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LUDWIG SCHÜTZ
Der Hypnotismus
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    I. Allgemeines über den Hypnotismus
II. Die Erscheinungen des Hypnotismus
III. Natürlichkeit des Hypnotismus
IV. Verwerflichkeit des Hypnotismus

"Wenn nämlich jemanden ein stärkeres Motiv zum Handeln, etwa der Gedanke an die Erlangung eines großen Gewinnes oder an die Vermeidung einer empfindlichen Beschämung, eingegeben wird, so gibt der Wille in seinem natürlichen Streben nach dem Guten, bzw. in seinem natürlichen Absehen vor einem Übel gewöhnlich sofort nach, indem er sich entsprechend der Stärke des einwirkenden Motivs und für die Dauer seiner Stärke mit Energie zum vorgehaltenen Guten hin-, bzw. vom vorgehalten Übel abwendet und darin besteht ja eben die vorübergehende Steigerung der freien Willenstätigkeit."

III. Natürlichkeit des Hypnotismus

2. seiner Ursache nach

61. Was nun zunächst die  Hypnose,  wenn sie nur als Zustand eines künstlich erregten Schlafes betrachtet wird, angeht, so wird sie in ihren einzelnen Stadien, wie oben schon gezeigt, sowohl durch somatische oder körperliche, als auch durch psychische oder seelische Mittel zustande gebracht. Um sie alle noch einmal in kurzen Worten zusammen zu stellen, so gehören zu den  somatischen  Mitteln hauptsächlich: sanftes Streichen mit der Hand über den Körper, namentlich über den Kopf der Versuchsperonen hin, Hochhalten eines glänzenden Gegenstandes vor den Augen derselben, scharfes Ansehen derselben, leiser Druck auf die hypnogenen Punkte ihres Körpers, plötzlicher und starker Eindruck auf ihren Gesichts- und Gehörssinn; und die  psychischen  Mittel bestehen alle in einer besonderen Form von Suggestion oder Eingebung des Einschlafens. Anscheinend stehen die somatischen Mittel des Hypnotisierens auf gleicher Linie mit den psychischen, so daß jene, wie diese, als  causa efficientes  [wirkende Ursache - wp], d. h. als die eigentlichen bewirkenden Ursachen der Hypnose zu betrachten wären. Läßt sich ja bei geschickter Anwendung jener somatischen Mittel auch der gewöhnliche, normale Schlaf erzeugen. So kann man z. B. ein Kind dadurch, daß man ihm mit der Hand sanft über den Kopf streicht, in gewöhnlichen Schlaf versetzen; wer einen sogenannten stechenden Blick hat, erreicht bei einem Kind dadurch den selben Effekt, indem er dasselbe mit seinen Augen scharf fixiert; und wenn man jemanden auf die hypnogenen Punkte seines Körpers leise drückt, gerät er zuweilen ebenfalls in den gewöhnlichen Schlaf. Allein bei näherer Untersuchung findet man, wie das auch schon früher hervorgehoben wurde, daß die genannten somatischen Mittel im letzten Grund doch nur psychisch wirken, insofern auch sie die Vorstellung des Einschlafens hervorrufen und dadurch die Suggestion unterstützen. Und es scheint sogar, als ob jene somatischen Mittel nicht einmal den ganz gewöhnlichen Schlaf direkt oder unmittelbar, sondern nur mittels der von selbst entstehenden Vorstellung des Einschlafens zustande brächten; wenigstens nehmen Professor FOREL, Dr. LIÉBEAULT und andere Forscher an, daß der gewöhnliche Schlaf die unmittelbare Folge eines psychischen Vorganges sei, nämlich der Autosuggestion, daß der Schlaf eintreten werde. Sonach wäre denn das hauptsächliche und eigentliche Mittel, die Hypnose zu bewirken, die Suggestion; und Professor WUNDT hätte recht, wenn er, das Gesagte verallgemeinernd, schreibt: "
    Zunächst betrachte ich es als festgestellt, daß die sogenannte Suggestion, die Eingebung von Vorstellungen durch Worte oder durch Handlungen, die Hauptursache, wenn nicht die einzige Ursache für den Eintritt hypnotischer Zustände ist. Andere Einwirkungen, wie die Fixierung der Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Gegenstand, namentlich das unverrückte Anstarren eines solchen, scheinen nur teils begünstigend, durch die Herbeiführung eines für den Eingriff von Suggestionen geeigneten gleichmäßigen Bewußtseinszustandes, teils aber auch suggerierend zu wirken, indem sie die Vorstellung eines eintretenden hypnotischen Schlafes erzeugen."
Weist nun aber die Beobachtung und Erfahrung darauf hin, daß von den äußerlich angewendeten Mitteln, jemand in Hypnose zu versetzen, die geschickt angebrachte Suggestion des Einschlafens die hauptsächliche und eigentliche Ursache ist, so hat man auch nur mit Bezug auf die Suggestion jetzt näher zu untersuchen, ob sie für das Entstehen der Hypnose die eigentliche und ausreichende Ursache bilde oder wenigstens ganz gut bilden könne, niemand also ihre Unzulänglichkeit gegenüber der besagten Wirkung im Ernst behaupten darf. Diese Untersuchung trifft übrigens im wesentlichen mit der in zweiter Linie anzustellenden Untersuchung zusammen, mit derjenigen nämlich, ob die Suggestion auch die eigentliche und hinreichende Ursache für diejenigen Erscheinungen bildet, welche an den Hypnotisierten mittels der Suggestion hervorgerufen werden. Es empfiehlt sich daher, beide Untersuchungen miteinander zu verschmelzen, wie es im Nachfolgenden dann auch geschehen soll.

