p-4tb-2Stephan WitasekBullaty - Das Bewußtseinsproblem     
 
RICHARD von SCHUBERT-SOLDERN
Der Gegenstand der Psychologie
und das Bewußtsein

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"Jede unmittelbar gegebene Wahrnehmung ist im Zusammenhang mit Reproduktionen, Gefühlen, Begehrungen gegeben und hängt durch diese allein mit den vergangenen Wahrnehmungen zusammen. Ohne Reproduktion gäbe es keinen Zusammenhang innerhalb der Wahrnehmungswelt, sondern nur zusammenhanglose Wahrnehmungskomplexe minimalen Umfanges dem Raum und der Zeit nach. Ohne Gefühl kein Begehren, ohne Begehren weder ein Handeln, noch ein Forschen im Denken. Wenn der Anatom oder Physiologe Studien macht am Gehirn oder irgendeinem Leibesteil, so bedarf er beständig seiner Reproduktionen, eines Gefühls- und Begehrungslebens. Er kann und muß davon abstrahieren, aber er kann es niemals eliminieren. Deshalb ist es vergebens, die Reproduktions-, Gefühls- und Begehrungswelt auf Wahrnehmungsinhalt zurückführen zu wollen, weil eben nur unter  Mithilfe  jener Faktoren, vor allem der Reproduktion, eine solche Rückführung möglich ist, also das vorausgesetzt werden muß, was erklärt werden soll, wie immer auch die Erklärung und Ergründung stattfinden mag."

"Dieselbe Methode, wie bei der Feststellung des Gegenstandes der Psychologie überhaupt, verfolgt man natürlich auch bei ihren einzelnen Problemen, man setzt stets offener oder versteckter Weise das voraus, was man eigentlich erst zu beweisen oder nachzuweisen hätte."

"Das Bewußtsein ist weder wahrnehmbar, noch vorstellbar, noch als begriffliches Moment am Konkreten denkbar. In seiner vollen Selbständigkeit ist es unerfaßbar, Nichts; man wird also genötigt sein, so paradox es klingen mag, das Bewußtsein als selbständiges Moment im Gegebenen zu streichen. Ebenso verhält es sich mit dem Begriff des Seins."

2.  Das Bewußtsein und die Seele oder das Ich.  Dieselbe Methode, wie bei der Feststellung des Gegenstandes der Psychologie überhaupt, verfolgt man natürlich auch bei ihren einzelnen Problemen, man setzt stets offener oder versteckter Weise das voraus, was man eigentlich erst zu beweisen oder nachzuweisen hätte. So wird stets das Bewußtsein als Zustand eines transzendenten Wesens entweder offen erklärt oder doch als solcher versteckt angenommen, ohne auch nur zu prüfen, aufgrund welcher unmittelbar gegebener Daten jenes transzendente Wesen angenommen wird. Das muß aber doch wohl zugestanden werden, daß jenes transzendente Wesen, welches Bewußtsein hat, zu Bewußtsein gelangt, nicht zugleich Gegenstand und Inhalt dieses Bewußtseins sein kann; außer, und das ist wenigstens das offenste Verfahren, man zerhaut den gordischen Knoten mit dem delphischen Ausspruch: das sei eben das große Geheimnis, wie der Geist sich selbst erfasse. Aber eine solche Behauptung reißt nicht eine kleine Öffnung, sondern eine ganze Bresche in die Wissenschaft. Läßt man nämlich irgendeinen Widerspruch als etwas Undenkbares, als großes Geheimnis dennoch gelten, welcher Widerspruch und Unsinn dürfte dann keine Geltung beanspruchen? Wo ist dann das Kriterium, das den gültigen vom nicht gültigen Widerspruch trennt?

Es gilt also auch hier zu versuchen, das unmittelbar Gegebene festzustellen, ehe man weitere Schlüsse zieht und fernere Behauptungen aufstellt. Es kann auch hier vorläufig dahingestellt bleiben, ob es transzendente Wesen, die da denken und bewußt sein sollen, ohne Widerspruch geben kann und es soll daher untersucht werden, welche Tatsachen zu einem Erschließen eines transzendenten Wesens führen sollen; denn erschlossen müßten dieselben doch wenigstens sein, will man nicht annehmen, daß das Nichtbewußte unmittelbar bewußt sei. Manche halten zwar dieses logische Argument für einen logischen Pfiff, den zu widerlegen sie sich für zu vornehm dünken; aber wenn dieses Argument ein gar so offenbarer Pfiff ist, dann würden ja wohl einige Federstriche genügen, ihn zu widerlegen und es ist offenbare Sorglosigkeit, dieses nicht zu tun, denn dieser Pfiff spukt jetzt in manchen Köpfen und droht also Unheil anzurichten. Oder ist vielleicht dieser logische Pfiff doch nicht gar so leicht zu widerlegen? Dann wäre es doch offenbare Denkfaulheit und wissenschaftliche Oberflächlichkeit, ihn einfach vornehm beiseite zu schieben, weil er dazu nicht paßt, was man selbst anzunehmen beliebt. Derjenige also, der in der Transzendenz als solcher gar kein Problem findet, der so genial ist, daß die dichtesten Nebel vor seinem Blick zu Nichts zerrinnen, der bleibe diesen Untersuchungen fern, sie können für ihn in der Tat nur den Wert eines "logischen Pfiffes" haben; sie sind nur für diejenigen geschrieben, die mit wissenschaftlichem Ernst einen möglichst voraussetzungslosen Standpunkt einzunehmen bemüht sind.

