cr-4Zeit und RaumJacobi - HumeKausalitätHume als Nominalist    
 
ALOIS RIEHL
Hume - Über abstrakte Ideen

Humes Kausalitätstheorie
Kritik des Kraftbegriffs
Die Wirklichkeit der Außenwelt
Persönliche Identität
Nur der Gebrauch, nicht der Inhalt gewisser Begriffe, ist ein allgemeiner.

Die Frage, die HUME bei der Untersuchung der abstrakten Ideen oder Begriffe beschäftigt, ist die Frage: ob solche Ideen, so wie sie vom menschlichen Geiste vollzogen werden, allgemein oder individuell seien. Es ist die psychologische Frage nach dem Repräsentanten eines Begriffes im Geiste. Nun hatte schon BERKELEY, wie er irrtümlich meinte gegen LOCKE, ausgeführt, daß alle unsere Vorstellungen partikulär seien, und daß es Vorstellungen des Allgemeinen nicht geben könne.

Niemand stellt das Dreieck überhaupt vor. Indem aber Vorstellungen an Worte oder Zeichen geheftet werden, können sie allgemein gebraucht werden. Das Wort bedeutet eine bestimmte, individuelle Vorstellung und erinnert zugleich an andere, ebenfalls bestimmte Vorstellungen. Nicht die Vorstellungen selbst, sondern ihr Gebrauch ist allgemein, die Allgemeinheit keine Eigenschaft ihres Inhaltes sondern eine Art und Weise der Anwendung.

Diese so weit richtige Begriffstheorie kehrte BERKELEY sofort gegen die LOCKEsche Unterscheidung der zwei Gattungen von Qualitäten, eine Unterscheidung, welche sich nach ihm nur in Worten, nicht in der Vorstellung ziehen lasse, da niemand die Ausdehnung von der Dichtheit und Farbe in der Vorstellung zu trennen und abgesondert aufzufassen vermag. Jene Unterscheidung ist daher keine wirkliche Trennung, sondern nur eine teilweise Betrachtung; keine wirkliche Trennung, sondern nur eine teilweise Betrachtung; die abstrakte Vorstellung ist eine bestimmte oder individuelle Teilvorstellung, ein selbständiger Allgemeinbegriff.

HUME adoptierte diese Theorie, die er für eine der wichtigsten Entdeckungen in der Wissenschaft erklärte. Übrigens ergab sie sich für ihn einfach als Folge des Fundamentalsatzes. Da alle unsere Begriffe von Eindrücken abstammen, Eindrücke aber notwendig einen individuell bestimmten Grad haben, so müssen auch Begriffe in derselben Weise, wenn auch schwächer, bestimmt sein. Der Verstand kann keine Vorstellung von Quantität und Qualität, ohne zugleich eine bestimmte Vorstellung ihrer Grade zu bilden.

Die bestimmte Länge einer Linie kann nicht von der Linie selbst getrennt werden, so wenig wie der bestimmte Grad einer Beschaffenheit von dieser selbst. Ferner sind alle Tatsachen individuell, allgemeine Tatsachen wären absurd und unmöglich; was aber, als Tatsache genommen, undenkbar ist, die Allgemeinheit, muß, als Begriff betrachtet, desgleichen sein, wenn nämlich Begriffe nur Kopien von Eindrücken sind. Nur der Gebrauch, nicht der Inhalt gewisser Begriffe, ist ein allgemeiner.

Wir haben zwar stets nur das Bild eines einzelnen Objektes im Bewußtsein, aber wir vermögen unter Umständen dieses Bild so zu verwenden, als ob es mehrere Dinge befassen würde. Dieser Gebrauch eines Begriffes über seine Natur und Grenze hinaus rührt daher, daß wir alle möglichen Grade von Beschaffenheit und Größe so weit sammeln, als es unsere praktischen Zwecke erheischen. Wir können also in der Vorstellung eines Dings mit den verschiedenen Modifikationen seiner Eigenschaften wechseln.