62. Die Doppelunternehmung betreffs der Suggestion und der Tragweite ihrer Wirksamkeit nimmt am passendsten ihren Ausgang von einer Darlegung der Tatigkeitsweise der Phantasie, sowie ihres Verhaltens zu den übrigen Vermögen des Menschen in seinem gewöhnlichen und normalen Leben, weil nämlich die Suggestion offenbar auf eine Beeinflussung und Gefangennahme der Phantasie hinzielt und eine solche auch tatsächlich erreicht. Nach Lehre der Psychologie betätigt sich nund die Phantasie auf willkürliche und auf unwillkürliche Weise. Für jetzt jedoch kommen hauptsächlich bloß die unwillkürlichen Tätigkeiten der Phantasie in Betracht, weil diese ja während der Hypnose sozusagen an den Willen des Hypnotiseurs gebunden ist und deshalb keine willkürlichen, d. h. vom Willen des Hypnotisierten hervorgerufenen und geleiteten Tätigkeiten entfaltet. Auf unwillkürliche Weise betätigt sich aber die Phantasie dann, wenn sie durch die Wahrnehmung eines Sinnes zur Erzeugung einer Vorstellung oder eines Bildes von einem äußeren sinnfälligen Gegenstand angeregt wird. So gilt es für den Wach-, genauso wie für den Schlafzustand des Menschen. Freilich sind die Bilder der Phantasie während des Schlafes, die sogenannten Traumbilder, gewöhnlich viel lebendiger und deutlicher, als die Phantasiebilder im Wachzustand, weil nämlich die äußeren Sinne mit ihren Tätigkeiten während des Schlafes fast gänzlich ruhen und infolgedessen das stille Wirken und Weben der Phantasie im Schlaf sehr wenig stören. Aus demselben Grund werden die Bilder der Phantasie von ihr während des Schlafes auch viel leichter und länger festgehalten, als im Wachzustand, zumal wenn sie aus irgendeinem Grund ein lebhaftes Interesse erwecken. Und wenn dann ein Phantasiebild einmal ein besonderes Interesse erregt, so kann es kommen, nicht bloß im Schlaf, sondern auch im Wachzustand, daß dadurch die Aufmerksamkeit der Seele von den Wahrnehmungen der Sinne in dem Grad abgezogen wird, als ob dieselben gar nicht stattfänden, ähnlich wie ja auch zuweilen ein ganz intensiver Sinneseindruck den eines anderen Sinnes vollständig paralysiert, weil er die Aufmerksamkeit der Seele ganz für sich in Anspruch nimmt. Indem aber die Phantasie auf Anregung irgendeines Sinneseindrucks zur Tätigkeit übergeht, erzeugt sie kein beliebiges Bild, nicht das Bild eines beliebigen äußeren Gegenstandes, sondern nur ein solches, welches dem Gegenstand der jedesmaligen Sinneswahrnehmung mehr oder weniger ähnlich ist und reiht ihrem ersten Bild, wenn sie noch andere erzeugt, auch nicht beliebig andere ein, sondern nur solche, welche mit ihm in einem natürlichen Zusammenhang stehen, mit anderen Worten: sie befolgt in ihrem Tun und Treiben die Gesetze der sogenannten Ideenassoziation. Mit diesen ihren verschiedenen Bildern übt nun die Phantasie auf die übrigen Vermögen des Menschen, mag er wachen, mag er schlafen, einen mächtigen Einfluß aus, einen weit größeren, als man auf den ersten Blick vermuten sollte. Wie wäre es, um hier nur ein ganz gewöhnliches Beispiel dieses Einflusses anzuführen, sonst möglich, daß jemand nicht bloß durch die Wahrnehmung des Gähnens bei anderen, sondern auch durch die bloße Vorstellung des Gähnens selbst zum Gähnen veranlaßt werden kann! Freilich, wie alles das miteinander zusammenhängt, ist für uns ein Geheimnis, ein Naturgeheimnis und wird es wohl auch immer bleiben. Nur an einer Stelle läßt sich der Schleier des Geheimnisses ein wenig lüften. Im sinnlichen Begehrungsvermögen des Menschen liegt nämlich, wie in jedem anderen seiner Vermögen, von Natur aus ein Drang oder Trieb, sich dem Vermögen entsprechend zu betätigen und zwar im Begehrungsvermögen der Trieb, nach demjenigen zu begehren und zu streben, was die Sinne oder die Phantasie ihm jedesmal als Objekt und Ziel vorhalten. Dieser sinnliche Trieb kommt auch immer zu seinem Recht, wenn er von der Vernunft nicht überwacht und vom Willen nicht beherrscht wird. Das kann man am deutlichsten bei Kindern beobachten, welche noch nicht zum Gebrauch der Vernunft gelangt sind und ebenso bei Erwachsenen, welche den Vernunftgebrauch, egal durch welche Ursache, zeitweise oder für immer vollständig verloren haben. Sie alle folgen mit ihrem sinnlichen Begehren, wenn sie sich selbst überlassen sind, ohne weiteres den Wahrnehmungen ihrer Sinne, sowie den Vorstellungen ihrer Phantasie. Nun ruht aber Vernunft und freier Wille mit ihrem Einfluß auf das sinnliche Begehrungsvermögen durchgängig bei allen Menschen im Wachzustand zuweilen und während des Schlafes fast immer. In diesen Zeiten der Ruhe kann sich daher der natürliche Trieb des sinnlichen Begehrungsvermögens in seiner ganzen Stärke geltend machen, so zwar, daß er auch den Willen mit seiner spontanen Tätigkeit ins Schlepptau nimmt. Und so kommt es dann z. B., daß manche Menschen in unbewachten Augenblicken des Wachzustandes gestikulieren und mit sich selbst reden und daß andere während des Schlafes dasselbe tun oder gar noch umherwandeln, auf- und absteigen und arbeiten. Derartige Tätigkeiten sind also, wie man sieht,  Triebhandlungen,  keine Handlungen des freien Willens, wie auch schon früher gesagt wurde.

