertragbaren Eigenschaft als wirksamer Teilursachen nicht inkorrekt, vorausgesetzt, daß dabei nicht übersehen wird, daß die Eigenschaften als solche nur die Gründe der Wirksamkeit der Teilursachen sind, daß sie als solche nicht vorstellbar, nicht substanziiert gedacht werden können, sondern eben nur als etwas, das Dingen eigen und ihre Vorstellbarkeit daher nur an Dingen möglich ist.
LITERATUR - Otto Bütschli, Gedanken über Begriffsbildung und einige Grundbegriffe, Annalen der Naturphilosophie, Bd.3, Leipzig 1904
    Anmerkungen
    6) In einem gewissen Sinne rechnet SCHOPENHAUER bekanntlich auch Ursache und Motiv zu einem umfassenderen (höheren) Begriff des Grundes, d. h. so, wie sich mein Urteil über Gleichzeitiges auf den Grund oder den Erkenntnisgrund im strengeren Sinne, stützt, so basiert mein Urteil über die Wirkung auf der Ursache; nämlich wenn ich diese Ursache finde, so wird diese Wirkung sein. Der umgekehrte Schluß ist jedoch nicht zulässig, d. h. der Schluß von einem gegebenen Zustand als Wirkung auf die Ursache oder doch sehr eingeschränkt und das ist ein wesentlicher Unterschied zwischen Gründen und Ursachen. Was stets miteinander ist, ist Grund füreinander und daher das Eine der Grund des Anderen und das Andere der Grund des Einen. Die Summe der Winkel im Dreieck beträgt zwei Rechte und die ebene Figur, deren Winkelsumme zwei Rechte beträgt, ist das Dreieck.

    So unterscheide SCHOPENHAUER bekanntlich vier Arten des zureichenden Grundes:

      1. den des Werdens = Kausalität (bei den Organismen werde er  Reiz  genannt).
      2. Den des Denkens = Grund des Erkennens = Erkenntnisgrund
      3. Den des Seins = Grund für Raum- und Zeitbegriffe.
      4. Den des Wollens (richtiger Handelns) = Motivation ("ist die Kausalität von innen gesehen", Schopenhauer).

    Es ergibt sich leicht, daß diese vier Gründe eigentlich nur Modifikationen zweier Kategorien sind. Nämlich:

      1. Kausalität und Motivation sind in diesem Sinne die Gründe des Geschehens oder der Folge von Zuständen. Wenn wir Ursache und Wirkung oder Motiv und Handlung nach Art des Grundes und des dadurch Begründeten aufeinander beziehen, so haben sie als gemeinsamen Charakter und als Unterschied gegen den Grund im strengen Sinn ihre Aufeinanderfolge, ihr Nacheinander.

      2. Erkenntnisgrund und Seinsgrund sind dasselbe, der logische Grund, der Grund des Miteinanderseins, des Zugleichseins, der Verknüpfung der besonderen Eigenschaften eines dauernden Zustandes. Der Seinsgrund ist nur die Beschränkung des logischen Grundes auf Raum- und Zeitbegriffe. Grund und Begründetes sind mit- oder durcheinander; Ursache und Wirkung sind nach- und durcheinander.

