p-4Anthony BurgessWilliam JamesLudwig Pongratz    
 
THEODOR SPOERRI
Sprache und Denken
als psychopathologisches Problem


Bei Schizophrenen kann die Beziehung zwischen Sprache und Denken durch die  Wortgebundenheit des Denkens  abgewandelt sein. Das Denken wird ganz wortnah, von Worterlebnissen bestimmt. Ein Schizophrener sagt: "Ich sehe auf der Straße nach rechts, so tue ich das Rechte." Das "rechts" der Raumorientierung wird zum "Rechten" im moralischen Sinn, erhält vom Wort her eine andere, symbolische Bedeutung.

Die Beziehung zwischen Sprache und Denken erscheint dem naiven Alltagsverstand auf den ersten Blick einfach, klar: man denkt und drückt dann das Gedachte in Worten aus. Aber: oft denkt man erst, indem man spricht, und in den aus den Worten vorwärts wachsenden Sätzen bildet sich erst der Gedanke. Oder: ein Wort zündet, reißt die Rede mit sich fort, und schon steht das Gesprochene da, und man liest an ihm ab und bedenkt rückblickend, was schon in den Worten Bedeutung gewann.

Kann man nicht auch denken, während man gleichzeitig etwas ganz anderes spricht? Was zunächst einfach erschien, erweist sich im grübelnden Fragen als ein labyrinthisches Gelände. Sind Sprechen und Denken zwei getrennte Funktionen, wer hat das Primat, wer ist zuerst, oder ist die Sprache nur ein Vehikel des Gedankens oder umgekehrt das Denken nur ein lautloses Sprechen? Oder sind Sprechen und Denken identisch, ihre Trennung künstlich und ein Scheinproblem erzeugend, oder sind sie zwei Aspekte eines einheitlichen Vorgangs, der beiden zugrunde liegt?

Bevor wir praktische Beispiele befragen, versuchen wir zu definieren, was unter Denken, was unter Sprache beziehungsweise Sprechen verstanden wird. Eine Schwierigkeit bedeutet, daß man in bezug auf etwas und abgrenzend-negativ definiert: Denken zum Beispiel auf das Wahrnehmen oder eben auf das Sprechen. Ob überhaupt und wo man einen Trennungsstrich zwischen Denken und Sprechen macht, von welchem theoretischen System ausgegangen wird, ob man auf eine phänomenologisch deskriptive oder wesensbestimmende, eine genetische oder funktionale Analyse ausgerichtet ist, alles dies führt zu den verschiedenartigsten Definitionen, die sagen: das ist Denken, das ist Sprechen.

Wenn wir nun fragen,  was ist Denken,  so beschränken wir uns auf deskriptive Hinweise. KAINZ definiert Denken als
    "das aktiv-spontane Herstellen und Erfassen von sachverhaltlichen Beziehungen zwischen Inhalten des Gegenstandsbewußtseins".
Dem Denken eignet Intentionalität (es ist auf etwas gerichtet), Personalität (ich denke etwas), Vergegenwärtigung (Abstraktion vom anschaulich Gegebenen, Bildung von allgemeinen Begriffen), Variabilität (als Gegenpol zur Konstanz des Denkens; "alles Denkbare ist miteinander assoziabel").

Wer wissenschaftlich untersucht, vermeidet es, von "dem" Denken zu sprechen (wie auch in der Psychologie nicht von "der Seele" die Rede ist). Wagt man noch die Überschrift "Denken", weicht man rasch aus auf spezielle Einzelthemen wie "Begriffsbildung, Problemlösungsverhalten, Einstellung und Informationsverarbeitung" (GRAUMANN).

Sobald es um Theorien des Denkens geht, dominieren zeittypische und zeitvergängliche Grundauffassungen; sie führen, wie es zu einer Theorie gehört, zu notwendiger Verallgemeinerung, die immer zugleich entdeckt und verdeckt. WUNDT faßte das Denken als Apperzeption auf, als assoziativen Prozeß. Heute steht die Lern-Theorie im Vordergrund; informationstheoretische Modelle dienen zur Darstellung von Denkordnungen.

 Was ist Sprache?  Die Lautsprache ist nicht die einzige Möglichkeit einer Zuordnung von Zeichen und Bedeutung. Im Tastalphabeth, dem Gebärdensystem von Taubstummen und auch in den metasprachlichen Symbolen höchster Abstraktion finden wir symbolische Darstellungsformen, die ohne die Worte unserer Umgangssprache "lesbar" sind.

