p-4Cornelius - Über GestaltqualitätenLipps - Zu den GestaltqualitätenStern - Besprechung    
 
ERNST MALLY
Abstraktion und
Ähnlichkeits-Erkenntnis


"Erkenntnis der Ähnlichkeit ist unter allen Umständen Abstraktion."

I.

Gegenstand der vorliegenden kritischen Untersuchung ist die Abhandlung  Über "Gestaltqualitäten"  von HANS CORNELIUS. (1)

Die genannte Schrift meldet sich zunächst als ein Versuch zur Vermittlung zwischen G. E. MÜLLERs Abstraktionslehre und meines verehrten Lehrers MEINONG "Theorie der Gegenstände höherer Ordnung" an. CORNELIUS selbst hat in seiner "Psychologie als Erfahrungswissenschaft" eine Anschauung dieser Dinge vertreten, die ihn für die MÜLLERsche in allen ihm bekannten Grundzügen eintreten läßt. Andererseits aber glaubt er auch MEINONGs Ansichten über die Gegenstände höherer Ordnung (2) zu teilen.

Die  Verträglichkeit  dieser beiden Theorien will er nun erweisen, indem er sich bestrebt: MÜLLERs Lehre von der  Abstraktion  vollständiger, auch in ihren Konsequenzen, darzustellen, als ihm dies durch FRIEDRICH SCHUMANN (3) geleistet scheint, - beziehungsweise sie durch seine eigene Abstraktionstheorie zu ergänzen - und, von der anderen Seite, MEINONGs Ansichten über Abstraktion (4), soweit diese bekannt sind, auf seine und MÜLLERs Theorie zurückzuführen. So soll nun diese Theorie in konsequenter Durchführung den MEINONGschen Begriff der Gegenstände höherer Ordnung - CORNELIUS hält sich an die Bezeichnung Gestaltqualitäten - geradezu als eine Folgerung ergeben und MEINONGs Abstraktionstheorie, ihrerseits vollständig durchgeführt, in der CORNELIUS-MÜLLERschen aufgehen.

Das sachlich Interessante an diesem Vermittlungsversuch ist nun jedenfalls die mehrerwähnte theoretische Auffassung der Abstraktion, wie sie der Autor vertritt. Sie gibt zugleich, vermöge ihrer Wichtigkeit für die wissenschaftliche Ergründung der Abstraktionsfrage, auch dem an der Polemik Unbeteiligten ein Recht, das Wort zu diesem Gegenstand zu ergreifen. In diesem - und nur in diesem - Sinn will ich es getan haben. Der Gegenstand der Untersuchung läßt sich demnach genauer noch bestimmen: als die von HANS CORNELIUS in der genannten Abhandlung entwickelte  Abstraktions-Theorie. 


II.

Wie HUME nimmt der Verfasser Anstoß an der Forderung der bisher so genannten konzeptualistischen Abstraktions-Theorie, wir sollen Farbe und Gestalt eines Körpers, Höhe und Stärke eines Tones, die uns in der Wahrnehmung niemals getrennt begegnen, nun in der Vorstellung durch Abstraktion trennen, bald die eine, bald die andere Eigenschaft, wenn nicht für sich allein, so doch mit starker Vernachlässigung der anderen vorstellen. In der Tat, daß wir in Teile zerlegen sollen, was keine Teile hat, daß wir analysieren sollen, wo nichts Zusammengesetztes vorliegt, muß jedem als eine starke Zumutung erscheinen. Ja, dieses Ansinnen ist so wenig berechtigt, daß wir es wirklich einfachen Gegenständen gegenüber schlechtweg fahren lassen müssen. Die Frage, ob der Konzeptualismus eine derartige Forderung wirklich impliziert, mag hier unerörtert bleiben. Dafür wollen wir uns den Aufstellungen zuwenden, durch die unser Autor die zweifellos vorliegende und bedeutende Schwierigkeit zu beheben sucht.

Über Einfachheit eines Gegenstandes ist nun freilich schwer zu entscheiden. Aber, daß gelegentlich alle Analyse an einem Gegenstand versagen kann, das erleben wir in uns, das steht fest. Einen solchen werden wir wohl für einfach nehmen, wenigstens bis auf Widerruf, d. h. bis zum Gelingen der Analyse. Der Tatsache nun, daß es solche, der Analyse unzugängliche Gegenstände gibt, steht eine andere, sehr bemerkenswerte, gegenüber: daß nämlich Gegenstände dieser bezeichneten Art sich untereinander und mit zusammengesetzten in mehrfacher Hinsicht ähnlich erweisen. Wer nun den Anspruch nicht erhebt, die Ähnlichkeit als partielle Gleichheit zu erklären, wird sich ruhig bescheiden, einzusehen, daß unter einfachen Gegenständen solche partielle Gleichheit neben partieller Verschiedenheit nicht statthaben kann, weil diese Gegenstände eben keine Teile haben, wovon die einen untereinander gleich, die anderen verschieden wären. Er wird diese Tatsache als etwas hinnehmen, was der Ähnlichkeitsbeziehung wesentlich zukommt. Zugleich aber scheint dieses Genügen auf der einen Seite, dieses Anerkennen einer nicht zu erklärenden Grundtatsache, ihn nach einer anderen Seite in seinem theoretischem Bestreben umso weiter zu führen und eine einfache Auffassung der Abstraktion zu gewähren. Und zwar in folgender Weise. Wir finden unter einfachen Gegenständen Ähnlichkeiten in verschiedener Hinsicht. Nach diesen Ähnlichkeiten stellen wir ganz gewohnheitsmäßig diese Gegenstände in verschiedene Gruppen: etwa die gleich oder ähnlich hohen Töne zusammen und die ähnlich starken Töne zusammen. Aber auch durch Abstraktion gelangen wir zur Vorstellung ganzer Gruppen von dieser Art, ja sogar derselben Gruppen. Hinter der allgemeinen Vorstellung der starken Töne steht eben jene Reihe von Tönen, die wir nach ihrer Ähnlichkeit in Hinsicht der Stärke zusammengestellt haben. Wie nun, wenn Abstraktion nichts anderes wäre, als eben Gruppieren nach Ähnlichkeit oder die wesentliche Voraussetzung dieser Tätigkeit: Erfassen der Ähnlichkeit, die zwischen gegebenen Gegenständen in gegebener Hinsicht besteht, woraus sich ja dann die Zusammenfassung zur Gruppe, die Bildung des Begriffes leicht ergibt? Die herkömmtlichen Bezeichnungen der Logik erhalten durch diese Theorie etwa folgende Bedeutungen: der Begriff oder die allgemeine Vorstellung ist die Vorstellung eines Gegenstandes als eines zu einer Gruppe von Gegenständen, die in gleicher Hinsicht ähnlich sind, gehörigen; das  "gemeinsame Merkmal"  aller Gegenstände, die durch den Begriff erfaßt werden können,  ist eben jene Ähnlichkeit in bestimmter Hinsicht,  nicht etwa ein Bestandstück, eine Qualität, die bei allen Gegenständen wiederkehrten; denn diese sind ja der Voraussetzung nach einfach und es soll ja die Abstraktion an einfachen Gegenständen einem wissenschaftlichen Erfassen zugänglich gemacht werden.