Das erste Problem, was zu lösen sein wird, ist das Problem des Bewußtseins. Manche werden zwar der Ansicht sein, daß das Bewußtsein überhaupt kein Problem sei, daß es vielmehr das ursprünglichste und Selbstverständlichste selbst sei. In der Tat ist auch eine Entwicklung des Bewußtseins aus etwas, dessen man sich selbst nicht bewußt, das also selbst nicht gewußt ist, unmöglich. Was unmittelbar gegeben ist, ist im Bewußtsein gegeben, das wird man wohl zugestehen müssen. Das Nichtbewußte aber als Nichtbewußtes kann niemals Gegenstand von Erörterungen sein; und wenn ich sage, daß etwas bewußt geworden ist, dann kann ich damit nur meinen, daß eine frühere Erinnerung zu einer jetzigen Wahrnehmung oder irgendeine erwartete Vorstellung zur Wahrnehmung wurde oder daß etwas nur seinem Begriff nach Gewußtes konkrete Gestalt gewonnen habe oder daß ein Datum aufgetreten sei, das mir vollständig frem war. Aber in alledem liegt nicht das Bewußtwerden eines Unbewußten, sondern nur das Auftreten eines neuen Bewußten und die Frage, was dieses Bewußte vor dessen Bewußtsien war, ist sinnlos, denn es fordert ein Bewußtsein des Unbewußten. In diesem Sinn gibt es kein Problem des Bewußtseins. Aber wenn auch alles dieses zugestanden werden muß, so ist damit nicht bezeichnet, worin das Bewußtsein gegenüber seinem Inhalt besteht. Auch den Raum sucht man vergebens aus etwas Nichträumlichem zu entwickeln, dennoch ist aber seine Existenz als abstraktes, aber selbständiges Moment im Gegebenen nachweisbar. Ist das auch mit dem Bewußtsein der Fall? Zunächst fällt auf, daß der Unterschied des Bewußtseins vom Unbewußtsein nie gegeben sein kann. Alles kann nur als Bewußtes gegeben sein und ein Charakteristikum des Bewußten gegenüber dem Unbewußten fehlt - ein solcher Gegensatz kann nicht bestehen, ohne den Gegensatz selbst aufzuheben und das Nichtbewußte zu einem Bewußten zu machen. Auch dem Räumlichen fehlt aber in gewissem Sinne ein solcher Gegensatz, denn alles, selbst das an sich Nichträumliche steht in räumlichen Beziehungen und es ist nicht möglich, zu etwas ganz außer allen räumlichen Beziehungen Vorhandenem zu gelangen. Aber der Raum steht im Gegensatz zu dem in räumlichen Verhältnissen gegebenen Inhalt; und wenn ich von allem Nichträumlichen abstrahiere, so bleibt freilich doch noch in abstracto der Raum, die räumliche Beziehung übrig, der Raum ist also als abstraktes Moment an und in allem Gegebenen nachweisbar. Ist dieses auch mit dem Bewußtsein der Fall? Abstrahiere ich von allem Inhalt, von jedwedem Datum, bleibt dann noch das Bewußtsein dieser Daten als selbständiges abstraktes Moment an und in diesen Daten zurück? Man unterschiebt hier in der Regel dem Bewußtsein ein unbestimmtes Gemeingefühl und eine Gemeinempfindung des Körpers, aber auch diese ist doch bewußt: abstrahiere ich also auch von diesem Inhalt, was bleibt dann übrig? Alles, durch was ich das, was übrig bleiben soll, charakterisieren könnte, fällt in den Inhalt, ist entweder ein Vorstellungs- oder Wahrnehmungsdatum, oder ein abstraktes, aber inhaltlich bestimmtes Datum, oder ein Gefühl, eine bestimmte Begehrung, niemals aber ein von alldem verschiedenes abstraktes, aber selbständiges Moment, wie der Raum seinen Inhalten gegenüber. Das Bewußtsein ist weder wahrnehmbar, noch vorstellbar, noch als begriffliches Moment am Konkreten denkbar. In seiner vollen Selbständigkeit ist es unerfaßbar, Nichts; man wird also genötigt sein, so paradox es klingen mag, das Bewußtsein als selbständiges Moment im Gegebenen zu streichen. Ebenso verhält es sich mit dem Begriff des Seins. Worin besteht das Sein, wenn ich von allem Sosein abstrahiere, wenn ich von jeder bestimmten Seinsart absehe? Bleibt dann noch ein Sein übrig, das allen Seinsarten gemeinsam wäre, als abstraktes Moment an denselben? Fügt das Sein irgendwelchem Inhalt noch etwas hinzu? Ist der Inhalt dadurch bezeichnet, daß man ihm ein Sein überhaupt, nicht irgendeine Seinsart zuschreibt? Doch gewiß nicht und in dieser Beziehung hat HEGEL recht, wenn er das reine und leere Sein gleich dem reinen Nichts setzt; nur daß sich aus diesen Begriffen (wenn man so sagen darf) auch nichts entwickeln läßt, ohne Voraussetzung eines bestimmten Inhaltes, einer Seinsart. Und verhält es sich mit dem Bewußtsein nicht genauso, wie mit diesem Sein? Was fügt das Bewußtsein dem Inhalt hinzu? Das Bewußtsein? Jedes Datum als solches ist doch schon bewußt in diesem Sinne, fehlt ihm alles Bewußtsein, dann ist es gar kein Datum, wie es keines ist, wenn ihm alles Sein fehlt. Aber das Bewußtsein geht im Inhalt ohne Rest auf, es ist nur das Bewußtsein dieses Inhaltes und ohne Inhalt Nichts. Wo ist also die Grenzscheide zwischen Bewußtsein und Sein in diesem Sinne? Eine solche gibt es nicht: alles Sein von Etwas ist Bewußtsein von Etwas und alles Bewußtsein von Etwas ist Sein von Etwas. Es ist das aber eigentlich ein Mißbrauch des Wortes Bewußtsein, denn wenn ich sage, alles Sein ist Bewußtsein und umgekehrt, so habe ich nur gesagt, alles Sein ist Sein und umgekehrt.