    Hieraus ergibt sich ferner, daß Erkenntnis- und Seinsgründe niemals eine Erklärung der betreffenden Zustände geben können, denn sie handeln nur von der regelmäßigen des Zugleichseienden, des dauernden Zustandes. Erklärung eines Zustandes, d. h. sein logisch notwendiges Denken als Folge eines vorhergehenden Zustandes ist nur auf dem Gebiet der Kausalität und Motivation möglich. Und hiermit ergibt sich in einfachster Weise der in neuerer Zeit vielfach verwischte Gegensatz zwischen  Beschreiben  und  Erklären.  Beschreiben gehört dem Gebiet der Seinsgründe an, Erklären dagegen dem der Folgegründe.
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    Es wurde vorhin erwähnt, daß zwar der Schluß aus der Ursache auf die Wirkung verläßlich, daß dagegen umgekehrt aus der Wirkung nicht oder doch nur mit Einschränkung auf die Ursache geschlossen werden könne. Diese Regel erscheint vielleicht etwas überraschend hauptsächlich deshalb, weil hier inkorrekterweise von  einer  Ursache die Rede ist und nicht von den bei natürlichem Geschehen doch stets notwendigen zahlreichen Teilursachen. Kenne ich den Zustand eines Systems in einem besonderen Moment wirklich vollständig in allen seinen Einzelheiten und sind mir die wirkenden Erkenntnisgründe bekannt, so muß sich auch der vorhergehende Zustand des Systems, aus dem der augenblickliche folgte, eindeutig bestimmen lassen. Da jedoch in den meisten Fällen der Zustand der Wirkung auch nur teilweise bekannt ist, so läßt sich auch der vorhergehende der Ursache nicht eindeutig bestimmen. - Schließlich sind ja die Schlüsse auf dem Gebiet der Seinsgründe auch nur gültig, bei völliger Kenntnis aller Eigenschaften desjenigen, worüber geurteilt wird. Wenn ich urteile, dieser Organismus ist ein Mensch, denn er geht aufrecht auf zwei Beinen, so kann das richtig oder falsch sein, da eben nur die Berücksichtigung der Gesamteigenschaften bei Dingen, die viele Eigenschaften haben, einen richtigen Schluß erlaubt; so auch beim Schließen von der Wirkung auf die Ursache. -
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    Der  Reiz  wird in der modernen Physiologie in der Regel analog einer Auslösungsursache aufgefaßt, d. h. wie die auslösende Ursache einer Kausalkette. Nun hat auch jedenfalls dasjenige, was ursprünglich als Reiz bezeichnet wurde, diese Natu. Wenn z. B. ein Tier durch eine quantitativ ganz geringfügige, rasch vorübergehende Ursache gereizt wird und es folgt darauf eine quantitativ viel größere und langdauernde Leistung. Ein solcher Vorgang stimmt mit der geringfügigen Wirkung eines Streichholzes, welches die Pulvertonne zur Explosion bringt überein oder dem Stoß, der den Stein von der Höhe herabwirft. Allmählich hat man jedoch den Begriff des Reizes auf Fälle ausgedehnt, in denen jedenfalls ganz andere Vorgänge vorliegen. Man spricht von der  Schwere  als Reiz beim positiven und negativen Geotropismus der Pflanzen und ähnlichen Vorgängen bei Tieren, ebenso vom  Licht  als Reiz bei davon abhängien Wachstums- oder Bewegungsvorgängen; selbst die  Wärme,  insofern sie den Stoffwechsel, das Wachstum usw., bis zu einem gewissen Punkt steigert, wird als Reiz behandelt und ähnliche Einflüsse ebenfalls. Abgesehen davon, daß Schwere, Licht, Wärme nur die Erkenntnisgründe für die Wirksamkeit der auslösenden Ursache wären, liegt in allen diesen Fällen doch das Verhältnis wesentlich anders, als bei einer wirklichen Auslösungsursache und dem ihr entsprechenden typischen Reiz. Nicht ein rasch vorübergehende Wirkung der genannten Energien genügt zur Hervorrufung der Folge, sondern die betreffenden Einflüsse müssen dauernd vorhanden sein, damit die Änderung des Wachstums, der Bewegung usf. erfolgt un dmit ihrem Aufhören erlischt nach einer eventuellen kurzen Nachwirkung der Erfolg. Schon hieraus ergibt sich, daß es sich hier nicht um Auslösungsursachen im strengen Sinne, sondern um Bedingungen des Geschehens handelt. So lange diese Bedingungen bestehen, verläuft das Geschehen in dieser Weise; wenn sie fehlen, verläuft es in anderer Weise oder hört ganz auf. Eine Bedingung, deren dauernde Anwesenheit erforderlich ist für ein bestimmtes Geschehen, kann jedoch nicht als Auslösungsursache aufgefaßt werden, sondern ist eine Teilursache dieses Geschehens.

