cr-4F. H. JacobiHumeR. Hönigswald    
 
FRIEDRICH HEINRICH JACOBI
David Hume über den Glauben
[ 2/5 ]

    Das Gespräch
Beilage - Vom transzendentalen Idealismus

"...alle diejenigen, die ein für allemal nichts wissen wollen von einem  gewissen Geist,  der  unmittelbar  in alle Wahrheit leite, sondern nur von einem  gewissen Buchstaben  ohne welchen der Geist überall nichts nützte sei und der, in seiner Vollkommenheit, den Geist sogar entbehrlich mache oder den eigentlichen  allein gewissen  Geist erst erzeuge und dann auch eingebe. Diesen Buchstaben nennen sie die  Wissenschaft." 

"Denn es fließen diesen Fließenden, wie alles andere, auch die  Worte,  die Haupt- oder Nennworte nämlich, davon; sie behalten nur Zeitworte und verlieren von diesen auch noch die gegenwärtige Zeit, die ihnen nie ist, wie überhaupt kein Ist oder Sein. Wo aber überall nichts ist, noch wird, da ist und wird auch keine Erkenntnis und alle Lehre hat ein Ende."

"Ebenso hatte der Verstand früher schon sich selbst gefragt: wie ist Wahrnehmung durch sinnliche Werkzeuge möglich? und er hatte von sich selbst die ebenso bestimmte Antwort erhalten: nur  Empfindung ist;  darum ist, daß eigentliche  Wahrnehmung  sei,  unmöglich." 

"Wir antworten diesen andern, daß sie reden, was sie nicht denken, daß sie mithin, Wort und Sinn verkehrend, nur ein loses betörendens Spiel treiben mit der Rede, mißfällig den Aufrichtigen."

"Vernunft ohne Verstand ist ein Ungedanke, jenem durchaus gleich, einer von sich nicht wissenden, bloß werktätigen -  Wissenschaft  und  Kunst." 

Vorrede
- Fortsetzung -

Wir sind ausgegangen von der Frage: Ist die menschliche Vernunft nur über den Sinnesanschauungen schwebender, auf sie allein in Wahrheit sich beziehender Verstand; oder ist sie ein höheres, dem Menschen ein an sich Wahres, Gutes und Schönes  wirklich  offenbarendes, nicht ihm leere, objektiv beziehungslose Bilder bloß  vorgaukelndes  Vermögen?

Wir zeigten: das erste werde angenommen in allem seit PLATON, mit und nach ARISTOTELES, bis auf KANT entstandenen Philosophien, sowohl in den sogenannten rationalistischen des LEIBNIZ, WOLFF und SULZER, als in den ausdrücklich bloß sensualistischen des LOCKE, CONDILLAC und BONNET.

Wir konnten uns bei dieser Behauptung auf die von KANT dafür gegebenen Beweise berufen, welche unwidersprechlich dartun, daß ein nur die Sinnenwelt und sich selbst, als Begriffe bildendes Vermögen, reflektierender Verstand, wenn er über das Gebiet der Sinnlichkeit hinaus zu greifen versucht, nur ins Leere, nach seinem eigenen, sich ins Unendliche nach allen Seiten hinaus dehnenden  Schatten,  greifen kann.

Also - folgerten wir nun weiter - "ist alles Übersinnliche Erdichtung und sein Begriff an Inhalt leer," (27) oder - es muß erkannt werden  für  die Wahrhaftigkeit des Übersinnlichen und dessen Erkenntnis im Menschen, aus einem höheren Vermögen, welchem sich das Wahre  in  und über den Erscheinungen auf eine den Sinnen und dem Verstand unbegreiflichen Weise kund tut.

Gestützt auf dieses  Entweder - Oder,  bestanden wir auf der Annahme zweier verschiedener Wahrnehmungsvermögen im Menschen; eines Wahrnehmungsvermögens durch sichtbare und greifbare, mithin körperliche Wahrnehmungs-Werkzeuge; und eines anderen, durch ein unsichtbares, dem äußeren Sinn auf keine Weise sich darstellendes Organ, dessen Dasein uns allein kund wird durch Gefühle. Dieses Organ, ein geistiges Auge für geistige Gegenstände, ist von den Menschen -  im Grunde allgemein - Vernunft  genannt worden; so daß sie unter dem Wort  Vernunft  in Wahrheit nie etwas anderes verstanden haben, als eben dieses Organ. Nur einige unter ihnen, die sich Philosophen nannten, versuchten dieses Organs, des zweiten Seelenauges, zu entraten, wähnend es müsse sich mit nur  einem  Auge das nur  eine  Wahre schärfer und sicherer sehen lassen, als mit zweien. Sie stachen wirklich das eine, dem Übersinnlichen zugekehrte, Seelenauge sich aus und fanden, daß Ihnen nun in der Tat alles viel klarer und deutlicher dastehe, als zuvor. Was man, sagten sie, für ein zweites wirkliches Auge gehalten habe, sei nur ein  Scheinauge  gewesen, in Wahrheit nur ein krankes Doppelsehen des allein  wirklich  sehenden Auges. Man solle an ihnen nur betrachten, wie das  eine wahre  Auge, nach der Operation, sich ihnen mitten vor die Stirn gezogen habe und wie vom anderen, angeblich zweiten Auge, jetzt auch nicht eine Spur mehr zu entdecken sei. Es fanden diese Polypheme Gehör und bei nur allzu vielen Glauben, die dann alle vom kranken Doppelsehen und vom falschen Auge geheilt sein wollten. Nur SOKRATES und nach ihm sein Schüler PLATON, widerstanden der einäugigen Weisheit; dartuend auf die mannigfaltigste Weise; daß die menschliche Seele, um zur Erkenntnis des  einen  Wahren zu gelangen, beider ihnen verliehenen Augen bedürfe, darum sorgfältig sie bewahren und sie immer geöffnet halten müsse; verschlösse oder vertilgte sie gar das nach dem Übersinnlichen gerichtete,  so gewönne sie mittels des anderen nur allerlei  grundlose  Wissenschaft  ohne Einsicht und letzten Zweck. (28) Es ward aber die Rede des Göttlichen überwunden von der Rede der vielen Anderen: "weil es ebenso unmöglich ist, Seelen, die das allein dazu geeignete Organ nicht mitbringen, die Erkenntnis des Wahren einzuflößen, als einem Augenlosen, durch Vorhalten von Gläsern, das Gesicht." (29)

Das heißt: Wen die reinen Gefühle des Schönen und Guten, der Bewunderung und Liebe, der Achtung und Ehrfurcht, nicht überzeugen, daß er in und mit diesen Gefühlen ein von ihnen unabhängig vorhandenes wahrnehme, welches den äußeren Sinnen und einem auf ihre Anschauungen allein gerichteten Verstand unerreichbar ist: wider den ist nicht zu streiten.

Es ist längst dargetan worden, daß der Idealist, der  untere  und halbe nach BERKELEYs Weise, der dem Naturgefühl zu trotz behauptet, er nehme eine wirklich außer ihm vorhandene materielle Welt nicht  wahr,  sondern er habe nur  Empfindungen;  wie sich denn dieses klar beweisen lasse - nicht zu besiegen ist. Ebenso ist darzutun, daß gleichfalls nicht zu besiegen ist, der  obere und ganze Idealist nach Humes Weise,  der dem Vernunftgefühl zu trotz die Wahrhaftigkeit der unmittelbar aus diesem Gefühl hervorgehenden Ideen, an deren Spitze die unvertilgbaren und voneinander unzertrennlichen Begriffe von Freiheit und Vorsehung stehen, leugnet.

Wie der Mensch, seinen tiefsten und innigsten Gefühlen zu trotz, Freiheit und Vorsehung zu leugnen, einerseits mächtig versucht und angetrieben, andererseits aber ebenso mächtig abgeschreckt und verhindert werde und nun wundersame Künste erfinde, um einen philosophischen Ort des Ja und Nein zugleich in der Mitte zu gewinnen, ist schon vorhin von uns gezeigt worden. Was aber diese Künste so täuschend mache, daß nicht nur Unerfahrene und Schüler, sondern die Erfinder selbst zuerst dadurch hintergangen und verblendet werden, dieses haben wir hier, als zur Vollendung unserer Arbeit unentbehrlich noch ins Licht zu stellen.

