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Ich will versuchen, das Wesen des auf die Voraussetzungen des auf HUME gegründeten Skeptizismus in aller mir möglichen Kürze und Bestimmtheit darzustellen:
Die Begriffe werden durch Einbildungskraft aus den Eindrücken hervorgebracht. Die Zusammensetzung des Stoffs, den die Eindrücke für die Begriffe liefern, wird durch die Einbildungskraft teils nach den logischen Gesetzen, teils aber willkürlich vorgenommen. Die bloß logische Wahrheit, die sich durch die Abwesenheit des Widerspruchs in den Begriffen ankündigt, verträgt sich gar wohl mit der Grundlosigkeit der Begriffe, die alsdann stattfindet, wenn der Inhalt derselben nicht unmittelbar aus Eindrücken geschöpft, sondern aus denselben willkürlich durch Phantasie erzeugt ist. Die Realität der Begriffe besteht daher in der Beziehung derselben auf Eindrücke, und die einzig probehaltige reale Wahrheit in der Übereinstimmung unserer Begriffe mit den Eindrücken, aus denen sie geschöpft sind, - folglich in einer Übereinstimmung zwischen bloßen Vorstellungen, d. h. in einer bloß subjektiven Wahrheit. Jeder Begriff, dem kein Eindruck korrespondieren kann, ist eben darum grundlos, d. h. hat keinen vernünftigen, im Auge der Vernunft gültigen Grund, und da sich dieses vom Begriff der Ursache, Substanz usw. und überhaupt von den Begriffen der metaphysischen Merkmale zeigen läßt, so sind diese Begriffe, und ist mit ihnen die ganze Metaphysik grundlos, und die sogenannte metaphysische Wahrheit ist ein Schein, der die Prüfung des Skeptikers nicht aushält. Die Vorstellung des notwendigen Zusammenhangs, und überhaupt der Notwendigkeit und Allgemeinheit , die den metaphysischen Merkmalen wesentlich ist, und zur metaphysischen Wahrheit vorausgesetzt wird, ist zwar wirklich vorhanden, aber sie ist eine natürliche Folge der Wiederholung gewisser Eindrücke und gehört unter die übrigen Erscheinungen der Gewohnheit; ihre objektive Realität, ihre Beziehung auf Dinge-ansich aber ist eine leere Einbildung.
Die Phantasie des positiven Dogmatikers mißbraucht seine Vernunft, indem sie ihn durch die mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit und Unveränderlichkeit begleiteten Vorstellungen, mit den realen, von den Eindrücken wie auch den Begriffen verschiedenen Gegenständen bekannt zu machen vorgibt, und ihm weiß macht, er habe es bei jenen Vorstellungen mit den Dingen-ansich zu tun. Die Objekte, die wir, einer unleugbaren Tatsache des Bewußtseins zufolge, von unseren bloßen Vorstellungen unterscheiden, sind ansich nichts, als die Eindrücke, insofern sie Objekte der Begriffe sind, durch welche sie vorgestellt werden, und die wir als bloße Vorstellungen von ihnen unterscheiden. Es ist z. B. eine Tatsache meines Bewußtseins, daß ich die sichtbaren Objekte als außerhalb meiner selbst befindlich wahrnehme, aber es ist eine Erschleichung der meine Vernunft mißbrauchenden Phantasie, wenn ich mir diese Objekte, die für meine Begriffe nur in den Eindrücken und durch die Eindrücke vorhanden - und genau besehen - nichts als diese Eindrücke selbst sind, als etwas von denselben verschiedenes denke. Der sichtbare Gegenstand, mit dem es die Vernunft durch die Begriffe wirklich zu tun hat, ist der bloße Eindruck, die sogenannte materiale Idee, das Bild auf der Netzhaut des Auges. Die Vernunft, die durch die Begriffe lediglich auf dieses Bild eingeschränkt ist, hat keinen probehaltigen Grund, dasselbe für eine Kopie eines außerhalb von uns befindlichen Originals zu halten. Das Bild ist selbst Original, und der Begriff von demselben ist die Kopie, die nur mit jenem in uns befindlichen, und durchaus mit keinem außerhalb von uns vorhandenen Original verglichen werden kann. Das sinnliche Werkzeug hält der Einbildungskraft und der Vernunft nur den Eindruck, nur das Bild auf der Netzhaut, und keineswegs einen von diesem Bild verschiedenen Gegenstand vor, zu dem sich jenes Bild wie ein Nachbild zum Urbild verhält. Das Wahrnehmen des Bildes als außerhalb von uns befindlich ist eine natürliche in der Einrichtung des Organs gegründete optische Täuschung, welche freilich durch kein Räsonnement aufgehoben werden kann. Aber die Erkenntnis vom Dasein und den Beschaffenheiten eines realen Objekts außerhalb von uns, wovon das Bild in uns nichts weiter als eine Kopie ist, ist eine künstliche Täuschung der Phantasie, die durch Fehlschlüsse unterstützt, aber durch ein gründliches Räsonnement aufgehoben wird.
LITERATUR, Karl Leonhard Reinhold, Über den philosophischen Skeptizismus, als Vorwort in
"David Humes Untersuchungen über den menschlichen Verstand" (Übersetzung Tennemann), Jena 1793
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