Leicht ergibt sich aus dem bisher Gesagten die Auffassung derjenigen Urteile, die von einem Gegenstand eine Eigenschaft aussagen. Wenn diese "Eigenschaft" des einfachen Gegenstandes in der Tat nichts anderes ist als eine gewisse Ähnlichkeit desselben mit einer bestimmten Gruppe von Gegenständen, so ist natürlich die Prädikation dieser Eigenschaft oder dieses "Merkmales" nichts anderes, als die Behauptung der Zugehörigkeit dieses Gegenstandes zu dieser Gruppe vermöge der unter allen darin begriffenen Gegenständen bestehenden gleichartigen Ähnlichkeit.

Ebenso ungezwungen gelingt die Übertragung dieser Theorie von einfachen auf komplexe Gegenstände. Es ist eine Tatsache, daß zusammengesetzte Gegenstände untereinander Ähnlichkeiten aufweisen, die sich nicht in Ähnlichkeiten unter den gegenseitigen Bestandstücken auflösen lassen. So mögen wir den "Gesamteindruck" eines Bauwerkes verwandt finden mit dem einer Melodie oder viel einfacher und sicherer werden wir zwischen den Komplexen "drei Planeten" und "drei Pendelschläge" oder zwischen einem Würfel aus Glas und einem gezeichneten Würfel Ähnlichkeit behaupten, trotz der unzweifelhaften völligen Verschiedenartigkeit von Stein und Ton, Planet und Schall, Glas und farbigem Papier. Was haben nun die Komplexe "drei Planeten" und "drei Pendelschläge" gemein? Man wird sagen: die Dreiheit. Gewiß. Aber, sagt unser Autor, diese Dreiheit ist nichts ohne die drei Dinge, die sie ausmachen. Wir finden immer nur drei Gegenstände, niemals Dreiheit allein vor. Es ist also auch nicht zu verlangen, daß wir sie allein vorstellen, wenn wir sie abstrakt vorstellen sollen. Es geht vielmehr auch hier, wie bei der Abstraktion an einfachen Gegenständen zu: Wir stellen das "Merkmal" Dreiheit abstrakt vor, wenn wir den dreiteiligen Komplex, im übrigen ganz konkret, nur als ähnlich mit der Gruppe von Komplexen vorstellen, die wir als Gruppe dreiteiliger Komplexe kennen. Dreiheit ist also Zugehörigkeit zur genannten Gruppe, natürlich wieder vermöge der Ähnlichkeit, die zwischen allen Komplexen der Gruppe in gleicher Hinsicht besteht. Und wenn wir urteilen: "dieser Berge sind drei", so meinen wir damit nichts anderes als: dieser Komplex (von Bergen) ist ähnlich den Komplexen "drei Fichten", "drei Seen" usw., allen jenen, die wir bisher dreiteilig genannt haben. Der Verfasser behandelt von allen derartigen Urteilen über komplexe Gegenstände speziell das Vergleichunsurteil. Ein Urteil, das Ähnlichkeit zwischen A und B behauptet, das die Beziehung zwischen A und B ausdrücklich als Ähnlichkeit bezeichnet, setzt eine abstrakte Vorstellung der Ähnlichkeit voraus und kommt wieder nur so zustande, daß die Zugehörigkeit des Komplexes A-B zur Gruppe der bisher als Ähnlichkeits-Komplexe bekannten Paare X-Y erkannt wird.


III.

Noch ehe ich mich auf eine kritische Untersuchung der vorgebrachten Theorie einlasse, drängen sich Erfahrungen meiner Betrachtung auf, die mit dieser Theorie zusammengehalten, ihren Behauptungen gegenübergestellt sein wollen.

Für die Theorie spricht sofort die Erfahrung, daß gewisse Qualitäten in der Vorstellung - wenn diese anschaulich sein soll - immer an gewisse andere gebunden erscheinen und zwar derart, daß ich eine Qualität der einen Art ohne eine von der anderen Art unmöglich anschaulich vorstellen kann. So ist jede Farbe in anschaulicher Vorstellung immer zusammen gegeben mit einer Ausdehnung und umgekehrt: jede Fläche kann nur als farbig vorgestellt werden. In derselben Weise sind Höhe und Stärke eines Tones gegeneinander unselbständig in der Vorstellung wie in der außerpsychischen Wirklichkeit. Aber diese Erfahrungstatsache kommt zugleich auch der von MEINONG vertretenen Abstraktionstheorie, wenn nicht direkt zuguten, so doch gewiß nicht in den Weg. Sie kann also dieser gegenüber zugunsten der CORNELIUSschen Theorie nicht  entscheiden,  wenn auch der Umstand für die letztere einnimmt, daß sie der bezeichneten Unselbständigkeit gewisser Qualitäten so sehr wohl Rechnung trägt, indem sie die Forderung einer auch nur teilweisen Emanzipation dieser Qualitäten in der abstrakten - aber immer noch anschaulichen - Vorstellung nicht nur zu stellen vermeidet, sondern zugleich durch eine anscheinend ganz leicht zu erfüllende ersetzt. Die Theorie benimmt diesen "Merkmalen" den Rang von Qualitäten im eigentlichen Sinne. Sie sagt: Stärke ist gar keine Eigenschaft des einzelnen Tones; was wir mit dem Namen kurz bezeichnen wollen, ist nur eine ganz bestimmte Ähnlichkeit dieses Tones mit gewissen anderen Tönen, demnach eigentlich eine Eigenschaft des ganzen Komplexes in gleicher Hinsicht ähnlicher Töne: eben diese Ähnlichkeit. Die gilt es also zu erfassen, vorzustellen; und zwar, wie CORNELIUS hervorhebt,  konkret.  Dagegen sagt unsere Erfahrun nichts, ja sie bietet uns täglich Fälle der Art, wo wir Gegenstände ähnlich finden, also Ähnlichkeit in concreto vorstellen.