Zwei Blendwerke sind es, wodurch der, Gestalt und Namen vielfältig verändernde, in Wahrheit aber immer derselbe - ein Walten der Freiheit über dem Walten der Notwendigkeit, eine Allmacht über dem Schicksal, nicht zulassende - Sensualismus oder Materialismus, seine Einseitigkeit und Schwäche zu decken gesucht hat, so daß es scheinen könnte, auch ihm sei der Freiheitsbegriff und die Überzeugung vom Übersinnlichen nicht fremd.

Das erste dieser Blendwerke beruth darauf, daß man durch fortgesetzte Abstraktionen des Verstandes den Begriff des Unbedingten zu gewinnen meint.

In der Abstraktion nämlich läßt man die besonderen, ein Sinnenobjekt bedingenden, Verhältnisse und Merkmale fallen; man hält bloß das Allgemeine fest, welches dann im Vergleich mit dem Besonderen unbeschränkter erscheint, nicht mehr an die einzelnen Bedingungen des Besonderen gebunden ist; und wähnt nun, durch eine Abstraktion von  allen  Schranken müsse sich der Begriff des Unbedingten dem Verstand ergeben. (30) Dieses Abstraktum ist aber in der Tat nicht der  Freiheits -Begriff als der eigentliche Begriff des  Unbedingten,  sondern nur die nichtige Vorspiegelung eines  Ganzen ohne  allen Inhalt und darum ohne  alle Schranken;  ein Begriff des vollkommen Unbestimmten, weil eben in der Abstraktion von allen einzelnen Bestimmungen weggesehen wurde. Seinem Inhalt nach ist dieser höchste Begriff, zu welchem der Verstand durch Abstraktion fortschreiten kann, der Begriff  der reinen Negation, des reinen Nichts. (31) Betrachtet man ihn als den unbedingten  Grund,  aus welchem jegliches Bedingte hervorgeht, so ist dieser grund eigentlich der absolute  Ungrund,  ein vollkommen  unbestimmtes Werden,  aus welchem das Bestimmt-Gewordene entstanden sein soll; ein All  ohne  irgendein Merkmal, als Grund einer realen Welt mit unendlich mannigfaltigen bestimmten Merkmalen.

Dieser rein negative Begriff gewinnt dadurch keinen positiven Inhalt, daß ich damit den Begriff einer unendlichen Zeit und eines in ihr sich enthüllenden unendlichen Naturmechanismus - notwendige Kausalitätsreihe - verknüpfe: denn es ist hier gar kein Erstes und kein Letztes, kein  Was  und kein  Wozu;  ja der Begriff des unendlichen Naturmechanismus selbst muß dem Verstand bei schärferem Nachdenken als unmöglich erscheinen; nur stellt der Denker alsdann dieser Unmöglichkeit im  Begriff  das offenbare  Dasein  in der Sinnenwirklichkeit entgegen, den als Weltgesetz unwidersprechlich vorhandenen Kausalnexus, obgleich es immer eben ungereimt bleibt, denselben ohne Anfang und Ende anzunehmen und von dem Satz auszugehen:  Nichts ist unbedingt  - ausgenommen der Kausalnexus selbst, das bloße Werden aus dem Werden.

Wie kommt es nun, daß man sich mit diesem Blendwerk begnügt und einer Ungereimtheit wissenschaftliche Begründung erhofft? - Wir antworten: Der Freiheitsbegriff, als wahrer Begriff des Unbedingten, wurzelt unvertilgbar im menschlichen Gemüt und nötigt die menschliche Seele nach einer über das Bedingte hinaus liegenden Erkenntnis des Unbedingten zu streben. Ohne das Bewußtsein dieses Begriffs würde niemand von den Schranken des Bedingten wissen, daß sie  Schranken  sind;  ohne das positive Vernunftgefühl eines Höheren als die Sinnenwelt wäre der Verstand nie aus dem Kreis des Bedingten getreten,  und hätte auch nicht einmal den  negativen  Begriff des Unbedingten gewonnen. Nun ist es allerdings widersinnig, eine bloße Negation an die Spitze alles Philosophierens zu stellen; aber das Gefühl der Vernunft überwältigt diese Widersinnigkeit im Verstand, (32) und weil die Abstraktion zum Allgemeinsten,  Unbestimmtesten  fortgehen kann, hält man das  Absolut-Unbestimmte  für das  Wahrhaft-Unbedingte,  für den Freiheitsbegriff selbst und sucht - die wahre Quelle, nämlich die Vernunftwahrnehmung, verkennend, - seine Wurzel im Verstand.

Das zweite Blendwerk schließt sich eng an das erste.

Die Sinneswahrnehmung, auf welche der Verstand im Sensualismus ausschließlich gerichtet ist, kommt jenem falschen Begriff des Unbedingten zu Hilfe. Betrachten wir das wirkliche Entstehen und Werden in der Natur, so scheint das Gesamte, von uns  Weltall  genannt, auf eine allmähliche Entwicklung aus einem früheren Chaos, aus einem  ursprünglich Wüsten und Leeren  hinzuweisen. Sehen wir doch noch immer dem vollkommeneren  Fertigen  ein unvollkommenes  Unfertiges,  Ungestalt der Gestalt, Unbesonnenheit der Überlegung, wilde Begierde dem Gesetz, rohe Sittenlosigkeit der Sitte vorausgehen und wie die Grundlage davon ausmachen. Jener Begriff des Chaos entspricht dem durchaus Unbestimmten des Verstandes; beide schließen sich aneinander: der leere Verstandesbegriff wird gleichsam ausgefüllt durch Materie, aber durch ein Unwesen nur von Materie, durch eine Materie ohne alle materielle Bestimmung, welcher bloß die Möglichkeit, aber nicht die Wirklichkeit bestimmter sinnlich wahrgenommener Beschaffenheiten eigen  sein soll. 

Im Grunde ist dieses Chaos wiederum nichts, als eine reine  Negation  aller  materiellen  Eigenschaften und als ein  Sinnen-Nichts,  wie jene Negation aller den Begriffen zukommenden Merkmale ein  Verstandes-Nichts  ist. Weil aber das  Werden  in der Sinnenanschauung ein  Nicht-Dasein  voraussetzt; aus einem baren Nichts aber auch nichts werden könnte: so verhüllt sich das Unzulässige dieser Annahme einigermaßen dadurch, daß die Einbildungskraft jenes  Nichtseins  als ein  unvollkommenes  bloß potentielles Dasein auffaßt, aus dem das  actu  vollkommene Dasein sukzessiv entsteht. Begreiflich muß dann überall aus dem Schlechteren erst das Bessere, aus dem Geringeren erst das Höhere hervorgehen. Auch diese Annahme ist offenbar eben so ungereimt, wie das Hervorgehen des Seins aus dem Nichtsein, ja sie ist mit ihr eine und dieselbe; sie erhält ihre Scheinwahrheit erst durch eine  neue  Ungereimtheit.

Man setzt nämlich das absolut Unvollkommene als das absolut Vollkommene, weil das absolut Unvollkommene das Eine ist, aus dem Alles, aber unselbständig und darum nur vergänglich, wird. Das Absolut-Unvollkommene ist demnach das allein Unvergängliche, das allein wahrhaft wirkliche ewige Wesen,  natura naturans;  [die schaffende Natur - wp] nicht  der,  aber - das Gott.

Wie in diesem Alleinwesen - welches Unwesen, aber ein ewig erzeugendes ist - sich reget aller Stoffe erster allgemeiner  Stoff,  ein für sich durchaus beschaffenheitsloser,  indifferenter;  so regt sich in ihm auch ein aller Geister erster allgemeiner, ein durchaus gedankenloser  indifferenter Geist.  Dieser aller Geister Geist, ist, obgleich bewußtlos, der vollkommenste Geist  kat exochen,  [schlechthin - wp] denn aus ihm entwickeln sich, mittels des Organismus, alle Geister; ihre Möglichkeit ist gegeben allein in ihm, aus dem sie, mit und nacheinander (wie aus dem allgemeinen Stoff die Leiber und mit diesen zugleich) insgesamt entstehen.

