"Die Gerichte, namentlich die französischen, hatten bereits über eine große Anzahl von Verbrechen gegen die Sittichkeit zu verhandeln, welche von Hypnotiseurs an ihren Versuchspersonen begangen worden waren. Und die Verbrechen, zu denen hypnotisierte Personen als willenlose Werkzeuge von ihren Hypnotiseuren mißbraucht wurden, sind nach Ausweis vieler Protokolle und Gerichtsakte unter anderen folgende: Diebstahl, Betrug, Erpressung, falsche Ausstellung eines Schuld- oder Bürgschaftsscheins, falsches Testament, falsche Anzeige bei der Polizei, falsches Zeugnis vor Gericht, Bewirkung einer Abtreibung, Giftmord und Mord durch Pistolenschuß."
"Die heutige Rechtsordnung duldet keine Sklaverei; sie duldet sie mit Recht auch dann nicht, wenn jemand bereit ist, sich freiwillig zum Sklaven seines Nebenmenschen zu machen. Die Abhängigkeit, in welcher der Hypnotisierte vom Hypnotiseur steht, ist zwar nur eine Sklaverei auf Zeit; während ihres Bestehens ist sie aber eine Sklaverei unter erschwerenden Umständen, weil sie den Sklaven nicht nur des Verfügungsrechtes, sondern der Verfügungsmöglichkeit über seinen Willen beraubt. Unter allen Verhältnissen, in die der Mensch zum Menschen treten kann, ist das unsittlichste dieses, daß der eine zur Maschine des anderen wird. Und das nicht bloß dann, wenn der zur Maschine gemachte Mensch zu unsittlichen Zwecken mißbraucht wird; sondern das Verhältnis als solches, ganz unabhängig von der Art seiner Anwendung, ist ein unsittliches."
IV. Verwerflichkeit des Hypnotismus
73. Schließlich erhebt sich noch die Frage, ob die Anwendung und Verwertung des Hypnotismus, sei es zu ernsten Zwecken, sei es zur Kurzweil und Belustigung, wie sie ja tatsächlich stattfindet, auch erlaubt sei. Die Beantwortung der Frage richtet sich wesentlich nach den Folgen, von denen der Hypnotismus regelmäßig oder doch fast immer begleitet ist. Auch für diesen Fall gilt das Wort der Schrift: "An den Früchten erkennt man den Baum. Jeder gute Baum bringt gute, jeder schlechte Baum aber bringt schlechte Früchte." Nun behauptet man, das Hypnotisieren und Suggerieren habe sich, wiewohl es selbstverständlich kein Universalmittel sei und auch nicht zu sein brauche, gegen die verschiedensten Krankheiten als vortreffliches Heilmittel bewährt, ja Professor BERNHEIM meint sogar, daß die suggestive Therapie in vielen Fällen, wo andere Heilmethoden mißlingen, Wunder wirkt. Danach sollte man also den Hypnotismus für etwas sehr Nützliches und Vorteilhaftes halten. Wenn man indes die Krankheiten, welche mittels des Hypnotisierens und Suggerierens angeblich geheilt wurden, näher anschaut, so findet man, daß sie mit wenigen Ausnahmen nur in funktionellen Störungen des motorischen und sensiblen Nervensystems bestehen und zudem die Heilungen derselben in Wirklichkeit kaum jemals vollkommmen und niemals andauernd waren, was ehrliche Hypnotisten übrigens auch offen eingestehen. Dafür waren aber die Nachteile und Schäden, welche die Hypnose und Suggestion im Gefolge hatten, erwiesenermaßen äußerst zahlreich und mannigfaltig, nicht selten auch ganz bedeutend und zwar nicht bloß Nachteile und Schäden für den Leib, sondern auch solche für die Seele der Hypnotisierten, was selbst die wissenschaftlichen Vertreter des Hypnotismus bald direkt in ausdrücklichen Worten zugeben, bald indirekt dadurch, daß sie zu vorsichtiger Anwendung des Hypnotisierens und Suggerierens mahnen und verschiedene Vorsichtsmaßregeln angeben. Im übrigen