Und doch kommen wir gerade hier an den Punkt der Theorie, wo unser Erfahrungs-Urteil nicht mehr mittun kann und alle Belege für sie hartnäckig verweigert. Es ist wahr, daß wir unzähligemale Ähnlichkeit konkret vorstellen; aber gerade in den Fällen und in der Art, wie die Theorie es verlangt,  nicht. 

Viel sicherer wissen wir, merkwürdiger Weise, worüber wir  urteilen,  als was wir  vorstellen,  sobald es zu ausreichend komplizierten psychischen Tatbeständen kommt, daß die Frage nach deren Gegenstand überhaupt erst aufgeworfen zu werden verdient. Wenn ich urteile: diese Fläche ist rot, so weiß ich ganz sicher: dasjenige, wovon ich meine Überzeugung ausspreche, ist das Rotsein dieser Fläche und durchaus nicht irgendwelche Ähnlichkeit oder sonstige Beziehung der roten Fläche zu anderen roten Gegenständen. Und wenn ich sage: meine Uhr ist der meines Freundes ähnlich, so bin ich ebenso fest überzeugt, nur die Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Uhren behauptet zu haben und nicht die Ähnlichkeit eines Komplexes "meine Uhr im Vergleich zu der meines Freundes" mit anderen mir als Komplexe ähnlicher Gegenstände bekannten Komplexen. Mit voller Sicherheit gestattet, ja gebietet nun diese Antwort auf die Frage nach dem Gegenstand der "Prädikation", beziehungsweise des Vergleichungsurteiles die Antwort zu erteilen auf die analoge Frage gegenüber der ins Urteil einbezogenen Vorstellung. Wenn auch unsere innere Wahrnehmung von abstrakten  Vorstellungen  nur  nicht sagte,  daß Ähnlichkeit der roten Fläche mit anderen roten Gegenständen vorgestellt wird; so  sagt  sie im Falle des  Urteils,  daß ganz  sicher  über etwas  anderes,  als diese Ähnlichkeit geurteilt wird, daher auch dieses andere, eben das Beurteilte in diesem Fall der  Gegenstand  der  Vorstellung  sein muß.

Diesen bestimmten und eindeutigen Erfahrungen gegenüber bleibt der Theorie von CORNELIUS nur mehr der Appell ans Unbewußte übrig; etwa in der Weise, daß wir erst aufgrund einer sich unbewußt vollziehenden Vergleichung der roten Fläche mit den Gegenständen der Rot-Gruppe das Rotsein  dieser  Fläche erfaßten und behaupteten. Daß die Theorie dadurch stark ins Hypothetische gerät, ist klar.

Unsere vorläufig recht untheoretische Betrachtung versagt also der Position jene Stützen aus der inneren Erfahrung, die ihr in der - selbstverständlich - empirischen Psychologie allein einen Platz unter jenen Theorien sichern könnten, die als ein bloß "ökonomisches" Erfassen der Tatsachen gelten möchten und dürften. Denn es ist nicht "ökonomisch", für etwas ganz sicher Gegebenes, der inneren Wahrnehmung sich Darbietendes der Erklärung halber etwas Komplizierteres, sich im Unbewußten Abspielendes zu setzen.


IV.

Nachdem wir dargetan haben, wie weit die Erfahrung schon des theoretisch Ungebildeten der hier gebotenen Auffassung der Abstraktion entgegenkommt oder nicht entgegenkommt, liegt es an der weiteren Kritik, auf die Hypothese an sich einzugehen; dasjenige, was sie leistet, zu vergleichen mit dem, was sie leisten will und soll; kurz: nicht mehr nur Trefflichkeit oder Mannigfaltigkeit, sondern  Haltbarkeit oder Unhaltbarkeit der Hypothese zu entscheiden. 

 Die erste Grundvoraussetzung der Hypothese ist Assoziation nach Ähnlichkeit.  Von einem Gegenstand wird ein Merkmal abstrakt vorgestellt, indem seine Ähnlichkeit mit einer gewissen Reihe von Gegenständen erfaßt wird; also nur dann, wenn diese Reihe von Gegenständen erfaßt wird; also nur dann, wenn diese Reihe in der Vorstellung reproduziert worden ist. Durch diese Forderung sind alle jene Vorstellungen von der Abstraktion ausgeschlossen, die nicht solche Gruppen ähnlicher Gegenstände oder Ähnlichkeitsreihen, wie sie der Verfasser nennt, in unsere Erinnerung zurückrufen; daher alle Fälle von "Berührungs-Assoziation" für die Abstraktions-Theorie ausgeschaltet. Wenn man nun überschlägt, wieviel Assoziationen sich eigentlich nach Ähnlichkeit vollziehen und wieviele nach Berührung, so dürfte sich für die letzteren eine ganz unvergleichlich größere Anzahl ergeben: ein Resultat, das, zusammengehalten mit der Tatsache, daß wir eigentlich so gut wie immer abstrakt vorstellen, durchaus nicht zugunsten der Hypothese spricht.

Ist so die Forderung der Ähnlichkeitsassoziation größter als es die Hypothese wohl verantworten kann, so ist dasjenige, was damit  geleistet wird,  klein genug. Durch diese Assoziation ist der Vergleichung nur er eine  Möglichkeit  geboten einzutreten und ihrerseits die Abstraktion zu vollenden. Ob sie eintritt, läßt die Voraussetzung ganz unbestimmt. Und  wenn  sie eintritt, so sagt die Voraussetzung erst nichts über Sinn und Ergebnis der Vergleichung. Einen Ton, der mich an andere erinnert hat, kann ich ja ebensogut verschieden von ihnen finden, wie ihnen ähnlich, wenn ich ihn schon überhaupt mit ihnen vergleiche - denn Ähnlichkeit ist ja immer mit Verschiedenheit zusammen gegeben.

