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Skizze einer Willenstheorie
Einleitung Der Trieb erscheint uns als die Ursache bestimmter Handlungen, der Geschlechtstrieb als Ursache der Begattung, der Ernährungstrieb als Ursache des Aufsuches und Aneignens der Nahrung. Umd diese Vorstellung zur prüfen, mache man sich zunächst klar, daß z. B. die Aufnahme der Nahrung, ja selbst die Nahrungssuche, auf die der Trieb führen soll, stattfinden können und auf niederen Stufen tatsächlich stattfinden, ohne daß der psychische Vorgang des Triebes dabei vorausgesetzt werden darf, z. B. bei der Ernährung des Embryos, bei Meerestieren, denen die Nahrung zufließt, bei der Atmung, die doch auch als eine Ernährung anzusehen ist und erst, wenn sie einmal behindert ist, als Trieb bewußt wird. Wenn zur physischen Erhaltung eines Wesens Ernährung nötig ist, so sorgt die natürliche Zweckmäßigkeit, die allenthalben die Bedürfnisse und Funktionen der Organe in Übereinstimmung gebracht hat, schon dafür, daß das Aufsuchen und Aufnehmen der Nahrung stattfindet. Bei gewissen niederen Meerestieren, z. B. den Radiolarien, geht die Körpermasse abwechselnd in eine Anzahl von Fäden auseinander, die sich hin- und herbewegen. Kommt nun zufällig ein verdaulicher Stoff in Berührung mit diesen, so umschließen sie ihn sofort, wie durch einen präzise wirkenden Mechanismus, und ziehen ihn in sich ein. Die kausale Reihe, die von einem Mangelzustand des Protoplasmas zu dieser Assimilierung der Nahrung führt, ist wenigstens in den Anfangsstadien der Entwicklung offenbar eine rein physische; das Schlußglied wird vom Anfangsglied aus durch eine so unabwendbare, organische Notwendigkeit herbeigeführt, daß ich nicht sehe, weshalb man noch die psychische Vermittlung eines empfundenen "Triebes" in sie einzusetzen braucht. Gerade aus der oft unglaublichen Feinheit und Komplikation der Maßregeln zum Ergreifen der Nahrung, die wir schon bei ganz tiefstehenden Wesen antreffen, scheint mir zu folgen, daß sie nicht aus psychischen Ursachen entspringen, sondern aus derselben physiologischen Zweckmäßigkeit, die auch die höchst zusammengesetzten Mechanismen der Verdauung und der Atmung zustande gebracht hat. Der Hungerzustand - gar nicht einmal das Hungergefühl - könnte rein reflektorisch jene Bewegungen veranlaßt haben, die bei den niederen Tieren auf den Nahrungserwerb ausgehen, wie der Körper ja unzählige Male auf seine - empfundenen oder unempfundenen - Zustände hin die unter diesen Umständen zweckmäßigsten Bewegungen vollzieht, ohne daß wir noch einen besonderen, auf diese gerichteten "Trieb" dazwischenschieben. An die gegebene physiologische Beschaffenheit knüpft sich die Bewegung zur Erlangung dessen, was den Körper wieder restituiert, wie sich am Sauerstoffmangel im Blut die Atembewegung heftet, während weder der Ausgangspunkt noch der Fortgang des Prozesses eines Bewußtseins bedürfen. An diesem Punkt kreuzen sich mehrere erkenntnistheoretische und psychologische Interessen. Zunächst spielt das allgemeine, durch die Entdeckung der Erhaltung der Energie so sehr erschwerte Problem hinein: ob überhaupt psychische Vorgänge die zureichende Ursache von körperlichen Vorgängen sein können. Diese Frage, die das Fundament aller Willenstheorien affiziert, richtet sich zunächst gegen den Trieb, und zwar umso ernster, als naturalistische und deshalb mit dem Anspruch einer besonderen Exaktheit auftretende Anschauungsweisen gerade in der Zurückführung des Handelns auf "Triebe" exzellieren [glänzen - wp]. Es ist ferner zu fragen, ob der Begriff des Triebes, ganz abgesehen von dieser psychophysischen Schwierigkeit, ein in sich haltbarer ist, d. h. ob eine bestimmte Phänomenengruppe wirklich nur mit Hilfe dieses Begriffs zu klassifizieren oder zu verstehen ist. Schließlich, wenn es sich zeigen sollte, daß man denselben überhaupt aussparen kann, ist zu fragen, welches denn die realen psychologischen Vorgänge sind, die man, in der irrigen Meinung, damit etwas zu erklären, unter ihn zusammenzufassen pflegt. Übergehen wir zunächst das erstgenannte Problem und fragen