ra-2Paul TillichLaurent VeryckenReinhold Niebuhr    
 
JOHANN LOSERTH
(1846-1930)
Der Kommunismus der
Hutterischen Brüder in Mähren

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    I. Die wiedertäuferischen Kommunisten in Mähren
II. Die Lehre von der Gemeinschaft
III. Die Durchführung der Gemeinschaft

"Wir können eurer ehrwürdigen Majestät mit Treue wohl anzeigen, daß während der letzten zwei Jahre selten ein Tag gewesen, daß nit wiedertäuferische Sachen vor unseren Rat gekommen wären und sind denn mehr als 700 Manns- und Weibspersonen in dieser Grafschaft Tirol an mehreren Orten zum Tode gerichtet, teils des Landes verwiesen und noch mehr in das Elend flüchtig geworden, dürften Güter und zum Teil auch ihre Kinder verlassen haben."


I. Die Ausbreitung der wiedertäuferischen
Kommunisten in Mähren (1526 - 1626)

Wer sich heutzutage über die eine oder die andere der wichtigeren Seiten der deutschen Reformation belehren wollte, begegnet selbst in besseren Büchern noch manchen oft ganz seltsamen Irrtümern. Wenn einer unserer gefeiertsten Lehrer - LUDWIG HÄUSSER - einstens den Hauptunterschied zwischen LUTHER und ZWINGLI darin gefunden hat, daß LUTHER alles bestehen läßt, was dem Wortlaut der Bibel nicht geradezu widerspricht, ZWINGLI hingegen von der Glaubenslehre und dem Kirchtum alles ausscheidet, was sich nicht durch den Schriftbeweis rechtfertigen läßt, so ist, um mit einer leisen Änderung in LESSINGs Worten zu reden, am ersten Satz gerade so viel richtig, daß man das Irrige im zweiten übersieht. Dem Kenner der ZWINGLIschen Theologie kann es nicht entgehen, daß auch dieser Schweizer Reformator an die Grenzlinie kam, an der Halt zu machen er durchaus genötigt war. Der Wendepunkt trat 1525 ein: es war sein Streit mit den Wiedertäufern.

Wiedertäufer! Wer heute von diesen spricht, denkt auch nur an die schrecklichen "Rottirer" von Münster, an BERNHARD ROTTMANN und seine Gesellen. Wer weiß heute, daß zahlreiche Gruppen reformfreundlicher Menschen im dritten Jahrzehnt des XVI. Jahrhunderts, die alle unter dem gemeinsamen Namen  Wiedertäufer  in einen Topf geworfen werden, mit denen von Münster auch nicht das Mindeste zu tun hatten! Da sind Elemente zusammengefaßt, die sich zueinander verhalten wie Feuer und Wasser. Hier eine Gesellschaft, die einen blutigen Bürgerkrieg erregt, dort eine Gemeinschaft, innerhalb deren die Schwertfegerei zu den verbotenen Handwerken gehört und die dem Staat die Steuern versagt, falls diese zur Kriegsführung die Mittel bieten sollen. Die Münsterischen Taufgesinnten bilden nur einen kleinen Flügel einer weit verzweigten Richtung, die nur auf kurze Zeit und auch nur darum zu Worte kommen konnte, weil die bestehenden Gewalten in dem mit allen Mitteln - mit Feuer, Schwert und Wasser - gegen die Wiedertäufer als gemeingefährliche Leute geführten Kampf gerade die gemäßigteren, besonnenen Elemente unter diesen zu Tode getroffen hatten und nun die äußerste Richtung zu Wort kam. Auch von der großen, mit einer unglaublichen Schnelligkeit erfolgten Ausbreitung der wiedertäuferischen  Schwärmer  in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich hat man heute trotz der neueren Arbeiten von BECK, EGLI, KELLER u. a. kaum eine rechte Vorstellung.