Dazu läßt die Voraussetzung auch das  Ergebnis  der Abstraktion noch unbestimmt. Denn sie entscheidet nicht im geringsten darüber,  welche  Gruppe von ähnlichen Gegenständen uns in Erinnerung gebracht wird; ob z. B. ein Ton uns an die tiefen oder an die schwachen oder die "weichen" Töne erinnert. (5) Und doch hängt es - nach der Hypothese - davon ab, welches Merkmal des Gegenstandes abstrakt vorgestellt wird.

Was erweisen diese Erwägungen für oder gegen die Hypothese? - Sie zeigen, daß diese höchst komplizierte Forderungen stellt, um mit dem Geforderten verhältnismäßig sehr wenig zu leisten. Was muß alles geschehen, bis wir von einem wahrgenommenen Ton das Merkmal "tief" vorstellen! Wir müssen uns einer Gruppe von Tönen erinnern. Es muß dies eben zufällig die Gruppe der tiefen Töne sein. Wir müssen zwischen ihr und dem gegenwärtigen Ton eine Vergleichung anstellen. Es muß uns dabei zufällig gerade die Ähnlichkeit auffallen. Und indem wir nun diese Ähnlichkeit beurteilen, haben wir das von der Hypothese gesetzte Äquivalent der abstrakten Vorstellung "tiefer Ton".

Bisher ist etwas nicht näher berücksichtigt worden, das doch für die Hypothese wesentlich ist und daher von einer gewissenhaften Untersuchung nicht übergangen werden darf. Es sind die von CORNELIUS sogenannten  "Ähnlichkeitsreihen",  jene Gruppen von Gegenständen gleichsinniger Ähnlichkeit. - Es ist klar, daß diese Reihen von uns erst gebildet werden müssen; das heißt, wir müssen uns die Gegenstände, die uns ja in der Wirklichkeit nicht nach Ähnlichkeiten geordnet begegnen, in diese Ordnung erst bringen. Nun entsteht für die Kritik die Frage:  Wie geschieht das?  - Sicher ist, daß es - wenn die Hypothese gelten soll - vor der Abstraktion und ohne Abstraktion geschehen muß; denn diese ist ja nichts anderes als Einordnung eines Gegenstandes in die schon bestehende Reihe. Wie  entsteht  nun aber eine Reihe, wenn nicht durch Aneinanderordnen der Glieder? Man sieht: es muß im wesentlichen  ein und dieselbe  Tätigkeit des psychischen Subjektes sein, die die Reihe  bildet und weiterspinnt.  Wenn a1 a2 a3 a4 eine solche Reihe von Gegenständen ist, die alle untereinander ähnlich sind, so wird ein weiteres Glied a5 angefügt durch die Erkenntnis seiner "Zugehörigkeit" zur Reihe, d. h. seiner Ähnlichkeit mit jedem von deren Gliedern. Und darin liegt zugleich die Abstraktion; oder besser: das ist Abstraktion, eben diese Erkenntnis der Zugehörigkeit. Durch den gleichen Akt, durch die gleiche Ähnlichkeitserkenntnis ist auch, früher, das a4 zur Reihe a1 a2 a3 gekommen; durch den gleichen Akt a3 zur Reihe a1 a2 und schließlich ist es auch wieder Ähnlichkeitserkenntnis gewesen, die uns diese Urreihe a1 a2 selbst bilden ließ. Wenn nun die Erkenntnis der Ähnlichkeit zwischen a5 und den vier vorhergehenden Gliedern Abstraktion ist, so doch wohl die der Ähnlichkeit von a4 und den Gliedern der dreiteiligen Reihe auch und endlich die Erkenntnis der Ähnlichkeit zwischen a1 und a2 nicht anders. Freilich, das ist gewiß: je weniger Glieder die Reihe hat, an die ein weiteres Glied vermöge seiner Ähnlichkeit gefügt wird, desto weniger wird durch diesen Akt abstrahiert. Das deckt sich mit dem Sinne des alten Satzes von Inhalt und Umfang der Begriffe. Die Reihe ist die Gattung, der Gegenstand des Begriffes, die Anzahl ihrer Glieder stellt dessen Umfang dar, die zwischen allen Gliedern in gleicher Hinsicht bestehende Ähnlichkeit den Inhalt oder das gemeinsame Merkmal. Je weniger Glieder nun die Reihe enthält, in desto mehreren "Hinsichten" kann unter ihnen allen Ähnlichkeit statthaben, desto mehr gemeinsame Merkmale, desto reicheren Inhalt hat der Begriff, der sie alle umfaßt, desto weniger Abstraktion ist also vorhergegangen. Aber Abstraktion doch immerhin, - ausgenommen vielleicht den Grenzfall völliger Gleichheit. Wir können demnach ganz im Sinne unserer Hypothese ruhig den Satz aufstellen: Erkenntnis der Ähnlichkeit ist unter allen Umständen Abstraktion. Und damit eröffnet sich uns plötzlich eine Aussicht auf ein weites Gebiet, worauf die Abstraktion, sofern sie die Ähnlichkeitserkenntnis für sich beansprucht, nicht mindere Rechtehat. Ein nachbarliches Feld wird sofort in Besitz genommen. Es ist folgender Fall: zwei Gegenstände unterscheiden sich von einander nur in einer Hinsicht, etwa zwei Töne nur in der Stärke. Wenn ich nun die Verschiedenheit dieser Gegenstände beurteile, so ist das Abstraktion in demselben Sinne, wie die Erkenntnis der Ähnlichkeit es ist. Um uns nur mit Hilfe des alten üblichen Sprachgebrauchs die Sache zu verdeutlichen, können wir sagen: durch die Erkenntnis der Verschiedenheit der beiden erwähnten Töne etwa wird das Gleiche an ihnen zurückgedrängt, wir vernachlässigen es. Das, wie gesagt, nur zur Verdeutlichung; im Sinne der Hypothese dürfen und müssen wir nur behaupten: Erkenntnis dieser Verschiedenheit ist auch Abstraktion. - Aber immer weiter greift die gewonnene These um sich, wie eine Lawine wachsend. - Wenn Erkenntnis der neben Gleichheit bestehenden Verschiedenheit Abstraktion ist, Abstraktion von dieser Gleichheit: so ist es mit dem gleichen Recht Erkenntnis der neben Ähnlichkeit bestehenden Verschiedenheit, Abstraktion von dieser Ähnlichkeit. Alle Verschiedenheit besteht aber neben irgendeiner, großen oder kleinen, Ähnlichkeit: alle Verschiedenheits-Erkenntnis ist also auch Abstraktion. Was nun den Vergleichs-Relationen recht ist, wird wohl auch den anderen Beziehungen billig sein, in die die Gegenstände nur in einer oder doch nicht in jeder "Hinsicht" eintreten, also sicher den räumlichen und zeitlichen, durch deren Erkenntnis von allem abstrahiert wird, was nicht Ort- oder Zeit-Datum ist. Kurz, es ergibt sich in konsequenter Verfolgung des von CORNELIUS eingeschlagenen Weges der allgemeine Satz: Abstraktion ist die Erkenntnis einer Relation, deren Glieder nicht in jeder Hinsicht in sie einbezogen sind.

