ra-3Das Medium ist die BotschaftDie Logik der Schrift    
 
ELIZABETH L. EISENSTEIN
Die Druckerpresse
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... wurde sogleich der Ruf nach der Polizei laut, weil eine solche Fülle an wertvollen Büchern nur mit Hilfe des Teufels in die Hände eines Einzelnen gelangt sein konnte.

Um beispielsweise durch den Buchdruck eingeleitete Veränderungen richtig einschätzen zu können, müssen wir uns über die Umstände klar werden, die herrschten, bevor er in Erscheinung trat. Die Bedingungen der Handschriftenkultur können nur durch den Filter des Buchdrucks betrachtet werden.

Selbst eine flüchtige Kenntnis der Forschungsergebnisse von Anthropologen oder die gelegentliche Beobachtung von Kindern im Vorschulalter können uns helfen, die Kluft zwischen mündlichen Kulturen und Schriftkulturen in Erinnerung zu rufen. So haben einige Studien den Unterschied von Denkweisen, die durch das gesprochene Wort, und solchen, die durch das geschriebene geformt wurden, beleuchtet. Die Kluft, die unsere Erfahrung von derjenigen alphabetisierter Eliten trennt, die ausschließlich auf handkopierte Texte angewiesen waren, ist jedoch weit schwieriger zu verstehen. Gegenwärtig existiert weder in unserer Erfahrung noch in der irgendeines Geschöpfes der westlichen Welt etwas, das man damit vergleichen könnte. Es wird also notwendig sein, die Bedingungen der Handschriftenkultur mit Hilfe von Geschichtsbüchern und Nachschlagewerken künstlich zu rekonstruieren, wobei man jedoch immer wieder damit rechnen muß, daß diese Werke eher dazu tendieren, den Gegenstand einer solchen Untersuchung zu verschleiern als ihn zu enthüllen. Handschriftlich kopierte Texte werden übertragen, Trends, die erst nach der Erfindung des Buchdrucks einsetzten, zurückverfolgt. Solcherart wird es schwierig, sich die Existenz einer unverwechselbaren, auf händischem Kopieren basierenden Literarkultur vorzustellen. Ja, es existiert nicht einmal ein allgemein akzeptierter und angewandter Begriff, der das vor der Erfindung des Buchdrucks herrschende System schriftlicher Kommunikation bezeichnet.

Bemühungen, die vor der Erfindung des Buchdrucks herrschenden Verhältnisse zu rekonstruieren, bringen demnach die Wissenschaftler in eine vertrackte Situation. Eine solche Rekonstruktion ist nur unter Heranziehung von Druckwerken möglich - ein Umstand, der einen klaren Blick auf die Bedingungen, die herrschten, bevor diese Unterlagen zur Verfügung standen, trüben muß. Auch wenn das Dilemma durch die Arbeit einfühlsamer Gelehrter, denen es nach dem Studium zahlloser Dokumente gelingt, ein authentisches "Gefühl" für diese Zeiten zu entwickeln, zum Teil gelöst werden kann, so bleibt das Ergebnis der Bemühungen zur Rekonstruktion doch äußerst unbefriedigend.

Denn selbst die strukturelle Beschaffenheit der Handschriftenliteratur war so wechselhaft und vielgestaltig, daß nur wenige langfristige Tendenzen auszumachen sind. Bedingungen, die im Umkreis der Buchhandlungen des alten Rom, in der Alexandrinischen Bibliothek oder in gewissen mittelalterlichen Klöstern und Universitätsstädten herrschten, ermöglichten es alphabetisierten Eliten, eine relativ kultivierte und subtile "gelehrte" Kultur zu entwickeln. Mit der Zeit jedoch schrumpfte in allen Bibliothekssammlungen der Bestand an Dokumenten; Texte in handschriftlicher Form wurden durch das häufige Kopieren in der Regel immer mehr entstellt. Zudem waren außerhalb besonderer, oft kurzlebiger Zentren die Ressourcen der Handschriftenkultur so kümmerlich, daß sogar alphabetisierte Eliten vor allem auf mündliche Tradierung bauten. Insofern als das Kopieren in den Skriptorien überwiegend per Diktat erfolgte und literarische Werke durch lautes Vorlesen "veröffentlicht" wurden, war sogar die "Buch"-Gelehrsamkeit maßgeblich dem gesprochenen Wort verpflichtet - mit dem Ergebnis einer hybriden Kulturform, die zur Hälfte eine Schriftkultur, zur Hälfte eine mündliche Kultur war und die heutzutage kein genaues Pendant kennt. Auf die Fragen, was vor der Erfindung des Buchdrucks  Publikation  exakt bedeutete oder wie im Zeitalter des Handschriftenwesens und der Kopisten Informationen genau übermittelt wurden, ist eine allgemeine Antwort nicht möglich. Untersuchungsergebnisse unterscheiden sich je nach Zeit und Ort beträchtlich, Widersprüchliche Urteile häufen sich besonders in bezug auf das letzte Jahrhundert vor dem Aufkommen des Buchdrucks - einer Zeit, in der Papier verfügbar wurde und die Wahrscheinlichkeit zunahm, daß der schreib- und lesekundige Mensch sein eigener Schreiber wurde.

