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SENTA TRÖMEL-PLÖTZ
Gewalt durch Sprache
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"Die Gewalt besteht darin, daß dieses Bild Wirklichkeit wird in den Köpfen der Männer, mit der wir dann konfrontiert werden in jeder Unterhaltung mit einem Mann."

Die beiden Fernsehsendungen, über die ich heute sprechen werde, sind: "Opernhauskrawalle: Haben die Massenmedien versagt? Ein Gespräch zwischen Politikern und Publizisten" (14.7.1980) und das CH-Magazin "Nach den Straßenschlachten" (16.7.1980). Ich analysiere zum Vergleich auch noch eine dritte Fernsehsendung über feministische Theologie, an der mit Ausnahme eine einzigen Mannes nur Frauen teilnahmen.

In der Sendung  Opernhauskrawalle  traten acht Männer auf, Moderatoren, Politiker, Vertreter von Zeitungen, Funk und Fernsehen, und  eine  Frau, MARIANNE PLETSCHER, Fernsehredakteurin.

Im CH-Magazin traten fünf Männer auf, Moderator, zwei Politiker, Polizeikommandant, Vertreter der Jugendbewegung, und zwei Frauen, eine Politikerin und eine Vertreterin der Jugendbewegung.

Die erste Diskussion verlief, wie Fernsehdiskussionen verlaufen: PLETSCHER verhielt sich, wie es von einer Frau erwartet wird. Darunter verstehe ich: Sie stellte die größeren Rechte der Männer in Konversationen nicht in Frage, sie leistete konservationelle Ehrerbietung und Unterstützung, sie verhielt sich entgegenkommend und arbeitete mit, die männliche Überlegenheit herzustellen.

Sie wurde auch behandelt, wie Frauen, die sich relativ angepaßt verhalten, behandelt werden. Sie wurde in dieser Diskussion massiv benachteiligt, unterdrückt und diskreditiert - auch von ihren eigenen Kollegen. Das ist die normale Situation, wenn eine Frau in der Öffentlichkeit über etwas redet, das für Männer wichtig ist. In dieser Diskussion bestätigen sich die Ergebnisse, die schon aus anderen Untersuchungen bekannt sind.

Ich möchte die Hypothesen über gemischtgeschlechtliche Gespräche kurz vorstellen und dann zeigen, wie sie in dieser Diskussion unterstützt werden.
  •  Männer ergreifen öfter das Wort und reden länger als Frauen . Männer melden sich öfter zu Wort (häufig auch als erste in einer Diskussion oder Konferenz) und reden durchschnittlich bei ihren Wortmeldungen länger als die Frauen. Die Quantität ihrer Redebeiträge ist oft direkt proportional zu ihrer Stellung, zu ihrem Rang in einer Gruppe. Der Ranghöchste redet am meisten. Aber auch rangniedere Männer reden häufig immer noch mehr als Frauen gleich welchen Ranges.

    In der ersten Diskussion kamen die Männer im Durchschnitt anderthalbmal so oft zu Wort wie die Frau, und sie redeten durchschnittlich zweimal so lang.

    So war PLETSCHERs Gesamtredezeit weniger als 4 Minuten; WIDMER, Zürichs damaliger Stadtpräsident, redete insgesamt 24 Minuten.

    In der selbstverständlichen Beschneidung der Redezeit von Frauen bis hin zum gänzlichen Stummachen von Frauen in Gremien, wo sie gar nicht gehört werden, liegt die Gewalt gegen uns Frauen.