nur, was denn damit gewonnen ist, wenn ich die Bewegung eines Tieres auf seine Beute zu als Erfolg des Nahrungstriebes bezeichne? Nicht mehr, als wenn überhaupt eine Bewegung durch die Setzung einer auf sie gerichteten Kraft für erklärt gelten soll! Gegeben ist in Wirklichkeit ein Gefühl und eine Handlung. Das erstere, rein als psychische Tatsächlichkeit betrachtet, ist ein immanenter Zustand, eine in sich geschlossene Einheit. Wenn es dennoch über sich hinauszuweisen scheint, wenn der Trieb sozusagen nicht bloße Gegenwart ist, wie das Gefühl doch sonst, so ist die Zukunftsbeziehung, die über das Gefühl als aktuellen Bewußtseinsinhalt noch hinausgeht, nur ein zu diesem letzteren durch ein reflektierendes Bewußtsein hinzugesetzter Bestandteil; gerade dieser aber ist es, der als Ursache die nachfolgende Bewegung erklären soll. Der entscheidende Punkt liegt in der Beseitigung des teleologischen Moments im Trieb: darin, daß in die einfache Kausalkette zwischen einem Mangelzustand und den Abhilfsbewegungen nicht noch ein Glied hineininterpretiert wird, das die letzteren schon in irgendeiner Form antizipierend in sich enthält. Es wird damit, von der Seite der Ursache gesehen, in feinerer Form derselbe Fehler begangen, wie wenn man ein einem Samenkorn außer der bestimmten Qualifikation und Lagerung seiner Moleküle noch einen "Trieb" zum Wachsen, oder in den Materiemassen einen "Trieb", sich einander zu nähern, erblicken wollte; von der Seite der Folge dasselbe, wie wenn man das Sprechen durch einen besonderen Sprachtrieb, die Wegfindung der Wandervögel durch einen Orientierungssinn oder das logische Denken durch die Kraft der Vernunft erklärt glaubt. Gewiß geht sehr vielen Aktionen ein gewisses Gefühl voran; daß dieses Gefühl aber außer seinem konkreten Bewußtseinsinhalt noch eine Art speziellen Hinweises auf die darauf folgende Tat enthalten soll, daß über seine bloß kausale Entwicklung, durch die es sich prinzipiell von keiner anderen psychologischen Konstellation unterscheidet, noch eine teleologische bestehen soll, daß, mit einem Wort, in den "Trieb" genannten Gefühlen die Zukunft noch in anderer Weise liegt, wie überhaupt in jedem gegebenen Moment einer Kausalreihe ihre Zukunft liegt, - das ist ein Rest jener populären Metaphysik, die, aus Anthropomorphismus und naivem Kausalbedürfnis hervorgegangen, vom Sprachgebrauch her der Wissenschaft vererbt ist. Der Ernährungstrieb drückt nur die Tatsache aus, daß wir uns ernähren und die dazu erforderlichen Handlungen vornehmen, und daß dies doch wohl eine Ursache haben muß; was diese Ursache aber ist, wird dadurch, daß wir einen ad hoc angenommenen Trieb davorsetzen und mit den tatsächlich vorhergehenden Gefühlszuständen für identisch erklären, noch in keiner Weise erkannt. Wichtiger aber als diese Überlegung, nach der der "Trieb" methodologisch auf derselben Stufe steht, wie die "Seelenvermögen", ist die Frage, was denn nun der mit ihm bezeichnete psychologische Zustand ist, und worin sein empirisch unleugbarer Zusammenhang mit den nach ihm eintretenden Aktionen besteht. Ich glaube - wenngleich diese Ansicht zunächst als absolute Paradoxie erscheinen muß -, daß der sogenannte "Trieb" überhaupt nicht der Handlung vorausgeht, sondern die Bewußtseinsseite oder -folge der schon beginnenden Handlung ist. Die äußerlich erscheinenden Handlung allerdings tritt erst nach dem Trieb ein; allein sie selbst ist erst die Folge tiefer gelegener Innervationsvorgänge [Nervenimpulse - wp]) und beginnt mit Ansätzen, die nicht selbst schon sichtbar sind, wohl aber schon psychische Reflexe auslösen können. Wenn wir uns zu einer Handlung getrieben fühlen, so haben offenbar die Innervationen, welche zu ihr führen, schon begonnen und das Gefühl des Getriebenwerdens ist die Bewußtseinsfolge oder psychische Begleiterscheinung der allmählich frei werdenden, nach dieser Seite hin gehenden Spannkräfte. Die Empfindung der Passivität, des Affiziert werdens, die wir dem Trieb gegenüber haben, gibt eine Anweisung darauf, daß er uns sozusagen schon eine Tatsache mitteilt. Ich habe an einem