Das Fehlen durchschnittlicher Produktionsziffern oder einer typischen Verfahrensweise können bei dem Versuch, die Voraussetzungen für die Ankunft des Buchdruckes zu erarbeiten, einen Stolperstein darstellen. Nehmen wir beispielsweise eine trügerisch einfache summarische Aussage her, die ich machte, als ich zuerst versuchte, die durch den Buchdruck hervorgerufene Umwälzung zu beschreiben. Ich behauptete, daß die Buchproduktion im 15. Jahrhundert sich von den Skriptorien in die Druckereien verlegt hatte. Diese Ansicht stieß auf Kritik, da sie eine zuvor stattgefundene Verlegung der Tätigkeit von den Skriptorien in die Schreibwarengeschäfte unberücksichtigt ließ. Im Verlauf des 12. Jahrhunderts begannen (Laien)schreibwarenhändler klösterliche Schreiber zu ersetzen. Bücher, die die Universitätsfakultäten und die Bettelorden benötigten, wurden durch eine Art "Herausgabesystem" produziert. Kopisten waren nicht mehr in einem Raum versammelt, sondern arbeiteten an verschiedenen Abschnitten des Textes und wurden nach dem sogenannten Pecia-System für jedes Teilstück vom Schreibwarenhändler bezahlt. ( Pecia  bedeutet im mittelalterlichen Latein  Stück ) Demnach hatte die Buchproduktion meinem Kritiker zufolge drei Jahrhunderte vor der Ankunft des Buchdrucks die Skriptorien verlassen.

Dieser Einwand verdient es offensichtlich, daß man sich näher mit ihm befaßt. Natürlich sollte man das Aufkommen des (Laien)schreibwarenhändlers in Universitätsstädten und anderen urbanen Zentren während des 12. und 13. Jahrhunderts nicht unbeachtet lassen. Ob ein Mönch ohne Bezahlung für die Vergebung seiner Sünden arbeitet oder ein Laie gegen Lohn Kopien herstellt - das macht einen beachtenswerten Unterschied. Jüngste Untersuchungen haben die Verwendung eines Herausgabesystems betont und außerdem langlebige Hypothesen in Frage gestellt, die von einer Existenz von Laienskriptorien ausgingen, die an Schreibwarengeschäfte angeschlossen gewesen wären. Man muß also besonders vorsichtig sein, wenn man den Begriff Skriptorium für die Beschreibung der Bedingungen im späteren Mittelalter verwendet - vorsichtiger als ich es in meiner ersten Version war.

Anderseits sollte man sich auch davor hüten, Trends zu großes Gewicht beizumessen, die im 12. Jahrhundert in Paris, Oxford, Bologna und anderen Universitätsstädten lanciert wurden, wo Kopien, um einem besonderen institutionellen Bedarf nachzukommen, möglichst schnell vervielfältigt wurden. Achtung ist geboten, wenn man universitätsinterne Regelungen zur Kontrolle der Kopisten auf die tatsächlichen Praktiken der Universitäts-Schreibwarenhändler ausdehnt - und insbesondere auf Buchhändler, die eine nichtuniversitäre Klientel bedienten.

