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THOMAS PAINE
Common Sense
- Über den Ursprung und Zweck der Regierung im allgemeinen,
nebst einigen kurzen Bemerkungen über die englische Verfassung -

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"Man knows no Master save creating Heaven
Or those whom choice and common Goods ordain."
blindfish- Thomson -

Einleitung

Die Sache Amerikas ist in hohem Maße die Sache der ganzen Menschheit. Es gab viele Ereignisse (und es wird viele geben), die nicht lokaler, sondern universaler Natur sind, durch die die Grundsätze aller Menschenfreunde betroffen und schließlich ihre Gefühle geweckt werden. Wenn ein Land mit Feuer und Schwert verwüstet wird, wenn man wider die natürlichen Rechte der ganzen Menschheit den Krieg erklärt und die Verteidiger dieser Rechte vom Antlitz der Erde getilgt werden, betrifft das jeden Menschen, dem die Natur die Fähigkeit zu fühlen gegeben hat; zu jenen gehört, ohne Rücksicht auf Parteienstreit.

      - der Autor. (1)

P. S. Die Veröffentlichung dieser neuen Ausgabe ist hinausgeschoben worden, um - sollte es sich als notwendig erweisen - von jedem Versuch Kenntnis zu nehmen, die Doktrin von der Unabhängigkeit zu widerlegen. Da aber bis jetzt noch keine Antwort erschienen ist, kann man davon ausgehen, daß auch keine mehr erscheinen wird, weil auch die Zeit beträchtlich überschritten ist, die man braucht, um eine solche Sache zur Veröffentlichung zu bringen.

Es ist nicht nötig, daß die Öffentlichkeit weiß, wer der Autor dieses Werkes ist, denn die  Doktrin allein  verdient die Aufmerksamkeit, nicht der  Mann.  Dennoch mag es nicht nutzlos sein zu sagen, daß er keiner Partei angehört und weder öffentlichen noch privaten Einflüssen, sondern nur denen der Vernunft und seiner Grundsätze verpflichtet ist.

Philadelphia, am 14. Februar 1776



COMMON SENSE

Es gibt Autoren, die die Begriffe "Gesellschaft" und Regierung" so miteinander verwechselt haben, daß keinerlei Unterschied mehr zwischen ihnen besteht; sie sind aber nicht nur verschieden, sondern haben auch verschiedene Ursprünge. Eine Gesellschaft entsteht aus unseren Bedürfnissen, eine Regierung wegen unserer Schlechtigkeit. Die erstere fördert unser Glück  auf positive Weise,  indem sie unsere Gefühle vereint, die letztere auf  negative Weise,  indem sie unsere Verderbtheit zügelt; die eine fördert die menschlichen Beziehungen, die andere schafft Unterschiede. Erstere tut Gutes, letztere bestraft.

Gesellschaft ist in jedem Zustand ein Segen, Regierung dagegen im besten Fall nur ein notwendiges, im schlechtesten Fall aber ein unerträgliches Übel. Wenn wir  unter  einer Regierung  denselben  Leiden ausgesetzt sind, die wir auch in einem Land  ohne Regierung  erfahren würden, so wird unser Elend noch vergrößert, wenn wir uns bewußt werden, daß wir ja selbst die Mittel liefern, durch die wir leiden. Wie die Kleidung, so ist auch eine Regierung das Kennzeichen der verlorenen Unschuld; die Paläste der Könige sind auf den zerstörten Hütten des Paradieses erbaut, denn die Menschen bräuchten keinen Gesetzgeber, wenn die Gebote des Gewissens klar und einheitlich wären und von allen strikt befolgt würden. Aber da dies nicht der Fall ist, wird es für jeden notwendig, einen Teil seines Vermögens für den Schutz des ganzen zu opfern; dies rät ihm dieselbe Umsicht, die ihn in anderen Fällen dazu bringt, von zwei Übeln das geringere zu wählen. Da nun also der Schutz der Sicherheit jedes einzelnen der wahre Zweck und das Ziel einer Regierung ist, so folgt daraus unwiderlegbar, daß diejenige  Regierungsform,  die diesen mit größter Wahrscheinlichkeit garantieren kann, und zwar mit dem geringsten Aufwand und dem größten Nutzen, allen anderen vorzuziehen ist.

Um eine klare und genaue Vorstellung vom Ziel und Zweck einer Regierung zu bekommen, wollen wir uns in folgende Situation hineinversetzen: In irgendeinem abgeschiedenen Teil A- Ende ohne Verbindung mit der übrigen Welt, siedeln sich einige Menschen an, die somit die allerersten Bewohner eines Landes oder auch der ganzen Welt repräsentieren. In diesem Stadium ursprünglicher Freiheit wird ihr erster Gedanke der Gesellschaft gelten, und es gibt unzählige Gründe, die sie dazu veranlassen werden: Die Kraft des einzelnen vermag so wenig, und er ist so wenig für dauernde Einsamkeit geschaffen, daß er bald die Hilfe und den Beistand eines anderen sucht, der wiederum auf ihn angewiesen ist. Zu viert oder fünft wären sie in der Lage, eine leidliche Bleibe herzurichten, aber einer allein könnte sein ganzes Leben lang arbeiten, ohne irgend etwas zustande zu bringen; nachdem er sein Bauholz gefällt hätte, wäre er nicht in der Lage, es wegzuschaffen, geschweige denn daraus ein Haus zu bauen. In der Zwischenzeit würde der Hunger ihn von der Arbeit wegtreiben, und jedes neue Bedürfnis würde neue Anstrengungen von ihm verlangen. Krankheiten oder auch nur Unfälle - unter normalen Umständen nicht lebensgefährlich - wären sein Tod, denn sie würden ihn seiner Lebensgrundlage berauben, und er würde sterben, ja elend zugrunde gehen.