Das Bewußtsein als solches ist also gar nicht nachweisbar, es ist weder ein Inhalt, noch eine bestimmte Beziehung von Inhalten und dennoch spricht man von Bewußtsein und setzt Bewußtsein als selbstverständliche Sache voraus. Worin besteht Bewußtsein? Da es kein Inhalt ist, könnte es vielleicht eine Klasse von Inhalten sein? Aber es gibt keine Klasse von Inhalten, die man als die Klasse der bewußten Inhalte bezeichnen könnte. Alle diese Inhalte gelten als bewußte. Aber es kann eine Klasse von Beziehungen geben, die stets vorhanden und mit Bewußtsein identisch sind. Nicht daß das Bewußtsein eine bestimmte eigentümliche Beziehung von Inhalten wäre, sondern nur, daß es die Tatsache wäre, daß alles in gewissen, für sich inhaltlich bestimmten, das Bewußtsein zusammen ausmachenden Beziehungen gegeben sei. Und hier tritt uns die Tatsache entgegen, daß alles, sei es selbst Vorstellung, Wahrnehmung oder Begriff, in Beziehung zu einer mit Gefühlen und Begehrungen verbundenen Reproduktionswelt gegeben ist. Insofern nun irgendein Datum in irgendwelcher inhaltlich bestimmten Beziehung zu eben vorhandenen Reproduktionen, Gefühlen und Begehrungen gegeben ist, ist es meinem eben vorhandenen Ich gegeben, d. h. es ist mir bewußt. Dieses Ich als  mein  Ich ist charakterisiert durch meinen Leib und dieser Leib als  mein  Leib ist charakterisiert durch die Eigenartigkeit seines Gegebenseins gegenüber dem fremden Leibe. Eine Verwechslung des Gegebenseins meines und des fremden Leibes ist nicht möglich; die Verschiedenheit beider Leiber ist tatsächlich gegeben und es ändert nichts am Sachverhalt, welcher Leib "mein" und welcher "fremd" genannt wird, das ist natürlicher Sprachgebrauch. Dieses alles ist nun näher in Augenschein zu nehmen.

Die Seele, wie sie gewöhnlich aufgefaßt wird, ist eigentlich das transzendente Ich und das Ich ist nichts anderes, als Seele, insofern es transzendent sein soll. Die Seele soll eben der Grund jener Erscheinungen, jenes Zusammenhanges innerhalb gegebener Daten sein, der als Ich bezeichnet wird. Das Ich ist also die in Erscheinung getretene Seele.

