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JAMES JEANS
Qualität und Quantität

Die zwei Sprachen
Gewaltsame Vereinfachung
Locke und seine Mitphilosophen mögen dabei bleiben, daß Röte eine sekundäre Qualität ist, aber ein Hundephilosoph würde sie mit genau dem gleichen Recht den primären Qualitäten zuweisen.

Eine der auffallendsten Folgen hiervon ist, daß der Philosoph gewöhnlich in qualitativen, der Wissenschaftler in quantitativen Begriffen denkt. Der Philosophieprofessor setzt vielleicht seiner Hörerschaft auseinander, daß ein Stück Zucker die Eigenschaft der Härte, Weiße und Süße besitzt, während sein wissenschaftlicher Kollege nebenan die Koeffizienten der Rigidität, der Lichtreflexion und der Wasserstoffionen-Konzentration erklärt - Größen, von deren Ausmaß die Eigenschaften der Härte, Weiße und Süße abhängen.

Während der Philosophieprofessor von der Voraussetzung ausgeht, daß Heiß und Kalt unvereinbar sind, daß also kein Gegenstand gleichzeitig heiß und kalt sein kann, erörtert der wissenschaftliche Vortragended den Temperaturbegriff, der nicht nur unzählige Übergänge zuläßt, wo sein philosophischer Kollege nur Hitze und Kälte kennt, sondern sogar einen Graben überbrückt, den dieser für unüberbrückbar hält.

Wohin das führt, läßt sich an einer einfachen philosophischen Beweisführung klarmachen, die, in verschiedenartiger Drapierung, beträchtlich lange auf der Tagesordnung stand - sie hat die zwei Jahrtausende von PLATON über BERKELEY bis zu BRADLEY überdauert. Sie lautet ungefähr folgendermaßen:
  • Wir sind in einem behaglichen Raum, da kommt ein Mann namens A aus dem Schneesturm draussen herein und sagt: "Hier ist es warm." Ein zweiter Mann namens B kommt aus einem türkischen Bad und sagt: "Hier ist es kalt." Da nun, so geht die Beweisführung weiter, der Raum nicht gleichzeitig warm und kalt sein kann, so können Wärme und Kälte ihm nicht als reale Eigenschaften zukommen; sie sind also nichts als Vorstellungen im Geist von A und B.

  • Jetzt kommen zwei andere Leute, C und D, herein, der eine aus einem Palast, der andere aus einer Stahlschutzkammer, und bemerken, der Raum sei klein, bzw. groß. Da der Raum selber nicht gleichzeitig groß und klein sein kann (so geht der Beweis weiter), existieren Größe und Kleinheit bloß im Geist von C und D; der Raum hat also an und für sich überhaupt keine Größe.

  • Bei genügend häufiger Wiederholung kann der Raum nach und nach seiner sämtlichen Eigenschaften entkleidet werden. Und da er nichts ist als die Summe seiner Eigenschaften (heißt es an dieser Stelle des Beweises), so verschwindet er zum Schluß vollständig - soweit er nicht im Geist von A, B, C, D existiert.
Der Beweis bekommt sofort ein anderes Gesicht, wenn er in die Ausdrücke der Wissenschaft übersetzt wird. Dann wird A beim Hereinkommen sagen: "Es ist hier wärmer als draußen", und B wird sagen: "Es ist hier kälter als im türkischen Bad." Dann müßte der Beweis in der Weise weitergehen, daß ein und derselbe Raum nicht gleichzeitig wärmer als ein Schneesturm und kälter als ein türkisches Bad sein kann - und wir sehen sogleich daß die angestrebte Schlußfolgerung gänzlich verfehlt wird.

Selbstverständlich können wir eine Beweisführung nicht dadurch erledigen, daß wir sie einfach in ein anderes Idiom übersetzen, ebensowenig, wie man die Sätze des EUKLID etwa durch Übersetzung ins Französische widerlegen kann. Offenbar steckt noch mehr dahinter.