Nach einer neueren Entdeckung treibt dieser aller Geister Geist, obgleich bewußtlos, rein für sich auch  Wissenschaft und Kunst;  aber nur eine von sich nicht wissende  bloß werktätige,  seiner Erhabenheit allein würdige - zwar nicht  vor-  aber dennoch  für-sehende  - Wissenschaft und Kunst.

Möglich doch (so ist unlängst noch hinzu erfunden worden) - möglich doch, daß das Ur- und Allwesen aus einem bloß  materiellen  auch noch zu einem  formellen  Geist, mit selbstbewußtem Wissen und Wollen; zu einem Geist  mit Verstand  werde -  in einer späteren Schöpfungswoche.  Dann erst wird Gott  wahrhaft  geworden, das ist  vollkommen  verwirklicht sein, nun auch ein  persönliches  Wesen,  sich  selbst habend und erkennend.

Möglich denn wohl auch -  setzen wir hinzu  - daß, was diese neuesten Erfinder oder Sehr in eine  ferne Zukunft  setzen: die vollkommene Verwirklichung Gott es, sein auch  persönliches  Dasein und  sich  selbst Haben und Erkennen -möglich, daß dieses auch schon in der  Vergangenheit  einmal, ja auch mehrmals, da gewesen ist,  seit einer ewigen  Zeit. Vielleicht (sagen sie ja selbst) wirkte der anfängliche Grund der Natur, der Finstere, lange allein und versuchte, mit den göttlichen  in ihm enthaltenen  Kräften, eine Schöpfung für sich, die aber immer wieder zuletzt in das Chaos zurück sank; - wohin wohl auch die  vor der Schöpfung  untergegangenen und nicht wiedergekommenen Reihen von Geschlechtern deuten mögen: - bis das Wort der Liebe erging und mit ihm die  dauernde  Schöpfung ihren Anfang nahm.

Sind also Fehl- und Mißgeburten mutmaßlich früher gewesen, ein mannigfaltiger Wechsel vor- und rückwärts: warum denn nicht auch mehrere reife und ganz gesunde Geburten?

Und zu allererst: wo habt Ihr den Beweis und wie lautet er, daß Ihr jetzt nicht mehr in einer vergänglichen Schöpfung, in einer  Schöpfung vor der Schöpfung,  sondern in einer nun wirklich begonnenen und dauernden lebt? Der mit den göttlichen und in ihm enthaltenen Kräften Schöpfung  vor der Schöpfung  versuchende Grund, mag auch wohl jetzt nur wieder in einem solchen neuen Versuch begriffen sein, und, wie mit dem in ihm noch halb-schlummernden Gott, so auch mit Euch nur sein Spiel und eitlen Mißbrauch treiben. So viel erkennt Ihr doch und sagt es aus: Es liege und bewege sich immer noch im Grund der Schöpfung des Weltalls das Regellose, das  Chaos, als könnte es einmal wieder durchbrechen.  Wir fragen: warum sollte es nicht  wirklich einmal wieder durchbrechen? 

Ihr antwortet: Es könne und werde nicht, weil nach der wirklich begonnenen Schöpfung das Chaos nur dieser dauernden Schöpfung noch zur notwendigen Basis diene. Die Basis der Realität an allen Dingen, versicher Ihr, sei das Regellose, ein  Chaos,  so daß die Welt in nichts aufgehen würde, wenn sie diese Basis verlöre, wenn Form und Ordnung dem Regellosen ganz und rein ein Ende machten. -

Sehr begreiflich als, setzt erinnernd Ihr hinzu, daß Form und Ordnung nicht das Ursprüngliche, daß das Vollkommene nicht gleich am Anfang sein konnte; so wenig ein vollkommener, gleich ganz fertiger Gott, als eine vollkommene, gleich ganz fertige Welt.

Aber wie denn am Ende? Konnte das Vollkommene am Anfang nicht  sein; dann  wahrlich und gewiß kann es auch nicht erst am Ende  werden! 

Gleichwohl  muß es, erwidert Ihr: Auch die Schrift unterscheidet Perioden der Offenbarung Gottes und setzt als eine ferne Zukunft die Zeit, da Gott alles in allem, d. h. ganz verwirklicht sein wird,-  die Krisis der Ausstoßung des Bösen vom Guten wird dann vollbracht und eben damit die vollkommene Aktualisierung Gottes geschehen sein.

Also dann kein Werden mehr? Denn was sollte jetzt noch werden! Folglich auch kein  Leben  mehr, da im  Werden  allein, wie Ihr sagt und nur mit ihm das Leben ist,  das sich selbst empfindliche,  bestehend und sich selbst erhaltend durchaus  nur im Kampf weswegen denn auch, wie Ihr ferner sprecht, Gott sich freiwillig dem Leiden und Werden untertan gemacht, einem  Schicksal,  das alles Leben haben  muß,  unterworfen hat, schon da er zuerst,  um persönlich zu werden,  die Licht- und die finstere Welt schied.

Das also - fragen wir von neuem und weiter - das alles wird nach der  Krisis  in jener fernen Zukunft nicht mehr so sein? Was nötig war, damit Gott ein persönliches Wesen wurde, wird nicht mehr nötig sein, jetzt, da er es  bleibe?  Es wird nicht nötig sein, jetzt, da er mit der Welt und sich selbst rein fertig und zu Ende ist, daß er die Welt und sich selbst wieder von vorne anfange, wieder zurückkehre in den Ungrund und sich dort noch einmal mit sich selbst entzweie, freiwillig, obgleich bewußtlos,  damit  die Kreatur möglich und er selbst durch die Schöpfung persönlich werde; mit einem Wort, daß er das ganze Evolutionsgeschäft seiner selbst durch die arge Welt von frischem beginne und ausführe, -  wird  es wirklich und in wahrem Ernst nicht???

Auf die Frage antworten sie nur mit hartem Schelten: daß wir nicht zu fassen vermöchten  den  Zirkel aus dem Alles wird, - und in diesem Zirkel das durchgängige, allgemeine:  Weder - Noch,  das Grundgöttliche; darum auch nicht die Indifferenz am Anfang, die Identitt am Ende und den Kampf in der Mitte und daß es überhaupt nicht der Mühe lohne, zu reden mit schalen Theisten, die von einem ganz fertigen Gott, von einem vollkommen wirklichen mit Verstand und Willen  am Anfang,  träumen, der zugleich ein  lebendiger und persönlicher  Gott sein soll, was doch  durchaus und überall  unmöglich sei; - obwohl doch vielleicht noch möglich - oder vielmehr gewiß -  am Ende. 

Darin haben diese Zürnenden nun wirklich Recht, daß wir weder den  Zirkel aus dem alles wird  begreifen, noch ihre Sprache verstehen, die mit Recht eine  Zirkel-Sprache  genannt werden muß, indem in ihr jeder Satz und jedes Wort einmal das bedeutet, was ein solches Wort oder ein solcher Satz dem gemeinen Verständnis gemäß aussagt und dann noch einmal, auch das gerade Gegenteil davon; ja, was das schlimmste ist für uns, auch beides zugleich: in welchem letzten Fall dann das eigentliche  Weder - Noch  eintritt, der Schlüssel, wie wir vermuten, zugleich des Systems und seiner Kunstsprache.

Daß  vor  allem sei das  Weder - Noch  und aus ihm unmittelbar hervorgegangen oder hervorgebrochen sei, nicht nur die wirkliche Welt, sondern auch der wirkliche obgleich gegenwärtig noch nicht  vollkommen  verwirklichte Gott, in den die Welt dereinst aufgehen wird, das Reale in das Ideale, ja daß dieses  Weder - Noch  Gott selbst sei, der  ganze  (wie er  vor  der Schöpfung) noch nicht durch sich selbst in zwei gleich ewige Anfänge auseinander gegangene Gott, mithin der  vollkommene  Gott a parte ante: dieses lehren sie ausdrücklich. Es soll aber der  a parte ante vollkommene,  noch nicht in zwei gleich ewige Anfänge auseinander gegangene, mithin  noch ganze  Gott, der das  A  ist und mit seinem wahren Namen der  Ur-  oder  Ungrund  heißt, wohl unterschieden werden vom vollkommenen Gott erst a parte post, der das  O  ist und erst sein wird in einer fernen Zukunft, jetzt aber schon der Geist genannt wird und angsehen, als ob er bereits vollkommen verwirklicht wäre, denn es ist so gut als -.