Wie das Gesetz der Schwerkraft die Planeten, so würde die schiere Notwendigkeit unsere Neuankömmlinge zu einer Gesellschaft zusammenschließen, und solange sie vollkommen gerecht zueinander sind, würden die Segnungen der Gesellschaft die Verpflichtung auf ein Gesetz und eine Regierung überflüssig machen. Aber es wird unvermeidbar so kommen, daß sie in dem Maße, wie sie die ersten Schwierigkeiten nach der Einwanderung überwunden haben, die sie fest zusammenschlossen, in ihrer gegenseitigen Pflichterfüllung und Zuneigung nachlassen - denn allein der Himmel ist ohne Fehler -, und diese Nachlässigkeit wird sie von der Notwendigkeit einer Regierung überzeugen, damit so das Fehlen moralischer Tugend ausgeglichen werden kann.

Ein geeigneter Baum, unter dessen Ästen sich die ganze Kolonie versammeln kann, um über die allgemeinen Staatsangelegenheiten zu debattieren, wird der erste Parlamentssitz sein. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß die ersten Gesetze nur die Bezeichnung REGELUNGEN tragen und daß auf deren Übertretung keine andere Strafe, als öffentliche Mißbilligung steht. In diesem ersten Parlament hat jeder kraft des Naturrechts einen Sitz.

Aber in dem Maße, wie die Kolonie wächst, werden auch die öffentlichen Interessen umfassender, und durch die größere räumliche Entfernung wird es für die Mitglieder der gesamten Gemeinschaft zu beschwerlich werden, sich zu allen Angelegenheiten zu versammeln, wie sie es am Anfang taten, als ihre Zahl noch klein war, die Wohnstätten nahe beisammen lagen und die öffentlichen Interessen zahlenmäßig gering und unbedeutend waren. Daher wird es für sie von Vorteil sein, wenn sie zustimmen, daß die gesetzgebende Körperschaft von einer bestimmten, aus ihnen gewählten Gruppe gebildet wird, die dieselben Interessen haben sollte wie die, die sie eingesetzt haben, und die so handeln wird, wie die ganze Gemeinschaft handelte, wäre sie anwesend. Wenn die Kolonie dann weiter wächst, wird es notwendig sein, die Zahl der Abgeordneten zu erhöhen; und damit die Interessen aller Teile der Kolonie in gleicher Weise gewahrt werden, wird es am besten sein, geeignete Bezirke festzulegen, von denen jeder eine bestimmte Zahl von Abgeordneten entsendet. Und damit die Interessen der  Gewählten  immer mit denen ihrer  Wähler  identisch sind, wird man vorsichtshalber die Wahlen oft abhalten; denn da die  Gewählten  dadurch nach einigen Monaten wieder aus dem Amt ausscheiden und zu gewöhnlichen  Wählern  werden, wird ihr Pflichtbewußtsein gegenüber der Allgemeinheit durch die Überlegung gestärkt, daß sie ja nicht in ihre eigene Tasche wirtschaften können. Dieser ständige Austausch von Wählern und Gewählten wird die Gemeinschaft durch ein starkes gemeinsames Interesse verbinden, und sie werden sich gegenseitig und ganz natürlich unterstützen; darauf, und nicht auf dem bedeutungslosen Namen eines Königs, beruht die  Stärke einer Regierung und das Glück der Regierten. 

So verhält es sich also mit dem Ursprung und der Entwicklung einer Regierung - ein Übereinkommen, das durch die Unfähigkeit der moralischen Tugend, die Welt zu regieren, notwendig wurde - und dem Zweck und Ziel einer Regierung: der Garantie von Freiheit und Sicherheit. Und wären unsere Augen auch vom Schnee geblendet oder unsere Ohren vom Lärm betäubt, wäre unser Wille durch Vorurteile verfälscht oder unser Verstand durch äußere Einflüsse getrübt, so würde dennoch die einfache Stimme der Natur und der Vernunft sagen, daß dies so richtig ist.

Ich habe meine Vorstellungen über den Charakter einer Regierung von einem Prinzip in der Natur abgeleitet, das von keiner Kunst umgestoßen werden kann, nämlich: je einfacher eine Sache ist, desto weniger ist sie für Störungen anfällig und desto leichter ist sie wieder in Ordnung zu bringen; und mit dieser Maxime vor Augen will ich nun einiges zu der vielgerühmten englischen Verfassung anmerken. Ich gebe zu, daß sie für die dunklen und unfreien Zeiten, in denen sie eingerichtet wurde, vortrefflich war. Als überall auf der Welt Tyranneien herrschten, bedeutete die kleinste Verbesserung eine glorreiche Befreiung. Aber daß sie unvollkommen ist, Erschütterungen ausgesetzt und nicht in der Lage, auch zu verwirklichen, was sie zu versprechen scheint, kann leicht bewiesen werden.

Absolute Regierungen haben - wenn sie auch eine Schande für die menschliche Natur sind - den Vorteil, daß sie einfach sind; wenn das Volk leidet, kennt es die Ursache seines Leidens und kennt auch die Abhilfe, und es wird nicht durch eine Vielzahl von Ursachen und Gegenmitteln verwirrt. Aber die englische Verfassung ist so außerordentlich komplex, daß die Nation jahrelang leidet, ohne daß man entdecken kann, wo der Fehler liegt; einige werden sagen hier, andere dort, und jeder politische Arzt verschreibt eine andere Medizin dagegen.

Ich weiß, daß es schwierig ist, örtliche oder althergebrachte Vorurteile zu überwinden; aber wenn wir uns der Mühe unterziehen, die einzelnen Teile der englischen Verfassung zu untersuchen, werden wir herausfinden, daß sie die unrühmlichen Reste zweier alter Tyranneien sind, vermischt mit neuen republikanischen Bestandteilen.