Die Beweisführung macht den Fehler, daß sie den Unterschied zwischen subjektiver Beurteilung und objektiver Messung der Temperatur vernachlässigt. Wenn es heißt, ein Raum kann gleichzeitig als heiß und als kalt beurteilt werden, so haben wir es mit subjektiver Hitze und Kälte zu tun; diese, wird soweit mit Recht gefolgert, können nur Vorstellungen im Geist von A und B sein. Aber an dieser Stelle macht der Beweis mit einemmal einen Sprung und setzt irrümlich die subjektiven Empfindungen von Wärme und Kälte den objektiven Temperaturen gleich.

Mag der subjektive Raum die Summe seiner subjektiven Eigenschaften sein, und der objektive Raum die Summe seiner objektiven Eigenschaften, so kann doch die Wegschaffung aller subjektiven Eigenschaften nicht den objektiven Raum wegschaffen. Um seine Beweisführung zu retten, müßte der Philosoph zeigen können, daß zwischen subjektiver und objektiver Temperatur des Raumes kein Unterschied besteht, und sobald er das versucht, wir ihn das Thermometer auf dem Kaminsims Lügen strafen.

Hier kann der Psychologe ein Wort mitreden. Er belehrt uns, daß unsere Sinnesorgane keineswegs besonders geeignet sind, Hitze und Kälte objektiv festzuhalten; wir beurteilen eigentlich gar nicht, ob ein Gegenstand heiß oder kalt ist, sondern nur, ob er heißer oder kälter als irgend etwas anderes ist, wobei zum Vergleich gewöhnlich die Wärme unseres eigenen Körpers dient, oder unsere letzte Erfahrung über Warm und Kalt.

Die Vulgärsprache nennt den Marmor kalt, und eine wollene Decke von gleicher Temperatur warm, weil unsere Hand, wenn sie den Marmor berührt,  kälter,  und wenn sie in eine Wolldecke gewickelt wird,  wärmer  wird als zuvor; der letzte Grund dafür liegt darin, daß Marmor ein guter, und Wollstoff ein schlechter Wärmeleiter ist. Der Psychologe weiß von seinen Laboratoriumsexperimenten her, daß solche Erwägungen wichtig sind, der Philosoph der alten Schule wußte es offenbar nicht. Die Wissenschaft, auf ihre Beobachtungen gestützt, weiß, daß die Verwendung ihrer eigenen Dialektik einwandfrei ist.

Seit der Zeit des ARISTOTELES haben die Philosophen die Neigung, den Stoff als ein Etwas anzusehen, das in eine Anzahl von Eigenschaften eingewickelt ist, ungefähr wie man ein Paket mit mehreren Lagen Papier umwickelt, und darüber zu spekulieren, ob und was übrigbleibt, wenn alle Hüllen entfernt sind.

GALILEI, DESCARTES, LOCKE u.a. stellten sich vor, daß die Eigenschaften eingeteilt werden können in eine äußere Lage von solchen, die LOCKE als  sekundäre  Qualitäten beschrieb - es sind die von den Sinnen wahrgenommenen Eigenschaften, wie Röte und Kälte -, und in eine innere Lage von  primären,  die ein Stoff oder ein Gegenstand unabdingbar besitzt vermöge seiner bloßen Existenz, unabhängig davon, ob er wahrgenommen wird oder nicht - das sind solche Eigenschaften wie Festigkeit und Ausdehnung im Raum; diese, um mit LOCKE zu reden, "sind völlig untrennbar von dem Körper, in welchem Zustand immer er sich befinden mag".

Vom objektiven Gesichtspunkt der Wissenschaft betrachtet, erscheint eine solche Unterscheidung reichlich künstlich. Röte bedeutet eine Fähigkeit zur Reflexion roten Lichtes, Festigkeit und Ausdehnung im Raum eine Fähigkeit zur "Reflexion" aller andern Körper, die den Versuch machen, in den Raum des fraglichen Körpers einzudringen. Es ist nicht einzusehen, warum die eine dieser Fähigkeiten als primär, und die andere als sekundär klassifiziert werden soll, die ein als grundlegend, die andere als oberflächlich.