In dem Zirkel nämlich, aus dem alles  wird,  wird  in Wahrheit  nichts, ist in  Wahrheit  weder  Vor  noch  Nach;  kein  in Wahrheit  Vergangenes, kein  in Wahrheit  Zukünftiges; kein Erstes und Letztes, so wenig dem  Wesen  nach als der  Zeit.  Es soll uns demnach nicht wundern, wenn die Zirkelredner sagen: der  Geist  werde zuletzt sich alles untertan machen und dann  über Allem  sein und zugleich sagen: auch dann noch werde sein und bleiben  über dem Geist  der anfängliche Ungrund; nur werde er dann nicht mehr die Indifferenz sein, die  Gleichgültigkeit,  sondern - die Liebe, deren  Hauch  nur der Geist sei. - Dafür zeuge denn auch, meinen sie, die Schrift mit den Worten: es werde zuletzt der  Vater  alles untertan machen dem  Sohne;  dann aber werde auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles untertan gemacht habe, auf daß Gott alles in allem sei.

Wer Augen hat, zu lesen, der lese das Unglaubliche da, wo es urkundlich zu lesen ist, mit eigenen Augen selbst; denn wie in der wunderbaren Zirkelrede das Für und Wider gegenseitig sich verschlingen; wie die offenbarsten Widersprüche sich hier brüderlich umarmen und in ewiger Eintracht miteinander zu verharren schwören: dieses läßt sich nicht in einem kürzeren Vortrag wiedergeben.

Es paßt aber fast wunderbar auf diese Zirkel-Redner, was uns PLATON von einer Gattung Philosophen, die er die zu Ephesos, auch  die Fließenden,  nennt, hinterlassen hat. "Mit diesen" - läßt er den THEODORES zu SOKRATES sagen - "sich in ein ernsthaftes Gespräch einzulassen, geht nicht besser an, als wollte man es mit solchen versuchen, die, von bösartigen Tieren zerstochen, nicht einen Augenblick still stehen können; denn ordentlich, wie es in ihren Schriften heißt,  fließen  sie auch ... Wenn du einen etwas fragst, so ziehen sie wie aus einem Köcher  rätselhafte kleine Sprüchlein hervor und schießen sie ab.  Willst du dann darüber eine Erklärung, wie es gemeint gewesen: so wirst du von einem anderen ähnlichen getroffen mit  umgeändertem Namen.  Zu Ende bringen wirst du aber niemals etwas mit einem von ihnen, noch auch sie selbst untereinander." (33)

Wir verlassen also diese Redner und wenden uns wieder zu jenen, die zwar  mit  uns annehmen, das vollkommenste Wesen sei notwendig am Anfang: zugleich aber  wider  uns behaupten, aus den vorhin schon angeführten Gründen: es sei dieses vollkommenste Wesen notwendig ein seiner selbst nicht bewußtes, nicht mit Wissen und Willen nach vorgesetzten Zwecke  Handelndes,  sondern nach in ihm bestehenden, durch seine  Natur  ihm vorgeschriebenen Gesetzen, bloß notwendig  wirkendes,  durchaus  unpersönliches Wesen. 

Über diese haben wir nun noch einiges beizubringen: wie sie nämlich das, was am stärksten  wider  sie spricht, mit dem glücklichsten Erfolg  für  sich zu reden lassen verstehen.

Stellt man ihnen zum Beispiel jenen alten, ebenso erhabenen als einfachen Gedanken, um sie damit zu überwältigen, vor die Seele:  Der das Auge gemacht hat, sollte er nicht sehen; der das Ohr gepflanzt hat, sollte er nicht hören, der dieses Herz bereitet hat, sollte er nicht lieben, der diesen Geist aus sich geboren hat, sollte er nicht geistig wissen und wollen und wirken?  - so versichern sie, daß niemand freudiger und inniger als sie diesen Gedanken ergreife. Setzen wir denn nicht, sprechen sie, die Urkraft und wahre Wesenheit allen Hörens, Sehens, allen Verstandes, Herzens und Geistes in das Ur- und Allwesen,  das allein wahrhaft ist,  und von uns genannt wird, der Gott? - Ist euch dieses etwa nicht genug? - So sagt doch: obwohl irgendein  tiefer sich Besinnender  werden annehmen mögen, der göttliche Verstand sei wie der auf Sinneserfahrung gegründete, durch Abstraktion und Reflexion mechanisch sich entwickelnde, menschliche? Obwohl ein solcher  tiefer sich Besinnender  werde behaupten mögen, er könne sich seine menschliche, bloß nachbildende, Einbildungskraft sehr wohl auch als eine ursprünglich aus sich heraus  schaffende,  wahrhafte Wesen in die Wirklichkeit rufende, Kraft denken? - Merke nur ernstlicher darauf, fahren sie lebhafter fort, wie dir deine Intelligenz erwächst und was du an ihr hast; du wirst dich schämen, dem Urwesen, das wir alle Gott nennen, eine solche Intelligenz beizumessen und in Absicht seiner nur den Unterschied zu machen, daß in ihm der Verstand schon ganz fertig sei und nicht - wie bei dir - erst zu werden brauche: ein schon in sich höchst ungereimter Gedanke.

Sieh doch recht zu, ermahnen sie, wie es sich mit der menschlichen Intelligenz verhält. Muß sie nicht schon im Embryo vorhanden sein, um später durch bloße Entwicklung des Organismus sich hervorzutun? Im früheren Zustand aber weiß die Intelligenz, als solche, oder die Vernunft, nicht von sich. Der Begriff einer wirklich daseienden , aber  von sich nicht wissenden Vernunft  ist also kein widersinniger Begriff, sondern im Gegenteil ein notwendiger: diese von sich nicht wissende, unpersönliche Vernunft ist eigentlich die wahre,  die absolute, substanzielle Vernunft,  so, wie sie in Gott ist und bleibt; - die Abwesenheit einer  formellen Vernunft  in Gott ist keine Beraubung, sondern eine Fülle: Er  ist  alle Vernunft, deswegen hat er keine. - Das  bewußtlos  unmittelbar Werktätige, das eben ist der Geist. Deswegen nennt Ihr ja auch im Menschen das  eigentlicher  den Geist, den  Genius,  das  Göttliche,  was in ihm  bewußtlos  hervorbringt und wie durch eine fremde Eingebung.

Also reden diese Männer und es jauchzt eine überzeugte Schar ihnen laut Beifall zu. Die Jünglinge begreifen, verstehen und werden der Erkenntnis voll. Vor allem aber fühlen sie sich überzeugt durch das Argument am Schluß, den ACHILLES der Rede: daß alles, was vom Menschen wahrhaft Bewunderungswürdiges hervorgebracht werde, bewußtlos von ihm hervorgebracht werde und wie durch eine fremde Eingebung; daß man einstimmig das Eingebende den  Genius  und das  Göttliche  nenne, welches Göttliche nichts anderes sei, als die bloß werktätige Kraft des von sich nicht wissenden Allgeistes.

Wir müßten wohl verstummen gegen diese Rede, vor den Jünglingen und ihren Lehrern, wenn sich die Sache ganz und bis in die Tiefe hinab so verhielte, wie jene vorgeben. Wir sehen aber die Sache anders und wollen versuchen, hier unser Anders-Sehen darzustellen.

Zuvörderst erinnern wir an die heilige Sage von einer Schöpfung nach der Schöpfung, im Paradies.

Dem ersten Menschen ging, nach jener heiligen Sage, aus einem Traumbild eine Gattin hervor. Während er schlief, bildete sich in ihm die Mutter des Menschengeschlechts, das Urbild der Schönheit, der Liebe, der Milde, des Wohltuns. ADAM erwachte an ihrem Dasein, sie stand vor ihm, die Männin, Fleisch von seinem Fleisch, Bein von seinem Bein, von ihm genommen, außer ihm und in ihm, ein zweites Ich.

