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ANDREAS BERLAGE
Ernst Mach und Fritz Mauthner
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Wer also mit seinem Denken das Denken kritisierte, das heisst mit Hülfe der Sprache die Sprache selbst untersuchen wollte, gleicht eigentlich einem Physiologen, der lebendigen Leibes sein eigenes Gehirn blosslegen und damit experimentieren wollte.
"In dem gleichen Jahr 1872 ließ mich MACH seinen Vortrag über "Die Erhaltung der Arbeit" lesen und ich erhielt, so wenig ich damals von mathematischer Mechanik verstand, einen Anstoß, der ohne mein Wissen durch Jahrzehnte fortgedauert haben muß. Dann als ich fast dreißig Jahre später diesen Vortrag las, ohne mich der ersten Lektüre zu erinnern, war ich über die sprachkritischen Ahnungen erstaunt und hatte plötzlich die entschiedene Vorstellung, all diese schlagkräftigen Formulierungen schon einmal in mich aufgenommen zu haben. MACHs erkenntnistheoretischer Positivismus - der die metaphysischen Worte nicht, wie AUGUSTE COMTE, haßt, sondern psychologisch beschreibt, also erklärt - hatte in meinem Unterbewußtsein nachgewirkt."(1)
Die Erklärung MAUTHNERs ist sicher nicht aufrechtzuerhalten; in einem Brief an MACH vom 17. 11. 1895 schreibt er in bezug auf seine "erkenntnistheoretischen Untersuchungen", daß er den "tief greifenden Vortrag, besonders die Anregung über den Begriff der Ursache, ebenso wie die Beiträge zur Geschichte der Mechanik dankbar benutzt habe." Aufgrund der Erscheinungsdaten der Werke MACHs wie MAUTHNERs Angabe im Brief vom 4. 12. 1901, nur die "Wärmelehre" von allen größeren Werken MACHs nicht gekannt zu haben, ist vielmehr anzunehmen, daß die Beschäftigung mit MACHs Schriften kontinuierlich verlief oder jedenfalls immer wieder von neuem stattfand, gerade auch in den Jahren der Arbeit an den "Beiträgen".

Im selben Brief schreibt MAUTHNER, die "Wärmelehre" deren 2. Auflage 1900 erschienen war (die 1. Aufl. aber bereits 1896!), soeben erhalten zu haben - MACH werde ihn im dritten Sand der Beiträge vielleicht als einen Schüler erkennen". Am 29. 12 schreibt er MACH, der dritte Band sei noch nicht druckfertig. Eineinhalb Monate später, am 14. 2. 1902, berichtet er MACH:
Als ich wieder an die Arbeit gehen durfte (Nach Besserung seines Gesundheitszustands) nahm ich - der Fertigstellung meines alten Manuskriptes - die "Prinzipien der Wärmelehre" vor, die ich ihrer Güte verdanke. Ich bin sehr beschämt, daß ich mich vor Jahren durch den Titel hatte abschrecken lassen, trotzdem ich ihre philosophische Art nicht nur aus der "Analyse" und den "Vorlesungen", sondern auch aus der "Mechanik" verehrend kannte. Wären andere Vertreter der Naturwissenschaft nur annähernd solche Begriffskritiker, der dritte Band meines Werkes wäre leicht oder überflüssig geworden. Ich hoffe, Sie werden im dritten Bande, der zu Anfang des Sommers herauskommen soll, finden, was ich in Ihrer "Wärmelehre" gefunden habe. Noch lieber hätte ich Ihre überzeugende Darlegung über die Begriffe ganz und gar abgeschrieben, anstatt mich mit kurzen Citaten zu begnügen. Dagegen bin ich so unbescheiden zu hoffen, daß meine Darlegungen auch für Sie über GEIGER und NOIRÈ hinausführen, denen Sie im Kapitel über die Sprache teilweise folgen.
Es ist gesagt worden, daß MAUTHNERs Vorliebe für MACH nicht dazu verleiten dürfe, "die entscheidende Differenz, den entscheidenden Abstand zwischen beiden nicht zu sehen oder zu unterschätzen." Dem ist prinzipiell zuzustimmen, jedoch ist es notwendig, genauer auf Übereinstimmung bzw. Differenz einzugehen.