63. Ganz ähnlich oder vielmehr ganz gleich haben wir uns nun auch das Wirken und Walten der Phantasie bei einem Menschen zu denken, welcher unter dem Einfluß der Suggestion steht, weil ja die Natur der Phantasie samt den sie beherrschenden Gesetzen durch die Suggestion nicht geändert werden kann. Soll also jemand  durch die Suggestion in künstlichen Schlaf  versetzt werden, so hat man zuerst seine äußere Umgebung so zu gestalten, daß sie dem Einschlafen günstig wird, all die früher angegebenen Umstände zu schaffen, die auch dem Eintritt eines gewöhnlichen Schlafes förderlich sind. Die natürliche Folge davon ist, daß die Versuchsperons mit ihrer Aufmerksamkeit von demjenigen, was sie zerstreuen könnte, so viel als möglich abgelenkt und ferngehalten wird. Sodann versucht man die Aufmerksamkeit der Versuchsperson auf den Schlaf hinzulenken, indem man etwa eine kürzere oder längere Zeit lang vom Schlaf, von der Leichtigkeit, ihn herbeizuführen und von seinen wohltuenden Wirkungen spricht, wodurch die Person zum Einschlafen noch mehr disponiert wird. Endlich gibt man ihr die Vorstellungen der verschiedenen Vorgänge, in denen sich das spontane Einschlafen vollzieht, einzeln nacheinander durch Worte ein, d. h. man suggeriert sie ihr, aber genau in derselben Ordnung, in welcher die Vorgänge beim spontanen Einschlafen aufeinander folgen, indem man etwa so zu ihr spricht: "Geben Sie nach; Ihre Lider sind schwer, Ihre Glieder erschlaffen, der Schlaf kommt, schlafen Sie." Bei einigen Versuchspersonen freilich, zumal bei solchen, die schon ein und das andere Mal hypnotisiert worden sind, genügt schon eine kurze Suggestion "Schlafen Sie!" für sich allein, weil nämlich die suggerierte Vorstellung des Einschlafens sozusagen dadurch im selben Moment die Vorstellungen der Vorgänge, welche dem eigentlichen Einschlafen vorausgehen, nach dem Gesetz der Ideenassoziation von selbst weckt: und dazu braucht die Phantasie sehr wenig Zeit, viel weniger, als man nötig hat, um jene Vorgänge aufzuschreiben, ja aufzuzählen, wie man das aus der Zeit, die ein anscheinend langer Traum tatsächlich in Anspruch nimmt, erschließen kann. Die eingegebenen, wie die von selbst erwachenden Vorstellungen, welche die Phantasie fesseln, tragen alle das Gepräge einer besonderen Frische und Lebendigkeit, weil die von ihren Objekten abgezogenen äußeren Sinne zu eigentlichen Wahrnehmungen nicht mehr fähig sind und solche darum die Vorstellungen der Phantasie nicht leicht stören und trüben können. Infolgedessen werden die vorgestellten Vorgänge für Wahrheit und Wirklichkeit gehalten. Damit aber nicht dennoch etwa ein Zweifel an der Wirklichkeit des Vorgestellten aufkommt, muß die Eingebung des Einschlafens mit großer Bestimmtheit gemacht werden; denn sobald ein solcher Zweifel entsteht, beginnt von seiten der noch nicht ruhenden Vernunft die Kontrolle des Vorgestellten, d. h. der Vergleich desselben mit wahrgenommenen Dingen und damit ist dann die Wirksamkeit der eingegebenen Vorstellung vereitelt. Wenn nun die Vernunft und der Wille ihre Oberherrschaft in  regno animae  überhaupt nicht geltend machen, oder es zu spät und deshalb nicht mehr mit ausreichender Energie tun, so streben die der Phantasie untergeordneten Vermögen des Begehrens mit der ihnen eigenen Spontaneität und Triebkraft nach demjenigen, was die Phantasie ihnen als Objekt und Ziel vorhält und führen von selbst die dazu nötigen Bewegungen und Tätigkeiten aus. So werden dann der Versuchsperson in der Tat die Augenlider schwer, ihre Glieder erschlaffen wirklich, sie merkt tatsächlich, daß ihr der Schlaf kommt, sie schließt endlich die Augen und schläft ein. Sicherlich finden beim künstlichen Einschlafen, ähnlich wie beim ganz gewöhnlichen und spontanen, auch physiologische Veränderungen des Großhirns statt, namentlich seiner Rindensubstanz, in welcher die Sinnesvermögen ihren Sitz haben und von wo aus auch die Tätigkeit der Vernunft und des Willens beeinflußt zu werden scheinen; allein bis jetzt kennt man jene physiologischen Veränderungen nicht und es ist sehr die Frage, ob man sie jemals kennen lernen wird. Im übrigen ist es für jetzt auch ganz gleichgültig, Näheres darüber zu erfahren, weil ja auch für sie die bewirkende Ursache jedenfalls zunächst in der Suggestion und in der durch dieselbe einer Versuchsperson beigebrachten Vorstellungen der Phantasie gelegen ist oder doch zumindest das kontradiktorische Gegenteil davon nicht bewiesen werden kann.

64. Da nun bei demjenigen, welcher in den Zustand der Hypnose versetzt ist, die äußeren Sinne mit ihrer Tätigkeit mehr oder weniger ruhen und auch Vernunft und Wille ihren kontrollierenden und hemmenden Einfluß bei ihm gewöhnlich nicht mehr geltend machen, so ist es natürlich, daß die Phantasie des Hypnotisierten einerseits vom Hypnotiseur, auf welchen die Aufmerksamkeit des ersteren stets gerichtet ist, durch Eingebung neuer Vorstellungen viel leichter und lebhafter erregt werden und daß sie andererseits mit diesen Vorstellungen eine weit stärkere und ausgedehntere Wirkung auf die übrigen Vermögen des Hypnotisierten ausüben kann, als beides vorher im Stadium des Hypnotisiertwerdens der Fall war. Und hieraus erklären sich zur Genüge, so scheint es wenigstens, alle früherhin aufgezählten  hypnotischen Erscheinungen,  welche man als verbürgt betrachten darf.

