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FRIEDRICH GOTTL-OTTLILIENFELD
(1823-1900)
Werben und Erwerben

Über die Grundbegriffe
Herkömmliche Logik
Haushalten und Unternehmen
Wirtschaft und Gesellschaft
"Sie können die Namen ruhig wegblasen, und von der Sache fliegt nicht ein Stäubchen mit."

Eine schlichte Besinnung auf unsere Lage im Handeln ergibt, daß über diesem Handeln  zwei Grundverhältnisse  walten. Für beide spricht unsere Erfahrung offen und mit rohem Nachdruck.

So erfahren wir es ewiglich von neuem, daß unser Können nicht Schritt hält mit unserem Wollen; der Erfolg bleibt hinter unserem ursprünglichen Streben zurück. Dieses Hinken des Erfolges tritt schon im Einzelnen nur zu oft ein; unfehlbar jedoch, wenn wir ins Ganze rechnen. Da ergibt sich dann, daß nicht unserem Wollen, aber unserem Können  starre Grenzen  gezogen sind. Gegen diese Grenzen rennt unser Handeln überallhin an. Wer sie im Voraus in acht behält, mildert wohl den Anprall; aber daß solche Grenzen da sind, bleibt als Erfahrung niemand erspart.

Hierien beruht nun so ein letzter Tatbestand, um dessen willen sich seitliche Zusammenhänge im Handeln knüpfen. Unser Wollen unbegrenzt, unser Können begrenzt, das reimt sich nur zu der bitteren Einsicht zusammen,
    daß sich nie ein Streben erfüllen läßt, ohne dem Erfolge anderer Streben in irgend einer Weise Abbruch zu tun.
Denn alle Erfüllung nagt an der Erfüllbarkeit des Unerfüllten. So waltet das eine, das Grundverhältnis der Not.

Es mutet wie ein Segen an, den Fluch ausgleichend, der mit der Not auf dem Handeln lastet, wenn es uns allezeit freisteht, durch vereintes Streben Erfolge zu erreichen, die dem einzelnen Streben versagt blieben. Auch dahinter birgt sich nun ein letzter Tatbestand, der ganz unmittelbar dem seitlichen Zusammenhang im Handeln unterliegt.

Mit der Art und Weise,  wie sich das einzelne Streben in der Wucht seiner Erfüllung zu steigern weiß, kraft des Daseins einer Mehrheit von Handelnden,  damit bringt sich das Walten des anderen der beiden Grundverhältnisse zum Ausdruck, jenes der  Macht. 

Mögen Sie nicht übersehen, daß ich hier genausowenig eine "Definition der Macht" liefern will, wie dort eine "Definition der Not". Diese Ausdrücke bedeuten nicht einmal die Namen, sie dienen mir als bloße  Stichworte  jener Grundverhältnisse; sie sollen einfach die Gedanken auf jene letzten Tatbestände lenken, die ich flüchtig geschildert habe. Das sind aber so lapidare Gemeinplätze, daß man unwillkürlich nach einem markigen Ausdruck hascht.

Not und Macht, im Bilde gesprochen, stellen die beiden Brennpunkte vor, von denen alle seitlichen Zusammenhänge im Handeln ausstrahlen. Wie sich das früher berührte Auseinander der Handlungen aus den  strebigen  Zusammenhängen spinnt, so das Wegeneinander aus den  notbedungenen,  das Miteinander aus den  machtbedingenden.  Ein dreierlei der Zusammenhänge, von denen das lebendige Flechtwerk des Alltags in dichter und unendlich mannigfaltiger Verschlingung gewoben wird.

Von diesen Grundverhältnissen her, von der Not zunächst und dann von der Macht, lege ich nun unsere Formeln zurecht. Sie wollen der Reihe nach entwickelt sein. Ich gehe die vier ersten in aller Hast durch. Es gilt von allen diesen Formeln, daß ihr Inhalt  keinerlei Tätigkeit  festhält. Was er festhält, ist stets nur eine Möglichkeit, wie Handlungen in seitliche Zusammenhänge geraten. In einer solchen Formel prägt sich also keineswegs ein persönliches Gebaren aus, von bestimmter Art, sondern nur ein  unpersönlicher Hergang im Geschehen. 