  •  Männer unterbrechen Frauen systematisch; Frauen unterbrechen Männer kaum . In allen Unterhaltungen, ob Gruppengespräche zwischen Frauen und Männern, zu Hause bei Paaren, die zusammenleben, oder bei solchen, die sich gerade kennengelernt haben, in den verschiedensten Situationen, die bisher untersucht wurden, stellte sich heraus, daß Männer Frauen sehr viel mehr unterbrechen als umgekehrt. Durch Unterbrechungen wird aber Gesprächskontrolle ausgeübt. Die Sprecherin wird gehindert, ein Thema zu entwickeln, ihre Position darzustellen, in ihrem Tempo Argumente anzubieten. Wenn Unterbrechungen gehäuft vorkommen, wird sie dadurch schlicht gehindert, überhaupt etwas Vernünftiges zu sagen.

    In unserer Diskussion beendeten die Männer ihre Beiträge überwiegend selbst, d.h. sie bestimmten, wieviel sie sagen wollten und wann sie genug gesagt hatten. Drei Männer beendeten alle ihre Beiträge selbst; WIDMER beendete 13 seiner 18 Beiträge selbst. PLETSCHER beendete nur einen ihrer 5 Beiträge selbst, die übrigen endeten durch Eingriff anderer Sprecher - sie wurde einfach unterbrochen -, d.h., die Männer bestimmten, wann sie genug gesagt hatte.

    Das ist massive Gewaltanwendung durch Beschneidung des Rederechts. Da PLETSCHER nie durch Unterbrechung der Redebeitrag eines Mannes beendete, kamen alle Unterbrechungen, die in dieser Diskussion vorkamen, von Männern. Nach den Unterbrechungen bekam PLETSCHER keine Unterstützung der Moderatoren, ein verzweifelter Versuch, sich selbst das Wort von einem Politiker zurückzugewinnen, mißlang. Auch in der Verweigerung von Hilfe sehe ich die Gewaltanwendung gegen uns Frauen.

  •  Frauen müssen um ihr Rederecht kämpfen und müssen kämpfen, es zu behalten . Es ist schwer für Frauen, zu Wort zu kommen, sich zu behaupten, gehört zu werden. Wenn Frauen die Redeerlaubnis haben und reden, müssen sie dafür sorgen, daß sie ihr Thema zu Ende führen können: Sie müssen Unterbrechungversuche abwehren, bei Einwürfen ihr Rederecht behaupten, bei Unterbrechungen versuchen, ihre Rederecht zurückzubekommen, und vor allem durch das, was sie sagen und wie sie es sagen, die Aufmerksamkeit der Männer bewahren. Deshalb stellen sie mehr Fragen und beziehen sich mehr auf Männer, um sie zu einer Reaktion zu zwingen, die sie sonst nicht sicher bekämen. Deshalb sind Frauen auch höflicher und persönlicher.

    In unserer Diskussion nehmen sich die Männer häufig selbst das Wort, entweder an passenden Übergangsstellen für Sprecherinnenwechsel oder auch durch Unterbrechung; PLETSCHER gelang es nur einmal, sich selbst das Wort zu nehmen (und zwar war das eine legitime Übernahme an passender Stelle), die übrigen Male kam sie mit Hilfe der Moderatoren zu Wort - diese bestimmten, wann sie etwas sagen konnte. Diese Entscheidung der Moderatoren, wann PLETSCHER etwas zu sagen hatte, zeigte sich auch darin, daß sie ihre Versuche, zu Wort zu kommen, schicht ignorierten, während sie häufig die Versuche der Männer, zu Wort zu kommen, durch Wortvergabe honorierten.

    In dieser Fremdbestimmung, wenn es um Frauen geht, liegt die Gewaltanwendung. Da sich PLETSCHER and die Wortvergabe durch die Moderatoren hielt, bedeutete das, daß sie nicht reden konnte. PLETSCHER machte 11 Versuche, zu Wort zu kommen, wovon 4 gelangen. Die Frau leistete also sehr viel mehr Arbeit mit sehr viel weniger Erfolg. In diesem Zwang, daß Frauen mehr arbeiten müssen als Männer und dann immer noch nicht annähernd den gleichen Erfolg haben wie Männer, liegt die Gewaltanwendung gegen uns.