Inwendig, im Geiste, hatte ADAM die  Schöne  früher schon gesehen, denn er war voll Sehnsucht nach ihr und hatte schmerzlich gefühlt, daß er allein war. Da nun fiel auf ihn jener tiefe Schlaf,  ein Schlaf vom Herrn.  - Und Gott schuf das Weib aus einer seiner Rippen und schloß die Stätte wieder zu mit Fleisch.

Nicht erschuf auch der ursprünglich Erschaffende im Schlaf,  in  bewußtloser Finsternis: Er wußte und wollte. - Da er früher gesprochen: Es werde Licht" hatte er dieses nur auf die Erde herab gerufen, die an sich wüst und leer war und auf der fortwährend alles aus einem Dunkel erst hervorgehen muß, so daß von keiner ihrer Geburten gesagt werden kann:  Am Anfang war das Wort.  Mitnichten aber soll man darum kindisch wähnen, Nacht sei von allem die Mutter und der Geist komme, wie der aus Sinneserfahrung erwachsende Verstand, überall erst mit den Jahren, ein Spätling, hinten nach? Es tritt hier ein ähnlicher Unterschied in der Betrachtung mit jenem hervor, der rohere Völker sprechen läßt: vor oder nach so vielen  Nächten;  gebildetere: vor oder nach so vielen  Tagen.  Der sinnliche Verstand setzt die Nacht voraus und rechnet nach ihr und  aus  ihr hervor; die Verunft oder der Geist, den Tag.

Wir wollen uns deutlicher machen. Der menschliche Verstand weiß vom Tun des über ihm waltenden Geistes im Menschen nichts  vor der Tat;  nur unter und nach der Vollbringung wird er dessen inne. Erkennend, daß dieses Tun nicht von ihm, dem bloß nach-sinnenden, ausgehe, erklärt er es, nach langem Erwägen, endlich für ein blindes Wirken. Wir sagen: erst nach langem Erwägen; denn ursprünglich war er allerdings geneigt, Intelligenz als das beginnende und überall den Willen vor der Tat zu denken. Da er aber nun sich selbst die Frage vorlegte: wie ist Intelligenz als beginnendes und überall der Wille vor der Tat - wie ist  wahrhafte  Vorsehung und wie ist  wahrhafte  Freiheit  möglich?  so erhielt er von sich selbst die bestimmte Antwort: Beide sind durchaus unmöglich.

Ebenso hatte der Verstand früher schon sich selbst gefragt: wie ist Wahrnehmung durch sinnliche Werkzeuge möglich? und er hatte von sich selbst die ebenso bestimmte Antwort erhalten: nur  Empfindung ist;  darum ist, daß eigentliche  Wahrnehmung  sei,  unmöglich. 

Also erfand sich der Verstand den doppelten Unglauben, erst an eine materielle, dann auch an eine immaterielle, geistige Welt und nannte sie Kunst, alle Wahrheit zu verlieren - denn das war seine Erfindung -  Philosophie. 

Gleichwie am nächtlichen Himmel der Mond mit seinem erborgten Licht das ganze Sternenheer überscheint und es überscheinend verdunkelt; sein Glanz aber, steigt die Sonne herauf über den Rand der Erde, verschwindet, weil das wahre Licht  er scheint, durch welches er selbst nur leuchtete: so erlöschen eine zeitlang die im Dunkel strahlenden Wahrnehmungen der Vernunft vor dem unvollkommenen Tag des Verstandes, aber sein Mondenlicht erbleicht, wenn die Herrschaft der Vernunfterkenntnis anbricht und man wird inne, daß sein Schimmer von diesem Lichtquell stammte, der zuvor unserem Gesichtskreis entzogen war. (34)

Alles Philosophieren geht aus von einer dem Menschen innewohnenden Sehnsucht nach einer Erkenntnis, die er die Erkenntnis des  Wahren  nennt, ohne sich selbst genügend erklären zu können, was ihm dieses über alles bedeutende Wort denn eigentlich bedeute. Er weiß es und weiß es nicht. Das, womit er es weiß, nennt er seine Vernunft; das, womit er es nicht weiß, aber es zu erforschen bemüht ist, seinen Verstand.

Die Vernunft setzt jenes Wahre schlechthin voraus, wie der äußere Sinn den Raum, der innere die Zeit und besteht nur als das Vermögen dieser Voraussetzung, so daß, wo diese Voraussetzung nicht ist, auch keine Vernunft ist. Das Wahre muß also dem Menschen, so gewiß er Vernunft besitzt und ihn das, was er so nennt, nicht bloß betört, auf irgendeine, wenn auch noch so tief inwendige Weise gegenwärtig sein und von ihm erkannt werden.

Der Verstand, von der sinnlichen Anschauung ausgehend, an ihr zuvörderst sich entwickelnd, kann dieser Anschauung nicht den ihm von der Vernunft aufgedrungenen Begriff des Wahren voraussetzen und ihn über sie erheben; er fragt nach dem  Substrat  desselben, ohne welches keine Bewährung der Realität sei und sucht nun dieses Substrat auf dem Boden der Erscheinungen, wo sich das  Ansich  der Wesen und ihrer mannigfaltigen Eigenschaften finden müsse. Es findet sich aber hier, wie wir vorhin zur Genüge schon gezeigt haben, am Ende nur eine Verneinung des Nichts, ein Etwas, das sich als bloßes Nicht - Nichts darstellt und sich darstellen würde als das bare Nichts, wenn nicht die dennoch vorherrschend bleibende Vernunft es mit Gewalt vermehrte. (35) Denn es kann zwar der Mensch in seiner Torheit die Vernunft sich ableugnen oder ihr den Glauben versagen, daß sie nicht mehr in ihm wirke, vermag er nicht.

XENOPHANES, den selbst ein Skeptiker den Denker ohne Dünkel genannt hat, klagte, "daß er auch in seinem hohen Alter sich keines  Wissens  erfreuen könne. Wohin er seinen Blick wende, da löse sich alles in das Eine auf und allenthalben erscheine ihm nur ein ähnliches Wesen. (36)

Wenig verschieden von ihm, klagte der erhabene und darum nicht minder scharf- und tief denkende FENELON, daß sich ihm alles verliere in der Vielheit, die Vielheit aber in das  Nichts. 

"Ich finde mich selbst nicht, spricht er, in dieser Menge auf einander folgender Gedanken in mir und doch sind diese Gedanken alles, was ich von mir finden kann. Eine solche Menge von vielerleit Gedanken bin ich,  deren  keiner der andere ist, daß ich unter ihnen mir selbst zu nichts werde und darum auch nicht mehr jenes  Eine  zu erblicken vermag, welches das Wahre ist, von dem ich weiß und das ich suche. Um es mir einigermaßen darzustellen aus meinem trüben Wissen, so muß ich dieses Eine teilen und ein Vielerlei und Mannigfaltiges, wie ich selbst bin, aus ihm machen; und indem ich dieses tue, verschwindet es mir, wie ich mir selbst verschwinde. - Oh, wer befreit mich von den Zahlen, Zusammensetzungen, Verknüpfungen und Reihen, die sich mir, je mehr ich mich in sie vertiefe, immer nichtiger erweisen und entfernter von dem, was mir als allein wahrhaft vorschwebt. Glänzend und vielversprechend stellt sich das Mannigfaltige und Zahlreiche dar, als von Einheiten erfüllt und als gegründet auf Einheit; aber dieser Grund von Einheit offenbart sich nicht; flieht unaufhörlich und spottet meiner Nachforschungen; da im Gegenteil Zahl und Menge sich nur immer mehren und wachsen. Auch die Reihen verschwinden mit dem Verschwinden des in sie Gereihten und verlieren sich im Nichts. Willst du erhaschen was ist? Es ist schon nicht mehr! Was unmittelbar folgt? Es hat schon geendet! Was folgen wird? Es wird folgen, aber nicht sein! - Nicht sein und doch ein Ganzes ausmachen mit dem, was vor ihm war und alles schon nicht mehr ist."

