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Laurent Verycken
F o r m e n   d e r  
W i r k l i c h k e i t


Ökonomie
- I I -

1. Raum-Zeit
2. Bewußtsein
3. Logik
4. Sprache
5. Tatsachen
  6. Moral
  7. Ordnung
  8. Recht
10. Anarchie
11. Religion
"Der technische Fortschritt übernimmt zudem moralische Funktionen, ohne daß der technischen Entwicklung eine wirksam vergleichbare moralische Entwicklung gegenüberstünde."

Die Arbeit soll, wie das Geld, eine Maßeinheit zur Wertbestimmung sein. Arbeit hat aber, wie das Geld selbst, keinen Wert. Wert ist keine Eigenschaft der Dinge und  Arbeit  ist keine Eigenschaft der Handlungen. Arbeit ist eine  Idee.  Es gibt keine Arbeit ansich. Der jeweilige Arbeitsaufwand wird von jedem Menschen anders empfunden. Über die Abstraktion  Opfer  wird lediglich  versucht,  den Wert und die Arbeit gleichzuordnen.
"Indem man die Arbeit zu einem psychologischen Opfer gestempelt hat, hat man sich eine Möglichkeit eröffnet, Kapital und Arbeit gleichzustellen." 13)
Das Geldopfer ist aber nicht mit dem Arbeitsopfer kommensurabel. Kapital und Arbeit haben keinen gemeinsamen Nenner genannt  Leistung,  bzw. Arbeitsaufwand. Die Arbeitsopfer sind nicht miteinander vergleichbar.

Die mechanische Gleichsetzung unterschiedlicher Formen des Schaffens ignoriert lediglich die qualitativen Unterschiede und reduziert das individuelle Tun auf abstrakte Arbeit. Die klassische Wirtschaftsphilosophie ist deshalb vordringlich an der abstrakten, d.h.  toten Arbeit  interessiert, also an den Produkten, nicht an der  lebendigen,  d.h. den Menschen und ihren Bedürfnissen. In der Wertform der Produkte steckt deshalb bereits der Keim der kommerziellen, profitorientierten Produktionsform.

"Die moderne Industrie begann nicht mit der Fabrik, sondern mit der Messung der Arbeit. Als der Wert des Produkts in Produktionseinheiten definiert wurde, taxierte man den Wert des Arbeiters in ähnlicher Weise." 14)
Das Entfremdungsverhältnis ist die Herrschaft des Verkaufswerts über den Gebrauchswert.

Kommerzielles Wirtschaften orientiert sich am Tauschwert, nicht am Gebrauchswert. Damit ein Arbeitsprodukt eine Ware wird, bedarf es eines Käufers und eines Verkäufers, also eines Marktes. Der freie Markt reagiert per definitionem nur auf die mit Kaufkraft unterstützten und bestehenden Bedürfnisse. Es gibt aber Bedingungen, die so weit in der Zukunft liegen, daß sie zum heutigen Markt keine Signale geben. Der Marktmechanismus allein ist kein Maßstab für die Bewertung verschiedener Arbeitsqualitäten, weil es Dinge gibt,

"für deren Wert der Markt kein Prüfstein ist, Dinge, deren Nutzen nicht darin besteht, daß sie den Wünschen oder Bedürfnissen des täglichen Lebens dienen und deren Mangel man am wenigsten spürt, wo er in Wirklichkeit am größten ist. Das gilt vor allen Dingen für die Verbesserung des menschlichen Charakters. Die Unkultivierten können logischerweise nicht kompetent über Kultur urteilen." 15)
Der schlechteste Roman kann mehr Wert haben als das gründlichste Buch, da im Marktsystem der Wert erst vom Verkauf abhängt, vom Geschmack des Publikums. Nur insofern ist Privatarbeit gesellschaftlich anerkannt ist, d.h. ihre Produkte auf dem freien Markt Käufer finden, wird sie auch als Arbeit bezeichnet. Alle Arbeit, die außerhalb eines formellen Beschäftigungsverhältnisses geschieht, aber auch unbezahlte Arbeit, wird gering geschätzt. Der Gebrauchswert hat keine ökonomische Dimension. Die unvermarketete Arbeit des informellen Sektors: Hausarbeit, Nachbarschaftshilfe, Freizeittätigkeiten, unbezahlte Beschäftigungen etc., alles  brotlose  Kunst. Den informellen Sektoren der Gebrauchsarbeit, stehen die monetarisierten Sektoren der abstrakten Arbeit gegenüber.
"In keinem der ökonomischen Modelle, die als Richtlinien nationaler Politik dienen, gibt es eine Variable die die nicht marktbaren Gebrauchswerte erfasst; wie es auch keine Variable für den kontinuierlichen Beitrag der Natur gibt. Und doch müßte eine jede Volkswirtschaft sofort zusammenbrechen, wenn die Produktion von Gebrauchswerten einen bestimmten Punkt unterschritte; wenn zum Beispiel Hausarbeit gegen Entlohnung oder Geschlechtsverkehr nur für Honorar verrichtet würde. Alles, was die Menschen tun oder schaffen, ohne es zum Verkauf feilzubieten, ist von ebenso unermeßlichen Wert für die Volkswirtschaft, wie der Sauerstoff, den sie atmen." 16)
Nur die abstrakt allgemeine Arbeit schafft vergleichbare Quantitäten. Standardisierung ist deshalb das Kennzeichen der Wirtschaft. Die Entwicklung der Wirtschaft drängt zu immer umfassenderer Vergleichung der verschiedenen Arbeitsmethoden, das heißt zu Universalisierung der Äquivalentform. Nur eine Betrachtung der wirtschaftlichen Realitäten nach quantitativen Methoden macht den modernen Arbeitsprozess überhaupt erst möglich. Zu einer quantifizierten Arbeitsleistung gehört die quantifizierte Materie. Der Arbeitsprozess muß so organisiert werden, daß alle qualitativen Besonderheiten des Stoffs für den Arbeiter irrelevant sind.