Aber es ist klar, daß ein solcher Hergang stets von einem eigenartigen Handeln  getragen  wird. Er tritt regelmäßig kraft eines bestimmten Gebarens ein, von den Personen bekundet, die bald einzeln, bald in Vielheit hinter den betroffenen Handlungen stehen. So bedingt sich, im Voraus gesagt, jede dieser Formeln zugleich mit dem Schema eines bestimmten Gebarens im Handeln; die Formel ist mithin nur soweit "Wegweiser", als jenes Schema in ihr gleichsam zum Scheiteln kommt.

Das wird sich später an einem Beispiele erläutern lassen. Dort kann ich auch die Art rechtfertigen, in der ich nunmehr diese Formeln entwickle; so nämlich, daß ich allemal der plattesten Erwägung folge, wie wir uns einer gegeben Sachlage gegenüber verhalten. Ich sehe mir gleichsam ein persönliches Gebaren daraufhin an, wie es sich  von außen  her als ein unpersönlicher Hergang ausnimmt.

Da erscheint es gleich als ein schreiender Gemeinplatz, daß man im Angesichte der Not zweierlei vermag: Mit der Not rechnen, und die Not brechen.

Zunächst also  mit der Not rechnen.  Stellen wir uns vor die Sachlage, die sich ungefähr in den Worten spiegelt: Erfülle dein Streben, und irgendwie immer schmälerst du anderen Streben den Erfolg! Streben erscheint da gegen Streben gehetzt, und somit erwächst der Zwang,
    über den Vorzug in der Erfüllung zu entscheiden, der einem bestimmten Streben auf Kosten anderer zugestanden wird.
Gesetzt, mein Wunsch wäre ein bestimmtes  A;  aber auch ein bestimmtes  B.  Von diesen Streben kommt das eine mit dem anderen irgendwie ins Gedränge; sei es nun der Mühe, der Mittel, der Zeit willen, oder vielleicht auch so, daß sie schlechthin unvereinbar sind. Diese Streben sind also im Wettbewerb um ihre Erfüllung. Deshalb  schlichte  ich gleichsam unter ihren Ansprüchen, gebe jedem nur, was ihm unter Rücksicht auf das andere zusteht. Vielleicht also dem einen gar nichts; dann gerät offenbar eine Handlung mit einer  Unterlassung  in seitlichen Zusammenhang.

Unterlassung ist das sachliche Gegenstück, nicht die einfache Verneinung der Handlung; es ist die Aberhandlung. Meistens aber werden gleich mehrere Streben in Wettbewerb treten, und nicht immer bis auf ein einziges leer ausgehen. So kommt es dazu, daß für den Teil verschiedener Streben, die einander sonst fremd blieben, das erfüllende Handeln nur in  wechselseitiger Bedingnis  vollzogen wird. Dieser unpersönliche Hergang aber, mit dem eine Mehrheit von Handlungen deshalb in seitlichen Zusammenhang gerät, weil unter verschiedenen Streben über den Vorzug in der Erfüllung entschieden wird, sei  Werten  genannt.

Beachten Sie gütigst, in welchem Geiste ich dieses Wort zum Namen einer Formel mache. Ich damit nicht sagen, daß hier ein "Werten"  vorgenommen  wird; von dem persönlichen Gebaren, das hier in Wahrheit dahintersteckt, ist bald die Rede. So vielmehr ist die Nennung gemeint, daß hier das Werten schlechthin  eintritt;  im Sinne einer Spielart des Zusammenhangs im Handeln. Wir stellen uns bei der Fassung aller dieser Formeln gleichsam  über  die Handelnden; stellen uns also theoretisch aus dem Handeln heraus, um es nach seinen Zusammenhängen geistig zu beherrschen. Wir gebärden uns eben, als ob wir etwas Vorgegebenes durchordnen wollten; obwohl wir im Grunde nur das, was unser Handeln "setzt", aus dem setzenden Denken in verallgemeinerden Schlüssen ableiten.