Wir fragen uns, warum denn unter diesen Umständen unsere Hypothese am Anfang dieses Weges stehen geblieben ist; warum sie aus dieser unendlichen Fülle von Relationsfällen, die ihr zu Gebote standen, nur die wenigen Fälle von Ähnlichkeit in Anspruch genommen und sich so mit einer Einschränkung belastet hat, die ihr nicht geboten, ja nicht einmal in irgendeiner Hinsicht Entschädigung versprechend, vorteilhaft ist. Im Gegenteil: sie ist sogar fehlerhaft. Denn wenn die Hypothese von der Abstraktion nicht alle genannten Relations-Erkenntnisse für sich fordert, so fordern diese Relations-Erkenntnisse ihrerseits die Einbeziehung in das Gebiet der Abstraktion, als gleichberechtigt mit der Ähnlichkeitserkenntnis.

Nun aber ist die Frage, die sich in diesen Erwägungen schon als recht fruchtbar für die Kritik erwiesen hat, erst halb beantwortet. Wir haben bisher nur festgestellt, daß jene gewissen Ähnlichkeitsreihen durch Erkenntnis der Ähnlichkeit mehrerer Gegenstände gebildet werden; dabei ist wesentlich, daß es Ähnlichkeit in einer und derselben Hinsicht bleibt, wenn auch die Zahl der verglichenen Gegenstände zwei übersteigt. Es ist endlich an der Zeit, zu untersuchen, was es denn mit dieser  Hinsicht  für Bewandtnis habe. Was damit gemeint sein kann, ist ja aus der Erfahrung recht klar. Wenn zwei Körper ähnlich gefärbt, sonst aber grundverschieden sind und wir sagen von ihnen: sie sind ähnlich, so haben wir sie hinsichtlich der Farbe verglichen. So können auch ganz verschieden starke Töne in Hinsicht der Höhe einander doch mehrfache Ähnlichkeiten aufweise, gerade in eine solche Reihe, worin nur ähnlich hohe vorkommen und wieder ein andermal in eine Reihe, worin alle ähnlich starken sich finden usw. Denn jedenfalls ist hier wieder Assoziation nach Ähnlichkeit im Spiel, deren Unbestimmtheit uns schon früher als der Hypothese nachteilig aufgefallen ist. (6) Wenn mich ein starker hoher Ton an einen starken mittleren erinnert, so spricht von Anfang an nichts dafür, daß der nächste, an den ich erinnert werden, gerade wieder ein starker und nicht vielleicht ein schwacher mittlerer sein wird. Und wenn dieses letztere eintrifft, so geben die drei Töne keine gleichsinnige Ähnlichkeitsreihe ab, wie sie zur Bildung der abstrakten Vorstellung "stark" oder "starker Ton" erforderlich wäre. Und die bloße Reihe "starker Ton, starker mittlerer Ton" genügt dazu noch nicht, weil diese zwei Töne auch noch etwa in Hinsicht der Härte und der Weichheit ähnlich sein könnten. In je mehr "Hinsichten" die Gegenstände eine Vergleichung zulassen, desto mehr Glieder muß natürlich die Reihe haben, die die Hinsicht der Ähnlichkeit zwischen ihnen allen eindeutig bestimmt: desto unwahrscheinlicher ist, begreiflicherweise, die zufällig assoziative Bildung der Reihe. Wir müßten also, auf solche Zufall angewiesen, recht lange warten, bis wir die nötigen Ähnlichkeitsreihen zu einer bescheidenen Abstraktion beisammen hätten.