65. Zunächst scheint es offenbar zu sein, daß die hypnotischen Erscheinungen, welche  auf vegetativem Gebiet  tatsächlich nachweisbar sind, nämlich Zunahme und Abnahme der Körpertemperatur, des Appetits, der Verdauung, des Stoffwechsels und der Stoffausscheidung, Ekel und Wohlbefinden, die sekretorischen und exsudatorischen Vorgänge, wie Schweiß-, Speichel- und Tränenabsonderung usw., ihre hinreichende Ursache in der Suggestion entsprechender Phantasievorstellungen haben. Und so muß man es aus dem Grund annehmen, weil sachlich ganz genau dieselben Erscheinungen, wenn sie im Wachzustand und ohne alle Suggestion seitens eines anderen stattfinden, ihre hauptsächliche bewirkende Ursache anerkanntermaßen in den Vorstellungen einer aufgeregten Phantasie haben. Man denke z. B. daran, daß es jemanden aus Schrecken vor etwas oder aus Freude darüber, was er nur in der Phantasie, nicht aber in Wirklichkeit vor sich hat, ganz kalt überläuft oder ihm warm ums Herz wird, wie man zu sagen pflegt; daß einem anderen aus Angst vor einer eingebildeten Gefahr plötzlich das Haupthaar erbleicht; daß bei einem dritten infolge widerwärtiger Erzählungen und Schilderungen das Gefühl des Ekels entsteht; daß das sogenannte Versehen schwangerer Frauen, d. h. ein Entsetzen derselben wegen eines widerwärtigen Anblicks schlimme, oft die allerschlimmsten Folgen für ihre Leibesfrucht hat; daß ferner jemand aus Angst vor einer Gefahr schwitzt, die hm nur seine Phantasie vor- und ausmalt; daß einem andern schon dann, wie man zu sagen pflegt, der Mund wässrig wird, wenn er sich seine Lieblingsspeise mit ihrem lieblichem Wohlgeschmack lebhaft vorstellt; und daß einem dritten Tränen in den Augen stehen, wenn er etwas Rührendes hört oder liest. Freilich haben wir keinen Einblick, auch nicht einmal von ferne, in die Art und Weise,  wie  die Phantasie mit ihren Vorstellungen, sie es im Wachzustand, sei es in der Hypnose, auf den Organismus des Menschen und auf die in ihm und an ihm sich betätigenden vegetativen Vermögen einwirkt; aber das verschlägt auch für jetzt nichts, weil davon die Erkenntnis der Tatsache,  daß  die Phantasievorstellungen einen solchen Einfluß haben, nicht berührt wird, wie denn auch sonst die Nichterkenntnis des "Wie" einer Erscheinung auf die Erkenntnis ihres "Daß" ja niemals einen sie erschütternden Rückschlag ausübt.

66. Was sodann die übrigen hypnotischen Erscheinungen betrifft, so läßt sich nicht bloß nachweisen,  daß  dieselben von den Phantasievorstellungen abhängig sind, sie gestatten zudem auch noch, die einen mehr, die anderen weniger, einen Einblick in das "Wie" ihrer Abhängigkeit. So gilt es schon, um mit ihnen zu beginnen, von den oben angeführten hypnotischen Erscheinungen  auf dem Gebiet der Bewegung, der willkürlichen,  wie auch der  unwillkürlichen Bewegung.  Daß beide Arten von Bewegung bei Hypnotisierten durch Suggestion beeinflußt werden können, beweist die Tatsache, daß solche Bewegungen auch im Wachzustand der Menschen einer Einwirkung von seiten der Phantasie und ihrer Vorstellungen unterworfen sind und zwar nach den nämlichen Richtungen hin, wie in der Hypnose. So ist es ja, um auf einige unwillkürliche Bewegungen hinzuweisen, allgemein bekannt, daß im Wachzustand eines Menschen sein Herz- und Pulsschlag, sowie seine automatischen Atmungsbewegungen durch Phantasievorstellungen sehr erfreulicher oder sehr schrecklicher Dinge beschleunigt, bzw. verlangsamt werden können und daß Schrecken oder Angst vor etwas, was die Phantasie ihm vorstellt, auf seine Darmbewegungen bald treibend, bald störend einwirken. Nicht minder ist es bekannt, was die willkürlichen Bewegungen eines Menschen im Wachzustand betrifft und zwar sowohl die in Form einer Hemmung, als die in Form einer Erregung, daß einerseits z. B. jemand aus Angst oder Schrecken vor einem Phantasiegebilde stottert und manchmal gar kein Wort hervorbringen kann, ein anderer aus demselben Grund an allen Gliedern gelähmt wird oder gar in den Zustand vollständiger Katalepsie gerät, ein dritter, wenn er in der Zerstreuung mit seinen Gedanken und Vorstellungen dem Schreiben oder Sprechen vorauseilt, sich leicht verschreibt oder verspricht, aber jedes Mal in genauer Übereinstimmung mit dem voraus Gedachten und Vorgestellten; und daß andererseits z. B. jemand, wenn er einen Balken, der über einen tiefen Abgrund gelegt ist, überschreitet, zu zittern anfängt, daß ein zweiter beim Lesen oder Studieren, ohne es zu merken, mit sich selbst spricht, heftig gestikuliert, vom Stuhl aufspringt und im Zimmer eilig hin- und hergeht und daß ein dritter, indem er über etwas lebhaft nachdenkt, Buchstaben und Worte, welche das Gedachte und Vorgestellte ausdrücken, automatisch niederschreibt. Sodann kann man aber auch, wenigstens in allgemeinen Zügen, die Art und Weise erkennen, wie die Phantasie mit ihren Vorstellungen die willkürlichen und unwillkürlichen Bewegungen nicht bloß im Wachzustand, sondern auch im Zustand der Hypnose bringt. Die Vorstellungen der Phantasie bzw. die ihnen entsprechenden Dinge der Wirklichkeit, das Objekt oder besser gesagt das Ziel seiner Tätigkeit. Da nun dieses Begehrungsvermögen gleich jedem anderen sinnlichen Vermögen den Trieb zur Betätigung von Natur aus in sich trägt und infolgedessen auch, sobald die Bedingungen seiner Betätigung gegeben sind, in Aktion tritt, so begreift man leicht, weshalb im Begehrungsvermögen die Tätigkeit des Strebens und Begehrens nach den vorgestellten Dingen hin sofort eintreten muß, vorausgesetzt freilich, daß sie vom Willen des Menschen nicht gehemmt und zurückgehalten wird und solches findet ja in den angegebenen Fällen auch nicht statt. Mit dem sinnlichen Begehrungsvermögen steht aber im engsten und regsten Zusammenhang die Kraft der örtlichen Bewegung, letztere ist dem ersteren direkt untergeordnet und dient ihm zur Ausführung seines Strebens und Begehrens. Sobald also das sinnliche Begehrungsvermögen unter dem Einfluß lebendiger Phantasievorstellungen zur Tätigkeit übergeht, wirkt es, gleichviel wie das geschieht, auf das in seinem Dienst stehende Vermögen der örtlichen Bewegung ein und treibt es zu der seinem Begehren oder seinem Affekt entsprechenden Bewegung an. Und damit wäre auch dargetan, daß die Vorstellungen der Phantasie genügen, um die hypnotischen Erscheinungen auf dem Gebiet der Bewegung zustande zu bringen, daß wenigstens niemand zur gegenteiligen Behauptung, die Phantasievorstellungen genügten zum besagten Zweck nicht, berechtigt ist.