Organische Prozesse werden exakt berechbar gemacht. Das Material ist in einheitliche Formen gepreßt viel kompatibler für die Maschinen geeignet, die immer wieder den selben Vorgang wiederholen. Für die Organisation der Arbeit kommen nur die allgemeinen Eigenschaften der Stoffe wie Größe, Figur, Gewicht, Härte und dgl. in Frage. Alles andere bleibt außer Betracht.

"Das allrationalistische System, will die ganze Welt als bloße Quantität fassen und die Verschiebung der quantitativen Verhältnisse aus einigen Gleichungen deduzieren, die ihrerseits metaphysische Wahrheiten sind. Seine Wurzel ist das optimistische Bestreben, die Grundkategorie des kapitalistischen Formalrechts, den Austausch von Äquivalenten, als Wesen der Welt zu deduzieren." 17)
Die Technik ist, als operative Form der Wissenschaft, die Anwendung des abstrakten Denkens auf die Praxis. Es ist die durchgehend logisch, d.h. quantitative Verfassung wissenschaftlicher Theorien, die sie zur praktischen Verwendung im technisch-industriellen Bereich so geeignet macht. Das Logische ist prinzipiell operativ.
"Technologie ist der Einsatz wissenschaftlicher Kenntnisse zur Bestimmung der Mittel und Wege, etwas auf  wiederholbare  Weise zu tun." 18)
Der Hauptzweck der Maschine heißt deshalb Vervielfältigung. Jede Technik geht ist Typen und Massenproduktion aus. In einer Fabrik geht notwendig alles nach einem toten, mechanischen Schema. Die Instrumentalisierung der Dinge führt zu einer Instrumentalisierung der Natur und der Menschen.
"Die Technik ist zum großen Mittel der Verdinglichung geworden - der Verdinglichung in ihrer ausgebildetsten und wirksamsten Form." 19)
Das Ideal der Industrie ist deshalb die Ausschaltung lebender Substanzen, d.h. auch die Ausschaltung des menschlichen Faktors, um den Produktionsprozess den Maschinen zu überlassen.

Für die Ökokraten werden Mensch und Natur zum Material, das sie sich ihren Zwecken entsprechend dienstbar machen. Menschen, wie auch die Natur, werden als ökonomische Einheiten behandelt, nicht als Lebewesen mit Selbstzweck. Die Maschinen werden nicht den Bedürfnissen der Menschen angepasst, sondern die Bedürfnisse der Menschen so geändert, bis sie auf die Erfordernisse der Maschinen passen. Es ist deshalb ein Hohn zu behaupten, die Wirtschaft stehe letztlich im Dienst der Verbraucher.

Maximierungstechniken mögen die richtige Lösung für die Probleme industrieller Produktion sein, sie sind es jedoch keineswegs für menschliche Probleme. Je weiter der technologische Fortschritt vorangetrieben wird, umso schlechter ist es um die psychologische Umwelt bestellt. Die ganze Technologie hat zu keiner wesentlichen Erleichterung der Arbeitslast geführt, sondern nur die Ausbeutung und die Profitrate gesteigert.