Diesem Übelstand abzuhelfen, wird eine Hilfshypothese eingeführt, die zeigen will, wie wir durch eigenes Zutun die Richtung der Assoziation nach einer Hinsicht der Ähnlichkeit bestimmen. Das geschieht so: Zwei Gegenstände finden wir ähnlich. Sie bilden die Anfangsglieder der künftigen Reihe; a1a2. Diese Ähnlichkeitserkenntnis erfolgt aber nicht ander als durch Zusammenfassen der Glieder zu einem Komplex [a1-a2]; denn, indem wir sie vergleichen, stellen wir sie offenbar zusammen vor und zwar in einer Beziehung zueinander, also als Komplexion. Wird nun ein a'1 unserer Erfahrung gegeben, so erinnert es uns an jene zwei Gegenstände; wir finden wieder a'1 ähnlich dem a1 und a'1 ähnlich dem a2. Endlich ein hinzukommendes a'2 erregt die Erinnerung an a1, a2, a'1; und wir finden wieder a'2 ähnlich mit jedem von ihnen. Jede Vergleichung aber ist zugleich Bildung einer Komplexion, die zwei jeweils verglichenen Gegenstände treten zu einem Ähnlichkeitspaar zusammen. Und der Inhalt der Hilfshypothese ist nun, daß diese Paare wieder untereinander verglichen werden. Dabei ergibt sich zwischen den Paaren wieder Ähnlichkeit und Verschiedenheit. Wenn z. B. a1 einen schwachen hohen und a'2 einen schwachen tiefen, so finden wir zwischen den Komplexen [a1-a2] und [a2-a'2] eine charakteristische Verschiedenheit. Begegnet uns nun ein weiterer starker und tiefer aber von a2 doch verschiedener Ton b2, so wird er uns am ehesten an a2 erinnern. Doch in dem wir ihn mit a2 ähnlich finden, ist die Hinsicht der Vergleichung noch nicht eindeutig bestimmt. Er erinnert uns aber auch an a1 und wird diesem ähnlich gefunden. Und nun sind die Komplexe [a1-a2], [a1-b2] [a2-b2] untereinander alle ähnlich, dagegen verschieden von den Komplexen [a2-a'2], [a2-b2] und [a'2-b2]. Und das ist der Inhalt der Aussage, daß a1, a2, b2 in  einer  Hinsicht untereinander ähnlich sind und a2, a'2, b2 in einer anderen. Und damit ist zugleich eine Assoziationshilfe nach einer bestimmten Richtung gegeben. Denn sobald mich b2, der starke tiefe Ton an den ähnlich starken tiefen Ton a2 und durch diese an den starken und hohen a1 erinnert hat, und ich die Ähnlichkeitspaare [b2-a2] [a2-a1] [b1-a1] gebildet habe, werden sich weiter auch nur Vorstellungen von solchen Tönen assoziieren, die mit den bisherigen ähnliche Paare geben. Sobald mir etwa an a1, assoziiert ein schwacher und hoher Ton a'1 in Erinnerung käme, müßt mir bei Vergleichung sofort die Verschiedenheit von [a1-a'1] und [a1-b2] auffallen und ich wär nicht mehr versucht, die Reihe der starken Töne a1 a2 b2 durch das fremde Element a'1 zu stören.

Soweit die Hilfhypothese zur Erklärung der reinen Bildung der Reihen in  einer  Hinsicht ähnlicher Gegenstände. Nun aber, was behauptet die Hypothese eigentlich? Sie will, daß wir zweigliedrige Komplexe ähnlicher Gegenstände untereinander ähnlich oder untereinander verschieden finden. Das kann ja, an sich, sehr wohl geschehen. Aber in welcher Weise ist es hier gefordert? Es sollen etwa die Komplexe [b2-a1] und [b2-a2] unseres früheren Beispieles untereinander sehr ähnlich gefunden werden, [b2-a2] und [a1-a'2] voneinander sehr verschieden. Nun haben die ersten zwei Paare ebenso ein Glied gemeinsam [b2] wie die letzten zwei und sogar dasselbe; das zweite Glied ist sowohl in den ersten wie in den letzten Paaren verschieden. Was also die besondere Ähnlichkeit in einem und die besondere Verschiedenheit im anderen Falle begründet, können gewiß nicht die Glieder der verglichenen Komplexe sein. Was es in Wahrheit ist, läßt sich leicht genug entscheiden: es sind die Relationen, die diese Glieder zu Ähnlichkeitspaaren verbinden. Die  Ähnlichkeit  zwischen b2 und a1 also und die zwischen b2 und a2 werden eigentlich ähnlich gefunden, beziehungsweise die erstere verschieden von der Ähnlichkeit zwischen b2 und a'2. Die Vergleichung der Komplexe ist also im Grunde eine Vergleichung der Relationen; das heißt diese Relationen sind bei der Vergleichung gewiß in irgendeiner Weise vor den Gliedern bevorzugt. Und  wie  wohl, wenn nicht durch Abstraktion? Wie kommt nun diese Abstraktion zustande, da nach CORNELIUS dazu eine Ähnlichkeitsreihe erforderlich ist, diese aber eben durch Abstraktion erst gebildet werden müßte? Das ist eine Frage, auf die unsere Hypothese schwerlich eine befriedigende Antwort weiß.

Diese Schwierigkeit entfiele übrigens, wenn die Hypothese folgerichtig bis zu jenem Punkt von Allgemeinheit ginge, den wir früher als zulässig und gefordert erwiesen haben. Denn es würde dadurch jenes Postulat dder Ähnlichkeitsreihen für Abstraktion schlechthin  entbehrlich  und, durch diese Abstraktion ohne Ähnlichkeitsreihen, für besondere Fälle der Abstraktion, die es nach wie vor stellten,  erfüllbar  gemacht. Als solche besondere Fälle denke ich mir alle jene, die einer eindeutigen Bestimmung der Vergleichungshinsicht erst durch mehrfaches Vergleichen fähig sind.

Aber unsere Hypothese - zu der wir nach dieser kleinen Abscheifung hiermit wieder zurückkehren - die Hypothese, wie sie ist, geht eben nicht so ins Allgemeine; sie sieht sich genötigt, jene Forderung der Vergleichung von Ähnlichkeiten zu erheben und gerät, wie wir gesehen haben, dadurch in Widerspruch mit sich selbst. Aber auch mit Tatsachen. Was sie fordert, ist Ähnlichkeit und Verschiedenheit von Ähnlichkeitsrelationen untereinander. Sie sagt zwar: von Komplexen ähnlicher Gegenstände. Aber was sind jene Komplexe anderes, als Bestandstücke in Ähnlichkeitsrelationen? Und da nun die Bestandstücke des einen Komplexes mit denen des anderen einzeln verglichen gar kein charakteristisch anderes Ergebnis liefern, als dieselben im Vergleich mit den Bestandstücken des dritten Komplexes, so kann offenbar nur mehr die  Relation  zwischen den Gliedern des ersten Komplexes der  Relation  zwischen denen des zweiten ähnlich und der  Relation  zwischen denen des dritten unähnlich sein. Es kommt also doch unzweifelhaft auf besondere Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten zwischen Ähnlichkeitsrelationen hinaus: also nähere qualitative Bestimmung der Ähnlichkeit. Die gibt es aber nicht. Wir können wohl größere und geringere Ähnlichkeiten vorfinden, aber so beschaffene und anders beschaffene oder untereinander ähnlichere und unähnlichere Ähnlichkeiten nicht. Auch aus diesem sachlichen Gesichtspunkt erweist sich also der zur Erklärung der Ähnlichkeitsreiehen beigezogene Hilfssatz als unhaltbar.