Erstens:  Die Reste der monarchischen Tyrannei in der Person des Königs.

Zweitens:  Die Reste der aristokratischen Tyrannei in der Person der Peers.

Drittens:  Die neuen republikanischen Bestandteile in der Person der Commons, von deren Kraft die Freiheit Englands abhängt.

Die beiden ersten sind erbliche Ämter und somit unabhängig vom Volk; in  verfassungsmäßigem Sinn  tragen sie nichts zur Freiheit im Staat bei.

Wenn man sagt, daß die englische Verfassung eine  Vereinigung  von drei Kräften darstellt, die sich gegenseitig  kontrollieren,  so ist das lächerlich; entweder haben diese Worte keinen Sinn, oder sie sind schlichtweg widersprüchlich.

Zu sagen, daß die Commons den König kontrollieren, setzt zwei Dinge voraus.

Erstens:  Daß man dem König ohne Überwachung nicht trauen kann oder, mit anderen Worten, daß das Verlangen nach absoluter Macht die natürliche Krankheit der Monarchie ist.

Zweitens:  Daß die Commons, da sie zu diesem Zweck eingesetzt wurden, entweder weiser oder vertrauenswürdiger, als die Krone sind.

Aber da dieselbe Verfassung, die den Commons die Macht gibt, den König durch ihr Steuerbewilligungsrecht zu kontrollieren, ebenso dem König die Macht gibt, die Commons zu kontrollieren, indem er ihre Gesetzesvorschläge zurückweisen kann, so setzt sie wiederum voraus, daß der König weiser als diejenigen ist, bei denen bereits vorausgesetzt wurde, daß sie weiser sind als er. Eine reine Absurdität!

Im Wesen der Monarchie liegt etwas absolut Lächerliches: Sie schließt zuerst einen Menschen von allen Informationsquellen aus und ermächtigt ihn anschließend, in Fällen zu entscheiden, die höchstes Urteilsvermögen erfordern. Der Status eines Königs isoliert ihn von der Welt, da doch sein Amt ihre gründliche Kenntnis verlangt. So zeigen die einzelnen Komponenten, die sich in unnatürlicher Weise entgegenstehen und sich zerstören, daß das Ganze absurd und nutzlos ist.

Einige Autoren haben die englische Verfassung folgendermaßen erklärt: der König, so sagen sie, ist eine Sache, das Volk eine andere; die Peers bilden eine Kammer im Namen des Königs, die Commons im Namen des Volkes; aber dies alles sind Kennzeichen für ein Parlament, das in sich gespalten ist. Und wenn auch die Beschreibungen noch so gefällig sind, genauer untersucht, erscheinen sie unbrauchbar und zweideutig. Die hübschesten Wortverbindungen werden immer nur Schall und Rauch sein, wenn sie für die Beschreibung einer Sache gebraucht werden, die entweder nicht existiert oder die zu unbegreiflich ist, als daß sie mit Worten beschrieben werden könnte. Obgleich sie unser Ohr erfreuen, können sie doch nicht unseren Verstand unterrichten, denn eine solche Erklärung setzt zunächst eine andere Frage voraus, nämlich:  Wie kam der König zu einer Machtposition, der das Volk nur schwerlich vertrauen kann und die es immer kontrollieren muß?  Eine solche Machtfülle kann nicht das Geschenk eines weisen Volkes gewesen sein, und eine Obrigkeit,  die man kontrollieren muß,  kann auch nicht von Gott sein. Dennoch setzen die Bestimmungen der Verfassung die Existenz einer solchen Macht voraus. Aber sie werden ihrer Aufgabe nicht gerecht; mit den zur Verfügung stehenden Mitteln kann und wird das Ziel nicht erreicht werden, und die ganze Sache ist ein  felo de se  (2). Denn wie das schwere Gewicht das leichtere immer aufwiegen wird und wie die Räder einer Maschine nur von einem in Bewegung gesetzt werden können, so muß man nur erkennen, welche Macht innerhalb der Verfassung das Übergewicht hat, um zu wissen, wer regiert. Obwohl die anderen Kräfte die Schnelligkeit der Bewegung hemmen oder, wie es richtig heißt, kontrollieren können, sind ihre Bemühungen doch zum Scheitern verurteilt, solange sie sie nicht stoppen können. Die Kraft, die alles in Bewegung setzt, wird sich schließlichdoch durchsetzen; wenn nicht sofort, so doch auf die Dauer.

Daß in der englischen Verfassung die Krone dieser beherrschende Teil ist, braucht nicht erwähnt zu werden, und daß sie ihre Bedeutung hauptsächlich von der Tatsache ableitet, daß sie Pfründen und Renten vergeben kann, ist auch offensichtlich. Obwohl wir also klug genug waren, die Tür vor der absoluten Monarchie zu schließen und zu verriegeln, waren wir zur selben Zeit so töricht, die Krone in den Besitz des Schlüssels zu bringen. Die Voreingenommenheit der Engländer zugunsten ihrer Regierung mit König, Oberhaus und Unterhaus rührt mindestens genauso sehr (oder mehr) von ihrem Nationalstolz wie von der Vernunft her. Der einzelne ist in England zweifellos sicherer als in manchen anderen Ländern, aber der  Wille  des Königs ist in England genauso Gesetz wie in Frankreich, mit dem einzigen Unterschied, daß es dort unmittelbar vom König verkündet wird, während es hier dem Volk in der schrecklichen Gestalt eines Parlamentsaktes präsentiert wird. Das Schicksal KARLs I. (3) hat die Könige nur geschickter gemacht, nicht gerechter.