    PLETSCHER hatte es also unendlich schwer, zu Wort zu kommen, und selbst wenn das Wort schon an sie vergeben war, hieß es noch nicht, daß sie reden konnte. Zum Beispiel redete WIDMER einfach weiter, und sie mußte warten, bis er zu Ende war. Oder ein Moderator unterbrach sie, nachdem sie schon eingesetzt hatte, um ihr noch eine Frage zu stellen, die sie schon erschlossen hatte. Derselbe Moderator unterbrach sie, nachdem sie sich schon das Wort genommen hatte, um es ihr zu erteilen.

    Aber PLETSCHER muß auch noch, wenn sie das Wort hat, kämpfen, damit sie es nicht verliert. Sie wird, während sie redet, laufend durch Unterbrechungsversuche gestört. Während ihrer 5 Beiträge, die mit einer Ausnahme kürzer als eine Minute sind, werden 12 Unterbrechungsversuche gemacht, d.h. sie wird jeweils nach 10 Sekunden Redezeit gestört und muß diese Unterbrechungsversuche abwehren. Nur einmal bekommt sie Moderatorenhilfe. Es wird klar, daß ihr über  einen  gelungenen Beitrag hinaus keine Rederecht zugestanden wird.

    Darin sehe ich die Gewaltanwendung gegen die weibliche Gesprächspartnerin. Sie kann bei den fortlaufenden Störungen und Unterbrechungen gar kein Thema entwickeln. Ihre Konzentration und ihre Energie wird auf die Arbeit gelenkt, sich das Rederecht zu verschaffen, zu erhalten und zurückzugewinnen. Die Unterbrechungsversuche und Unterbrechungen ihrer Beiträge sind auch ein Indiz dafür, daß sie als Gesprächspartnerin mißachtet wird. In der Mißachtung von uns Frauen als Person liegt die Gewaltanwendung.

  •  Männer bestimmen das Gesprächsthema, und Frauen leisten Gesprächsarbeit . Es wurde gezeigt, daß Frauen zwar mehr Themen einführen als Männer, aber weniger ihre Themen zu Ende bringen, weil die Männer nur minimal oder gar nicht reagieren. Sie geben also keine Unterstützung, und Frauen lassen daraufhin ihre Themen fallen. Auf diese Weise kontrollieren Männer, welches Thema interessant ist und verfolgt wird. Meistens sind das ihre Themen.

    Wenn dagegen eine Mann ein Thema einbringt, wird er von der Frau unterstützt, das Thema zu entwickeln. Frauen reagieren, stellen interessierte Fragen, machen bewundernde Einwürfe, hören aufmerksam zu, lächeln, ermuntern, vor allem unterbrechen sie nicht und lassen die Männer mit ihren Themen erfolgreich zu Ende kommen. Also Männer kontrollieren den Gesprächsablauf, und Frauen leisten die Arbeit, um das Gespräch aufrechtzuerhalten.

    PLETSCHER leistete in dieser Diskussion Gesprächsarbeit, indem sie aufmerksam auf die von Männern vorgegebenen Themen einging, und zwar waren es ausschließlich die Vorwürfe, die den Journalisten von den Politikern gemacht wurden. Alle ihre 5 Redebeiträge sind Antworten auf Vorwürfe, auch solche, die an alle Journalisten oder sogar nicht anwesende Journalisten gerichtet waren. Damit leistete sie für die Diskussion notwendige, für die Männer aber unangenehme Arbeit und kam nicht dazu, ein eigenes Thema einzuführen.