Nicht vergessen sollte man auch, daß relativ fest umrissene Muster des 13. Jahrhunderts im späten 14. Jahrhundert verwischt werden. Während der Zeitspanne zwischen 1350 und 1450 - dem für unsere Thematik entscheidenden Jahrhundert - waren die Bedingungen außergewöhnlich anarchisch, und einige vermutlich obsolete Gewohnheiten gelangten zu neuer Blüte. So begann damals das letzte goldene Zeitalter" klösterlicher Skriptorien.

Es ist nicht einfach herauszufinden, was in den 50er Jahren des 15. Jahrhunderts in einer bestimmten Mainzer Werkstatt vor sich ging. Wenn man diverse andere Untersuchungen betreibt, mag es geradezu opportun erscheinen, auf eine dermaßen problematische Angelegenheit nicht explizit einzugehen. Inakzeptabel wäre eine solche Vorgehensweise jedoch im Falle des Auftauchens neuer Berufsgruppen, die sich neuer Techniken bedienten und neuartige Werkstätten mit neuen Ausstattungen versahen, gleichzeitig Handelsnetze ausdehnten und auf der Suche nach neuen Märkten waren, um ihre Absatzgewinne zu steigern. Während man vor der Mitte des 15. Jahrhunderts in Europa nirgendwo eine Buchdruckerwerkstatt kannte, war es um das Jahr 1500 möglich, in jedem wichtigen Gemeindezentrum eine solche antreffen. Diese Buchdruckerwerkstätten bereicherten die urbane Kultur in hunderten von Städten um ein neues Element. All das zu übergehen, wenn man sich anderen Problemen widmet, würde uns als unbedachte Vorgehensweise erscheinen. Aus diesen, neben anderen Gründen, überspringen wir die Vervollkommnung eines neuen Druckprozesses mit beweglichen Lettern und verweilen auch nicht bei der überaus umfangreichen Literatur, die sich der Darstellung der Erfindung GUTENBERGs widmet. Uns dient der Begriff "Buchdruck" schlicht als zweckdienliches Markenzeichen, als eine Kurzformel zur Bezeichnung eines Komplexes von Erfindungen (zu der die Verwendung von beweglichen Lettern aus Metall, von Tinte auf Ölbasis, einer Handpresse aus Holz, usw. gehören). Nicht eine Mainzer Druckerei ist unser Ausgangspunkt, sondern wir beginnen dort, wo viele Untersuchungen enden: Mit der Publikation der ersten datierten Druckerzeugnisse und dem Einstieg der unmittelbaren Nachfolger des Erfinders in das Druckgeschehen.

Unter dem Aufkommen des Buchdrucks ist die Einrichtung von Druckerpressen in urbanen Zentren über das Rheinland hinaus während einer Zeitspanne, die in den 60er Jahren des 15. Jahrhunderts beginnt und sich, sehr grob gesehen, mit dem Zeitalter der Inkunabeln deckt, zu verstehen. Hier haben bisher erst so wenige Untersuchungen angesetzt, daß die Prägung eines allgemein gebräuchlichen Begriffes noch aussteht. Man könnte von einer grundlegenden Veränderung einer Form der Buchproduktion, von einer Revolution im Bereich der Medien und der Kommunikation sprechen oder vielleicht am einfachsten und explizitesten von einer Umstellung vom Handschriftenwesen auf den Buchdruck. Wie immer wir das nennen, gemeint ist damit ein vielfältiges System verhältnismäßig gleichzeitiger, zusammenhängender Veränderungen, deren jede eines genaueren Studiums und einer ausführlicheren Behandlung bedarf - wie die folgende flüchtige Skizze andeuten mag.