Wie es der Name von MAUTHNERs Beiträgen zu einer Kritik der Sprache schon ankündigt, ist sein Programm, "die Fragen der Metaphysik zu Fragen der Psychologie" und schließlich "zu Fragen der Sprache", umzugestalten. Damit stellte er, freilich ohne es in dieser Form zu ahnen, zwei Jahrzehnte vor WITTGENSTEIN bereits das Programm für die (aufgrund ihrer Neuartigkeit) wesentlichste Strömung der Philosophie in unserem Jahrhundert auf.

Verschaffen wir uns zunächst - bevor wir zu MACH und dann zu einem direkten Vergleich der beiden Positionen fortschreiten - einen Überblick über die grundlegenden Postulate der Beiträge, seines Hauptwerks. Trotz ihres Umfangs und ihrer Weitläufigkeit bereitet dies vorerst keinerlei Schwierigkeiten.

Vielleicht die grundlegendste der Annahmen MAUTHNERs wurde bereits genannt: er möchte eine - absolute - Grenze ziehen zwischen einer Sprache der Erkenntnis (resp. Wissenschaft) und einer der Dichtung. Die Sprache sei eben ein "herrliches Kunstmittel, aber ein elendes Erkenntniswerkzeug," dies leite sich direkt aus der Art ihrer Verfassung ab: "schwebende Erinnerung", Bedeutungswandel, "Mehrdeutigkeit des Wortes", Abhängigkeit jedes Verstehens vom größeren Zusammenhang, vom subjektiven Standpunkt des Gesprächspartners, die Liste der Unzulänglichkeiten und Beeinträchtigungen von Kommunikation ließe sich beliebig erweitern (und MAUTHNER bringt sie nach und nach ins Spiel).

Während der Dichter trachte, Stimmung im Rezipienten hervorzurufen, sodaß etwas bereits Vorhandenes, nämlich sein subjektives Gefühl, auf diese Art im Leser wieder (subjektiv gefärbt) entstehe, müßte eine Sprache der Erkenntnis dazu befähigen, die (objektive) Wirklichkeit so zu vermitteln, daß sie ohne Verlust, unverändert und unverfälscht in unser Bewußtsein tritt (d.h. erkannt werden kann). Dies ist nach MAUTHNER, und die Gründe liegen auf der Hand, unmöglich.

Der Unterschied zwischen der Sprache als einem Kunstmittel und der Sprache als einem Erkenntniswerkzeug ist also darin zu suchen, dass der Dichter Stimmungszeichen braucht und besitzt, der Denker Wertzeichen haben müsste und sie in den Worten nicht finden kann.