Uns geht es im folgenden nur um die Lautsprache, und hier nicht um die Sprache schlechthin  (language),  sondern um die gesprochene Rede. Wie aber läßt sich diese Rede aufgliedern? Wir wählen die Unterscheidung nach Aufbau und Funktion der Rede und differenzierten Sprachgebilde und Sprechstimme sowie die dynamische Spannung zwischen Sprechendem und Hörendem, die nach dem Prinzip eines Gestaltkreises wechselseitig verbunden sind.

Die Sprachgebilde umfassen den Inhalt des Gesprochenen, die grammatische und syntaktische Struktur mit den verschiedenen Wortarten, Satzgliedern und -verbindungen. Artikulation, Einsatz, Lautstärke, Melodie, Rhythmus und Klangfarbe geben der Sprechstimme ihre Eigenart. Die Sprachgebilde haben in erster Linie Informationswert (Information im Sinne des alltäglichen Sprachgebrauchs als Darstellung von Dingen und Sachverhalten), dann folgen Kommunikativ- und Expressivwert. Für die Sprechstimme gilt die umgekehrte Reihenfolge; der Expressivwert steht im Vordergrund.

PIAGET stellt in seinen frühen Sprachuntersuchungen die egozentrische Sprache des Kindes der sozialen Sprache der Erwachsenen gegenüber. Die Kritik hielt entgegen: die Entwicklung der kindlichen Sprache verläuft vom Sozialen zum Individuellen, Sprache ist ihrer Natur nach auf Mitteilung angelegt, sie ist Reden mit einem Partner. Die heutige Tendenz läßt die Sprache ganz in ihrer sozialen Funktion aufgehen und spricht dem monologischen Reden die Legitimität als Gegenpol ab.

Der Monolog als Ausdruck des Innern, als klärendes Reden mit sich, als Gespräch mit der eigenen Seele, sieht sich in den Bereich des Autistischen verwiesen. Sprache und Sprechen werden eingeengt auf die Beziehung Sender-Empfänger, die in einem gegenseitigen Rückkopplungsverhältnis stehen. Für die quantifizierbare Seite der Sprache eröffnet das Informationsmodell neue Möglichkeiten. Sprache ist hier ein Kommunikationskanal, wobei die Reize als Input und die Reaktionen als Output figurieren.

Was als Zeichen und Sequenz von Zeichen innerhalb eines Zeicheninventars bestimmt wird, ist Information ("Unsicherheitssenkung"). Das gilt auch für die Zuordnung von Zeichen und Bedeutung als semantische Information. Paßt ein Nachrichtenelement nicht in das Zeichensystem, ist es irrelevant, nur "Geräusch". Die kybernetischen Modelle beziehen sich auf - mit technischen Systemen gemeinsame - Ablaufstrukturen. Hinter der Sorge, daß Metaphern als Identitäten genommen werden, versteckt sich oft affektive Ablehnung des Sprachforschers, dem der Umgang mit Apparaten, Mathematik und Meßbarem überhaupt noch ungewohnt ist.

Wenden wir uns anhand eines Krankheitsfalles den "Beziehungen zwischen Sprache und Denken" zu. Ein Mann, mit einer Hirnblutung im Bereich der motorischen Area, kommt allen unseren Aufforderungen nach, er setzt sich, greift zu einem Buch, zündet auf unseren Wunsch eine Zigarette an, er versteht also unsere Rede. Sein Sprechen aber ist schwer gestört; er kann nur einzelne Worte, Satzbruchstücke sagen, die Rede ist phonetisch verändert. Dabei sind seine Denkleistungen (geprüft mit Non-Verbal Tests) wenig beeinträchtigt. Hier ist das Denken nahezu ungestört, das Sprechen aber schwer alteriert.

Umgekehrt ist die Beziehung bei einem Fall sensorischer Aphasie mit einer Läsion im Bereich des Schläfenlappens. Das Coding ist intakt, der Kranke kann willkürlich sprechen, jedoch das Decoding, die rezeptive Seite der Sprache, ist auf Grund des sogenannten fehlenden Sprachverständnisses gestört. Bei diesem Kranken sind auch die Denkleistungen deutlich beeinträchtigt. Hier ist alos das aktiv-spontane Sprechen im Gegensatz zum Denken erhalten.