Es kann nun nicht unsere Aufgabe sein, diesen Gegenstand hier ausführlich zur Sprache zu bringen, dagegen scheint es dem Zweck dieser Zeilen zu entsprechen, der Ausbreitung dieser Gruppe von Reformfreunden auf österreichischem Boden zu gedenken, weil man dann den weiteren Ausführungen über die kommunistischen Lebensformen der Wiedertäufer in Mähren umso leichter zu folgen vermag. Es mag daher die Frage über das Entstehen des Anabaptismus hier billig beiseite gelassen werden: es ist ja schließlich begreiflich, daß all jene, die auf die Bibel als die Norm des Glaubens zurückgehen, von selbst auf die Frage der Kindertaufe stoßen. Es genügt hier zu bemerken, daß der Anabaptismus, der auf österreichischem Boden einwurzelte, Schweizerischer Herkunft ist. Die Kämpfer von Zürich aus den Jahren 1525 und 1526 tauchen in Tirol, in Ober- und Niederösterreich und vor allem in Mähren auf.

Mähren war damals das gelobte Land religiöser Toleranz und ist es durch das ganze 16. Jahrhundert geblieben. Hier führten die Stände das große Wort und ließen in den dreißier Jahren dem König FERDINAND erklären, schon seine Vorfahren hätten erkannt, daß die Leute nicht mit Gewalt zu einem Glauben genötigt werden können, weil der Glaube nichts anderes ist, als eine Gabe Gottes und von niemand anderem verliehen werden kann, denn allein von Gott. Hier fand man neben den Katholiken Utraquisten [gemäßigte Hussiten - wp], dann die in Böhmen nicht geduldeten Gemeinden der böhmischen Brüder; hier fanden sich Anhänger LUTHERs und ZWINGLIs zusammen. Hierher flüchtete sich, aus der Schweiz verjagt, BALTHASAR HUBMAIER, der Stifter der Wiedertäufergemeinde im Schwarzwald und Lehrer der ganzen Partei und begründete in Nikolsburg eine Hochburg für das gesamte Täufertum.

Von allen Seiten strömten Gesinnungsgenossen herzu: Hier wurden von einem Züricher Buchdrucker die wichtigsten Lehrbücher der Wiedertäufer gedruckt, hier wurden ihre Versammlungen gehalten und ihre Streitigkeiten ausgefochten. Hier fanden die Wiedertäufer Schutz, als in Österreich die große Verfolgung ausbrach, der HUBMAIER (1528) zum Opfer fiel: "Damals hat Herr LIENHART und Herr HANS von LIECHTENSTEIN dem Prophosen entboten, daß er nicht sollt' über die Grenze greifen oder sie wollten ihm etliche Kupten schenken. Da ist der Profos [Strafvollstrecker - wp] abgezogen."

In Mähren griff die neue Richtung rasch um sich; freilich der Fluch, der auf allen diesen neuen Richtungen lastete, das ewige Zanken und Hadern, die fortwährenden Zerspaltungen, heftete sich auch an die Sohlen der mährischen Anabaptisten. Darin waren sich alle einig, daß ein Leben eingerichtet werden muß, das dem der ersten christlichen Kirche entspricht: aber über die Durchführung dachte ein jeder anders. Am meisten Kampf verursachte die Aufrichtung einer wahren  Gemeinschaft,  wie sie von der Bibel geboten war. Diese Frage schied die Parteien: die einen zogen nach Austerlitz, andere weiter nach Auspitz und Rossitz. Erst die kräftige Hand des Tirolers JAKOB HUTTER brachte in die verfahrenen Verhältnisse Ordnung.

Mittlerweile hatte nämlich die neue Richtung fast in allen Ländern Österreichs zahlreiche Anhänger gefunden: alle die Elemente, die mit dem alten Kirchenregiment unzufrieden, vom neuen Wesen, das von Zürich (ZWINGLI) und Sachsen (LUTHER) ausging, sich abgestoßen fühlten, die ganze Masse, die auch eine Besserung der gesellschaftlichen Zustände erwartete, schloß sich ihr an: Österreich über und unter der Enns war voll von Wiedertäufern, kein Flecken, die Donau herab bis nach Wien, wo sie in der Kärtnerstraße ihre Konventikel [Zusammenkünfte - wp] hatten, war frei von ihnen, in Salzburg, der Steiermark und in Kärnten breiteten sie sich aus; vornehmlich aber in Tirol.