Denn:
Es ist unmöglich, den Begriffsinhalt der Worte auf die Dauer festzuhalten; darum ist Welterkenntnis durch Sprache unmöglich. Es ist möglich den Stimmungsgehalt der Worte festzuhalten; darum ist eine Kunst durch Sprache möglich, eine Wortkunst, eine Poesie.
Nach MAUTHNERs Auffassung kann der Begriff nicht etwa als Abstraktion von Einzelvorstellungen aufgefaßt werden; die Allgemeinvorstellungen oder Begriffe bestehen seiner Meinung nach gar nicht anders, denn als jeweils mehr oder (eher) weniger präzise, jedenfalls aber konkrete (also an einen tatsächlich wahrgenommenen Gegenstand gebundene) Vorstellungen (den "Vorrat hinter dem Begriff" nennt er es). Was aber ist dann das, was uns (in traditioneller Auffassung) als "Begriff" bekannt ist, fragt MAUTHNER und antwortet: eine Vermischung von Einzelvorstellungen, Erinnerungsbildern und anderem; Tätigkeit der Phantasie nicht des Verstandes. Dementsprechend zieht er es vor, stattdessen nur von "Wort" zu sprechen.
Nach MAUTHNER entsteht die Sprache im Kopf und entfernt sich immer weiter von der (natürlichen) "Anschauung der Wirklichkeit", ja sie hindert nun gerade daran, die Welt tatsächlich anzusehen. Die Sprache ist stets und von Grund auf, das ist MAUTHNERs Schluß und gleichzeitig das zweite wesentliche Postulat seiner Kritik, metaphorisch. Nie haben wir es mit Begriffen zu tun, stets sind die Worte Metaphern. Ist aber dann die Sprache als Wortkunst, die "die Daten der Zufallssinne zu einem Bilde" vereinigt, in der Lage, das Defizit auszugleichen?
Mitnichten:
Aber diese hohe Tätigkeit der Wortkunst, die als Bild der Wirklichkeitswelt auch noch alle Versuche einer wissenschaftlichen Erkenntnis übertrifft, hat ihre Grenzen an der Fähigkeit der Sprache Anschauungen zu geben. (...) Wir aber haben erfahren, dass Worte nicht Bilder (der Wirklichkeitswelt) geben und nicht Bilder hervorrufen, sondern Bilder von Bildern von Bildern ...
So ergibt sich bei genauerer Überlegung, daß die Sprache in ihrer metaphorischen Struktur uns immer weiter von der Wirklichkeit entfernt: "jedes Wort trägt in sich eine endlose Entwickelung von Metapher zu Metapher", die menschliche Sprache ist, "in Bildern entstanden, aus Bildern geworden.

Es ist so auch nicht verwunderlich, daß für MAUTHNER Poesie und Sprache einen gemeinsamen Ursprung besitzen, wenngleich die Metapher in beiden Bereichen unterschiedlichen Charakter aufweist. Die Metapher in der Sprachentwicklung wird mechanisiert dadurch, dass die Vergleichung aus dem Bewusstsein schwindet und das Wort eben eine neue Bedeutung zu gewinnen scheint. In der Poesie, wo das Bildliche aus dem Bewusstsein nicht schwinden kann, ist eine solche Mechanisierung immer eine Abgeschmacktheit.

Dementsprechend ist "Sprachgeschichte eine ewige Bilderjagd", Philosophie hingegen "Selbstzersetzung des Metaphorischen". Freilich könnte man an dieser Stelle noch den Standpunkt vertreten, die Verfälschungen der Sprache seien möglicherweise gerade durch eine Sprachkritik rückgängig zu machen, wodurch schließlich echte Wirklichkeitserkenntnis sich einstellen könnte, wenn erst einmal die Anschauungen von allen sprachlichen Zutaten gereinigt seien. Hier nun geht MAUTHNER noch einen Schritt weiter: nicht nur die intellektuelle Seite des Menschen (die Sprache, durch sie geprägt: die Logik) ist zur Erkenntnis der Welt ungeeignet, auch seine sinnlichen Anlagen sind unzulänglich.

Eine weitere seiner Grundannahmen liegt nämlich im Begriff der Zufallssinne, dessen sich MAUTHNER bedient, um die leicht nachvollziehbare Einsicht auszudrücken, daß unser Wahrnehmen der Wirklichkeit äußerst beschränkt, die Eindrücke, die wir empfangen, recht willkürlich ausgewählt sind. Nur für einen kleinen Teil des Spektrums der Erscheinungen besitzen wir ja die zur Wahrnehmung notwendigen Organe, schier endlos hingegen ist die Reihe derjenigen Erscheinungen, die unseren Sinnen entgehen.