anderen Ort (Einleitung in die Moralwissenschaft, Bd. 1, Seite 247 - 249) aus Tatsachen des unmittelbaren Bewußtseins deduziert, daß zwischen dem Trieb und der Tat keine scharfe Grenze existiert, daß beides Stationen ein und derselben Entwicklung sind. Gerade die letzte Vornahme und das wirkliche Tun, so hatte ich dort gesagt, erfolgt oft gewissermaßen mechanisch, - als ein nicht mehr aufzuhaltendes Weiterrollen der einmal entfesselten inneren Bewegung, die das Bewußtsein mehr mitansieht und über sich ergehen läßt, als daß es sich jetzt noch als die bewegende Kraft fühlte. Dies ist der bloß psychologisch-ethische Tatbestand; er wird aber erst dadurch verständlich, daß der Trieb, als Bewußtseinsinhalt, die Empfindungsseite der beginnenden Handlung ist, der Bewußtseinsreflex der schon stattfindenden Innervation zu derselben. Wenn der Trieb schon für einen Teil der Tat gilt - wie JESUS das Begehren nach des Nächsten Weib als Ehebruch bezeichnet -, so ist dies der ganz richtige Ausdruck dafür, daß er wirlich das seelische Zeichen für den Beginn derselben ist, unbeschadet dessen, daß ihre Fortsetzung bis zur konstatierbaren Realisierung hier, wie bei allen anderen Entwicklungsreihen, unzählige Male durch gegenwirkende Kräfte verhindert sein kann. Wenn man zwischen Mangelzustand und Abhilfsbewegung noch den Trieb als vermittelnde Kraft eingeschoben hat, so liegt dieser falschen Hypostase [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] doch das richtige Gefühl zugrunde, daß der Beginn der motorischen Vorgänge vo r ihrer ersten Sichtbarkeit liegt, und daß ihre reale Ursache dieser unmittelbar vorhergehende Innervationszustand ist, dessen psychisches Signal dann das Triebgefühl bildet. Ganz ebenso liegt es bei den repulsiven Trieben des Abscheus und der Abwehr. Diese kommen so zustande, daß irgenein Eindruck das Tier trifft, ,dem sich weiter auszusetzen demselben verderblich wäre. Die organische Zweckmäßigkeit wird also solche Eindrücke mit Fluchtbewegungen assoziiert haben, und der Fluchttrieb ist nichts anderes, als das Gefühl des Beginns dieser Bewegung - gerade wie der Geschlechtstrieb nichts anderes ist, als das Gefühl derjenigen Reizung vasomotorischer Nerven, die den wirklichen Geschlechtsakt einleiten. Weil der Trieb nicht vor der Handlung überhaupt liegt, sondern das Gefühl ihres Beginns ist, darum wird er auch ganz besonders stark bewußt, wenn der Weg zu einem definitiven Ziel ein längerer ist, also bei eintretenden Hindernissen des Tuns, während er ebenso begreiflich erlischt, wenn die Handlung dauernd behindert und unterdrückt wird - denn dies zerstört schließlich den Mechanismus, der sonst von dem bestimmten Zustand aus die Innervation zur Abhilfsbewegung bewirkt, und mit ihm natürlich auch seine psychische Abspiegelung; darum kommt auch "der Appetit beim Essen", darum bilden sich Triebe zu Dingen, die wir oft tun - weil diese eben gleichsam von selbst ihre Verwirklichung beginnen, auf die leiseste Anregung hin wenigstens die Anfangsglieder derselben abrollen lassen und diese als Trieb zur Handlung empfunden werden. Darum knüpft sich auch an den Trieb schon ein Teil der Lust, die die schließliche Handlung begleitet - nicht aus dem Trieb, der selbst nur ein Gefühlszustand ist, entsteht sie, aber sie ist mit ihm gleichzeitig, weil der Trieb selbst schon aus einem Teil der Handlung hervorgeht, der pro rata [anteilig - wp] an der Gesamthandlung entsprechenden Lust partizipiert. Und weil es eben nur der Ansatz der Handlung ist, der dem Trieb entspricht, darum empfinden wir diesen meistens als etwas Unbestimmtes, Allgemeines, dessen spezielle Richtung auf diesen oder jenen Gegenstand sich erst im Laufe seiner Entwicklung näher bestimmt, und der seine Befriedigung auch an sehr verschiedenen Gegenständen finden kann - denn der Beginn der Handlung, die erste Innervation, ist selbst noch unbestimmt, keimhaft und läßt einer Mannigfaltigkeit möglicher Richtungen und Bestimmungen Raum. Wenn nun selbst gegenüber denjenigen Vorgängen, die der Erscheinung nach ein unmittelbares Umsetzen des Triebgefühls in