Kommerzielle Wirtschaftlichkeit meint nicht Nützlichkeit ohne Verschwendung, sondern maximalen Profit. Es muß soviel wie möglich produziert werden, damit soviel wie möglich verdient werden kann. Die Ethik des Profits ist eine Ethik der Maximierung. Wo das Wort  Profit  zu anstößig geworden ist, wird einfach von  Wachstum  gesprochen. Nicht der Bedarf ist Zweck der Produktion, sondern die Verwertung des Werts. Die massenweise Fertigung verlangt massenhaftes Material. Verschiedenheit bedingt immer auch eine Beschränkung der Maximierung.

Die Philosophie des Wirtschaftswachstums gründet sich auf der Annahme, daß es keine Grenzen für die Warenmenge gibt, die  der Mensch  in seinem ureigensten Interesse konsumieren sollte. Die Produktion wurde so zum modernen Furor der Vermehrung. Profit ist davon abhängig, daß immer mehr Güter produziert werden und daß die Produkte so schnell wie möglich konsumiert werden. Je schneller die Sachen verschleißen, zerbrechen, veralten und weggeworfen werden, umso eindrucksvoller ist das Bruttosozialprodukt. "Jeder Unfall steigert das Bruttosozialprodukt." 20) Das Wachstumsevangelium heißt: Produziere mehr, auf daß du mehr verbrauchen kannst, auf daß du wieder mehr produzieren mußt.

Im Grunde sind die Produktionsweisen der Industrienationen aber kontraproduktiv. Die  Produktivität  der Arbeit äußert sich darin, daß ungefähr vier Fünftel der menschlichen Arbeit vollständig vergeudet werden durch die gegenseitigen wirtschaftlichen Kämpfe und den Mangel an solidarischem Zusammenwirken. Im Grunde wird die Hälfte aller nützlichen Arbeit in der Welt zu dem Zweck verrichtet, die schädliche zu bekämpfen. Durch die Konkurrenz entsteht hauptsächlich Verschwendung und Verlust. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Produktion wird vernichtet und weggeworfen, um den Preis für den Rest aufrecht zu erhalten.  Wirtschaftswachstum  ist deshalb kein Fortschritt.

Die Lehre vom Wirtschaftswachstum ist sogar eine der totalitärsten Ideologien. Die Technologie der Massenproduktion ist in sich gewalttätig, umweltschädlich und selbstzerstörerisch. Die auf Expansion angelegte Wirtschaft basiert auf der Zerstörung der Naturwelt. Solange das in Geld ausgedrückte Einkommen entscheidende Größe und bestimmendes Kriterium für unser Tun und Verhalten ist, hat die lebende Welt keine andere Bedeutung, als wie ein Steinbruch ausgebeutet zu werden. Die herrschaftliche Beziehung zur Natur und zu den Menschen muß als eigentliches Merkmal der industriellen Lebensweise angesehen werden. Produktion bedeutet Macht, Macht über die Materie und auch Macht über die Menschen. Im Machtdenken sind Mensch und Natur lediglich Mittel und Material. Mit der angeblichen Wertneutralität von Wissenschaft und Technik wird das Bemächtigungsdenken bloß verschleiert.

Die Entwicklung der Technik mit ihrer Vorherrschaft des Gemachten gegenüber dem Gewachsenen hat erst in den letzten zwei Jahrhunderten ihren Höhepunkt erreicht. Die philosophische Grundlage für die Säkularisation der Natur war die kartesianische Spaltung von  Geist  und  Materie.  Für DESCARTES war das materielle Universum eine Maschine und nichts als eine Maschine. In der bloßen Materie gab es weder Sinn noch Leben, noch Spiritualität. Die Natur funktionierte nach mechanischen Gesetzen.

"Da der Mechanismus die Natur als tot und die Materie als passiv betrachtete, konnte er als Rechtfertigung für die Ausbeutung und Bearbeitung der Natur und ihrer Ressourcen dienen." 21)
Die Wissenschaft wurde so zur stärksten Waffe im Kampf gegen die Natur. Die Natur wird ausgebeutet durch die Anwendung mechanistischer Gesetze auf eine leblose Welt. Das Märchen vom wertfreien Gebrauch der Technik hat sich aber als sehr folgenreich erwiesen.

Der Sieg der Technik ist teuer erkauft. Die technischen Sachzwänge bedeuten die Herrschaft der Produkte über die Menschen. Eine demokratiefeindliche Technostruktur wird zum Beherrscher des Wirtschaftslebens. Wir akzeptieren eine gewaltige Bündelung von Macht im Dienst der Produktivität. Die moderne Technologie diktiert die Zwecke.