Der Begriff der Zufallssinne ist nichts weiter als der vorläufige Ausdruck für die trübe Gewissheit, dass unsere Sinne sich entwickelt haben, allmählich entstanden sind und zufällig entstanden sind, dass also ganz sicher Kräfte in der Wirklichkeitswelt wirken, die niemals Sinneseindrücke bei uns hervorrufen können, und dass darum - weil nichts im Denken sein kann, was nicht vorher in den Sinnen war - unser Denken niemals auch nur zu einem ähnlichen Bilde von der Wirklichkeitswelt gelangen kann. Der Begriff der Zufallssinne ist der vorläufig letzte Ausdruck der Resignation.

Daran ändert auch nichts, daß Mauthner später den Begriff der Zufallssinne "schier widersinnisch" nennt, womit er der Tatsache Rechnung trägt, daß allgemein gesprochen kein Sinneseindruck jemals einen Mangel der Sinnesorgane beweisen könnte. Damit ist der Weg bereitet, die nächste These MAUTHNERs, nämlich die von ihm postulierte Äquivalenz von Denken und Sprechen kurz zu skizzieren. Am Beginn der Diskussion verwahrt sich MAUTHNER gegen ein Sprechen, das als Werkzeug des Denkens gedacht wird:
Das ist aber nicht wahr, es gibt kein Denken ohne Sprechen, das heisst ohne Worte. Oder richtiger: Es gibt gar kein Denken, es gibt nur Sprechen. Das Denken ist das Sprechen auf seinen Ladenwert hin beurteilt.
In einer Reihe von Beispielen versucht er nun, die Abhängigkeit des Denkens von der Sprache, ja den innigen Zusammenhang von Sprache und Sinnen zu belegen. Freilich steht seine Überzeugung in diesem Fall, wie er selbst von Anfang an eingesteht, auf tönernen Füßen (woran auch sein Begriff des Gedächtnisses als Einheit von Sprache und Denken nichts ändert. MAUTHNER sieht sich gezwungen zuzugeben, daß die beiden Begriffe "nicht ganz gleich" sind; schließlich, daß es
"doch eine Gehirnarbeit (gibt), die wir mit den Mitteln unserer Sprache nicht anders als Denken nennen können, (und die) ohne Sprache möglich ist."
Ich werde mich mit der spezifischen Frage nach dem Verhältnis von Denken und Sprechen weiter unten noch auseinanderzusetzen haben, an dieser Stelle sei nur so viel vorweggenommen, daß es MAUTHNER nicht gelingt, die Widersprüchlichkeit, die seiner Theorie insgesamt anhaftet und die im Rahmen dieses Problems sehr deutlich zutagetritt, zu bändigen. Was MAUTHNER hier einholt, ist das von ihm zwar zur Kenntnis genommene, jedoch in keiner Weise ausreichend reflektierte Faktum der Selbstbezüglichkeit der Sprache, das bei der Reflexion auf sie nur allzu schnell in den Zirkel führt. (Wenn MAUTHNER Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Sprache ausdrückt, so setzt er doch andererseits gerade die kommunikative Leistung voraus, die notwendig ist, um seine Zweifel zu verstehen oder anders ausgedrückt: Der Satz "Sprache ist sinnlos (bedeutungsleer etc.)" ist selbstwidersprüchlich.) Was MAUTHNER dazu bringt, die Reflexion an dieser Stelle abzubrechen.
Es ist ganz natürlich und gerecht, wenn die Sprache verrückt wird, sobald man sie auf die Vorgänge anwenden will, die im Menschengehirn eben erst zur Sprache oder zum Denken führen. Ein Spiegel soll sich nicht selbst spiegeln wollen.
Und:
Das letzte Wort über das Verhältnis zwischen Denken und Sprechen kann von der Sprachkritik nicht gefunden werden, weil die Sprachkritik sowohl an der Bedeutungskonstanz der zu erklärenden und zu vergleichenden Begriffe oder Worte zweifeln muß, als auch an der wissenschaftlichen Brauchbarkeit der für die Erklärung und Vergleichung notwendigen psychologischen Begriffe oder Worte.
Die so vollzogene Abfertigung der Sprachkritik geschieht von der ureigensten Position MAUTHNERs, der Skepsis, aus. Die Mischung aus nicht weiter hinterfragten Postulaten und immanenten Widersprüchen der Argumentation ist der Grund und die Basis für diese tiefste Überzeugung MAUTHNERs: die Skepsis gegenüber der prinzipiellen Erkennbarkeit der Welt. Zwar sagt er nicht, wir können nichts erkennen, aber: all unsere Erkenntnis ist von den skizzierten Umständen - allen voran der Unzulänglichkeit der Sprache - abhängig, daher werden wir nie eine vollständige, d.h. sichere und somit wahre Erkenntnis dessen, was wirklich ist, haben. Es ist wiederum diese Überzeugung, die - was man nicht auf den ersten Blick vermuten würde - die größten Folgen in MAUTHNERs Denken zeitigt.

