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Die Struktur des logischen Gegenstandes [4/6]
Erster Teil Das System der logischen Gegenstände 3. Kapitel Das Argument der logischen Funktionen 24. An dieser Stelle stellt sich uns eine Frage entgegen: sind alle Relationen, die sich in einem Schnittpunkt des logischen Gegenstandssystems treffen, von gleichem Wert, von gleicher logischer Dignität? Die Frage entspringt aus der Betrachtung der eben erwähnten allseitig bestimmten Individualgegenstände von selbst. Man frägt sich hier unwillkürlich, ob es denn wirklich zu diesem Apfel dazugehört, daß er eine Meile vom Rathaus entfernt liegt oder daß er das Verlangen eines kleinen Kindes wachzurufen vermöchte. Oder ist er ein anderer Gegenstand, wenn das Kind ihn tatsächlich anblickt und ein anderer, wenn das nicht geschieht? All das ist wohl kindisch oder mindestens "Scholastik". Aber es läßt sich nicht so leicht darüber hinwegkommen, es liegt darin wohl das Problem des Wesentlichen und Unwesentlichen enthalten. Nun ist für die Gattungsgegenstände das Wesentliche vom Unwesentlichen unschwer zu scheiden, wenn auch nicht recht scharf abzugrenzen; für die einmaligen, für die Individualgegenstände ist jedoch eine solche Scheidung schwer sinnvoll zu machen. Zum Apfel im allgemeinen gehört der Ort, wo er liegt, wohl nicht dazu, aber wenn dieser Apfel alle anderen Beziehungen unverändert beibehielte und bei demnach auch gleicher Zeitbestimmung an einem anderen Ort läge, dann wäre er eben nicht mehr dieser Apfel. Der Ort allein ist also zwar nicht ausschlaggebend, in Verbindung mit der Zeitbestimmung ist er jedoch von entscheidender Wichtigkeit. Und wenn wir den Individualgegenstand in schon früher angedeuteter Weise noch extremer verstehen wollen, nämlich als zeitlich auf den Augenblick begrenzten Gegenstand, dann kann der zu anderer Zeit an anderem Ort liegende Apfel zwar derselbe Apfel sein, ist aber dabei doch schon ein neuer Gegenstand. Da jedoch, wie wir schon wissen, der Individualgegenstand in der allgemeinen Funktion schon enthalten sein muß, so wird wohl auch das hier für wichtig befundene Moment der speziellen Örtlichkeit in allgemeinerer Form auch beim "Apfel im allgemeinen" in Frage kommen. Tatsächlich kommt demselben Räumlichkeit überhaupt zu; fehlt diese, kann auch nicht von einem Apfel die Rede sein. Räumlichkeit ist also ein notwendiges Merkmal des Apfels, trotzdem muß es als höchst fraglich erscheinen, ob dasselbe auch wirklich zu jenen Merkmalen gerechnet werden soll, die dem Gegenstand "Apfel" seinen eigentlichen Sinn verleihen. Wir glauben hier auf den eigentlichen Sinn unserer am Eingang des Kapitels aufgeworfenen Frage gestoßen zu sein. Sie bedeutete folgendes: jede einzelne Beziehung ist dem Gegenstand unbedingt zugehörig, da ihr Fehlen schon eine andere Stelle im System der logischen Gegenstände determinieren würde, sie also zur Unterscheidung des Gegenstandes von seinen Nachbarn notwendig ist; trotzdem scheint den einzelnen Beziehungen nicht dieselbe logische Dignität zuzukommen, insofern nämlich die eine den eigentlichen Sinn des Gegenstandes mit konstituiert, während die andere sozusagen nur mitläuft. In solcher Form ist nun die Scheidung der Gegenstandselemente auch auf die Individualgegenstände anwendbar. Für sie ist, wie gesagt, jede noch so geringfügige Beziehung wichtig; jener erkenntnistheoretische Gott, der alle ihre