Nun darüber,  wie die Not gebrochen wird.  Da alle Erfüllung an der Erüllbarkeit des Unerfüllten nagt, erhebt sich für uns der Zwang,  unser ganzes Streben erst noch erfüllbarer zu machen.  Ich beziehe mich hier sofort auf die Gesamtheit unserer Streben. Eigentlich müßte vorher zur Geltung kommen, daß schon jedes einzelne Streben zu einem anderen hinleiten kann, mit dem sich das erstere erfüllbar macht.

Wenn es sich zum Beispiel darum handelt, eine "Einschaltung in die zwecksame Verkettung" erst zu ermöglichen, ein "Mittel" verfügbar zu machen. Für den Teil des einzelnen Strebens berührt dies noch den strebigen Zusammenhang selber; es ist ein Ineinander von Handlungen. Der Umschlag zum  seitlichen  Zusammenhang erfolgt nur unter Bezug auf die Gesamtheit der Streben, und hängt an sehr verwickelten Bedingungen, die ich hier kurzweg unterschiebe.

Wenn ich es flüchtig und vorgreifend andeuten soll, wird uns ja "Erwerben" und "Erwerb" erst dann erfassbar, bildet sich erst dann die "Unternehmung" heraus, -  denn hier gehen Denken und Handeln stets Arm in Arm,  - sobald sich zu gleicher Zeit jener höchst verwickelte Tatbestand herausbildet, über den wir frischweg mit dem Worte "Geld" hinübersprechen. Solchen Einzelheiten kann ich ja nirgends folgen, muß mich an der Oberfläche der Fragen halten, um nicht in der Antwort oberflächlich zu werden.

So presst also das Gedränge unserer Wünsche ein neues Streben empor. Dort, der Formel des Wertens gemäß, war es Parade, hier ist es Ausfall gegen die Not. Das persönliche Gebaren, das hier unterliegt, erschöpft sich nicht in einem bloßen Schlichten: es ist selber einem Handeln gut, aus der Not geboren. Ich will  A,  und  B,  und  C,  und  D,  und so fort, und mit dem Streben, alle anderen Streben erfüllbarer zu machen; ergibt sichmir weiter ein Streben  M.  Dieses  M  wird jener  A, B, C, D  halber erstrebt; die letzteren aber sollen dem  M  zu Dank erfüllbarer werden.

So kommt es im tatsächlichen Verlauf dazu, daß sich das erfüllende Handeln  hier,  abermals in  wechselseitiger Bedingnis  vollzieht. Dieser unpersönliche Hergang, mit dem eine bestimmte Vielheit von Handlungen deshalb in seitlichen Zusammenhang gerät, weil die bessere Erfüllbarkeit der übrigen Streben nun selbst zu einem Streben geworden ist, sei  Werben  genannt.

Abermals bezieht sich der Name dieser Formel nicht auf das persönliche Gebaren; letzteres wäre hier das werbende Handeln; als Schema seiner Vollziehung das "Erwerben", im Erfolge der "Erwerb". Das Werben, aber tritt nur rein tatsächlich mit dem werbenden Handeln ein, im Sinne einer weiteren Spielart des Zusammenhanges im Handeln.

Ein Wort dazwischen. Wenn ich diese Hergänge im Handeln "Werten" und "Werben" nenne, dann will ich natürlich dem Gewissen der Sprache treu bleiben; ich wähle als Name das Wort aus, dessen geistiger Klang mit der geschilderten Sache einen Akkord gibt. Aber die Schilderung bleibt völlig unabhängig von dem Worte; dieses tritt er nachher als Name des Geschilderten hinzu. Das Letztere ist daher auch in keiner Weise an das Wort gebunden. Wenn Ihnen also die erkorenen Namen nicht gefallen, nennen Sie jene Hergänge wie immer; oder Sie nennen sie überhaupt nicht, sprechen einfach von "Hergang I", "Hergang II".

So liegen hier einmal die Dinge; Sie können die Namen ruhig wegblasen, und von der Sache fliegt nicht ein Stäubchen mit. Die Sache ruht in der entwickelten Schilderung, und diese wurzelt in einem Gedankengange,  der an keiner Stelle an der Deutung eines vereinzelten Wortes hängt.  Denkt man also die Namen, die dienenden Worte hinweg, so verharrt trotzdem die Schilderung, als Träger der Sache. Und mit ihr auch die  Möglichkeit einer Definition. 