67. Ganz ähnlich verhält es sich mit den hypnotischen Erscheinungen  auf dem Gebiet der sinnlichen Wahrnehmung,  deren es, wie oben auseinandergesetzt wurde, drei verschiedene Arten gibt, nämlicht die  Anästhesie  oder Unempfindlichkeit, die bald eine unvollkommene, bald eine vollkommene ist,  Hyperästhesie  oder  Jllusion,  d. h. Sinnestäuschung, welche in der Verwechslung eines Objektes mit einem anderen von derselben Art besteht. Zunächst läßt isch nämlich feststellen, daß diese drei Arten von Veränderung der Sinneswahrnehmung während der Hypnose aus suggerierten Phantasievorstellungen ihren Ursprung hernehmen oder wenigstens hernehmen können. Tatsache ist es ja, daß ganz gleiche Veränderungen der Sinneswahrnehmung auch im Wachzustand der Menschen durch Vorstellungen der Phantasie bewirkt werden. So liegt eine Anästhesie im Wachzustand vor und zwar eine vollkommene, durch Vorstellungen der Phantasie hervorgebracht, wenn jemand bei großer Aufregung der Phantasie keine Schmerzempfindung hat, wie das z. B. zuweilen bei einem Soldaten im Krieg vorkommt, der durch eine Kugel verwundet wurde, aber im Augenblick keinen Schmerz spürt oder wie das einmal bei jenem Notar der Fall war, der beim Brand seines Hauses die ganze Nacht damit beschäftigt war, seine Papiere zu retten und dabei mit bloßen Füßen über den Kies lief, ohne davon oder von der Kälte etwas zu spüren. Eine Hyperästhesie im Wachzustand findet sodann infolge einer aufgeregten Phantasie z. B. bei einer Mutter statt, die am späten Abend in großer Sorge um ihr lang ausbleibendes Kind am offenen Fenster steht, um auf seine Schritte zu lauschen und dann auf einmal die Schritte wahrnimmt und erkennt aus einer Entfernung, aus der sie unter anderen Umständen auch für das geübteste Ohr spurlos verhallt wären. Und endlich war es eine Parästhesie oder Jllusion des Wachzustandes im bereits früher mitgeteilten Fall, als eine junge Dame, welche aus Schmerz über den Tod ihres Lieblingsbruders zur Somnambule geworden war, bei einer Gelegenheit den Gatten ihrer Schwester für den ihr entrissenen Bruder hielt und sich einbildete, er sei vom Himmel her zu Besuch gekommen, im übrigen aber eine vollständig vernünftige Unterhaltung mit ihm führte. Reicht aber die Phantasie mit ihren Vorstellungen aus, um im Wachzustand diese drei Arten von Veränderung der Sinneswahrnehmung zu bewirken, so darf man doch wohl mit Fug und Recht annehmen, daß sie dazu auch in der Hypnose ausreicht. Sodann ist auch möglich, die besagten hypnotischen Erscheinungen auf dem Gebiet der Sinneswahrnehmung aus einer Einwirkung der Phantasie und ihrer Vorstellungen in etwa zu erklären. Doch da diese Erklärung im wesentlichen dieselbe ist, wie diejenige, welche die hypnotischen Erscheinungen auf dem Gebiet der Phantasie aus Phantasievorstellungen als ihrer hinreichenden Ursache ableitet, so ist es sach- und zweckgemäß, beide Erklärungen miteinander zu vereinigen, wie es nachher auch geschehen soll.