In diese Leere, in diesen Abgrund eines alles verschlingenden offenbaren Nichts der Erkenntnis versinkt notwendig der Mensch, wenn er das aus den unergründlichen Tiefen seines Gemüts ihm hervorgehende, nur  inwendige  Wissen in ein  auswendiges  verwandeln und zum Übersinnlichen zwar wohl hinauf will, aber durchaus nur  mit den Sinnen,  durchaus nur auf Begriffs-Stufen eines auf Sinnesanschauung allein zuletzt sich stützenden Verstandes.

Das Ist des überall nur  reflektierenden  Verstandes ist überall auch nur ein  relatives  Ist und sagt nicht mehr aus, als das bloße  einem andern  gleichsein im Begriff; nicht das  substanzielle  Ist oder  Sein.  Dieses, das reale Sein, das Sein schlechthin, gibt sich im Gefühl allein zu erkennen; in demselben offenbart sich der gewisse Geist.

 Welcher Gestalt  im Gefühle - dem objektiven und reinen - der in sich gewisse Geist dem Menschen gegenwärtig und er durch ihn fähig werde, das  Nur-sich-selbst-Gleiche  zu erkennen: das Wahre unmittelbar nur am Wahren, das Schöne unmittelbar nur am Schönen, das Gute unmittelbar nur am Guten und damit das Bewußtsein zu haben von einem Wissen, das nicht bloß ein abhängiges Wissen  unter  Beweisen, sondern ein unabhängiges  über  allen Beweisen, ein wahrhaft oberherrliches Wissen ist; welcher Gestalt vor allem jenes uns am tiefsten innewohnende Wissen von Freiheit und Vorsehung, die, als der Natur überlegene Mächte,  in  uns walten und  über  uns - dieses zu  erklären  bekennen wir uns unvermögend. Wir stellen nur Tatsachen ins Licht und rechtfertigen dann, auf diese Tatsachen gestützt, unsere Lehre mit wissenschaftlicher Strenge.

Inwiefern dieses in den früheren Schriften des Verfassers wirklich geleistet worden ist, muß in diesen Schriften selbst nachgelesen werden. Die im gegenwärtigen zweiten Band der sämtlichen Werke von neuem erscheinende Abhandlung:  Über die Unzertrennlichkeit des Begriffs der Vorsehung und Freiheit vom Begriff der Vernunft,  stellt in gedrängter Kürze das System seiner Überzeugungen oder die Rechtfertigung seines Glaubens vor dem philosophierenden Verstand und wessen er, andere Lehren bestreitend, sich anmaße und wessen nicht, vielleicht am faßlichsten dar, aus welchem Grund denn hier besonders auf sie verwiesen wird.

Zum Schluß eilend will ich nur einiges von dem, was ich dem schon Gesagten noch beizufügen wünschte, in kurzen Abschnitten, hier noch folgen lassen und dem Leser selbst die Ausführung und das Aneinanderreihen überlassen. Trifft doch der aphoristische Vortrag und was mein verewigter Freund HAMANN seinen  Heuschreckenstil"  nannte, oft glücklicher das Ziel, als die am künstlichsten gefügte Rede.


Wie die den äußeren Sinnen sich offenbarende Wirklichkeit keines Bürgen bedarf, indem sie selbst der kräftigste Vertreter ihrer Wahrheit ist; so bedarf auch die jenem tief inwendigen Sinne, den wir Vernunft nennen, sich offenbarende Wirklichkeit keines Bürgen: sie ist ebenfalls selbst und allein der kräftigste Zeuge ihrer Wahrheit. Notwendig glaubt der Mensch seinen Sinnen, notwendig glaubt er seiner Vernunft und es gibt keine Gewißheit über der Gewißheit in diesem Glauben.

Da man die Wahrhaftigkeit unserer Vorstellungen von einer jenseits dieser Vorstellungen und von ihnen unabhängig vorhandenen materiellen Welt wissenschaftlich darzutun versuchte, verschwand den Demonstratoren der Gegenstand, den sie ergründen wollten, es blieb ihnen bloße Subjektivität,  Empfindung  übrig: sie fanden den Idealismus.

Da man die Wahrhaftigkeit unserer Vorstellungen von einer jenseits dieser Vorstellungen vorhandenen immateriellen Welt, von der Substanzialität des menschlichen Geistes und einem vom Weltall selbst unterschiedenen freien Urheber dieses Weltalls, von einer mit Bewußtsein waltenden, das ist  persönlichen,  das ist allein  wahrhaften  Vorsehung wissenschaftlich erweisen wollte, verschwand den Demonstratoren ebenfalls der Gegenstand; es blieben ihnen bloß logische Phantasmen: sie fanden - den Nihilismus.

Alle Wirklichkeit, sowohl die körperliche, welche sich den Sinnen, als die geistige, welche sich der Vernunft offenbart, wird dem Menschen allein durch das Gefühl bewährt; es gibt keine Bewährung außer und über dieser. (37)

Einer unserer scharfsinnigsten Denker hat die Gefühle, die  objektiven  oder  reinen,  von denen allein hier überall die Rede ist, für unmittelbar aus der Vernunft entspringende Urteile erklärt und sie  Grundurteile  der Vernunft genannt. (38) Gern nehmen wir diese Benennung von und mit ihm an. Sagt man doch allgemein auch vom Auge, dem Ohr, der prüfenden Zunge, daß sie urteilen, sogar, daß sie  be urteilen, obgleich jeder weiß, daß der wahrnehmende Sinn nur offenbart, die Urteile aber dem reflektierenden Verstand angehören. Wir reden so aus der klaren Einsicht, daß Sinnlichkeit ohne allen Verstand, das ist, ohne alles reflexive und verknüpfende, mithin selbsttätige Bewußtsein Unding ist. Dasselbe gilt von der Vernunft. Vernunft ohne Verstand ist, wie wir gleich zu Anfang dieser Abhandlung gezeigt und in der Folge weiter dargetan haben, ein Ungedanke, jenem durchaus gleich, einer von sich nicht wissenden, bloß werktätigen -  Wissenschaft  und  Kunst. 

Nur eines ist hierbei nicht außer Acht zu lassen, nämlich, daß der Satz: wo Vernunft ist, da ist notwendig auch Verstand, nicht umgekehrt ebenfalls gelte: wo Verstand ist, da ist notwendig auch Vernunft. Verstand besitzen, nach Maßgabe ihrer sie mit anderen Naturwesen durch Empfindung in Gemeinschaft setzenden Organisation, alle diejenigen Wesen, die wir lebendige oder, weil sie Leben in sich haben und Selbsttätigkeit offenbaren  beseelte  - aber zugleich  vernunftlose  Wesen, insgesamt  Tiere  nennen. Alle Tiergattungen, sowohl die mit Sinnen und Gliedmaßen am freigiebigsten, als die zur Führung ihres Lebens am kärglichsten damit ausgestatteten; die  reichbegabtesten,  wie die  armseligsten,  entbehren alle und zwar in  ganz gleichem Maße,  der Vernunft,  der Vernehmung  des den  Gedanken  und zugleich mit dem Gedanken, das  Wort  erzeugenden Geistes. Darum wie das verunftlose Tier unfähig ist jener Gefühle und Begriffe, die wir einstimmig sittliche und religiöse Gefühle und Begriffe nennen, so ist es unfähig auch der  Wissenschaft;  keineswegs aber mangeln ihm jene Gefühle und Begriffe nur darum, weil es der Wissenschaft entbehrt. Die Vernunft ist nicht auf die Denkkraft gegründet, ein erst später im Verstand angeglommenes Licht; sondern die Denkkraft ist gegründet auf die Vernunft, welche, wo sie ist, dem Verstand vorleuchtet und ihn erweckt zur  Betrachtung,  welcher die Untersuchung folgt - die deutliche Erkenntnis, die  Wissenschaft. 