Wenn man also allen Nationalstolz und die Voreingenommenheit zugunsten von Sitten und Gebräuchen beiseite läßt, so ist es die volle Wahrheit,  daß es allein der Verfassung des Volkes und nicht der Verfassung der Regierung zuzuschreiben ist,  daß die Krone in England nicht so tyrannisch ist wie die der Türkei.

Eine Untersuchung der  konstitutionellen Fehler  der englischen Regierungsform ist zur gegenwärtigen Zeit unbedingt notwendig. Denn wie wir niemals in der Lage sind, gegenüber anderen gerecht zu sein, während wir unter dem Einfluß einer vorherrschenden Parteilichkeit stehen, so wird es auch gegenüber uns selbst unmöglich sein solange wir durch irgendein hartnäckiges Vorurteil behindert sind. Und wie ein Mann, der sich an eine Prostituierte hält, unfähig ist, sich eine Frau zu wählen oder über sie zu urteilen, so wird uns jegliche Voreingenommenheit zugunsten einer untauglichen Verfassung oder Regierung außerstande setzen, sie von einer guten zu unterscheiden.


ÜBER DIE MONARCHIE UND DIE ERBFOLGE

Da alle Menschen nach der Ordnung der Schöpfung ursprünglich gleich waren, kann diese Gleichheit nur durch spätere Ereignisse zerstört worden sein. Die Unterscheidung in Reiche und Arme mag zu einem großen Teil dafür verantwortlich sein, ohne daß man dabei auf solch harte und böse klingende Begriffe wie Unterdrückung und Habgier zurückgreifen muß. Unterdrückung ist oft die  Folge  von, aber selten oder nie das  Mittel  zum Reichtum. Und wenn auch die Habgier einen Menschen davor bewahren wird, notleidend und arm zu werden, so macht sie ihn im allgemeinen zu ängstlich, als daß er reich werden könnte.

Aber es gibt noch eine andere und wichtigere Unterscheidung, die auf keinen wahrhaft natürlichen oder religiösen Grund zurückgeführt werden kann, nämlich die Unterscheidung der Menschen in KÖNIGE und UNTERTANEN. Die Natur unterscheidet nur nach männlich und weiblich, der Himmel nach gut und böse; aber wie ein Menschengeschlecht auf die Welt kam, das so hoch über den anderen steht und von ihnen unterschieden wird wie eine völlig neue Spezies, und ob es den Menschen Glück oder Unglück gebracht hat, das lohnt sich genauer zu untersuchen.

In der Frühgeschichte dieser Welt gab es nach der Zeitrechnung der Bibel keine Könige und folglich auch keine Kriege; denn es ist allein der Stolz der Könige, der die Menschheit ins Unglück stürzt. Holland (4), das keine Könige hat, erlebte im letzten Jahrhundert eine längere Friedenszeit als jede der monarchischen Regierungen Europas. Auch das klassische Altertum bestätigt die Beobachtung, denn das ruhige und ländliche Leben der ersten Patriarchen war von einem beschaulichen Glück, das aber nicht mehr zu finden ist, wenn wir uns die Geschichte des jüdischen Königtums betrachten.

Die monarchische Regierungsform, zuerst von heidnischen Völkern eingeführt, wurde dann von den Kindern Israel übernommen. Dies war die glücklichste Erfindung, die der Teufel je zur Förderung der Abgötterei in die Welt gesetzt hat. Die Heiden erwiesen ihren verstorbenen Königen göttliche Ehren, und die christliche Welt hat diesen Brauch noch erweitert, indem sie diese auch ihren lebenden Königen angedeihen läßt. Wie blasphemisch ist doch der Titel  Heilige Majestät  für einen Wurm, der inmitten seiner Herrlicheit zu Staub zerfällt.

Die Erhöhung eines Menschen so hoch über die anderen kann weder durch die Gleichheit in der Natur noch durch die Autorität der Bibel gerechtfertigt werden, denn der Allmächtige mißbilligt ausdrücklich die monarchische Regierungsform, wie er durch Gideon und den Propheten Samuel kundgetan hat. Alle antimonarchischen Stellen der Bibel sind zwar von monarchischen Regierungen allmählich und sehr vorsichtig beseitigt worden, aber sie verdienen ohne Zweifel die Aufmerksamkeit von Ländern, die noch vor ihrer Regierungsbildung stehen.  Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist:  (5) dies ist der biblische Lehrsatz, auf den sich die Höfe berufen; aber er ist dennoch keine Rechtfertigung für die monarchische Regierungsform, denn die Juden hatten zu jener Zeit keinen König und waren zudem Vasallen Roms.

Beinahe 3000 Jahre vergingen seit dem mosaischen Schöpfungsbericht, bis die Juden in ihrer Verblendung nach einem König verlangten. Bis dahin war ihre Regierungsform (außer in bestimmten Fällen, in denen der Allmächtige selbst eingriff) eine Art Republik, die von einem Richter und den Stammesältesten geleitet wurde. Sie kannten keine Könige, und es wurde als Sünde angesehen, jemandem außer dem Herrn der himmlischen Heerscharen diesen Titel zuzuschreiben. Und denkt man ernsthaft über die abgöttische Verehrung nach, die den Königen entgegengebracht wird, so ist es kein Wunder, daß der Allmächtige, der immer eifersüchtig über die ihm zustehende Ehrerbietung wacht, eine Regierungsform mißbilligen muß, die so gottlos die Vorrechte des Himmels für sich beansprucht.