Und doch ist es Tatsache, daß unser Denken über solche Gruppen gleichsinnig ähnlicher Gegenstände verfügt. Freilich, für diese Abstraktionslehre sind sie unbrauchbar, weil sie Abstraktion voraussetzen und nicht erklären. Übrigens auch noch aus einem anderen, damit nahe zusammenhängenden Grund. Dieser offenbart sich in Beantwortung der Frage,  wie  wir denn eine derartige Gruppe oder Reihe vorstellen. CORNELIUS selbst sagt, daß wir sie durchaus nicht Glied für Glied ausführlich reproduzieren, wenn wir durch einen wahrgenommenen Gegenstand an sie erinnert werden und nun dessen Zugehörigkeit zu ihr feststellen sollen. Wie also, wenn nicht so? Vielleicht als Gruppe, Reihe, das heißt als Komplexion, so daß zwar jedes Glied in der Vorstellung gegeben ist, aber doch unter einer zusammenfassenden Vorstellung: etwa wie wir eine Baumgruppe anschaulich vorstellen oder besser noch, wie eine Komplexion "fünf Finger" oder ähnlich. Nur fragt es sich dann, wie wir es dieser Komplexion ansehen sollen, daß der eben wahrgenommene Gegenstand auch in sie hineingehört. Jedenfalls durch Erkenntnis der Ähnlichkeit. Aber  welcher  Ähnlichkeit? Der zwischen dem neuen Gegenstand und der Gruppe? Die ist nun gar sehr gering; denn der Gegenstand ist relativ einfach im Verhältnis zur Komplexion, die aus Bestandstücken von der Art dieses Gegenstandes zusammengesetzt ist. Dann ist sie auch jedenfalls nicht von derselben Art, das heißt, sie ist keine Ähnlichkeit in derselben Hinsicht, wie es die vor je zwei Gliedern der Reihe ist. Und sagt man schließlich: wir erkennen die Ähnlichkeit des neuen Gegenstandes mit einer Komplexion von durch einfache Zusammenfassung verknüpften Gliedern etwa: a5 ist ähnlich a4 und a3 und a2 und a1; so kann dieses nicht den Sinn haben, daß wir zwischen a5 und der Summe von a1-4 Ähnlichkeit konstatieren, - denn a5 ist dieser Summe der a garnich sehr ähnlich -, sondern es kann nur eine gekürzte Redeweise sein für den umständlichen Satz: a5 ist ähnlich a4 und ist ähnlich a4 usw. Dieses wird aber vom Autor selbst abgelehnt. Und mit Recht: denn für die Abstraktion, wie er sie auffaßt, hätte eine derartige Vergleichung nicht mehr Wert, als die mit  einem  Gegenstand; das ist sie ja eigentlich auch; indem a5 einmal mit a4, dann mit a3 verglichen wird, kommt niemals eine Vergleichung mit der Gruppe zustande. Es hätte also für die Hypothese keinen Sinn, diese Gruppe zu fordern.

Wie diese Ähnlichkeitsreihen nun tatsächlich vorgestellt werden, das zu entscheiden kann uns jetzt wahrlich nicht schwer fallen: es sind alle Glieder einer Reihe, genauer, es ist  jedes  Glied davon vorgestellt, aber doch durch eine und dieselbe Vorstellung, den  allgemeinen  Begriff jener "Gattung", die durch alle diese Glieder dargestellt ist. So setzt also die Hypothese der Ähnlichkeitsreihen nicht nur Abstraktion vor der Abstraktion, sondern auch  Allgemeinheit  der Vorstellung vor der Abstraktion voraus.

Und hieran scheitert auch jene durch unsere Untersuchung ermittelte allgemeinere Fassung der Hypothese. Denn wenn sie auch, wie ich vorhin (7) angedeutet habe, imstande ist, uns die geforderten Ähnlichkeitsreihen zu liefern, so vermag sie uns damit doch nicht die Dienste zu leisten, derer wir bedürfen. Denn wieder müßten die Glieder einer solchen Reihe unter  einer,  und zwar einer  allgemeinen  Vorstellung gegeben sein, wenn die Vergleichung des neu einzuordnenden Gegenstandes mit ihnen nach ihrer Hinsicht eindeutig bestimmt sein soll. Und darüber, wie wir zu dieser allgemeinen Vorstellung gelangen könnten, sagt auch die erweiterte Hypothese nichts.

Durch die letzten Untersuchungen über die Ähnlichkeitsreihen ist die Frage, die zu stellen uns noch erübrigt, schon im voraus beantwortet: die Frage nach den  Leistungen  der Hypothese. Wie jede Abstraktionstheorie und wie jeder Versuch, die Abstraktion durch etwas anderes zu ersetzen, geht auch sie darauf aus, die Allgemeinheit von Urteilen, die eine Allgemeinheit der Vorstellungen voraussetzt, zu erklären - oder sagen wir vorsichtiger: wissenschaftlich zu erfassen. Daß ihr dieses nach dem eben Beigebrachten nicht gelingt, ist klar. Denn indem sie die Abstraktion durch Ähnlichkeitserkenntnis "auszudrücken" unternimmt, um dadurch die Bedingung der Allgemeinheit von Vorstellungen zu gewinnen, muß sie eben diese Allgemeinheit von Vorstellungen schon voraussetzen.


V.

Es erübrigt mir nur noch zum Schluß den Gang der vorliegenden Untersuchung klar und übersichtlich darzustellen und ihre Ergebnisse in aller Kürze zusammenzufassen.