unendlich vielen Bestimmungen wirklich aufzufassen vermöchte, würde keine einzige von ihnen vermissen wollen; trotzdem müßte auch er zugeben, daß nicht alle dem Gegenstand in gleicher Weise dienen, daß manche eine Veränderung erleiden könnten, ohne daß dabei der Sinn des Gegenstandes ernstlich in Mitleidenschaft gezogen würde. Dieser Apfel muß zwar in diesem Augenblick hier liegen, daß dieser aber keinen Teil an seinem logischen Sinn hat, ist offenkundig. Dieser Umstand ist für die Struktur des Gegenstandes von großer Wichtigkeit, wenn wir auch vorläufig noch nicht imstande sind, den Grund aufzudecken, auf dem die Verschiedenheit der den einzelnen Bestimmungen zukommenden Bedeutung beruth. Es soll daher auch durchaus keine Erklärung sein, sondern nichts weiter, als eine bloße Definition, wenn wir die unwesentlichen Relationen dadurch kennzeichnen, daß sich durch ihre Veränderung der Sinn des Gegenstandes nicht mit verändert. Es soll dadurch der in unserem Sinne verstandene Terminus der "wesentlichen Relation" von der leicht daran knüpfbaren Deutung geschützt werden, als bedeute er die dem Gegenstand notwendig zukommenden Relationen; streng genommen ist nämlich eben durch die Systematik aller logischen Gegenstände dem einzelnen Gegenstand jede seiner Relationen notwendig, ohne daß aber alle für ihn von gleicher Bedeutung wären. Doch scheint auch diese Umschreibung des Unwesentlichen nicht recht eindeutig zu sein; scheint doch selbst der Sinn des Gegenstandes labil und fließend zu sein. Für diesen Apfel hier ist es unwesentlich, daß ihn ein kleines Kind begehrt, handelt es sich jedoch um denselben Apfel, den das Kind um jeden Preis haben möchte, so steht die Sache schon anders. Das ist dann auch nicht mehr derselbe Gegenstand wie früher, wir haben es jetzt mit einem der ihm untergeordneten quasi-subjektiven Gegenstände zu tun. Dadurch sind wir aber darauf aufmerksam geworden, daß durch die besondere Bezogenheit der quasi-subjektiven Gegenstände auch eine Verschiebung des Wesentlichen stattfindet. Auch das muß an dieser Stelle noch besonders herausgearbeitet werden und dadurch wird sich dann auch das am Anfang unserer Arbeit nicht ganz einwandfrei dargestellte Verhältnis der beiden Gegenstandsschichten noch besser klären. 25. Zu diesem Zweck wollen wir die nun besprochenen Verhältnisse in unsere Darstellung des logischen Gegenstandes als Funktion seiner Relationen einordnen. In der Terminologie dieser Darstellungsweise lassen sich die letzten Ergebnisse so ausdrücken, daß wir den Gegenstand als Funktion seiner wesentlichen Relationen ansehen, während er von den unwesentlichen nicht abhängt. Das bedeutet, daß die wesentlichen Relationen (obwohl sie selbst Funktionen sind und daher selbst Variable haben), als Variable gelten, mit deren Veränderung sich auch der Wert, bzw. Sinn des Funktionsgegenstandes verändert, während die unwesentlichen Bestimmungen als relative Konstanten anzusehen sind, indem nämlich ihre Veränderungen für die Funktion irrelevant sind. Auch diese Beziehungen sind jedoch in das Argument aufzunehmen, auch sie gehören in den Rechnungsansatz hinein. Will man den genauen Ort des Gegenstandes im System bestimmen, so muß man auch sie in Rechnung ziehen; auf den eigentlichen Sinn desselben ist jedoch ihre Veränderung ohne Einfluß, sowie auch die mathematische Funktion durch Hinzufügen eines konstanten Gliedes nicht ihre Bedeutung