p-4ra-2cr-2cr-2Janik/ToulminE. LuckaH. KleinpeterR. Thiele    
 
HEDWIG CONRAD-MARTIUS
Die erkenntnistheoretischen
Grundlagen des Positivismus

[2/2]

"Wenn es uns gelingt, einigermaßen klar das Wesen der Dinghaftigkeit herauszustellen, wie es in jedem dingesetzenden und auf Dinge gerichteten Bewußtsein zu ergreifen ist, so wird die sich daran anschließende Frage, wie einem natürlichen Bewußtsein diese Dinge zur Gegebenheit kommen und weiterhin das erkenntnistheoretische Problem wie die Realität einer solchen Dingwelt überhaupt und eines einzelnen jeweilig angesetzten Dinges Prägnanz und Eindeutigkeit erhalten."


II. Untersuchungen über die speziellere
Gestaltung der bewußtseinsunabhängigen
Welt des realen Seins


1. Problemstellungen, Fragescheidungen und Darstellung
der hier in Betracht kommenden positivistschen Anschauungen.

Der Positivist hat sicherlich Recht, wenn er meint, in der natürlichen Weltanschauung könnte von der Ansetzung eines absolut transzendenten "Dings hinter den Erscheinungen" keine Rede sein. Wenn aber ebenfalls behauptet wird, das naive Bewußtsein in seiner ungeklärten Verworrenheit setzt die Wahrnehmungsinhalte als solche oder Komplexe von diesen als das außerhalb der Wahrnehmung weiter existierende an, so erscheint uns eine solche Vorstellungsweise nicht nur ebenso absurd, wie diesen Philosophen, sondern auch als eine dem natürlichen Bewußtsein völlig zu Unrecht zugeschriebene. Denn gegen die aus dem Wesen gewisser Wahrnehmungsverhältnisse heraus einsichtige Daseinsrelativität der Wahrnehmungsinhalte auf den Wahrnehmenden (bzw. die Wahrnehmungsposition) versündigt sich auch das natürliche Bewußtsein bei aller Ungeklärtheit der Sachlage in keinem Sinn. Wir sehen aber hiermit, daß, wenn der Positivist und Relativist durch einen Hinweis auf jene Relativitäten die Verabsolutierung der Wahrnehmungsinhalte als solcher zeigt und nun etwa diese absurde Verabsulutierung und Verselbständigung von Wahrnehmungsinhalten oder von Komplexen solcher Wahrnehmungsinhalt als eine psychologisch aus den und den Umständen erklärbare aufdecken will (wobei die regelmäßige oder gesetzmäßige Verknüpfung derselben als Grundlage dient), er in keinem Sinn das natürliche Bewußtsein autonomer Dinghaftigkeit erklärt oder gar als ein widersinniges herausgestellt hat. Denn auf dieses war er ja in seinen Erklärungen nirgends bezogen.

Ebensowenig aber ist die Sachlage abgetan mit derlei Redewendungen, daß die Annahme eines transzendenten Dings hinter den Erscheinungen dem natürlichen Bewußtsein fremd ist, dieses sich also auf nichts weiter beziehen kann als auf die doch wesenhaft auf den Wahrnehmenden relativen "Erscheinungen" selbst. Man muß sich eben ansehen, worauf sich das natürliche Bewußtsein in seiner Dingfassung bezieht und wie sich in ihm eine erlebte Relativität der Wahrnehmungsinhalte mit der ebenfalls erlebten von aller Wahrnehmungsgegebenheit unabhängigen Existenz des in der Wahrnehmung zur Erscheinung Kommenden vereint. Dieses Problem führt zu außerordentlich umfassenden Analysen, in die wir hier nur so weit eintreten können, als es notwendig ist, um die wichtigsten Unterschiede herauszustellen, die den späteren erkenntnistheoretischen Fragen allererst Eindeutigkeit und Prägnanz zu verleihen vermögen.

Wir müssen vorerst eine mögliche zweifache Deutung erwähnen, die das Problem von dem Ding hinter den Erscheinungen in der positivistischen und sonstigen erkenntnistheoretischen Literatur erfahren hat. Es handelt sich um zwei völlig verschiedene Problemgruppen, deren Zusammenwerfung größte Unklarheiten herbeiführen kann. Wir orientieren uns zunächst an MACH. Die Frage, die er in der Analyse der Empfindungen, erstes Kapitel, Abschnitt 1-5 behandelt, ob man von einem von den einzelnen sinnlichen Qualitäten (Farbe, Ton usw.) noch besonders zu unterscheidenden Träger dieser Qualitäten, einer Substanz, einer Materie, kurz einem besonderen Dingkonstitues reden kann, ist eine ganz andere als die in Abschnitt 5 mit den Worten eingeleitete: Auch das Verhältnis der Körper zum Ich gibt Anlaß zu analogen Scheinproblemen." Hier handelt es sich um die Frage, ob es einen sinnvollen Unterschied zwischen einem bloßen "für mich" und einem "ansich" gibt, also um das eigentlich erkenntnistheoretische Problem. Nachdem er (in den ersten vier Abschnitten) die Ansetzung eines besonderen Dingkonstituens außer den sinnlichen Merkmalen zurückgewiesen hat, erklärt er, wie das naive Bewußtsein zur Bildung der Begriffe Materie, Substanz usw. kommt: "so entsteht in natürlicher Weise der anfangs imponierende, später aber als ungeheuerlich erkannte philosophische Gedanke eines (von seinen Erscheinungen verschiedenen) Dings-ansich". "Das Ding, der Körper, die Materie ist nichts außer dem Zusammenhang der Elemente, der Farben, Töne usw., außer den sogenannten Merkmalen." So wie hier das Vorhandensein eines besonderen Dingkonstituens neben den sogenannten sinnlichen Merkmalen (= den Erscheinungen zurückgewiesen wird, so später der Unterschied von "bloßer Erscheinung" und Wirklichkeit. Es gibt nur ein Gegebenes, und das ist das jeweilig Empfundene. Jedes Empfundene ist gleich "wirklich"; man kann nur von gewöhnlichen (d. h. relativ häufigen) und außergewöhnlichen Empfindungszusammenhängen sprechen. "Es hat nur einen praktischen, aber keinen wissenschaftlichen Zweck, in diesen Fällen", wie in dem des gebrochenen Stabes "von Schein zu sprechen." (30)

