ra-3Das Medium ist die BotschaftDie Logik der Schrift    
 
ELIZABETH L. EISENSTEIN
Die Druckerpresse
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Die Erfindung Druckerpresse war eine wichtige Etappe auf dem Siegespfad der Popularisierungstechniken.

Es war nicht nur so, daß frühe Drucker, wie SCHÖFFER, darum bemüht waren, eine bestimmte Handschrift so originalgetreu wie nur möglich zu kopieren, sondern: Die Schreiber des 15. Jahrhunderts gaben das Kompliment zurück. Wie CURT BÜHLER zeigte, wurde eine große Anzahl der im späten 15. Jahrhundert verfaßten Handschriften nach der Vorlage früher gebundener Büchern kopiert. So erschienen händisch hergestellte Werke und Druckwerke weiterhin in nahezu nicht unterscheidbarer Form, auch dann noch, als die Drucker begannen, die Konventionen des Handschriftenwesens hinter sich zu lassen und einige der neuen Züge, die ihrer Kunst eigen waren, auszuschöpfen.

Die Tatsache, daß es neue, eigenständige Züge gab und daß diese genutzt wurden, muß ins rechte Licht gerückt werden. Trotz der Bemühungen, Handschriften möglichst originalgetreu zu duplizieren, bleibt die Tatsache bestehen, daß der Drucker PETER SCHÖFFER andere Verfahrensweisen anwandte als PETER SCHÖFFER, der Schreiber. Die Abwesenheit einer auch nur irgend sichtbaren Veränderung am Produkt war verbunden mit einem völligen Wandel der Produktionsmethoden, was eine paradoxe Kombination von augenscheinlicher Kontinuität und radikalem Wandel ergab. Dementsprechend scheint die zeitweilige Ähnlichkeit von Hand- und Druckarbeit die These einer allmählichen, evolutionären Veränderung zu unterstreichen; man kann jedoch auch die entgegengesetzte These befürworten, indem man explizit den Unterschied zwischen den beiden ungleichen Produktionsweisen unterstreicht und auf die neuen Merkmale achtet, die sichtbar zu werden begannen, bevor das 15. Jahrhundert zu Ende gegangen war.

Dem Handschriftenschreiber war die äußere Form naturgemäß besonders wichtig. Seine ganze Aufmerksamkeit galt der Gestaltung ebenmäßig spationierter, einheitlicher Lettern in ansprechendem, symmetrischem Design. Ein völlig andersartiges Verfahren war nötig, um einem Schriftsetzer Anweisungen zu geben. Dabei mußte man ein Manuskript, während man seinen Inhalt genau durchsah, korrigieren und mit Satzanweisungen versehen. Solcherart mußte jedes Manuskript, das in die Hände eines Druckers kam, aufs Neue überprüft werden - wobei in einem größeren Umfang redigiert, korrigiert und kollationiert wurde als bei einem handkopierten Text. Innerhalb einer Generation kam es zu einer Neuausrichtung der Zielsetzungen, von denen diese Durchsicht des Textes geleitet war - nicht mehr Treue den Konventionen des Handschriftenwesens gegenüber war gefragt, sondern den Bedürfnissen des Lesers sollte Genüge getan werden. Der äußerst kommerzielle, wettbewerbsorientierte Charakter der neuen Mode der Buchproduktion begünstigte eine vergleichsweise rasche Aneignung von verkaufsfördernden Innovationen.

Bereits deutlich vor 1500 hatten Drucker mit der Verwendung "von skalierten Buchstaben ... , Kapitelüberschriften ... Fußnoten ... Inhaltsverzeichnissen ... hochgestellten Ziffern ... Querverweisen ... und anderen, dem Schriftsetzer zur Verfügung stehenden Kunstgriffen, von denen jeder ein Signal für den Sieg des Stempelschneiders über den Schreiber darstellt, zu experimentieren begonnen." Titelseiten wurden zunehmend die Regel. Sie erleichterten das Anlagen von Bücherlisten, das Herstellen von Katalogen und waren als Werbung in eigener Sache wirksam. Handgezeichnete Illustrationen wichen leichter zu vervielfältigenden Holzschnitten und Kupferstichen - eine Innovation, die schließlich durch Einführung "exakt wiederholbarer bildlicher Aussagen" in Nachschlagewerken aller Art dazu beitrug, die naturwissenschaftliche Fachliteratur zu revolutionieren.