Ein weiterer Grund für die Allgemeinheit ist die Übertragung des Namens. Das Wort erzeugt einen individuellen Begriff nach einer bestimmten Gewohnheit; diese Gewohnheit bringt nach dem Gesetz der Assoziation eine andere individuelle Vorstellung herbei usf. und in diesem Wechsel der Vorstellungen besteht ihre Allgemeinheit.
    "Die Vorstellungen aller dieser Einzeldinge nun vermag das Wort nicht hervorzurufen. Es berührt aber gleichsam die Seele und ruft jene Gewöhnung wach, die wir bei der Betrachtung jener Dinge erworben haben. Die Vorstellungen dieser Dinge sind nicht wirklich dem Geiste gegenwärtig, sondern nur potentiell; wir halten uns nur bereit, beliebige von ihnen ins Auge zu fassen. Das Wort ruft nur eine Einbildungsvorstellung hervor und mit ihr zugleich eine gewohnheitsmäßige Tendenz des Vorstellens."
Hier ist alles richtig, bis auf die Annahme, daß mindestens eine einzelne Einbildungsvorstellung dem Geiste gegenwärtig sein müsse, wenn er das Wort vernimmt. Auch diese Vorstellung kann nicht nur fehlen, sie fehlt fast ausnahmslos und wo sie auftaucht, hat sie mit dem Verständnis des Wortes nichts zu tun. Diese Allgemeinheit abstrakter Ideen, fährt HUME fort, ist jedoch nur Unbestimmtheit. Wenn wir eine große Zahl denken, so hat die Seele davon keine vollkommen entsprechende Idee, sondern bloß die Fähigkeit, einen solchen Begriff nach einer Methode oder Regel, nämlich dem richtigen Gebrauch der Einheiten, zu erzeugen, und das Bewußtsein dieser Fähigkeit ist in diesem Falle die Allgemeinheit der Vorstellung.

Schließlich zeigt HUME die Bedeutung der Denkoperation, welche in der Sprache der Schule  distinctio rationis  heißt, an dem Beispiele von verschieden gefärbten Marmorkugeln derselben Größe:

Der Wechsel der Farbe lockert für die Vorstellung die Verbindung von Figur und Farbe; wir beginnen zwischen den verschiedenen Farben gleichsam zu schwanken, während das zweite Merkmal, die Gestalt, konstant bleibt. Dadurch gewinnen wir allmählich die Fähigkeit, beide Beschaffenheiten zu unterscheiden, obschon nicht wirklich zu trennen, und wir begleiten sodann bald die eine, bald die andere Eigenschaft mit einem gewissen, wenn auch für gewöhnlich nicht bemerkten Grade von Reflexion. Wir bilden also schließlich wohl zwei Teilvorstellungen, aber keine gesonderten Allgemeinbegriffe aus.
    "Ein Mensch, der verlangen würde, daß man die Figur einer weißen Kugel betrachten solle, schlechthin ohne an ihre Farbe zu denken, fordert Unmögliches."
Die Beobachtung selbst ist nicht zu bestreiten. Doch verwechselt hier HUME den Anlaß der Entstehung einer gedanklichen oder begrifflichen Vorstellung mit dem Begriffe selbst. Der Begriff der Kugel, d.i. des regulären Körpers, der durch die Drehung eines Kreises um den Durchmesser als Axe entsteht, enthält nichts von der Farbe, die jeder Einbildungsvorstellung einer Kugel zukommen mag. - Begriffe haben auch keine Intensität; auch die Intensität, die wir der Vorstellung des Gegenstandes eines Begriffes zuschreiben, ist keine wirkliche, gefühlte, sie ist selbst nur eine gedachte Intensität.

HUME hat, wie die gesamte empiristische Erkenntnislehre, den Ursprung der Begriffe an der unrechten Stelle aufgesucht. Wird die Gesamtvorstellung, oder nach HUME die Tendenz an eine partikuläre Vorstellung andere, gleichfalls partikuläre Ideen zu knüpfen, dem Begriffe entweder einfach gleichgesetzt, oder wenigstens als Ausgang der Begriffsbildung betrachtet, so müßte das Eigentümliche der begrifflichen Vorstellung in ihrer schematischen Allgemeinheit oder geringeren Bestimmtheit liegen.

Nicht diese Allgemeinheit aber, vielmehr die höchste Klarheit und Deutlichkeit, bildet die auszeichnende Eigenschaft des begrifflichen Vorstellens. Dieses Merkmal der Klarheit und Deutlichkeit, also der größten individuellen Bestimmtheit, hat bereits DESCARTES als Eigenschaft des begrifflichen Bewußtseins erklärt. Er folgerte es aus der einfachen Natur des Denkens, die er allem begrifflichen und tatsächlichen Erkennen zugrunde legte.