[Diese Problemgruppe und ihre Auffassung hängt mit der vorigen im MACH'schen "Weltbild" folgendermaßen zusammen: "Man kann letztlich nur sprechen von Elementen und relativ beständigen Elementverbindungen. Eine dieser relativ beständigen allerdings durch ganz besondere Elemente ausgezeichnete Elementverbindung ist das sogenannte Ich. Hier finden wir mit den gewohnten Elementen (die den Leib ausmachen) noch "Gefühle", "Willen", "Erinnerungen" verbunden. In genau demselben Sinn nun wie eine Fülle von (funktionellen) Abhängigkeitsverhältnissen zu finden sind auf dem Gebiet der außerleiblichen Elementverbindungen, so auch zwischen diesen und den Elementverbindungen, die man Ich nennt (wie natürlich auch zwischen diesen Ichen selbst). Wenn so etwa der Elementkomplex "weiße Kugel" in Beziehung tritt zu dem Elementkomplex "Glocke" (d. h. wenn die Kugel auf die Glocke fällt), so wird ein anderes neues Element gesetzt: ein Ton. In genau demselben Sinn greift der Elementkomplex "menschlicher Leib" ein: er verbindet sich mit dem Elementkomplex "Santonin" und der Elementkomplex "weiße Kugel" wird gelb. (31)

Um sich in dieses sehr absonderliche Weltbild MACHs hineinzuleben, muß man sich gewissermaßen aus sich selbst heraussetzen und einen Standpunkt über der Welt und ihrem Geschehen annehmen. Man sieht dann auf dieses Gewebe von Elementen und Elementkomplexen und das Getriebe ihrer Veränderungen einschließlich dem gleichsinnigen Eingreifen der Leiber, die durch die Verknüpfung mit eigentümlichen, sonst nicht vorfindbaren Elementen ausgezeichnet sind, herunter und versteht von hier aus, was es heißt, wenn MACH (AdE 13) sagt: "Auf diesem Weg finden wir also nicht die vorher bezeichnete Kluft zwischen Körpern und Empfindungen zwischen außen und innen, zwischen der materiellen und geistigen Welt. Alle Elemente A B C ... K L M ... bilden nur eine zusammenhängende Masse, welche an jedem Element angefaßt ganz in Bewegung gerät, nur daß eine Störung bei K L M (dem Elementkomplex "Leib") viel weiter und tiefer greift als bei A B C.

Wir sehen hiermit, daß MACH durch die Art der Abfindung mit dem erkenntnistheoretischen Problem seiner Welt eine eigentümlich absolute Stellung gegeben hat. Er spricht lieber von Elementen als von Empfindungen und von Empfindungen nur insofern, als die Elemente oder Elementkomplexe in ihrer funktionalen Veränderungsabhängigkeit von den "Leibern" betrachtet werden. MACH vernichtet gleichsam mit einem Schlag die ganze erkenntnistheoretische Problematik, durch einen Schlag, geführt gegen das wahrnehmende und erkennende Ich. Gibt es kein Ich mehr, das ansich bestehende Dinge wahrnimmt und erkennt, so entfällt die ganze Frage nach dem Unterschied des "ansich" und "für mich". Seite 19:
    "Ich empfinde grün heißt: das Element grün kommt in einem gewissen Komplex von anderen Elementen, Empfindungen, Erinnerungen vor. Empfinde ich nicht mehr grün, so tritt das Element aus diesem Elementkomplex (mein Leib) wieder heraus."
Damit ist jedes Gegenstandsbewußtsein aufgehoben. Seite 11:
    "Der Gegensatz zwischen Ich und Welt, Empfindung oder Erscheinung und Ding fällt dann weg und es handelt sich lediglich um den Zusammenhang der Elemente ... (Gefühle, Willen, Erinnerun), A B C ... (Welt), K L M ... (Leib)."
Wodurch sich MACH zu einer solchen Anschauung gedrängt füht, geht u. a. aus den Worten von Seite 23 hervor:
    "Wollte man das Ich als eine reale Einheit ansehen, so käme man nicht aus dem Dilemma heraus, entweder eine Welt unerkennbarer Wesen demselben gegenüberzustellen (was ganz müßig und ziellos wäre) oder die ganze Welt, die Iche anderer Menschen eingeschlossen nur als in unserem Ich enthalten anzusehen (wozu man sich ernsthaft schwer entschließen wird)."
Eine Alternative, die nur Sinn hat aufgrund der ganz gegenstandslosen Annahme, daß ein Erkennen und Wahrnehmen im üblichen Sinne (also bei Voraussetzung einer Ich-Einheit) nur möglich ist, wenn die wahrzunehmenden oder zu erkennenden Gegenstände irgendwie in diese Ich-Einheit hinein oder hinüber wandern müßten. Wir sehen hier die vollkommene Verkennung der Eigenart des Gegenstandsbewußtseins. MACH hat also die hier liegenden Probleme keineswegs gelöst, sie nicht einmal als solche klar gefaßt. Das radikale Vorgehen nach dieser Richtung ist MACH besonders eigentümlich; es gibt seiner Weltansicht eine sehr individuelle Färbung. Wir finden zwar diese Aufhebung der begrenzten Ich-Einheit als eine notwendige Konsequenz der positivistischen Grundanschauung auch bei anderen Forschern (SCHUPPE); aber hier ist doch fast immer die ganze Darstellungsweise auf die "Mirgegebenheit" hin orientiert und von ihr ausgehend und die mit dieser Orientierung gegebene erkenntnistheoretische Problematik steht im Mittelpunkt der Erwägungen. Mit dieser Verschiedenheit der theoretischen Position ist aber eine für unsere beiden oben voneinander geschiedenen Probleme (das der ontologischen Struktur des Dings als solchem und das der Ansichbeschaffenheit des Dings gegenüber seiner Erscheinung) wichtige Konsequenz gegeben. Nehmen wir als Beispiel einer Darstellung dieser letzteren Orientierung den oben erwähnten Aufsatz von CORNELIUS "Die Erkenntnis des Dings ansich". CORNELIUS geht aus von einem Gesichtsbild, das wir von einem Ding haben, wenn wir auf dasselbe hinblicken. Er spricht auch von einem "Wahrnehmungseindruck" oder der "Erscheinung" des Dings. Diese jeweiligen Wahrnehmungseindrücke oder Erscheinungen sind das einzig gegebene Material und damit auch die einzigen Realitäten. Der Dingbegriff, den CORNELIUS als einen vom Erscheinungsbegriff abzutrennenden anerkennt, geht aber trotzdem im Hinblick auf das gegebene Material, auf das er sich bezieht, nicht über diese jeweiligen Erscheinungen hinaus. Er gründet in dem vom Verstand erfaßten Gesetzeszusammenhang eben dieser Erscheinungen. Die nähere positive Bestimmung dieses Dingbegriffs ist von keinem Interesse für uns. Wichtig ist dagegen: da von vornherein nur das jeweilig Mirerscheinende als einzig gegebene Realität (abgesehen von jenem Gesetzeszusammenhang) angesehen wird, wird die Frage, ob es noch ein besonderes, der sinnlichen Sphäre überhaupt transzendentes Dingkonstituen geben kann, überflüssig und entsprechend gar nicht (wie etwa bei MACH) noch besonders in Angriff genommen.