    PLETSCHER leistete auch für die Diskussion notwendige Beziehungsarbeit, zu der die Männer größtenteils unfähig waren. Darunter verstehe ich Arbeit, um zwischenmenschliche Beziehungen aufrechtzuerhalten und positiv zu gestalten. Sie war höflich zu allen Anwesenden, sie sprach ihren Kontrahenten häufig mit Namen an und gab ihm damit Anerkennung, sie lächelte beschwichtigend und verzeihend, auch während sie angegriffen wurde (die Männer lächelten nie), sie gewährte Augenkontakt (die Männer sahen weg), also selbst in einem kontroversen und aggressiven Diskussionszusammenhang war PLETSCHER entgegenkommend und persönlich. Es brachte ihr ein, daß sie auch persönlich angegriffen wurde, daß ihre Objektivität als Journalistin und ihre Kompetenz in Frage gestellt wurden.

    Die wichtigste Weise, in der PLETSCHER Beziehungsarbeit leistet, ist aber die, daß sie sich als Trägerin des Konflikts zwischen Politikern und Jugendlichen anbietet. Denn sie nimmt nicht nur die Vorwürfe der Politiker an die Journalisten auf und weist sie stellvertretend und solidarisch zurück, sondern sie bietet sich auch als Opfer an in dem eigentlichen Konflikt, der sich ja zwischen den Jugendlichen und den Politikern abspielt. Sie wird sogar wegen ihres Alters und ihrer Kleidung mit den Jugendlichen identifiziert. Auf ihr können die Politiker ihre Aggressionen abladen, die eigentlich den Jugendlichen gelten.

    Sie ermöglichte so den Politikern, ihre Aggressionen loszuwerden, sie nahm ihren Kollegen die Konfrontation ab und erlaubte beiden, sich vorteilhafter darzustellen. Sie bekam keine solche Bestätigung, im Gegenteil.

    Bei ihr wurde Inkompetenz konstruiert; darin sehe ich die Gewaltanwendung der Männer gegen die Frau in dieser Diskussion. Ihre Wortmeldungen und Versuche, zu Wort zu kommen, wurden ignoriert und übergangen; die Signale der Männer wurden beachtet. Dadurch wurde bei der Frau Minderwertigkeit der Beiträge konstruiert, denn ihre Aktivität zählte nicht so viel wie die der Männer, und bei den Männern Gewicht und Wichtigkeit der Beiträge.

    Dadurch, daß die Frau sich nicht selbst das Wort nehmen durfte, sondern warten mußte, bis sie es erteilt bekam, bei den Männern aber zugelassen wurde, daß sie sich selbst das Wort nahmen, wurde bei der Frau Schwäche konstruiert, bei den Männern Stärke. Dadurch, daß die Frau ständig gestört und fast alle ihre Beiträge durch Unterbrechung beendet wurden, die Männer aber ungestört reden durften, wurde bei der Frau Mißerfolg konstruiert und bei den Männern Erfolg.
Die Mächtigen definieren die Situation und bestimmten, welches Verhalten Erfolg hat. Bei der Frau wird im Lauf der Diskusson ihre Machtlosigkeit, Schwäche, Unwichtigkeit verstärkt, bei den Männern werden gelungene Manöver und damit Erfolg in der Interaktion produziert. In der Ungleichbehandlung unabhängig von der Leistung der Frau liegt die Gewaltanwendung gegen Frauen in Gesprächen.

Durch diese Ungleichbehandlung werden Unterschiede produziert, und zwar werden sie immer so produziert, daß Frauen einen schlechteren Gesprächsstatus bekommen als Männer. Anscheinend gibt es eine Regel, nach der diese Unterschiede produziert werden, z.B.:
 Männer zählen mehr, sind wichtiger, sind besser, sind mehr wert als Frauen .
Wenn diese Regel gilt, dann genügt es, bei einem Gespräch oder einer Diskussion wie ein Mann zu sein, und die Kompetenz, der Erfolg wird dann, wie wir gesehen haben, konstruiert.