Die Kritik der Sprache muß Befreiung von der Sprache als höchstes Ziel der Selbstbefreiung lehren. Die Sprache wird zur Selbstkritik der Philosophie. Diese selbstkritische Philosophie wird durch ihre Resignation nicht geringer als die alten selbstgerechten Philosophien.

An MAUTHNERs skeptischer Position fällt sofort vor allem ihre Unverträglichkeit mit jedem Anspruch einer Sprachkritik ins Auge, neuerlich jene Aporie, von der schon die Rede war. Da bei ist zu bedenken, daß MAUTHNER Skepsis bewußt sowohl an den Anfang wie ans Ende seiner Kritik stellt, sie sozusagen einnahmt, was doch den Interpreten leicht dazu verleiten kann, das Skeptische als schmückendes Beiwerk fortzulassen und den tatsächlich sprachkritischen Analysen (der Einzelwissenschaften - dazu weiter unten mehr) und Expeditionen in zahllose Wissensgebiete als den bei weitem umfangreicheren Teilen die eigentliche und ausschließliche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Ich bin der Überzeugung, daß das einer groben Fehlinterpretation der Beiträge gleichkäme. Wie aber läßt sich dann andererseits dem aporematischen Widerspruch zwischen Skepsis und Kritik begegnen?

MAUTHNERs letzte Wende gegen die Sprache (und dann auch gegen ihre Kritik) erfolgt im Zeichen der Ablehnung einer der seit HERDER wesentlichsten Einsichten in ihren Charakter: für MAUTHNER ist es unvorstellbar, daß das Wesen der Sprache in ihrer gleichzeitigen Funktion als Inhalt und Form menschlicher Gedanken bestehen könnte.

Wer also mit seinem Denken das Denken kritisierte, das heisst mit Hülfe der Sprache die Sprache selbst untersuchen wollte, gleicht eigentlich einem Physiologen, der lebendigen Leibes sein eigenes Gehirn blosslegen und damit experimentieren wollte ... Die niederste Erkenntnisform ist in der Sprache; die höhere ist im Lachen, die letzte ist in der Kritik der Sprache, in der himmelsstillen, himmelsheitern Resignation oder Entsagung.

Kritik der Sprache also als Resignation; auf diese Art möchte MAUTHNER, was ihm als die höchste Form der Kritik erscheint, nämlich Schweigen, als ultimative Konsequenz der Skepsis praktizieren, im Sinne jenes alten Leitergleichnisses,
"Will ich emporklimmen in der Sprachkritik, die gegenwärtig das wichtigste Geschäft der denkenden Menschheit ist, so muss ich die Sprache hinter mir und vor mir und in mir vernichten von Schritt zu Schritt, so muss ich jede Sprosse der Leiter zertrümmern, indem ich sie betrete. Wer folgen will, der zimmere die Sprossen wieder, um sie abermals zu zertrümmern."
das er dem Leser zur Bewältigung dieser Aufgabe zu Beginn an die Hand gibt. Denn "das wäre freilich die erlösende That, wenn die Kritik geübt werden könnte mit dem ruhig verzweifelnden Freitode des Denkens oder Sprechens, wenn sie nicht geübt werden müsste mit scheinlebendigen Worten."