Wir sehen: wenn man das Gegebene auf die jeweilige sinnliche Erscheinung (Gesichtseindruck usw.) reduziert, so ist es nicht anders möglich, als einen dennoch beibehaltenen Dingbegriff irgendwie aus einer Verknüpfung oder Verbindung dieser sinnlichen Erscheinungen selbst herauszukonstruieren. Wenn man aber umgekehrt in ontologischer Einstellung finden würde, daß außer einem Zusammen von sinnlichen Elementen nicht noch ein besonderes Dingkonstituens anzusetzen wäre, so wäre damit noch keineswegs die Frage gelöst, ob ein solcher "Elementkomplex" so zur Gegebenheit kommt, wie er an und für sich beschaffen ist, oder in irgendeiner auf den Wahrnehmenden relativen Erscheinungsform. Von der Verwechslung dieser beiden Probleme aus scheint mir übrigens auch jene oben angeführte Meinung verständlich, daß man - in Bezug auf die naive Weltanschauung - von der Vorstellung eines möglichen Weiterbestehens der wahrgenomenen (bzw. empfundenen) Inhalte als solcher über die jeweilige Wahrnehmungsgegebenheit hinaus sprechen konnte. So HUME, wenn er im Treatise, Teil IV, Abschnitt 2, die Vorstellung von einer dauernden und gesonderten Existenz der Perzeptionen dadurch "verständlich" machen will, daß man den Geist als einen Haufen von Perzeptionen betrachten kann, in welchen Haufen die einzelnen Perzeptionen bald hinein-, bald wieder heraustreten. (vgl. nach der Übersetzung von LIPPS, Seite 275). Der äußere Gegenstand wird hier zur losgelösten Perzeption. Wenn man hier nicht auf die sinnlichen Qualifizierungen der Dinge selbst hinblick und diese als jene selbständig existierenden Einheiten ansetzt, so wäre es unverständlich, wie man sich über die auch bei völliger Ungeklärtheit der Verhältnisse schon in die Augen springende Daseinsrelativität des Wahrnehmungsinhaltes als solchen auf den Wahrnehmenden hinwegzusetzen vermöchte, der BERKELEY die prägnanteste und eindrucksvollste Form verliehen hat.

Wir werden später sehen, daß das hier nur hindeutend mit dem Terminus "Daseinsrelativität der Wahrnehmungsinhalte auf den Wahrnehmenden" gefaßte Problem keineswegs eindeutig ist, sondern daß in ihm die allerverschiedenartigsten Tatbestände unrechtmäßigerweise zusammengegriffen werden. Wir mußten uns aber vor der Klärung der Sachlage mit einer so oberflächlichen Hindeutung begnügen, um vorerst auf die gröbste auf diesem Gebiet liegende Verwechslung hinzuweisen.]

Für unsere kritischen Betrachtungen ergibt sich aus dieser Unterscheidung folgender methodologischer Tatbestand: Wenn es uns in ontologischer Einstellung gelingt, einigermaßen klar das Wesen der Dinghaftigkeit herauszustellen, wie es in jedem dingesetzenden und auf Dinge gerichteten Bewußtsein zu ergreifen ist, so wird die sich daran anschließende Frage, wie einem natürlichen Bewußtsein diese "Dinge" zur Gegebenheit kommen und weiterhin das erkenntnistheoretische Problem wie die Realität einer solchen Dingwelt überhaupt und eines einzelnen jeweilig angesetzten Dinges Prägnanz und Eindeutigkeit erhalten.


2) Dinghaftigkeit

Wenn MACH den Dingbegriff zurückführen will auf eine relativ konstante Verknüpfung sinnlicher Elemente, so ist er offenbar am Körperding orientiert. Wir können nicht zugeben, daß das Dingbewußtsein auf die Körperdinghaftigkeit beschränkt ist, und wir meinen, daß gerade die Heraushebung des Momentes der Dinghaftigkeit an nicht materiellen Dingen uns auch im Verständnis für die Körperdinghaftigkeit wesentlich fördern wird. Wir trennen also das Dingproblem vom Körperdingproblem und alssen die Theorie, daß das Bewußtsein der Körperdinghaftigkeit auf einer gewöhnten Verknüpfung verschiedener sinnlicher Elemente beruth, vorläufig stehen.

Es gibt Dinge, die nur ein sinnliches Element im MACHschen Sinn in sich schließen, deren Dinghaftigkeit also unmöglich aus einer Verbindung mehrerer Elemente herauskonstruiert werden kann. Man könnte sich zunächst damit helfen, daß es sich hier eben um ein Element allein handelt (eine Farbe, ein Ton usw.), und daß man natürlich gegen eine solche Ausdehnung des Begriffs der Dinghaftigkeit auf ein solches Einzelelement nichts einwenden kann, daß aber diese willkürlich erweiterte Ausdrucksweise nichts gegen jene Dingtheorie besagt. Aber so einfach liegt die Sache keineswegs.