Diese Regel läßt sich besonders gut durch die zweite Fernsehdiskussion mit den MÜLLERs belegen. Hier wird nicht nur HANS MÜLLER mit einem höheren Gesprächsstatus bedacht als ERNA MÜLLER, obwohl sie beide als Vertreter/in in der Jugendbewegung mit gleich niedrigem Status in die Diskussion gehen, sondern für HANS MÜLLER wird auch in wichtigen Aspekten ein höherer Gesprächsstatus konstruiert als für die Stadträtin LIEBERHERR. Was ihre Redezeit, die Wortvergabe durch den Moderator und das Muster der Unterbrechungen angeht, rangieren erst alle anwesenden Männer, dann LIEBERHERR und natürlich zuletzt ERNA MÜLLER. Also unter den sogenannten Statusgleichen LIEBERHERR - FRICK und ERNA MÜLLER - HANS MÜLLER bekommen die jeweiligen Männer höheren Gesprächsstatus als die Frauen, und absolut gesehen haben alle Mäner höheren Gesprächsstatus als die Frauen.

Wir wollen nun die zweite Fernsehdiskussion genauer ansehen. Der Durchschnitt der Redebeiträge pro Teilnehmer (den Moderator ausgenommen) liegt bei 7,6. ERNA MÜLLER hat 15 Redebeiträge, die sie sich alle selbst erkämpfte, da sie kein einzige Mal das Wort vom Moderator bekam. Sie ist also um vieles aktiver als alle anderen Teilnehmenden; zum Vergleich hatte der am wenigsten aktive Teilnehmer, der Polizeikommandant, nur drei Redebeiträge, die er sich alle vom Moderator erteilen ließ.

Was wir bei Männern als kompetent bewerten würden, große Anzahl von Redebeiträgen, Selbstselektion, Unterbrechung von Mächtigen, wird aber bei Frau MÜLLER seltsamerweise nicht positiv bewertet. Wir alle wissen, daß ihr keine Kompetenz in dieser Diskussion und schon gar nicht Macht zuerkannt wurde. Kompetenz wird nämlich nur für die konstruiert, die sich innerhalb der vorgegebenen Regeln, d.h. auch nach den vorgegebenen Machtstrukturen, behaupten können. Das ist, wie wir in der ersten Diskussion sahen, für eine Frau nicht möglich. Auch Frau MÜLLER scheiterte an der ersten Maxime:

Männer reden mehr als Frauen.

So aktiv sie war, so oft sie sich das Wort erkämpfte, so kurz waren auch ihre Beiträge, so schnell wurde sie unterbrochen. Ihre Gesamtredezeit war mit 2 Minuten, 40 Sekunden die geringste von allen Teilnehmenden und lag auch noch beträchtlich unter der zweitniedrigsten, von LIEBERHERR. Ein Beitrag dauerte bei ihr im Durchschnitt nur 10 Sekunden. Zum Vergleich hatte HERR MÜLLER 8 Redebeiträge, wovon er 4 durch den Moderator bekam. Er war also weit weniger aktiv. Dafür durfte er aber zweimal so lang reden wie ERNA MÜLLER.

Seine Gesamtredezeit ist mit 5 Minuten, 20 Sekunden genau doppelt so lang wie ihre. Ein Beitrag dauerte bei ihm durchschnittlich 40 Sekunden; also viermal so lang wie ein Redebeitrag der Frau. Er beendete seine Beiträge überwiegend selbst, während die Beiträge der Frau häufig vom Moderator, aber auch von anderen unterbrochen wurden. Das heißt, selbst für den Vertreter der Jugendbewegung mit unterstem sozialen Rang in dieser Gesprächsrunde wurde ein Status geschaffen, der sich an den höheren Status der Männergruppe anglich; für die Vertreterin der Jugendbewegung dagegen änderte sich nichts an ihrem untersten Rang, er wurde bestätigt und sogar verstärkt. Sie war die am wenigsten Geschätzte in dieser Diskussion, und ihr Gesprächsstatus hatte Auswirkungen auf ihren gesellschaftlichen Status. Für viele sank ihr Wert als Mensch, sie erfuhr Ächtung, ihr Leben wurde bedroht.