    Wenn ich einem Stein, der mittels einer Schnur an einer Achse befestigt ist, einen heftigen Stoß erteile, so bewegt er sich nicht geradlinig fort, wie sonst gewöhnlic, sondern im Kreis um diese Achse. Die Schnur ist hier doch kein Reiz, welcher die geradlinige Bewegung zur kreisförmigen umwandelt, sondern eine der Teilursachen (Bedingungen). Und wenn ein Stein sich geradlinig bewegt und träte in den richtig abgestuften Anziehungsbereich eines Körpers, welcher seine geradlinige Bewegung in eine kreisförmige umwandelte, so wäre der Einfluß dieses Körpers doch auch kein Reiz, sondern eine Teilursache der kreisförmigen Bewegung. Wenn an einem Springbrunnen, der senkrecht springt, jeman die Ausflußröhre schief richtet, so daß er nun schief springt, so ist die schiefgestellte Ausflußröhre eine dauernde Teilursache des veränderten Zustands.

    Bei allen diesen Vorgängen handelt es sich um dynamische Gleichgewichtszustände, die fortdauern, so lange die Bedingungen unverändert bestehen; werden diese Bedingungen geändert, so tritt ein neuer Zustand ein. Dasjenige, was diesen neuen Zustand herbeiführt,  das  also, was bei einer Pflanze einseitige Belichtung, höhere Temperatur usf. herbeiführt, ist die Auslösungsursache des neuen Zustandes, nicht aber ist dies die konstante Bedingung des Lichts, der Wärme usf. - Wer eine Pflanze schief stellt, ist die Auslösungsursache eines neuen Zustandes, der sich in einer veränderten Wachstumsrichtung des Stammes und der Wurzel gegenüber der jetzigen Richtung dieser Teile ausspricht. Erhöhung der Temperatur verändert die chemischen Gleichgewichtsverhältnisse und daher die Stoffwechselvorgänge und ist dafür Bedingung, nicht aber Reiz, denn die Temperaturerhöhung muß eine bleibende sein, damit sich der Gleichgewichtszustand erhält. - Bei der Explosion der Pulvertonne liegt die Sache ja anders. Auch hier muß die Temperatur auf einer gewissen Höhe bleiben, damit sukzessive die gesamte Pulvermasse, die man sich ja auch als eine Pulverschlange auf eine große Strecke verteilt denken kann, zur Explosion gelange. Hier ist es aber nicht die Auslösungsursache, das Streichholz, welche die notwendige Quantität Wärme liefert, um die gesamte Pulvermasse auf die nötige Temperatur zu erhöhen, sondern die zuerst explodierenden Anteile des Pulvers liefern die dazu nötige Wärme. Stellt man sich die Pulvermasse in solch schlangenförmiger Verteilung vor, so ist ja klar, daß immer der explodierende Anteil die nötige Wärme für die Explosion des folgenden liefert.

    Wenn ich von einem Organismus einen Teil wegschneide, so ruft schon die mechanische Reizung der durchschnittenen Teile eine Anzahl Vorgänge, Bewegungserscheinungen, Kontraktionen, eventuell Fluchterscheinungen hervor, die sich als typische Auslösungswirkungen ergeben. Die Wegnahme eines Teils ist aber auch eine bleibende Veränderung des Systems, etwa so, wie die Wegnahme der Bremsvorrichtung an einem gebremsten Eisenbahnzug eine bleibende Veränderung in der Bewegung des Zugs hervorruft. Es tritt damit also ein neuer Zustand ein, in dem anderes geschehen wird oder doch geschehen kann als im normalen. Hier erscheint demnach die Entfernung des Teiles als eine wirkliche Auslösungsursache für das neueintretende Geschehen. Eine Ursache ist der weggenommene Teil natürlich nicht; denn etwas, was nicht ist, kann keine Ursache sein. Ursache für das Geschehen ist der verändert Organismus, von dem eine Hemmung entfernt wurde, die ein solches Geschehen zuvor möglich machte.