Ohne Rücksicht auf irgendeine theoretische Meinung wurde die CORNELIUSsche Abstraktionslehre zuerst nur den Aussagen unserer inneren Erfahrung gegenübergestellt; der erste günstige Eindruck, den uns die Theorie macht, indem sie allgemeine Vorstellungen ohne Analyse an den ihren Umfang ausmachenden Gegenständen verspricht, anerkannt, aber bald sehr gestört durch eine Forderung, deren Berechtigung die Erfahrung in keiner Weise bestätigt. Die Theorie will, daß wir bei jeder Abstraktion vergleichen; unsere innere Wahrnehmung aber zeigt uns davon nichts. Sie will inbesondere, daß jede "Prädikation" über "einfache" Gegenstände ein Urteil über Ähnlichkeit sei; aber unsere innere Wahrnehmung zeigt uns anstatt dessen etwas anderes. Aufgrund dieser Erfahrungstatsachen mußten wir die Theorie als eine empirisch sehr  mangelhaft beglaubtigte Hypothese  bezeichnen.

Die folgende  theoretische Untersuchung  beschäftigt sich mit den Bedingungen, die der Hypothese zufolge erfüllt sein müßten, damit Abstraktion zustande käme. Sie fragt nach Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeit des Erfülltseins dieser Bedingungen und dann nach dem, was im Falle dieses Erfülltseins für die Abstraktion geleistet wäre.

Als  Grundvoraussetzung  erscheint Eintritt einer  Assoziation nach Ähnlichkeit.  Diese ist verhältnismäßig selten erfüllt im Vergleich zur Häufigkeit abstrakter Vorstellungen. Und  wenn  sie erfüllt ist, leistet sie weiter nichts, als die  Möglichkeit des Erfülltwerdens der zweiten Bedingung. 

Diese  zweite Bedingung  ist: Vollzug einer  Vergleichung  mit einer Gruppe von gleichsinnig ähnlichen Gegenständen. Man merkt sofort die Kompliziertheit dieser Forderung. Nicht nur, daß die verlangte Vergleichung, soll sie Abstraktion sein, im Sinne der Ähnlichkeit ausfallen muß: sie muß sich auch auf Glieder beziehen, von denen das eine durchaus nicht unmittelbar gegeben ist. Dieses Glied der zu erfassenden Ähnlichkeitsrelation, die Ähnlichkeitsreihe, muß vielmehr erst vom Subjekt  gebildet  worden sein.

Die Frage nach der Art der Entstehung der Ähnlichkeitsreihen hat gezeigt, wie hier wieder die Unbestimmtheit der Assoziation in Bezug auf die "Hinsicht" oder Richtung der Ähnlichkeit des zu Assoziierenden der Hypothese Schwierigkeiten bereitet und sie zur Einführung einer  Hilfshypothese  zwingt. Es ist dies der Satz von den Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten der Ähnlichkeits-Komplexe, genauer -Paare, untereinander. Der erweist sich aber als  unhaltbar,  gegenüber der Tatsache, daß es besondere qualitativ bestimmte  Spezies der Ähnlichkeitsrelation,  wie sie durch diese Behauptung eigentlich gefordert sind,  nicht gibt.  Abgesehen davon dürfte eine Hypothese, die die Abstraktion ersetzen will, derartige Spezifikation der Ähnlichkeitsrelation, selbst wenn sie bestünde,  nicht für sich in Anspruch nehmen,  weil ihr Erfassen jedenfalls schon Abstraktion voraussetzte.

Gelegentlich dieser Untersuchungen über die Bildung der Ähnlichkeitsreihen hat sich außerdem gezeigt, daß die Hypothese zum Ersatz der Abstraktion nur einen ganz speziellen Fall aus einer großen Anzahl von Relationen herbeizieht, in dieser Beschränkung aber eine Inkonsequenz begeht, da diese andern Fälle von Relationserkenntnis dem vorgezogenen, was ihre Leistungsfähigkeit in der gedachten Hinsicht betrifft, völlig gleichgeordnet sind. Die allgemeine und konsequente Fassung der Hypothese, die durch Aufhebung der genannten Einschränkung entstünde, wäre auch insofern weniger anfechtbar, als sie die von CORNELIUS zur Bildung allgemeiner Vorstellungen geforderten Ähnlichkeitsreihen wirklich lieferte. Für die Hypothese aber, wie sie ist, haben wir die  Voraussetzung der Ähnlichkeitsreihen  durchaus  unerfüllbar  gefunden.

Schließlich hat unsere Untersuchung es auch hier nicht unterlassen zu prüfen, was denn diese Voraussetzung, auch  wenn sie erfüllt  wäre, zu leisten vermöchte. Und es hat sich herausgestellt, daß die Ähnlichkeitsreihen, auch wenn sie ohne Abstraktion sich gewinnen ließen, der Hypothese nicht nützten. Denn wenn eine Vergleichung mit einer solchen Reihe eine allgemeine Vorstellung begründen soll, so ist notwendig, daß schon die Reihe selbst unter einer allgemeinen Vorstellung gedacht wird: daher die Allgemeinheit der Vorstellungen zur Erklärung dieser Allgemeinheit vorausgesetzt erscheint.

Sofern also die hier durchgeführte Untersuchung nicht irre geht, scheint mir der CORNELIUSschen Abstraktionstheorie folgendes entgegenzuhalten:
    - mangelhafte Beglaubigung durch Erfahrung;

    - Bedingungen und Forderungen, deren Erfüllung teils zu schwer ist, um ausreichend wahrscheinlich zu sein, teils geradezu unmöglich;

    - vollständiges Versagen gegenüber der theoretisch zu fassenden Tatsache: der Allgemeinheit von Vorstellungen und Urteilen.
LITERATUR - Ernst Mally, Abstraktion und Ähnlichkeits-Erkenntnis, Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinneswahrnehmung, Bd. 22, 1903
    Anmerkungen
    1) HANS CORNELIUS, Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. 22, Heft 2, Seite 101f
    2) Vgl. ALEXIUS MEINONG, "Über Gegenstände höherer Ordnung und deren Verhältnis zur inneren Wahrnehmung", Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. 21
    3) FRIEDRICH SCHUMANN, Zur Psychologie der Zeitanschauung, Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. 17, Seite 106f
    4) ALEXIUS MEINONG, Hume-Studien I
    5) Übereinstimmendes finde ich in THEODOR LIPPS "Zu den Gestaltqualitäten" I, Zeitschrift für Psychologie und Phsysiologie der Sinnesorgane, Bd. 22
    6) Vgl. oben
    7) siehe oben