So bestimmt es MAUTHNER am Ende des dritten Bandes seiner Kritik. Hat er uns nun an der Nase herumgeführt? Und wir, wußten wir nicht von Anfang an, daß eine derart radikale "Sprachkritik" nur überzogen sein kann? Kritik ist unter diesen Umständen gänzlich unmöglich; dem Kritiker bleiben nur zwei Möglichkeiten: zu verstummen oder die Kritik mit Mitteln zu leisten, die über rein sprachliche hinausgehen. Tatsächlich tut MAUTHNER bis zu einem gewissen Grad beides: er stellt die erkenntnistheoretische Reflexion ein, und setzt an ihre Stelle historische Sprachkritik, getreu dem Paradigma der Sprachwissenschaft im 19. Jahrhundert.
Die Sprachkritik will die Kategorien des Denkens, also der Sprache historisch betrachten. Da hätte das Denken Ursache, sich über seinen eigenen Bankerott, über die Notwendigkeit seines Selbstmordes zu entsetzen.
Die Ausführungen MACHs zur Sprachtheorie sind nicht umfangreich, aber stellenweise sehr dicht. Nach einigen Ansätzen in den Beiträgen zur "Analyse der Empfindungen" (1886) und späteren Ausführungen in "Erkenntnis und Irrtum" (1905) sind es vor allem die Abschnitte aus den "Principien der Wärmelehre" (1896) die sich mit dem Thema beschäftigen. In dem "Die Sprache" betitelten Kapitel aus der "Wärmelehre" geht es MACH zunächst um "Ursprung und Weiterbildung" der Sprache, dabei gemäß dem seit DARWIN geläufigen - und dominierenden - Entwicklungsgedanken um die Entstehung der Sprache aus den "Tiersprachen". MACH konstatiert die graduelle Entwicklung der menschlichen Sprache aus ihren Vorläufern in der Tierwelt, den bloß Unterschied" zwischen beiden entgegen jeder Vorstellung von einem Qualitätssprung, zieht sich aus der eigentlichen Diskussion um den Ursprung der Sprache zurück und wendet sich der Frage nach dem Wie der Entwicklung zu, zumal er meint, "die Discontinuität zwischen Nichtsprechen und Sprechen, welche die Hauptschwierigkeit des Problems bildet, beseitigt" zu haben.

Damit stimmt MAUTHNER völlig überein, wenn er im zweiten Band der Beiträge von einem bloßen "Wortunterschied" in bezug auf die Frage nach Art- oder Gradunterschied von Tier und Menschensprache spricht. Die eigentliche Betonung legt MACH jedoch auf die Bedeutung der Sprache für das (wissenschaftliche) Denken. Er schreibt:
"Die noch immer auftauchende Ansicht, dass die Sprache für jedes Denken unerlässlich sei, muss ich für eine Übertreibung halten."
Diese Position steht nun in gänzlichem Widerspruch zu MAUTHNERs immer wieder vorgetragenem Postulat, daß Denken gleich Sprechen sei.

Der bloße Wortunterschied zwischen Denken und Sprechen ist ja für MAUTHNER zunächst eines der wichtigsten Theoreme. Denken ohne Beteiligung des Sprachvermögens oder unter bloß teilweiser Beteiligung desselben, das Empfangen von Sinneseindrücken beispielsweise unter diesen Bedingungen, ließe ja zwangsläufig eine zumindest nicht ausschließlich sprachlich determinierte Entwicklung des Erkenntnisvermögens zu und stünde damit im Widerspruch zu MAUTHNERs skeptischem Verdikt.

Dementsprechend wollte er MACH auch "über GEIGER und NOIRÈ hinausführen", denen dieser, nach MAUTHNERs Urteil, im Kapitel über die Sprache teilweise folge. Wie kommt MAUTHNER unter diesen Umständen aber dazu zu schreiben: "Noch lieber hätte ich Ihre überzeugende Darlegung über die Begriffe ganz und gar abgeschrieben."