Wiedertäufer in Tirol.  Wenn man heute von der Glaubenseinheit Tirols spricht, wer denkt da wohl daran, wieviel Blut und Tränen geflossen sind, um dieses Ergebnis zu erzielen? Hier fand die Wiedertaufe, ob sie nun zunächst aus dem Salzburgischen, ob aus Süddeutschland oder ob sie, was am wahrscheinlichsten ist, von der Schweiz eingeführt wurde, in den Hütten der Bauern gerade so gut, wie in den Schachten der Bergknappen, den Häusern des Bürgerstandes und den Schlössern des Adels ihre Bekenner. Von der Lehre des neuen ungebundenen Evangeliums erwarteten alle Unzufriedenen ihre geistige und materielle Wohlfahrt. In der Opposition gegen die Satzungen der alten Kirche mit dem Evangelium auf gemeinsamem Boden stehend, kämpften sie wider deren all zu leichte Moral und standen in vielen Punkten der alten Kirche näher als diese. Sie hatten den Schein eines wahrhaft christlichen Lebens, das sie nach dem Beispiel der ersten Christen einrichteten, für sich, duldeten keine Laster und hatten gegen ihre Feinde nur Worte des Friedens und der Duldung. Die ersten Wiedertäufer finden wir 1527 in Sarnthal, Rattenbert, Glurns und Mals; allmählich drang die neue Lehre nördlich und südlich vom Brenner in alle Schichten der Bevölkerung. Den größten Anhang gewannen die Wiedertäufer in Rattenberg, Schwatz, Kufstein und Kitzbühl; besonders tief ging aber schon jetzt die Bewegung in der Gegend von Gufidaun und Lüsen. An ihrer Spitze steht seit dem Jahr 1529 JAKOB HUTTER aus dem kleinen Weiler Moos bei Sankt Lorenzen, in der Nähe von Bruneck im Pusterthal. Unter den Brüdern und Schwestern daselbst war er als JAKOB HUTTER von Spital in Kärnten oder JAKOB von WELSBERG, bei denen im unteren Pusterthal als JAKOB von BRUNECKEN bekannt. Er leitete die Gemeinde in tatkräftiger und erfolgreicher Weise. Von den zahlreichen Genossen hatte ein jeder einen Beitrag zum gemeinsamen Säckel zu erlegen. Schon nach kurzer Zeit machten die Behörden die unangenehme Erfahrung, daß die scharfen Maßregeln, die 1527 in den anderen Ländern Österreichs gegen die Wiedertäufer getroffen wurden, in Tirol ihre Wirkung verfehlten. Und doch war ihr Eifer kein geringer. Es war im Jahre 1530, da verteidigte sich die Tiroler Landesregierung gegen den Vorwurf, als sei sie gegen die Wiedertäufer zu milde verfahren, in ernsten Worten:
    "Wir können eurer ehrwürdigen Majestät mit Treue wohl anzeigen, daß während der letzten zwei Jahre selten ein Tag gewesen, daß nit wiedertäuferische Sachen vor unseren Rat gekommen wären und sind denn mehr als 700 Manns- und Weibspersonen in dieser Grafschaft Tirol an mehreren Orten zum Tode gerichtet, teils des Landes verwiesen und noch mehr in das Elend flüchtig geworden, dürften Güter und zum Teil auch ihre Kinder verlassen haben."

    "Wären diese Leute nicht so verstockt, so müßte ihnen die grausame vielfältige Straf, so sie an Alten und Jungen, an Manns- und Weibspersonen, schier alle Wochen vor Augen haben, billig einen Schrecken erzeugen, daß sich niemand mehr in diese Sekte begeben möchte."