Handlung zeigen, meine Vermutung plausibel klänge, die jenes Gefühl als den Bewußtseinsreflex des noch nicht sichtbaren inneren Stadiums der Handlung deutet - so scheint der eigentliche "Wille" in eine ganz andere Kategorie zu gehören. Denn ihn charakterisiert gerade das Fehlen jener Unmittelbarkeit zwischen psychischem Impuls und psychischer Handlung, infolgederen man beim Trieb allerdings den einen direkt als den psychisch gespiegelten Anfang der anderen ansprechen konnte: unzähliges wollen wir, was wir doch nicht tun; anderes, was wir wollen tun wir zwar, aber doch nicht in unmittelbarer Fortsetzung dieses Willens, sondern nach langem Aufschub; entgegengesetzte Wollungen treten zu gleicher Zeit und oft mit gleicher Kraft in uns auf, deren ebenso gleichzeitige Realisierungen gerade physisch unmöglich wären; schließlich - was schon gegen die obige Trieblehre gilt - tun wir vieles, was oft Willensvorsatz ist, unter Umständen auch völlig mechanisch, ohne irgendein vorhergehendes Bewußtsein, und es wäre unverständlich, wieso die physisch ganz gleiche Handlung einmal mit, einmal ohne Willen abläuft, wenn dieser wirklich nichts anderes wäre, als die Bewußtseinsseite eines Teils dieser Handlung. Alle diese Bedenken gegen die Möglichkeit, unter dem Willen zu einer Handlung die als Gefühl zurückschlagende Innervation zu dieser Handlung zu verstehen, erleichtern sich, sobald man den reinen, wirklichen Begriff des Willens von jenen anderen psychischen Vorgängen scheidet, die nur willensartig gefärbt sind. Jene Vorstellung, daß man Dinge wollen kann, die man doch nicht tut, ist gerade vom Standpunkt der hergebrachten Psychologie, die im Wollen eine spezifische Energie der Psyche sieht, nicht haltbar. Denn angenommen, ich wollte jetzt eine bestimmte Aktion, nähme sie aber doch nicht vor, so würde in anderen Fällen, wo ich sie tatsächlich vornehme, noch eine weitere Kraft erforderlich sein, die erst zum Wollen hinzuträte, um es in die Handlung überzuführen - eine Kraft, die eben nicht Wollen wäre, weil dieses sich ja, der Voraussetzung nach, schon vorher vollkommen entfaltet hatte. Die Verselbständigung des Willens gegenüber der Realisierungshandlung macht gerade denjenigen Zweck illusorisch, um dessentwillen man den Willen zu einer besonderen psychischen Kraft gemacht hatte, nämlich an ihm eine zureichende Ursache des Handelns zu gewinnen. Denn, wenn bei vorhandenem Willen die Handlung bald eintreten, bald nicht eintreten kann, so folgt, daß nicht er, sondern irgendeine andere Potenz die eigentliche Ursache des Handelns ist. Soll der Wille überhaupt die Ursache des Handelns sein, so muß auch die ausnahmslose Unmittelbarkeit des allgemeinen Verhältnisses zwischen Ursache und Wirkung zwischen ihnen bestehen. Dagegen ist natürlich kein Einwand, daß wir vieles, das wir wollen, doch erst nach langer Zeit realisieren. Dann bezieht sich eben der jetzige, d. h. wirkliche Willensakt nicht auf jene Handlung, sondern auf das Aufschieben oder auf das Vorbereiten derselben, und sie selbst taucht auch nicht unter der Kategorie des unmittelbaren Wollens, sondern nur des Wunsches oder der Möglichkeit auf. Dasjenige hingegen, was ich nicht nur wünsche, ersehne, hoffe, vorbereite, sondern was ich tun will, das tue ich auch unmittelbar, weil ich sonst ja eben nicht dies, sondern etwas anderes gewollt hätte. Die Zeitdifferenz zwischen dem Willen und der Aktion, die seinen Inhalt bildet, besteht also nur durch ungenaue Begriffe und würde kein Hindernis ausmachen, den Willen als das Gefühl zu definieren, das den Beginn der - irgendwie, aber jedenfalls nicht durch den Willen veranlaßten - Handlung begleitet. Nimmt man dies an, so bieten auch die sonstigen scheinbaren Zusammenhanglosigkeiten zwischen Wollen und Handeln keine erheblichen Schwierigkeiten. Jener physische Vorgang, der, in seinen frühesten Stadien als Willensgefühl zurückschlagend, sich in die Aktion fortsetzt, braucht nicht immer so weit fortzuschreiten. Er kann, gerade wie jede andere physische Bewegung, auf jener ersten Stufe Halt machen, sei es, weil die in ihm enthaltene