    7) Einen etwas eigentümlichen Standpunkt in der Kausalitätsfrage nimmt FICK ein (vgl. A. FICK, Ursache und Wirkung, Kassel 1882). auf physikalischem Gebiet, insbesondere dem der Massenbewegung gelangt er zum Ergebnis: "daß die Veränderung der Beziehungen von  A  (d. h. einer einfachen Masse) zu den anderen Massen die Ursache, die dadurch bedingte Veränderung der Geschwindigkeit dagegen die Wirkung sei". Nun ist die "Veränderung der Ortsbeziehungen einer Masse zu den übrigen" das, was man Bewegung nennt, woraus hervorgeht, daß FICK die Bewegungseigenschaft als Ursache bezeichnet, wie ich es in nicht ganz korrekter Weise früher (1901) ebenfalls tat. Da FICK die Bewegung jedoch nur insofern als Ursache bezeichnet, als mit ihr Lageveränderungen zu anderen Massen verbunden sind, so bedeutet Ursache bei ihm in Wirklichkeit ein System von Massen, von welchem eine (A) die Eigenschaft der Bewegung besitzt; also wie bei uns ein System von Teilursachen, von denen  eine  eine besondere Eigenschaft als Grund ihrer Wirksamkeit besitzt. Nun ändert sich die Geschwindigkeit dieser Bewegung von  A  doch nur, insofern sonstige Massen vorhanden sind. Letztere haben daher die Eigenschaft, die Bewegung der Masse  A  zu ändern und diese ihre verborgene Eigenschaft (oder ihr Vermögen) ist der weitere Grund des Kausalvorgangs. Die Wirkung ist einerseits die Lageveränderung der Masse  A  zu den übrigen, andererseits die Änderung der Geschwindigkeit von  A.  - Indem FICK nun in seiner Definition nur von diesen Gründen der Ursache redet, nicht jedoch von dem durch die Massen tatsächlich gegebenen Ursachensystem, so kommt er zu der seltsamen Ansicht, daß Ursache und Wirkung  nicht  aufeinander folgten, nicht sukzessierten, sondern  gleichzeitig  seien. Dieser Trugschluss beruth aber, meiner Meinung nach, auf der Verwechslung von Grund und Ursache. Grund für die Änderung der Geschwindigkeit der Masse  A  ist eben die empirisch festgestellte Eigenschaft der Massen, daß sie bei Ortsveränderungen ihre Geschwindigkeiten gegenseitig beeinflussen. Dieser Grund muß als Eigenschaft dauernd bestehen und daher auch gleichzeitig mit der Wirkung sein. Ursache dagegen im wahrsten Sinne ist das System von Massen im Moment 1 mit der Geschwindigkeit der Masse  A = V,  Wirkung dagegen ist das gleiche System der Massen im Moment 2 mit der Geschwindigkeit der Masse  A = V'.  Und wenn ich auch annehmen muß, daß diese Geschwindigkeit  V  kontinuierlich in  V'  übergehe, so ist doch für alle tatsächlichen Feststellungen die Änderung der Geschwindigkeit von  A  nur in einem folgenden Zeitmoment erkennbar, d. h. als eine Sukzession des vorhergehenden Zustands des Systems.

    Es wurde zwar schon häufiger die Schwierigkeit betont, anzugeben, wann die Ursache aufhöre und die Wirkung beginne; oder, es müsse ein Moment existieren, in dem Ursache und Wirkung gleichzeitig seien. Es ist dieselbe, jedoch wie mir dünkt, nur theoretisch spitzfindig konstruierte Schwierigkeit, wie die Grenze zweier Körper auf räumlichem Gebiet. Auch hier kann man ja sagen, daß die beiden angrenzenden Körper oder die mit ihnen zusammenhängenden Empfindungen, in der Grenze gemeinsam sein müßten. In Wirklichkeit hat jedoch derartiges keine Bedeutung, da unsere messenden Feststellungen mit viel zu großen Fehlern behaftet sind, als daß solche Erwägungen irgendwie in Betracht kommen könnten. Wollte man sich aber mit FICK aufgrund solcher Erwägungen zur Behauptung verleiten lassen, daß zeitliche Aufeinanderfolge nicht zum Wesen von Ursache und Wirkung gehöre, so würde man gerade dasjenige streichen, was das kausale Urteil vom gewöhnlichen unterscheidet.