    "Wir können aber eurer ehrwürdigen Majestät nicht die Unsinnigkeit verhalten, die bei diesen Leuten gefunden wird, daß sie an der Strafe anderer nicht nur kein Entsetzen haben, sondern sie gehen, wo sie das erlangen können, selbst zu den Gefangenen, zeigen sich als ihre Brüder und Schwestern (d. h. als Glaubensgenossen) an, bekennen sich frei und willig zu ihrem Glauben und läßt sich selten eins bekehren, wünschen vielmehr meistenteils nur zu sterben. Und wenn etwa auch einer widerruft, so ist ihm doch nicht besonders zu trauen, so daß weder gute Lehren noch sonst eine Bestrafung an den Leuten etwas helfen will."
Mit Bitterkeit geißelt einer ihrer Lehre das Tun und Treiben der gelehrten Geistlichkeit:
    "Diese Leute beten zu Gott: Geheiliget werde dein Name und speien ihm nachher unter die Augen; sie sind die Ersten, die seinen Namen verunehren. Die Lehre Gottes verbietet man, man nennt sie Ketzerei, ein verführerisch Ding, aufrührerische Lehre. Deshalb müssen vom Kaiser Edikte und Mandate in alle Winkel ausgehen, hier rennen die Postboten, dort laufen die Schergen, da kommt der Richter, dort ist der Pfleger und in jedem Haus ein Verräter."
Seit 1529 wurde die Verfolgung in Tirol eine allgemeine. Allenthalben "floß das Blut der Märtyrer uns sah man die brennenden Scheiterhaufen". "Da erinnerte sich die Gemeinde, daß Gott im Markgrafentum Mähren, in der Stadt Austerlitz, ein Volk auf seinen Namen gesammelt habe." Dorthin zog nun HUTTER mit seinen Genossen, dahin wanderte ein  Völklein  nach dem anderen samt allem Vermögen, um hier mit den Heiligen Gemeinschaft zu halten. Diese Gemeinschaft - der kommunistische Grundzug der Hutterischen Genossenschaft - wurde jetzt aufs schärfste durchgeführt. Während die bisherigen Führer "noch am Eigentum hingen, hat HUTTER die wahre Gemeinschaft durch die Hilfe und Gnade Gottes in eine ziemliche Ordnung gebracht, daher man uns heute noch die Hutterischen nennt." (1) Der Zuzug aus Tirol wurde immer reichlicher. Infolge der Berichte, die HUTTER  aus der heiligen Gemeinde  ans  Oberland  schickte, kam es zu einer fortgesetzten Wanderung Tiroler Genossen nach Mähren. Selbst Leute aus dem Tiroler Adel, wie SIGMUND von WOLKENSTEIN, pilgerten dahin. Bald konnten zum bestehenden Haushaben in Auspitz einige neue gegründet werden und bereits 1534 wurde ihre Anzahl in Mähren auf 4 - 5000 veranschlagt.

Aber schon war die Regierung entschlossen, den  Fremden  auch in Mähren "die Aufenthaltung abzustricken". Der Schlag, zu dem sie ausholte, war von langer Hand her vorbereitet und wesentlich eine Folge der Ereignisse, die sich eben in Münster abgespielt hatten. Von allen Seiten wurden nun Mandate, schärfer als alle vorhergehenden, erlassen und was das Schlimmste war: die alten Vorwürfe, als habe das Täufertum es nicht bloß auf den Umsturz der kirchlichen, sondern auch der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung abgesehen, gewannen nun eine Berechtigung. Die scharf akzentuierte Behauptung der Wiedertäufer in Mähren: "Wir haben mit den Münsterischen nichts zu tun, wir kennen sie nicht", wurde als Lug und Trug hingestellt. Triumphierend wiesen die Behörden darauf hin, daß sich ihre Annahme, die Wiedertäufer würden, wenn sie nur erst in einer Stadt oder einem Land das Heft in die Hand bekämen, das von ihnen verabscheute Schwert zum Schrecken der anderen gebrauchen, durch den Erfolg bewährt habe. Nun beschloß auch der Landtag von Mähren die Ausweisung der Wiedertäufer und haufenweise zogen diese in die Länder zurück, aus denen sie gekommen waren.