Der Philosoph wird vielleicht einwenden, für ihn habe Röte nichts mit Lichtreflexion zu tun, sondern bedeute einfach die Fähigkeit, in seinem Geist die Empfindung der Röte hervorzurufen. Das können wir nicht gelten lassen, denn dadurch würde die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Eigenschaften rein subjektiv. Dann müßte Röte für einen normalen Menschen zu den sekundären Qualitäten gehören, für einen Blinden, der gar nichts sehen kann, aber zu den primären, und ebenso für den Hund, der keine Farben sieht.

LOCKE und seine Mitphilosophen mögen dabei bleiben, daß Röte eine sekundäre Qualität ist, aber ein Hundephilosoph würde sie mit genau dem gleichen Recht den primären Qualitäten zuweisen. Man hat sich manchmal auch in der Weise dem Problem zu nähern versucht, daß man einem Gegenstand alle Eigenschaften, eine nach der andern, abgezogen dachte, von denen man sich vorstellen kann, daß sie ihm abgezogen werden. Diese Eigenschaften würden wir dann natürlich sekundär nennen, den unabziehbaren Rest primär.

Das philosophische Zuckerstück z.B. wird dargestellt als eingewickelt in die Eigenschaften der Weiße, Süße, Härte usf. Diese alle abgezogen, eine nach der andern, welcher unabziehbare Rest bleibt schließlich übrig? Oder bleibt gar nichts übrig? Stimmt es, wie in der oben zitierten Beweisführung angenommen war, daß ein Gegenstand nichts ist als die Summe seiner Eigenschaften?

Die Wissenschaft findet, daß die Eigenschaften eines Stoffes oder eines Objekts zu einem Teil von der inneren Natur ihrer Bestandteile abhängen, zum andern Teil von der Art, wie diese Bestandteile im Raum angeordnet sind: ihre physikalischen Eigenschaften von der Art der Anordnung der Moleküle, die chemischen Eigenschaften von der Art der Anordnung der Atome, aus denen die Moleküle bestehen. Bei diesem Sachverhalt wird es sinnlos, vom "Abziehen" irgendeiner Eigenschaft zu reden.

Das Äußerste, was wir tun können, ist, die Bestandteile  umzuordnen  und auf diese Art eine Eigenschaft durch eine andere zu ersetzen - z.B. die Härte des Eises durch die Flüssigkeit des Wassers oder die Zusammendrückbarkeit des Dampfes, den Glanz des Diamanten durch die trübe Dunkelheit des Graphits oder die tiefe Schwärze des Lampenrußes. Für den Wissenschaftler sind sämtliche Qualitäten primär in dem Sinne, daß sie "völlig untrennbar von dem Körper sind, in welchem Zustand immer er sich befinden mag"; eine rote Tulpe wird nicht weniger rot, wenn man sie bei blauen Licht betrachtet.

Auch hier hat der Philosophie nicht das Recht einzuwenden, daß sich der Wissenschaftler eben darauf versteift, die Dinge objektiv zu betrachten, während er, der Philosoph, gewohnt ist, seine Gedanken auf der subjektiven Ebene zu halten. Besteht er darauf, daß er sich leicht  vorstellen  kann, wie Eigenschaften von den Objekten abgezogen werden, so ist die Antwort: die Philosophie, genau so gut wie die Physik, geht darauf aus, Erkenntnis der wirklichen Welt zu erlangen, aber nicht einer vorstellbaren, jedoch gänzlich unwirklichen Welt, in welcher Eigenschaften abgezogen werden können, an deren Stelle nichts zurückbleibt; das passiert nur im Wunderland, daß man einer Katze alles abziehen kann bis aufs Zähnefletschen.


Zwischenstufen

Ein weiterer Unterschied der Darstellung, eng verbunden mit dem eben besprochenen, ergibt sich aus der Gewohnheit der Philosophen, die ganze Welt in Schwarz und Weiß zu malen und so alle Zwischenstufen, Halbtöne und Nuancen zu vernachlässigen, die in unserer Erfahrung der wirklichen Welt eine so hervorragende Rolle spielen. Das schlagendste Beispiel hierfür ist das Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten, das seit der Zeit des ARISTOTELES die formale Logik beherrscht hat - mit verheerenden Resultaten.