Die Vorbereitung von Text und Bildmaterial für gedruckte Ausgaben veränderte auch die künstlerische und routinemäßige Seite der Buchproduktion. Neue Techniken, wie Buchstabenguß und Druckarbeit brachten nicht nur effektive Veränderungen im Berufswesen mit sich, die Produktion gedruckter Bücher versammelte auch eine größere Anzahl überlieferter Fertigkeiten verschiedenster Art auf einem Platz. Im Zeitalter des Handschriftenwesens hatte die Herstellung von Büchern unter der Schirmherrschaft verschiedenster Berufsgruppen stattgefunden; diese waren repräsentiert durch Schreibwarenhändler und weltliche Kopisten in Universitätsstädten; in eigenen Ateliers ausgebildete Illuminatoren und Miniaturisten; speziellen Gilden angehörende Goldschmiede und Lederarbeiter; in Skriptorien versammelte Mönche und Laienbrüder; in Hofkanzleien und Gerichtshöfen arbeitende Privatschreiber und päpstliche Sekretäre; Prediger, die in Eigenregie Predigtsammlungen zusammenstellten; humanistische Poeten, die ihre eigenen Schreiber waren. Das Aufkommen des Buchdrucks führte zu einer Umstrukturierung der Werkstätten, die Facharbeiter verschiedener Berufe in engeren Kontakt brachte und neuen Formen des interkulturellen Austausches den Weg bahnte.

So ist es nicht ungewöhnlich, daß man unter den Druckern der Frühzeit ehemalige Priester findet oder daß ehemalige Äbte als Redakteure oder Korrektoren wirkten. Auch Universitätsprofessoren betätigten sich in ähnlichen Funktionen und kamen so in engeren Kontakt mit Metallarbeitern und Mechanikern. Andere Formen fruchtbarer Zusammenarbeit brachte Astronomen und Kupferstecher, Ärzte und Maler an einen Tisch. So wurden ältere Formen intellektueller Arbeitsteilung aufgelöst und eine Neukoordinierung der Kopf- und Handarbeit gefördert. Probleme bei der Finanzierung der Publikation der großen lateinischen Bände, die im späten Mittelalter an den theologischen, juridischen und medizinischen Fakultäten benutzt wurden, führten auch zur Bildung von Partnerschaften, die reiche Kaufleute und bodenständige Gelehrte in engeren Kontakt brachten. Die neuen Finanzkonsortien, gegründet, um die Druckermeister mit den benötigten Arbeitskräften sowie Hilfs- und Betriebsmitteln zu versorgen, brachten Stadt und Universität zusammen.

Als Schlüsselfigur, um die sich alle Vorkehrungen drehten, schlug der Druckermeister Brücken zwischen vielen Welten. Er war verantwortlich für die Beschaffung von Geld und Grundstoffen, für die Rekrutierung von Arbeitskräften, er entwickelte komplizierte Produktionspläne, mußte mit Streiks fertig werden, sich einen Überblick über den Buchmarkt verschaffen und seine Gehilfen inspizieren. Er mußte sich mit Beamten gutstellen, die ihm Schutz boten und ihn mit lukrativen Aufträgen versorgten, er förderte talentierte Autoren und Künstler, die seiner Firma finanzielle Gewinne und Prestige bringen konnten. An Orten, an denen sein Unternehmen gedieh und er eine einflußreiche Stellung unter den Mitbürgern einnahm, wurde seine Werkstatt zu einem richtigen Kulturzentrum, das bodenständige Literaten und berühmte Ausländer anzog und das sowohl einen Ort der Begegnung wie auch der Nachrichtenübermittlung für eine sich ausdehnende kosmopolitische Gemeinschaft der gelehrten Welt darstellte.