    Das Sprichwort:  cessante causa cessat effectus,  welches FICK als Beweis dafür zitiert, daß man diese behauptete Gleichzeitigkeit von Ursache und Wirkung schon immer gefühlt habe, dürfte eben nur das beweisen, was man auf Schritt und Tritt wahrnehmen kann, daß ein solches Zusammenwerfen und Verwechseln von Erkenntnisgrund und Ursache auch hier vorliegt.

    Wenn man die Ursache der Bewegung in einer Kraft sucht, die nichts weiter ist, als die Übertragung des Grundes meiner Beweglichkeit auf alles Beweglich, so gelangt man natürlich zum obigen Sprichwort; denn der wirksame Grund der Ursache wird dann vorgestellt als übergehend auf die Wirkung und diese bedingend, er muß daher natürlich solange und gleichzeitig mit der Wirkung sein, als diese besteht.

    Es wurde mehrfach, auch früher (1901) von mir, darauf hingewiesen, daß eine einfache Folge verschiedener Zustände nicht als Ursache und Wirkung aufgefaßt werden könne und dabei auf das Beispiel der Aufeinanderfolge von Tag und Nacht hingewiesen, das, wie ich sehe, auch FICK schon (1882) gegen KANTs Definition von Ursache und Wirkung heranzieht. Auf dem etwas veränderten Standpunkt, den ich jetzt einnehme, habe ich über dieses Beispiel etwa Folgendes zu sagen. Das Urteil: "Der Tag ist die Ursache der Nacht" und umgekehrt, ergibt sich insofern schon als zulässig, als ein Zustand, welcher Ursache einer Veränderung, einer Wirkung, sein soll, stets aus mindestens zwei Teilursachen bestehen muß. Dies gilt aber weder für Tag noch für Nacht in ihrer landläufigen Begriffsbestimmung. Tag wäre etwa helle Zeit und Nacht dunkle Zeit, also Zeit mit total verschiedenen Eigenschaften und daher gar nicht als Kausalzustand auffaßbar. Denn ein Zustand, der seine Eigenschaften total ändert, läßt sich nicht kausal auffassen, sondern erscheint als Wunder.

    Sobald wir jedoch die Sachlage richtig darstellen, d. h. den Tag richtig präzisieren als den Zustand, in welchem die Sonne am Himmel und die Nacht als denjenigen, in dem sie nicht am Himmel steht, so gelangen wir sofort zum System der Teilursachen dieser beiden Zustände, nämlich der Sonne und der rotierenden Erde. Tag ist der Zustand derjenigen Erdhälfte, welche der Sonne zugewendet ist, Nacht jener der Erdhälfte, welche von der Sonne abgewendet ist. Wenn wir daher nicht oberflächlich von Tag und Nacht reden, sondern das Teilursachensystem, das diesen Zuständen zugrunde liegt, richtig und vollständig darstellen, so läßt sich meiner Meinung nach nichts mehr dagegen einwenden, zu sagen: der Tageszustand hat den Nachtzustand zur notwendigen Folge und umgekehrt, beide verhalten sich wie Ursache und Wirkung zueinander. Wäre der eine nicht, so könnte der andere nicht folgen usf. - Das Teilursachensystem Erde und Sonne besteht hier aus zwei Teilursachen, von denen jede einen Grund des Kausalvorgangs als Eigenschaft besitzt. Der Grund der Erde ist ihre Rotation, der der Sonne ihr Leuchten. - In ähnlichen Fällen kann das Teilursachensystem auch komplizierter sein. Setzen wir den Fall eines dunklen Körpers  A,  eines leuchtenden  B  und zwischen ihnen einen rotierenden, von Löchern durchbrochenen Schirm  C,  dann haben wir ein System dreier Teilursachen, von denen zwei, der rotierende Schirm C und der leuchtende Körper  B  Gründe (übertragbare Eigenschaften) besitzen, die sie zu wirkenden Teilursachen machen, denn diese Eigenschaften sind die Gründe dafür, daß die Teilursachen eine Veränderung erfahren. Das System der drei Teilursachen würde ohne diese Gründe keine Veränderung erfahren.