Wir weisen zunächst darauf hin, daß mit jener traditionellen Elementenreihe (Farben, Töne, Drücke usw.) in keiner Weise die Fülle durchaus eigenartiger, wenn auch nur einer sinnlichen Sphäre angehöriger Erscheinungen gedeckt werden kann. Müßte man nicht beispielsweise von einem besonderen Schattenquale sprechen. Denn läßt sich Schattenhaftigkeit als solche etwa einfach als eine besondere Art Farbelement bzw. Lichtelement auffassen? Aber damit wäre noch nicht viel gewonnen außer einer, wenn auch sehr beträchtlichtliche Vermehrung der sogenannten sinnlichen Elemente. In dem auch von positivistischer Seite gebrauchten Ausdruck Gesichtserscheinungen sind wohl allerlei mögliche Gehalte zusammengefaßt. Aber gerade diese Ausdrücke wie "sinnliche Inhalte", "sinnliche Erscheinungen" usw. tragen in sich die ganze Unklarheit und Mehrdeutigkeit, der wir durch eine Heraushebung des dinglichen Moments etwas näher kommen wollen.

Denn es tritt jetzt gegenüber der Fülle all dessen, was z. B. der Sehsphäre (32) angehört, deutlich heraus, daß bald die Art der Gegebenheit ein Dingbewußtsein in einem prägnanten Sinn von mir fordert, bald dagegen für ein solches keinerlei Gegebenheitsgrundlage vorhanden ist.

Zur vorläufigen Orientierung und nur um zu zeigen, daß es sich nicht bloß um eine willkürliche Erweiterung des Dingbegriffs handelt, sondern um den Versuch, etwas sichtbar Eigenartiges zu fassen, führen wir aus: Wenn man in der natürlichen Lebenseinstellung einen Schlagschatten als ein Ding nimmt, so sieht man dabei etwa auf folgende Momente: man findet ihn jeweilig eine bestimmte Stelle in der Raumwirklichkeit einnehmend; hier auf dem Tisch ist er hingelagert, in bestimmter Größe, bestimmter Gestalt; von hier sieht man ihn sich fortbewegen zu einem anderen Ort hin; er hat sozusagen ein Eigenleben im Raum. Wenn ich ihn sehen will, so muß ich mich in eine gewisse Nähe zu ihm begeben, ich kann mich ihm nähern und mich von ihm entfernen. Ich kann ihn von verschiedenen Raumpositionen aus verschieden gut, verschieden deutlich sehen. Bald tritt seine ihm eigenartige Gestalt voll heraus, bald ist sie perspektivisch verschoben und verdrückt usw. Immer bin ich hier und der Schatten dort; und ich sehe von hier aus auf den Schatten hin. Analoges können wir von einem Ton sagen, der sich aus dem Instrument, aus dem er stammt, loslöst, durch den Raum zieht und hier irgendwo verklingt. Wir haben hier ganz deutlich das Bewußtsein von einem Etwas, das im Raum schwebt und sich durch den Raum hin bewegt; auch er hat ein Eigenleben im Raum. Ich kann mich ihm nähern und von ihm entfernen, ihn von hier aus und von dort aus hören und wie ich oben zu dem Schatten hinsah, so kann ich hier zu dem Ton hinhören. Man beachte wohl dieses Erlebnis des zu einem Ton Hinhörens, weil es voraussetzt, daß man den Ton an einer bestimmten Stelle der Raumwirklichkeit hat und zu dieser hörend hingewendet ihn eben dort faßt.

Nicht immer werden Tondinge in dieser Weise frei, kommen zur Entstehung und zu einem Eigenleben in der Raumwirklichkeit. Es gibt ein Steckenbleiben des Tonquale in einem angeschlagenen Körperding. Nicht immer andererseits faßt man Tondinge, wenn man Gehörserlebnisse hat, so meist da nicht, wo man rein auf das Musikalische eingestellt ist und auch da nicht, wo man so bezeichnet sagt "es tönt", "es saust". Von all dem werden wir noch sprechen.

Man denke dann in der Sehsphäre weiter an jene Lichtscheine, wie man sie mit einem Spiegel an die Wand werfen und dort hin und her huschen lassen kann oder an Glanzlichter, Farbscheine usw. Ich glaube kaum, daß man sich des Zugeständnisses zu erwehren vermag, daß hier überall in einem ganz prägnanten Sinn von Dingen und Dinghaftigkeit gesprochen werden kann, - und zwar in einem Sinn, der all das mit den Körperdingen zu einer Einheit zusammenfassen läßt, einer Einheit, für die die Materialität kein wesenhaft dazu gehöriges Moment darstellt.

Zuerst wird man sagen, daß man nur den unmittelbaren Eindruck eines Dinges hat, wenn das Gegebene eine gewisse äußere Abgegrenztheit besitzt. So springt z. B. ein Seespiegel in dem Augenblick als ein Ding heraus, in dem man seine Uferbegrenzung sehend mitbegreift (so besonders, wenn man sich in einer gewissen Höhe über dem See befindet). (33) Nun ist es leicht, irgendeinem gegebenen Material gegenüber, z. B. dem Wasserspiegel, dem Himmelsblau, dem Erdboden oder einem auf diesem hineingelagterten Riesenschaftten durch ein Hineinsehen von beliebigen Grenzen beliebig Dinge herauszusehen. Wir wollen alles Material (34), das als solches ein Herausfassen von Dingen durch ein bloßes geistiges Hineinzeichnen von äußeren Grenzen zuläßt oder dem nur das Moment tatsächlicher äußerer Abgegrenztheit fehlt, um den Eindruck eines Dings zu machen, Dingmaterial nennen, und dieses unterscheiden von all dem, was einer solchen Dingauffassung (35) widerstrebt - wobei es noch vorläufig dahingestellt bleibt, ob es noch Material gibt, dem gegenüber zwar eine solche äußere Abgrenzung möglich ist, das aber trotz dieser nicht zu einem Dinghaften zu werden vermag oder ob mit der Unmöglichkeit, es äußerlich abzugrenzen, auch wesenhaft eine Dingfassung unmöglich ist. Gerade aber das Moment, das ein Dingmaterial zu einem Dingmaterial macht, interessiert uns hier.

Wo eine Materialität als solche gegeben ist, da ist auch stets eine dingliche Fassung möglich. Wo bei realem Vorhandensein von Materie aus dem Gegebenen heraus nicht mehr Dinge herausgefaßt zu werden vermögen, da hat eben auch das phänomenale Vorhandensein von Materie aufgefhört.