Die Monarchie wird in der Bibel sogar als eine der Sünden der Juden bezeichnet, für die spätere Verdammnis angedroht wird. Die Geschichte dieses "Sündenfalls" ist einer genaueren Untersuchung wert. (6)

Als die Kinder Israel von den Mideanitern bedrängt wurden, marschierte Gideon mit einer kleinen Armee gegen sie, und mit göttlicher Hilfe fiel ihm der Sieg zu. Die Juden, hocherfreut über den Erfolg, schrieben ihn der Feldherrenkunst GIDEONs zu und schlugen vor, ihn zum König zu machen: Herrsche du über uns, du und dein Sohn und deiner Söhne Söhne. Dies war eine ungeheuere Versuchung (nicht nur ein Königtum, sondern noch ein erbliches dazu), aber in der Frömmigkeit seines Herzens antwortete GIDEON: Ich werde nicht über euch herrschen, noch soll mein Sohn über euch herrschen. Der Herr allein herrsche über euch. Deutlicher konnte dies nicht ausgesprochen werden: GIDEON schlug nicht nur die Ehre aus, sondern sprach ihnen sogar das Recht ab, sie ihm anzutragen. Er schmeichelte ihnen auch nicht mit heuchlerischen Dankeserklärungen, sondern bezichtigte sie, wie es einem guten Propheten ansteht, des Treubruchs an ihrem wahren Souverän, dem König des Himmels.

Ungefähr 130 Jahre später verfielen sie wieder demselben Irrtum (7). Das Verlangen der Juden nach den abgöttischen heidnischen Sitten ist etwas völlig Unerklärliches, aber es geschah, daß sie sich das schlechte Verhalten der beiden Söhne SAMUELs zunutze machten, die mit einigen weltlichen Aufgaben betraut waren, und plötzlich und laut lärmend zu Samuel kamen und sagten : "Siehe, du bist alt geworden, und deine Söhne wandeln nicht in deinen Wegen. So setze nun einen König über uns, der uns richte, wie ihn alle anderen Völker haben." Und hier müssen wir feststellen, daß ihre Beweggründe schlecht waren, denn sie wollten wie andere Völker, sprich: die Heiden sein, während ihr wahrer Ruhm gerade darin lag, daß sie eben nicht wie sie waren. Aber das mißfiel Samuel, daß sie sagten: Gib uns einen König, der uns richte. Und SAMUEL betete zum Herrn. Der Herr aber sprach zu SAMUELs: "Gehorche der Stimme des Volkes in allem, was sie zu dir gesagt haben, denn sie haben nicht dich, sondern mich verworfen, DASS ICH NICHT MEHR KÖNIG ÜBER SIE SEIN SOLL. Sie tun dir, wie sie immer getan haben von dem Tage an, da ich sie aus Ägypten führte, bis auf diesen Tag, daß sie mich verlassen und anderen Göttern gedient haben. So gehorche nun ihrer Stimme. Doch warne sie und verkündige ihnen das Recht des Königs, der über sie herrschen wird", das damit nicht das eines bestimmten Königs ist, sondern allgemein das der Könige auf Erden, die Israel so gerne nachahmen wollte. Und trotz des großen zeitlichen Abstands und der Verschiedenheit der Sitten ist dieser Charakterzug immer noch in Mode. Und SAMUEL sagte alle Worte des Herrn dem Volk, das von ihm einen König forderte, und sprach: Das wird des Königs Recht sein, der über euch herrschen wird: Eure Söhne wird er nehmen für seinen Wagen und seine Gespanne, und daß sie vor seinem Wagen herlaufen" (diese Beschreibung paßt auf die heutige Art und Weise, wie man Menschen beeindruckt), "und zu Hauptleuten über tausend und fünfzig, und daß sie ihm seinen Acker bearbeiten und seine Ernte einsammeln, und daß sie seine Kriegswaffen machen und was zu seinem Wagen gehört. Eure Töchter aber wird er nehmen, daß sie Salben bereiten, kochen und backen" (dies beschreibt den Aufwand und die Verschwendungssucht der Könige wie auch ihren Hang zur Unterdrückung). "Eure besten Äcker und Ölgärten wird er nehmen und seinen Großen geben. Dazu von eurer Saat und von den Weinbergen wird er den Zehnten nehmen und seinen Kämmerern und Großen geben" (daran erkennen wir, daß Bestechung, Korruption und Günstlingswirtschaft die beständigen Laster der Könige sind), "und den Zehnten eurer Knechte und Mägde und eurer besten Jünglinge und eurer Esel wird er nehmen und in seinen Dienst stellen. Von euren Herden wird er den Zehnten nehmen, und ihr müßt seine Knechte sein. Wenn ihr dann schreien werdet zu der Zeit über euren König, den ihr euch erwählt habt, SO WIRD EUCH DER HERR ZU DERSELBEN ZEIT NICHT ERHÖREN." Dies zeigt die Kontinuität der Monarchie; die wenigen guten Könige, die seither gelebt haben, rechtfertigen weder die Institution selbst, noch können sie die Sündhaftigkeit ihres Entstehens auslöschen. Die hohe Lobrede, die über Daniel geschrieben wurde, nimmt keine Notiz von seiner offiziellen Stellung als König, sondern nur von ihm selbst als Mann nach Gottes Herzen. "Aber das Volk weigerte sich, auf die Stimme Samuels zu hören, und sie sprachen: Nein, sondern ein König soll über uns sein, daß wir auch seien wie alle Heiden, daß uns unser König richte und vor uns her ausziehe und unsere Kriege führe." Samuel machte ihnen weitere Vorhaltungen, aber ohne Erfolg; er warf ihnen ihre Undankbarkeit vor, aber es half alles nichts, und als er sah, daß sie weiter an ihrer Torheit festhielten, schrie er: "Ich will den Herrn anrufen, daß er Donner und Regen sende" (was eine Strafe gewesen wäre, denn es war die Zeit der Kornernte), "damit ihr erkennt, daß eure Gottlosigkeit groß ist, die ihr unter den Augen des Herrn getan habt, ALS IHR NACH EINEM KÖNIG VERLANGTET. Und Samuel rief zum Herrn, und der Herr schickte noch an diesem Tag Donner und Regen, und das ganze Volk fürchtete sehr den Herrn und Samuel, und sie sprachen zu SAMUEL. Bete zu Gott deinem Herrn für deine Diener, daß wir nicht sterben müssen, DENN WIR HABEN UNSEREN SÜNDEN NOCH DIE HINZUGEFÜGT, DASS WIR NACH EINEM KÖNIG VERLANGT HABEN." (8) Diese Teile der Schrift sind unmißverständlich. Sie lassen keine zweifelhafte Deutung zu. Daß der Allmächtige hier seinen Protest gegen die monarchische Regierungsform ausgedrückt hat, ist wahr, oder die Schrift ist falsch. Und man darf mit gutem Grund annehmen, daß der König mindestens so sehr darauf bedacht ist, die Schrift vom Volk fernzuhalten, wie der Klerus in den papistischen Ländern. Denn die Monarchie ist in jedem Fall die Papisterei einer Regierung.