Und ebenso unterscheidet SPINOZA sehr richtig die adäquate, völlig genaue, begriffliche Erkenntnisweise von der verworrenen durch schwankende und zerfließende Gesamtvorstellungen oder Gemeinbilder. Außer dem Merkmal der Bestimmtheit ist noch das der Unveränderlichkeit oder Konstanz für das begriffliche Vorstellen charakteristisch. Wir fordern, daß gedankliche Vorstellungen, um für Begriffe zu gelten, im Zusammenhang eines und desselben Gedankenganges, innerhalb des Ganzen eines und desselben Erkenntnisgebietes unverändert erhalten bleiben.

Begriffe sind demnach bestimmte und beharrliche Vorstellungen. Weit entfernt, den Empfindungen und Erinnerungsvorstellungen aus Empfindungen an Bestimmtheit nachzustehen, übertreffen sie vielmehr hierin diese letzteren.

Denn besteht ein Unterschied, ja eine wesentliche Ungleichartigkeit zwischen Begriffen und Empfindungsvorstellungen, der sich aus ihrem ganz verschiedenen Ursprunge ergibt. Begriffe sind ursprünglich von Empfindungen verschieden und dürfen nicht als Vorstellungen betrachtet werden, die aus diesen deriviert wären. Sie werden auf Anlaß der Sinnesabdrücke aus der Natur des Geistes und seiner Tätigkeit entwickelt.

Wenn wir uns in den strengen Teilen der Wissenschaft, also der Mathematik, der reinen Mechanik umsehen, so treffen wir auf Vorstellungen und Verbindungen von Vorstellungen, die von Beschaffenheitsvorstellungen ihrer ganzen Art und Bedeutung nach verschieden sind. Der Punkt, als Durchschnitt oder Berührung der Linien, die Gerade als strenge Richtungsidentität, die reinen Gesetze der Größenoperationen, die Vorstellung der Masse als Koeffizient der Beschleunigung, die der Kraft als Grund der Bewegungsänderung erster Ordnung, - sind nicht Objekte der Empfindung oder Inhalt von Empfindungsvorstellungen. Sie drücken nichts Gegenständliches, nicht das aus, was wir vorstellen, sondern Formen und Gesetze, wie wir vorstellen, und in welche wir irgendeinen empfundenen Inhalt zu bringen haben, um ihn in einen begriffenen umzusetzen.

Wir stellen daher diese Formen an und mit den empfundenen Vorstellungen, nicht aber  in  denselben vor. So kann die mathematische Grenze nicht als Empfindung gedacht werden, wohl aber wird sie an dem empfundenen Objekt vorgestellt. Irgendwelche physische, sogenannte Linie nehmen wir zwischen strengen oder reinen Grenzen wahr. Jede Richtungsänderung beurteilen wir durch den Begriff der Geraden; weshalb HERING (in den "Beiträgen zur Physiologie") mit Recht erklärt, daß uns jeder Augenblick Tausende von mathematischen Linien und Punkten darbiete. Desgleichen ist der mechanische Begriff der Masse der Art nach von der Beschaffenheitsvorstellung des Stoffes unterschieden.

Das Gemeinbild des Stoffes stellt sich als ein Gemisch von Empfindungsresten dar, als die unbestimmte, zerfließende Vorstellung eine Empfindbaren überhaupt; - die Masse im mechanischen Sinne ist ein formaler Größenbegriff, die logisch und mathematisch bestimmte Vorstellung, welche das Gesetz enthält, nach welchem wir die mechanische Bedeutung irgendwelches empirischen Stoffes zu denken haben.

Kraft im Sinne der Mechanik hat mit der populären Kraftvorstellung, dem unbestimmten Bilde eines Strebens und Widerstrebens oder irgendeiner willensartigen Ursache, nur den Namen gemein. Diese ist eine qualitative, jene eine formale Vorstellung. Die Gemeinbilder mögen zwar den Anlaß zur Bildung und Gewinnung von Begriffen geben, aber sie enthalten nicht das Gesetz ihrer Bildung.
    Begriffe sind formale Vorstellungen.
Sie sind Regeln der Vorstellung der Objekte, die durch sie begriffen werden sollen. Die Form des Bewußtseins ist Quelle der Begriffe, und zwar entweder ihre einzige oder doch ihre erste Quelle. Begriffe, die ihren Ursprung und ihren Bestand ausschließlich in den formalen Akten des Anschauens und Denkens haben, heißen reine oder ursprüngliche Begriffe, solche, die zur Form des Verstandes noch die Formen der Dinge und Vorgänge der Natur hinzufügen, mögen abgeleitete oder empirische Begriffe genannt werden.