Einer Definition aber, die wohl hinterher bereit ist, den zugewählten Namen zu erklären, die keineswegs aber von Haus ein vorgegebenes Wort zu deuten sucht. Vor der Welt des Handelns sollten wir noch am Allerwenigsten die Worte gleichsam als Natur behandeln. Vor dieser Welt, die nichts als die Nachschöpfung unseres Ichs ist, ist es nur die Gewohnheit, die unser Denken dem Worte verpflichtet; seine Bequemlichkeit läßt das Wort herrschen.

Dem ist hier nun gesteuert. Hier bauen wir eben von dem gewachsenen Boden des Erfahrenen, von dem Erleben herauf, und nicht erst auf dem Wortschutt, den das sprachschaffende Denken darüber abgelagert aht. Ich meine jenes urwüchsige, mit dem Handeln verwachsene Denken, dem zugleich auch die Sprache verwachsen bleibt, weil es sich im Schöpfen der Sprache erst recht ermöglicht und abklärt.

Werten und Werben, das schließt sich in keiner Weise gegenseitig aus. Dazu sind die Gebaren viel zu verschieden, die jenen Arten von Zusammenhang unterliegen. Dort ein Verketten von Handlungen, hier ein Handeln aus einer Verkettung heraus. Eher darf man sagen, es hingen unsere ganzen Handlungen zu gleicher Zeit im Sinne des Wertens und im Geiste des Werbens zusammen.

Das werbende Handeln, zum Beispiel, wird in besonders strenger Zucht vom Werten gehalten. Dort eben, wo man kämpfend gegen die Not vorgeht, wird man am Allerletzten übersehen, mit der Not zu rechnen. Und dann wieder, weshalb jagen die Leute so fieberhaft dem Erwerbe nach? Man will sich freiere Bewegung wahren, will die Formel Werten möglichst ferne halten von dem heimeligen Rest des Handelns; jene schnöde Formel, mit der gleichsam die Not selber ihre dürren Finger drosselnd um Wunsch und Verlangen krallt. Und so weben diese Zusammenhänge vielfach über und untereinander hinweg, im krausen Gespinste des Alltags.

Einen Blick noch auf das  persönliche Gebaren,  das unter dem Hergang des  Wertens  betätigt wird. Die  Wahlentscheidung im Handeln  steht da in Frage. Aber es steht nicht außer Frage, daß es hier zu einem "Schätzen des Wertes" kommt, in mancherlei Wendung? Nun,  reden  kann man natürlich auch hier von "Wert"; wo denn nicht! Mit der Geschmeidigkeit dieses Wortes läßt sich ja Kautschuk kaum mehr vergleichen. Aber für seine Dienste verlangt es Wucherlohn.

Nur im Hauch sei angedeutet, daß in jenen Bereichen das Wort "Wert" einer  Verquickung zerfällender und unzerfällender Erkenntnis  Vorschub leistet; weil man von "Werturteilen" sprechen kann, zieht es nach der einen, weil man daneben auch von "Wertgefühlen" reden kann, wieder nach der anderen Richtung; wobei ihm in der letzteren Hinsicht die rettenden Worte "Lust" und "Unlust" sekundieren. Im Enderfolg ist also Rechts und Links vertauscht. Allein, auf einen richtigen Streit dürfte ich mich hier nicht einlassen. Dazu ist der Wertlaut eben ein viel zu verschlagener Geselle.

In Kürze wird man nie recht fertig mit ihm, wo immer er auftaucht; sofern er nicht einfach ein trockenes Sprachgleichnis ist, wie in der Mathematik oder Technologie. "Wert", das ist so recht das Wort der Worte, der Retter aus tausend Nöten unseres Denkens, der Liebling aller tönenden Rede.
LITERATUR - Friedrich von Gottl-Ottlilienfeld, Die Herrschaft des Wortes, Untersuchungen zur Kritik des nationalökonomischen Denkens, Jena 1901