Zu allererst verdienen der markante Zuwachs der Buchproduktion und die drastische Reduktion der zur Produktion notwendigen Zahl von Arbeitsstunden deutlicher hervorgehoben zu werden. Derzeit neigt man dazu, sich eine kontinuierliche Zunahme der Buchproduktion während des ersten Jahrhunderts des Buchdrucks vorzustellen. Ein evolutionäres Modell der Veränderung wird an eine Situation angelegt, die nach einem revolutionären Modell zu verlangen scheint.
Jemand, der im Jahr 1453 (dem Jahr des Falls von Konstantinopel) geboren war, konnte in seinem 50. Jahr auf eine Lebenszeit zurückblicken, während der etwa acht Millionen Bücher gedruckt worden waren. Das war wahrscheinlich mehr als alle Handschriftenschreiber Europas produziert hatten, seit Konstantin seine Stadt im Jahr 330 gründete.
Über die tatsächliche Produktion "aller Handschriftenschreiber Europas" kann (und muß) man natürlich diskutieren. Auch wenn man die Schwierigkeit beiseite läßt, die Zahl von Büchern zu schätzen, die nicht katalogisiert und später zerstört wurden, ist bei der Interpretation zeitgenössischer Belege Vorsicht geboten, da sie, was die Anzahl der involvierten Bücher betrifft, häufig zu falschen Schlüssen verleiten. Da es üblich war, eine Anzahl von Texten, die innerhalb einer Umschlaggarnitur gebunden wurden, als ein einziges Buch zu registrieren, ist es nicht leicht, die tatsächliche Anzahl von Texten in einer bestimmten Handschriftensammlung festzustellen. Daß ein Gegenstand, der als ein Buch gezählt wurde, häufig eine wechselnde Kombination von vielen beinhaltete, ist ein weiteres Beispiel für die Schwierigkeit, Daten aus dem Zeitalter des Handschriftenwesens zu quantifizieren. Ähnlich diffizil ist die Ermittlung der Anzahl der Arbeitsstunden, die nötig waren, um handgeschriebene Bücher zu kopieren. Alte Schätzungen, die auf der Anzahl der Monate basierten, die 45 für den florentinischen Handschriftenhändler VESPASIANO da BISTICCI arbeitende Schreiber benötigten, um 200 Bücher für COSIMO de MEDICIs Badia-Bücherei zu produzieren, wurden durch jüngste Untersuchungen praktisch wertlos.

Viele wertvolle Texte konnten gerade noch vor der Vernichtung bewahrt werden, unzählige sind nicht mehr erhalten. Oft hing das Fortbestehen eines Textes von einer Kopie ab, die ein interessierter Gelehrter als sein eigener Schreiber gelegentlich angefertigt hatte. Angesichts der Unmenge von "einzigartigen" Texten und der Fülle von Varianten ist es zweifelhaft, ob man davon sprechen kann, daß vor dem Erscheinen des Buchdrucks "identische Ausgaben" "vervielfältigt" wurden. Dieser Punkt ist besonders wichtig, wenn es sich um naturwissenschaftliche Fachliteratur handelt. Selbst eine einzige "identische" Ausgabe eines bedeutenden naturwissenschaftlichen Werkes anzufertigen, war so schwierig, daß man diese Aufgabe nicht den nächstbesten Lohnschreibern anvertrauen konnte. Gebildete Männer mußten sich damit befassen, Tafeln, Diagramme und ihnen nicht geläufige Termini "Sklavisch zu kopieren". Die Produktion vollständiger Ausgaben von Serien von astronomischen Tafeln hat die vorangegangene Praxis nicht nur "intensiviert". Es hat sie umgekehrt und eine neue Situation geschaffen, die Zeit zu Beobachtung und Forschung ließ.

Beachten sollte man, daß die zuvor stattgefundene Einführung des Papiers im Europa des 13. Jahrhunderts nicht im entferntesten eine "ähnliche" Auswirkung hatte. Die Herstellung von Papier kam den Bedürfnissen von Kaufleuten, Bürokraten, Predigern und Literaten entgegen; Sie beschleunigte das Tempo des Briefverkehrs und ermöglichte es einer größeren Anzahl von Literaten als ihre eigenen Schreiber zu arbeiten. Noch immer benötigte man aber dieselbe Anzahl von Arbeitsstunden, um einen bestimmten Text herauszubringen. Von Schreibwarenhändlern oder Cartolai geführte Geschäfte vermehrten sich rasant als Antwort auf eine steigende Nachfrage nach Notizblöcken, Heften, zurechtgeschnittenen Bogen und anderen Waren. Zusätzlich zum Verkauf von Schreibmaterialien und Schulbüchern, von Buchbindematerial und Dienstleistungen waren einige Kaufleute auch Bücherliebhabern behilflich, indem sie wertvolle Werke ausfindig machten. Sie ließen Kopien auf Provisionsbasis herstellen und boten einige davon in ihren Geschäften zum Verkauf an. Ihr Engagement im Buchhandel war jedoch beiläufiger als man denken möchte. "Die Aktivitäten der Cartolai waren vielfältig ... Diejenigen, die auf den Verkauf und die Vorbereitung von Buchmaterialien oder Bucheinbänden spezialisiert waren, befaßten sich wahrscheinlich mit der Herstellung oder dem Verkauf von Manuskripten und (später) gebundenen neuen oder antiquarischen Büchern, sehr wenig oder gar nicht."