Betrachten wir, bevor wir die beiden Standpunkte vergleichen, MACHs Auffassungen im Detail:
Der Hauptwerth der Sprache liegt in der Vermittlung der Gedankenübertragung. Dadurch aber, dass die Sprache uns nöthigt, das Neue durch Bekanntes darzustellen, also das Neue mit dem Alten vergleichend zu analysiren, gewinnt nicht nur der Angesprochene, sondern auch der Sprechende. Ein Gedanke klärt sich oft dadurch, dass man sich in der Phantasie in die Lage versetzt, denselben einem andern mitzutheilen. Die Sprache hat auch hohen Werth für das einsame Denken. Die sinnlichen Elemente gehen in die verschiedensten Kombinationen ein, und haben in diesen das mannigfaltigste Interesse. Das Wort fasst alles das zusammen, was für eine Interesserichtung wichtig ist, und zieht alle zusammengehörigen anschaulichen Vorstellungen wie an einem Faden hervor.

Die noch immer auftauchende Ansicht, dass die Sprache für jedes Denken unentbehrlich sei, muss ich für eine Uebertreibung halten. Schon LOCKE hat dies erkannt, und auch dargelegt, dass die Sprache, indem sie die Gedanken fast niemals genau deckt, dem Denken sogar auch nachtheilig werden kann. Das anschauliche Denken, welches sich ausschliesslich in Association und Vergleichung der anschaulichen Vorstellungen, Erkenntniss der Uebereinstimmung oder des Unterschiedes desselben bewegt, kann ohne Hülfe der Sprache vorgehen. Ich sehe z.B. eine Frucht auf einem Baum, zu hoch, um dieselbe zu erlangen. Ich erinnere mich, dass ich mit Hülfe eines abgebrochenen, hakenförmigen Astes zufällig einmal eine solche Frucht erlangt habe. Ich sehe einen solchen Ast in der Nähe liegen, erkenne aber, dass derselbe zu kurz ist.

Dieser Process kann sich abspielen, ohne dass mir auch nur ein Wort in den Sinn kommt. Ich kann also nicht glauben, dass z.B. ein Affe darum keinen Stock gebraucht, darum keinen Baumstamm als Brücke über einen Bach legt, weil ihm die Sprache und mit dieser die Auffassung der Gestalt, die Auffassung von Stock und Baum als eines gesonderten, von der Umgebung lostrennbaren, beweglichen Dinges fehlt. Es wird sich vielmehr in einem folgenden Kapitel zeigen, dass diese Unfähigkeit, Erfindungen zu machen, in ganz anderer Weise begründet ist. (...) Unerlässlich ist natürlich die Sprache für das abstraktere begriffliche Denken. (...)

Ein wenigstens theilweise wortloses Denken wird man überall da zugeben müssen, wo die Auffindung eines neuen Begriffes erst das Ergebniss des Denkens ist, also bei jeder wissenschaftlichen Entwicklung.

Neben der Gedankenübertragung diene die Sprache auch der "Entlastung des Denkens", zumal sich die Worte auch assoziativ verbinden, "ohne dass wir immer die volle anschauliche Deckung derselben im Bewusstsein finden.
Kann es trotz dieser offensichtlichen Differenzen eine Verständigung zwischen MACH und MAUTHNER geben? Läßt sich MACHs Formulierung vom teilweise wortlosen Denken etwa als Basis einer möglichen Annäherung der Standpunkte lesen? Oder wäre MAUTHNERs Verdikt, Denken sei Sprechen, so absolut nicht gemeint gewesen?
LITERATUR - Andreas Berlage, Empfindung, Ich und Sprache um 1900, (Ernst Mach, Hermann Bahr und Fritz Mauthner im Zusammenhang, Frankfurt/ Berlin/ Bern/ New York/ Paris/ Wien 1994 LITERATUR -
    Anmerkungen

    1) FRITZ MAUTHNER, Erinnerungen I, Prager Jugendjahre, München 1918, Seite 218