68. Wie bereits oben hervorgehoben wurde, sind die hypnotischen Erscheinungen, welche  auf dem Gebiet der Phantasie  vorkommen, Halluzinationen oder Sinnestäuschungen und zerfallen in zwei Arten, nämlich in positive und negative Halluzinationen, von denen erstere in der vermeintlichen Wahrnehmung eines Dings bestehen, welches in Wirklichkeit nicht existiert und letztere in der vermeintlichen NIchtwahrnehmung eines Dings, welches tatsächlich vorhanden ist. Daß die Halluzinationen in der Hypnose auf einem Einfluß der Phantasie beruhen oder wenigstens beruhen können, beweist die Tatsache, daß auch im Wachzustand durch Vorstellungen der Phantasie Halluzinationen zustande gebracht werden. Um dafür nur zwei ganz gewöhnliche Beispiele anzuführen, von denen das erstere eine positive und das zweite eine negative Halluzination darstellt, so ist es bekannt, daß jemand von ängstlicher Natur, wenn man zu ihm unvermuteterweise sagt: "Hinter Ihnen kommt ein Ratte gelaufen", sich sofort umdreht, weil er nämlich das Bild der Ratte, das ihm im Augenblick seine Phantasie vorstellt, für Wirklichkeit hält und daß ein anderer, der in Gedanken ganz vertieft oder zerstreut ist, zuweilen seine Feder oder Brille, welche offenkundig vor seinen Augen liegt, beim Suchen doch nicht findet. Im übrigen gehören auch die zwei ganz ungewöhnlichen Fälle, die bereits früher erzählt wurden, der Fall nämlich, daß ein Staatsanwalt beim Ausgraben einer angeblich begrabenen Kindesleiche ganz deutlich den Verwesungsgeruch wahrzunehmen versicherte, obgleich man nachher einen ganz leeren Sarg fand und der andere Fall, daß ein gewisser de QUINCEY behauptete, häufig den Besuch eines faulenden Leichnams zu erhalten, als anschauliche Beispiele einer positiven Halluzination hierher. Nunmehr fragt es sich aber, wie man es sich denn in etwa zu erklären habe, daß die Phantasie in der Hypnose ausreichend ist, um auf ihrem eigenen Gebiet die Halluzinationen, und im Anschluß daran gemäß dem vorher gesagten noch das weitere, daß sie in der Hypnose ebenfalls genüge, um auf dem Gebiet der Sinneswahrnehmungen die Anästhesien, Hyperästhesien und Parästhesien oder Jllusionen zu erzeugen. Am Ende braucht man nur das Eine zu bedenken, daß eine Sinneswahrnehmung oder eine Vorstellung der Phantasie, wenn sie einerseits sehr klar und lebendig auftritt und andererseits sich der Wille kaum oder gar nicht bemüht, die Aufmerksamkeit der Seele auf etwas anderes zu lenken, was ja beides in der Hypnose der Fall ist, das ganze Interesse der Seele für sich in Anspruch nimmt, ihre ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich allein hinzieht und damit zugleich die Aufmerksamkeit der Seele, welche immer nur einem Objekt zugewendet sein kann, von allem übrigen vollständig ablenkt. Infolgedessen existieren dann für die Seele neben jener Vorstellung alle anderen Vorstellungen und auch alle Wahrnehmungen sozusagen gar nicht mehr. Aus diesem Umstand dürften sich sowohl die hypnotischen Anästhesien, Hyperästhesien und Parästhesien, als auch die hypnotischen Halluzinationen hinreichend erklären lassen. Demgemäß fände die vollkommene und unvollkommene Anästhesie eines Sinnes in der Hypnose einfach deshalb statt, weil die Aufmerksamkeit der Seele von der Wahrnehmung des betreffenden Sinnes mehr oder weniger vollständig abgelenkt ist und insofern die besagte Wahrnehmung für die Seele nicht existiert, die Hyperästhesie eines Sinnes deshalb, weil die Aufmerksamkeit der Seele gerade auf die Wahrnehmung des betreffenden Sinnes ganz allein gerichtet ist und infolgedessen der Eindruck, welchen ein bestimmtes Objekt auf diesen Sinn macht, viel genauer und schärfer wird; und die Parästhesie oder Illusion deshalb, weil die Aufmerksamkeit der Seele bei der Wahrnehmung eines Dings von der Wahrnehmung einer wirklichen Eigenschaft desselben gänzlich abgelenkt und dafür der Vorstellung einer anderen Eigenschaft zugewendet ist, welche die Seele für wirklich hält und in das Bild des wahrgenommenen Dings an der passenden Stelle einsetzt. Und was die hypnotischen Halluzinationen, die positiven wie auch die negativen, betrifft, so kämen sie deshalb zustande, weil die Seele mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit der Phantasievorstellung eines Dings zugetan ist und infolgedessen das Ding für so tatsächlich und wirklich hält, wie es ihr in der Phantasie vorschwebt, etwas also für existierend oder für nicht existierend hält, je nachdem es zum Phantasiebild des Dinges gehört oder nicht, tatsächlich aber dem Ding fehlt, bzw. zukommt.

69. Die hypnotischen Erscheinungen  auf dem Gebiet des Gedächtnisses  oder Erinnerungsvermögens sind, wie sie früher angegeben wurden, Amnesie, Hypermnesie und Erinnerungstäuschungen. Freilich, wenn man die Fälle von Amnesie, wie sie in der Hypnose einer Person mit Bezug auf dasjenige vorgekommen sein sollen, was dieselbe vorher erlebt und im Gedächtnis behalten hat und nach der Hypnose mit Bezug auf dasjenige, was sie während derselben erfahren hat, näher anschaut und prüft, so gibt es eine hypnotische Amnesie im eigentlichen Sinn des Wortes nicht, was aufrichtige und ehrliche Hypnotisten auch offen eingestehen, weil sie nämlich die Erfahrung gemacht haben, daß man durch eine geschickte Verwendung der Ideenassoziationsgesetze imstande ist, das anscheinend Vergessene einem Hypnotisierten, bzw. Deshypnotisierten ins Gedächtnis zurückzurufen. Infolgedessen ist auch die Annahme eines sogenannten doppelten Gedächtnisses oder eines doppelten Bewußtseins, wie andere sagen, ganz hinfällig. Sonach reduzieren sich die hypnotischen Erscheinungen auf dem Gebiet des Gedächtnisses, welche als tatsächlich vorkommend betrachtet werden dürfen, auf die Hypermnesie und die Erinnerungstäuschungen. Nun ist es gewiß nicht schwer einzusehen, daß die hypnotischen Hypermnesien und Erinnerungstäuschungen ebenso, wie die ähnlichen Erscheinungen im Wachzustand, durch Vorstellungen der Phantasie erzeugt werden, sogar erzeugt werden müssen. Denn jede Erinnerung, mag sie eine ganz gewöhnlich oder eine gesteigerte, mag sie eine richtige oder eine irrtümliche sein, besteht ja ihrem Wesen nach in der Erkenntnis einer sinnlichen Vorstellung in ihrer Eigenschaft oder Beziehung als etwas schon Dagewesenen oder in der Erkenntnis des früher schon Dagewesenseins eines Phantasiebildes, welches der Seele im Augenblick vor Augen schwebt, setzt also ein Phantasiebild als Objekt, wenigstens als materiales Objekt, oder besser gesagt, als bewirkende Ursache voraus. Freilich ist es bis jetzt noch nicht gelungen, eine nach allen Seiten hin befriedigende und alle Rätsel lösende Theorie über den Modus aufzustellen, wie der Akt der Erinnerung vonstatten geht, aber das ist doch jedenfalls über allen Zweifel erhaben, daß einerseits die früheren Vorstellungen wahrgenommener Dinge in ihrer Beziehung als früher einmal dagewesene das formale Objekt des Gedächtnisses bilden und daß andererseits jedes Objekt eines Erkenntnisvermögens diesem selbst als eine  causa efficiens  gegenübersteht, welche durch ihre Einwirkung auf das Erkenntnisvermögen in ihm den entsprechenden Erkenntnisakt hervorbringt.