Natürlich gilt dasselbe von (nichtfester) flüssiger Materie, obwohl hier die absolute Konstanz einer individuellen Dingform selten ist. Wir finden solche bei fallenden Tropen, bei stehender Flüssigkeit, überall da, wo die Flüssigkeit genug "inneren Halt" hat, um ihre äußere Form zu bewahren. (Das Bewußtsein, ein blooß mühsam und vorübergehend in dieser bestimmten Form sich haltendes Flüssiges und andererseits ein festes Körperding vor sich zu haben, ist wohl voneinander zu unterscheiden). Jedenfalls kann man auch das Fließende, dem die konstante äußere Form fehlt, sehr wohl als Ding in dem hier gemeinten prägnanten Sinn bezeichnen, als Ding eben der Eigenart steter "innerer Bewegung" nach einer oder mehreren Richtungen hin. Diese "innere Bewegung" ist selbstverständlich nicht zu verwechseln mit einer möglichen Bewegung des Flußdings als solchem. Der Fluß als Ganzes fließt nicht davon, er fließt nicht weg (wenn er auch fließt), aber er könnte sich eventuell zugleich selbst bewegen oder bewegt werden. Eine andere mögliche Dingbildung bei Flüssigem ist die von umgebendem Festem gehaltene Flüssigkeit: die Pfütze, der Teich, das Wasser im Glas usw.

Auch Wolken und Flammen gegenüber kann man in einem gewissen berechtigten Sinn von Materialität sprechen. Aber ich möchte doch an einer engeren Bedeutung des Begriffs Materie festhalten, nämlich nur bei dem von "Materialität" reden, in dessen Wesen es gründet, anfaßbar zu sein, wenn auch bei den erwähnten Gebilden ebenfalls von einem ohne weiteres zur Dingfassung geeigneten Material gesprochen werden kann, dessen spezifische Eigenart eben in einer Ontologie physischer Gegenständlichkeiten herausgestellt werden müßte (36).

Auf der Gegenseite könnte es nun etwas geben, das seiner wesenhaften Eigenart nach eine dingliche Fassung ausschließt. Aber es liegt (zumindest in der Sehsphäre, auf die wir uns vorläufig beschränken wollen) fast immer so, daß bei einer bestimmten Einstellung auf das Gegebene dieses zu einem möglichen Dingmaterial werden kann - obwohl eine solche Auffassung gegenüber der Artung des Gegebenen mehr oder weniger künstlich und durch sie mehr oder weniger gerechtfertigt erscheint. Gerade in diesen Umstellungen gegenüber ein und demselben Gegebenen muß dasjenige, was das Dingmaterial zu einem Dingmaterial macht, ergreifbar sein.

Wir weisen noch auf einen fast selbstverständlichen, aber doch beachtenswerten Punkt hin: nur ein existenz-selbständiges Quale kann die Grundlage für eine mögliche Dingfassung bilden. Denken wir z. B. an die Eigenfarbe eines Körperdings, so kann man wohl sagen, daß diese Farbe so weit reicht wie die Oberfläche des Dings reicht, daß sie sich eben dort befindet, wo sich die Oberfläche des Dings befindet und daß sie eine gewisse Formung besitzt, eben die, welche ihr durch die Oberflächenform und -struktur gegeben wird. Aber der Ort der Farbe ist nur der Ort der Dingoberfläche; sie hat in sich selbst keine Eigenstelle im Raum, keine eigene Form; sie besitzt keine Eigenexistenz und infolgedessen auch kein Eigenleben; sie ist nur etwas, insofern sie am Ding ist und von diesem untrennbar (eben als Oberflächenfarbe). Man denke auch an ein Geräusch, das den Gegenstand, der in seiner Eigenbewegung das Geräusch hervorbringt, gewissermaßen ganz "erfüllt". Es gibt eine mehr oder weniger erreichte Loslösung des Tonquale vom materiellen Gegenstand (wir sprachen oben von einem möglichen Steckenbleiben); nur aber, wo diese erreicht ist, können Tondinge zur Ausbildung kommen. (37)

Von dem in der Oberfläche des Dings sich verlierenden und mit seiner Eigenfarbe zu einer qualitativen Einheit des Dings verschmelzenden Beschattungsmoment des Dings (wie auch ebenso dem Beleuchtungsmoment) ist Analoges zu sagten. Bei einer Drehung des abgeschatteten Dings hebt sich die Abänderung der Beschattung des Dings selbst oder seiner Oberfläche) deutlich hervor, aber eben nur als eines unselbständigen Momentes am Ding (38). Andererseits ist hier gerade sehr schön zu beobachten (wenn man z. B. auf die sich zunächst in der Zimmerdecke verlierende Abschattung dieser Decke blickt), wie bei einer plötzlichen Ortsveränderung der Lichtquelle (z. B. einem Fortragen der Lampe) der Schatten, indem er über die Decke hinzugleiten anfängt, mit dieser Bewegung, im Raum ein Eigenleben und damit auch Dinghaftigkeit gewinnt.

Der auf den Gegenständen hingelagerte und sich über sie fortbewegende Schlagschatten, wie auch jener schon erwähnte, an die Zimmerwand hingespiegelte Lichtschein, sind natürlich von dem Abschattungs- und Beleuchtungsmoment, das wir eben im Auge hatten, zu trennen; sie haben stets einen ausgeprägten Dingcharakter.

Aber nicht alles, was eine Existentialselbständigkeit in diesem Sinn besitzt, ist damit auch zugleich etwas Dingliches oder Dingmaterial. Und damit sind wir wieder bei unserer eigentlichen und sehr schwierigen Aufgabe.

Es gibt noch eine völlig andersartige mögliche Loslösung jener unselbständigen Quales vom Ding, an oder in dem sie haften, als die, welche wir eben bei der Tondingbildung in Betracht zogen, - oder sagen wir lieber eine mögliche, wenn auch nur teilweise Befreiung von der inneren und äußeren Form und der örtlichen Bestimmtheit, die ihnen durch ihre Zugehörigkeit zum Körperding auferlegt wird. Eine Befreiung, die gewissen Quales gegenüber erst durch eine etwas künstliche und auf dieses Befreiungsziel hindrängende Einstellung des Sehenden erreicht wird, anderen gegenüber sich dagegen von selbst ergibt, so daß man hier von einem teilweisen Freisein nach dieser Richtung sprechen kann.