Das Gesetz behauptet, daß jeder Gegenstand entweder A oder Nicht-A sein muß, was immer A sein mag. Der Wissenschaftler seinerseits weiß, daß im allgemeinen jedes Ding etwas A-haftigkeit und etwas Nicht-A-haftigkeit besitzt, und interessiert sich deshalb wenig dafür, ab ein Ding als A oder als Nicht-A klassifiziert wird; was er zu wissen wünscht, ist  wieviel  A-haftigkeit es besitzt.

Z.B. behauptet das Gesetz, daß jede Größe entweder endlich oder unendlich sein muß. Dann muß die Hälfte einer endlichen Größe ebenfalls endlich sein; sie kann nicht unendlich sein, sonst wäre die Summe zweier unendlicher Größen endlich, was absurd ist. So muß in der Reihe
    1, 1/2, 1/4, 1/8, 1/16, 1/32 ...,
in welcher jede Größe die Hälfte der vorgehenden beträgt, jedes Glied der Reihe endlich sein, wie weit man die Reihe auch fortsetzen mag. Setzt man sie unendlich fort, so haben wir eine unendliche Reihe von Größen, deren jede endlich ist. Die Summe aller Glieder der Reihe ist jetzt also die Summe einer unendlichen Anzahl endlicher Größen. Sie müßte also dem Gesetz entsprechend unendlich sein. Aber eine ganz einfache Ausrechnung zeigt, daß die Summe in Wirklichkeit endlich ist, nämlich = 2.

Das ist der Trugschluß, der Zenos wohlbekanntem Paradoxon vom Hasen und der Schildkröte zugrunde liegt. Der Einfachheit halber wollen wir annehmen, daß der Hase nur zweimal so schnell läuft wie die Schildkröte. Wir geben der Schildkröte einen Vorsprung von einer Minute, währen welcher sie vom Startpunkt A zu einem Punkt B gelangt. Jetzt startet der Hase und braucht eine halbe Minute, um B zu erreichen. Inzwischen durchmißt die Schildkröte eine Strecke BC, die natürlich die Hälfte von AB beträgt, der Hase entsprechend braucht eine Viertelminute, um BC zu durchlaufen. Und so geht es weiter; die Gesamtdauer des Wettlaufs beträgt in Minuten
    1 + 1/2 + 1/4 + 1/8 ... ad inf.
Es ist klar, daß die Reihe unendlich ist, und da sie entsprechend dem Gesetz, aus einer unendlichen Zahl endlicher Größen besteht, muß die Gesamtzeit des Wettlaufs unendlich sein - der Hase kann die Schildkröte niemals einholen. Wie vorhin, liegt auch hier der Trugschluß in der Annahme, daß die Größen scharf in endliche und unendliche eingeteilt werden können - mit anderen Worten, in dem Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten.

Um uns einem weit ernsteren Beispiel zuzwenden, ist der gleiche Trugschluß die Wurzel des sogenannten ontologischen Beweises der Existenz Gottes. In der Form, in der St. Anselm ihn ursprünglich aufgestellt hat, geht er davon aus, daß jedes Wesen, so wie jeder Gegenstand, jede vorstellbare Eigenschaft entweder besitzen oder nicht besitzen muß. Also muß ein vollkommenes Wesen die Eigenschaft der Existenz entweder besitzen oder nicht besitzen; es  muß  sie aber besitzen, denn der Nichtbesitz dieser Eigenschaft würde eine empfindliche Unvollkommenheit darstellen.

Daher, schließt der Beweis, muß ein vollkommenes Wesen wirklich existieren. Im einzelnen lautet der Beweis in der Form, der ihm der sonst so klardenkende DESCARTES gegeben hat, wie folgt: "Zu behaupten, daß ein Attribut in der Natur oder im Begriff eines Dinges enthalten sei, ist dasselbe wie die Behauptung, daß dieses Attribut dem Ding in Wahrheit zukommt, und daß man mit Sicherheit behaupten kann, es sei in ihm. Aber Existenz ist notwendig in der Natur oder im Begriff von Gott enthalten. Somit kann man mit Wahrheit behaupten, daß Existenz notwendig in Gott ist, oder daß Gott existiert."