"Heute verewigt und erweitert sich die Herrschaft nur vermittels der Technologie, sondern  als  Technologie und diese liefert der expansiven politischen Macht, die alle Naturbereiche in sich aufnimmt, die große Legitimation." 22)
Die technologische Rationalität ist zur politischen Rationalität geworden.

Die Technik hat keinen außer ihr selbst liegenden Zweck, deshalb ist sie auch beliebig instrumentierbar. Wo es keine über der Technik stehende Zwecke gibt, wird das Mittel zum Zweck. Die Technik wird zum Selbstzweck, der seiner eigenen Logik folgt - Technologie wird zum Dämon. Durch Wissenschaft und Technik verfügen die Menschen heute über die Macht, das Leben auf dem Erdball restlos zu vernichten. Die Eigendynamik der expansionistischen Supertechnik droht der Kontrolle der Menschen immer mehr zu entgleiten. Wir ordnen das Leben der Technik unter, anstatt die Technik dem Leben unterzuordnen.

"Schon heute üben technische Systeme durch ihre Eigengesetzlichkeit eine Macht aus, die unvergleichlich viel stärker ist, als die Macht der Menschen, die sich einbilden, diese Systeme zu beherrschen." 23)
Gegenüber Technik und Macht, als voneinander abhängige Größen, kann es keine menschliche Autonomie geben. Es ist ein Irrtum zu glauben, die Technik mit technischen Mitteln überwinden zu können. Bei der Lösung von Problemen schafft die Anwendung von Technik vielfach wieder nur neue Probleme. Der technische Fortschritt übernimmt zudem moralische Funktionen, ohne daß der technischen Entwicklung jedoch eine wirksam vergleichbare moralische Entwicklung gegenüberstünde.

Die Ziele des Industriesystems sind Ausweitung und Steigerung von Produktion und Konsum. Die größte Gefahr für die Wirtschaft ist gegeben, wenn die Produktio den Konsum weit hinter sich läßt. Konjunkturkrisen entstehen als Überproduktion oder Unterverbrauch. Wenn heute der Bedarf auf das reduziert würde, was unbedingt lebensnotwendig ist, hätte das für die Wirtschaft jedes hochindustrialisierten Landes eine verheerende Wirkung. Es besteht darum die zunehmende Notwendigkeit, Nicht-Notwendiges zu produzieren und zu konsumieren. Mit der Entwicklung der Wirtschaft müssen auch die Bedürfnisse zunehmen.

Das Management der Megamaschine sorgt deshalb mit einer unermüdlichen Propaganda für nicht nachlassenden Konsum. Wenn das oberste wirtschaftliche Prinzip verlangt, daß wir immer mehr produzieren, muß der Verbraucher auch bereit sein, immer mehr zu wollen, und das heißt: immer mehr zu konsumieren. Durch die Produktion von Primärgütern allein kann die notwendige Wachstumsrate nicht mehr gesteigert werden. Darum müssen Zusatzbedürfnisse geweckt werden. Unser ganzes Wirtschaftssystem ist darauf ausgerichtet, Wünsche zu erzeugen, die vom Warenmarkt dann mit Profit befriedigt werden können.

"Das Ziel der Wirtschaft ist nicht primär die Befriedigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse mit minimalem Produktionsaufwand, sondern die Vermehrung der Bedürfnisse, faktischer wie fiktiver und deren Anpassung an maximale technische Kapazität der Profitproduktion." 24)
Das zentrale Wirtschaftsproblem ist deshalb die Beeinflußung der Kaufentscheidung durch eine gesteuerte Nachfrage. Eine solche ist für eine wirtschaftliche Planung im Industriesystem lebenswichtig. Es muß ununterbrochen gekauft werden, wenn sich die Fabriken nicht schließen sollen. Wenn die Einkommen steigen, müssen sofort neue Bedürfnisse geschaffen werden, das ist das Wichtigste. Wünsche werden auf der Basis kommerzieller Kriterien künstlich erzeugt. Künstliche Bedürfnisse sind unbegrenzt ausdehnungsfähig. Die Konsumenten werden bei jeder Gelegenheit überredet, ihren sinnlichen Genußanspruch höher zu schrauben.