Bei diesen beiden Einzelbeispielen handelt es sich um  Extremfälle.  An derartigen Extremmöglichkeiten haben sich einseitige Theorien entzündet oder doch wenigstens ihre empirische Stütze gesucht. Wenn Sprache und Denken getrennt gestört sein können, so handelt es sich bei beiden offensichtlich um zwei isolierte Funktionen. Man kann dieses die  dualistische Theorie  nennen.

Vor einseitigen Theorien bewahrte uns aber die Beobachtung der Wirklichkeit. So zeigen die meisten schwereren  Aphasien  weder eine Störung nur der rezeptiven oder der expressiven Seite der Sprache, noch in bezug auf Denkleistungen ein gleichförmiges Bild. Ein schwer sensorisch Aphasischer (ohne dysarthrische Schädigung der Sprechmuskulatur) hat neben Störungen des Sprachverständnisses Schwierigkeiten, Worte zu finden, Gegenstände zu benennen, Geschichten zu wiederholen, und seine rasch sprudelnde Rede ist durch Monotonie der melodischen Bewegung, durch telegrammstilartige, teils unterbrochene Sätze, Wortverstümmelungen, Perseverationen und floskelhafte Ausreden gekennzeichnet.

Nachdem wir mit ihm über Kegeln als Freizeitbeschäftigung sprachen, fragen wir nach der Uhrzeit. Er sieht auf seine Armbanduhr und antwortet: Kegelzeiger. Woher rührt diese ungewöhnliche Wortbildung? Im Bewußtsein haftet noch das Wort "Kegel", ist somit sprachnahe. Offensichtlich vermag der Patient von dem Zeiger, der einen bestimmten Ort für Stunde und Minute bezeichnet, nicht auf die Zeit zu abstrahieren; er bleibt am konkreten Zeiger haften und kontaminiert dann Kegel und Zeiger zu "Kegelzeiger".

Wir erinnern an die Untersuchungen von GOLDSTEIN und GELB, die (anhand von Farbamnesien) zeigten, daß Aphasiker sich konkret verhalten können, aber nicht mehr zu Abstraktionen fähig sind. Die Nennung des konkreten "Zeigers" statt des Abstrahieren auf die Kategorie der Zeit kann auch bei unserem Patienten als eine Störung des "kategorialen" Verhaltens gedeutet werden. Wir sehen, wie eng sich Denken, Sprechen und Sprachverstehen miteinander verbinden und gegenseitig bedingen können.

Dieses Ineinander-verflochten-Sein von Sprechen und Denken kann durch Beispiele aus dem vergnüglichen Kapitel  sprachlicher Fehlleistungen  ergänzt werden. FREUDs  Psychopathologie des Alltagslebens  hat hier den Weg gewiesen. Sicher gibt es rein physiologisch oder lautlich bedingte Entgleisungen, die mit dem Denken nichts zu tun haben. Meistens sind die Fehl-Leistungen aber Richtig-Leistungen, und zwar insofern, als ein unbewußter Affekt oder Nebengedanke es "anders" meint. Es drängen sich, vielfach über Wortähnlichkeiten, andere Bedeutungen in die Rede ein.

So schreibt eine Sekretärin, deren wortgewaltiger Chef zum Schluß eines Briefes mit vorzüglicher "Hochschätzung" diktiert, statt dessen "Hochschwätzung". In einem andern Fall wird diktiert "Der Patient knüpfte anläßlich von Kinobesuchen Bekanntschaften an", aber geschrieben "anläßlich von Kniebesuchen". Oder "Ein Mann ließ sich in Boxstellung fotografieren"; die Sekretärin schreibt "Bocksstellung", worüber sie sich selbst hintendrein errötend verwundert. Oder statt "die Verhüttungsmethoden der Fricktaler Erze" wird geschrieben "die Verhüttungsmethoden der Fricktaler Ärzte". - Aus den Fehlleistungen läßt sich ablesen, daß das Wort eben grundsätzlich sinnhaftig und daß das Denken stets wortbezogen ist.

Das Ineinander von Sprechen und Denken hatte zu verschiedenartigen Theorien Anlaß gegeben.  Monistisch  kann man die Theorien benennen, die das Verquicktsein von Sprechen und Denken auf entgegengesetzte Weise deuten: es gibt nur Sprache, oder es gibt nur Denken.