Wir sehen schon, wie das Kaninchen in den Hut praktiziert wird, und es erscheint seltsam, daß ein solch durchsichtiges Stück von logischen Taschenspielerstreich nicht bloß den verworrenen Logikern des Mittelalters, sondern auch späteren Denkern von dem Kaliber eines DESCARTES und LEIBNIZ imponieren konnte, bis endlich KANT seine logische Unzulänglichkeit aufdeckte: "Der verunglückte ontologische Beweis, der weder für den natürlichen und gesunden Verstand noch für die schulgerechte Prüfung etwas Genugtuendes bei sich führet".

Die Erklärung scheint die zu sein, daß hier nur zwei verschiedene Grade von Existenz anerkannt werden - Existenz und Nicht-Existenz. Die Argumentation beweist, daß, wenn wir uns ein Wesen ausdenken, das mit jeglicher Vollkommenheit begabt ist, wir es auch real existierend denken müssen - weiter nichts. Sie kann einem solchen Wesen aber keinen höheren Grad von Existenz verleihen als die Existenz in unsern Gedanken - ex nihilo nihil fit.

Sobald der Beweis in die Sprache der Wissenschaft übersetzt wird, haben wir es nicht mehr mit einfachen Eigenschaften, sondern mit Graden von Eigenschaften zu tun, und wenn das fragliche Wesen mit dem höchsten Wesen identisch sein soll, kann der Grad jeder seiner Eigenschaften nur unendlich sein. Aber, wie LEIBNIZ hervorgehoben hat, es gibt Paare von Eigenschaften, die unvereinbar werden, wenn ihr Betrag unendlich wird - z.B. unendliche Gerechtigkeit und unendliche Gnade. Also haben wir, soweit der Beweis reicht, nicht das Recht, ein solches höchstes Wesen vorzustellen, nicht einmal in unsern Gedanken.

Das Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten bringt aber noch andere verwirrende Folgerungen mehr praktischer Art mit sich. Es belehrt uns, daß ein Mensch in jedem Augenblick seines Lebens entweder jung oder nicht-jung in einem einzigen Moment seines Lebens sich vollziehen. Die Jugend schwindet in einem Augenblick, und ebenso ist es mit der Schönheit einer Frau oder der Gesundheit eines Invaliden. Der schnurgerade Pfad der formalen Logik führt zu recht seltsamen Schlüssen!

Praktisch gesehen, ist alles Leben ein Kompromiss, und die meisten Dinge halten sich gerade in der mittleren Zone auf, die das Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten verbieten möchte. Dies stört nicht im mindesten die Popularität der bekannten Vorschrift für dialektische Auseinandersetzungen: "Meine Herren, es ist über jeden Zweifel erhaben: entweder wir haben einen Mangel an Schweinefutter, oder wir haben keinen Mangel."


Unterschiede der Methode

Ein zwangloser Übergang führt von da zu einem dritten Unterschied des Sprachgebrauchs, oder vielleicht eher der Methode, der etwas ernstere Konsequenzen hat als die bis jetzt betrachteten. Das métier des Philosophen ist die Synthese und Deutung bereits bekannter Tatsachen, das des Wissenschaftlers ist in weitem Ausmaß die Entdeckung neuer Tatsachen. Wenn der Philosoph sich berufen fühlt, eine äußerst komplizierte und schwer verständliche Welt zu deuten, dann ist er versucht, jedes Problem auf sein rohes und nacktes Skelett zu reduzieren, indem er alles abtut, was ihm nicht wesentlich zu sein scheint.

Der Wissenschaftler seinerseits, immer auf der Ausschau nach etwas Neuem, sucht gerade alle Komplikationen zu bewahren; sie sind ihm sogar willkommen, da sie ihm möglicherweise zu neuen Gebieten der Erkenntnis die Wege weisen. Das uns hier interessierende Moment ist, daß der Philosoph stets in Gefahr ist, sein Problem gewaltsam zu vereinfachen und Wesentliches zu übersehen, indem er nicht sieht, daß es wesentlich ist.
LITERATUR - James Jeans, Physik und Philosophie, Zürich 1944