    Erleidet ein Körper eine Veränderung, ohne daß eine außer ihm befindliche Teilursache nachweisbar ist, so können wir das nur unter der Voraussetzung begreifen, daß er selbst ein System von Teilursachen ist, d. h. daß seine verschiedenen Teile oder doch Regionen verschiedene Eigenschaften haben. Befindet sich ein solches einheitliches Teilursachensystem in Ruhe ohne Veränderung, so kann das entweder darauf beruhen, daß Gründe oder übertragbar Eigenschaften fehlen oder daß sie sich gegenseitig kompensieren, sich das Gleichgewicht halten. Im letzteren Fall ist eine sogenannte Auslösungsursache erforderlich, um das Gleichgewicht der wirkenden Teilursachen zu stören.

    8) Siehe OTTO BÜTSCHLI, Mechanismus und Vitalismus, Leipzig 1901, Seite 11f

    9) Wie nun aber aus der Tatsache des Kraftgefühls der Begriff eines hypothetischen Grundes desselben, der Kraft entstehen konnte, welche in Wirklichkeit doch nichts anderes ist, als dieses Kraftgefühl selbst, ergibt sich vielleicht aus folgender Betrachtung. Kraft und Kraftgefühl verhalten sich zueinander wie Schmerz und Schmerzgefühl, Lust und Lustgefühl. Ich finde in mir keinen Schmerz, sondern nur Schmerzgefühl, keine Lust, sondern nur Lustgefühl. Sage ich, dieser Augenblick bereitet mir Schmerz oder Lust, so meine ich, ich habe dabei Schmerzgefühl oder Lustgefühl. Daß ich dazu gelange, von einem Schmerz zu reden, der der Grund meines Schmerzgefühls sei, kann nur darauf beruhen, daß ich dasjenige, was mein Schmerzgefühl erregt, als Schmerz bezeichne und daher sage, dieser Mensch fügt mir einen Schmerz zu, bereitet mir einen Schmerz oder ebenso Lust, indem er mir in der Tat doch nur etwas zufügt, was nicht Schmerzgefühl ist, sondern nur dieses zur Folge hat, also mir einen Stich versetzt oder eine Nachricht mitteilt usf. Ich nenne also etwas Schmerz, was ein Schmerzgefühl zur Folge hat, ich rede jedoch auch von meinen Schmerzen und meine damit wieder tatsächlich nichts anderes, als das Schmerzgefühl, ebenso auch von meiner Lust. Demnach wird Schmerz und Lust in verschiedenem Sinn gebraucht und es kann also auch leicht zu einer ähnlichen Auffassung von Kraft und Kraftgefühl kommen, so daß, wie die Zufügung eines Schmerzes mein Schmerzgefühl bedingt, die Kraft mein Kraftgefühl bedingt.

    Klarer noch wird dieses Verhältnis von Kraft und Kraftgefühl, wenn wir dasjenige von Druck und Druckgefühl betrachten. Druck ist der Grund von Druckgefühl. Wenn mich ein Körper drückt, so fügt er mir einen Druck zu, übt einen Druck auf mich aus, der das Druckgefühl bedingt. Was ist nun aber eigentlich Druck? Nichts weiter als die Eigenschaftsbeziehung zweier Körper zueinander, eines in Bewegung befindlichen und eines widerstehenden, die sich berühren. Druck ist eine Substantiierung dieser Beziehung, eine hypothetische Begriffsbildung, die von der sicher ganz ungerechtfertigten Hypothese ausgeht, daß bei dieser Beziehung der beiden Körper zueinander vom drückenden auf den gedrückten etwas übertragen werde, was ich, substanziiert gedacht, als Druck bezeichne. Es handelt sich demnach hier um eine bildliche hypothetische Auffassung aus jener Zeit, in der jede Eigenschaftsbeziehung, jede Wirkung von Dingen aufeinander als Übertragung von etwas bildlich substanziiert Gedachtem erschien. Da nun auch mein Kraftgefühl bald vorhanden war, bald nicht und durch Zuführung von Nahrung oder sonstiger Stoffe hervorgerufen werden konnte, so erschien es, ähnlich wie das Druckgefühl vom Druck, von etwas bedingt, das meinem Körper zugefügt wurde, von einem hypothetischen Grund, der Kraft.