Es gilt festzustellen, welche bestimmte Seinsart der Seele zukommen soll: denn das bloße Sein, wie wir gesehen haben, ist an und für sich nichts, außer der Behauptung, daß einem Datum eine bestimmte Seinsart zukommt, die entweder bekannt ist, aber nicht genannt wird oder aber nicht bekannt ist. Im letzteren Fall ist aber stets vorausgesetzt, daß dem Datum irgendeine bekannte Seinsart zukomme. Welche Seinsart soll nun die Seele haben? Ist sie Wahrnehmung? Ich meinerseits bin noch nicht imstande gewesen, eine Seele wahrzunehmen; die Seele kann auch nicht wahrnehmbar sein, sie soll ja der Grund dessen sein, daß überhaupt etwas wahrgenommen werden kann und würde zur Wahrnehmung ihrer selbst sich selbst voraussetzen. Ist die Seele Vorstellung? Auch das nicht aus demselben Grund: denn sie stellt vor, ist eine Bedingung der Vorstellung und daher nicht selbst Vorstellung. Ebensowenig kann die Seele Begriff sein, denn abgesehen davon, daß der Begriff ohne Vorstellung oder Wahrnehmung, an denen er gegeben ist, keine Existenz haben kann, ist es ja wieder die Seele selbst, welche begreifen soll, als den Begriff überhaupt erst möglich macht. Dann ist sie also vielleicht ein Zusammenhang innerhalb aller Data; auch das nicht, denn auch hier ist sie der Grund dieses Zusammenhangs. Aber welche Seinsart kommt diesem Grund zu? Keine bestimmte, bekannte? also eine nicht bestimmte unbekannte? Aber eine solche Seinsart ist nicht bloß eine unbestimmte im obigen Sinn, sondern eine gänzlich unbestimmbare. Daher drängen sich hier sofort zwei Fragen auf:
    1) Was für einen Nutzen soll die Behauptung einer Seinsart haben, die, so weit sie gekennzeichnet werden kann, nur aus Worten ohne weiteren Sinn besteht? Denn welchen Sinn haben die Worte: Seele, subjektiver Grund der Erscheinung oder (in idealistischem Sinn) Grund der Erscheinung überhaupt? Bedeuten diese Worte nicht irgendeine bekannte Seinsart, dann bedeuten sie nichts Angebbares und können höchstens dazu dienen, durch Wortgeklingel Verwirrung anzurichten und schwache Geister zu betören.

    2) Wie kann aber überhaupt nur behauptet werden, daß eine ganz unbestimmbare Seinsart vorhanden sei? Ich kann wohl behaupten, daß Irgendetwas, mir Unbekanntes gegeben sei, dann kann ich aber nichts anderes damit sagen wollen, als daß dieses Unbekannte einmal tatsächlich in einer bekannten Seinsart gegeben sein wird, nicht aber, daß es mir niemals gegeben sein kann und doch vorhanden ist, denn das heißt in einem Atem das Entgegengesetzte behaupten. Etwas Unbestimmbares behaupten, heißt doch es bestimmen? denn kann ich es in keiner Weise bestimmen, wie will ich es dann behaupten? Man wird dagegen einwenden, die Seele sei natürlich nicht unmittelbar gegeben, sondern erschlossen, als Grund von Gegebenem notwendig erschlossen. Dann ist sie aber doch gegeben und muß irgendwelche, wenn auch erschlossene Seinsart haben. Worin besteht diese Seinsart? In Worten, denn das Übrige in tiefes Geheimnis! Aber noch mehr; diese Seinsart ist zugestandenermaßen erschlossen aufgrund vorhandener Daten, soll nun das Erschlossene der Grund dessen sein, mittels welchem es allein erschlossen werden konnte? Doch sicher nicht, insofern es erschlossen ist; also insofern es nicht erschlossen? Hier sind wir schon wieder einem unbestimmbaren und dennoch bestimmten Datum angelangt, bei einem nicht erschlossenen Erschlossenen als nicht gegebenem Grund von Gegebenem. Wer sich dabei etwas zu denken vermag, muß ein Meister in der Verstellungskunst sich selbst gegenüber sein.
Doch man könnte noch weiter einwenden, die Seele sei freilich nicht als transzendentes Wesen gegeben, sondern unmittelbar, die Selbsterfassun des Ich sei unmittelbar in einem Selbstgefühl gegeben. Das erfassende Ich sei nun  A;  und dieses  A  soll sich selbst erfassen ohne Spaltung, Teilung oder Spiegelung? Heißt das nicht seinen eigenen Mund abküssen? Oder erfaßt dieses  A  ein zweites ihm gleiches  A?  Dann weiß das erste  A  vom zweiten, aber dieses nichts vom ersten. Oder soll auch das zweite vom ersten wissen? Dann hätten wir ja ein Zwillingspaar von Ich und nicht ein identisches, einheitliches Ich. Diesen Sinn kann also die Behauptung des unmittelbaren Gegebenseins der Seele oder des Ich nicht haben. Es bleibt also nur übrig anzunehmen, das Ich, die Seele sei ein Gefühl, das sogenannte Selbstgefühl. Dieses Gefühl begleite alle anderen Data, es sei das kantische stets mögliche Ich des "Ich denke". Wollen wir uns aber nicht selbst betrügen, so müssen wir zugestehen, daß kein anderes derartiges Gefühl auffindbar ist, als das sogenannte Gemeingefühl in Verbindung mit einer Gemeinempfindung des Körpers. Dieses Gefühl wechselt aber und ist abhängig von Vorstellungen, Wahrnehmungen und ihren Beziehungen. Ja, es kann von einem Augenblick zum anderen in ein entgegengesetztes Gefühl umschlagen und verträgt sich daher nicht mit Einheit und Identität des geforderten Ich; außer man will nicht dieses Gefühl Ich nennen, sondern nur die Tatsache, daß ein derartiges, aber wechselndes Gefühl die Vorstellungen stets begleitet. Dieser Standpunkt ist zum Teil berechtigt, aber nicht genügend. Auf niedriger Entwicklungsstufe des menschlichen Lebens bildet tatsächlich jenes Gefühl einen wichtigen Teil des momentan vorhandenen, konkreten oder empirischen Ich. Doch macht es nicht allein das Ich aus und die Tatsache, daß nicht dieses Gefühl, sondern ein stets vorhandener Wechsel dieses Gefühls das Ich ausmacht, hat schon unvermerkt einen neuen Faktor eingeführt: die Reproduktion. Die Erinnerung an gewesene, d. h. vergangene Gemeingefühle in ihrer Verbindung mit dem jetzigen wäre demnach das Ich. Aber nicht nur dieses Gemeingefühl gehört zum Ich, sondern alle Gefühle, Begehrungen, Vorstellungen und im weitesten Sinne selbst Wahrnehmungen, sowie selbstverständlich auch alle Beziehungen; und sie gehören zum Ich, insofern sie alle miteinander zusammenhängen und zusammen hängen sie nur durch die Reproduktion.