Energie von vornherein nicht weiter reichte, sei es, weil ihm Hindernisse und Ableitungen begegnen, die er nicht überwinden kann. Der Anfang aber ist uns inzwischen als Wille zu Bewußtsein gekommen. Ebenso verständlich sind jene gleichzeitigen und verschieden gerichteten Wollungen, deren Existenz in uns - trotz aller vorgeblichen "Einheit des Willens" - ebenso unzweifelhaft ist, wie die Unmöglichkeit ihrer gleichzeitigen Ausführung. Dies ist genau nach Analogie des Vorgangs in einem physischen System zu denken, in dem zwei gleichzeitige Bewegungen an verschiedenen Stellen derart entstehen, daß sie bei gleich gerichteter ununterbrochener Fortsetzung sich begegnen und gegenseitig paralysieren müßten, bzw. jede Fortsetzung der einen über einen gewissen Punkt hinaus nur unter der Voraussetzung finden kann, daß die andere irgendwie abgelenkt und aufgehoben wird. Denkt man sich nun den Willen als das psychische Korrelat des Anfangsstadiums der Handlung, so ist es durchaus widerspruchslos, daß zwei derartige Anfänge, also auch zwei Willensakte, unabhängig voneinander eintreten, deren Fortsetzungen in die Aktion bis zum Augenblick der äußeren Sichtbarkeit hin doch als gleichzeitige unmöglich wären. Und schließlich ist auch die umgekehrte Erscheinung: die mechanische Vornahme einer Handlung ohne irgendeinen bewußten Willen, aber ohne irgendeinen wahrnehmbaren Unterschied gegen dieselbe, wenn sie unter Mitwirkung des Willens vollbracht wird - auch diese ist mit der vorgeschlagenen Deutung des Willens vereinbar, wenn man bedenkt, daß die Erregung des Gefühls durch den Innervationsakt doch noch von anderen hinzutretenden oder vorgefundenen Bedingungen mit abhängig ist. Die Gesamtbedingungen für das Entstehen eines Bewußtseins sind jedenfalls keine stetigen Funktionen jenes Innervationsvorganges; sie können bei seinem Ablauf vorhanden oder partiell abwesend sein und so den der äußeren Aktion vorhergehenden bewußten Willen bald ermöglichen, bald ausschließen. Daß diese Bewußtheit des Willens insbesondere bei neuen Bewegungen auftritt und sich im Maß ihrer Wiederholung und Gewohnheit verliert, kann man sich auch durch die Tatsache näher bringen, daß jede ungewohnte Bewegung einen ganzen Komplex eigentlich nicht dazugehöriger Mitbewegungen mit sich zu tragen pflegt; bei jeder noch nicht gewohnten Bewegung eines Fingers pflegt sich die ganze Hand, einer Hand der ganze Arm, ja, bei allgemeiner Ungeschicklichkeit oft der ganze Körper mitzubewegen, und erst die Wiederholung der Bewegung schaltet jene assoziativ miterregten Begleitaktionen durch eine feinere Differenzierung aus. Es ist deshalb wahrscheinlich, daß jener weit um sich greifende Komplex von Bewegungen das bewußte Innervationsgefühl, d. h. den Willen, eher und kräftiger erregen wird, als die später übrig bleibende, zirkumskripte [scharf abgegrenzte - wp] Bewegung für sich allein es vermag. Übrigens ist gerade diese Mechanisierung der ursprünglich willensmäßigen Handlungen ein Argument zugunsten der hier vorgetragenen Theorie, die den Willen in ein bloßes psychisches Mitklingen mit der in sich geschlossenen, in das Handeln mündende physischen Reihe verlegt. Diese Reihe muß auch bei rein mechanisch gewordenem Tun vollständig sein, denn sonst, d. h. beim Fehlen eines Gliedes der Kausalkette, würde es zu ihrem Endeffekt, der Handlung nicht kommen können. Folglich wird dasjenige, was fortgefallen ist, nämlich der Wille, kein Kausalmoment für die Handlung selbst gewesen sein. Es ist nur das Spiegelbild eines solchen, durch welches dieses sich dem Bewußtsein kundgab und das deshalb für das Bewußtsein an die betreffende Stelle der Kausalkette eintrat. Diese Vorstellung vom Wesen des Willens könnte nur für die primären Fälle einer einfachen Folge von Wille und Handlung eine unmittelbare Anschaulichkeit beanspruchen. Nur in diesen, wo eine Kette physischer Wirkungen von einem zurückliegenden Anfangsglied bis zur vollendeten Handlung läuft, scheint man, indem man die Handlung eben schon mit jener ersten Innervation beginnen läßt, ohne allzugroße Paradoxie sagen zu