Wir betrachten die abgeschattete Zimmerdecke. Es kann geschehen, daß wir dieses Schattenquale nicht mehr bloß in seiner Verschmelzung mit der Oberflächenfarbe der Decke oder in diese Oberfläche eingelagert sehen, sondern daß es ein gewisses Stück in den darunter befindlichen Raum hineinzusinken scheint, so daß der Blick erst durch diesen Schattenschleier hindurchwandern muß, um die Decke zu treffen. Er ist nicht mehr in einer zweidimensionalen Erstreckung gegeben, wie vorher bei seiner vollständigen Einlagerung in die Deckenoberfläche - obwohl man andererseits keineswegs sagen kann, daß er den Raum unter der Decke wirklich "erfüllt", also insofern an seiner Dreidimensionalität teilnimmt. Hierüber werden wir gleich noch mehr zu sprechen haben. Trotz dieser Diffusion in den Raum hinein, bleibt aber hier das Quale stets an die Deckenoberfläche als an sein eigentliches Zuhause gebunden. Ganz analoge Erscheinungen gibt es im Hinblick auf die Eigenfarbe eines Dings.

Wir nehmen jetzt einen anderen Fall, der in der Literatur schon öfter zur Beobachtung solcher Phänomene herangezogen wurde: das Himmelblau. Es ist höchst zweifelhaft, ob es in der Weise einer Oberflächenfarbe (etwa einer über die Erde gewölbten Glocke oder Halbkugel) wirklich gesehen werden kann. Jedenfalls aber können wir ein Stück Himmelsbläue, besonders ein durch Wolken eingerahmtes, als ein in vollkommener Flächenform gegebenes Farbding sehen, ein Ding, dessen Material eben diese Bläue selbst und nichts anderes ist, das sich in einer bestimmten, wenn auch natürlich nicht bestimmt angebbaren Entfernung von mir befindet, das man sich eventuelle als solches durch den Raum hinziehend denken kann.

Eine andere mögliche und für uns jetzt wichtigste Gegebenheitsart tritt am vollkommensten dann ein, wenn man auf dem Rücken liegend in den wolkenlosen blauen Himmel hineinschaut. Es gibt zunächst eine Ablösung ganz ähnlicher Art wie in den oben betrachteten Fällen, so daß die Bläue nur ein gewisses Stück in den Raum hineinzuströmen scheint, aber doch immer in dem dort flächenhaft sich erstreckenden Himmel letztlich gründet und mit ihm seinen letzten Abschluß erhält.

Dann aber kann auch eine vollkommene Los- oder besser Auflösung stattfinden: das Himmelblau scheint sich völlig auf mich herabzusenken; "es liegt auf meinen Augen", aber nicht in einer bestimmten räumlichen Zuordnung zu ihnen, so daß man sagen könnte: hier über meinen Augen; mein Blick verliert sich in ihm; es ist überall und doch "erfüllt" es nicht eigentlich den Raum, in dem Sinne, daß mein Blick auf eine bestimmte Raumstelle gerichtet, hier gerade ein Stück von ihr zu fassen vermöchte. Es ist überall und nirgends. Dieser paradoxe Satz, den uns das sehr eigentümliche Phänomen abzwingt, harrt der Klärung. Wenn der Blick etwas zu fassen vermag, ist es wieder der abgerückte dort oben sich wölbende, wenn auch meist ein Stück in den Raum hinein sich verlierende Himmel.

Ganz Analoges finden wir gegenüber der uns umgebenden Dunkelheit. Auch hier das Wesentliche, daß ich mich auf das Quale Dunkelheit nicht eigentlich sehend zu richten vermag. Ich blicke vergebens in die Dunkelheit hinein; entweder treffe ich auf Körpergegenstände und bleibe an diesen hängen oder mein Blick irrt wie in einem Nichts umher - oder vielmehr in einem Etwas von sehr positiver Beschaffenheit, das aber nichts bietet, worauf sich der Blick richten, was er treffen oder worin er als in seinem Ziel ruhen kann.

Das ganz andersartige und für die Abhebung des hier Gemeinten erwähnenswerte Phänomen, daß eine Farbe den Raum wahrhaft zu erfüllen scheint, finden wir beispielsweise bei einer gefärbten Flüssigkeit in einem durchsichtigen Glas (natürlich da, wo von der Materialität der Flüssigkeit nichts zur Erscheinung kommt) auch bei einem farbigen im Raum liegenden Licht oder bei farbigen Glasgefäßen selbst.

Auch die Dunkelheit wiederum kann in anderer Weise "gesehen" werden. Zuweilen scheint es uns, als ob sie sich in einer von uns als in bestimmter Entfernung befindlich erlebten Wand angesammelt hat, einer Wand, auf der unser Blick wie auf einem Körpergegenstand zu ruhen vermag, zuweilen ballt sie sich klumpenartig in Winkeln und Kleiderfalten zusammen. Aber es scheint mir doch, daß bei der Dunkelheit jene so schwer erfaßbare Erscheinungsweise, in der sie ein Nichts für meinen fassenden Blick ist, als die ihrer Eigenart angemessenste aufgefaßt werden muß. Was aber in dieser Weise gegeben ist, das kann nicht als eine materielle Grundlage für eine mögliche Dingfassung dienen. Wo ich die Dunkelheit als Wand oder als klumpenartiges Gebilde sehe, da ist das, worauf ich blicke (die Wand oder der Klumpen), nicht eigentlich mehr die ihrer Natur nach freie Dunkelheit als solche. Ebensowenig läßt sich ein Dinghaftes "aus" Wärme oder "aus" Getöse vorstellen. Hier bestehen unaufhebbare Zusammenhänge.