    10) Wenn etwas in einem gewissen Zeitpunkt wahrgenommen wird, was vorher in keiner Weise Wahrnehmbar war, so nennt man ein solches Erlebnis "Entstehen" (eventuell auch entwickeln). "Auftreten" ist weniger scharf, da darin eigentlich liegt, daß das betreffende Etwas schon zuvor vorhanden gewesen sei und nur hervor oder in Erscheinung treten. Das  Vermögen  oder die  potentielle Energie  ist daher eigentlich nur ein erfahrungsgemäßer Kausalzusammenhang zwischen zwei Folgezuständen; und wenn ich dieses Vermögen oder die potentielle Energie als Grund des Vorgangs angebe, so sage ich eigentlich nichts mehr, als daß ich solche Zusammenhänge als regel- oder gesetzmäßig erlebt oder erkannt habe. Hieran jedoch die weitere Folgerung zu knüpfen, daß ein besonderes  Etwas  in dem Ding oder der Teilursache stecke, das sich von diesem Ding (Raum) befreien und in eine übertragbare Eigenschaft verwandeln könne, ist eine Hypothese. Schon der Begriff  Verwandlung  oder  Umwandlung  ist nicht ohne Bedenken. Von Verwandeln spricht man eigenlich nur noch bei Voraussetzung einer Zauberei, also akausaler, dem Naturgeschehen widersprechender Ereignisse, die man verwirft. Umwandeln dagegen gebraucht man, wenn gewisse Eigenschaften eines Dings sich ändern, also ein fester Körper schmilzt, eine Flüssigkeit verdampft, aus Quecksilber und Schwefel Zinnober wird usf.

    Verwandeln und Umwandeln, insofern dabei wirklich neue Qualitäten entstehen, ist für uns etwas ganz Unbegreifliches. Begreiflich ist nur die Summierung oder die Verminderung von Eigenschaften. Begreiflich ist uns die Umwandlung von weißem Licht in rotes, unter der Voraussetzung, daß das erstere rotes Licht enthält und die Umwandlung nur auf der Entfernung des nicht roten beruth. Begreiflich ist uns auch die Umwandlung des roten Lichts in blaues, unter der Voraussetzung, daß es sich dabei um eine Verkleinerung der Wellenlänge handelt. Begreiflich ist uns die Umwandlung einer Flüssigkeit in Dampf, wenn sich die Flüssigkeit dabei in äußerst kleine Teilchen zerlegt, die sehr rasche Bewegungen ausführen.

    Jedenfalls setzt Umwandlung immer voraus, daß sich ein gewisser Stamm von Eigenschaften erhält. Können wir nun dergleichen auch von der Energie-Umwandlung sagen? Die Schwere-Energie kennen wir nur aus ihren Folgen und ganz dasselbe gilt von allen potentiellen Energie; von Umwandlung und Verwandlung zu reden, entbehrt also in diesem Fall eines strengen Sinnes. Ganz dasselbe gilt von der Beziehung zwischen mechanischer und Wärme-Energie; soviel der ersteren finde ich nicht mehr, soviel der letzteren finde ich und umgekehrt; jede jedoch gemessen in ihrem eigenen Maß. Von Umwandlung im strengen sinne kann doch auch hier keine Rede sein, höchstens von Ersatz der einen durch die andere. Von Umwandlung zu reden, ist also auch hier nur eine Hypothese, um mir den Vorgang bildlich zu deuten und begreiflicher zu machen.

    Ein wirkliches Begreifen kann nur stattfinden, wenn ich das Verschiedene von etwas Gemeinsamen ableiten kann, so die potentielle Energie von verborgener freier, die unter gewissen Bedingungen (Eigenschaften) des Dings nicht wahrnehmbar ist.