können, daß in der Anschauung zwar das Handeln dem Wollen, in Wirklichkeit aber das Wollen dem Handeln folgt. Schwieriger aber erscheint dies in der Anwendung auf dasjenige Wollen, das, obgleich es alle inneren Merkmale desselben trägt, dennoch nicht ein Tun-Wollen ist: wenn also jemand z. B. reich werden will, ohne im Augenblick dieses Bewußtseins schon irgendeine bestimmte Aktion zu beabsichtigen. Ein solches Wollen kann das äußerste Maß an Stärke und Leidenschaft erreichen, ohne daß dabei immer eine Handlung auftaucht, als deren Anfangsstadieum es zu deuten wäre. Dies fällt nicht unter den vorhin zurückgewiesenen Einwurf bezüglich aufgeschobener Handlungen; denn in diesem Fall handelte es sich nur um eine ungenaue Ausdrucksweise: es wurde tatsächlich gewollt und unmittelbar gehandelt, nur daß man das Wollen, da sein momentaner Inhalt als bloßes Mittel keine Interesse beanspruchte, auf das Endglied der Reihe bezog, das genau genommen, eben jetzt noch nicht gewollt wurde, so daß die scheinbare Trennung des Wollens vom Handeln tatsächlich gar nicht vorlag. Hier ist vielmehr die Frage: lassen sich jene Seelenvorgänge, die keinem realisierenden Handeln direkt vorangehen, aber zweifellos einen willensartigen Charakter tragen, mit der Vorstellung vom Wollen vereinigen, die dieses als das Gefühl des Beginns der Handlung verstehen will? Denn wenn ich auch vorhin das Wünschen und Ersehnen vom Wollen unterschied, um zunächst einmal den fundamentalen Begriff desselben klarzustellen, so entbindet diese begriffstechnische Scheidung nicht von der Verpflichtung zu erklären, worin denn die zweifellose psychologische Verwandtschaft dieser begrifflich getrennten Erscheinungen besteht. Zwei Beobachtungen scheinen mir die Brücke zwischen dem vorhin aufgestellten Willensbegriff und diesen Wollungen ohne jegliche direkte Aktion zu schlagen. Zuerst, daß die letzteren auf den unteren Stufen der geistigen Entwicklung überhaupt nicht vorkommen, auf diesen vielmehr - beim Kind, in relativem Maß auch beim tiefstehenden Menschen - jedem als willensartig zu bezeichnenden Vorgang auch sofort eine Handlung folgt: das Kind kann nichts verlangen, ohne die Hand danach auszustrekcne, also zugleich das Ergreifen einzuleiten; je weiter wir in der Reihe der Willenserscheinungen zurückgehen, desto unmittelbarer, schließlich gar nicht mehr zeitlich trennbar, schließt sich Wollen und Handeln aneinander. Zweitens, daß auch auf höheren Stufen, wo der Wille sich von der Unmittelbarkeit der Aktion emanzipiert und zum Wunsch, zu tatlosem Begehren, entferntester Zielsetzung sublimiert hat, sich dies nicht auf einzelne, konkrete Ziele zu beziehen pflegt, die überhaupt mit einer einzelnen Handlung zu erreichen wären, sondern auf allgemeinere oder vielseitige Zustände, Objekte, Begriffe. Aus diesen Tatsachen scheint mir hervorzugehen, daß das Wollen, das nicht zugleich ein Handeln ist, überhaupt ein sekundäres und zusammengesetztes psychologisches Gebilde ist, daß es gar keine elementare Funktion darstellt, sondern durch eine Synthese einfacherer, tiefer liegender Vorgänge erklärt werden muß. Ist dies aber der Fall, so sehe ich kein Hindernis, den Willenston solcher, im engeren Sinne unpraktischer Vorstellungen in mitschwebenden Innervationsempfindungen bestehen zu lassen. Es läßt sich wohl denken, daß vielgliedrige Vorstellungen, - d. h. entweder abstrakte oder weit in die Zukunft hinein projizierte, deren Stadien oder Vorbedingungen mit ihr mitklingen, - eine große Anzahl von Innervationen der oben beschriebenen Art mit sich bringen, deren keine zur Aktion gelangt, die aber zusammen ein großes Quantum von Willensgefühl auslösen. Ist gerade durch unsere Anfügung des Willens an den Aktionsprozeß selbst die Möglichkeit gegeben, das Vorkommen eines echten Willens ohne folgende Handlung zu verstehen, so sind nun auch jene Erscheinungen des Sehnens, Verlangens, Wünschens in ihrer Verwandtschaft mit dem Wollen durchsichtig, sobald man sich nur den komplexen Charakter ihrer Inhalte gegenüber den einfachen des direkten Wollens klar macht. Vermöge desselben