Gewiß hatten vor dem Erscheinen des Buchdrucks einige Handschriftenhändler ähnliche Funktionen erfüllt. Daß italienische Humanisten VESPASIANO da BISTICCI für viele der gleichen Dienste dankbar waren, die später ALDUS MANUTIUS leistete, haben wir bereits erwähnt. Nichtsdestotrotz unterschied sich das Geschäft, das MANUTIUS führte, in seiner Struktur merklich von dem, wie es VESPASIANO bekannt war. Als Prototyp des frühen Kapitalisten, wie auch als Erbe von ATTICUS und dessen Nachfolgern, beherrschte der Buchdrucker sogar ein noch größeres Repertoire an Rollen. ALDUS Haushalt in Venedig, der etwa dreißig Personen zählte, wurde unlängst von MARTIN LOWRY als eine "fast unglaubliche Mischung aus einer ausbeuterischen Klitsche, einer Pension und einem Forschungsinstitut" beschrieben. Sehr interessant wäre eine vergleichende Studie der beruflichen Kultur von PETER SCHÖFFER, dem Buchdrucker und PETER SCHÖFFER, dem Handschriftenschreiber. Im Gegensatz zum Wandel vom Schreibwarenhändler zum Verleger, stellte der Wandel vom Handschriftenschreiber zum Buchdrucker tatsächlich einen beruflichen Entwicklungssprung dar. SCHÖFFER war der erste, der diesen Schritt vollzog; bevor das Jahrhundert zu Ende ging, sollten ihm noch viele andere auf diesem Weg folgen.

Wenn wir uns ein Urteil nach der ausgezeichneten, von LEHMANN-HAUPT verfaßten Monographie bilden, standen viele von SCHÖFFERs bahnbrechenden Aktivitäten in Verbindung mit dem Wandel von einem Einzelhandel zu einem industriellen Großhandel. "Eine Zeitlang floß der Handel mit gedruckten Büchern innerhalb des engen Kanals des Handschriftenmarkts. Aber schon bald war der Strom nicht mehr einzudämmen." Neue Absatzgebiete wurden ausfindig gemacht; Handzettel, Rundschreiben und Verkaufskataloge wurden gedruckt; und die Bücher selbst brachte man den Rhein hinab und über die Elbe, westwärts nach Paris und südwärts in die Schweiz. Die Markterschließungskampagne ging Hand in Hand mit den Bemühungen, Konkurrenten in Schach zu halten, indem man bessere Produkte anbot oder jedenfalls Prospekte druckte, die "besser lesbare" Texte, die vollständigere und besser angeordnete" Register, ein "gewissenhafteres Korrekturlesen" und sorgfältigere Redigierung anpriesen. Man pflog freundschaftliche Verbindungen mit erzbischöflichen und kaiserlichen Beamten, nicht nur, weil man in ihnen potentielle Bibliophile oder potentielle Zensoren sah, sondern auch potentielle Kunden, die für eine unablässige Flut von Aufträgen für das Drucken von Verordnungen, Erlässen, Bullen, Ablässen, Flugblättern und Traktaten sorgten. Am Ausgang des Jahrhunderts war SCHÖFFER in der Stadt Mainz zu hohem Ansehen gelangt. Er konnte sich auf eine "großflächige Verkaufsorganisation" stützen, war Geschäftspartner in einem Bergbauunternehmen geworden und hatte eine Druckerdynastie gegründet. Seine Drucktypen gingen mit seinem Tod auf seinen Sohn über; die Firma SCHÖFFER setzte ihre Tätigkeit fort und weitete sie aus: Während der nächsten Generation druckte man auch Musiknoten.

Wie man aus dem Vorhergehenden schließen kann, gibt es in der Art der Aktivität des Mainzer Buchdruckers und des Pariser Handschriftenschreibers eine ganze Reihe von möglichen Gegensätzen. Zwar waren Geschäfts- und Wettbewerbsdenken weder den Schreibwarenhändlern, die die Universitätsfakultäten versorgten, noch den von Bettelorden angeheuerten weltlichen Handschriftenschreibern und auch nicht den Laienbrüderkopisten der von den Brüdern des einfachen Lebens gegründeten Gemeinden gänzlich fremd, doch hatte der kommerzielle Aspekt in der Berufstätigkeit dieser Menschen nicht denselben Stellenwert wie bei SCHÖFFER und seinen Konkurrenten, die bemüht sein mußten, die Anschaffungskosten beziehungsweise das Anfangskapital wieder hereinzubringen, Gläubiger zu befriedigen, große Mengen von Papier zu verbrauchen und die bei ihnen angestellten Drucker mit Arbeit zu versorgen. Der Handschriftenhändler mußte sich nicht, wie der Buchdrucker, um die Auslastungskapazität von Maschinen kümmern oder sich mit streikenden Arbeitern auseinandersetzen. Tatsächlich wurde schon der Gedanke ausgesprochen, daß allein die Einrichtung einer Druckerpresse in einem Kloster oder im Anschluß an einen religiösen Orden eine Quelle der Unruhe darstellte, da sie "eine Flut von Sorgen um Geld und Besitz" an einen Ort spülte, der zuvor der Meditation und guten Werken reserviert gewesen war.