wechselt. Diese Konstanten sind vor allem jene Beziehungen, die man für gewöhnlich als zufällige zu bezeichnen pflegt, sie sind jedoch nur in Bezug auf den betreffenden Gegenstand zufällig, wobei "zufällig" eigentlich nur eine Umschreibung des Unwesentlichen ist. Wir werden das Wort "zufällig am besten ganz vermeiden, da es einen Beigeschmack von Willkürlichkeit hat, im Gesamtsystem der logischen Gegenstände aber alles begründet sein soll; wo wir seiner doch bedürfen würden, wird sich der weniger belastete Ausdruck "kontingent" besser empfehlen. So ist es für eine Sonnenfinsternis völlig kontingent, ob sie jemand und wer sie beobachtet hat und nur in quasi-subjektiver Bezogenheit, z. B. für die Geschichte der Astronomie kann dies in den Vordergrund treten. Für die quasi-subjektiven Gegenstände ist es gerade charakteristisch, daß jetzt so manche unwesentliche Bestimmung in den Hauptteil des Arguments gelangt; bedeutend wichtiger jedoch ist die entgegengesetzte Verschiebung: der größte Teil der Variabeln wird hier als Konstanten betrachtet. Aus der Fülle der verschiedenartigen Beziehungen hebt sich eine Gruppe heraus, alles übrige tritt in das Dunkel zurück und scheidet dadurch aus der Konkurrenz um die Herrschaft im Gegenstand aus; so ist dann die gesteigerte Wichtigkeit der wenigen zurückbleibenden begreiflich. Psychologisch werden die nebensächlichen Bestimmungen überhaupt nicht mitgedacht, logisch können sie nicht verschwinden, im quasi-subjektiven Gebilde hat sich jedoch der Sinn des Gegenstandes so verschoben, daß er von ihnen nicht mehr abhängig ist. Sie müssen also nun als Konstanten betrachtet werden, ebenso wie das der Mathematiker mit manchen Variabeln tut, wenn er seine Funktion z. B. nur in Bezug auf eine ihrer Variabeln untersuchen will. KANT wäre ohne Kleinhirn nicht das, was wir unter KANT verstehen, sondern eine Mißgeburt, trotzdem denkt niemand, wenn er von KANT spricht, an sein Kleinhirn. Selbiges ist also durchaus nicht irrelevant, wird aber ad hoc [im Moment - wp] als Konstante behandelt, was der Arzt, der vielleicht KANTs Leiche seziert hätte, kaum tun würde. Ebenso wird z. B. auch bei der Winkelsumme des Dreiecks die Voraussetzung der euklidischen Geometrie selten besonders hervorgehoben. In diesem Sinne sind auch unseren früheren Ausführungen über das Verhältnis der quasi-subjektiven und der Begriffsgegenstände zu berichtigen. Denn es hat dort, wo wir zum erstenmal darüber handelten, so scheinen können, als beruhe der Unterschied bloß auf dem kleineren oder größeren Reichtum an Bestimmungen; es schien, als ob man zu den quasi-subjektiven Gegenständen einfach durch Fortlassen einzelner Beziehungen hinabstiege, ja wir glaubten sogar, auf diese Weise jene einfachsten Gegenstände in der quasi-subjektiven Schicht antreffen zu können. Aber in dieser Fassung war es falsch. Denn es läßt sich zwar durch eine quasi-subjektive Wendung ein Gebilde erreichen, das jenen einfachsten Gegenständen an Sinn ziemlich gleichkommt, doch ist es denselben logisch durchaus nicht gleichwertig. In Wahrheit gilt für die quasi-subjektiven Gegenstände nicht ein Weniger an Bestimmungen, sondern nur ein Zurückschieben gewisser Variabeln, ein Zurückschieben, das seine ganz bestimmte logische Bedeutung hat und im übrigen natürlich den im Vordergrund bleibenden Relationen zugute kommt, ohne jedoch die Konsonanten gänzlich zu vernichten. Wir müssen also unsere erste Darstellung in diesem Sinne berichtigen und zu diesem Zweck wird es vorteilhaft sein, nicht nochmals den quasi-subjektiven Gegenstand mit dem ihm übergeordneten zu vergleichen, sondern statt dessen jetzt sein Verhältnis zu dem ihm an Sinn beinahe ganz gleichkommenden Begriffsgegenstand zu untersuchen. 