Wir haben nun bisher die Verschiedenheit von Dingmaterial und solchem Material, was eine Dingfassung wesenhaft ausschließt, durch die verschiedene Weise, wie das Eine und das Andere als zur Gegebenheit kommend erlebt wird, zu kennzeichnen gesucht. Was im eigentlichen und strengen Sinn gesehen werden kann (worauf sich mein Blick zu richten und das er an eben der Stelle, wo es sich befindet, zu fassen vermag), ist stets ein Dinghaftes (oder ein mögliches Dinghaftes). Nichtdinghaftes der physischen Sphäre ist auch sinnlich gegeben; es verteilt sich in den verschiedenen sinnlichen Sphären. Aber es wird nicht gesehen, gehört, gefühlt in einem echten Wahrnehmungssinn. Es ist einfach da als Gehalt für das Gesicht, für das Gehör, für das Gefühl. Aber diese Zusammenhänge sind nicht so eindeutig, als es hiermit zu sein scheint. Denn auch um Dinge als solche zu sehen, ist es durchaus nicht notwendig, daß ich mit dem Blick auf sie gerichtet bin; auch hier kann es ein einfach für mein Gesicht Dasein geben. Es scheint, als ob in einem Fall z. B., in dem ich bei Dunkelheit auf ein gegenüberstehendes Haus sehend gerichtet bin, die übrigen Häuser und Bäume und was da sonst noch an Dingen sein mag, genau in demselben Sinn für das Gesicht einfach da sind, wie die Dunkelheit selbst. Nur daß gegenüber der Dunkelheit die Möglichkeit (oder auch das Bewußtsein der Möglichkeit) fehlt, sich mit dem Blick vom Haus weg und auf diese selbst zu richten. (Das innerlich auf einen Gegenstand Gerichtetsein muß man natürlich streng von dem mit dem Blick darauf gerichtetsein trennen. Auch auf die Dunkelheit kann ich innerlich gerichtet sein oder nicht.)

Man kann andererseits nicht sagen, daß das, was beim Sehen (Wahrnehmen) von Dingen wesentlich erscheint, nämlich das Fassen ihrer da draußen im Raum, das natürlich auch bei dem "einfach für mein Gesicht dasein" vorhanden ist, der Dunkelheit gegenüber fehlt; denn auch diese wird ja als eine da draußen im Raum seiende und zur Raumwirklichkeit gehörige gehabt.

Und doch bleibt auch im beiderseitigen Erlebnis des "einfachen Daseins" ein wesentlicher Unterschied bestehen, ein Unterschied, der bisher nur im Bewußtsein der Unmöglichkeit, auch die Dunkelheit mit dem Blick zu treffen, seinen Ausdruck gefunden hat. Dieser Unterschied wird am Besten klar zu fassen sein, wenn wir zunächst absehend von den möglichen Gegebenheitsweisen die wesenhafte Eigenart des Dinghaften und des Nichtdinghaften selbst noch etwas mehr zu klären versuchen.

Wir können hier nur einige Andeutungen geben, worin der nach unserer Meinung so sichtbare Gegensatz von Dingmaterial und "ungebundenen Quales" (dieser Ausdruck scheint uns vorläufig der adäquateste zu sein) zu gründen scheint, ohne daß wir glauben, das Problem irgendwie erschöpfend klären zu können.

Da wo ein zur physischen Wirklichkeit gehöriges Material der Dingfassung nicht zugänglich ist, besitzt es zugleich, wie wir sehen, keine eigentliche räumliche Extension. Es ist wohl im Raum, sagten wir, es breitet sich in ihm aus, aber es nimmt nicht eigentlich Raum ein, "erfüllt" ihn nicht. Man kann nicht sagen: an dieser Raumstelle findet sich ein Teil des Dunkelheitsganzen; man kann nicht mit der Zerteilung der Raums auch die Dunkelheit als solche "zerteilen". Diese Zerteilung würde sie nie als solche treffen; man kann nicht ein "Stück" der Dunkelheit einem Stück des Raums zuordnen.

Sie vermögen sich nicht genau dem Raum anzupassen und können damit auch nicht räumliche Form annehmen. Sie können sich nicht aus einem Raumteil in einen anderen Raumteil bewegen, weil sie in keinem Raumteil eigentlich sind (ihn einnehmen).

Wenn wir Töne als Dinge fassen (da wo diese überhaupt möglich ist), da besitzen sie zwar als solche auch nicht eigentliche Ausgedehntheit und Abgegrenztheit im Raum; aber sie haben doch als Dinge und zwar, wie wir meinen, wesenhaft notwendig jeweilig eine ganz bestimmte Stelle im Raum - ein Tatbestand, der es erst ermöglicht, sie als sich durch den Raum hinbewegend zu fassen.

Dieses andererseits: Bewußtsein eines Dings im Raum haben und das Bewußtsein, daß sich das Betreffende durch den Raum hinzubewegen vermag, steht in einer Wesensbeziehung.

Das eine bestimmte Raumstelle einnehmen und damit das sich durch den Raum bewegen können schließt aber eine Sichheit oder ein Für sich - und Insichsein in eben diesem Raum ein. Hiermit sind wir beim Kern der Sache.

Blicken wir noch einmal auf jene ungebundenen Quales zurück. Dunkelheit, Helligkeit, Wärme, Kälte, (auch Getöse) Musik, können in einem Raum wie eingefangen sein. Öffnen wir die Tür, so vermag wohl die Wärme, das Licht, das Getöse auch in den Außenraum einzuströmen, einzudringen - aber es gibt keinen Sinn zu sagen: sie oder ein Teil ihrer bewegten sich in diesem Vorraum. Denn es ist nichts da, was sich bewegen könnte. Das sogenannte "Identische", das sich im Raum bewegt, muß eben ein solches "Insich-" und "Fürsichseiendes" sein.

Die äußere Form andererseits, so wie sie bestimmt Geartetem material möglich ist und die äußere Angepaßtheit an den Raum, in den das Betreffende ruhend oder sich bewegend eingestellt ist, hängt an eben diesem Moment des Insichseins.

Ich möchte versuchen, von einer inneren Form gegenüber der äußeren zu sprechen, auch von einer Intension gegenüber der Extension - die innere Form die Intension, als die das Dingmaterial als solches auszeichnenden Momente. Die innere Form bedeutet also das innerliche Hineingepaßtsein in den Raum; die Intension das Moment des Insichtseins selbst. Den ungebundenen Quales fehlt das. Sie haben darum keine eigentliche Heimat im Raum. Ihr Wesen besteht in einem freien Hingegebensein ohne alles "Fürsich" und "Insich".