Als Publicitymanager in eigener Sache gaben die Drucker der Frühzeit Bücherlisten, Rundschreiben und Flugblätter heraus. Sie setzten Firmennamen, Emblem und Geschäftsadresse auf die Titelseite ihrer Bücher. Ihre Art und Weise, die Titelseite handzuhaben, brachte eine signifikante Umkehrung der Usancen der Handschriftenschreiber: Sie setzten sich selbst an die erste Stelle, während das Signet der Schreiber in der letzten Zeile gestanden war. Sie dehnten ihre neuen werbestrategischen Techniken auf die Autoren und Künstler aus, deren Werke sie veröffentlichten und leisteten so einen Beitrag zu neuen Formen persönlicher Berühmtheit. Rechenmeister und Instrumentenmacher profitierten genau wie Professoren und Prediger von der Buchreklame, die ihre Namen über Werkstätten und Vorlesungssäle hinaus bekanntmachte. Untersuchungen, die sich dem Entstehen einer weltlichen Intelligenz, der neuen Hochschätzung der handwerklichen Künste oder der verbesserten Sichtbarkeit widmen, die eine Folge des "kapitalistischen Geistes" war, könnten ohne weiteres diesen Vorreitern der Werbekunst mehr Aufmerksamkeit schenken.

Daß sie die Kontrolle über ein neues System der Werbung hatten, brachte die Buchdrucker der Frühzeit im Vergleich zu anderen Unternehmen in eine außerordentlich günstige Position. Sie waren nicht nur auf der Suche nach immer größeren Absatzmärkten für ihre eigenen Produkte, sondern trugen auch zur Expansion anderer gewerblicher Unternehmen bei, wovon sie selbst wiederum profitierten. Welche Auswirkungen hatte das Auftauchen neuer werbetechnischer Praktiken auf Handel und Industrie des 16. Jahrhunderts? Möglicherweise sind einige Antworten auf diese Frage bekannt. Vielleicht können andere noch gefunden werden. Viele weitere, die Akzidenz betreffende Aspekte und die Veränderungen, die eine solche Tätigkeit auslöste, müssen fraglos genauer untersucht werden. Die zuerst in der Mainzer Werkstatt von GUTENBERG und FUST gedruckten Kalender und Ablässe verdienen in diesem Zusammenhang beispielsweise mindestens ebensoviel Augenmerk wie die berühmteren Bibeln. Tatsächlich veranschaulicht die Massenproduktion von Ablässen ziemlich schlüssig eine Art von Veränderung, die häufig unbeachtet bleibt, so daß ihre Folgen schwieriger einzuschätzen sind als es vielleicht nötig wäre.

Im Gegensatz zu den oben skizzierten Veränderungen sind jene, die mit der Rezeption der neuen Druckerzeugnisse zu tun haben, nicht so eindeutig faßbar und schwieriger zu behandeln. Demnach muß in dieser Frage ein großer Spielraum für Ungewißheiten veranschlagt werden. Was das schwierige Problem der Schätzung von Alphabetisierungsraten vor und nach der Erfindung des Buchdrucks betrifft, scheinen die Kommentare CARLO CIPOLLAs sehr einleuchtend:
Es ist nicht leicht, aus dem verstreuten Belegmaterial, das ich zitiert habe und aus dem ebenso verstreuten Belegmaterial, das ich nicht zitiert habe, Schlüsse zu ziehen ... Ich könnte zu dem Schluß kommen, daß es am Ende des 16. Jahrhunderts "mehr alphabetisierte Menschen gab, als wir gemeinhin annehmen" ... Ebenso könnte ich folgern, daß "es weniger alphabetisierte Menschen gab, als wir gemeinhin annehmen", denn offen gestanden weiß man niemals genau, was es ist, das "wir gemeinhin annehmen" ... Man könnte es wagen, die Ansicht zu äußern, daß am Ende des 16. Jahrhunderts die Analphabetenrate für die erwachsene Bevölkerung Westeuropas in den Städten der verhältnismäßig fortgeschritten Gegenden unter 50 Prozent betrug, während sie in allen ländlichen Gebieten sowie in den Städten der rückständigen Gegenden über 50 Prozent ausmachte. Das wäre eine erschreckend vage Aussage aber das vorliegende Belegmaterial erlaubt kein Mehr an Präzision.
Angesichts der lückenhaften Quellen und der daraus resultierenden Schwankungen bei der Feststellung des lese- und schreibkundigen Anteils der Bevölkerung wäre es eine Überlegung wert, die vieldiskutierten Probleme der Ausbreitung der Alphabetisierung solange ruhen zu lassen, bis andere Fragestellungen sorgfältiger erforscht sind. Daß es - außer den Fragen der Ausweitung des Lesepublikums oder der "Verbreitung" neuer Ideen - weitere Themen gibt, die eine Untersuchung lohnten, ist für sich ein wichtiger Punkt, auf den in diesem Buch immer wieder hingewiesen wird. Wenn wir an die Transformation denken, die die Erfindung des Buchdrucks im Anfangsstadium bewirkt hat, sollten auf jeden Fall die Veränderungen, von denen bereits alphabetisierten Gruppen betroffen waren, vorrangig untersucht werden, bevor man sich dem zweifelsohne hochinteressanten Problem der Ausweitung solcher Gruppen zuwendet. Ist das Interesse einmal auf die bereits alphabetisierten Sektoren konzentriert, so stellt sich selbstredend auch die Frage nach deren sozialer Zusammensetzung. Hat der Buchdruck anfangs Prälaten und Patriziern als göttliche Kunst" gedient oder sollte man sich ihn als "Freund des armen Mannes" vorstellen?