Selbst der Buch-Einzelhandel, den der berühmteste Florentiner Buchhändler VESPASIANO da BISTICCI betrieb, dessen Dienste Prälaten und Prinzen in Anspruch nahmen und der "alles nur Denkbare versuchte", um Kunden anzulocken und Verkäufe zu tätigen, hatte niemals die Chance, ein Großhandelsbetrieb zu werden. Trotz der unüblich aggressiven Methoden VESPASIANOs bei der Verkaufsförderung und dem Zusammenbringen von Käufern und Büchern gibt es keine Anzeichen dafür, daß er jemals bei seinen Transaktionen "viel Geld gemacht hätte". Es gelang ihm allerdings, angesehene Persönlichkeiten als Kunden zu gewinnen und er erlangte beträchtliche Berühmtheit als "Verlegerprinz". Sein Geschäft wurde von humanistischen Poeten auf ähnliche Art und Weise besungen, wie das später bei GUTENBERG und ALDUS MANUTIUS geschah. Noch bemerkenswerter ist vielleicht sein Nachruhm - der ihm erst im 19. Jahrhundert nach der Publikation seiner Memoiren und deren Verwendung durch JACOB BURCKHARDT zuteil wurde.

VESPASIANOs Lebensgeschichten berühmter Männer enthält einen Hinweis auf die prächtig gebundenen handgeschriebenen Bücher der Bücherei des Herzogs von Urbino und unterstellt auf snobistische Art und Weise, daß ein gedrucktes Buch in solch eleganter Gesellschaft in "Scham versunken" wäre. Diese eine Bezugnahme eines atypischen und sichtlich in Vorurteilen befangenen Buchhändlers wurde zu vielen irreführenden Kommentaren über die Geringschätzung, die Humanisten im Zeitalter der Renaissance gewöhnlichen, maschinell hergestellten Gegenständen zuteil werden hätten lassen, aufgeblasen. In Wirklichkeit hatten florentinische Bibliophile bereits um 1470 gedruckte Bücher aus Rom kommen lassen. Unter GUIDOBALDO da MONTEFELTRO erwarb die herzögliche Bücherei zu Urbino gedruckte Ausgaben und ließ sie (mit oder ohne Scham) mit denselben prächtigen Buchdecken binden, die man für Handschriften verwendete. Besagter Hof stellte auch Geld für die Einrichtung einer frühen Druckerpresse im Jahr 1482 zur Verfügung. Daß VESPASIANO sich in Wunschdenken und Nostalgie erging, läßt sich von seiner eigenen Unfähigkeit ablesen, von prinzlichen Kunden ausreichende Unterstützung zu bekommen, um seinem exklusiven Handel weiter frönen zu können. Seinem Hauptrivalen in Florenz, ZANOBI di MARIANO, gelang es, bis zu seinem Tod im Jahr 1495 im Geschäft zu bleiben. Zanobis Bereitschaft, gedruckte Bücher zu verkaufen - etwas, das VESPASIANO verschmähte - erklärt sein Überleben als Buchverkäufer in den schwierigen Jahren des späten 15. Jahrhunderts. VESPASIANO, der ausschließlich mit Handschriften handelte, wurde 1478 aus dem Geschäft gedrängt.