Die Weckung von Bedürfnissen und Interessen ist eine Erzeugung permanenter Unzufriedenheit, ohne die die Produkte der Wirtschaft keine Abnehmer fänden. Viele Waren wären ohne die Manipulation der Kunden nicht gefragt. Ein wunschlos glücklicher Mensch wäre wie eine Schraube im Getriebe der Megamaschine. Es braucht uns darum nicht zu wundern, daß heute bereits beschlossen ist, was die Leute im Jahre 2000 kaufen werden. "Heute ist der zukünftige Beruf jeden Kindes der des  gelernten  Verbrauchers." 25)

Das Organisieren von Verbrauchern ist zum wichtigsten Wachstumssektor der Wirtschaft geworden. Die Werbung fungiert als Instrument zur Steuerung der Konsumenten. Täglich wird uns weisgemacht, die Entscheidungsfreiheit im Bereich des gewöhnlichen Konsums sie das höchste an persönlicher Autonomie: Dieses oder jenes Auto, diese Sorte Schinken oder eine andere wählen oder auch einmal darauf verzichten zu können, soll uns das Gefühl geben, frei zu sein. Es ist eigentlich nicht mehr der Bedarf, sondern die Meinung, die befriedigt werden muß. Der Schein wird wichtiger als der Inhalt. Die ganze Werbung bekräftigt immer wieder und nachdrücklich, daß der Besitz und Gebrauch von Waren Glück bringe, und zwar umso mehr, je mehr Waren produziert und konsumiert werden.

Der Warenfetischismus ist die Bewußtseinsform der bloß konsumierenden Bevölkerung. Die Konsumenten wählen aus den angebotenen Waren aus. Sie haben zwar gewissermaßen ein Vetorecht - brauchen also nichts zu kaufen, was ihnen nicht gefällt - aber sie haben nicht die Macht zur Initiative. Die Konsumgüter sind der Pseudo-Ersatz für den Verlust an unmittelbarem Leben. Die entfremdeten Menschen leben im Traum und wollen sich diesen Traum auch nicht zerstören lassen. Illusionen sind so beglückend, deshalb hängen wir so an ihnen. Die Verhinderung des Nachdenkens geschieht durch alle möglichen Ablenkungen.

"Die bloße Abwesenheit der Reklame und aller schulenden Informations- und Unterhaltungsmedien würde das Individuum in eine traumatische Leere stürzen." 26)

Der Zeitvertreib soll die Menschen daran hindern, an die Nichtigkeit ihres Daseins zu denken. Die offizielle Gesellschaft braucht den Komfort, um ihr eigentliches Elend zu verschleiern. Auch die  Arbeit  soll uns daran hindern, an eine mögliche Sinnlosigkeit unseres Daseins zu denken. Gemeinsamkeit wird über den gemeinsamen Konsum definiert. Um der drohenden Vereinsamung und Isolation zu entgehen, die nichtangepaßtes Verhalten mit sich bringt, spielen alle das Spiel mit, im Bewußtsein der Entfremdung und der Verlogenheit des Kompromisses. "So ist es vergeblich, gegen diejenigen Künste der Täuschung Einspruch zu erheben zu wollen, durch die sich die Menschen nur allzugern täuschen lassen." 27) Mit "Sex, Drugs and Crime" wird versucht das Sinnenleben zu intensivieren, ohne daß dabei das Seelenleben vertieft würde.
LITERATUR - Laurent Verycken, Formen der Wirklichkeit - Auf den Spuren der Abstraktion, Penzberg, 1994
    Anmerkungen
    13) GUNNAR MYRDAL, Das politische Element in der nationalökonom. Doktrinbildung, Leipzig 1932, Seite 118
    14) KARL MARX in HAZEL HENDERSON, Das Ende der Ökonomie, München 1987, Seite 219
    15) GUNNAR MYRDAL, Das politische Element in der nationalökonom. Doktrinbildung, Leipzig 1932, Seite 187
    16) IVAN ILLICH u.a., Entmündigung durch Experten, Reinbek 1979, Seite 28
    17) FRANZ BORKENAU, Der Übergang vom feudalen zum bürgerlichen Weltbild, Darmstadt 1973, Seite 374
    18) HARVEY BROOKS, ohne Quelle
    19) HERBERT MARCUSE, Der eindimensionale Mensch, Neuwied 1978, Seite 183
    20) RALPH NADER, ohne Quelle
    21) CAROLYN MERCHANT, Der Tod der Natur, München 1987, Seite 117
    22) HERBERT MARCUSE, Der eindimensionale Mensch, Neuwied, 1978, Seite 173
    23) GEORG PICHT, Mut zur Utopie, München 1970, Seite 63
    24) LEWIS MUMFORD, Mythos der Maschine, Ffm 1980, Seite 711
    25) DAVID RIESMANN, Die einsame Masse, Reinbek 1977, Seite 92
    26) HERBERT MARCUSE, ohne Quelle
    27) JOHN LOCKE, Versuch über den menschlichen Verstand, Hamburg 1981, Seite 144