Sprachmonismus  findet sich bei den Reflexologen, bei den Behavioristen, für die Denken nur ein  subvocal talking  ist eine Form lautlosen Sprechens; eine Art gehemmter Reflex, der in seinem motorischen Anteil nicht zutage tritt. Mildere Auffassungen lehren: Denken ist prinzipiell worthaft; oder: die Begriffe wachsen in der Entwicklung erst aus dem schöpferischen Gehäuse der Muttersprache hervor.

Will man überspitzt formulieren, so sind  denkmonistisch  die Theorien, die der Sprache nur als Vehikel des Gedankens Bedeutung einräumen. Sie sehen in der Sprache nur ein Werkzeug, und dazu ein höchst unvollkommenes, das mehrdeutig ist und nur unpräzis das Gedachte wiedergibt. So bedarf es zusätzlich übersprachlicher Symbolsysteme. Andere Formulierungen sind weniger extrem, gehen aber doch dem Denken das Primat. So auch PICK, der die gedankliche Kristallisierung der sprachlichen Formulierung vorausgehen läßt und das geistige Gerüst fertig sieht, bevor dann die Wortwahl erfolgt.

Von diesen quasi-sprachmonistischen Theorien zu unterscheiden ist die Auffassung, die Sprache und Denken als eines, jedoch nicht als identisch ansieht. In seinem bekannten Aufsatz  Sprache und Denken  sieht L. BINSWANGER die Einheit von Sprache und Denken im HUSSERLschen Begriff vom "sinnbelebten Ausdruck". Für LOHMANN ist der Bezugspunkt das Miteinander-Reden, und Sprache und Denken sind hierin eines, und nur durch eine subjektivistische Denkweise trennbar. Redet man von Einheit, kommt man leicht ins Gerede; man muß sich bewußt sein daß die Einheit Teilphänomene hat, die sich im Empirischen voneinander abheben, verschieben, in Beziehung setzen lassen.

Das gilt auch von der  Einheit von Sprache und Denken,  die im Einzelfall getrennte Funktionsbereiche darstellen können. Grundsätzlich kann sich das Denken von der Lautsprache "nach oben" ins übersprachlich Abstrakte abheben, während die Lautsprache "nach unten" als Lautgeräusch die Sinnhaftigkeit verliert.

Mit diesen Voraussetzungen wenden wir uns einigen Fällen aus der  Sprachpathologie  zu. Es wird hier mehr von Störungen der Sprache und des Sprechens die Rede sein, da uns größtenteils nur das Sprachverhalten zu Gehör kommt, während wir mangels Selbstäußerungen der Kranken wenig über Denkvorgänge erfahren.

Eine chronisch  Schizophrene  lebt seit Jahren völlig in sich gekehrt, nach außen ohne Antrieb und Interesse, mit der Umwelt nur in ihren leiblichen Bedürfnissen kommunizierend. Innen aber wuchert eine immer weiter und neu aus sich selbst hervorsprießende Phantasie, die über die spröden Regeln unserer Wirklichkeit hinweggeht. Zwar bedient sich die Kranke in ihrem Wahn der Dinge und Personen unserer Wirklichkeit; der Bundesrat, das Geld und der Weltraum haben aber keine eigene Widerständigkeit, sondern was sie bedeuten, wirken, sind, geschieht nach den Regeln ihrer eigenen autistischen Welt.

Man kann die Patientin zum Sprechen bewegen. Sie äußert - ohne Bezug zur Frage oder zum vorher Gesagten - Sätze wie etwa: "Eh, i ha denk, das ist meine Erzieherin, schauen Sie, wie das Auto läuft, das läuft Schweizergraf wenn ich davon rede." Aus dem Kontext läßt sich ein derartiger Satz einigermaßen deuten. wenn auch die Bedeutung der Worte und die gegenseitige Beziehung häufig wechselt. Wir verzichten auf eine Interpretation, stellen nur fest, daß die Sätze nicht konstant auf ein Ziel ausgerichtet sind, sondern daß sich verschiedenen Bedeutungen und Richtungen des Meinens überlagern (multifokale Zerfahrenheit). Das Sprechen ist der Variabilität und  Flüchtigkeit des Denkens  ausgeliefert.