Um das Schicksal der seinigen zu bessern, schrieb HUTTER seine bekannte Epistel an den Landeshauptmann Herrn KUNA von Kunstadt, die in ergreifender Weise die Leiden der armen Verfolgten schildert:
    "Nun liegen wir auf der Heide, niemandem zum Schaden. Wir begehren keinem Menschen Unbill zu tun. Ehe wir unseren Feinden einen Streich mit der Hand gäben, eher ließen wir uns das Leben nehmen. Wir scheuen uns nicht, von unserem Wandel jedermann Rechenschaft zu geben. Daß man aber sagt, wir hätten uns zu Feld gelegt mit soviel Tausenden, als wollten wir Krieg und dergleichen, wer solches redet, der redet als Lügner und Bube. Wär' alle Welt wie wir, so würde alles Kriegen und alles Unrecht ein Ende haben. Wir können uns das Erdreich nicht verbieten lassen."
Dieser Appell blieb freilich ganz erfolglos. HUTTER floh nach Tirol, wo er in kurzer Zeit sein Ende fand.

In Mähren selbst verlor die Verfolgung allmählich an Kraft. Der Landeshauptmann und einzelne Landesherren ließen sich vernehmen, es sei nicht geraten, die armen Leuten in Verzweiflung zu bringen, nicht recht und billig, sie aus ihrem Besitz zu vertreiben. Man schädige die Grundherren, denen sie tüchtige Arbeiter stellen und das Land, dem sie Tribut und Steuern zahlen, ohne daß sie selbst etwas anderes begehren, als daß man sie bei ihrer Arbeit und ihren religiösen Gebräuchen lasse. Dieses Verhalten wurde für die mährischen Landherren in Zukunft maßgebend. Schon ließen sich 1539 Stimmen vernehmen, welche eine vollständige Toleranz in Glaubenssachen verlangten.

Die Stände stimmten nur in dem Falle einer Ausweisung der Wiedertäufer zu, wenn sie auf ihren kommunistischen Lebensformen beharrten, weil man immer noch mit Schrecken des von den Münsterischen gegebenen Beispieles gedachte. Was aber die betreffe, die auf ihrem eigenen Boden (solche gab es in Mähren fast gar nicht) und besonderen Gründen sitzen oder den Herren dienen, auch sonst alle Untertänigkeit leisten und sich gegen ihre Herren gehorsam erweisen: wenn
    "wir diese Leute von unseren Gründen verweisen würden, so möchte hieraus nichts anderes als Aufruhr erfolgen. Unsere Gründe würden öde und wüst liegen und Seine Majestät im Krieg gegen die Türken vielfach gehindert sein."
Auf eine allgemeine Toleranz, die namentliche JAROSLAW von PERNSTEIN dem König aufs Wärmste empfahl, ging dieser begreiflicherweise nicht ein, aber bei der Stimmung des mährischen Adels war an eine allgemeine Austreibung nicht zu denken. Nur gegen die Auflösung der  Gemeinschaft  hätten sie nichts einzuwenden gehabt. Aber gerade die  Gemeinschaft  war das Ideal der Hutterischen Brüder. Wer das angriff, griff an ihren Lebensnerv. Sie waren entschlossen, es in keiner Weise preiszugeben; eher wären sie samt und sonders abgezogen. Das wäre aber ein unleidlicher Schaden des Adels gewesen und so blieben denn diese Kommunisten trotz mannigfacher Verfolgung, die sie namentlich in der Mitte des 16. Jahrhunderts auszustehen hatten, in ihren Haushaben sitzen. Zu ihren Schützern gehörten die edelsten Familien des Landes: die Herren von LIPA, KAUNITZ, ZIEROTIN, PERNSTEIN, LIECHTENSTEIN u. a.