Zeitzeugen sprechen sowohl vom einen wie auch vom anderen und das entspricht wohl auch den tatsächlichen Gegebenheiten. Wenn man an die Schreiberfunktionen römischer Sklaven, oder später der Mönche, Laienbrüder, Privatschreiber und Notare denkt, dann läßt sich daraus folgern, daß die Fähigkeit zu schreiben und zu lesen sich niemals mit einem gesellschaftlichen Elitestatus gedeckt hat. Man wird auch in der Vermutung nicht fehlgehen, daß diese Fähigkeiten sich besser mit "sitzenden" Berufen vertrugen, als mit dem von vielen Landedelleuten und Lords bevorzugten Reiten und Jagen. Im Lichte dieser Überlegungen erscheint es irrig anzunehmen, daß die neuen Druckerpressen Produkte, die bisher nur von den Oberschichten benutzt wurden, jetzt auch den Unterschichten zugänglich machten. Wahrscheinlich ist, daß viele ländliche Gegenden erst nach dem Eintritt ins Eisenbahnzeitalter von dieser Entwicklung berührt wurden. Denkt man daran, daß das frühneuzeitliche Europa überwiegend von Bauern bevölkert war und daß die Beständigkeit lokaler Dialekte eine zusätzliche Barriere zwischen dem gesprochenen und dem geschriebenem Wort darstellte, so ist es gut vorstellbar, daß eingangs nur ein sehr kleiner Anteil der gesamten Bevölkerung von der Verlagerung des Handschriftenwesens auf den Buchdruck betroffen war.

Nichtsdestoweniger umfaßte diese relativ kleine und überwiegend urbane Bevölkerungsgruppe aller Wahrscheinlichkeit nach ein ziemlich breites soziales Spektrum. Im England des 15. Jahrhunderts beispielsweise belieferten Tuchhändler und Berufsschreiber, die auch einen Handschriftenhandel betrieben, bereits einfache Bäcker und Kaufleute aber auch Rechtsgelehrte, Ratsherren oder Ritter. Die starke Zunahme schreib- und lesekundiger Kaufleute im Italien des 14. Jahrhunderts ist ebenso bemerkenswert wie die Existenz eines schreibunkundigen Armeekommandanten im Frankreich des späten 16. Jahrhunderts.

Es wäre jedoch ein Irrtum anzunehmen, daß eine Abneigung gegen das Lesen besonders für den Adel charakteristisch war; dagegen scheint die Annahme plausibel, daß sowohl der weltliche Adel wie auch die gemeinen Bürger eine Abneigung gegen die lateinische Pedanterie teilten. Fragwürdig wäre es auch, das Lesepublikum der Frühzeit als "mittelständisch" zu bezeichnen. Und besondere Vorsicht ist vonnöten, wenn man Genres von Büchern Lesergruppen zuordnet. Nur allzu oft wird als selbstverständlich angenommen, daß Werke ohne intellektuellen Anspruch oder "vulgär anstößige" Werke den Geschmack der "unteren Klassen" widerspiegeln, obwohl Autorschaft und Büchereikataloge oft Beweise für das Gegenteil parat halten. Bevor das Lesevermögen allgemein verbreitet war, waren die "populärsten" Werke diejenigen, die bei unterschiedlichen Gruppen von Lesern und nicht nur bei der Unterschicht Anklang fanden.