Dem Übel der Monarchie haben wir noch das der Erbfolge hinzugefügt; und wie das erste eine Erniedrigung und Herabsetzung unserer selbst darstellt, so ist der Anspruch des letzteren eine Beleidigung und eine Bürde für die Nachkommen. Denn da alle Menschen ursprünglich gleich waren, kann  niemand aus seiner Geburt  das Recht ableiten, für seine eigene Familie ein ständiges Vorrecht gegenüber allen anderen zu beanspruchen, und obwohl der Betreffende selbst vielleicht eine gewisse Auszeichnung von seinen Zeitgenossen verdient hätte, so könnten seine Nachkommen doch zu unwürdig sein, sie zu erben. Einer der stärksten  natürlichen  Beweise für die Torheit des königlichen Erbfolgerechts ist, daß die Natur selbst es mißbilligt, sonst würde sie es nicht so oft lächerlich machen, indem sie der Menschheit  einen Esel anstelle eines Löwen  schenkt.

Zweitens:  Da ursprünglich kein Mensch andere öffentliche Titel tragen durfte als solche, die ihm persönlich übertragen wurden, konnten die Verleiher dieser Titel auch nicht das Recht haben, der Nachwelt vorzugreifen; sie konnten zwar sagen: "Wir wählen dich zu  unserem  Anführer", aber nicht, ohne ihren Kindern Unrecht zu tun: "Deine Kinder und Kindeskinder sollen für immer über unsere Kinder herrschen." Denn ein solch unkluger, ungerechter und unnatürlicher Vertrag könnte sie ja nach dem ersten Thronwechsel unter die Herrschaft eines Schurken oder eines Narren bringen. Die meisten klugen Menschen haben insgeheim die Erbfolge schon immer verachtet, aber sie ist eines dieser Übel, die, wenn erst einmal eingeführt, nicht leicht wieder abgeschafft werden können. Viele fügen sich aus Furcht, andere aus Aberglauben, und die Stärkeren beteiligen sich mit dem König an der Beraubung der anderen.

Bisher haben wir immer vorausgesetzt, daß die gegenwärtigen Königsgeschlechter auf der Welt von vornehmer Herkunft sind. Es ist aber wahrscheinlicher, daß wir - könnte man das Dunkel der Vergangenheit lichten und die Geschlechter bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgen - zur Erkenntnis kämen, daß der erste von ihnen nichts Besseres war als der schlimmste Raufbold irgendeiner unsteten Bande, dessen wildes Gebaren oder größere Hinterlist ihm den Titel eines Anführers von Plünderern verschaffte. Als dieser dann seine Macht vergrößerte und seine Plünderungen ausdehnte, schüchterte er die Friedlichen und Wehrlosen so ein, daß sie ihm für die Garantie ihrer Sicherheit regelmäßig Zahlungen leisteten. Dennoch dachten seine Wähler keineswegs daran, seinen Nachkommen ein Erbfolgerecht zu gewähren, denn ein solch fortdauernder Ausschluß ihrer selbst war unvereinbar mit den freien und uneingeschränkten Prinzipien, nach denen zu leben sie vorgaben. Deshalb konnte in jenen frühen Zeiten der Monarchie die erbliche Thronfolge nicht durch einen Rechtsanspruch zustande gekommen sein, sondern nur zufällig oder ehrenhalber; aber da es in jener Zeit nur wenig oder keine schriftlichen Aufzeichnungen gab und die traditionelle Geschichtsschreibung voller Fabeln ist, war es nach einigen Generationen sehr leicht, eine Geschichte voller Aberglauben zu erfinden, um zu gegebener Zeit, im Stile MOHAMMEDs, die Lehre von der Erbfolge in die Hälse des Pöbels zu stopfen. Vielleicht trugen die Wirren, die beim Tod eines Führers und der Wahl eines Nachfolgers drohten oder zu drohen schienen (denn Wahlen konnten bei diesen Raufbolden ja nicht sehr geregelt vonstatten gegangen sein), dazu bei, daß zunächst viele das Bestreben nach Erbfolge begünstigten. So geschah es, wie es auch seither immer geschah, daß was zunächst aus Bequemlichkeit angenommen wurde, später als Recht beansprucht wurde.

England hat seit der Eroberung ein paar gute Monarchen gehabt, aber unter einer viel größeren Anzahl von schlechten gelitten; und man kann nicht sagen, daß ihre Berufung auf Wilhelm den Eroberer (9) eine sehr ehrenvolle wäre. Ein französischer Bastard, der mit einer bewaffneten Räuberbande landet und sich gegen den Willen der Landesbewohner zum König von England macht, ist offen gesprochen ein armseliger, schurkischer Vorfahr, der sicherlich nichts Göttliches an sich hatte. Es ist aber nutzlos, so viel Zeit darauf zu verwenden, die Torheit des Erbfolgerechts zu enthüllen; wenn es Leute gibt, die so unfähig sind und daran glauben, dann sollen sie doch unterschiedslos den Esel und den Löwen verehren. Nur zu! Ich werde weder ihre Demut nachahmen noch ihre Hingabe stören.