Nicht nur ist vor allen wissenschaftlichen Theorien und philosophischen Systemen, sondern es bleibt vorwaltend auch  über  ihnen allen der inwendige Seher und  Richter,  die weissagende Vernunft, der schöpferische, der  in sich gewisse Geist.  Kein logisches Kunstwerk vermag diesen Geist zu vertreten und seine wirkliche unmittelbare Gegenwart in dem von ihm zeugenden Gefühl entbehrlich zu machen. Es ist vielfältig und schon von alten Zeiten her angemerkt worden, daß Theorien und Philosophien des Wahren, des Guten und Schönen - Ethiken, Ästhetiken und Metaphysiken - erst dann in wachsender Menge hervortreten, wenn die lebendige Erfassung des Wahren, des Guten und Schönen geschwächte, der Geschmack unsicher gworden, die Kunst gesunken, Tugenden und Sitten durch verkehrte Zumischung verderbt sind. Wie verschwunden aus der lebendigen Wirklichkeit ist der mächtige, der gewisse  Geist  und man fragt nun die  Toten.  Leichen werden eröffnet um zu finden. woher ihnen das Leben kam. Eitle Versuche! wo das Herz nicht mehr schlägt und treibt, wo die Gefühle schweigen, da bemüht sich der Verstand umsonst mit allen seinen Künsten, den mit Wunderkraft begabten Seher wieder aus der Gruft hervor zu rufen. Nicht einmal ein Schatten, nur ein Blendwerk erscheint, gaukelt und offenbart Trug.

Ehrwürdig ist die Wissenschaft da, wo sie sein kann und wirklich ist; ehrwürdig die zur Fertigkeit gediehene, ihrer selbst mächtig gewordene, erfahrene Kunst; ehrwürdiger doch und herrlicher die ihren Theorien vorleuchtende Ahnung; ehrwürdiger und herrlicher, der sie prüfende, ihren Wert bestimmende Geist, dem sie wohl  dienen,  ihn selbst aber nicht erzeugen können.

Verachtet man darum Sprache und Schrift, Buchstaben und Wort, weil man sagt:  Diener  sind sie? - Verachtet man darum die Natur, weil man spricht: Über ihr ist ein Gott, ihr Urheber und sie wäre ohne dieses  Über-Ihr  nur ein Gespenst?

Wie das Welten aus dem Nichts hervorrufende Wort des Schöpfers erhaben ist über den ewig kreisenden Nachhall dieses Wortes in der unendlichen Erscheinung, die wir das Weltall nennen; so ist auch die dem Menschen ursprünglich innewohnende vorbildende Kraft erhaben über die bloß nachbildende in ihm hinter der Erfahrung.

Sie sagen aber - jene anderen, die wir vorhin hörten - es sei die von uns mit Recht so hoch gepriesene  vorbildende,  über die bloß nachbildende in Wahrheit unendlich erhabene Kraft -  Genius,  im Menschen;  Für- Sehung im Urwesen genannt, - notwendig  bewußtlos  wirkend und gleichwohl begabt mit  Weisheit  und  Liebe  und  Wissenschaft  und  Kunst  und zu und vor allem diesen, auch noch mit  Freiheit:  denn was ein Wesen absichtslos, aus der Notwendigkeit seiner Natur vollbringe, das allein werden von ihm mit vollkommener Freiheit vollbracht.

Wir antworten diesen andern, daß sie reden, was sie nicht denken, weil es unmöglich sei zu denken -  eine blinde Vorsehung,  einen  unvorsetzlichen Vorsatz,  eine  freie Notwendigkeit;  daß sie mithin, Wort und Sinn verkehrend, nur ein loses betörendens Spiel treiben mit der Rede, mißfällig den Aufrichtigen.

Auch SPINOZA verstand schon das bewußtlose blinde Schicksal als  Vorsehung  auszulegen und konnte nun, auf diese Auslegung gestützt, ebenfalls von  Ratschlüssen  und einer  Weltregierung  seines Gottes; von allgemeinen und besonderen, von inneren und äußeren  Führungen  und  Leitungen  desselben; von seinem  Beistand  und wovon nicht sonst noch dieser Art, ergiebig reden. (39)

Wie ich wider diesen, von dem, übrigens so wahrhaften Manne eingeführten, in unseren Tagen immer heilloser gewordenen Betrug, seit dreißig Jahren, ihn enthüllend, gestritten habe, so werde ich fortfahren, wider ihn zu streiten, bis zu meinem letzten Atemzug, unbekümmert um den Zorn seiner Liebhaber, die, je heftiger sie ergrimmen, nur desto auffallender, durch die ungereimtesten Beschönigungen und Ausflüchte, den Gehalt ihres Tuns mehr und mehr selbst werden zu erkennen geben.

Es findet der Mensch, wenn er die, seinen äußeren Sinnen sich darstellende, Natur mit dem inneren Sinn betrachtet und ihr unendliches Wesen mit seinem Verstand zu erfassen, zu begreifen, zur  ergründen  strebt, am Ende seiner Bestrebungen nicht einen diese Natur und das Weltall ihm erklärenden Grund, sondern nur einen finsteren Ungrund. Der noch kindische Verstand denkt sich diesen Ungrund als ein Chaos, aus dem ein Zwitterding von Notwendigkeit und Ungefähr allmählich Bildungsstoffe, dann Gebildetes, Götter und Welten, Tiere und Menschen hervorgehen ließ. Der zur Männlichkeit gereifte Verstand verwirft den Ungrund und das Chaos, weil er sich zur klaren Einsicht erhoben hat, daß der Gedanke eines von Ewigkeit her sich nur allmählich entwickelnden Weltalls ein durchaus ungereimter Gedanke ist, mit dem man jeden, der ihn vorbringt, in das absolute Nichts zurückdrängen kann. Es tritt nun die Lehre auf von einer immer gleichen Vollkommenheit des Weltalls, von einem von Ewigkeit zu Ewigkeit in sich selbst kreisenden unendlichen Wesen, welches absichtslos Unendliches aus Unendlichem auf eine unendliche Weise, durch die Notwendigkeit seiner Natur allein, hier entstehen und dort vergehen läßt, ohne daß irgendwo oder wann ein wesenhaftes Entstehen oder Vergehen statt finde: - die Lehre von einer Natur, die keine Schöpfungs-, sondern nur eine ewige Veränderungskraft ist.

Zu einem Höheren, als dem hier angegebenen und keiner weiteren Ausführung an diesem Ort bedürfenden Begriff des  hen kai pan,  [Eins und Alles - wp] kann der in die Natur allein sich vertiefende Verstand nicht gelangen; er kann in ihr nicht finden, was nicht in ihr ist, ihren Urheber und tat daher den Ausspruch: Selbständig, in sich genugsam, durch und durch lebendig, ja das Leben selbst ist die Natur;  sieallein ist und außer und über ihr ist Nichts. 

Bei diesem Ausspruch würde es verbleiben, wenn der Mensch nur Sinn und überlegender Verstand wäre. Es lebt aber in ihm ein Geist unmittelbar aus Gott, der des Menschen eigentümliches Wesen ausmacht und durch den allein auch sein Verstand erst verständig, d. h. zu einem  menschlichen  Verstand wird. Wie dieser Geist dem Menschen gegenwärtig ist in seinem höchsten, tiefsten und innigsten Bewußtsein, so ist ihm der Geber dieses Geistes,  Gott,  selbst gegenwärtig, ihm gegenwärtiger durch sein Herz, als ihm die Natur gegenwärtig ist durch die äußeren Sinne. Kein sinnlicher Gegenstand kann so ergreifen und als wahrer Gegenstand so unüberwindlich dem Gemüt sich dartun, als jene übersinnlichen Gegenstände: das Wahre, das Gute, das Erhabene und Schöne - die mit dem Auge des Geistes nur gesehen werden - eben diesem Gemüt sich dartun und bewähren. Wir dürfen darum wohl die kühne Rede wagen, daß wir an Gott glauben, weil wir ihn sehen, obgleich er nicht gesehen werden kann mit dem Auge des Leibes: wird er uns doch in jedem hohen Menschen zur Erscheinung. Die Erscheinung aber ist nicht der Gott; jene kann sogar öfter uns betrügen; das Gefühl aber, das mit der Erscheinung in uns erweckt wurde, betrog uns nicht und das innere Gesicht, das wir hatten, war ein Gesicht des Wahren. (40)

"Nichts ist Gott ähnlicher" sagt SOKRATES bei PLATON, "als wer unter uns der Gerechteste ist." (41)

Jede rein sittliche, wahrhaft tugendhafte Handlung ist, in Beziehung auf die Natur, ein Wunder und offenbart  Ihn,  der  nur  Wunder tun kann, den Urheber, den allmächtigen Beherrscher der Natur, den Regierer des Weltalls.