vereinigen sie die Nicht-Aktivität - die aus der ihrer einzelnen Momente für sich hervorgeht - mit der Möglichkeit eines sehr leidenschaftlichen Wollensgefühls - das sich aus der Summe des Wollens jener zusammensetzt. Auch die Erscheinungen der pathologischen Willenlosigkeit, der Abulie, widersprechen dieser Auffassung des Willens nicht. Es werden Fälle berichtet, in denen bei völliger Gesundheit des Empfindungs- und Denkvermögens und völliger Abwesenheit konstatierbarer physischer Störungen dem Patienten die Willensfähigkeit abhanden gekommen ist; er kann sich nicht entschließen, die einfachsten Handlungen vorzunehmen, z. B. sich umzukleiden oder die Treppe hinunterzugehen, obgleich er es zu tun wünscht und über seine Schwäche in Verzweiflung gerät. Die Abulie besteht möglicherweise aus einer Lähmung derjenigen Hirnpartien, von welchen die Innervationen zu den betreffenden Handlungen ausgehen. Es kann deshalb weder zu einer Handlung noch zu einem Willen zu ihr kommen, der nach unserer Theorie ja nur das Gefühl der jetzt eben fehlenden Innervation ist; die Vorstellung, daß die Handlung nicht geschieht, weil der Wille dazu fehlt, entsteht daraus, daß der Wille tatsächlich das psychische Signal der realen Vorbedingung der sichtbaren Handlung ist. Wenn neben dieser Willenlosigkeit dennoch ein Wunsch, gleichsam der kraftlose Schemen des Willens auftritt, so mag dies daher kommen, daß jener Gehirnprozeß, dessen Gefühlsseite den Willen bedeutet, nicht in seinem ganzen Verlauf gelähmt ist; irgendein Teilchen seiner Kraft mag durch die physische Anregung, die ihn normalerweise ganz und gar entfesseln würde, in Funktion kommen und so das ihm entsprechende Willensgefühl erzeugen, dem freilich ebensoviel daran fehlt, der ganze Wille zur Tat zu sein, wie seinem physiologischen Substrat daran fehlt, die ganze Innervation zu derselben zu sein. Wenn nun berichtet wird, daß durch eine besondere Willensanstrengung und Lebhaftigkeit des Wunsches die Patienten dieser Schwäche Herr werden und wieder wollen können, so ist der reale Vorgang der, daß die Lähmung aus irgendwelchen physiologischen Gründen behoben wird; die nun von neuem mögiche Innervation stellt sich im Bewußtsein als Wille dar, wird aber, da sie erst in ihrem späteren Entwicklungsstadium in die sichtbare Erscheinung tritt, ihrerseits für die Folge des bewußten Willens gehalten. Der Wille hat nicht die physische Innormalität überwunden, sondern umgekehrt, die normale physische Funktion, die sich wiederhergestellt hat, spiegelt sich als Willensgefühl. Die besondere Anstrengung und Kraft, die sich der Patient in diesem Fall aufzuwenden bewußt ist, ist der gewöhniche Gefühlserfolg von lange nicht geübten Bewegungen, deren einzelne Stadien noch nicht selbstverständlich koordiniert sind und deshalb dem Bewußtsein stärkere einzelne Anstöße und Anstrengungsgefühle bereiten. Die gewöhnliche Vorstellung solcher Fälle von "Rettung aus eigener Kraft" konstruiert einen Willen zum Willen, der sich sozusagen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht; damit wird keine Erklärung, sondern nur eine Zurückschiebung des Problems auf eine gleichbenannte und gleich fragwürdige höhere Instanz bewirkt. - In analoger Weise erklärt sich die Anstrengung, mit der wir einen schwierigen Denk- oder Erinnerungsprozeß vollziehen. Der entsprechende physische Prozeß geht eben vor sich, und in dem Maße, in dem seine Stadien vor der schließlichen Erreichung des Resultates ungewohnte, noch nicht gebahnte Kombinationen darstellen, erregen sie jenes Bewußtsein, das wir als angestrengten Willen bezeichnen. Je gewohnter eine Innervationsreihe ist, desto weniger "Wille" ist für sie erforderlich, bis schließich ganz ohne Willen, d. h. auf dessen leisesten Anstoß hin, "rein mechanisch", abrollt. Vorher schon ist die früher dazu erforderte Anstrengung verschwunden, die sich so als eine bloße Intensifikation, ein bloßes Plus des gewöhnlichen Wollens darstellt. Indem so dem Willen der Charakter als spezifsche Energie der Psyche genommen wird, erhält auch die psychologische Beschreibung er