Nun möchte ich noch zeigen, daß auch für die statushohe Frau ein niedrigerer Gesprächsstatus geschaffen wurde als für jeden anwesenden Mann.

LIEBERHERR wartete, wie es sich für eine Frau gehört, auf die Worterteilung durch den Moderator. Sie wartete vergeblich. Alle Männer hatten schon zweimal das Wort bekommen (Polizeikommandant nur einmal, aber mit wiederholter Unterstützung, es zu behalten), und Frau MÜLLER hatte sich schon zweimal das Wort erkämpft, im ganzen hatten schon 18 Redebeiträge stattgefunden, bis LIEBERHERR sich endlich selbst das Wort nahm.

Sie begann mit "Entschuldigung", und ihr Beitrag wurde nach 7 Sekunden vom Moderator unterbrochen. So ging es weiter. Es wurden noch mal 14 Beiträge gemacht, bis sie sich wieder selbst das Wort erkämpfte, ihr Beitrag dauerte 8 Sekunden, dann noch mal 13 Beiträge, bis sie drohte, die Diskussion zu verlassen. Dieser Beitrag dauerte immerhin schon 20 Sekunden, und dann bekam sie zum erstenmal das Wort erteilt: zum 53. Beitrag in der Diskussion

Die Diskussion bestand aus 67 Beiträgen. Hier machte sie ein Statement von 2 Minuten 40 Sekunden. Dieses wird von HANS MÜLLER unterbrochen, er unterbricht sie später noch mal. Von ihren 7 Beiträgen beendet sie nur einen selbst. Ihre Gesamtredezeit liegt weit unter der jedes Mannes. Ihr statusgleicher Kollege redet mehr als anderthalbmal so lang wie sie. Sie bekommt nur ein einziges Mall das Wort erteilt, die Männer bekommen jeder 3 oder 4 Worterteilungen. Während sie redet, wird sie massiv gestört, bekommt aber im Gegensatz zum Polizeikommandanten keine Unterstützung vom Moderator. Nach Unterbrechungen bekommt sie keine Hilfe, das Wort zurückzugewinnen.

Sie wird behandelt, wie Frauen behandelt werden. Auch höherer Status garantiert Frauen nicht gleiche Rechte. Ihr Gesprächsstatus paßt sich dem niedrigeren Status von Frauen generell an.

Darin sehe ich die Vergewaltigung von Frauen in Gesprächen, daß weder ihre Leistung und Arbeit im Gespräch honoriert wird noch ihre professionelle Kompetenz garantiert, daß sie gehört, geschweige denn gleich behandelt werden.

Ich möchte aber mit einer Hoffnung schließen. Frauensprache birgt die Möglichkeit der Veränderung.

Es geht mir nicht nur um Bewußtmachung der Unterdrückung, das ist nur der erste Schritt zur Veränderung, sondern auch um anderes Tun. Wir Frauen können untereinander echte Gespräche führen, weil wir unterstützender, persönlicher, konkreter reden, uns mehr einlassen auf Gesprächspartnerinnen und deren Themen, weil wir wirklich zuhören können. Es geht darum, unseren Gesprächsstil, weil er humaner ist als der männliche, festzuhalten, zu pflegen, nicht zu verlieren.

Wir müssen uns aber auch gegen den männlichen Gesprächsstil zur Wehr setzen und anders reden, nicht, um so zu sein wie die Männer, das würde die sprachliche Gewaltanwendung nur fortsetzen, sondern um überhaupt Präsenz und Raum zu haben für unsere Entfaltung. Meine Hoffnung ist, daß wir auch die Männer für unseren Gesprächsstil, für eine gewaltlose Sprache und gewaltlose Gespräche gewinnen können.
LITERATUR - Senta Trömel-Plötz Gewalt durch Sprache in Senta Trömel-Plötz (Hrsg): Gewalt durch Sprache - Die Vergewaltigung von Frauen in Gesprächen, Frankfurt/Main 1984