26. Ich sprach damals von meinem Freund, dem Ingenieur. Ich betrachtete ihn dann insbesondere als meinen Freund. Sein Beruf ging damit nicht verloren, er wurde aber in den Hintergrund zurückgeschoben und alle Beziehungen, die damit in Verbindung stehen, wurden als Konsonanten betrachtet. Mein Freund Müller müßte nicht Ingenieur sein, er könnte einen anderen Beruf haben, er brauchte sogar überhaupt keinen Beruf zu haben, all das kommt beim quasi-subjektiven Gegenstand gar nicht in Betracht, er wird nur als Funktion von mir und seinen Beziehungen zu mir behandelt, obwohl ihm, eben durch den höheren Gegenstand, in dessen System er hineingehört, auch jene anderen und noch viel mehr Beziehungen zukommen. Ich könnte nun weiterhin auch die Beziehungen, die zu seinem Namen und schließlich die, die zu seiner speziellen Person führen, als Konstanten betrachten und ihn nicht mehr als diesen meinen Freund Müller, sondern nur als meinen Freund überhaupt betrachten. Und damit, könnte man meinen, seien wir hier zu den ganz allgemeinen Begriffsgegenständen gelangt, es scheint, als habe ich hier den Begriff: "mein Freund" erreicht. Aber eben dies ist jener Irrtum, auf den wir hier aufmerksam machen wollen. "Mein Freund" als Begriff ist ein Gegenstand, der mit mir in bestimmtem Verhältnis steht, für den demzufolge gewisse Lebensmöglichkeiten mit bestimmten Folgen verbunden sind und damit Schluß. Er enthält als Allgemeingegenstand schon die allgemeinen Schemata für die möglichen Spezialisierungen, aber alle jene unzähligen speziellen Relationen, die in den quasi-subjektiven Gegenstand mit hineingehören und die nur als Konstanten betrachtet wurden, durch eine Verschiebung des Wesentlichen jedoch allenfalls wieder als Variable fungieren könnten, sind nicht in ihm enthalten. Einige Formeln können das kürzer und klarer ausdrücken; dabei sollen die lateinischen Buchstaben des Arguments die Variabeln bedeuten, während wir diese letzteren, sobald sie als Konstanten betrachtet werden sollen, mit den entsprechenden griechischen Buchstaben bezeichnen wollen. Danach wäre dann jener übergeordnete Begriffsgegenstand: mein Freund Müller, der Ingenieur blong, wohlhabend, kurz allseitig bestimmt, eine Funktion f (a, b, c, d, e, .... z); der quasi-subjektive Gegenstand, nämlich derselbe, aber nur als "mein Freund" betrachtet, wäre f (a, b, c, δ, ε ..... ω), endlich der Begriff "mein Freund", wäre f (a, b, c). Die speziellen Bestimmungen, die dort in den Hintergrund geschoben sind, fehlen hier ganz. Dadurch erreicht eben der Begriff, besonders wenn er, wie die meisten wissenschaftlichen Begriffe, überdies nur aus wenigen Relationen besteht, seine Deutlichkeit und Bestimmtheit. Eine Bemerkung bleibt noch übrig. Vorher hatten wir von Begriffsgegenständen gesprochen, die doch selbst Konstanten hatten; hätten wir diese nicht als bloße quasi-subjektive Wendungen jener Gegenstände ansehen müssen, für die auch jene Bestimmungen als Variable gelten? Gegen diesen Einwand müssen wir daran erinnern, daß ebenso, wie alle übrigen, auch derjenige Gegenstand, den wir mit dem Namen "Begriffsgegenstand" belegt hatten, selbst ein fließender Gegenstand ist; d. h. daß wir in ihm nichts Starres sehen dürfen, sondern daß er eben seinen Charakter seiner Beziehung zu den übrigen Gegenständen verdankt. Derselbe Gegenstand, der nach oben hin schon als quasi-subjektiv umgeformt erscheint, liefert nach unten zu selbst den "höheren" Begriffsgegenstand. Bloß die Endpunkte sind nur in eine Gruppe einzureihen, diejenigen Gegenstände nämlich, die keine Konstanten haben, sind, sei nun die Zahl ihrer Variabeln groß oder klein, sicherlich nur Begriffsgegenstände und weiterhin können jenen Gegenständen, deren Argument nur eine Variable enthält, ob nun außer ihr noch Konstanten vorkommen oder nicht, keine quasisubjektiven Gegenstände untergeordnet sein. Auch der Begriff "mein Freund" läßt sich (z. B. in einem Urteil) noch weiterhin quasi-subjektiv fassen, indem z. B. die Beziehung zu mir als Konstante betrachtet und nur seine Freundschaft, ohne Ansicht der Person in Rechnung gezogen wird. Jene einfachsten Gegenstände aber vom Typ f(a) sind selbst Begriffsgegenstände und können auch keine quasi-subjektive Umformung erfahren. Darum war es auch damals, zu Beginn des zweiten Kapitels nicht richtig, jene einfachsten Gegenstände als quasi-subjektiv zu verstehen. Wir haben dies seitdem berichtigt. Das heißt, die Gegenstände damals waren eigentlich doch quasi-subjektiv, nur waren sie eben die einfachsten nicht und wir konnten zu letzteren nur durch Vernachlässigung der Konstanten gelangen. Das war aber auf andere Weise auch nicht recht zu erreichen. Denn jene einfachsten Gegenstände sind nicht nur psychologisch unmöglich, sondern auch abstrakt-logisch. Ist doch auch jener einfachste Gegenstand in das Relationsnetz des Gegenstandssystems verwoben und daher mit unzähligen Punkten in Beziehung stehend. Alle seine Beziehungen, mit Ausnahme einer einzigen, werden aber quasi-subjektiv als Konstanten betrachtet. Wirklich einfachste Gegenstände, die tatsächlich nur auf einer einzigen Relation beruhen, gibt es nur für die Logik, als "Idee". Es ist gewiß nicht kindische Freude an logischen Spitzfindigkeiten, die uns zu dieser allzu minutiösen Herausarbeitung Der beiden Gegenstandsschichten gedrängt hat. Nur durch diese Unterscheidung läßt sich gewissen wichtigen Gegenstandsbeziehungen gerecht werden. Daß ein Gegenstand einen "höheren" meint, an seiner Statt steht, ist logisch von hoher Bedeutung und muß sich daher in seiner Struktur äußern. Und welch wichtige Rolle diese Betrachtungsweise in der Theorie des Urteils spielen würde, haben wir schon einmal kurz angedeutet. Für uns ist aber die genaue Kenntnis dieser Verhältnisse an dieser Stelle deshalb von besonderem Nutzen, weil wir uns nun erst an die Lösung des Äquivalenzproblems heranwagen können. Bei der Untersuchung dieses Problems wird sich herausstellen, daß eine Verwischung der herausgearbeiteten Grenzen auch jede Klarlegung der Äquivalenz unmöglich machen würde würde, daß dieselbe dadurch zu einer gänzlich unverständlichen Relation gestempelt würde; ja, wir werden sogar auf diesem Weg eine dritte Gegenstandsschicht aufdecken, der wir dann im logischen System die führende Rolle zuerkennen müssen. 