Diese multifokale Zerfahrenheit bedeutet eine Störung im Bereich des  Intentionalen.  An dem "Sich-richten-auf" unterscheidet HUSSERL die auf den Sachverhalt gerichtete Intentio (Absicht) als Noesis (Erkenntnis) und den Sachverhalt als Noema. Die Sprachdestruktion eines organischen Delirs zeigt ebenfalls Störungen im Vollzug der Intentionalität, aber andersartige als bei chronischen Schizophrenen. Beim Deliranten erscheint der intentionale Vorgang immer wieder unterbrochen, was sich im beziehungslosen Nacheinander rasch wechselnder Sachverhalte (Noema) zeigt. Beim Schizophrenen ist anscheinend die Noesis selbst abgewandelt, und zwar in dem Sinn, daß gleichzeitig verschiedene Sachverhalte "Noema der Intention" sind.

Analoges scheint vorzuliegen, wenn der Schizophrene in einem Akt "mehrgliedrig" denkt; so wenn auf das Reizwort "grün" prompt "Glaubenshoffnung" geantwortet wird. (Grün ist Symbol für Hoffnung, Hoffnung ruft die Assoziation Glaube-Liebe -Hoffnung hervor). Man könnte von einer Art "Billiarddenken" sprechen. Das mehr dimensional verzweigte Denken realisiert sich innerhalb der linearen Sprache durch Vieldeutigkeit und ein gleichzeitiges mehrfaches Meinen. Die an sich lineare Umgangssprache wird hier zu einer polyphonen Sprache.

Bei Schizophrenen kann die Beziehung zwischen Sprache und Denken durch die  Wortgebundenheit des Denkens  abgewandelt sein. Das Denken wird ganz wortnah, von Worterlebnissen bestimmt. Ein Schizophrener sagt: "Ich sehe auf der Straße nach rechts, so tue ich das Rechte." Das "rechts" der Raumorientierung wird zum "Rechten" im moralischen Sinn, erhält vom Wort her eine andere, symbolische Bedeutung. Ein anderer Schizophrener liest von einem Mann, der "recht geht", und meint, dieses sei eben ein "Gerechter". Klangähnlichkeiten führen zu neuen Bedeutungen. Was im sprachlichen Ablauf eigentlich nur nacheinander gesagt werden kann, wird versucht in einer Art räumlicher Wortwelt gleichzeitig zu erfassen. In Neologismen finden derartige Komprimierungen ihren Ausdruck (z.B. "Plänemachersinnerverwirklicher"). Löscht das Wort den Gedankengang aus, so bleibt nur noch ein Wortgeräusch oder eine Lautmusik übrig (z.B. "necuhlknäuoächupuee negpuu opusch pueingoschiguichgononoo" usw.).

Bei dem  Sprachabbau  klinischer Krankheitsbilder kann man vielfach mit fortschreitendem pathologischem Prozeß einen Zerfall der Sprache über kurze Sätze, Wortgruppen, Einzelworte bis zu Aneinanderreihungen von Lauten beobachten. Dem Abbau der Lautsprache muß aber nicht unbedingt ein Abbau der semantischen Sinnseite der Sprache parallel gehen. WYGOTSKI nennt diese semantische Seite des Wortes, die zwischen Denken und Sprechen stehe, die innere Sprache. Diese innere Sprache, beziehungsweise das wortnahe Denken, kann aber trotz Zerfalls der Lautsprache noch erhalten sein.

Wir erinnern an die Sprachentwicklung des Kindes. Das erste Wort des Kindes ist seiner Bedeutung nach ein Satz, in dem sich ein Meinen ausdrückt. Erst später lernt das Kind die den Satz bildenden Worte in ihrer Einzelbedeutung erfassen. Die innere Sprache und die Lautsprache entwickeln sich nicht streng parallel. Das gleiche gilt für den Abbau.

Das Studium des Sprachabbaus wird sich in Zukunft auch durch  kybernetische Modelle  bereichern lassen. SHANNON hat der Rechenmaschine bestimmte statistische Eigenschaften der englischen Sprache eingegeben, und zwar die Wahrscheinlichkeit bestimmter Buchstaben oder Buchstabengruppen sowie des Zusammenvorkommens von Worten. Bei höchster Information der Maschine können zufällig scheinbar "sinnvolle" Bildungen auftreten. Es wäre nun interessant, verschiedene Stufen des Sprachabbaus bei klinischen Fällen mit derartigen Näherungen 1. bis 4. Ordnung zu vergleichen.

Beim hochgradigen pathologischen Abbau können noch einige sinnvolle Wortgruppen oder Satzbruchstücke erhalten bleiben. Hierbei fragt es sich, ob es sich wirklich um "noch erhaltene" Sinnhaftigkeit handelt, oder ob Buchstaben- und Wortkombinationen nur "zufällig" einen Sinn ergeben (analog zur Maschine).