Die Reproduktion ist das Bindemittel, das allein zwischen allen Daten einen Zusammenhang schafft und die Kette bildet zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. So weit ein Datum in Beziehungen zur Reproduktion gegeben ist, ist es im Ich gegeben, ist es subjektiv im Bewußtsein vorhanden; so weit die Wahrnehmbarkeit der Daten allein in den Vordergrund tritt, gehören diese äußeren, der Wahrnehmungswelt an. Reproduktionsbeziehungen sind aber stets gegeben, daher ist stets ein Ich gegeben und alles andere in Bezug auf dieses Ich vorhanden, wenn auch diese Beziehung unter Umständen in den Hintergrund treten kann. So weit daher die Erinnerung reicht, so weit reicht die persönliche Identität. Dieselbe ist nicht ein Erfassen oder ein Vorhandensein eines stets gleichen Datums, in Bezug auf welches alles andere gegeben wäre, ein solches Datum ist nicht auffindbar, sondern es ist ein Zusammenhang von Daten, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbindet und dieser ist gleichbedeutend mit der Reproduktion. Nicht, als ob diese Reproduktionsbeziehung für sich ein eigentümliches Datum wäre, die Reproduktionsbeziehungen selbst sind so mannigfaltig, als ihr Inhalt, es ist vielmehr nur das Datum einer Reproduktion überhaupt. Es stellen sich nun freilich stets Lücken ein, die diesen Zusammenhang zerreissen, da ja der größte Teil des Erlebten für die Erinnerung verloren geht und nur einzelne Hauptmomente übrig bleiben. Aber diese Lücken werden zum Teil ausgefüllt durch mit den Erinnerungen analoge Vorstellungen, wenn auch nur ihrem allgemeinen Charakter und ihrer Grundstimmung nach. Man erinnert sich zwar nicht mehr an alle Daten des eigenen Knabenalters, aber eine dunkle Erinnerung der damaligen Grundstimmung ist möglich, sowie eine Ergänzung druch analoge Vorstellungen dem allgemeinen Charakter nach, die der Beobachtung fremden Knabenlebens entnommen werden. Man wird vielleicht einwenden, daß auf diese Art ein Durchbrechen der Identität der Perspn dann ja überhaupt nicht möglich wäre, weil ein Aufhören aller Reproduktion gleichbedeutend ist mit dem Aufhören des Individuums, daher mit dem Individuum stets auch Reproduktion und daher auch persönliche Identität vorhanden sein muß. Für das betreffende Individuum selbst ist auch ohne Zweifel fast immer eine solche persönliche Identität zu erschließen notwendig, sowie man selbst auch fast stets sich als eine und dieselbe Person in Vergangenheit und Gegenwart fühlt. Auch der Geisteskranke mit seltenen Ausnahmen fühlt sich persönlich identisch, es sind nur andere, die aus seinen Lauten und Bewegungen erschließen, daß der Zusammenhang mit seinem früheren Leben zerrissen sei. Dennoch wäre auch dieses nicht möglich, wenn nicht ein Moment bisher unbeachtet gelassen worden wäre und das ist der Unterschied zwischen dem eigenen und dem fremden Leib. Der eigene Leib unterscheidet sich vom fremden durch seine kausalen Beziehungen und ein verschiedenes räumlich-zeitliches Zusammen von Daten. Mit der sichtbaren Bewegung des eigenen Leibes ist eine Muskelempfindung verbunden, niemals mit jener des fremden Leibes; mit der Berührung des eigenen Leibes durch den eigenen Leib ist zugleich Druck- und Tastempfindung gegeben, bei Berührung durch den fremden Leib nur Druck-, durch Berührung des fremden Leibes nur Tastempfindung gegeben. Der eigene Leib hängt in der Erinnerung kontinuierlich zusammen, er ist ein beständiges Moment im Zusammenhang der Daten; der fremde Leib kann fehlen, sein Zusammenhang kann in der Wahrnehmung plötzlich unterbrochen werden, in der Erinnerung gänzlich fehlen. Laute und Bewegungen des fremden Leibes erzeugen Vorstellungen. Vorstellungen erzeugen im eigenen Leib Laute und Bewegungen - niemals aber erzeugen Vorstellungen allein im fremden Leib Veränderungen und die durch Laute und Bewegungen des eigenen Leibes erzeugten Vorstellungen sind nicht unmittelbar gegeben, sondern erschlossen. Es wären vielleicht noch manche Unterschiede zwischen beiden Leibern anzuführen möglich, doch diese und vor allem der letzte genügt, um nachzuweisen, daß ohne Änderung des kausalen Zusammenhangs eine Verwechslung beider nicht möglich ist. Dieser Unterschied aber ist ein Hauptmoment der persönlichen Identität. Die ganze Erinnerung teilt sich durch diesen Unterschied in zwei geschlossene Gebiete: in eine Erinnerung, die gebunden erscheint an die Anwesenheit des eigenen Leibes allein, die von diesem, seinem Ort, seinen Verhältnissesn abgehangen hat und in eine Erinnerung , die noch eines zweiten Leibes bedurfte, aus Vorstellungen besteht, die nicht unmittelbar mit dem eigenen Leib gegeben waren, sondern Laute und Bewegungen fremder Leiber mit bedurften, um zu entstehen. Dieser Gegensatz in der Erinnerung ist der Gegensatz des Ich und Du, beide bestehen in diesem Gegensatz, sie sind ansich nicht vorhanden. Ich bin eben jener Erinnerungszusammenhang, der sich unmittelbar an meinen jetzt gegebenen Leib knüpft, im Gegensatz zu Erinnerungen, die sich auch an fremde Leiber knüpfen. Tritt dieser Gegensatz zurück, dann gibt es kein Ich und Du, sondern nur einen neutralen Zusammenhang, der nur deswegen auch Ich genannt wird, weil ein vollständiges Vergessen jenes Gegensatzes außer für kurze Zeiten tiefen Versunkenseins in Gedanken unmöglich ist; und selbst jenes Versunkensein erhält in der späteren Erinnerung wieder die Färbung jenes Gegensatzes. Damit sind aber auch erschlossene Störungen der persönlichen Identität erklärlich. Entweder vorhandene Lücken in der Erinnerung werden unrichtig ausgefüllt oder vorhandene Erinnerungen in unrichtige Beziehungen gebracht. So wird es möglich, eine Erinnerungswelt zu schaffen, die sich im Widerspruch mit der der anderen Menschen befindet, indem Erinnerungen an Laute und Bewegungen des eigenen Leibes oder Phantasievorstellungen solcher und überhaupt Vorstellungen, die nur mit dem eigenen Leib zusammenhingen oder in der Vergangenheit nie vorhanden waren und jetzt allein mit dem eigenen Leib eines Menschen zusammenhängen, in kausalen Zusammenhang mit fremden Leibern gebracht werden und umgekehrt Vorstellungen, die durch fremde Leiber gewonnen sind, an den eigenen geknüpft werden. Ja, die Erinnerungen des eigenen und fremden Leibes können vermischt oder, wie es manchmal in schweren Krankheiten geschieht, die Vorstellungen des eigenen Leibes nicht von der Wahrnehmung desselben unterschieden werden; in diesem letzten Fall ist es dann möglich, daß ein doppeltes Ich mit zwei Leibern entsteht. Die persönliche Identität beruht also auf jenem Gegensatz des eigenen und fremden Leibes im allgemeinen reproduktiven Zusammenhang aller Daten. Wo aber diese persönliche Identität nicht übereinstimmt mit der bei anderen erschlossenen, da sind natürlich stets die anderen geisteskrank, man selbst ist stets der geistig Gesunde. So weit also die Erinnerung reicht, reicht die Identität der Person, darin hat LOCKE recht, mit der Einschränkung, daß man von Identität der Person nur da sprechen kann, wo sich durch die Erinnerung der Gegensatz des eigenen fremden Leibes und mithin der eigenen und fremden Vorstellungswelt hindurchzieht.