Dennoch würde ich gern fragen, wie sie sich das Entstehen des Königtums vorstellen? Darauf gibt es nur drei mögliche Antworten, nämlich entweder durch Los, Wahl oder widerrechtliche Aneignung. Wenn der erste König durchs Los bestimmt wurde, so schuf dies einen Präzedenzfall für den Nachfolger, der eine Erbfolge ausschließt. Saul wurde durchs Los bestimmt, die Nachfolge war nicht erblich, und es gibt auch keine Anzeichen, daß es je so beabsichtigt gewesen wäre. Wenn der erste König eines Landes gewählt wurde, schuf dies ebenfalls einen Präzedenzfall; die Annahme, daß das Recht aller künftigen Generationen mit dem Akt der ersten Wähler hinfällig geworden sei, weil diese nicht nur einen König, sondern ein ganzes Königsgeschlecht auf ewig gewählt hätten, hat weder in der Bibel noch sonst eine Parallele, außer in der Lehre von der Erbsünde, die den freien Willen aller Menschen seit Adam verloren sieht; ein solcher Vergleich, und es gibt keinen anderen, gereicht der Lehre von der Erbfolge nicht zur Ehre: Mit Adam sündigten alle Menschen, sagt die eine, und mit den ersten Wählern gehorchten alle Menschen, die andere; durch die erstere wurde die ganze Menschheit Satan untertan, durch die zweite den Herrschern; durch die eine ist unsere Unschuld verloren, durch die andere unser Recht; und da uns beide außerstande setzen, einen früheren Rang und frühere Vorrechte wieder einzunehmen, folgt daraus unwiderlegbar, daß die Erbsünde und die Erbfolge vergleichbar sind. Welch schändlicher Zusammenhang! Welch unrühmliche Verbindung! Und doch kann der scharfsinnigste Sophist keinen wohlbegründeteren Vergleich ersinnen.

Was schließlich die widerrechtliche Aneignung betrifft, so wird keiner so kühn sein und sie verteidigen, und daß Wilhelm der Eroberer ein Usurpator war, ist eine Tatsache, der niemand widersprechen wird. Die reine Wahrheit aber ist, daß deshalb eine Untersuchung der Frühzeit der englischen Monarchie nicht zugelassen wird. Aber was die Menschheit beunruhigt, ist nicht so sehr die Absurdität als vielmehr die Übel der Erbfolge. Sicherte sie ein Geschlecht von guten und weisen Männern, so hätte sie das Siegel der göttlichen Vollmacht; aber da sie den  Törichten,  den  Gottlosen  und den  Untauglichen  die Tür öffnet, trägt sie das Wesen der Unterdrückung in sich. Menschen, die meinen, sie selbst seien zum Regieren geboren und die anderen zum Gehorchen werden bald anmaßend; auserwählt gegenüber allen anderen Menschen, wird ihr Verstand bald durch Wichtigtuerei getrübt. Die Welt, in der sie leben, unterscheidet sich so wesentlich von der eigentlichen Welt, daß sie nur wenig Gelegenheit haben, deren wahre Interessen kennenzulernen, und wenn sie dann an die Regierung kommen, sind sie häufig die Unwissendsten und Unfähigsten des ganzen Landes.

Ein anderes Übel, das der Erbfolge anhaftet, ist die Möglichkeit, daß Minderjährige jeden Alters auf den Thron gelangen können; während dieser Übergangszeit haben die Regenten, unter dem Deckmantel des Königtums, jede Möglichkeit und jeden Anreiz, ihre Pflegschaft zu betrügen. Dasselbe nationale Unglück geschieht, wenn ein König, von Alter und Gebrechen geplagt, in das letzte Stadium menschlicher Schwäche eintritt. In beiden Fällen wird die Allgemeinheit Opfer jedes Schurken, der es versteht, die Torheiten des Alters oder der Kindheit erfolgreich auszunutzen.

Die plausibelste Erklärung, die je zugunsten der Erbfolge vorgebracht wurde, ist, daß sie ein Land vor Bürgerkriegen bewahrt; ein schwerwiegender Einwand, wäre dies zutreffend. Indessen ist es die schamloseste Lüge, die der Menschheit je aufgetischt wurde. Die gesamte englische Geschichte widerlegt sie. Dreißig Könige und zwei Minderjährige haben seit der Eroberung in diesem zerrissenen Königreich regiert, und in dieser Zeit gab es, einschließlich der Revolution (10), nicht weniger als acht Bürgerkriege und neunzehn Rebellionen. Anstatt also zum Frieden beizutragen, verhindert ihn die Erbfolge und zerstört gerade das Fundament, auf dem sie zu stehen scheint.

Der Kampf zwischen den Häusern York und Lancaster (11) um die Monarchie und die Thronfolge machte England für Jahre zum Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen. Zwölf regelrechte Schlachten wurden zwischen HEINRICH und EDWARD (12) geschlagen, dazu kommen Scharmützel und Belagerungen. Zweimal wurde HEINRICH Gefangener Edwards, der seinerseits wieder von Heinrich gefangen wurde. Und das Kriegsglück und die Stimmung einer Nation sind so wechselhaft, wenn allein persönliche Gründe die Ursache eines Streites sind, daß HEINRICH im Triumphzug vom Gefängnis in den Palast geführt wurde, während Edward gezwungen war, vom Palast ins Ausland zu fliehen; doch weil plötzliche Stimmungsumschwünge selten von Dauer sind, wurde Heinrich seinerseits vom Thron vertrieben und Edward zurückgerufen, um ihn zu ersetzen. Das Parlament folgte immer der stärkeren Partei.