Auch ist es weit schwieriger, eine Trennlinie zwischen einem Latein lesenden und einem in der Landessprache lesenden Publikum mit dem sozialen Status in Beziehung zu setzen, als uns viele Darstellungen glauben machen wollen. Zwar genoß im 16. Jahrhundert ein Arzt, der sich des Lateinischen bediente, ein höheres Ansehen als ein Chirurg, der das nicht machte, man muß aber festhalten, daß aller Wahrscheinlichkeit nach keiner von beiden den höchsten Reichsständen angehörte. Insofern als die Übersetzungen in die Landessprache auf Leser abzielten, die kein Latein beherrschten, hatten sie häufig sowohl Edelknaben als auch Lehrburschen im Visier, richteten sich an den Landadel, an Ritter und Höflinge genauso wie an Ladeninhaber und Sekretäre. In den Niederlanden signalisierte eine Übersetzung vom Lateinischen ins Französische oft, daß diese mit dem Lebensbereich urbaner Laien, die nur niederrheinische Dialekte sprachen, nichts zu tun hatte und wies auf mehr oder minder exklusive höfische Kreise hin. Gleichzeitig könnte eine Übersetzung ins "Holländische" eher auf Prediger ausgerichtet gewesen sein, die in ihrer Predigt Stellen aus der Heiligen Schrift zitieren mußten, als auf Laien (von denen zu oft angenommen wird, daß sie die einzige Zielgruppe für religiöse Werke in der Landessprache darstellen). Erzieher von jungen Prinzen, Lehrer am Hofe oder an kirchlichen Schulen und Kapläne, die, königlichen Anfragen nachkommend, aus dem Lateinischen übersetzten, hatten sogar schon Plonierarbeit auf dem Gebiet der "Popularisierungstechniken" geleistet, bevor die Buchdrucker mit ihrer Tätigkeit begannen.

Man kann Mutmaßungen über Transformationen sozialer und psychologischer Art einmal hintanstellen, sollte hier aber doch gewissen Punkten seine Aufmerksamkeit nicht versagen. Wie R. ALTICK vorschlägt, ist es notwendig, zwischen Lese- und Schreibfertigkeit und gewohnheitsmäßigem Bücherlesen zu unterscheiden. Keineswegs alle, die die Schrift beherrschen, und das gilt auch noch heute, gehören zum Kreis des Bücher lesenden Publikums. Lesen zu lernen ist zudem nicht dasselbe wie durch das Lesen lernen. Das Vertrauen auf die Lehrlingsausbildung, auf mündliche Kommunikation und besondere Gedächtnishilfen ging im Zeitalter des Handschriftenwesens Hand in Hand mit dem Erlernen der Buchstaben. Mit dem Aufkommen des Buchdrucks jedoch wurde die Übermittlung schriftlicher Information weit effizienter. Nicht nur der sich außerhalb der Universitäten befindliche Handwerker profitierte von den neuen Möglichkeiten des Selbstunterrichts. Genau so wichtig war, daß aufgeweckten, klugen Studenten jetzt die Möglichkeit offenstand, den Horizont ihrer Lehrer zu überschreiten.

Begabte Studenten mußten nicht länger zu Füßen eines bestimmten Lehrers sitzen, um eine Sprache zu erlernen oder sich akademische Fähigkeiten anzueignen. Statt dessen konnten sie sich alsbald eigenständig die Meisterschaft erwerben, sogar indem sie Bücher hinter dem Rücken ihrer Lehrer schmökerten - wie das der junge Astronom in spe TYCHO BRAHE gemacht hatte. "Warum sollten alte Männer jüngeren vorgezogen werden, jetzt, da es für die Jungen möglich ist, durch fleißiges Studieren dasselbe Wissen zu erwerben?" fragte der Verfasser eines Abrisses der Geschichte des 15. Jahrhunderts. In dem Maße, in dem Lernen durch Lesen immer größere Bedeutung erlangte, büßten Gedächtnisstützen ihre Wichtigkeit ein. Reim und Rhythmus wurden nicht mehr benötigt, um bestimmte Formeln und Rezepte zu behalten. Die Natur des kollektiven Gedächtnisses wurde transformiert.