70. Dem früher Gesagten gemäß sind die hypnotischen Erscheinungen  auf dem Gebiet der Vernunft  folgende: Fortdauer des Bewußtseins, Vorkommen einer Überlegung, Steigerung der Vernunfttätigkeit und Veränderung der Persönlichkeit. Von diesen Erscheinungen kommen aber die beiden erstgenannten hier nicht in Betracht, weil sie nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Hypnose stehen. Sonach handelt es sich jetzt nur in Bezug auf die zwei anderen um die Frage, ob und eventuell wie sie in der Hypnose durch die Phantasie und deren Vorstellungen erzeugt werden. Daß nun sowohl eine Steigerung der Vernunfttätigkeit, als auch eine Veränderung oder Verwandlung der Persönlichkeit bei einem Hypnotisierten durch den Einfluß der Phantasie und ihrer lebhaften Vorstellungen zustande kommen kann, beweisen die bereits mitgeteilten Tatsachen, daß einerseits im somnambulen und auch im gewöhnlichen Traum, wenn er sich in sehr lebhaften Phantasievorstellungen bewegt, zuweilen eine Erhöhung der Verstandestätigkeit eintritt und daß andererseits nicht bloß im Traum, sondern auch im Wachzustand infolge sehr lebhafter Phantasievorstellungen bei einem Menschen nicht selten eine sogenannte Veränderung oder Verwandlung seiner Persönlichkeit entstehen kann. Denn man sieht nicht ein, weshalb die Phantasie denselben Einfluß, den sie im gewöhnlichen Schlaf und sogar im Wachzustand ausübt, nicht auch im künstlichen Schlaf haben sollte. Aber noch mehr als das: es läßt sich auch angeben - wenigstens im allgemeinen - wie die Phantasie mit ihren Vorstellungen jene beiden Erscheinungen auf dem Gebiet der Vernunft veranlaßt und bedingt oder besser gesagt bewirkt. Allgemein bekannt ist nämlich und allseitig zugestanden, um zunächst die in der Hypnose zuweilen stattfindende Steigerung der Vernunfttätigkeit zu erklären, daß ohne eine Beteiligung der Phantasie und ihrer Vorstellungen, wie immer sie auch geartet sein mag, eine Entstehung übersinnlicher Begriffe und Ideen der Dinge unmöglich ist. Je vollständiger, genauer und klarer also die sinnlichen Vorstellungen eines Dings in der Phantasie auftreten, wie das bei einer aufgeregten Phantasie im Zustand des Somnambulismus und in dem der Hypnose ja zuweilen der Fall ist, desto anschaulicher müssen sich auch die Begriffe und Ideen der Dinge gestalten, welche unter dem Einfluß solcher Vorstellungen in der Vernunft erzeugt werden und desto einleuchtender die Verbindungen jener Begriffe zu Urteilen. Und indem das geschieht, findet gerade dasjenige statt, was man eine Steigerung der Vernunfterkenntnis nennt. Was sodann die Veränderung oder Umwandlung der Persönlichkeit eines Menschen betrifft, mag sie bei ihm in der Hypnose oder im gewöhnlichen Traum oder auch im Wachzustand vor sich gehen, so beruth sie ganz gewiss auf der überaus großen Frische und Lebendigkeit seiner wechselnden Phantasievorstellungen, infolge deren er sie alle für objektive Wahrnehmungen und sich selbst dann wirklich für das hält, als was er in ihnen vor sich erscheint.