Dieser Streit begann in der Regierungszeit HEINRICHs VI.. und war erst unter HEINRICH VII. (13) ganz beendet, der die Familien wieder vereinte; insgesamt also eine Periode von 67 Jahren von 1422 bis 1489. Kurz gesagt: Monarchie und Erbfolge (und dies nicht nur in diesem oder jenem Königreich) haben nichts anderes bewirkt, als die Welt in Schutt und Asche zu legen. Es ist eine Regierungsform, gegen die das Wort Gottes Zeugnis ablegt und die mit Blut befleckt ist.

Wenn wir die Aufgaben eines Königs näher untersuchen, werden wir herausfinden, daß er in einigen Ländern gar keine hat; nachdem die Könige ihr Leben ohne Freude für sich selbst oder Nutzen für die Nation verbummelt haben, treten sie ab und überlassen es ihrem Nachfolger, dieselbe müßige Runde zu drehen. In absoluten Monarchien lastet das ganze Gewicht der zivilen und militärischen Aufgaben auf dem König: die Kinder Israel brachten bei ihrem Verlangen nach einem König die Bitte vor, "daß er uns richte und vor uns her ausziehe und unsere Kriege führe". Aber in Ländern, wo er weder Richter noch General ist, wie in England, würde man verlegen, wüßte man, was tatsächlich seine Aufgaben sind.

Je mehr sich eine Regierungsform der republikanischen annähert, desto weniger Aufgaben gibt es für einen König. Die richtige Bezeichnung für die englische Regierungsform zu finden ist schwierig; Sir WILLIAM MEREDITH (14) nennt sie eine Republik, aber in ihrem jetzigen Zustand ist sie dieses Namens unwürdig, denn der korrupte Einfluß der Krone, die alle Ämter in ihrer Verfügungsgewalt hat, hat so erfolgreich die Macht an sich gerissen und die Wirksamkeit des Unterhauses (des republikanischen Teils der Verfassung) ausgehöhlt, daß die Regierung Englands beinahe so monarchisch ist wie die Frankreichs oder Spaniens. Die Menschen verwenden oft Bezeichnungen, ohne sie zu verstehen. Denn es ist der republikanische und nicht der monarchische, Teil der englischen Verfassung, auf den die Engländer stolz sind, d. h. die Freiheit, ein Unterhaus zu wählen; und es ist unschwer zu erkennen, daß wenn die republikanische Tugend versagt, die Sklaverei folgt. Warum ist dann die englische Verfassung krank? Doch nur, weil die Monarchie die Republik vergiftet, die Krone die Commons aufgekauft hat!

In England hat ein König wenig mehr zu tun, als Krieg zu führen und Ämter zu vergeben oder, einfach gesagt, die Nation arm zu machen und Streit zu säen. In der Tat eine schöne Aufgabe für einen Mann, dem man dazu 800 000 Pfund Sterling pro Jahr bewilligt und den man obendrein noch verehrt. Ein aufrechter Mann ist für die Gesellschaft und in den Augen Gottes wertvoller als all die gekrönten Schurken, die jemals gelebt haben.
LITERATUR - Thomas Paine, Common Sense, Stuttgart 1892
    Anmerkungen
    1)  Common Sense  erschien anonym (10. Januar 1776); in der ersten Auflage hatte PAINE noch mit "written by an Englishman" unterzeichnet. Bereits im Februar 1776 war dann die Verfasserschaft PAINEs allgemein bekannt.
    2) (lat.) Trugschluß, Irrtum in sich.
    3) KARL I., König von England seit 1625, wurde nach der puritanischen Revolution und dem Bürgerkrieg im Januar 1649 nach einem Hochverratsprozeß hingerichtet.
    4) Genauer: die sog. Generalstaaten, d. h. die sieben nördlichen Provinzen der Niederlande, die sich nach achtzigjährigern Krieg (1568-1648) von spanischer Oberherrschaft befreiten.
    5) Mt. 22,21; gerade dieser Satz wurde von Gegnern der Unabhängigkeit oft gebraucht.
    6) GIDEONs Sieg über die Mideaniter. Richt. 7,1-25. Gideon wird die Königswürde angetragen: Richter 8,22 f.
    7) Das Volk Israel will einen König: 1. Sam. 8
    8) 1. Sam. 12,16-19. Paine zitiert die Bibel etwas eigenwillig.
    9) WILHELM I. (Wilhelm der Eroberer), König von England 1066-87, unehelicher Sohn des Herzogs ROBERT von der Normandie, eroberte 1066 England und verdrängte den letzten angelsächsischen König HARALD II. vom Thron.
    10) Allgemein wird in der englischen Geschichte darunter die sog. Glorreiche Revolution verstanden: 1688 rief das englische Parlament WILHELM von Oranien gegen König JAKOB II. zu Hilfe, der versucht hatte, das Land absolutistisch zu regieren und die katholische Religion wiedereinzuführen; Wilhelm wird als WILHELM III. vom Parlament auf den Thron erhoben. - Wahrscheinlicher in diesem Zusammenhang ist der Bezug auf Bürgerkrieg und puritanische Revolution 1642 - 60.
    11) Zeitalter der Rosenkriege (1455-85); Kampf um den Thron zwischen den adligen Häusern von York und Lancaster.
    12) HEINRICH VI. (1422-61 und 1470171 König von England), letzter Lancaster-König. - EDUARD IV. (1461 - 70 und 1471- 83 König von England), aus dem Hause York.
    13) HEINRICH VII. (1485-1509 König von England), erster Tudor-König.
    14) Sir WILLIAM MEREDITH, Marineminister im ersten Kabinett Rockingham (1765).