In VICTOR HUGOs Notre Dame de Paris starrt ein in seinem Arbeitsraum in tiefe Meditation versunkener Gelehrter ... auf das erste gedruckte Buch, das sich eingefunden hat, um Verwirrung in seine Handschriftensammlung zu bringen. Dann ... starrt er auf die mächtige Kathedrale, deren Silhouette sich gegen den sternenübersäten Himmel abhebt ... "Ceci tuera cela", sagt er. Das gedruckte Buch wird das Bauwerk zerstören. Die Parabel, die HUGO aus einem bilderreichen Vergleich des Gebäudes mit der Ankunft eines gedruckten Buchs in seiner Bücherei entwickelt, könnte auf die Wirkung der Ausbreitung des Buchdrucks auf die unsichtbaren Kathedralen der Erinnerung an die Vergangenheit angewandt werden. Das gedruckte Buch wird solche angehäuften, mit Bildern befrachteten Erinnerungen überflüssig machen. Es wird mit aus undenklicher Vorzeit stammenden Gewohnheiten, bei denen ein "Ding" unmittelbar mit einem Bild belehnt und im Gehirn gespeichert wird, aufräumen.

Der Buchdruck setzte nicht nur viele Aufgaben außer Funktion, die beispielsweise von über Portalen angebrachten Steinfiguren oder von mit Glasmalerei geschmückten Fenstern wahrgenommen wurden. Indem der Buchdruck die Verwendung von Bildern zur Gedächtnisstütze entbehrlich machte, verstärkte er bilderstürmerische Tendenzen, die damals schon unter vielen Christen verbreitet waren. Obwohl CALVIN in seiner verachtungsvollen Absage an diesen Ausspruch den Buchdruck nicht erwähnte, lag das neue Medium dem kalvinistischem Postulat zugrunde, den Analphabeten nicht Götzenbilder zu geben, sondern sie lesen zu lehren. So gesehen mag die Folgerung plausibel erscheinen, daß der Buchdruck eine Bewegung "von der Bildkultur zur Wortkultur" förderte.

Doch war die durch den Buchdruck ausgelöste kulturelle Metamorphose sicherlich weit komplizierter, als das jedwede einzelne Formel auszudrücken vermöchte. Einerseits nahm nach der Etablierung von Druckereien in ganz Westeuropa die Produktion von Stichen und Schnitten zu und nicht ab, anderseits nutzte die protestantische Propaganda gedruckte Bilder in nicht geringerem Maße als gedruckte Worte, wie man aus der Existenz zahlreicher Karikaturen und Cartoons schließen kann. Einige Protestanten verteidigten sogar bildliche Darstellungen religiöser Natur - wegen ihrer Verträglichkeit mit der Druckkultur. LUTHER selbst wies auf die Inkonsequenz von Bilderstürmern hin, die Bilder von den Wänden rissen, Bibelillustrationen gegenüber aber Ehrfurcht an den Tag legten. Bilder "richten an den Wänden keinen größeren Schaden an als in Büchern" bemerkte er, um dann plötzlich in diesem Gedankengang auf etwas sarkastische Weise innezuhalten: "Ich muß jetzt aufhören, damit ich nicht den Bilderstürmern einen Anlaß gebe, die Bibel gar nicht zu lesen oder sie zu verbrennen."

Wenn wir die Vorstellung einer Bewegung vom Bild zum Wort akzeptieren, wird es uns zudem nicht ganz leicht fallen, Erklärungen für das Werk von nordeuropäischen Künstlern wie DÜRER, CRANACH oder HOLBEIN zu finden, die mit dem Protestantismus assoziiert waren, nichtsdestoweniger aber dem Buchdruck viel verdankten. Wie man aus DÜRERs Karriere schließen kann, haben die neuen Künste des Buchdrucks und des Kupferstichs die Bedeutung von Bildern in keinster Weise geschmälert; im Gegenteil, sie erweiterten die Möglichkeiten für Bilder schaffende Künstler und halfen die Weichen für den Kurs zu stellen, den die Kunstgeschichte auch noch gegenwärtig steuert.
LITERATUR - Elizabeth L. Eisenstein, Die Druckerpresse, Wien/New York 1997