Ebenso jede wahrhaft genialische Schöpfung. Ein der Natur allein zugewandter Verstand, mit Recht in seinem Gebiet keine Wunder zulassend, muß die Wirklichkeit eigentlicher und allein wahrhaft genialischer Schöpfungen ebenso notwendig als die Wirklichkeit eigentlicher und allein wahrhaft tugendhafter Handlungen leugnen. Für die Wirklichkeit beider zeugt allein der Geist, der inwendige, der uns überall nur  Geheimnisse  offenbar,  unergründliche;  als keine  Wissenschaft.  Diese bricht notwendig da ab, wo das Wirken der Freiheit sich kund macht.

Wenn man uns also fragt, ob wir, Freiheit und Vorsehung, eine Intelligenz am Anfang, mit einem Wort, einen schöpferischen  Gott  voraussetzend, das Dasein des vor uns sich bewegenden Weltalls besser begreifen, als wenn wir eben dieses Weltall denken, nichts als ein Werk, sondern als ein ewiges ohne Anfang und Ende in sich selbst kreisenden Wesen, das als  natura naturans  [die schaffende Natur - wp] ohne Selbstbewußtsein, ohne Vaterland und Willen ist; als  natura naturata  [geschaffene Natur - wp] aber voll selbstbewußter, verständiger, nach Begriffen sich bestimmender Wesen, deren keines doch ein absolut höchster Geist sein und je werden kann (42): so antworten wir ein entschiedenes Nein. Das aber begreifen wir vollkommen, daß Vorsehung und Freiheit, wenn sie nicht am Anfang waren, dann auch überall nicht sind, mithin der Mensch von seinem Geist, seinem Herzen und Gewissen, die ihm diese Begriffe als die wahrhaftesten aufdrängen, nur getäuscht werde. Ein Märchen, eine Lüge ware dann der Mensch; ein Märchen, eine Lüge des Menschen Gott - der Gott des SOKRATES und PLATON, der Gott der Christen.

So lautete meine früheste Rede. Ich ende, wie ich begann.
LITERATUR - Friedrich Heinrich Jacobi, David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus(ein Gespräch), Werke, Bd. 2, Leipzig 1815
    Anmerkungen
    27) Wortes KANTS, Kritik der praktischen Vernunft, Vorrede
    28) Siehe das ganze sechste Buch von PLATONs Republik.
    29) PLATON, Republik VII
    30) Siehe J. FRIES, Tradition, Mystik und gesunde Logik oder über die Geschichte der Philosophie (Studien Band VI.)
    31) Siehe in BOUTERWEKs neuem Museum der Philosophie und Literatur, Bd. I, 1. die Abhandlung: Was heißt Denken? und 2. die Abhandlung: Über das Ideal-Objekt... Vgl. auch PLATON, Sophistes, von den göttlichen Dingen, Beilage A
    32) Siehe die zwei schon angeführten Abhandlungen von BOUTERWEK.
    33) Es folge hier auch noch die Antwort des SOKRATES:
    - Sokrates: Vielleicht, Theodorus, hast due die Männer nur gesehen, wann sie Krieg führen, bist aber nicht mit ihnen gewesen, wann sie Frieden halten; denn dir sind sie eben nicht freundlich; dergleichen aber, glaube ich, werden sie in ruhigen Stunden ihre Schülern mitteilen, welche sie sich ähnlich zu machen suchen.
    - Theodorus: Was für Schüler, du Wunderlicher! Bei diesen wird gar nicht einer des andern Schüler, sondern sie wachsen von selbst auf: jeder, woher es ihm eben kommt, begeistert  und einer hält immer den andern für nichts". 
    34) "Wenn eine einzige Wahrheit gleich der Sonne herrscht; das ist  Tag.  Seht ihr anstatt dieser  einzigen  so viel, als Sand am Ufer des Meeres; - hiernächst ein  kleines Licht,  das jenes ganze  Sonnenheer  an Glanz übertrifft; das ist eine  Nacht,  in die sich  Poeten  und  Diebe  verlieben." - JOHANN GEORG HAMANN, Kreuzzüge, Seite 190
    35) Der Schluß des CARTESIUS:  Ich  denke, also bin ich: ist in den Augen der Logik ein Wortspiel, weil das  Ich bin  logisch nichts heißt, als  Ich bin denkend  oder  ich denke  und doch frage jeder sich selbst, ob dieser so oft kritisierte Schluß nicht eine Gewalt über ihn ausübt, mit der die Überzeugungskraft des bündigsten Schlusses zusammentrifft und die auf etwas ganz anderes deutet, als auf die logische  Leere  eine so genannten identischen Urteils." - Idee einer Apodiktik I, Seite 41, 42.
    36) TENNEMANNs Geschichte der Philosophie, Teil 1, Seite 164. Die hier angeführten Verse hat einer meiner Freunde so übersetzt: Wär ein verständiger Sinn auch mir doch beschieden gewesen! Aber es täuschte mich trügerischer Pfad, hierher mich, dann dort hin.
    37) "Die oberste Quelle alles Fürwahrhaltens ist ein  unmittelbares  Vertrauen zu den Aussprüchen unseres Bewußtseins. Wenn dieses verloren ginge, würde auch jenes gänzlich wegfallen." Siehe "Grundsätze der allgemeinen Logik" von G. F. SCHULZE, § 108 und vorher und nachher. "Die Überzeugung vertritt immer die Stelle des letzten Arguments als  Gefühl."  - Siehe "Idee einer Apodiktik, I. Band, Seite 31. Ebenso SCHULZE: "Beim bloßen Folgern eines Urteils aus dem anderen wird von der  Wahrheit  des Urteiles abstrahiert,  zum wirklichen  Schluß aber gehört das Bewußtsein der Wahrheit." - Siehe "Göttingische Gelehrter Anzeiger, 1802, Seite 142
    38) Siehe FRIES "Neue Kritik der Vernunft", Teil 1 Seite 75 und 341f: Die Theorie des Gefühls.
    39) SPINOZA, Tractatus Theologico Politico, C III, Seite 32, C IV, Seite 48
    Falsch ist die Behauptung dieser Tage: man habe den Spinozismus  verklärt;  man hat im Gegenteile ihn nur geraubt und verderbt und während die Schriften jenes scharfen und folgerechten Denkers noch immer jedem wohlbeschaffenen Verstand eine kräftige Nahrung darbieten, geben die neueren aus ihm geschöpften Werke, voll Schwindel und Betörung statt der Lehre nur Geschwätz: der ehrwürdige Vater ist verkindischt da und erzählt Märchen.
    40) Um nicht anderswo schon Gesagtes hier mit anderen Worten bloß zu wiederholen, verweise ich auf die in der ersten Hauptabteilung der Schrift von den göttlichen Dingen befindliche Erörterung dieses Gegenstandes.
    41) PLATO, Theatet, Ausgabe Schleiermacher Seite 263
    42) Einige doch haben auch dieses denken zu können sich eingebildet. Es lebte vor ungefähr dreißig Jahren im nördlichen Deutschland ein der Spekulation ergebener Edelmann. Er sandte seine Gedanken in einzelnen gedruckten Bogen an mehrere Personen, die ihm als Denker durch öffentliche Schriften oder sonst bekannt waren. So erhielt ich diese Bogen auch. Sie sind mnir, was ich gegenwärtig bedaure, von der Hand gekommen. Der Hauptgedanke dieses Mannes, so viel ich mich erinnere, war: der Gott im Weltall sei nicht immer dasselbe Wesen, sondern es könnten im Wechsel der Dinge wohl auch andere und andere Wesen zu dieser Würde gelangen. Er sah  das in der Welt Gott sein  als eine Stelle an, die gewonnen und wieder verloren werden könne. Etwas ähnliches habe ich nachher in einem ungedruckten Aufsatz von DIDEROT, "Le réve de d'ALEMBERT," gefunden. In der ersten Abteilung unterhält sich DIDEROT mit d'ALEMBERT; inder der zweiten Mademoiselle de LESPINASSE mit Doktor BORDIEU, den sie hatte rufen lassen, weil d'ALEMBERT in einen bedenklichen Schlaf gefallen war und träumend sonderbare Reden führte.