Gegen diese ganze Erklärung des Ich sehe ich einen Einwand voraus, der auf eine zu ergänzende Lücke hinweist. Man wird fragen, wo liegt die Einheit des Ich? Das Ich scheint zersplittert in seine Vorstellungen. Die Antwort darauf scheint schwer zu sein. Man muß zuerst fragen, welche Einheit des Ich meint man? Spricht man von logischer Einheit, diese kann nur der Begriff des Ich selbst sein und dieser Begriff ist ja eben entwickelt worden. Spricht man von einer transzendenten, im Bewußtseinszusammenhang gegebenen Einheit, dann muß man doch zugestehen, daß sie nicht bekannt ist und weder etwas erklären, noch erklärt werden kann. Es bleibt also nur die Einheit der Zeit und dem Raum nach übrig. Hier ist eine Lücke geblieben und diese muß ausgefüllt werden. Sie wird ausgefüllt durch die Tatsache, daß alles, Vergangenheit und Zukunft (die immer nur als Erwartung der Zukunft gegeben ist) in einer untrennbaren Zeiteinheit gegeben ist, der  Gegenwart.  Gegenwärtig heißt ja nichts als gegeben sein, bewußt sein im dargelegten weitesten Sinn. Vergangenheit und Zukunft ist stets eine Zeitbestimmung innerhalb des gegenwärtigen Zeitmomentes und wie Vergangenheit und Zukunft ohne Beziehung auf eine Gegenwart keinen Sinn haben, so auch die Gegenwart keinen, wenn sie nicht als beide einschließendes Zeitmoment gedacht ist. Gegenwart ohne Vergangenheit und Zukunft ist NIchts, ist Zeitlosigkeit - daher nur in abstracto denkbar oder eigentlich fortdenkbar. Die Gegenwart ist stets die Einheit von Vergangenheit und Zukunft, die zeitliche Einheit der eben in Verhältnissen der Vergangenheit und Zukunft gegebenen Daten. Alles ist Gegenwart und gegenwärtig in diesem Sinne, ihr Gegensatz besteht nur zu dem in ihr Eingeschlossenen. Das ist die unverrückbare und unzerstörbare Einheit des Ich. Innerhalb dieser zeitlichen Einheit kann freilich ein Datum gegenwärtiger sein, als das andere oder als die anderen und heißt dann in Bezug auf diese bestimmten anderen "gegenwärtig" in einem engeren Sinn; diese Gegenwart ist aber stets schon Vergangenheit, denn indem man den Augenblick erhascht, ist er vergangen; Vergangenheit aber, Gegenwart im engeren Sinn und Erwartung der Zukunft ist in einer alles umfassenden Einheit der Zeit gegeben, die alle zeitlichen Gegensätze in sich schließt. Wer mehr will für das Ich, als diese undefinierbare zeitliche Einheit, der weise nach, wo eine solche steckt, doch nicht mit Worten ohne Sinn - Worte lassen sich freilich zu allem gebrauchen, wenn ihr Sinn unbestimmbar in der Transzendenz liegen soll. Diese undefinierbare zeitliche Einheit, die gleichbedeutend ist mit dem Gegeben-sein und Bewußt-sein überhaupt, ist aber nicht die einzige, die dem Ich zukommt, aber die einzige, die ihm unmittelbar zukommt. Das Ich hat auch eine räumliche Einheit durch den Leib. Der ganze Reproduktionszusammenhang ist seinem Inhalt nach an den Leib geknüpft und dieser bildet stets das Zentrum des vorgestellten Raumes. Jede räumliche Bestimmung ist ursprünglich auf ein Leibeszentrum bezogen, sowie wieder umgekehrt der Leib nur räumliches Zentrum in Bezug auf eine Außenwelt ist. Man kann von beiden abstrahieren; aber indem man abstrahiert, gesteht man sie zu. Der Astronom kann unmöglich irgendeine räumliche Bestimmung machen, ohne den Ort seines Leibes mit in Rechnung zu ziehen, dieser ist stets versteckt oder offen der Ausgangspunkt seiner Berechnungen. Es kann freilich in der Vorstellung ein Raum konstruiert werden, bei dem mein Leib nicht in Rechnung gezogen ist, aber eben deswegen ist er in räumlicher Beziehung auf meinen Leib stets gegeben und ich muß davon erst abstrahieren. Ebenso kann mein Leib nur in abstracto ohne Außenwelt betrachtet werden, sie ist stets da und wird nur nicht in Berechnung gezogen - freilich nicht ohne Rechnungsfehler, wenn dieser nur in Bezug auf den Zweck der Betrachtung von keinem Belang ist.