Man muß auf VESPASIANOs Ausstieg aus dem Geschäft warten, bevor man von der Anbahnung eines Buchgroßhandels im eigentlichen Sinn sprechen kann.
Sobald GUTENBERG und SCHÖFFER das letzte Blatt ihrer monumentalen Bibel fertig hatten, machte sich der Geldgeber der Firma, JOHANN FUST, mit etwa einem Dutzend Kopien auf den Weg, in der Absicht herauszufinden, wie er am besten die Saat seiner mit Geduld getätigten Investitionen ernten könne. Und wohin setzte er den ersten Schritt, um seine Bibeln in Geld zu verwandeln? Er begab sich in Europas größte Universitätsstadt, nach Paris, wo zehntausend oder mehr Studenten die Sorbonne und die Hochschulen füllten. Und was fand er zu seiner Bestürzung dort vor? Eine gutorganisierte und mächtige Gilde des Buchhandels, die  Confrerie des Libraires, Relieurs, Enlumineurs, Ecrivains e Parcheminiers  ... gegründet im Jahr 1401.... in Aufregung versetzt durch das Auftauchen eines Außenseiters mit einem noch nicht dagewesenen Schatz von Büchern; als es sich herausstellte, daß er eine Bibel nach der anderen verkaufte, wurde sogleich der Ruf nach der Polizei laut, begleitet von der Expertise der Confrerie, daß eine solche Fülle an wertvollen Büchern nur mit Hilfe des Teufels in die Hände eines Einzelnen gelangt sein konnte, und FUST mußte um sein Leben rennen oder seine erste Geschäftsreise hätte auf einem ungemütlichen Scheiterhaufen ihr Ende gefunden.
Diese Geschichte, wie sie hier von E. P GOLDSCHMIDT erzählt wird, mag vielleicht ebenso aus der Luft gegriffen sein wie die Legende, die die Figur des JOHANN FUST mit der des Dr. FAUSTUS in Zusammenhang bringt. Die hier dargestellte ablehnende Haltung sollte man nicht als typisch sehen; viele frühe Zeugnisse waren im schlimmsten Fall ambivalent und die am häufigsten zitierten bringen den Buchdruck eher mit göttlichen als mit diabolischen Kräften in Verbindung. Allerdings sind die geläufigsten Referenzen entweder den von Druckern der Frühzeit meist selbst verfaßten Klappentexten und Vorwörtern entnommen oder sie stammen von Herausgebern und Autoren, die Angestellte der Druckereien waren. Unter solchen Voraussetzungen waren diese Urteile naturgemäß eher von Zustimmung getragen als jene der Mitglieder der Gilde, denen die Herstellung handgeschriebener Bücher Grundlage ihres Lebensunterhalts war.

Die Pariser Libraires mögen gute Gründe gehabt haben, unruhig zu werden, obwohl sie der Entwicklung etwas voraus waren; der Marktwert handgeschriebener Bücher verzeichnete erst Einbußen, als FUST bereits tot war. Andere Mitglieder der Confrerie konnten nicht vorhersehen, daß Buchbinder, Rubrikatoren, Buchmaler und Kalligraphen beschäftigter als je zuvor sein würden, nachdem die ersten Drucker ihre Geschäfte eröffnet hatten. Ob die neue Kunst nun als Segen oder Fluch angesehen wurde, ob sie das Signum des Teufels trug oder Gott zugeschrieben wurde, die Tatsache bleibt bestehen, daß die Steigerung der Produktion zeitgenössischen Beobachtern anfänglich so bemerkenswert erschien, daß sie Anspielungen auf ein Eingreifen übernatürlicher Kräfte machten.

Selbst heute kann es noch vorkommen, daß nicht gläubige Gelehrte irritiert sind, wenn sie auszurechnen versuchen, wieviele Kälber ihr Leben lassen mußten, um die Haut für die Velinkopien der GUTENBERG-Bibel zu liefern. Es sollte nicht allzu schwierig sein, unserer Auffassung zuzustimmen, daß es in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eher zu einer plötzlichen als zu einer allmählichen Produktionssteigerung kam.

Weit schwieriger ist es da schon, eine Skepsis zu überwinden, wenn wir vom Gesichtspunkt der Quantität zu dem der Qualität übergehen. Wenn jemand das Exemplar eines späten Manuskripts eines bestimmten Textes neben ein solches eines frühen Drucks desselben Textes legt, wird er beim Vergleichen kaum den Eindruck haben, es mit Veränderungen jäher oder revolutionärer Natur zu tun zu haben, ja er wird wahrscheinlich bezweifeln, daß sich überhaupt etwas verändert hat.
Hinter jedem Buch, das PETER SCHÖFFER druckte, stand eine publizierte Handschrift ... Die Entscheidung darüber, welche Art von Lettern verwendet werden sollte, die Auswahl der Initialien und der Dekoration der Rubrikationen, die Festlegung der Länge und Breite der Spalten, die Dimensionierung des Randes ... all das war durch das vorliegende handgeschriebene Exemplar vorgegeben.
LITERATUR - Elizabeth L. Eisenstein, Die Druckerpresse, Wien/New York 1997