Die neuen Ansiedler brachten in kurzer Zeit einzelne Gewerbe, namentlich die Tuchbereitung, zu außerordentlicher Blüte. Die Wolle führten sie aus Ungarn ein. Da die Stände hierin eine Beeinträchtigung ihres heimischen Marktes erblickten, so erließen sie 1544 das Verbot, die Wolle woanders als in den königlichen Städten des Landes oder auf den Schlössern und Höfen der Grundherren zu kaufen. Solchen Geboten gehorchten sie umso williger, je eifriger sich der Adel ihren Schutz angelegen sein ließ.

Unter diesen Umständen strömten jahraus jahrein aus den entferntesten Ländern Gesinnungsgenossen dazu.

Dieses Wachstum der Wiedertäufer erregte bald die größte Besorgnis der Regierung. Am 16. März 1545 kam abermals ein Befehl aus Prag,
    "daß man uns an keinem Orte im Lande mehr dulden noch behausen, sondern hinausjagen solle." "Auf daß sie haben die Herren des Landes den König mehr als Gott gefürchtet und bewilligt, daß die Brüder ihre Haushaben verlassen und die  Gemeinschaft  aufgeben müssen", "ist aber mit Gottes Hilfe nit dazu gekommen." "Ist ihre Meinung gewesen, daß wir nur 4 oder 5 (es waren ihrer oft bis 1000 in einem Brüderhaus beisammen) in einem Haus sein sollten. Das konnten die Frommen um ihr Bekenntnis des Glaubens willen nit tun."
Gegen die Landtagsbeschlüsse vom 16. März 1545 legten sie in einer Denkschrift "an die Mährischen Herren" Verwahrung ein. Sie verteidigten sich gegen eine jede Vergleichung mit den Münsterischen: "Niemand von ihnen habe diese Art an sich, denn sie stamme vom Teufel." Da die Nachbarn gegen ihre auf kommunistischer Grundlage ruhende Produktionsmethode nur schwer aufkamen und sich im ganzen Lande ein Geschrei erhob, "daß sie den Landhandwerkern das Brot vor dem Mund wegschneiden," so mußten sie sich auch dagegen verteidigen. Sie hielten sich für das auserwählte Volk Gottes und Mähren für das ihnen von Gott zugewiesene Land:
    "Nicht ohne Grund habe er sie in dieses Land geführt und ihm sonderlich viele den Glauben betreffende Freiheiten gegeben, so daß kein Kaiser und kein König die Macht habe, ihm Regel und Ordnung zu geben,  sondern ein jeder seinem Glauben leben mag, wie er auf das Treulichste Gott zu dienen weiß." 
Erst der böhmische Aufstand von 1547 bot dem König FERDINAND der erwünschten Vorwand, die Zügel nicht bloß in politischen, sondern auch in kirchlichen Dingen straffer anzuziehen. Für die Wiedertäufer begann nun "des Trübsals Leid, die Zeit der schweren Verfolgung;" aber sie überwanden auch diese. Die allgemeine politische Lage in den nächsten Jahren kam ihnen zugute: der Plan des Kaisers KARL V., seinem Sohn PHILIPP II. die Nachfolge im Reich zu verschaffen, hatte einen tiefen Schatten auf sein Verhältnis zu FERDINAND I. geworfen; auch die Gährung unter den Protestanten war im Wachsen. Das nötigte FERDINAND I., in Mähren in maßvoller Weise aufzutreten: Mähren sollte auch in Zukunft das Land sein, wo ein jeder ungestört Gott in seiner Weise anbeten durfte.