Das Denken selbst ist die einfachste Gestalt des Seins, mithin müssen alle übrigen denkbaren oder wirklichen Formen des Daseins mindestens in der Form des Denkens bestimmt sein. Die einfachen Denkbegriffe enthalten daher die Form der reinen und der empirischen Anschauungsbegriffe.

Die Allgemeinheit überhaupt, die man mit Recht als Eigenschaft des begrifflichen Denkens angesehen hat, besteht nicht in dem Unbestimmten oder Schematischen des psychologischen Gemeinbildes, sie ist eine Folge der  Einfachheit  und  Formalität  der Begriffe.

Nur muß streng zwischen der begrifflichen und der numerischen Allgemeinheit unterschieden werden. Jene liegt im Wesen des Begriffes selbst, diese betrifft nur seine Anwendung auf wirkliche Dinge. Erst im Urteilsakte, in der Beziehung der Begriffe auf Objekte, erhalten die Begriffe einen Geltungskreis, eine  numerische  Allgemeinheit, welche allein im genauen Sinne des Wortes  Quantität  heißen kann. Begriffe selbst und reine Definitionen aus Begriffen haben im Unterschiede von den Urteilen keine Quanität.

Die Gattungsbegriffe haben die Verwechslung von Begriff und Gemeinbild veranlaßt. Die begriffliche Abfolge der Gattungen, ihre Einschließung und Unterordnung wird gewöhnlich unter dem Bilde einer Sphäre gedacht, und dieses Bild für die Sache selbst, d.i. für das in Rede stehende begriffliche Verhältnis genommen, obschon dieses ebensogut unter dem Gleichnis einer Verzweigung der Gattungen, eines Stammbaums derselben, vorgestellt werden könnte.

Der Begriff der Gattung besteht in der bestimmten, durch die Definition ausgedrückten  Regel  des Erkennens gewisser empirischer Objekte. Diese Definition selbst aber besteht in der Angabe des Ortes im System der zugehörigen Erkenntnis, also, wie die Logik richtig lehrt, in der Aufgabe des Genus und der spezifischen Differenz. Durch beide zusammen wird die Stelle im System vollkommen bestimmt.

Die Definitionen der Gesetze dagegen erfolgen jederzeit durch mathematische Konstruktion. Einen Begriff durch Konstruktion definieren, heißt die Regel seiner Darstellung in der Anschauung denken. So ist die Definition einer Parabel das, etwa in der Polargleichung ausgedrückte, bestimmte Gesetz ihrer Darstellung. Jedes Gesetz wird schließlich durch irgendeine Gleichung definiert; alle begrifflichen Gesetze sind Fälle der allgemeinen, logischen Gleichung zwischen Grund und Folge. Eine Gleichung ist aber, wie OHM richtig lehrte, nicht die Gleichsetzung von  Größen,  sondern die Gleichsetzung von Operationen, von Konstruktionen oder Erzeugungs gesetzen  von Größen.

HUME nahm den Begriff für eine qualitative Vorstellung, statt für eine formale. Er suchte seinen Ursprung in der Beschaffenheit, anstatt in der Form des Vorstellens. Er verfehlte das Wesen des Begriffs und dieser bleibt daher unberührt von seiner Kritik. Der Einfluß der falschen Begriffstheorie erstreckt sich über alle seine weiteren Lehren.

HUME verkannte die Bedeutung des mathematischen Vorstellens und kritisierte die mathematischen Begriffe durch die Empfindung. Und wie er die eigentliche Funktion des mathematischen Denkens nicht erfaßte, so unterschied er nicht zwischen der begrifflichen Notwendigkeit des Kausalitätsgesetzes und der bloß assoziativen Nötigung durch Trieb und Gewöhnung. Das mathematische Denken ist das einzige Mittel, den logischen Einheitsbegriff des Grundes in die Anschauung überzuführen. Durch das mathematische Denken stellen wir einen begrifflichen Zusammenhang her und dringen in den wirklichen ein.
LITERATUR - Alois Riehl, Der philosophische Kritizismus, Bd.I, Leipzig 1924