27. Bevor wir uns jedoch diesen Untersuchungen zuwenden, müssen wir erst in Bezug auf die uns schon bekannten logischen Gegenstände überhaupt eine bisher nicht berührte Frage behandeln, nämlich: welche Rolle den der Relationstheorie wohlbekannten negativen Relationen im Argument der logischen Gegenstände zukommt, inwiefern sie als Variable den Gegenstand bestimmen oder aber als Konsonanten ohne entscheidenden Wert für ihn sind. Die negative Relation ist nicht mit der Negation der Relation identisch. Letztere ist eine Beurteilung der Relation, in welcher demnach diese selbst wieder als Relationsglied fungiert. Sie leugnet die Gültigkeit der Relation und läßt es für ihren Teil ganz unentschieden, ob die Relata durch eine andere Relation verknüpft sind oder aber durch gar keine, d. h. völlig isoliert und unbehiehbar sind. Genau genommen, ist das ja natürlich unmöglich, indem "unbeziehbar" ja eben schon selbst eine Relation zwischen den Relatis ist, aber dieser Einwand enthält eben schon die Voraussetzng, daß es auch selbständige negative Relationen gibt. Daß jede negative Relation den Grund zur Negation der entsprechenden positiven abgibt, tut auch nichts zur Sache; ebenso gibt jeder positive Stoff zur Negation der entsprechenden negativen Relation und aller mit ihr selbst unvereinbaren positiven Beziehungen. So ist also die negative Relation nicht bloß als Destruktion einer anderen anzusehen, sondern ist selbst eine Verknüpfung ihrer Glieder, eine besondere Relation. Dies folgt eigentlich schon aus der Einheit des Gegenstandssystems, dieselbe erlaubt keine isolierten Gegenstände, jeder Gegenstand muß mit allen übrigen in Beziehung stehen; und wenn diese Beziehung nichts weiter ist, als die Getrenntheit, so ist auch durch diese Getrenntheit die Verbindung hergestellt und damit für den betreffenden Gegenstand wenigsten die logische Denkmöglichkeit gegeben. Auf solche Art erhält z. B. auch das Absolute seine Stelle im Gegenstandssystem. Das Absolute soll ja zu nichts in Beziehung stehen; streng genommen wäre es denn auch undenkbar, da denken beziehen heißt. Tatsächlich ist es auch nur "Idee", aber diese Idee kann eben nur dadurch selbst zum Gegenstand werden, daß das Absolute in das Gegenstandssystem einbezogen wird und zwar durch die Relation, daß es nicht in Relation steht. Durch dieses Beispiel ist nun auch schon die Frage, ob die negativen Relationen für den Gegenstand wesentlich sein können, im positiven Sinn entscheiden. Vorläufig freilich erst für Gegenstände, die man selbst negative Gegenstände nennen könnte. Das Absolute, der Nichteuropäer, das Vakuum sind passende Beispiele für dieselben, doch gehört vor allem die große Masse der negativen Urteilsgehalte hierher, die ja doch auch logische Gegenstände sind. Dasselbe ist jedoch auch für manche positiven Gegenstände unbestreitbar, die ihren vollen Sinn streng genommen nur durch die Unterscheidung von ihrem Gegensatz erhalten. So ist "verschieden" zwar ein durchaus positiver Relationsgegenstand, erhält aber doch einen entschiedenen Oberton durch seine Beziehung zu gleich; so ist das andere nicht das eine, das Ganze steht in Beziehung zu mindestens hypothetischen Teilen, das Chaos zur möglichen Ordnung. Schon der Nichteuropäer war eigentlich ein positives Beispiel, indem er doch eine bestimmt begrenzte Gruppe von Menschen bedeuten soll. Es darf aber nicht unbeachtet gelassen werden, daß zuweilen die negative Relation selbst bloß eine verkappte positive ist und nur in negativer Form eingekleidet erscheint. Das nunmehr schon zum Schulbeispiel gewordene "Land ohne Berge" ist bloß ein ebenes Land. (1) Daß jedoch