willensmäßigen Vorgänge eine viel größere Freiheit, sich den Nuancierungen des inneren Tatbestandes anzuschließen, als die Einheitlichkeit und begriffliche Stetigkeit jedes spezifischen "Willens" ihr läßt. Wenn ich einen Trunk tun oder einen Freund wiedersehen will, wenn ich auf einen Anspruch verzichten oder mich auf eine vergessene Tatsache besinnen will - so entspricht der Gleichheit des Wortes Wollen keineswegs eine solche der psychischen Vorgänge, die es bezeichnen soll. In Bezug auf das "Haben" oder Besitzen ist diese Biegsamkeit der psychischen Funktion unmittelbar einzusehen. Der Besitz ist, wie ich a. a. O. (Einleitung i. d. Moralwissenschaft, Bd. II, Seite 248) ausgeführt habe, ein psychologisches Phänomen, eine auf Sachvorstellungen bezügliche Gefühlskategorie, die je nach ihrem Inhalt sich auch formal sehr verschieden darstellt: in ganz anderem Sinne besitze ich einen Freund, wie ich ein Haus besitze; in ganz anderem Sinn ist mein Kind "mein", als der Beruf oder das Vaterland mein ist. Es wäre durchaus ein fälschender Schematismus, wollte man sich das Besitzen als eine stets gleiche Funktion vorstellen, die, mit dem mannigfaltigsten Inhalt erfüllt, doch also solche immer die gleiche bliebe. Das Haben von Verschiedenem ist psychologisch ein verschiedenes Haben, und es ist von vornherein wahrscheinlich, daß jenes Vorstadium, jene ideelle Antizipation des Habens, die wir Wollen nennen, seinen Inhalten ebenso schmiegsam, ebensowenig durch eigen spezifische Eigenschaften präjudizert entgegenkommen wird. Will man schon das trivialste und das energisch-klare Wollen mit ebendemselben Begriff bezeichnen, so muß man diesen wenigstens mit so wenig Eigeninhalt wie möglich ausstatten. Je mehr spezifische, dem übrigen Seeleninhalt gegenüber scharf charakterisierte Qualitäten der "Wille" hat, desto mehr erscheint er als "immer derselbe", und desto schwieriger ist es, seine Einheitlichkeit mit der unendlichen inhaltlichen und funktionellen Verschiedenheit seiner Erscheinungen zu versöhnen. Ich halte es deshalb für das Zweckmäßigste, von seinem einfachsten und leersten Begriff auszugehen: daß er die Ursache des Handelns ist. Nun ist aber sicher die einzige exakt anzunehmende Ursache jedes in Erscheinung tretenden Handelns der vorhergehende zerebrale, bzw. nervöse Prozeß, an den jenes sich anschließt und von dem es die in ihm enthaltene Energie und Richtung bezieht. Wenn wir also die psychische Willenserscheinung als die Bewußtseinsseite oder den Gefühlsreflex eben jener, die Handlung physisch veranlassenden Vorgänge deuten, so haben wir uns von jener weitesten und einfachsten Definition gerade nur so weit entfernt, wie es das methodische Prinzip: physische Bewegung immer nur aus physischer abzuleiten, verlangt. Jede Definition, die den Willen als eine Seelenenergie sui generis [aus sich selbst heraus - wp] festlegt, beschränkt der Psychologie die Vourteilsfreiheit, mit der sie all die unendlichen Nuancierungen in Inhalt und Form der willensartigen Prozesse beschreiben sollte. Das ungeheure Problem, wie das Verhältnis zwischen physischen und psychischen Prozessen zu deuten sei, ohne die durch das Gesetz von der Erhaltung der Energie geforderte rein physische Veranlassung physischer Effekte zu durchbrechen - wird wohl prinzipiell erst durch eine der Zukunft vorbehaltene Vorstellung vom Wesen des Psychischen gelöst werden. Inzwischen kann man den Einzelproblemen dieses Gebietes gegenüber nur versuchen, das unmittelbar sich darbietende Durcheinander beider Reihen durch Deutung so zu ordnen, daß jede so lange wie möglich reinlich für sich bleibt. Soweit wie jeder derartige Versuch gelingt, hat man sich der Widerspruchslosigkeit im Verhältnis der Reihen genähert. In diesem bloß relativen Sinn ist die hier vorgeschlagene Vermutung gemeint, den Willen, der unmittelbar als psychische Ursache physischen Handelns erscheint, aus der zum letzteren führenden Reihe ganz auszuschalten und ihn als bloßen, sozusagen nebenhergehenden Gefühlsreflex eines Stadiums des innerkörperlichen Innervationsprozesses des Handelns zu deuten. |