Kehren wir zu unseren Beispielen schizophrener Sprachauffälligkeiten zurück. Ähnliche Stileigentümlichkeiten lassen sich auch in der  modernen Literatur  auffinden. Der entscheidende Unterschied liegt natürlich darin, daß das, was dem Schizophrenen einfach geschieht, vom Künstler bewußt als Stilmittel gehandhabt wird. Festigkeit, Kontinuität und Intention der Sprache werden von der Flüchtigkeit des Denkens aufgeweicht. Nebengedanken, Assoziationen, vorgestellte Dialoge überlagern sich, auf Interpunktionen wird verzichtet. Im  Ulysses  von JOYCE lesen wir:
    "Böse Tulpen auf Dich Liebling Mannblume bestrafen Dein Kaktus wenn Du nicht bitte armes Vergißmeinnicht wie ich mich sehne Veilchen zu liebe Rosen wenn wir bald Anemone uns treffen böser Nachtschatten Frau Marthas Parfüm."
Wortgebundenes Denken wird literarisch in seiner Extremform zu Lautgedicht. Wir lesen bei STEFAN GEORGE: "Co besoso pasoje ptoros" usw.; SCHEERBART: "Wiso kollipanda opolosa" usw. Diese Lautmusik teilt nicht mehr mit, bedeutet nichts mehr, sie ist auch nicht mehr formulierter Ausdruck einer Innerlichkeit. Ist sie aber nur ein reines Herumspielen mit Lauten, die gelegentlich eine musikalisch-ästhetische Wirkung haben? So ist für manche Dadaisten nicht nur der Verzicht auf Sinn, sondern auch auf die Wortsprache überhaupt ein Protest gegen unsere Umgangssprache, die durch Mißbrauch im Grunde genommen schon "sinnlos" geworden ist.

Unkommunikativ, bedeutungsfrei wird das Sprechen in der Literatur des "Absurden". Doppeldeutigkeiten, Selbstgespräche, einsam-undialogisches Sprechen im Dialog, Agrammatisches, Wortsalat bis zum sinnlosen Wortgeräusch sind die Stilmittel. Aber bedeutet dieser Verzicht auf Sprache als Mittel des begrifflichen Denkens, als Medium der Kommunikation, nich doch "etwas"? Liegt in diesem Ad-Absurdum-Führen nicht eine bewußte Aussparung von Sinn, die als Ganzes eben doch Sinn bedeutet, ähnlich wie das Weiße auf einem Bild gerade durch das, daß es nichts ist, eben etwas besonders intensiv Wirkendes sein kann?

Blicken wir rasch auf die Sprachbeispiele Schizophrener zurück. Die Ähnlichkeit gewisser Stileigentümlichkeiten ließ uns zum Vergleich mit der Literatur des Absurden kommen. Ist das schizophrene Denken und Sprechen vielleicht auch in dem Sinne "absurd", daß sinnlos erscheinende Einzelheiten eben wirklich sinnlos sind (und nur scheinbar "verstanden" werden durch unsere interpretatorischen Saltos, aus dem Bedürfnis heraus, die Konventionsschienen grundsätzlicher Sinnhaftigkeit alles Gedachten zu beweisen).

Daß aber gerade dieses Sinnlose Aussparung wäre für einen als Ganzes anderen Sinn? Dieses andere ist in Worten nicht mitteilbar. Ist es als ein Sinnvolles überhaupt denkbra? Was ist der "Sinn des Sinnlosen" oder der "sinnlose Sinn" (das sind keine Wortspiele!, so glauben wir). Man könnte beruhigen: die sinnlosen ("weißen") Stellen haben die Funktion, die sinnvollen Aussagen in Frage zu stellen, zu stählen, oder gar mit einem "quia" den Absprung in die andere Dimension des Glaubens zu beflügeln (credo quia absurdum = ich glaube, weil es absurd ist). Das erscheint zu einfach. Vielleicht aber bricht hier ein Elementares, grundsätzlich Sinnfreies direkt in das Gehäuse unserer durch Sinnhaftigkeit verbundenen, endlichen Welt des Denkens und Sprechens ein. In der Ebene unserer Sinnhaftigkeit erscheint es nur als deren Abwandlung oder Negation: als Absurdität.