Mit dem Jahr 1554 begann die glückliche Zeit der Wiedertäufergemeinde in Mähren. Sie hat mit wenigen Unterbrechungen bis an die Wende des Jahrhunderts angedauert. (2) Unter tüchtigen Vorstehern nahm die Gemeinde einen außerordentlichen Aufschwung. Eine Anzahl neuer Haushaben wurde eingerichtet und die Propaganda nach außen in lebhaftester Weise betrieben. Die Missionen gingen nach allen Himmelsrichtungen. In Ungarn, in Polen, Bayern, Tirol und Vorarlberg, Salzburg, der Schweiz und in Württemberg, am Rhein und in Schlesien verzeichnete man große Erfolge; selbst nach Italien suchten die Taufgesinnten ihren Weg. Der Glaubensmut der Genossen wurde durch die Berichte über die Leiden und den Märtyrertod einzelner Sendboten angefacht und deren Taten und Leiden in Liedern gefeiert. Auch in Deutschlang nahm eine mildere Anschauung überhand. Schon beklagen manche Protestanten die eingetretene Spaltung und weisen sich selbst die Schuld zu. "Die armen Täufer", schreibt KATHARINA ZELL 1557, "da ihr so grimmig, zornig über sie seid und die Obrigkeit allenthalben über sie hetzt, wie ein Jäger die Hunde auf ein Wildschwein und Hasen. Sie bekennen sich doch auch zu Christus mit uns. Da man sich in einigen Dingen nicht vergleichen kann, soll man sie deswegen verfolgen und damit Christum in ihnen, den sie doch mit Eifer bekennen?"

Bei solchen Gesinnungen wurde der Zuzug nach Mähren immer bedeutender. Mähren, so schreibt VERGERIUS 1558, wimmelt mehr als jemals von Wiedertäufern. Und daß recht wohlhabende Leuten ihnen zuliefen, sieht man aus den Aufzeichnungen der Tiroler Behörden. Am lebhaftesten gestaltete sich all die Jahre hindurch der Zuzug aus der Schweiz und aus Tirol. Das ganze südliche Mähren war mit Niederlassungen der Wiedertäufer, ihren Haushaben, wie übersät. In 86 Ortschaften lebten sie in ihrer Gemeinschaft zusammen und da die größten Niederlassungen bis zu 2000 Wiedertäufer zählten, so geht man kaum fehl, wenn man ihre Zahl zur Zeit ihrer größten Blüte auf mehr als 80 000 veranschlägt.

Für die Duldung, die der Staat ihnen, wenigstens indirekt, gewährte und die erst von FERDINAND II. nach dem böhmischen Aufstand zurückgenommen wurde, hatten sie erhebliche Steuern zu zahlen. Die einzelnen Handwerke, vornehmlich das Schmiedehandwerk, die Tuchmacherei und die Müllerei, nahmen einen immer größeren Aufschwung. Immer lebhafter klagten die Handwerker anderer Konfessionen über einen Wettbewerb, gegen den sie nicht aufzukommen vermochten und der den Wiedertäufern in gleicher Weise wie den Juden den Hass der Nachbarn zutrug. Es war ja begreiflich: Von jenen Handwerkern, die ihre Geschäfte im Kleinen betrieben und von der Hand in den Mund lebten, konnte kein einziger gegen eine Gesellschaft aufkommen, welche die einzelnen Handwerke nach Art der Fabriken im Großen betrieb, welch das Rohprodukt größtenteils in den eigenen Höfen erzeugte und bei der die Arbeitslöhne nicht mehr kosteten als der einzelne Arbeiter für Nahrung und Kleidung brauchte.