71. Die hypnotischen Erscheinungen, welche man durch Suggestion  auf dem Gebiet des Willens  erzielt, bestehen gemäß den früheren Darlegungen entweder in einer vorübergehenden Steigerung der Willenstätigkeit oder in einer sogenannten Befehlshandlung. Vorerst scheint es nun sicher zu sein, daß auch für diese Erscheinungen die hinreichende Ursache in suggerierten Phantasievorstellungen gesucht und gefunden werden muß. So darf man es doch wohl aus der Tatsache schließen, daß die mit ihnen wesensverwandten oder besser gesagt wesensgleichen Erscheinungen des gewöhnlichen oder somnambulen Schlafes, auf welche bereits früher aufmerksam gemacht wurde, offenbar aus Vorstellungen der Phantasie als aus ihrer zuständigen Ursache herrühren und zwar aus Vorstellungen, die man entweder durch hörbare Worte oder durch stellvertretende Zeichen derselben eingegeben hatte. Denn wenn jemand die Berechtigung zu diesem Schluß bestreiten wollte, der müßte in Konsequenz dazu auch die Richtigkeit des Gesetzes, daß gleiche Wirkungen auf gleiche Ursachen hinweisen oder gar noch die Wesensgleichheit der beiderseitigen Erscheinungen in Zweifel ziehen, was in jedem Fall unvernünftig und ungereimt wäre. Sodann läßt sich auch im allgemeinen zeigen, wie und auf welche Weise die in Frage stehenden hypnotischen Erscheinungen unter dem Einfluß der Phantasievorstellungen zustande gebracht werden. Da handelt es sich dann zuerst um das Zustandekommen einer vorübergehenden Steigerung der freien Willenstätigkeit. Eine solche ist in der Hypnose ebenso leicht erklärlich, wie im Wachzustand. Wenn nämlich jemanden ein stärkeres Motiv zum Handeln, etwa der Gedanke an die Erlangung eines großen Gewinnes oder an die Vermeidung einer empfindlichen Beschämung, eingegeben wird, so gibt der Wille in seinem natürlichen Streben nach dem Guten, bzw. in seinem natürlichen Absehen vor einem Übel gewöhnlich sofort nach, indem er sich entsprechend der Stärke des einwirkenden Motivs und für die Dauer seiner Stärke mit Energie zum vorgehaltenen Guten hin-, bzw. vom vorgehalten Übel abwendet und darin besteht ja eben die vorübergehende Steigerung der freien Willenstätigkeit. Daß aber jemandem ein stärkeres Motiv eingegeben werden kann, dazu ist die Mitwirkung von seiten der Phantasie nötig und zwar nicht bloß deshalb, weil jeder Gedanke eines Menschen, der einem anderen mitgeteilt werden soll, in das Gewand eines sinnfälligen Zeichens, eines Phantasmas gekleidet sein muß, sondern auch aus dem Grund, weil der betreffende Gedanke, aus welchem das stärkere Motiv besteht, erst dadurch seine volle Überzeugungs- und Überwindungskraft gewinnt, daß das ihm entsprechende Phantasma hellere und schönere Farben annimmt und beides leistet ja das Vermögen der aufgeregten Phantasie. An zweiter Stelle wäre zu erklären, wie die Triebhandlungen des Willens unter der Einwirkung der Phantasievorstellungen in der Hypnose zustande kommen. Auch die Erklärung dieser Erscheinung dürfte keine ernstlichen Schwierigkeiten bereiten. Der Wille des Menschen ist nämlich ein Vermögen, welches im Wachzustand desselben nicht bloß freie, sondern auch unfreie oder spontane Handlungen verrichtet, je nachdem es aufgrund einer vorhergegangenen Überlegung der Vernunft tätig ist oder nicht. Nun hört im natürlichen Schlaf, wenn er ein tiefer ist und dann doch auch wohl im tiefen künstlichen Schlaf, die Überlegung der Vernunft auf. Zwar erkennt die Vernunft in der tiefen Hypnose überhaupt noch, aber nur mehr nach Maßgabe der aufgeregten Phantasie und ihrer lebhaften Vorstellungen, aus denen sie ja ihre Begriffe, Ideen und Gedanken schöpfen muß und hält dann das von ihr Erkannte dem Willen als Objekt und Ziel seines Strebens und Begehrens vor, bald als etwas Gutes, bald als ein Übel, je nachdem es der Seele in der Phantasie erscheint. Da nun die freie Betätigung des Willens in der Hypnose unterbrochen ist, so wendet sich der Wille mit der ihm angeborenen Spontaneität dem erkannten Gut, bzw. Übel als seinem Objekt zu, um das eine zu erstreben und das andere zu meiden und er betätigt sich nach der einen oder anderen Richtung umso mehr, als ihn ja auch das sinnliche Begehrungsvermögen, welches den lebhaften Phantasievorstellungen direkt folgt, ins Schlepptau nimmt. Indem aber ein Hypnotisierter, seinem Willen nachgebend, spontan dasjenige tut und ausführt, was ihm die Vernunft unter Mitwirkung der Phantasie nahelegt, verrichtet er eine eigentlich so zu nennende Triebhandlung. Die Gegebene Erklärung gilt selbstverständlich auch vom Zustandekommen der posthypnotischen Triebhandlungen, welche infolge einer sogenannten Termineingebung stattfinden; denn die sind ja, wie oben schon angedeutet, im Grunde nichts anderes, als hypnotische Triebhandlungen, insofern nämlich die Hypnose, in welcher sie eingegeben wurden, noch teilweise fortdauert oder aber als sogenannte Autohypnose wiederkehrt, sobald der Hypnotisierte durch irgendeinen Umstand, etwa des Ortes oder der Zeit oder der Beschäftigung, an die eingegebene oder aufgetragene Handlung und zugleich an den dabei gemachten Vorsatz lebhaft erinnert wird. In diesem Falle wirkt also die eingegebene Vorstellung wie eine bleibende oder fixe Idee, welche zuweilen bei einem Menschen, der sie gefaßt hat, unter gewissen Umständen, etwa im somnambulen Schlaf, auch so mächtig angeregt wird, daß sie ihn mit sich fortzieht, ja fortreißt. Ein Beispiel der Art lieferte ein Somnambule, welcher eines Nachts, mit einem großen Messer bewaffnet, einen gewissen  D.  besuchte. Zum Glück hatte sich letzterer noch nicht zur Ruhe begeben, sondern saß noch in voller Beschäftigung an seinem Arbeitstisch und war infolgedessen imstande, seinen schrecklichen Besucher zu beobachten. Dieser trat mit stieren Blicken ins Zimmer, näherte sich dem leeren Bett und führte drei Stiche aus, welche durch die Betttücher bis in die untere Matratze gingen. Nachdem er auf diese Weise seine Leidenschaft befriedigt hatte, die seine entfesselte Phantasie beherrschte, verließ er das Zimmer und kehrte in seine Stube zurück. Dort erwachte er kurz nachher in einem sehr erregten Zustand mit dem Eindruck, als ob er unter einem gräßlichen Alptraum gelitten hätte und mit der Überzeugung, daß er während der ganzen Zeit seines Schlafes das Bett nicht verlassen habe.

72. Lassen sich sich nun aber, wie im Vorstehenden gezeigt worden ist, sowohl die Hypnose selbst, als auch die verschiedenen in kausaler Verbindung mit ihr stehenden Erscheinungen aus dem Einfluß der Phantasie und der ihr suggerierten Vorstellungen genügend erklären oder vermag man wenigstens nicht zu behaupten, geschweige denn zu beweisen, daß jene Vorgänge aus der Einwirkung, welche die Phantasie mit ihren Vorstellungen auf die verschiedenen Vermögen des Menschen ausübt, sich nicht erklären lassen, so darf man mit Fug und Recht annehmen, daß alle Erscheinungen, die Hypnose selbst mit einbegriffen, einen natürlichen Charakter an sich tragen, daß sie etwas Natürliches sind.
LITERATUR - Ludwig Schütz, Der Hypnotismus, Philosophisches Jahrbuch, Bd. 9, Fulda 1866