Damit hängt die verschiedene Gegebenheitsweise engstens zusammen. Wie kann ich auf etwas hinblicken, hinhören, etwas anfühlen oder befühlen, dort wo es gerade seine Eigenstelle hat (bei sich ist), das ein solches "Insichsein" und "Fürsichsein" entbehrt. Andererseits sind die genannten Fassungsweisen (dieses Hinsehen, Hinhören usw.) sozusagen überflüssig, da sich das Betreffende ohne jenes innere "Fürsich" frei zu geben vermag. Es gibt allerdings Bedingungen zur Möglichkeit dieses Sichmirgebenkönnens, die ich etwa herstelle, wenn ich die Tür zum finsteren Zimmer öffne - ein Tatbestand, der damit zusammenhängt, daß auch diese ungebundenen Quales eine gewisse, obgleich von der besprochenen streng zu scheidende Form und damit eine mögliche Einordnung in die Raumwirklichkeit besitzen. Diese trotz allem bestehende Beziehung zum Raum ist der in dieser Darstellung noch unklarste Punkt. Wir können aber in dieser Arbeit das Problem noch weiterführen. Wie es auch im Einzelnen weiterhin gefaßt werden mag, wir glauben, daß auch unsere Fassung schon mit der ihr zugrundeliegenden Problematik entscheidend gegen die positivistische Dingtheorie ins Gewicht fallen kann, besonders wenn wir jetzt von hier aus das Körperdingproblem behandeln. Übrigens wird das schon Ausgeführte nach einer Richtung hin im Abschnitt über die Empfindung noch eine Vertiefung erfahren.
LITERATUR Hedwig Conrad-Martius, Die erkenntnistheoretischen Grundlagen des Positivismus, Bergzabern 1920
    Anmerkungen
    30) vgl. die ausführliche kritische Behandlung solcher Auffassungen in Teil IV.
    31) Wenn CORNELIUS in dem oben erwähnten Logos-Artikel "Die Erkenntnis der Dinge-ansich"), den "erfahrungsgemäß" vorhandenen Tatbestand, daß es doch etwas Anderes ist, wenn ich dieses Holz nur eben nicht wahrnehme, weil ich wegblicke oder deshalb, weil es verbrennt, schließlich damit zu decken glaubt, daß doch im ersten Fall ein von der Erscheinungsveränderung unabhängiges "Gesetz" bestehen bleibt (daß ich nämlich beim Augenöffnen, also mit Erfüllung einer bestimmten Bedingung, das Holz wiedersehen werde), so scheint er uns in keinem Sinn prinzipiell über MACH hinauszugehen.
    32) Wir drücken uns hier mit Absicht so allgemein aus, um hier noch ganz frei von aller möglichen Ausdeutungsbelastung zu sein, die Worte Inhalt, Erscheinung, Gegenständliches usw. mit sich bringen könnten. In der Tat umgreift auch keiner dieser Ausdrücke seinem Eigensinn nach das hier Gemeinte vollständig. Die einzige Bestimmung, die wir geben, ist die Zugehörigkeit zur Sehsphäre. Wir sagen auch nicht: alles, was gesehen werden kann, weil "sehen" eine ganz prägnante Bedeutung hat, auf die wir uns ebenfalls nicht festlegen wollen. Am besten würde man vielleicht sagen: alles, was für das "Gesicht" da ist, wobei man natürlich nicht an einen bestimmten Leibesteil oder ein bestimmtes leibliches Sinnesorgan zu denken hat. Auch ein unkörperlicher Geist müßte Gesicht, Gehör haben, um das entgegenzunehmen, um was es sich hier handelt.
    33) Um zu entscheiden, welches etwa das analoge Moment bei Tondingen ist, müßte man erst herausgestellt haben, wodurch jeweilig die Tonding-Einheit konstituiert wird, was also in Abgegrenztheit gegeben sein soll. Wir werden hierauf zurückkommen. Jedenfalls kann die zeitliche Begrenzung der Bewegung des Tondings selbst darstellen, da die Einheit des Tondings ja schon als konstituiert vorausgesetzt sein muß, wenn man von seiner Bewegung sprechen will.
    34) Material genommen als jedes zur physischen Wirklichkeit gehörige Quale.
    35) Diese "Dingfassung" ist also deutlich abgegrenzt von der ganz andersartigen, in der beispielsweise drei Sterne zu einem Sternbild zusammengefaßt werden und damit auch so etwas wie ein Dingbewußtsein in Bezug auf diese drei Stern zustandekommt. Denn in unserem Fall handelt es sich um das Hineinsehen eines solchen Momentes, das ebensogut auch am gegebenen Material selbst vorhanden sein könnte: jedes so (bloß geistig) abgegrenzte Stück des Himmels, der Wasseroberfläche des Schattens könnte auch als tatsächlich abgegrenztes für sich allein auftreten; daß dies nicht der Fall ist, ist gewissermaßen nur ein zufälliger Tatbestand. Im anderen Fall aber handelt es sich um ein Moment, das als solches wesenhaft erst durch einen sich am Gegebenen betätigenden geistigen Akt zustande kommt, so daß also hier die Dingkonstitution ohne ein solches geistiges Mitwirken wesenhaft unmöglich wäre. Das führt aber offenbar auf einen ganz anderen von unserem wesentlich verschiedenen Dingbegriff, mit dem sich auseinanderzusetzen hier nicht unsere Aufgabe sein kann.
    36) Natürlich spricht nicht hiergegen, daß mir unter gewissen Umständen die Erscheinungsweise solcher Gebilde das Bewußtsein, irgendwelche feste Körper vor mir zu haben, aufzwingt. Dann haben sie aber ein ihrem eigenen Sein nicht angemessenes Aussehen (vgl. die späteren Ausführungen).
    37) Dabei bleibt allerdings der sehr schwierige Punkt noch unberücksichtigt, daß man doch das Geräusch selbst wiederum als eine dinghafte Einheit auffassen kann, das heißt das gesamte Tonphänomen in seiner eigentümlichen Materie gebenden Qualifikation, wobei dieses von seiner Stellung als zu einem bestimmten Körperding gehörigt und von ihm kundgegeben losgelöst werden kann. Dieselbe Frage ließe sich im Hinblick auf jenes Ganze der farbigen Oberfläche eines Dings stellen (vgl. die späteren Ausführungen über das "Körpergesicht").
    38) Das Problem, wie dieses Abschattungsmoment trotz dieser seiner Unselbständigkeit als eines Moments am Ding doch als ein nicht zum Eigensein des Dings dazugehöriges dasteht, kann hier von mir nicht in Angriff genommen werden.