So kommt also dem Ich mittelbar auch räumliche Einheit zu, insofern der geschilderte Ichzusammenhang an den Leib geknüpft ist und dieser stets das Zentrum der vorgestellten Raumwelt bildet.

Der eben geschilderte Begriff des Ich ist natürlich in dieser Reinheit von allen wechselnden und konkreten Bestandteilen im gewöhnlichen Leben nicht vorhanden, er entsteht nur bei schwierigen Abstraktionen innerhalb der wissenschaftlichen Betrachtung. Im gewöhnlichen Leben erscheint er in bunter konkreter Gestaltung und verschiedenstem Umfang. Denn es ist alles im geschilderten Ichzusammenhang gegeben und es kann daher alles, auch die Außenwelt und fremde Ichvorstellungen und Ichwahrnehmungen zu diesem Ich gerechnet werden, nur nicht alles zu gleicher Zeit, denn dann hört der Gegensatz von Ich und Du auf. Jener Teil von Daten daher, bei welchen ihr Reproduktionszusammenhang, ihre Beziehungen zum eigenen Leib im Gegensatz zum fremden endlich ihre zeitliche und räumliche EInheit in den Vordergrund treten gegenüber von Daten, bei welchen andere Beziehungen die Oberherrschaft haben, werden zum Ich gerechnet oder erscheinen vielmehr als das jeweilige konkrete Ich irgendeines Zeitmoments. Dieses konkrete Ich kann zusammenschmelzen bis auf ein dunkles Gemeingefühl, gebunden an eine undeutliche Körperempfindung, es kann vielleicht ganz verschwinden; es kann aber auch den Umfang fast des ganzen im Augenblick gegebenen Inhaltes gewinnen im Gegensatz zu einem Minimum von Inhalt, der nicht zum Ich gerechnet wird, sondern eine gegensätzliche Stellung zu demselben einnimmt. Dieser Gegensatz kann doppelter Art sein, er kann der Gegensatz des geschilderten Reproduktionszusammenhanges zum Wahrnehmungszusammenhang, zur Außenwelt sein, oder der Gegensatz des eigenen zum fremden Reproduktionszusammenhang: also entweder ist er der Gegensatz von Ich und Nichtich oder von Ich und Du. Der bisher noch nicht erwähnte Gegensatz von Ich und Nichtich knüpft sich an den Gegensatz: Vorstellung und Wahrnehmung. Diese beiden Ich sind besondere Gestaltungen des geschilderten abstrakten Ich und mögen daher konkrete Ich-Arten genannt werden. Sie beide umschließt ein Ich, das nur im uneigentlichen Sinn Ich genannt werden darf. Da nämlich alles im Reproduktionszusammenhang gegeben ist, auch die Wahrnehmung und das fremde Ich, so hat jener alles umfassende Ichzusammenhang keinen Gegensatz außerhalb seiner, weil überhaupt kein "Außerhalb" . Der Gegensatz dieses Ich liegt daher nicht im Reproduktionszusammenhang gegenüber dem Nichtreproduktionszusammenhang, sondern im Zusammenhang durch Reproduktion und ihrer zeitlichen und räumlichen Einheit gegenüber dem in diesem Zusammenhang gegebenen Inhalt. Es treten hier also Beziehungen in Gegensatz zu Inhalten; dieses Ich ist daher auch kein Ich im eigentlichen Sinne, sondern ein oberster Zusammenhang alles Gegebenen.