auch hier die negative und die positive Form nicht gleichwertig sind, daß durchaus nicht etwa bloß ein Unterschied in der sprachlichen Erscheinung vorliegt, darauf braucht wohl nach den vorausgegangenen Erörterungen nur mehr kurz hingewiesen zu werden. Ein Land ohne Berge ist wohl ein ebenes Land, aber in Bezug auf den Gegenstand "Berg" betrachtet, also doch ein besonderer quasi-subjektiver Gegenstand. Alle Vor- und Nachteile, die einer solchen quasi-subjektiven Betonung eigen sind, bestehen auch für diese negative Wendung und die besondere Rolle des qasi-subjektiven Gegenstanes im Urteil erhält hier noch ihre eigene Bedeutung für die Lehre vom negativen Urteil. Schließlich wird man übrigens auch für die Ebene, ebenso wie früher für das Chaos und die Verschiedenheit, zugeben müssen, daß es für sie wesentlich ist, keine Berge zu haben. Damit soll jedoch keineswegs behauptet werden, daß die negativen Bestimmungen immer wesentlich sind. Im Gegenteil, das ist nur für eine kleine Minderheit richtig. Nicht nur, daß durchaus kein Grund vorliegt, warum den negativen Relationen größere logische Dignität zukommen sollte als den positiven; wir werden im Gegenteil leicht einsehen, daß die meisten von ihnen recht unwichtig, ja geradezu trivial sind, wenn wir bedenken, daß jede positive Relation von mehreren, eigentlich sogar von unzähligen negativen Relationen begleitet wird. Was immer von einem Gegenstand richtig ist, folgt daraus, daß alles damit Widersprechende falsch ist. Kenne ich einen Gegenstand innerhalb einer Reihe und seine Nachbarglieder, so weiß ich, daß er zu allen übrigen Reihengliedern nicht in Nachbarschaft steht. Alle diese negativen Relationen mögen allenfalls trivial und uninteressant sein, der Umstand jedoch, daß sie aus den entsprechenden positiven auszurechnen sind, ist nicht ohne jegliche Bedeutung. Wir sind hier wieder auf jene Beziehungen gestoßen, die zwischen den Relationen selbst bestehen und durch die eigentlich erst das System konstituiert wird. Nur wo ein solcher Systemzusammenhang besteht und sei er noch so primitiv, nur dort ist ein Berechnen der einen Relation aus der anderen möglich; daraus, daß mein Freund Müller blond ist, weiß niemand, daß er Referendar ist. Wo jedoch ein solches System vorliegt, da lassen sich auch positive Relationen berechnen und so haben die negativen Relationen auch hier nichts völlig Fremdartiges zutage gefördert, bloße daß dabei ihnen ihre Abhängigkeit von anderen Relationen ganz besonders in die Augen sprang. Es ist also die Kenntnis der all den Relationen übergeordneten, höheren Relationen, in letzter Linie die Kenntnis des im betreffenden System herrschenden, dasselbe eigentlich konstituierenden Gesetzes, die das Umrechnen der Relationen ermöglicht. Und so sind die für die negatigen Relationen besprochenen Verhältnisse nur eine Folge von alldem, was wir über die im System stehenden Gegenstände im folgenden noch sagen wollen. Wir haben es hier, um einmal vorzugreifen, nur mit einem speziellen Fall von Gegenstandsäquivalenz zu tun, die ja auch nur aus der Tatsache des Systems verständlich wird. Diese Äquivalenz auf ihre logische Bedeutung hin zu untersuchen und auf diese Weise in die Struktur des Systems einzudringen, soll denn auch nun unser nächster Schritt anstreben.
1) Noch extremer träte der positive Sinn des negativ bestimmten Gegenstandes in der Fassung: "Land ohne Unebenheiten" zutage. |