In diesen glücklichen Verhältnissen trat schon zu Ende der Achtziger Jahre ein Umschwung ein. Allmählich mußten die Wiedertäufer eine Anzahl ihrer Haushaben auflassen; von den Genossen verließ gar mancher die Gemeinde und das ging selten ohne  Geschrei  ab. Von den Familien des Herrenstandes zog sich die eine und die andere von ihnen zurück; so namentlich das Haus Liechtenstein, das ihnen den ersten Stützpunkt in Mähren geboten hatte. In Folge des großen Rufes von ihren Reichtümerns wurden ihnen die Steuern bis ins Unerträgliche erhöht, endlich lasteten die Kriege in Ungarn mit Wucht auf ihnen. Ihre Haushaben wurden Jahr für Jahr von durchziehenden Kriegsscharen oder den Feinden arg mitgenommen. Aber trotzdem fand ein Reisender namens ZEILLER sie vor dem Ausbruch des großen deutschen Krieges noch in leidlichem Wohlstand. Ihre Zahl berechnet er immer noch auf 70 000. Erst die allgemeine Reaktion in politischen und kirchlichen Dingen nach der Schlacht am weißen Berg machte ihrem Dasein in Mähren ein Ende. Am 17. September 1633 erging das entscheidende Mandat, das ihnen den Aufenthalt in Mähren verbot. "Alle diejenigen, so der Hutterischen Brüderschaft zugehörten, mußten binnen 4 Wochen das Land räumen: also wurden wir im Monat Oktober auf Gebot des Kaisers FERDINAND II., durch den Antrieb des Kardinals von DIETRICHSTEIN aus 24 Haushaltungen in Mähren (die anderen waren wohl schon geräumt), wie auch aus vielen Maierhöfen, Mühlen, Brauhäusern, Keller- und Kellnerdiensten und zwar aus den meisten mit leeren Händen verfolgt und vertrieben. In allen diesen Orten bliebt der Gemeindes des Herrn ein großes Gut an Getreide und Wein, an Tuch, Leinwand, Salz, Schmalz, Kupfergeschirr, Leib- und Bettgewand, an allerlei Vieh, dann die gebauten Häuser und die liegenden Güter zurück in dem Lande, da wir bei 80 Jahren in aller Ehrlichkeit und Redlichkeit gewohnt."

Nur wenige traten zum Katholizismus über und auch bei diesen mochte der Übertritt nur ein rein äußerlicher gewesen sein. Durch die Ausweisung der Übrigen hatte sich die Regierung einer Menge tüchtiger Arbeitskräfte beraubt. Um den Ausfall wenigstens einigermaßen zu ersetzen, wurden jene Handwerker, Meister und Gesellen, die eben katholisch geworden waren und bisher unter den Hutterischen Brüdern gewohnt hatten, in jeder Weise gefördert.

Die aus Mähren vertriebenen Genossen fanden zunächst Aufnahme und Schutz bei einigen ungarischen Großen. Der Umstand, daß viele und gerade die bedeutendsten Haushaben hart an der ungarischen Grenze lagen, sie überdies in Ungarn schon seit 1546 Niederlassungen hatten, erleichterte ihnen den Abzug. In Ungarn, wo man ihre wirtschaftliche Kraft seit langem kennen gelernt hatte, legte man ihnen keine Hindernisse in den Weg. Schon BETHLEN GABOR siedelte eine starke Kolonnie in Alvincz an. Im Stiftsbrief vom 4. Juli 1622 sagt er: da er vernommen, daß die Brüder, die man die "Mährischen" nennt, aus ihren Sitzen vertrieben und überall hin zerstreut seien, so habe er sie als tüchtige Gewerbsleute, die anderen Lehrer sein können, bei sich aufgenommen. Die meisten zogen ins Waagthal, vielleicht von der Hoffnung beseelt, in  das ihnen bestimmte Land  wieder zurückkehren zu können.

In ihrer neuen Heimat organisierten sie sich in der gewohnten Weise nach den ihnen eigentümlichen kommunistischen Gebräuchen, ohne freilich zu einer auch nur annähernd ähnlichen Wichtigkeit gelangen zu können, wie in Mähren. Doch es ist an der Zeit, ihre kommunistische Lehre selbst und die Art ihrer Durchführung kennen zu lernen.
LITERATUR Johann Loserth, Der Kommunismus der Hutterischen Brüder in Mähren im XVI. und XVII. Jahrhundert, Zeitschrift für Sozialpolitik und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 3, Weimar 1895
    Anmerkungen
    1) Geschichtsbücher der Wiedertäufer. Herausgegeben von J. v. BECK, Seite 113
    2) Die Einzelheiten finden sich in meiner eben erschienenen Schrift "Der Kommunismus der mährischen Wiedertäufer im 16. und 17. Jahrhundert", Archiv für österr. Geschichte Bd. 81. Einzelne Partien der obigen Darstellung sind derselben wörtlich entnommen.