Gegen diese Fassung des Ich sehe ich noch einen weiteren Einwand voraus; dieser beruth auf der Denktätigkeit des Ich. Fehlt das Wesen, das tätig sein soll, dann hängt auch die Tätigkeit in der Luft. Aber ich frage, was heißt das "Tätigkeit"? Ist tatsächlich eine Tätigkeit als ganz eigenartiges Datum, ganz eigenartiger Inhalt gegeben oder ist Tätigkeit nicht vielmehr eine Art Beziehung von Daten?

Was Veränderung ist, ist bekannt und weiter nicht zu erklären. Eine Veränderung hat die andere zur Folge, auch das ist Tatsache. Fängt die Reihe der Veränderungen in der Reproduktionswelt an und pflanzt sich bis zur Wahrnehmungswelt fort, dann heißt es: der betreffende Mensch handelt, er ist tätig der Außenwelt gegenüber; hört die Reihe der Veränderungen innerhalb der Reproduktionswelt auf, dann denkt der betreffende Mensch, er handelt nicht. Fängt aber eine Reihe von Veränderungen in der Wahrnehmungswelt an und endet in ihr, dann ist von Tätigkeit nur im übertragenen Sinn die Rede, man spricht von Veränderungen, von Bewegungen, mechanischen Vorgängen. Eigentlich stehen alle diese Veränderungen in engem, untrennbaren Zusammenhang und es handelt sich daher vielmehr darum, welche Art von Veränderungen mehr in den Vordergrund tritt. Keine Veränderung in der Wahrnehmungswelt ist ohne Reproduktionsveränderung und keine Reproduktionsveränderung ohne äußere Veranlassung und ohne Folgen, wenigstens für den Leib als Wahrnehmung. Daher spricht man von Tätigkeit oder mechanischem Vorgang, je nachdem, welche Art von Veränderungen in den Vordergrund tritt.

Man wird nun fragen: wer denk, wer handelt? Darauf ist nur die Antwort möglich durch Angabe des Leibes und der ihm zugehörigen Reproduktionswelt und "dieser" denkt, heißt nichts anderes als: die betreffenden Veränderungen gehen von einer durch "diesen" Leib gekennzeichneten Vorstellungswelt aus. "Dieser" handelt, heißt, jene Veränderungen erstrecken sich bis auf die Außenwelt, die Welt als Wahrnehmung, durch Veränderungen des betreffenden Leibes. Wem die Denktätigkeit noch in der Luft hängt, der bedenke:
    1) Was soll ein Wesen hinter aller gegebenen Veränderung erklären, wenn es selbst nicht gegeben ist? (Abgesehen davon, daß es dann gar nicht zu konstatieren ist.) Was es dann heißen oder helfen soll, zu behaupten, dieses Wesen wirkt, ist nicht anzugeben möglich.

    2) Analysiert man den Begriff der Tätigkeit, so findet man wohl Empfindungen, Inhalte (Muskelempfindungen, Ermüdung), Beziehungen von Empfindungen (Veränderungen), die zur Tätigkeit gehören, aber nichts, was die Tätigkeit noch außerdem auszeichnnen, sie von jenen Empfindungen, Inhalten und ihren Beziehungen unterscheiden könnte. Was ist Tätigkeit, abgesehen von sie nur begleiten und ihr folgen sollenden Gefühlen, Veränderungen von Inhalten? Wer noch etwas findet, der gebe es an; aber auch dann kann dieses Gefundene nicht eine Beziehung haben zu etwas, das überhaupt gar nicht gegeben ist.
LITERATUR, Richard von Schubert-Soldern, Der Gegenstand der Psychologie und das Bewußtsein, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Leipzig 1891, Band 8