kann eingeräumt werden, daß die Nachteile und Schäden beim Nancyer Verfahren, zu hypnotisieren, wenn es sachgemäß angewendet wird, nicht gerade so groß sind, als diejenigen, welche bei der BRAIDschen Methode an den Versuchspersonen hervortreten. Um nun die hauptsächlichsten Nachteile und Schäden anzuführen, welche das Hypnotisieren und Suggerieren, zumal wenn es öfter wiederholt wird, nach sich zieht, so hat man bis jetzt folgende konstatiert: Müdigkeitsgefühl, Schlafsucht, Kopfschmerz, Schwindel, Zittern, Krämpfe, Epilepsie, Hypnomanie, Hysterie, Appetitlosigkeit, Verdauungslosigkeit, Lähmung, Erblindung, Tobsucht, Raserei, Blödsinn, Verrücktheit. Natürlich kommt es nicht bei jedem, der sich hypnotisieren läßt, bis zum Schlimmsten, aber kein Hypnotiseur, auch derjenige nicht, welcher sehr vorsichtig verfährt, kann von vornherein dafür bürgen, weil es sehr schwer ist, beim Hypnotisieren die Grenzen zu ziehen, innerhalb deren jede Gefahr ausgeschlossen ist. Darum sagt auch ein Hauptvertreter des Hypnotismus, Abbé MERIC in Paris:
"Obgleich der Hypnotismus eines der kostbarsten Heilmittel der Hysterie ist, ist er nichtsdestoweniger einer der kräftigsten Erreger derselben, so daß es besser ist, vorübergehende Neuralgien zu ertragen, als konvulsive [krampfhafte - wp] Phänomene zu riskieren."
74. Aber nicht bloß, daß jemand, wenn er sich hypnotisieren läßt, dadurch ohne weiteres schon in Gefahr gerät, diesen oder jenen von den aufgezählten Schäden und Nachteilen zu gewärtigen, er setzt sich, nachdem er in den Zustand der Hypnose gebracht wurde, einer noch viel größeren Gefahr aus, der Gefahr nämlich, daß er, sei es als Opfer, sei es als Werkzeug, zu einem Verbrechen mißbraucht werden kann. Und diese Gefahr liegt in dem sogenannten Rapport zwischen Hypnotiseur und Hypnotisierten, d. h. in der vollständigen Abhängigkeit des Willens seitens der letzteren von ersterem begründet, infolge deren der Hypnotisierte sich schließlich immer, wenn auch manchmal nur mit einigem Widerstreben, zu allem versteht, was der Hypnotiseur ihm suggeriert. Daß aber wirklich eine große, ja eine sehr große Gefaahr für eine hypnotisierte Person in dem Rapport zu ihrem Hypnotiseur besteht, beweist die Tatsache, daß gewissenlose Hypnotiseure den besagten Rapport schon so manchmal auf die gröblichste Weise mißbraucht haben. Die Gerichte, namentlich die französischen, hatten bereits über eine große Anzahl von Verbrechen gegen die Sittichkeit zu verhandeln, welche von Hypnotiseurs an ihren Versuchspersonen begangen worden waren. Und die Verbrechen, zu denen hypnotisierte Personen als willenlose Werkzeuge von ihren Hypnotiseuren mißbraucht wurden, sind nach Ausweis vieler Protokolle und Gerichtsakte unter anderen folgende: Diebstahl, Betrug, Erpressung, falsche Ausstellung eines Schuld- oder Bürgschaftsscheins, falsches Testament, falsche Anzeige bei der Polizei, falsches Zeugnis vor Gericht, Bewirkung einer Abtreibung, Giftmord und Mord durch Pistolenschuß. Indessen, wenn der Hypnotiseur die Gewalt, welche er kraft seines Rapports über den Willen der hypnotisierten Person besitzt, auch nicht mißbrauchen wollte, so bringt der Rapport an sich schon dem Hypnotisierten einen immensen Schaden, weil er ihm die Möglichkeit raubt, für die Dauer der Hypnose bei all seinen Handlungen, auch selbst bei seinen Willenstätigkeiten, die angeborene Freiheit des Willens zum Ausdruck und zur Geltung zu bringen, ihn dafür aber eine zeitlang zum bloßen Instrument des Willens oder der Laune eines anderen macht und das ist doch etwas Unmoralisches, eine Entmündigung seiner Persönlichkeit, eine Degradierung seiner Menschenwürde. Professor WUNDT hat vollkommen recht, wenn er schreibt:
"Niemand ist, wie ich mein, - abgesehen von den ausdrücklich durch das Gesetz geschützten Fällen, in denen die Lebenszwecke des Einzelnen oder der Gesamtheit dies fordern - in dem Maße Herr seiner Person, daß er befugt ist, einen anderen, wenn auch nur auf kurze Zeit, zum unbedingten Herrn über sich selber zu machen, so zwar, daß es ihm nicht mehr frei steht, in jedem Augenblick die eingegangene Unterwerfung seines Willens wieder aufzuheben. Die heutige Rechtsordnung duldet keine Sklaverei; sie duldet sie mit Recht auch dann nicht, wenn jemand bereit ist, sich freiwillig zum Sklaven seines Nebenmenschen zu machen. Die Abhängigkeit, in welcher der Hypnotisierte vom Hypnotiseur steht, ist zwar nur eine Sklaverei auf Zeit; während ihres Bestehens ist sie aber eine Sklaverei unter erschwerenden Umständen, weil sie den Sklaven nicht nur des Verfügungsrechtes, sondern der Verfügungsmöglichkeit über seinen Willen beraubt. Unter allen Verhältnissen, in die der Mensch zum Menschen treten kann, ist das unsittlichste dieses, daß der eine zur Maschine des anderen wird. Und das nicht bloß dann, wenn der zur Maschine gemachte Mensch zu unsittlichen Zwecken mißbraucht wird; sondern das Verhältnis als solches, ganz unabhängig von der Art seiner Anwendung, ist ein unsittliches. Es macht auch keinen Unterschied, ob ein solches Verhältnis ursprünglich auf freier Vereinbarung oder auf Zwang beruth."
75. Angesichts so vieler und großer Schäden, welche der Hypnotismus für die Menschen, welche sich zu Versuchspersonen hergeben, nach sich zieht oder in sich birgt, kann man keinen Augenblick anstehen, ihn vom Standpunkt der reinen Vernunft aus als etwas Unerlaubtes und Verwerfliches zu bezeichnen. Und das bleibt er auch selbst dann noch, wenn die einzelnen Heilungen wirklich vorgekommen wären, die man durch Anwendung der Hypnose und Suggestion erreicht zu haben vorgibt, weil diese günstigen Erfolge auch nicht im entferntesten jene Nachteile und Schäden aufwiegen würden. Man begreift es daher sehr leicht, daß z. B. die medizinische Fakultät von Wien, der Sanitätsrat von Mailand, der oberste Sanitätsrat von Rom, die medizinische Akademie zu Brüssel (1888) und der internationale Kongress für experimentellen und theraupeutischen Hypnotismus zu Paris (1889) den betreffenden Regierungen im Namen der öffentlichen Gesundheitspflege empfohlen haben, die öffentlichen hypnotischen Vorstellungen in ihren Ländern gänzlich zu verbieten, was darauf hin denn auch geschah. Man würde es aber ebenso begreiflich finden, wenn jene Regierungen und mit ihnen auch alle übrigen noch einen Schritt weiter gingen, indem sie zum Schutz des Gemeinwohls auf dem Weg des Gesetzes oder der Verordnung auch die sogenannte wissenschaftliche Anwendung des Hypnotismus peremptorisch [unwiderruflich - wp] verböten, den einzigen Fall ausgenommen, daß ein sachkundiger und gewissenhafter Arzt imstande ist, mittels Hypnose und Suggestion eine Krankheit, welche dem Kranken größere Leiden und Schäden verursacht, als sie aus dem angewandten Heilmittel ihm bevorstehen, vollkommen und dauernd zu beseitigen, aber so ein Fall wird nicht so leicht vorkommen.
LITERATUR - Ludwig Schütz, Der Hypnotismus, Philosophisches Jahrbuch, Bd. 9, Fulda 1866