Unsere Bemerkungen zu Sprache und Denken haben verschiedene Möglichkeiten der Wesensbestimmung und gegenseitigen Beziehung aufzuzeigen versucht. Diese Theorien sind erstaunlicherweise sehr ähnlich den Theorien über das  Leib-Seele-Problem.  Auch hier finden wir eine monistische Theorie (materialistisch oder spiritualistisch), die Theorie des Dualismus, wobei Leib und Seele als zwei Substanzen parallel geschaltet oder in Wechselbeziehung verbunden sind. Analog zu der berühmten Frage: "Weinen wir, weil wir traurig sind, oder sind wir traurig, weil wir weinen?" kann man fragen: "Sprechen wir, weil wir denken oder denken wir, weil wir sprechen?" Weiter entspricht die Einheitstheorie von Sprache und Denken der Auffassung von der Einheit (nicht Identität) von Leib und Seele, die als zwei Bereiche oder Aspekte eines beiden zugrunde liegenden einheitlichen Ganzen gedacht werden.

Diese Übereinstimmung der Theorien legt den Schluß nahe, daß im Problem von Sprache und Denken das Leib-Seele-Problem mitenhalten ist. Wie die Beziehung von Leib und Seele spezifisch menschlich ist, so sind Sprache (analog zum Leib) und Denken (analog zum Geist) in ihrer Einheit, wechselseitigen Spannung und Möglichkeit der Trennung  das  Kennzeichen des Menschen. Im gegenseitigen Verlust droht beiden die "Entmenschlichung": das Denken wird zur reinen Information, die Sprache zum bedeutungslosen Laut.

Nennen wir Sprache und Denken typisch menschlich, so hat sich diese an sich schlichte Feststellung an dem Vergleich mit ähnlichen Phänomenen des tierischen Verhaltens zu bewähren. Hat das  Tier  wenigstens Vorformen des Denkens und Sprechens? Den Schimpansen ist eine gewisse Intelligenz nicht abzusprechen; sie verstehen in einer Art "Werkzeugdenken" Gegenstände für ein naheliegendes Ziel zu verwenden. Die Entwicklungsstufe des Kindes mit analogen Leistungen (zwischen 10. und 12. Monat) nennt man daher Schimpansenalter.

Unabhängig von diesen Intelligenzleistungen finden sich bei den Schimpansen phonetische Gebilde, die bestimmten Situationen zugeordnet sind. Man hat 32 Lautreaktionen gezählt, die für die Situation der Lust, des Ärgers, der Futtererwartung, Aggression, Flucht usw. kennzeichnend sind (LEARNED). Diese Sprachelemente sind aber nur emotionale Lautreaktionen. Daher spricht man auch von der emotionellen "Sprache" der Tiere (WYGOTSKI).

Die Lautäußerungen haben Ausdruck, senden auch soziale Reize; was ihnen aber ganz fehlt, ist die Zeichenhaftigkeit. Hervorzuheben ist, daß die Leistungen des "Denkens" und der "Sprache" in keiner Beziehung zueinander stehen und in getrennten Bereichen auftreten. In der kindlichen Entwicklung aber entwickeln sich Sprache und Denken, obwohl schrittweise voneinander abhebbar, aneinander und wachsen sich zu. Wenn auch in rudimentären Einzelphänomenen Sprache und Denken bei Mensch und Tier vergleichbar ist, so fehlt den Tieren doch - abgesehen von der Zeichenhaftigkeit - gerade die typisch menschliche Verbindung und Vereinheitlichung.

Die Beziehungen des  Leib-Seele-Problems  zu unserem Thema erscheinen noch von anderer Seite her bedeutsam. Man hat das Leib-Seele-Problem eine metaphysisches Problem genannt, weil es für die wissenschaftliche Fragestellung unlösbar erscheint. Wenn auch in Einzelfällen die Beziehungen von Leib und Seele verstehbar sind, so bedeutet dieses gerade nicht die Lösbarkeit des Problems als Ganzes. Daß sich keine einheitliche Theorie für das Wesen und die Beziehungen von  Sprache und Denken  finden läßt, erscheint somit grundsätzlicher Natur, daß sich in Sprache und Denken das Wesen des Menschen spiegelt, der doppelt und doch eins ist, das Wesen des Menschen, das nicht durch eine einzige handliche Theorie festgelegt werden kann.
LITERATUR - Brunner/Frei u.a.: Vom Wesen der Sprache, Bern/München 1967